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Full text of "Muenchener Medizinische Wochenschrift 55 ( 1908), 2. Halbjahr"

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MÜNCHENER 


1 




ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

0.i.ÄHBrtr, Ck.BiwIer,0.i.Bollinier,H.Curscknann, H.Helfarlek, W.i.Lenbe, 6. ».Hertel, J. i. Hicktl,F.Peazildt,H. t. Raikc, B.Spate,F.v. Winkel, 

München. Freibnrgi.B. München. Leipzig. Kiel. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München 


REDIGIERT 

VON 

HOFRAT DR- BERNHARD SPATZ 

PRAKT. ARZT 


LY. JAHRGANG. 

1L Hälfte (Juli—Dezember). 


MÜNCHEN 

VERLAG VON J. F. LEHMANN 

1908 


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fife Mtife&mer Medldnbckeffrochensclirtit erscheint wöchentlich 
fm Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen 
Nummer 80 -4. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich 
"* 0*—• * Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind zu adressieren: Pür die Redaktion ÄrnuiK 
Strasse 26. Burcauzeit der Redaktion von 8*/»—1 Uhr. • Für 
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. • Für 
• Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. • 


Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

I.T.ingenr, SkJioilt, I.r.Bollioger, I tintlun, fl.Bellericti, V.v.Leibe,G.r.Merkel,J.r.liehe), F.Peazoldt H.r.Banke, B.Spatz, F.t.V iaeksl, 

München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Eisenach. Würzbarg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 


No. 27. 7. Juli 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus »dem Institut für experimentelle Pathologie und der Pro¬ 
pädeutischen Klinik-der deutschen Universität in Prag. 

Das Wesen des Herzaltemans. 

Von Prof. H. E. H e r i n g. 

Als ich*) hn Februar 1904 den Nachweis führen konnte, 
dass Herz alternans beim Menschen vorkomme, fiel mir schon 
damals bei der Durchsicht der zahlreich aufgenommenen Herz- 
stoss- und Arterienpulskurven jenes Falles auf, dass das 
Kardiogramm und der Arterienpuls beim Al¬ 
ternans nicht immer überein stimmten. 

R i h 1 2 ), welcher diesen Fall 1906 ausführlich veröffent¬ 
lichte, hat diesbezüglich auf S. 280 seiner Mitteilung eine Be¬ 
merkung gemacht; mehr darüber zu sagen oder die betreffen¬ 
den Kurven abzubiklen, in denen diese ausgesprochene Nicht¬ 
übereinstimmung hervortrat, konnte ich ihm nicht raten, da 
wir diese nicht zu erklären vermochten. Jetzt tut es mir leid, 
sie nicht abgebiidet zu haben, denn ich besitze von diesen In¬ 
kongruenzkurven nur noch eine, welche ich hier abbilden will 
(Fig. 5). Uebrigens hat F. V o 1 h a rd 3 ) unter seinen im Jahre 
1905 in dieser Wochenschrift abgebildeten Herzalternans- 
kurven 2 Kurven (Fig. 1 und Fig. 4), welche diese Inkongruenz 
auch zeigen; darauf aufmerksam gemacht hat V o 1 h a r d in 
seiner Mitteilung nicht. 

Diese Inkongruenz zwischen Herzstoss und Puls bezieht sich 
nur auf die Grösse der Kurven, nicht auf den Rhythmus. Es 
handelt sich hier also nicht etwa um Verhältnisse, wie sie bei 
dem von mir als Pulsus pseudoalternans 4 ) Gezeichneten Puls- 
alternans vorliegen, dessen Ursache eine Herz bigeminie ist, 
sondern lediglich darum, dass bei bestehendem Pulsalternans 
das Kardiogramm insofern mit jenem nicht übereinstimmt, als 
der Herz alternans dem Puls alternans direkt ent¬ 
gegengesetzt erscheint, indem der grossen Herzstoss- 
kurve der kleine Puls und umgekehrt entspricht. 

Dabei setze ich als selbstverständlich voraus, dass das 
Kardiogramm bei ruhig gestelltem Thorax gut aufgenommen 
wurde. 

Heute vermag ich diese Herz-Puls-Inkongruenz beim Al¬ 
ternans zu erklären, und zwar verdanke ich die Erklärung 
dem Tierexperimente; aber nicht allein das, letzterem ver¬ 
danke ich auch die Einsicht in das Wesen des Alternans, wel¬ 
cher auf einer zeitweiligen partiellen Hypo - ev. 
A s y s t o 1 i e beruht, womit zum ersten Male beim* Säuge¬ 
tierherzen der Nachweis geführt wurde, dass es unter patho¬ 
logischen Umständen vorkommt, dass von den gesam¬ 
ten Muskelfasern eines Herzabschnittes zur 
selben Zeit nicht alle in gleicher Weise in 
Aktion geraten. 

<■;' Dieser Nachweis ist auch ein Erfolg der Suspensions- 
Methode, welche Gaskell am Kaltblüterherzen zuerst ver¬ 
wendete] Engelmann weiter ausgebildet hat und K n o 11 
querst am Warmblüterherzen benützte. 


*) Prag. med. Wochenschr., Bd. XXIX, 1904. 
r ' *) lieber Herzaltemans beim Menschen. Zeitschr. f. exp. Path. 
u. Ther., Bd. 3, 1906. 

3 ) Münch, med. Wochenschr. No. 13. 1905. 

«) Prag. med. Wochenschr., Bd. XXVII, April 1902. 

- No. 27. 

O i. ' % A > 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.) 

Gerade zum Nachweis der partiellen Hyposystolie eines 
Herzabschnittes wäre mir überhaupt keine andere Methode zur 
Verfügung gestanden, wenn ich auch durch direkte Inspektion 
des Herzens sehen konnte, dass sich bei der kleinen Systole des 
Alternans eine Kammer partiell verschieden stark kontrahiert. 

Wie ich kürzlich 5 ) mitteilte, habe ich meine ersten Be¬ 
obachtungen über die zeitweilige partielle Hyposystolie beim 
Alternans zuerst am künstlich mit Ringer scher Lösung 
durchströmten Hundeherzen gemacht. 

Jetzt ist es mir gelungen, worüber ich auf dem letzten 
Kongress für innere Medizin berichtete, auch am natürlich 
durchströmten Hundeherzen diese Beobachtungen zu machen 
und das Zustandekommen der Herz-Puls-Inkongruenz aufzu¬ 
klären, wobei sich auch interessante Beziehungen an dem 
gleichzeitig mitverzeichneten Venenpulse ergaben. 

Obwohl mir der Herzaltemans am Säugetierherzen schon 
seit 12 Jahren auf Grund eigener Experimente bekannt ist 
und ich sehr zahlreiche Herzalternanfeskurven, besonders vom 
Ringerherzen besitze, und ich schon wiederholt eine Mitteilung 
über den experimentell von mir beobachteten Herzaltemans 
versprochen habe, so habe ich sie nicht nur deswegen immer 
verschoben, weil mich anderes gerade mehr interessierte!, 
sondern auch deswegen, weil alle diese früher von mir be¬ 
obachteten Alternantes sozusagen Gelegenheitsalternantes 
waren, d. h. ich kannte noch kein Mittel, um damit sicher 
Herzaltemans erzeugen zu können. 

Da kam im Juli 1906 Dr. O. Adler") aus dem Pohl- 
sehen Institute zu mir und frug mich, ob die Pulskurve, welche 
er unter der Einwirkung von Glyoxylsäure erhalten habe, ein 
echter Alternans sei. Einige sogleich am Herzen von Ka¬ 
ninchen und Hund mittelst der Suspensionsrtiethode von mir 
ahgestellte Versuche überzeugten mich davon, dass wirklich 
ein echter Herzaltemans vorlag. Diese Glyoxylsäure, welche 
ich der Freundlichkeit des Kollegen Pohl verdanke, habe ich 
nun zu meinen weiteren Versuchen über den Herzaltemans 
benützt, und kann nur bestätigen, dass wir in der Glyoxylsäure 
ein Mittel besitzen, um Herzaltemans erzeugen zu können. 

Nachdem ich 24 Versuche in der Weise gemacht hatte, 
dass ich das Herz freilegte und an mehreren Punkten der 
Kammer suspendierte, wobei Ich gleichzeitig die Tätigkeit des 
Vorhofes, den Arterien- und Venenpuls mitverzeichnete, ging 
ich daran, den Alternans auch am nichtfreigelegten 
Herzen zu studieren. 

Während ich die am freigelegten Herzen gewonnenen 
Kurven an anderer Stelle (Zeitschrift f. exp. Path. und Therap.) 
veröffentlichen will, weil sie zu viel Platz beanspruchen, denn 
meistens wurden 5—6 Kurven gleichzeitig geschrieben, möchte 
ich hier wenigstens einige von den am nichtfrei geleg¬ 
ten Herzen des Hundes gewonnene Kurven abbilden und 
zwar deswegen, weil hiebei die Herztätigkeit und der Venen¬ 
puls mittels klinischer Methoden verzeichnet wurden. 
Studium des Alternans am Hund mittels kli¬ 
nischer Methoden. 

Das Kardiogramm und der Venenpuls 7 ) wurde in diesen Fällen 
so wie beim Menschen verzeichnet; beide mittels Luftübertragung, 


6 ) Deutsch, med. Wochenschr. No. 15. 1908. 

e ) Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 56, Januar 1907. 

7 ) Auf die Einzelheiten, welche der Venenpuls beim Alternans 
bietet, behalte ich mir vor, später zurückzukommen. 

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MtlENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ersteres mit Pelotte, letzterer mit geeigneten Glastrichtern. Nur der 
Arterienpuls wurde nicht klinisch aufgenommen, da es der Zweck 
nicht erforderte, also nicht mit einem Sphygmographen, sondern mit 
dem H ü r t h 1 e sehen Tonometer. 

Die Hunde waren kurarisiert. ihre Vagi durchschnitten; die 
Kurven wurden aufgenommen, während für kurze Zeit die künst¬ 
liche Ventilation ausgesetzt wurde. Kardiograph und Trichter waren 
in geeigneter Weise mittels mechanischer Hände fixiert. Der Altcr- 
nans wurde durch Glyoxylsäure bewirkt. 


In big. 3 war der Altcrnans in beiden Kardiogrammen 
und im Artcricnpuls gleichsinnig; dasselbe ist 711 n.iv.hst 
irr big. 4 zu sehen, welche die Fortsetzung von big. 3 ist; dann er¬ 
folgt bei -} cm Kammersvstolenausfail und im Anschluss daran u ;rj 
der Altcrnans der beiden Kardiogramme gegensinnig. 
Den Beginn dieser (iegensmmgkeit sieht man schon beim Pud .. 
am deutlichsten bei *; von da an blieb diese <iegensmn.gke.t be¬ 
stehen. 

J >ic ScktinM cr Kab nach vorhergegangener Nadelimg. dass int 
IV. Interkostalraum die Konusgegend der rechten Kammer, im 
\. Interkostalraum die >pit/cngi gend der 
linken Kammer getn-nen war. * 

Versucli A und B unterscheiden 
sich also in folgender Hinsicht. Bei A 
(iegensii'iiigkeit zwisJicfl Imker Kam¬ 
mer und Arttrierpuls, wahrend bei H 
(ileiclismmgkeit bestand; ferner bei A 
(iegensmmgkeit zwischen Konus¬ 
gegend der rechten und Spitzengegend 
der linken Kammer, wahrend bei H 
anfangs Gleichsinnigkeit und erst nach 
einer interkurrenten Inregetamssig- 
keit (iegensmmgkeit der genannten 
Hcrzubschu'tte vorhanden war. 

Ich begütige mich hier mit der An- 
fiihrung der Ergebnisse dieser zwei 
\ersuche; mir kam es nur darauf an 
zu zeigen, dass man beim herz- 
alternans dieselben Resultate, 
die ich mit Hilfe der Suspen¬ 
sion s m ct h o dc schon vorher 
erhalten hatte, a 11 c h mittels 
der auf der Klinik üblichen 
Methode der Kardiographie 
erhält. 


Fig. 1. 

a c(k) v,+d 



Hund. Alternans. Jug. = Jugularvenenpuls, II ,= Hcrzstosskurve vom V Interkostal- 
raum. L =3 Larotis. H und L gegensinnig. Die Zeit ist in big. 1, 2 , 3 und 4 

in Sekunden angegeben. 


Fig. 1 zeigt von einem Versuche (A) oben den Venenpuls der 
Jugularis (J), dann die Hcrzstosskurve (H), aufgenommen im 
fünften linken Interkostalraimi und endlich den Artcricnpuls der 
Carotis (C). Diese Kurven gehen sehr deutlich die Herz-Puls- 
Inkongruenz beim Alternans wieder. Der grossen Herzstoss- 
kurve entspricht der kleine Artcricnpuls und umgekehrt. 

In Fig. 2 wurde der Hcrz- 
stoss im dritten linken Inter- 
kostalraurn aufgenommen, sonst 
wurde nichts geändert. Wäh¬ 
rend in Fig. 1 der Herzstoss 
und der Arterienpuls hinsicht¬ 
lich der Grösse gegensinnig 
war, ist in Fig. 2 Herzstoss und 
Arterienpuls gleichsinnig, 
d. h. der grossen Herzstoss- 
kurve entspricht der grosse 
Arterienpuls und umgekehrt. 

Indem wiederholt unmittel¬ 
bar hintereinander einmal im V., 
das andere Mal im III. Interko¬ 
stalraum aufgenommen wurde, 
liess sich feststellen, dass im 
III. Interkostalraimi der Herz- 
Puls-Alternans immer gleich¬ 
sinnig, im V. Interkostalraimi 
immer gegensinnig war. Nach 
dem Tode des Hundes wurden 
lange Nadeln in die betreffen¬ 
den Interkostalräume gestochen 
und nach Eröffnung des Thorax 
festgestellt, dass die Nadel im 
V. Interkostalraimi das linke 
Herz etw'as oberhalb der Herz¬ 
spitze, die Nadel im III. Inter- 
kostalraum^das rechte Herz an 
der Basis in der Konusgegend 
getroffen hatte. 

Cs bestand also auch eine G e g e n s i n n i g k c i t der 
Kardiogramme des III. und V. Interkostal- 
raumes, d. h. der Konusgegend der rechten und 
der Spitze ngegend der linken Kammer, so wie 
ich cs mittels der Suspensionsmethode schon beobachtet hatte. 

Bei einem anderen Versuche (B) gleicher Art nahm ich ausser 
dem Karotispuls das Kardiogramm vom IV. und das Kardiogramm vom 
Vr Intcrkostalraum gleichzeitg auf, wie es Fig. 3 und big. 4 zeigt. 


In Zukunft wird es zweckmässig sein beim Hcrzalternans. 
so w eit cs der Fall ermöglicht, an mehreren Stellen das Kardio¬ 
gramm aufzunehmen, dann wird man mit denselben Methoden, 
die ich hier beim Mund benutzte, auch heim Menschen d e 

Cig. 2. 


gleichen Crgebnisse bekommen. Vorläufig muss ich mich damit 
1 begnügen, im folgenden ein Kardiogramm eines Her/aiternans 
vom Menschen anzuiiihren, welches nur den einen der beim 
1 Hund gewonnenen Fälle wiedergibt, nämlich ienen Fall, in wel- 
, ehern das Kardiogramm derselben Stelle der Ihoraxwand erst 
I gleichsinnig und dann gegensinnig mit dem Arterienpuls ist. 


n c (k) Vj f- d 



Hund. Altcrnans. Jug. .lugularveiicnpuls, II Hcrzstosskurvc vom III. Intcrkostalraum, 
L - - Larotis. H und L gleichsinnig. 


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7 . Juli 190& 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1415 


Kardiogramm und Puls eines Herzalternans J 
vom Menschen. 

Wie ich zu Beginn dieser Mitteilung erwähnte, handelt es sich ! 
um jenen Fall von Herzalternans, den ich im Februar 1904 beobachtete 
und den R i h 1 im Jahre 1906 mit anderen Fällen von Herzalternans 
veröffentlichte, und zwar ist es der erste Fall seiner Mitteilung, auf 
welche ich bezüglich der Krankengeschichte verweise. 


Fig. 3. 



Hund. Alternans. H = Herzstosskurve, oben 'vom V. Interkostalraum 
linke Kammer (HL), darunter vom IV. Interkostalraum rechte Kammer 
(HR); HR, HL und C gleichsinnig. 


Fig. 5 gibt das Kardiogramm und den Kubitalpuls wieder. Man 
sieht den Alternans am Kardiogramm und Puls in deutlicher Weise. 
Das Besondere dieser Kurven besteht nun darin: 1 . dass der Herz¬ 
alternans von der 7. Erhebung an eine Aenderung erfährt. 2. dass der 
Herzalternans vor dieser Aenderung mit dem Arterienpulse gleich¬ 
sinnig, nach ihr gegensinnig ist. 

Fig. 5. 


"/ / J $ / / c f 9 7t 



LA JLLXJULLjLJLI ULLLUJLl J H ! J 1 ) < M 1 1 M 1 I I I I 


Mens:b. Alternans. H = Herzstosskurve, Cb = Kubitalpuls, 
Zeit in 1 /s Sekunde. Bis zur 7. H ist H und Cb gleichsinnig, 
dann gegensinnig. 

Die Aenderung besteht hier darin, dass in der Herzstoss- 
kurve nach der sechsten Erhebung, welche eine kleine ist, nicht 
eine grosse, sondern wieder eine kleine folgt und erst nach 
dieser die Alternation ihre Fortsetzung findet. Warum hier 
zwei kleine Erhebungen hintereinander folgen, darüber kann 
ich mich nur vermutungsweise äussern; eine Atmung des Pa¬ 
tienten oder Unruhe desselben ist auszuschliessen; wäre die 
siebente Erhebung rein mechanisch bedingt, worauf gar nichts 


HL 

VI. 


HR 

1V.I. 


c 


Fortsetzung von Fig. 3, dieselben Bezeichnungen. Bei + ein Kammersystolenausfall. Vom Pfeil 4 ., am deutlichsten von * an 

wird HL und HR gegensinnig. 



Fig. 4. 

4. 


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1420 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


hindeutet, so müsste sie eine verstümmelte grosse Erhebung 
sein; dagegen spricht, dass die nächste Erhebung eine grosse 
ist und die Kurve weiterhin ganz ungestört verläuft. 

Meine Vermutung stützt sich auf das im folgenden er¬ 
örterte Wesen der Alternans, demzufolge die zweite kleine 
Erhebung vielleicht dieselbe Genese hat, wie die anderen 
kleinen Erhebungen, d. h. dass zweimal hintereinander partieller 
Systolenausfall eintrat (s. u.). 

Die Gegenseitigkeit des Herzalternans und Pulsalternans 
nach jener Aenderung ist hier analog der in Eig. 1 abgebildeten 
Gegensinnigkeit. 

Die bei der siebenten Erhebung eingetretene Aenderung 
und die damit erfolgende Gegensinnigkeit von Herzstoss und 
Puls führt interessanter Weise hier anscheinend zu gar keiner 
Aenderung in der Pulskurve; misst man jedoch die hohe der 
Pulskurven aus, dann findet man eine geringe Vergrösserung 
der kleinen Erhebungen von der achten Erhebung an; der S., 
10. und 12. Puls ist um einen halben Millimeter grösser als die 
vor der Aenderung auftretenden kleinen Erhebungen. 

Aus der Gegensinnigkeit des Herz- und Pulsalternans in 
Eig. 1 und 5 geht eine wichtige Tatsache hervor, nämlich die, 
dass diejenige Muskulatur des linken Ven¬ 
trikels, welche das Blut austreibt, und die¬ 
jenige, welche den Spitzen stoss bewirkt, we¬ 
nigstens zum Teil nicht dieselbe ist. 

Diese Tatsache stimmt gut mit den Ergebnissen der a n a - 
t o m i s c h e n Untersuchungen von L u d w i g, Kr e h 1 und 
E. A 1 b r e cti t überein. 

Man beachte, dass w ir hier auf physiologische m 
Wege zu einer anatomischen Tatsache gelangt sind, und zwar 
zu einer Tatsache, für welche man n ti r a u f physiologi¬ 
schem Wege den Beweis erbringen kann. 

Das Wesen des Herzalternans. 

Dass der Herzalternans auf einer Störung der Kontraktilität 
des Herzens beruht, ist selbstverständlich, denn es besagt dieser 
Ausdruck hier nichts anderes als das, was man unmittelbar 
beobachten kann. Worauf beruht aber die Störung der Kon¬ 
traktilität beim Alternans? Das ist die Erage, welche zu be¬ 
antworten war. 

Meine zahlreichen Experimente am Säugetierherzen haben, 
wie gesagt, ergeben, dass zur Zeit der kleinen Sy¬ 
stole des Herzalternans eine partielle Hypo- 
e v. A s y s t o 1 i e des betreffenden H e r z a b s c h n i t- 
t e s vorliegt. 

Wir wollen nun sehen, ob war zu dieser auf induktivem 
Wege gelangten Erkenntnis auch auf deduktivem Wege kom¬ 
men, w r enn wir von folgenden zwei Gesetzen der Herztätigkeit 
ausgehen, dem Erequcnzgesctz und dem „Alles oder Nichts"- 
Gesetz. Das Erequcnzgesctz besagt, dass mit der Aenderung 
der Frequenz des Herzschlages eine Aenderung in der Kon¬ 
traktion des Herzens erfolgt, indem mit der Erequenzzunahme 
eine Kontraktionsabnahme erfolgt und umgekehrt. H ) 

Da nun die grossen und kleinen Kontraktionen beim Herz¬ 
alternans sich im gleichen zeitlichen Abstand folgen, also keine 
Rhythmusänderung eintritt, kann die Grössenalternation der 
Kontraktionen nicht auf Grund einer Erequenzänderung erklärt 
werden. 

Da keine Frequenzänderung vorliegt, kann es sich nur um 
eine Aenderung des Zustandes des im Alternans schlagen¬ 
den Herzabschnittes handeln, denn es geht nicht an, die kleinere 
Kontraktion beim Alternans auf einen schwächeren Reiz zu¬ 
rückzuführen. Ob der die kleinere Kontraktion des Alternans 
auslösende Reiz kleiner oder grösser ist als der die grossere 
Kontraktion auslösende Reiz, ist hier gleichgültig; wenn über¬ 
haupt der Reiz wirkt, und das sehen wir am Auftreten der 
Kontraktion, so muss auf Grund des „Alles oder Nichts“-Ge- 


8 ) Die von E. B. Hof mann (Pflüders Arcli., Bei. 8-1, 1901, 
S. 130) am isolierten Erosehventrikel bei künstlicher Reizung be¬ 
obachteten Abweichungen vom Frequenzgesetz oberhalb des Fre- 
quenzoptimums kommen hier nicht in Betracht, denn der Alternans 
wurde von mir immer an Herzen beoabchtet. welche nicht oberhalb 
des Frequenzoptimums schlugen. 


NV27. 

setzes das jeweilige Koutruklioiismaximum ersJic uicii. J. h. 
das dem jeweiligen Zustande der Her/mu^keltasern entspre¬ 
chende Maximum der Kontraktion. Da dieses mJi a't .tui.tc r J 
ändert, kann ohne Erequcn/andcrimg d e kleinere Kontrast:« »n 
nur auf einer zeitweiligen Aenderung des Zustandes der 
Herzmuskulatur des betreffenden MerzabOimttes beruhen. 

\\ eicher Art kann mm diese zeitw eilige, pci§ J.sJi w ieder- 
kehrende Ztistandsanderung der Muskulatur eines lie’/ih- 
schmttes sein? 

Die zur Zeit der kleineren S\ st.de des Alternan> pvnod s^H 
wiederkehrende Zustandsändenmg kann nicht darauf be¬ 
ruhen, dass alle Muskellasern des betreffenden IKrztb- 
schnittes bei der kleinen Systole sjiw.uher, bei der gr 
Systole stärker in Aktion geraten, denn diese Annahme ist .i.:! 
Grund des Erequeuzge-setzes nullt zulässig, J i keine U’hYlhunis- 
änderung vorhegt. I» e m n a c h k a n n e s s i c li n u r d .. r w n. 
handeln, dass lediglich ein I e i 1 der M u s ku - 
I a t ii r des b e t r e f f enden M e r / a b s c h n i t t e s i u 
jene Z u s t a n d s a n d e r u n g gerat. Duser Kl kavi 
aber nicht zur Zeit der kleinen Sy st.de sJiwaJier, /nr / e:t der 
grossen Systole starker in Aktion gerat» n, denn was mit I ez:ig 
auf das Erequen/geset/ vom ganzen l terzabs v !m:t g’t. g t 
auch von einem lei! desselben. Abgesehen da\ »n wird.-', 
wir den Alternans auf diese Weoe auJi mJit erk’aren. de: :i 
es bestünde dann ein Alternans eitles Iedcs der Muskulatur. 

Es bleibt somit wohl keine andere Ann ihme übrig, a's 
die, dass zur Zeit der kleinen Systole ein I e i 1 d e r M e r z- 
iii u s k ii 1 a t u r gar nicht in Aktion tritt. 

Wir sehen daraus, dass uns der deduktive W eg sng.tr u*« fc h 
einen Schritt weiter fuhrt als der Ks letz* \ »rhegende in¬ 
duktive, denn ich habe auf Grund meiner Experimente nur d e 
partielle H y P o s y s t o I i e für erwiesen ueges.hrn. da de 
Methode eine partielle AswoKe nicht si Ju r anzu/eigen ver¬ 
mag. Der deduktive Weg fuhrt uns aber d.ukt zu vlu experi¬ 
mentell nur vermuteten partiellen A s y s t o ! i e. 

Mit anderen Worten handelt es siJi beim Alternans zur 
Zeit der kleinen Systole um einen partiellen S \ s t o Kn¬ 
au s i a 1 I, d. h. ein Teil der Muskulatur reagiert auf d.e ank<>m- 
mende Erregung nicht; dieser I eil wird mit der Zunahme d. > 
Alternans immer grosser und grosser und damit d e kleinere 
Systole immer kleiner und kleiner, bis sie sjibesshji eventuell 
ganz verschwinden kann. Kann ist zwar d:e ganze Muskulatur 
des betreffenden Merzabschnittes in iene Zustands. mderung ge¬ 
langt, es besteht aber kein Altertums mehr, solidem totale r 
Systoleiiaustall. 

Das Wesen des Herzalternans besteht also 
darin, dass zur Zeit der kleineren S \ s t o I e ein 
T e i I d e r M u s k e I f a s e r n a u f J i e a n k o m m e n d e F. r- 
regung nicht reagiert. Indem diese partielle Reuk- 
tionslosigkeit nur zur Zeit der kleinen Svstnle besaht, zur Zeit 
der grossen Systole aber nicht vorhanden ist, h a b e n w i r e s 
b e i m Herzalternans mit einer p e r i o d t s c h a u f- 
tretenden partiellen Asystol i e zu tun. 

Da es sich beim Alternans um einen partiellen >\st.Kn- 
ausfall handelt, konnte mau in Analogie mit dem durch mir 
Ueberleitiingsstorung bedingten Kämmers vstolen.tiMa!! er¬ 
warten, dass es auch beim Alternans dazu kotmnen kann. da>s 
der partielle Systoleiiaustall nicht nur einmal, sondern mehrere 
Male unmittelbar hintereinander erfolgt, d. Ii. dass zwei oder 
mehr kleine Systolen unmittelbar hintereinander anitreten. 

In Anbetracht dieser Möglichkeit habe ich oben bei Be¬ 
sprechung der Fig. 5 die Vermutung geaussert. dass das Auf¬ 
treten von zwei kleinen Systolen unmittelbar hintereinander 
bei einem im Alternans schlagenden Herzen vielleicht in der 
angegebenen Wei>e seine Erklärung findet. 

In Konsequenz dieser Vermutung ergibt sich lern er, dass 
der partielle Kammersystoleriausiall, wenn er nicht nur einm.d, 
sondern bei mehreren Systolen unmittelbar hintereinander er¬ 
folgt, das Dild des Alternans sehr verwischen kann, wie ja das 
Bild des Alternans z. B. schon verloren geht, wenn bei ihm 
der zeitweilige partielle Kamiitersysto'enaffsu!! in einen zeit¬ 
weiligen totalen Kaimuers\ sp>KnausKH übergeht. 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1421 


Es genügt mir hier, auf diese Möglichkeiten die Aufmerk¬ 
samkeit gelenkt zu haben, ausführlicher werde ich in meiner 
Mitteilung in der Zeitschrift für experimentelle Pathologie da¬ 
rauf zurückkommen. 


Aus der medizinischen Klinik Heidelberg (Prof. Krehl). 

Ueber die Wichtigkeit der Urobilinurie für die Diagnose 
von Leberaffektionen. 

Von Privatdozent Dr. Fisch Fe r. 

Schon längere Zeit habe ich meine Aufmerksamkeit auf das 
konstante Vorkommen von Urobilin und seiner Vorstufe, dem 
Urobilinogen, im Harn bei gewissen Krankheiten gewendet. 
Immer mehr befestigt sich dabei bei mir die Meinung, dass hier 
Regelmässigkeiten bestehen, die nicht allein ein hohes Interesse 
für die pathologisch-physiologische Auffassung des gänzen 
Symptomenkomplexes haben, sondern namentlich auch für 
praktische Fragen, für Diagnose und Prognose von recht gros¬ 
ser Bedeutung sind. Und gerade darum möchte ich sie an 
dieser Stelle mitteilen. 

Die Urobilinurie und die Urobilinogenurie kommt bei einer 
recht grossen Anzahl von Krankheiten vor. Gerade hierdurch 
wurde aber die an und für sich höchst auffällige Erscheinung 
falsch bewertet, da man deswegen annehmen zu müssen 
glaubte, dass sie eines speziell diagnostischen Wertes entbehre. 

Ich glaube sehr mit Unrecht; denn in ihren einzelnen Be¬ 
deutungen analysiert, ergibt sie uns oft sehr bestimmte und 
genaue diagnostische und prognostische Winke, wie ich im Fol¬ 
genden zu zeigen versuchen werde. Zunächst will ich ganz 
kurz auf die normalen Verhältnisse eingehen, da sie zum Ver¬ 
ständnis des Folgenden Voraussetzung sind. 

Das Bilirubin der Galle wird im Darm durch die Bakterien¬ 
tätigkeit reduziert und in Urobilin resp. Urobilinogen verwan¬ 
delt. Beide werden zum Teil resorbiert und mit dem Blutstrom 
der Leber zugeführt. Diese fängt die Bestandteile ab und 
scheidet sie mit der Galle wieder aus, wahrscheinlich nicht 
ohne dass gewisse Umsetzungen in der Leber damit vorher 
eriolgt sind. Es besteht also für das Urobilin und seine Vor¬ 
stufe ein Kreislauf Darm, Blut, Leber, Galle, Darm. Das lässt 
sich sofort an einem Tiere mit kompletter Gallenfistel zeigen. 
Normal enthält jede Galle Urobilin, resp. Urobilinogen. Sorgt 
man abef durch Unterbindung des Ductus choledochus und An¬ 
legung einer Fistel dafür, dass die Galle nach aussen abfliesst 
und von dem Tier auch nicht aufgeleckt werden kann, so ver¬ 
schwindet schon nach wenigen Tagen das Urobilin und Uro¬ 
bilinogen aus der Galle. Lässt man das Tier wieder die Galle 
auflecken, so treten auch wieder die Farbstoffe in ihr auf. 

Für den Menschen gelten genau dieselben Verhältnisse, 
wie Gallenfisteloperationen bei vollkommenem Choledochus- 
verschluss gezeigt haben. Wenn er lange genug bestanden hat, 
enthält die Galle kein Urobilin und kein Urobilinogen. Wird 
operativ der Choledochus wieder wegsam gemacht, so tritt 
jetzt wieder nach wenigen Tagen durch Resorption der in den 
Darm ergossenen und umgewandelten Galle Urobilin und sein 
Chromogen in der Fistelgalle auf. 

Der Urin nun enthält normalerweise keine, oder nur ge- 
ringd Spuren von Urobilin und Urobilinogen. Es ist das grosse 
Verdienst Friedrich Müllers 1 ), gezeigt zu haben, dass auch 
das unter pathologischen Umständen im Harn auftretende Uro¬ 
bilin enterogenen Ursprungs ist. Ein Patient, welcher an voll¬ 
kommenem Choledochusverschluss litt und im Harn nur Bili¬ 
rubin ausschied, erhielt vermittelst des Magenschlauches Galle 
in den Magen. Nun trat wieder, und zwar nach drei Tagen, 
im Urin Urobilin auf. Nach Aussetzen der Gallezufuhr per os 
setzte auch die Ausscheidung des Urobilins im Ham aus, der 
jetzt wieder nur Bilirubin enthielt. Ich habe in ausgedehnten 
Versuchen am Hunde diese Experimente wiederholt und kann 
sie im vollen Umfange bestätigen. 2 ) 


i) Fr. Müller: Ueber Ikterus. Verhandl. der sehles. Gesellsch. 
f. vaterländ. Kultur. 

3 ) Fi schier: Hab.-Schrift, Heidelberg 1906 und Zeitsclir. i. 
physiolog. Chemie, Bd. 47 u. 48. 


Aus diesen übereinstimmenden Tatsachen der klinischen 
Beobachtung und des Tierexperimentes geht meines Erachtens 
mit Sicherheit hervor, dass die Leber dasjenige Organ ist, 
welches normalerweise den vom Darm herziehenden Uro¬ 
bilinogen- und Urobilinstrom reguliert und dafür eine unbedingt 
ausschlaggebende Rolle spielt. 

Gerade diese Erkenntnis halte ich für sehr wichtig, 
denn sie muss auch den Angelpunkt für die Erklärung der pa¬ 
thologischen Verhältnisse abgeben. 

Es ist klar, dass beim katarrhalischen Ikterus bei einer in 
der Leber erfolgenden Parapedese des Gallenfarbstoffes auch 
Urobilin in den Kreislauf kommen muss, so lange es vom Darm 
resorbiert wird, da ja die Galle immer s o lange Urobilin und 
seine Vorstufe enthält* als die Möglichkeit der Resorption vom 
Darm her gegeben ist. In dem Momente aber, in welchem ein 
vollkommener Abschluss der Galle vom Darm eintritt, besteht 
diese Möglichkeit nicht mehr und der Urin enthält dann nur 
Bilirubin. Dieser Augenblick zeigt sich also hierdurch mit 
grosser Präzision an und darf für die Diagnose vollkommener 
Gallenverschluss z. B. beim Fehlen des Stuhls unter gewöhn¬ 
lichen Verhältnissen als sicher verwertet werden. Im Beginn 
eines Ikterus und bei seinem Ausklingen, kommt es aber als 
Regel vor, dass nur Urobilin und Urobilinogen ohne jeden Bili¬ 
rubingehalt im Harn zu finden ist. Es lässt sich dies namentlich 
an rezidivierenden Ikterusfällen nachweisen. Eine Erklärung 
dafür, warum namentlich im Beginn eines Ikterus häufig nur 
Urobilin und Urobilinogen vorhanden sind, ist recht schwer. 
Offenbar bestehen leichtere Diffusionsverhältnisse für diese 
Farbstoffe, wie für das Bilirubin, doch können auch noch ganz 
andere Einflüsse dabei massgebend sein. Beim Ausgang des 
Ikterus hat man das vermehrte Auftreten von Urobilin und 
Urobilinogen damit erklärt, dass nach Freiwerden des Hinder¬ 
nisses im Choledochus massenhaft Bilirubin in den Darm er¬ 
gossen wird, das umgew r andelt und resorbiert die Leber mit 
Urobilin überflutet. Aber nichtin allen Fällen wird das Hinder¬ 
nis in den Gallenwegen plötzlich frei, wie die Beobachtung erst 
sich allmählich färbender Stühle deutlich genug zeigt. Und 
trotzdem ist auch in diesen Fälle Urobilin und Urobilinogen 
sehr reichlich im Urin vorhanden. Es harren diese Verhältnisse 
noch einer endgültigen Klärung. 

In nicht seltenen Fällen kommt es aber trotz deutlicher 
Erkrankung der Leber, Schmerz und Schwellung derselben, 
dunklen Urins etc. nicht zur Bilirubinausscheidung im Harn. Es 
besteht dauernd nur Urobilinurie. Da verhältnismässig wenig 
derartige Beobachtungen vorliegen, so will ich im Folgenden 
eine besonders prägnante hier mitteilen, die jüngst auf unserer 
Klinik zur Beobachtung kam. 

E. J., 15 Jahre alt, Kaufmannslehrling. Familienanamnese ohne 
jeden Belang. Pat. war früher völlig gesund und erinnert sich an 
keine Kinderkrankheiten. 8 Tage vor seiner Aufnahme, die am 
5. XII. 07 erfolgte, will er mit Kopfschmerzen erkrankt sein. Am 
folgenden Tage stellte er sich zur Untersuchung in der hiesigen 
Ambulanz vor, dort wurde der Pat., nachdem nichts Besonderes an 
ihm gefunden wurde, mit diätetischen Vorschriften nach Hause ent¬ 
lassen. Zu Hause bestand Uebelkeit und Brechreiz, einmal Fieber 
bis 38, die drei folgenden Tage w r ar er völlig wohl. 2 Tage vor der 
Aufnahme bemerkte seine Mutter, dass er gelb aussah. Es trat 
wieder Uebelkeit und Ekel vor dem Essen auf. auch einmal Er¬ 
brechen. Kopfweh und Schmerzen im Leib wurden weiterhin ge¬ 
klagt. Der Stuhlgang war hart, leicht verstopft, aber von dunkler 
Farbe. Weiterhin bemerkte Pat. nichts ausser dass der Urin seit 
gestern auffällig dunkel war. Fieber bestand keines. Bei der Auf¬ 
nahme zeigte sich, dass Pat. mittelgross und von kräftigem Körper¬ 
bau war. An den Skleren und der Mundschleimhaut fällt eine sub- 
ikterische-Färbung auf. auch die Körperhaut ist etwas gelblich. Die 
Zunge ist nicht belegt, feucht, Lungen und Herz sind vollkommen 
normal. Der Puls durchaus normal, kräftig, nicht verlangsamt 80. 
Am Abdomen fällt auf, dass die Bauchdecken etwas gespannt er¬ 
scheinen, namentlich im Epigastrium. Die Leber überragt den Rippen¬ 
bogen in der Mammillarlinie um zwei Ouerfingerbreite. In der Mitte 
geht sie bis zu.m Nabel, ihre Konsistenz ist hart, bei Palpation nicht 
empfindlich, die Oberfläche fühlt sich vollkommen glatt an. Die Milz 
ist sehr deutlich vergrössert. Perkussion 13:7, ihre Spitze ist sehr 
deutlich als harter stumpfer Rand palpabel. Die übrigen Organe sind 
intakt, Temperatur überstieg 36,9 nie. Der Urin ist schwach sauer, 
dunkelbraungclb, enthält weder Saccharum noch Albumen und hat 
ein spez. Gewicht von 1010. Er enthält massenhaft Urobilin und 
Urobilinogen, keine Spur von Bilirubin (G m c h I i n). Das Blutbild 
ist normal. In den nächsten Tagen nun wird die gelbe Hautfärbung 


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1422 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


eher noch etwas deutlicher, Pat. hat schlechten Appetit und fühlt 
sich noch etwas elend, der Urin bleibt von tief braunroter Farbe. 
Die Stühle sind geformt, erfolgen alle 2 läge und sehen fast ton- 
farben aus, enthalten deutliche Mengen Urobilin und Seitenkrystalle. 
der Urin behält während der ganzen Zeit seine dunkle Farbe, ent¬ 
hält nie eine Spur von Bilirubin, dagegen deutlich Urobilin und 
Urobilinogcn. Die Leber verkleinert sich gleichzeitig mit dem M 1 1 /- 
turnor allmählich und am 17. XII. ist sie nicht mehr palpahcl. sowie 
auch die Milz nicht mehr palpabel ist. Der Urin ist hell und enthalt 
nun weder Urobilin noch Urobilinogen. Am 19. XII. wird der Junge 
vollkommen wohl und in normalem Zustande nach Mause entlassen. 

Am 12. XII. klinische Vorstellung ((ich. Rat Krell I). Leber 
stark vergrössert, desgleichen Milz, kein Fieber, Stühle tonfarben. im 
Urin kein Bilirubin, massenhaft Urobilin und Urobilinogen. Diagnose: 
Hepatitis acuta. Prognose: gut. Therapie: Schonungsdiät. Bettruhe. 

Dass hier eine Affektion der Leber bestanden hat, erhellt 
unmittelbar aus dem klinischen Befund eines Leber- und Milz- 
turnprs, die allmählich zurückgingen und zugleich mit ihnen der 
pathologische HarnbefumJ. Eine chronische Schädigung der 
Leber hat hier sicher nicht vorher bestanden, da der Junge 
absolut gesund war und niemals irgendwelche derartige Klagen 
vorher gehabt hat. Wir müssen im Gegenteil eitie akute Ver¬ 
änderung annehmen, die sich namentlich auch aus der Rück¬ 
bildung der Organe zur Norm, sowie des Ganzen zu normalen 
Verhältnissen gezeigt haben. Da kein Fieber während der 
Dauer der Leberschwellung bestand, so bleibt vermutlich nur 
eine toxische Wirkung, welche in diesem besonderen Falle 
wohl einen speziellen Angriffspunkt in der Leber hatte. Wenn 
man annimmt, dass die unter diesen Umständen geschädigte 
Leber nicht mehr die Fähigkeit hatte, den Urobilinstoftwcchscl 
richtig zu bewältigen, sei es dass ihre Resorptionskraft ver¬ 
mindert war, oder ihre chemische Energetik notgelitten hatte, 
und dass so das Urobilin teilweise ins Blut gelangen konnte, 
so dürfte man den tatsächlichen Verhältnissen vielleicht am 
nächsten kommen. Eine Ueberlastung des Darmes mit Urobilin 
kann gar nicht vorliegen, da die Fäzes fast tonfarben waren. 
Eine quantitative Bestimmung des Gehaltes derselben an Uro¬ 
bilin wurde unterlassen, da eine wirklich genaue Methode dafür 
noch nicht existiert. Auch an einem vermehrten Untergang von 
Blutkörperchen darf nicht gedacht werden, da Zeichen dafür 
vollständig mangelten. Es bleibt also nichts übrig, als die ver¬ 
änderte Lebertätigkeit für das Durchpassieren des Urobilins 
und Urobilinogens verantwortlich zu machen. 

Nun existiert eine grosse Gruppe von wohlcharaktcrisicrten 
Krankheiten, bei denen ähnliche Verhältnisse sozusagen dau¬ 
ernd bestehen, am ausgeprägtesten wohl bei der L a c n n e c - 
sehen Zirrhose, dann bei der grossen Reihe anderer Hepati¬ 
tiden, ferner bei schweren Herzfehlern, schweren destruieren- 
den Lungenprozessen, vorweg der Lungenphthise, weiter bei 
Anämia perniciosa und endlich bei schwer fieberhaften Affek¬ 
tionen. 

Müssen oder dürfen wir hier die Leber ebenfalls dafür ver¬ 
antwortlich machen? 

Dies lässt sich natürlich nicht einfach mit Ja oder Nein 
beantworten, weil die Möglichkeiten, welche für den llebertritt 
der Farbstoffe ins Blut bestehen, unklar sind. Nur beim ein¬ 
fachen Stauungsikterus ist der Weg durch die Lymphbahneu 
höchst wahrscheinlich, ein direkter Uebergang nach den Blut¬ 
gefässen aber trotzdem nicht von der Hand zu weisen und 
wohl denkbar. 

Der Schwerpunkt der Frage liegt zunächst wie mir scheint 
auf der Feststellung, dass in all diesen Fällen die Leber nach¬ 
weislich erkrankt ist. Damit wird uns naturgemäss eine Sto¬ 
rung ihrer Funktion nahegerückt und verständlich, auch wenn 
wir über den feineren Mechanismus derselben noch nichts 
sicheres aussagen können. 

In Fällen von Zirrhose begegnet diese Feststellung natür¬ 
lich gar keinen Schwierigkeiten, auch nicht im Beginne der Er¬ 
krankung, in dem die Veränderungen in meist schon viel grösser 
sind, als man vermutet. Dass der Modus, durch welchen es 
hierbei aber zur Urobilinurie kommt, ein im ganzen anderer 
sein wird, als beim katarrhalischen Ikterus, geht schon daraus 
hervor, dass wirkliche Gallenstauung bei der reinen L ae n - 
n ec sehen Leberzirrhose offenbar sehr selten ist, der Urin ent¬ 
hält dabei fast nie Bilirubin. Und ein Bilirubingehalt bei der 
klinischen Annahme einer Laennc c sehen Zirrhose zeigt nach 


meinen Beobachtungen entweder e:ncn k<»mpL/.erenJeu Pro¬ 
zess oder einen diagnostischen Irrtum an. Weiterleit mag ari 
dieser Stelle nochmals betont sein, dass de l'roh.i.miue und 
Urobiliuogenurie zu den wichtigsten tu: J w e:t ois Konst mtevtvff 
Merkmalen dieser Krankheit gelwrt. Lli aJite darauf Mit mehr 
als 4 Jahren und habe eine recht grosse Anzahl Leberzirrhosen 
in dieser Zeit an unserer Ken.k gesehen und b.s jetzt Urob.i.n 
und Urobilinogen im Ural dabei me vermisst. Ja uh ni'uhte 
sagen, dass es mit das erste Zeichen der Erkrankung ist und 
in noch unklaren Lallen diagnostisch entscheidend verwertet 
werden darf. Eine Erklärung d e^er Verhältnisse ist 
leicht, und ich glaube muh Erfahrungen im 1 .eti \peume-it 
bei der Leberzirrhose sogar eme m der Liber sUbst s\itt- 
findeude Urobilinproduktion amiehmui müssen zu ^men. Ihms 
weiterhin auch diffuse Leberparendmmerk raukungeti anderer 
Art, welche ja auch mehr oder minder int starker Umb.bmr.e 
einhergehen. pathologisch-anatomische \ e'.ndi rangen genug 
aut’w eisen, darauf ^rauche uh liier nur kimz 1; u/uw eisen. 

Was die Leberveränderniigen bei Schweren He r z?\'uev 
angeht, so ist ia die atrophsche Mimk »fmmsb ber »der de 
Stauungsleher in ihrem pathuli»g:s v h-amitom s^heu \e'h,d*in 
so bekannt, dass es auch hier mir einer kurzen Frw.t'uu: / 
derselben bedarf Die Vbliam/ gkeit der 1 roh- mir e \ oU su¬ 
chen Leberaffek turnen d kamen' ert s:Ji dad in’i m^h g u 7 
besonders schon, dass bei re 1 1 1:v fr;s v !u n Fa e'i mir b- i t ."tr *t 
von Her/ilekompens itaui d-■ Il.irnveramle-ringen in F r sd’e - 
iiung treten und mit der Kompens.it a«n wieder \ersjiw • de", 
oder sieb doch sehr irlvbl, h \e r ;mn.Vrn. Des li.ngt r Dt 
allein Voll der bei der Kompensation .rnftreteiideu s'/ba" 
Verdünnung des Harnes ab. wie ich muh Juruh \ e r d.;"’"i"gs- 
messungen und Einengungm des 1 raus uN-r/eugt habe, s •• Jeu» 
entspricht der Frhofting der vorher so be husteten 1 e' er 1 ’ •„ V 
aber nach eingetre’ener Kornpi”s;ii:un de r l rm d> Ui m-di 
dunkel, so muss man daraus Jen S c hhms / eben, d ms bw e-e r e 
Veränderungen der Leber bestehen. J ms w< •v.*g , uh sJm” e * e 
atrophische Muskatnussleber /. B. sidi ausgt b Met btt. \ •»- 
allen Dingen entspricht aber diese dauernde \ er.ndcung na¬ 
türlich auch Schwereren /tis\t;tdeii des He r /euv. vliw n :i 
Klappenfehlern. Myokarditiden e f c . die s\h uDm mehr \-- g 
ausgleichen können. Darm hegt muh meiner Em »bring L •• 
nicht zu unterschätzender Hinw eis in progies' v!ht Pezu ’bng. 
Dauernde Urobilinurie bei gut kompensierten Hir/f.hY-n trus 
uns daher in prognostischer Hinsicht r tdu zur \ "niJit m i'a’p'. 

Ganz ähnliches gilt vmi den di strmeremh n 1 uugi 
zessen. namentlich von der l.uugenphtbise. F's sjie nt tr.r n<uh 
nicht genügend festgesteift. inwiewe.t das rein iiiu!u: , .u’ , 4 
Moment der Zirkulatiorisbi b nderung oder aber to\Ml.e S.had- 
lichkeiten, vielleicht auch die \ereimgimg beider dabei tur de 
Leber eine deletäre R< !!e spielen. W er aber \ e’e Ph'hnkcr- 
lebern untersucht hat. Keimt die aimge Ji Imb«, namertbch 
zentroa/iuär gelegenen Paretuh\mdi iek'e und sntmt ge M Pe- 
geiierationserscheHlungeii der Leber und wird gen e / tgebcu. 
dass dabei eine oft sehr erhebliche F rkranktmg demi bi n vor- 
liegt. Und auch hier entspricht gerade den ho v hg r id gen Fa’.’cn 
von Urobilinurie gleichfalls eine hochgreJ ge 1 e*'e r Mha J ging 
und ein Parallelgehen dieser Xerha'tnmse wird sah Y\ht ver¬ 
folgen hissen, wenn man darauf aufmerksam wird. Mi" darf 
also auch liier prognostisJie Schlüsse m nlieu und zwar so. 
dass gerade die schweren Ea"e auch mit dauernd- r m d star¬ 
ker Urobihnirm einhergehen. Iber liegen w U ' ,:r I""ger- 
zeige für die Praxis, die vm dem der s e keimt. u N •t/e:r 
verwertet werden. 


Noch ein Wort über d 

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Origirar 

UN1VERSITY OF MINNESOTA 



7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1423 


auf dieses Verhalten hin. Und wie sieht dabei die Leber aus? 
Wir alle kennen die enormen Hämosiderineinlagerungen, wel¬ 
che in ihr bei der perniziösen Anämie vorhanden sind. Dass 
dies eine pathologische Steigerung eines allerdings physio¬ 
logischen Vorganges ist, wird von niemand bezweifelt. We¬ 
sentlich andere Veränderungen der Leber finden sich allerdings 
nicht, doch dürfte eine so hochgradige Anhäufung eines be¬ 
stimmten Stoffes ein hinlänglicher deutlicher Beweis für die 
Annahme starker Funktionsstörungen sein. Also auch hier 
wieder Leberveränderungen und Urobilinurie. 

Es bleibt noch ein kurzer Hinweis äuf die bei Infektionen 
und fieberhaften Erkrankungen so häufige Urobilinurie. 

Mit der fortschreitenden Erkenntnis der biologischen Ver¬ 
änderungen bei Infektionen hat man der Rolle, welche die Leber 
dabei spielt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ich verweise 
z. B. auf die recht regelmässig vorkommenden Veränderungen 
der Leber beim Typhus, wo uns anatomische Substrate im Vor¬ 
kommen der kleinen Nekrosebezirke sowohl wie der kleinen 
Lymphome, sowie auch Schädigungen des Leberparenchyms 
selbst wohl bekannt sind. Wenn man weiterhin bei schwer 
septischen Zuständen an den dadurch verursachten Ikterus 
denkt und solche Lebern öfters untersucht, so ist man über die 
schwere Schädigung ihres Protoplasmas wie sie sich in allerlei 
Degenerationserscheinungen, Fettanhäufung, Vakuolisierung, 
Kern Veränderung und direkten Nekrosen zeigen, nicht im 
Zweifel. i 

Es ist eben die Leber wie für viele wohlcharakterisierte 
Qjfte, — die ja ebenfalls Urobilinurie veranlassen, vergiß P- 
und Pb-Intoxikationen, wobei ich mich aber mit diesem ganz 
kurzen Hinweis begnüge — auch für die Bakteriengifte ein be¬ 
vorzugter Angriffspunkt, vielleicht umsomehr, als es nicht un¬ 
wahrscheinlich ist, dass sie andererseits durch ihre Tätigkeit 
gerade an der Vernichtung dieser toxischen Produkte mit¬ 
arbeitet. Man könnte dieses Kapitel wesentlich weiter fassen 
und gründlicher belegen, doch sehe ich davon ab, weil das 
vorliegende Material mir noch zu gering für entscheidende 
Schlüsse erscheint. 

Wenn ich -im Vorhergehenden eine Analyse der Genese der 
Urobilin- und Urobilinogenurie bei den verschiedensten Krank¬ 
heitsformen zu geben versuchte, so glaube ich namentlich des¬ 
wegen dabei auf dem richtigen Wege zu sein, als sich durch 
die Annahme von Leberstörungen in einfach verständlicher 
Weise ihr Vorkommen bei so verschiedenen Krankheitszustän¬ 
den erklären lässt. Nimmt man z. B. frühere Erklärungen, 
von denen eine im wesentlichen das Auftreten des Urobilins 
/m Urin von Pleiochromie der Galle und damit vermehrtem 
Vorkommen derselben im Darm abhängig machen will, so 
kommt man sofort auf unlösbare Widersprüche. Um nur einen 
zu nennen, z. B.: tonfarbene Stühle, d. h. geringe Gallenfarb¬ 
stoffsekretion und erhebliche Urobilinurie. Ganz ähnliches gilt 
für die sogen, histiogene und die nephrogene Theorie der Uro¬ 
bilinurie. Die Franzosen haben auf Grund von klinischen Be¬ 
obachtungen aber schon immer den Zusammenhang zwischen 
Lebererkrankungen und Urobilinurie behauptet und unentwegt 
daran festgehalten (G übler, Hayem, Ha not). Zu einer 
genaueren Vorstellung und einer allgemein akzeptierten An¬ 
nahme, wie die Störung zu stände kommt, sind aber auch sie, 
soweit*mir bekannt, noch nicht gelangt. Und so zeigt uns denn 
meine Annahme eines funktionellen Versagens der Urobilin- 
s’romregelung der Leber bei verschiedenen Krankheiten, wie 
sehr gerade dieses Organ an allen möglichen pathologischen 
Zuständen Anteil hat, und gibt damit für seine Funktion, ich 
möchte sagen, eine lang schon geforderte Erkenntnis. 

\ A er chirurgisch-orthopädischen Abteilung der Universitäts- 
Kinderklinik Graz. 

Zur Fraae der Behandlung von Lähmungen mittels 
Nervenplastik.*) 

' Von Dozent Dr. H. S p i t z y, Vorstand der Abteilung. 

M H ! Viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte liegen die ersten 
Anfänge der Nervenchirurgie zurück, und doch können wir 

\ach einem über Aufforderung der societa italiana di orto- 
fcdia in Bologna im Oktober 1907 gehaltenen Vortrage. 


sagen, dass es doch erst die allerletzte Zeit ist, die auf diesem 
interessanten Gebiete Erheblicheres an Fortschritten hervor¬ 
gebracht hat. 

Früher ging man nur mit grossem Zagen an einen grösseren 
Eingriff an den peripheren Nerven heran, viele herrschende 
Vorurteile, sowie eine zu strenge wissenschaftliche Theorien¬ 
dogmatik hielten vorstrebende Forscher im Banne. 

Zuerst glaubte man die peripheren Nervenendigungen so¬ 
weit sie in einer Wunde sichtbar wurden, seien ein unbedingtes 
Noli me tangere, ein Hantieren mit denselben hätte die 
schwersten Zustände, wie eventuell Starrkrampf zur Folge, 
was bei den damaligen Wundbehandlungsverhältnissen und den 
jetzt bekannten nahen Beziehungen der Nervenstämme zur 
Propagierung des Tetanustoxins gewiss Glaubwürdigkeit ver¬ 
dient. 

Aber auch später, als durch die reinen Behandlungsme¬ 
thoden die Wundinfektion ihren Schrecken verloren, hielt die 
strenge Theorie der Lehre der Neuronen den Fortschritt in der 
Neurochirurgie erheblich auf, sie war zu rigoros und stellte 
alle Lebensvorgänge, die sich bei der Durchtrennung wie beim 
Wiederaufbau einer Nervenbahn abspielen, so kompliziert und 
unabänderlich dar, dass an ein irgendwie ausgreifenderes chi¬ 
rurgisches Handeln an den peripheren Nerven nicht zu denken 
war. 

Jetzt wo auch die Anhänger der alten Neuronenlehre zu¬ 
geben, dass die Nervenleitung von dem peripheren Organ zum 
Zentrum nicht als starre Zelleinheit unteilbar verläuft, sondern 
dass sie sehr gut zu Spaltungen fähig ist, dass von solchen sich 
abspaltenden Zweigen auch eventuell neuangeschlossene Ner¬ 
venstämme durchwachsen werden könnten, jetzt wo auch die 
Regenerationsvorgänge im Lichte der aufgehenden neuen 
Theorie von einem ganz anderen Gesichtspunkte betrachtet 
werden, spriesst auch die Nervenchirurgie zu einer neuen Blüte 
empor. Hervorragende Physiologen haben uns gezeigt, wie an¬ 
passungsfähig unser Nervensystem und seine Einzelorgane 
sind, wie auch sie sich in ihrem Abbau und Aufbau ähnlich 
wie die anderen Organe verhalten, sie zeigen, dass in einem 
durchtrennten Nerven auch im peripheren Teil sich Regene¬ 
rationsvorgänge abspielen, die nach der Vereinigung desselben 
mit dem Zentrum rasch zu einer Wiederherstellung der Nerven¬ 
leitung führen. Durch eine Reihe von Experimenten wurde 
dargetan, dass ein Nerv mit einem anderen gekreuzt auf einen 
anderen aufgepfropft werden kann, ohne dass sein Funktions¬ 
bezirk eine erhebliche Einbusse dabei erleidet. 

Unter diesen Umständen ist es natürlich viel leichter ge¬ 
macht, an schwierigere und kompliziertere Probleme in der 
Nervenchirurgie zu schreiten, -die neueren Versuche haben viel 
ungläubiges Lächeln entkräftet, und manches was früher als 
Utopie betrachtet worden wäre, ist jetzt in den Bereich der 
Möglichkeit gerückt. Männern wie Haiton, Flourens 
Kennedy, Langley und Bethe wird die Neurochirurgie 
stets zu grossem Dank verpflichtet sein. Besonders letzterer 
hat sich durch seine Versuche über die Regeneration durch¬ 
schnittener Nerven ausserordentliche Verdienste erworben, 
so dass die Kenntnisse seiner Werke wohl mit zu dem un- 
dingt nötigen Wissen eines jeden gehören muss, der dieser 
Frage nähertreten will. 

Da es mir hier nicht möglich ist auf die näheren theo¬ 
retischen und experimentellen Einzelheiten einzugehen, so sei 
hiemit darauf verwiesen. 

Mit welchen Riesenschritten wir in diesem Gebiete Vor¬ 
dringen ergibt schon die Statistik der einfachen Nervenope- 
rationen. Eine gelungene Nervennaht war vor kurzem noch 
ein Ereignis, besonders wenn sie als sekundäre längere Zeit 
nach der Durchtrennung ausgeführt worden war. Jetzt wer¬ 
den von den verschiedenen Kliniken bereits so grosse Zahlen 
angeführt, dass kein kasuistisches Interesse für den Einzelfall 
mehr vorliegt, wir nehmen nur mehr die hohen Heilungspro¬ 
zente, die aus den Zusammenstellungen resultieren, ca. 90 Proz. 
mit Befriedigung zur Kenntnis. Die primäre und die sekundäre 
Nervennaht sind einfach nicht zu übersehende chirurgische 
Postulate geworden, die schon fast der Chirurgie d’urgencc 
zugehören. 


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1424 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 . 


Von den einfachen Operationen eröffnete sicn eigentlich ! 
von selbst ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der Ner- 
venchirurgie zu den komplizierteren. 

Schon früh gab L e t i e v a n t an, bei einem grösseren 
traumatischen Defekt in einer Nervenbahn, die auf andere Weise 
nicht überbrückbar ist, das periphere Ende eines Nerven mit 
einem benachbarten zu verbinden. 

So ist L e t i e v a n t der Vater des Gedankens der Nervcn- 
anastomosierung, obwohl er sie selbst nie ausgeführt. Er 
hielt selbst seine Autoplastie für aussichtsvoller, sie bestand 
darin, dass er von jedem Nervenende einen Lappen abspaltetc, 
diese umschlug und sie mit einander verband. Auch andere 
Methoden wandte man zur Vereinigung weit abstehender Ncr- 
venquerschnitte an, man legte Röhren aus verschiedenem Ma¬ 
terial oder andere Nervenstücke animaler Provenienz, schliess¬ 
lich auch ganz heterogenes Material zwischen die Nervenenden, 
um so die sich entgegenwachsenden Fasern zu leiten und eine 
Wiederzusammenheilung zu erzwingen. 

Die wirkliche Nervenanastomosierung, die jetzt im Vorder¬ 
gründe unseres Interesses steht, fand nach dem genialen Ge¬ 
danken Letievants auch hie und da schüchterne Anwen¬ 
dung, faute de mieux. 

So sind schon ältere mehr oder weniger gut gelungene 
Plastiken berichtet nach ausgedehnten Verletzungen. Ich er¬ 
innere an die Namen De p res, Faure, Für et, Sick, 
Sänger. 

Aber erst in letzter Zeit wurden die experimentellen Grund¬ 
lagen für die Anastomosicrungen ausgebaut, jetzt ist die Basis 
gesichert, so dass wir ruhig weiterdringen können. 

Ma nasse hat die Möglichkeit, den gelähmten N. facialis 
vom N. accessorius neu zu innervieren, durch Tierexperimente 
erwiesen. 

Jetzt verfügen wir in der Literatur bereits über mehr als 
57 gelungene Fälle von Neubclebungen des gelähmten N. facialis, 
teils vom N. accessorius, teils vom N. hypoglosstis. 

Auch für die uns näher liegenden Fragen, betreffend die Re- 
innervierung gelähmter oder vom Zentrum auf irgend eine Art 
abgetrennter Extremitätennerven besitzen wir eine aus¬ 
gedehnte und genügende experimentelle Sicherung. Schon alte 
Versuche, wie der von Flou rens: Kreuzung der Armnerven 
beim Huhne mit funktioneller Heilung, bewiesen die Möglich¬ 
keit, verschiedene Nerven miteinander ohne Einbusse ihrer 
Funktion verbinden zu können. 

Bethc hat uns über verschiedene Experimente, die Zu¬ 
sammenheilung gekreuzter Nerven betreffend, berichtet. 

Wichtig sind für unsere Gebiete die Untersuchungen von 
Langley, aus denen hervorgeht, dass motorische Nerven 
mit sensiblen nicht zur funktionellen Verheilung gebracht w er¬ 
den können, d. h. dass ungeachtet einer eintretenden ana¬ 
tomischen Heilung der Querschnitte die Wiederaufnahme der 
Funktion ausbleibt. 

Die funktionelle Prüfung im Leben gab vollständige 
Wiederherstellung der Funktion, auch die Freilegung und ein¬ 
wandfreien, unter allen Kautelen ausgeführten Reizversuche 
bestätigten den Befund, schliesslich wurden von den Naht¬ 
stellen histologische Schnitte gemacht, die die Verheilung der 
Nerven an der Nahtstelle und die Regenerierung der neu- 
angeschlossenen Nerven zu beweisen imstande waren. 

Nach diesen Vorstudien machte ich mich daran, die Tech¬ 
nik für die verschiedenen Eventualitäten der Nervenphstik 
auszuarbeiten, wie sie gerade für unser Fach notwendig sind, 
und bin jetzt in der Lage, ihnen hier schon mehrfach aus¬ 
geführte Methoden sowie schon mehrere Jahre hindurch kon¬ 
trollierte Dauerresultatc mitzutcilen. 

Der Hauptsache nach verstehen wir unter einer Nerven¬ 
anastomosierung den Anschluss eines gelähmten Nerven an ein 
anderes Nervengebiet, um von diesem aus die zur Untätigkeit 
verurteilten Muskeln wieder dem Einfluss des Willens zu unter¬ 
stellen und ihnen so neues Leben zuzuführen. 

Wir müssen dabei zwei prinzipiell verschiedene Arten 
unterscheiden, entweder es wird der periphere Teil eines ge¬ 
lähmten Nerven und damit sein ganzes Innervationsgebiet 
einem in der Nähe befindlichen gesunden Nerven auf¬ 
gepfropft oder cs wird der gelähmte Nerv in situ be¬ 


lassen und der zentrale Stuilipf eines gi Minden Ner\ eu u. : 
ihm verbunden, um ihn so wieder mit dem Zentrum zu \e- 
binden. 

Die erstere Methode neunen wir eine per phere Imp'f- 
tation, die zweite eine zentrale. Je n.uhdem wir e.; ui gm/-. 
Nervenstamm (der nur Teile eines solchen nehmen. spreU 1 ." 
w ir von totalen oder partiellen Imp! mt «tu neu. 

Welche Art verwendet wird, hangt s><v.«iil \<*u der 
graphisch anatomischen Stillung der Lahmimg. w .e \m 
Art und Ausdehnung derselben ab. 

Meine Erfahrungen beziehen s;Ji ani Plast km an den E\- 
tremitätennerveii. die wegen Lähmungen \ er s.h.edencr -\et - 
logic ausgefiihrt wurden. 

Eine Lähimmgsart. die verhaltuismasvg am haat.ote :i ? .- 
Beobachtung kommt, ist die pobunx cl.ti'shc Lalmmrg J,s 
N. per o n c u s. 

Entweder als is< hcrlc Lähmung entsenden «der als Re¬ 
siduum von Lähmungen. d:c ausgedehnter engmet/t h 
gehört sie zu den häutigsten LahmUngstN \i x n. denen w .r be¬ 
gegnen. Ist das ganze Gebiet des N. peroneus gelahmt, 
bleibt sehr Wenig Material zur Austuhi mrg euer >e hneup!#^ k. 
die auch mir annähernd die Funktion des Luises w-ed.r hm- 
zustellen imstande wäre. 

Gelingt es uns aber, den gelahmten N. peroneus \.»m ,i. 

teil N. tibialis aus wieder neu zu bele’un, so h iheti w r :• : 
einem Schlage den ganzen Muskc’lu-z ik za r :u ker. Sert. 

Ein Schmu längs der Mitte der Kireke h ! e legt r.tji e . 
Präparieren m die liefe Leide nein tu minder ! ...ite ml. u 
Nerven frei. Wir können jetzt in \irsji dinier W e>e \ r- 
gehen, entweder wir durJitrennen eien gU.dimten V perop. 
und nähen den periphe ren Stump! de s duuhs v hmtte i'en IV o - 
neus in einen Längss clilitz de s N. t.b.a’is ode r w ;r vp.i'p e m •• 
Längslappen mit zentraler Basis \ <m N. nba’.s ,ib toid ;v'---p:e" 
diesen Lappen in einen SJihtz des N. peroneus. Be.de Mctb. >- 
den geben fallweise gute Resultate. Ist d e kraft ru \. t b •. s 
eine völlig ungebn .bene, s«« Kanu man gut d e zweite M-gth d.. 
die partielle zentrale Implantation. Wahlen; ist u-.! .Ji a uh da 
kraftgebende Nerv etwas aifizcrl, so w.ih'c man besser de 
peripliere Implantation des N. peroneus m den N. tibia'.s. 
diesen-nicht nn-hr zu sJiwaJieu. 

Am Kongresse iiir orthopädische Chirurg e in Bm’ai p*-; 
berichtete ich iiber einen La!! einer lotaYn Implantat mi d.s 
peripheren N. peroneus m einen l.angssJutz des V td- v 

Lls handelte sieh um em k'< ns M dJi.n \ -n Ca W r- m r. *• • 

einer totalen I uhuiiing Jes IVouie US. t i u s. \ m e m ? n r i n k . v - 

lalummg her« uhr etul. (Iperapon an Si ;U| u.' er p> «J. der j » • • , 

v.urde in einen Sdiiitz des Y tib. ,:::|o"!et. \,uii C . M< rau 
kehrte die M«• t i 1 1 1. 1 1 zuerst im M. e\t. li.i . w ; Km ■ h k-„ -e "v - 

silulitat; naeh : Monaten war e'M de I • n 1 a-et w e .; v ■ - 

gekehrt, die Zehensire*, her hatte u si, ti e-'i.dl. n«>v h k i :rc , 

Err egharheit. \avh A • M-mati n «hi.! de !-e ! e • i V. n • ne a 

W lilensreiz. - e« realen, nur dir M. #l \ .um. zegic »ich ke ”e i 

w egmigstah gke t. and) darin um ’ t. as sd:> a de e e‘a -de 
barkeit m allen andeien Mnske’n w .e ! redd ,r ! \\ tu t 
N Monaten begann audi er eine gelinge \\ :• ks.imke:* zu cm:.; 
doch genügte eine spater \ <n cuumümk ne c aiudw m " t ük .• / 
lau (lut eil die dann \ e: 1‘esser ti a \ r >< itsX e: i.a Uu ,ss. d.:n N\..'se se <. 
tioimaie Limk tnuisht e.te w le der zugeben. 

Auf eme ietzt eiio! s ie VtHtage aiflw orte te de ^ta!:^ dass 
Kind den l uss ietzt sein gut brauJie ft körne. 

Von den übrigen ähnlichen Kr.mkengescli.cbten mmhtc 
folgende als besonders lebrreisb lie r \«ubebe n. 

M Monate altes Kmd. ml totaler |o , -"im 1 v"e' iV-ou ,v- 
lahnmng sut 7 Monaten bestehend. 


Am U. Mai |Uo-- t, .ta'e p« ’ U'hef i- Imp’ *»: Ta: di s \ i'e' 'ins 

einen zentralen I anpen di s \. t;l*. \.uh I" I a_ia w a *..*:< k ’ .1 
nach Mause entlassen w ■ v li n. 

I he latent entleinteu zu Mause s, |.s| \, i n. !. ,n sah vht» 

Kmd erst ielzt uaJi zwei .laiirea w-.ai, as es V au ypo , 

zur Niiehimtersuehiiiig N'Ugestcdt wir l . 

Hel und folgende« : lui ( i e i m. tc viis V o: *■ l e-lelt a e 

AAiiskeln wiilknrlieh sehr gut. Im ( k'-'cte de«* \. i' 1 •• : i as a' *. * 
der M ,tih. aut mit irumahr Krott, e’^-v.i a e /•.. "i aspe, - er. .<• 


wenigsten r «ihren sidi de beiden Mm. p- n I n - I ins s't. kt r . 
etwas schiel. 

Alle \ otn N. t:lnai;s v e' s. .* cti u NPis-v. •• v ^\ r Sei; a. 
farad:scli d.re Kt siln gut ou s ,n. 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1425 


Im Peroneusgebiet reagieren bei direkter Reizung vom Muskel 
aus sehr schön der M. tib. ant., der M. ext. digit. und der M. ext. hall.: 
die beiden Mm. peroneis langsam und bedeutend schwächer. 

Vorn Nerven aus folgendes Reizungsergebnis: Wird die Kathode 
am oberen Ende der Narbe angesetzt, so zucken sehr stark alle 
Beuger, etwas schwächer alle Strecker, in der Mitte der Narbe 
gereizt zucken besonders die Strecker, jedoch immer zucken auch 
einige Muskeln des Tibialisgebietes mit, was sich auch wiederholt, 
wenn der N. peroneus am Wadenbeinköpfchen gereizt wird. Bei 
Reizung am unteren Ende der Narbe zucken die Beuger allein. Ich 
legte darauf beide Peronealsehnen frei, um durch eine Kürzung der¬ 
selben das Muskelgleichgewicht wieder hcrzustellen. Dabei zeigte 
es sieb, dass das Muskelfleisch der beiden M. peronei ganz getigert 
aussah, zwischen den gelben, gelähmten Muskelfasern lagen schön 
dunkelrot gefärbte, gesund aussehende. Bei Reizung des Muskels 
konnte man die Kontraktilität deutlich verfolgen. Das Muskelfleisch 
der Strecksehnen, die man von der Wunde aus besichtigen konnte, 
war schön blutrot gefärbt, die vorgenommene Kürzung der Sehnen 
gab dem Eusse auch seine normale Stellung wieder. 

Ausser diesen verfüge ich noch über 10 Plastiken bei Pero¬ 
neuslähmungen, im ganzen 11, bei welchen der N. tibialis zur 
Reinnervierung verwendet wurde, und 1 Fall, bei welchem nur 
ein Ast des N. peroneus gelähmt war und dieser wieder an den 
Hauptstamm angeschlossen wurde. Ausserdem versuchte ich 
3 gegengleiche Plastiken bei Lähmungen des N. tibialis. Auch 
diese Krankengeschichten sind den oberen ähnlich; wenn die 
Kraft des Ersatznerven durch die Lähmung ebenfalls gelitten 
hatte, war der Erfolg weniger günstig. 

Achnliche gelungene Fälle wurden mitgeteilt von 
P e k h a m, Hackenbruch, Tubby, S h e r r e n, H e n 1 e, 
Y o u n g. 


Ich versuchte entweder die zentrale totale Implantation 
des N. obturatorius in den N. cruralis oder eine entsprechende 
Kreuzung dieser zwei Nerven. 

Die 4 bis jetzt am Menschen ausgeführten Operationen er¬ 
gaben noch kein befriedigendes Resultat. Es kam nach Ver- 
| lauf von mehreren Monaten wohl zu Zuckungen in einzelnen 
| Teilen des Muskels, in einem Teile erholte sich der Vastus 
externus, aber zu einer vollständigen Streckung des Unter¬ 
schenkels war doch nicht genug Kraft vorhanden. Ich glaube, 
dass der Grund in dem Missverhältnis der beiden Ncrvenquer- 
schnittc liegt, die Fibrillenanzahl des N. cruralis genügt nicht, 
um den noch ausserdem gleich am Lcistenband sich spalten¬ 
den grossen Nervenstamm gleichmässig zu innervieren. 

In einem Falle versuchte ein belgischer Kollege, Van den 
Be rgh, den gelähmten N. cruralis durch eine totale periphere 
Implantation in den N. ischiadicus zu reinnervieren, allein auch 
dieser Erfolg war kein vollkommener, es konnte keine voll¬ 
ständige Streckung des Unterschenkels erzielt werden. 

Diese Methoden sind jedoch jedenfalls ebenso entwick¬ 
lungsfähig wie die anderen. 

Dagegen bieten alle Lähmungen der oberen Extremität ein 
ausgezeichnetes Feld für Nervenplastiken, besonders da man 
diesen nur mit sehr ausgedehnten Sehnenplastiken, und auch 
da nicht in befriedigender Weise beikommen konnte. Am Ober¬ 
arm, insbesonders in der Achselhöhle, in der Ellenbeuge, am 
Unterarm sind alle Nerven leicht erreichbar. Vorzuziehen ist 
hier bei Lähmungen zentralerer Natur immer eine partielle zen¬ 
trale Implantation eines benachbarten Nerven in den gelähmten, 



Fig. 1. 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


da eine vollständige Durchtrennung 
eines der grossen gemischten Stämme 
nicht ratsam ist 1 ). 

So habe ich bei einem 12jährigen Knaben 
eine zentrale partielle Implantation des N. 
med. in den gelähmten N. rad. mit vollem 
Erfolg ausgeführt. Die Lähmung war bei 
der üeburt durch einen Bruch des Ober¬ 
armkopfes entstanden. Die Strecker der, 
Hand und der Finger, sowie die Supinatoren 
die Abduktoren des Daumens waren voll¬ 
ständig gelähmt. Bei dem Knaben, der Sohn 
eines Arztes war, waren seit der Geburt 
ständig alle Mittel, jedoch ohne Erfolg an- 
gemendet worden. 

Zwei Monate nach der von mir vorge¬ 
nommenen Plastik konnte der Knabe bereits 
einige Streckbewegungen mit der Hand aus- 


7nr Wiederbelebung des so häufig gelähmten Kniestreck- 
lsl rl des M. quadriceps, suchte ich bei Tierversuchen den 
nhmr'atorius heranzuziehen. Die Auffindung desselben unter¬ 
st keinen Schwierigkeiten, sein oberflächlicher Ast hegt 
iter der obersten Schicht der Mm. adductores. 


fuhren : nach 6 Monaten schon Beweglichkeit in allen früher gelahmten 
Muskeln, 9 Monate nach der Operation stellte ich den Knaben am 
Kongress in Berlin 19i)6 vor mit tadellos funktionierender Hand, cs 
war auch keine Herabsetzung der Kraft im Ersatzgebiet bemerkbar. 

') Siehe Zeitschr. f. orth. Chir., Bd. XVI. 


No. 27 


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1426 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Vor einem Monat schrieb mir der jetzt 15 jährige Knabe, dass er 
mit der operierten Hand allein sein Rad lenken und Klavier 
spielen könne. (Eig. 1 u. 2.) 

Von den 3 anderen nach demselben Typus operierten bal¬ 
len möchte ich einen als Eall einer spastischen Parese hervor¬ 
heben. 2 ) 

Ein 10 Jahre alter Knabe mit einer spastischen Parese der linken 
Hand mit der dieser Erkrankung eigentümlichen Handstelhmg: Heber - 
witgen der Beuger und Pronatoren. Unmöglichkeit, den Pauincn zu 
abduzieren. Operation: zentrale, partielle Implantation des N. medi- 
anus in einen Längsschlitz des N. radialis oder der hlleiibcuge. 

Zwei Monate nachher ist die Supination der Hand aktiv möglich. 
Die Hand und die Eiliger können vollständig gebeugt und gestreckt 
werden, der Pat. kann auch den Daumen etwas abduzieren: n«'ch 
leichte Ausfallserscheinungen im Medianusgebiet; nach -1 Monaten 
zunehmende Kraft in der operierten Hand; die Ausfallserscheinungen 
sind bis auf eine etwas „zögernde“ Beugung des Zeigciingcrs ge¬ 
schwunden. 3 ) (Eig. 3, 1 u. f>.) | 

Ich füge noch hinzu, dass auch bei Ocburtslähmungen j 
von Kennedy und Warren Law sehr gute Methoden j 
zur Plastik angegeben wurden, von den mitgeteilten Eälleti 
wurden unter 8 4 vollständige Heilungen und Besserungen j 
des sonst unheilbaren Zustandes angeführt. . . I 

Da das Substrat ein äusserst subtiles ist, habe ich mir ein 
Instrumentarium zusammengestellt, das mir ermöglicht, mit j 
dem Material ausserordentlich schonend umgehen zu können. 
Die Nerven werden mit Pinzetten gefasst, deren Spitzen Ringe 
bilden, in denen die Nerven ohne Druck gehalten werden 
können, ein Tunelleur, um einen Nervenast unter Weichteil¬ 
massen ohne Zerrung an den Ort seiner Bestimmung zu brin¬ 
gen, Nadeln zur elektrischen Reizung und Isolierung bilden die 
Hauptbestandteile des Besteckes. 

Wichtig, viel wichtiger als die Art der Ungeschlagenen j 
Plastik, ist die Einzeltechnik. Schonendes Vorgehen, Vermei¬ 
dung von Druck, sowie Unterlassung einer überflüssig weit 
gehenden Isolierung der Nervenstümme vom ernährenden 
Bindegewebe der Umgebung, genaue Adaptierung und Orien¬ 
tierung der Querschnitte, Fixierung derselben durch genau 
längsverlaufende Nahtschlingen, Isolierung der Nahtstelle von 
der Umgebung, Schutz derselben vor Narbendruck, sow ie I 
natürlich peinlichste Asepsis sind unbedingte Vorbedingungen 
eines erwarteten Erfolges. 

Zur Isolierung und zum Schutz vor dem Erdrücken und 
Durchwachsen der Nahtstelle durch Narbengewebe der Um¬ 
gebung umhülle ich die Nahtstellen mit Hundeartcricn, die nach 
dem Vorschläge E o r a m i 11 i s in Eormaliii gehärtet sind. 

Bei Beobachtung dieser Vorsichtsmassregeln verfüge ich 
jetzt schon über gute Erfolge, die sich besonders in der letzten 
Zeit zusehends bessern. Das Resümee sind 70 Proz. Heil¬ 
erfolge, teils ausgezeichnete, teils weniger gute, immerhin sind 
sie aber auch bei nur teilweisem Resultate ein ausserordent¬ 
lich guter Behelf, etwaig^ Testierende Defekte können wir 
später noch leicht durch eine kleine Nachoperatiou an den 
Sehnen beheben. 

Denn bei jeder Art der Plastik müssen w ir uns die Neu¬ 
belebung so vorstellen, dass sich Nervenfasern des kraftgeben- 
den Nerven spalten oder dass zwei periphere Nervenfasern 
nur mittels einer Faser von der Pfropfungsstelle weg mit dem 
Zentrum in Verbindung stehen. 

Es kann ja bei unserer mangelhaften Kenntnis der Anord¬ 
nung der Nervenfasern in.den Nervenstüinnien sehr leicht 
passieren, dass ein Muskelast bei der Aufteilung der leben- 
führenden Zweige des Ersatznerven leer ausgeht, was beson¬ 
ders leicht geschehen kann, wenn das (irössenverhältiiis zwi¬ 
schen den beiden Querschnitten ein ungünstiges ist. 

Zu weit dürfen w r ir also auf die Spaltungsfähigkeit nicht 
bauen, doch ist es ja immerhin ausserordentlich erleichtert, 
w enn wir es nach der Heilung der Nervenplastik nur mit einer 
einfachen Sehnenkürzung oder eventuell mit einer Kraftüber¬ 
tragung unter annähernd gleichsinnig arbeitenden Muskeln zu 
tun haben, als wenn w 7 ir z. B. eine Sehnenplastik bei einer 
totalen Lähmung des N. peroneus versuchen müssten, gar nicht 


2 ) Die Einzelheiten siehe Zeitriclir. f; ortli. Cliir., Bd. du. 
a ) Der Knabe wurde März löns, 7 Monate p. o. in einer Moiiats- 
versammlung des steierischen Aerztevercins mit völlig gebrauchst 
fälliger Hand vorgestellt. 


zu reden von den Lähmungen d« r Baud- mul l ifuuüouti m.»t 
Armncr\cn überhaupt, bei welchen die >eh:ieuip’ast k k«. ne K - 
sonders befriedigenden Erfolge a::l/nw c.seti hat. 

Die Heilung dauert ja mmu r z:*>u!.Ji lange, o \crgP.t.:: 
immer einige Monate, bis die ersten w dlkuiJien Hcw eg.ivgs. n 
auftreten, nur in seltenen Lauen trat d:e Rkgeinuatam sji 
nach einigen W ochen auf, Ende, d,c bis jetzt noJi kc ne e n- 
deutige Erklärung gefunden haben. Ninst haben wir am s.. 
länger auf das W iedcremtretci: der Funkt.on za warten, u 
länger der Nerveimiuskclappnr.it ausser Funktion war, d e /.e t 
seit dem Auftreten der Lähmung akn ist nussgebyud. l u: 
naelidetn die ersten w illkurbcheu Bew eguLgcu via s t ::d. K g 
sich nach längerer Zeit erst die clePnsJie ETfegb.i: ke.t e 
zustellen; falls auch die Sensibilität vor < der Jurch d.e Opera¬ 
tion beschädigt war, sn kehrte sie muh me ien Be-*b.u ht.r* K c-. 
immer vor der Motilität zurück. 

Von eventuellen Emw andern hatte uh zuerst d.e I rage :iad; 
den Ausfallserscheinungen zu beant w ' »i te n. Ir u>s trete« ai - 
tauglich Ausfallserscheinungen im (ieh.et des k raltsp, adeud. u 
Nerven auf, dies abzuw agen ist eben >.uhe eler Lrt.dr irg. 
ausserdem haben wir es m der Hand, lene Methode zu w.th.en. 
die in dem jeweiligen Lalle am wenigst«.n riskiert. 

Nach meinen, wie muh den Erfahrungen anderer Vit* mn. 
wie Hack e n b r ii c li, Heule, sjiumdiii de Aasja's. 
erscheinimgen bei teilweisen, nullt zu we t gellenden \bs;>.:!- 
timgeii wieder; so konnte uh m dun berichteten Lai e ;u r 
Medianns-Radiahs-Anastimiosierung bei e.iur l «ier*mJ: •• N 
nach N Monaten keine k raft\ennaidermig un Med.a:: :s N- 
merken, trotzdem die Haine desselben zur K ra!!:;her$f.ag.;::g 
auf den gelahmten N. radialis verwendet wurde. E\ ertnob s Ji 
anfänglich ergebende Sensibilgatsdetekte Schwnukn gew . •!:•.- 
lieh schon nach wenigen Wochen, was wohl aal d.e \u':.i.h 
bestellenden natürlichen Anastomosen zwischen dt n s,ns.^%|| 
Hautnerven ziinick/ufulmn ist. 

Da nach der Piropiung nun zwei periplie:e titbtte na: 
einen Weg zum Zentrum haben, ist es e.geiitluh sei bst \ e r s\, ■; d - 
lieh, dass bei der Innereicrung eines Muskelgeb etts a.uli das 
andere mitznekt. Doch halun wir da mit der k < i i< is s.i \ II *\ ! i - 
passiingsfahigkcit unseres Nervcns\stetns za u Juen. de Pa¬ 
tienten lernen es sehr bald, die einzelnen Bewegungen za d s- 
soziieren, wie dieser Vorgang m W nkluhke.t mJi absp ; «. 
entzieht sich um so mehr unserer Beurteilung, als wir ia i:’>* r 
die Fortleitung des Reizes im Nerven nur auf \age H\p« these:: 
an gew iesen sind. 

Wie weit diese wunderbare Selbstregn! «.mag gehen kam:, 
mag ihnen der zitierte Fall einer Radialis'.ihuiuug bew e.sen . 
der vor 3 Jahren operierte, nun I5ia!ir.ge Knal’e sJn.tb tn.r 
vor kurzem, dass er mit der operierten I lau d .öle.i. se n Rad 
lenken und ganz gut Klavier spielen könne. < iew iss e.n Zeichen 
einer hollen Brauchbarkeit der last ausgts v hultetui Band. 

M. IL! Ich bin mir wohl bewusst, dass wir erst am Anfang 
der Entwicklung dieser Frage sieh«. u. und uli bitte s.e. 0 
dieser Methoden gelegentlull zu erinnern, d.e Lalle udoJi aus. 
zuwählen, als Erstlmgsfalle nur isolierte I ahuumgen zu 
nehmen, jene, bei wekhen auJi der eventne’le Ersat/uetv von 
der Lähmung gestreift ist. geben keine gute Prognose. sie brin¬ 
gen dem Patienten wenig Hille und eutinat.gen den Operateur 
und bringen die Methode m Misskredit. 

Sonst aber ist die Methode anw cndwngsw ert, bei den Ner¬ 
venverletzungen im russisch-iapanisdien Kriege hat s.e M en ! e 
mit Erfolg verw endet, gewiss ein Zeichen. dass s\- Jen Kon¬ 
kurrenzkampf mit den bisher geübten Methoden aubuhmen 
und sie vielfach wirksam ergänzen Kami. 

W enn es mir gelungen ist, Ihre Aufim. rks.onkei: auf d iw 
Frage zu lenken, so bin ich reichlich tur den \ofirag 1 h loh;::, 
zu dem Ihr verein ter Herr Präsident miJi aut/wford«. rn d.e 
Freundlichkeit hatte. Ich bin der I .nladimg gern genügt. um s<» 
mehr als sie mir (ielegcnheit bot, meine :ta' eü:\fk!i K'ollegv*: 
keimen zu lernen, die Träger der Namen zu sehen, d e kh sjimi 
vielfach ans der Literatur kenne, die der i tu! k::lu'.cn Ortho¬ 
pädie auch ausserhalb ihics Landes e'neu guten Klang unJ 
Ansehen bereitet haben. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



7. Juli 190S. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1427 


Aus der psychiatrischen Klinik in München. 

Die Erwartungsneurose/) 

Von Dr. Max Isserlin, wissenschaftlichem Assistenten der 
Klinik. 

M. H. ! Als Erwartungsneurose hat Kraepelin 
ein Krankheitsbild beschrieben 2 ), das allgemein ärztliches In¬ 
teresse genug besitzt, um vor Ihnen etwas eingehender erörtert 
zu werden. Wie der Name andeutet, soll die gemeinsame 
Grundlage der zu einer klinischen Einheit zusammenzufassen¬ 
den Störungen in der ängstlichen Erwartung eines bestimmten 
Ereignisses zu suchen sein, in der inneren Spannung auf ein 
solches Ereignis, welche zu pathologischen Reaktionen führt. 
Kraepelin verweist für das Verständnis dieser krankhaften 
Erscheinungen auf Analoga aus der gesunden Erfahrung. Aus 
dieser wissen wir, dass „die Erwartung irgend eines Er¬ 
eignisses eine allmählich wachsende innere Spannung erzeugt, 
die sich einmal in gewissen Trugwahrnehmungen, andererseits 
aber in allerlei Bewegungsantrieben äussert. Ist das bevor¬ 
stehende Ereignis ein unangenehmes, so können die Voremp¬ 
findungen äusserst peinigende und selbst schmerzhafte werden. 
Zugleich wird die Sicherheit des Handelns auf das empfind¬ 
lichste beeinträchtigt.“ 

Ein ganz ähnliches, nur krankhaft vergrössertes und ver¬ 
zerrtes Bild, wie diese schon im Bereiche des normalen Lebens 
anz^treffenden Phänomene bietet nach Kraepelin die Er¬ 
wartungsneurose. „Die krankhafte Entwicklung vollzieht sich 
hier dadurch, dass die peinlichen Störungen nicht bei einem 
einmaligen, besonderen Anlass auftreten, sondern dass sie sich 
an Vorgänge heften, die sich alltäglich immer wieder vollziehen. 
Dadurch entsteht eine sich fortwährend steigernde und so all¬ 
mählich zu ganz ausserordentlichen Oraden anwachsende Er¬ 
wartungsangst, welche die gesamte Lebensführung in der nach¬ 
haltigsten Weise beherrschen kann.“ 

Es wird zweckmässig sein, vor allen weiteren‘Erörte¬ 
rungen an einigen Beispielen darzutun, welche Krankheits¬ 
erscheinungen unter die Rubrik der Erwartungsneurose zu 
fallen hätten*). 

Pall 1. Rechtspraktikant, der wegen eigentümlicher Schreib¬ 
störungen ärztliche Behandlung aufsucht. Sobald der Kranke die 
Feder an setzte und versuchte, einige Buchstaben zu schreiben, traten 
starke ataktische Bewegungen auf, welche die Feder nach ver¬ 
schiedenen Richtungen hin ausfahren und sich vom Papiere abheben 
dessen. Diese Störung bestand seit mehr als zwei Jahren und hatte 
sich zuerst im Anschlüsse an eine Ueberanstrengung beim Fechten 
gezeigt und sich allmählich immer mehr verschlimmert, so dass der 
Kranke seit längerer Zeit auf jedes Schreiben, auch das Unter¬ 
zeichnen seines Namens, verzichtet und sich durch Diktieren oder 
mühseliges Malen mit der linken Hand durchgeholfen hatte. Ver¬ 
schiedene Behandlungsversuche hatten das Leiden nur verschlimmert. 
Bei der Untersuchung des sonst ganz gesunden und kräftigen Mannes 
fiel auf, dass er die Feder mit Anspannung aller Muskeln erfasste. 
Das Schreiben ging bei den ersten Buchstaben ganz gut, doch be¬ 
merkte Patient sogleich: „Jetzt kommt es bald“, und nun traten in 
der Tat die ausfahrenden Bewegungen auf, die das Weiterschreiben 
unmöglich machten. Von irgend welchen Störungen an den be¬ 
teiligten Muskeln (Lähmungen, Krampfzuständen, Atrophien) war 
keine Spur vorhanden; ebenso fehlten bei der Untersuchung wie in 
der Vorgeschichte alle Zeichen von Hysterie. — Die sofort einge¬ 
leitete hypnotisch suggestive Behandlung hatte einen raschen und 
vollständigen Erfolg, schon nach 5 Tagen vermochte der Kranke eine 
Stunde hintereinander ohne Störung zu schreiben. 

F a 1 12. 30 jähriges Fräulein, beschäftigte sich viel mit Malen. 

Seit 10 Jahren bei längerem Lesen und Malen Auftreten von Brennen 
ln den Augen, an das sich allmählich schmerzhafte Empfindungen im 
ganzen Kopfe anschlossen, die sich rasch bis zur Unerträglichkeit 
sieigerten. Nach und nach trotz Untersuchung und Behandlung durch 
ramhafte Augenärzte, die stets einen völlig negativen Befund an den 
^ugen erhoben, stete Verschlechterung, so dass, die Kranke seit 
geraumer Zeit überhaupt nicht .mehr lesen konnte und sogar nicht 
~.ehr bei Sonnenschein ausging, da .schon das helle Tageslicht die 
Schmerzen auslöste. Nach 4wöchentlicher hypnotischer Behandlung 
vollständige und .dauernde Beseitigung aller Störungen, so dass die 
franke ihre Malarbeiten wieder aufnehmen konnte. 


*) Vortrag, gehalten im Münchener ärztlichen Verein am 4. III. 08. 

2 ) Lehrbuch 1904, II, 731. 

3 ) Die ersten der folgenden Krankengeschichten verdanke ich 
Herrn Hof rat Kraepelin. 


Fall 3. Bei einem 8 jährigen Knaben traten im Anschluss an 
eine schwere Angina bei jedem Versuche zur Nahrungsaufnahme 
heftige Hustenstösse ein, die sehr bald das Essen und sogar das 
Trinken völlig unmöglich machten; jeder Bissen, jeder Schluck 
wurde sofort unter krampfhaftem Husten wieder herausgewürgt. 
Infolge dessen musste längere Zeit hindurch zur Ernährung .durch die 
Schlundsonde gegriffen werden. Obgleich im Rachen und Nase 
keinerlei Schwellungen mehr bestanden, löste doch die leiseste Be¬ 
rührung des Qaumenbogens, Zäpfchens oder der Rachenwand sofort 
den Husten aus. — Schon nach der ersten Hypnose vermochte der 
Kranke ein Beefsteak zu essen und wurde dann völlig und dauernd 
(Beobachtung über ein Jahrzehnt) von seinem Leiden befreit. 

Fall 4. Frau, Mitte der 30 er Jahre, der wegen Blutarmut und 
Schwäche eine Mastkur verordnet wurde. Nachher fast völlige 
Unfähigkeit zu gehen; ungemein rasches Ermüden nach wenigen 
Schritten, obgleich die Kranke früher eine gute Fussgängerin ge¬ 
wesen war. Die Untersuchung der Beine ergab keinerlei Störung, 
insbesondere keine Abnahme der Kraft. — Ganz ähnlich ist der 

Fall 5. Gleichfalls eine Frau, bei der seit 2 Jahren eine aus¬ 
gesprochene Schwäche des linken Beines bestand; sobald die 
Kranke 5—10 Minuten ging, traten Schwäche und unangenehme 
Empfindungen ein, die sich sehr rasch 1 steigerten. Unter Massage, 
Elektrizität, Wasserbehandlung hatte sich das Leiden nach vorüber¬ 
gehenden Erfolgen nur immer mehr gesteigert. — Auch in den beiden 
eben geschilderten Fällen erfolgte Heilung unter hypnotischer Be¬ 
handlung. , 

In dieselbe Rubrik gehört die nächste kurz zu beschreibende 
Kranke, bei der die abnormen Erscheinungen aber bereits einen sehr 
hohen Grad erreicht hatten. Es handelt sich ttm eine 30 jährige 
Dame, welche l l /z Jahre hindurch in der hiesigen psychiatrischen 
Klinik behandelt worden ist. Neben mancherlei Zeichen psycho¬ 
pathischer Degeneration beherrschten vor allem aus der Erwartungs¬ 
angst entsprungene Störungen das Krankheitsbüd. Als Kind gesund, 
litt sie mit 17 Jahren an starker Schlaflosigkeit, äusserte in der 
Folgezeit verschiedenartige hypochondrische Beschwerden, um im 
Laufe der Jahre in einen Zustand zu geraten, der vor allem dadurch 
ausgezeichnet war, dass jede Art von Bewegung gemieden wurde. 
Auch die kleinsten Anstrengungen wurden wegen der dadurch her¬ 
vorgerufenen Beschwerden unterlassen. Sie konnte weder lesen 
noch schreiben und nicht mehr als 10 Minuten gehen. Wurde mehr 
von ihr verlangt, so traten Kopfdruck, Schmerzen, Schlaflosigkeit und 
Aufregungszustände ein. Schliesslich blieb sie Jahre hindurch fast 
dauernd zu Bett. Dabei war weder von einer Hemmung und 
Depiession im Sinne des manisch-depressiven Irreseins die Rede, noch 
zeigte die Kranke einen ausgeprägten hysterischen Charakter, viel¬ 
mehr schien ihr Verhalten vor allem durch Erwartungserscheinungen 
bestimmt, welche hier zu einem Zustand geführt hatten, der bereits 
jenen schweren Bildern ähnelte, welche Moebius als Akinesia 
a I g e r a beschrieben hat. 

Das Leiden der Kranken, welche übrigens mehrere schwere 
Suizidversuche machte, besserte sich allmählich während ihres Auf¬ 
enthaltes in der Klinik so sehr, dass sie bei zufriedenstellendem Be¬ 
finden nach Hause entlassen werden konnte * 

Von besonderem Interesse ist nun, dass in der Familie der eben 
behandelten Patientin Störungen ähnlich denen, an welchen sie litt 
auch sonst häufig vorkamen. Schon ihre Grossmutter scheint an 
derartigen Beschwerden gelitten zu haben, die Mutter zeigte ausge¬ 
prägte Seh- und Lesestörungen, und der Bruder, ein schwerer 
Psychopath, litt an nach jedem Lesen sich einstellenden krampf¬ 
haften Schmerzen oberhalb der Augen und im Kopf, wegen deren 
er in den letzten Jahren Lesen und Schreiben fast völlig unterlassen 
hatte. Auch in diesen Fällen brachte suggestive Beeinflussung 
Hebung der Beschwerden. Wichtig für das Verständnis der Krank¬ 
heitserscheinungen ist eine kleine Episode mit dem letzten Patienten. 
Nachdem er aus der Behandlung entlassen war — er las bereits 
über eine Stunde — bat er mich schriftlich um genaue Angaben über 
eine Tischlampe, bei der er in der letzten Zeit das Lesen gelernt hatte. 
Es fiel ihm schwer, bei irgend einer anderen Lampe zu lesen. 

M. H.! Sie werden nach dieser kurzen Skizzierung einer 
Anzahl von Beispielen wohl fast jeder aus seiner Erfahrung 
ähnliche Fälle anführen können, denn es sind nicht seltene, son¬ 
dern häufig vorkommende Störungen, die wir zu einer Gruppe 
zusammenzufassen suchen, und es ist ein sehr Wechsel reiches, 
buntes Bild, das wir vor uns haben. Bunt und wechselreich 
allerdings doch nur hinsichtlich der Störungen, welche wir 
überhaupt feststellen können, während das Bild des einzelnert 
Krankheitsfalles allerdings ein sehr einförmiges, stereotypes ist. 
Von den Funktionen, die durch das Leiden gestört werden, 
scheint besonders oft das Lesen von der Erwartungsangst be¬ 
troffen und durch Flimmern, Spannungsempfindungen, Licht¬ 
scheu, Schmerzen unmöglich gemacht zu werden. Aehnlich 
kann auch das Schreiben gestört sein, ebenso das Gehen, 
Stehen, Schlafen, Sprechen, Schlucken, Harnlassen, auch, viele 
Fälle psychisch bedingter sexueller Impotenz gehören sicher 
hierher. In der Literatur ist die Eigenart der Erwartungs- 

2 * 


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1428 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET. 


No. 27. 


Störungen nicht unbemerkt geblieben. Man hat als „Harn¬ 
stottern“ Behinderungen des Urinlassens beschrieben, die der 
hier behandelten Neurose zuzureehnen sind, ebenso ähnlich be¬ 
dingte Hemmungen des (lehcns als „Oehstnttcrn" 4 ). Schon 
vor langer Zeit hat die Abhandlung Meyers' 1 ) über Iuten- 
ticnspsychosen manches hierher Gehörige gebracht, w ie man 
auch schon vor vielen Jahren bestimmte Fälle von Astasie- 
Abasie von den grob hysterischen zu trennen gesucht hat. In 
neuester Zeit hat Pick 14 ) „über Störungen motorischer Funk¬ 
tionen durch die auf sic gerichtete Aufmerksamkeit“ berichtet, 
und die Franzosen 7 ) haben von „douleurs d’habitudes" ge¬ 
handelt in Ausführungen, welche zu ähnlichen Gesichtspunkten 
führen, wie die hier gewonnenen. Fs scheint aber gerecht¬ 
fertigt und notwendig, diese als Einzelfälle bereits in ihrer Be¬ 
sonderheit bekannten Erscheinungen zu einem einheitlichen 
Ganzen zusammenzufassen. 

Wir versuchen somit, die gemeinsamen Grundzüge dieser 
sehr mannigfaltigen Störungen kurz herauszuheben. Aetm- 
logisch handelt es sich zweifellos um p s y c h o g e n e Sto¬ 
rungen. Es sind Vorstellungen und Erwartungsbeängstigungen, 
welche die krankhaften Erscheinungen bedingen. Und der 
Grund der Erkrankung liegt letzten Endes in einer psycho¬ 
pathischen Veranlagung, welche, wie wir sahen, bisweilen 
ganze Familien kennzeichnet. Die Kranken sind meistens erb¬ 
lich belastete Persönlichkeiten, deren Wesen oft durch über¬ 
triebene Aengstlichkeit und Zaghaftigkeit ausgezeichnet ist. 
Ausgeprägter hysterischer Charakter gehört dagegen nicht zu 
dem Bild der Erwartungsnciirose. Als Veranlassungen lassen 
sich bestimmte Erlebnisse, welche die Störung irgend einer 
Funktion mit sich brachten, häufig nachweisen. So sieht man 
durch Erwartungsangt bedingte Gehstörimgeii nicht selten nach 
längerer Bettruhe eintreten, der oben erwähnte Rechtsprakti¬ 
kant bekam seine Schreibstörung im Anschluss an eine Mensur, 
der gleichfalls behandelte Knabe seine Schluckbeschw erden 
nach dem Ueberstehen einer Angina. Wir haben also den Ent¬ 
wicklungsvorgang des Leidens so aufzufassen, dass für sonst 
ganz mechanisiert und unbewusst ablaufende Prozesse infolge 
irgendwelcher vorübergegangener, gewöhnlich geringfügiger, 
Unregelmässigkeiten eine gespannte Erwartung, ein unange¬ 
brachter Aufmerksamkeitsgrad aufgewendet wird, dass gerade 
wegen dieser übermässigen Beachtung die Funktionen um so 
gestörter ablaufen, und dass schliesslich iniolge der bei der 
regelmässigen Wiederkehr der Erscheinungen sich immer stär¬ 
ker entwickelnden Erwartimgssparnumg die schwersten Krank¬ 
heitsbilder hervorgerufen werden können. 

Der Verlauf des Leidens kann ein langsam aber stetig fort¬ 
schreitender sein. Beginnt die Krankheit mit Symptomen, 
welche noch normalen Erwartungsphänoinenen nahe stehen, 
etwa Flimmern vor den Augen, Geblendetsein, Unsicherheit. 
Ataxie der Glieder, unangenehmen Empfindungen und Schmer¬ 
zen mancherlei Art, so können diese Beschwerden unter dem 
Einfluss dauernder Erwartungsangst so gesteigert werden, dass 
sie eine völlige Hemmung aller Bewegungen mit sich bringen 
und wir die Zustände der Akinesia algera vor uns haben. Da¬ 
bei springt die Krankheit auch dann nicht auf andere Gebiete 
über, wie in der Hysterie, wo w ir den lebhaftesten Wechsel 
gewohnt sind, auch in den schweren Fällen vielmehr bleibt 
das Bild ein sehr monotones; es sind immer dieselben Be¬ 
schwerden, die schliesslich so wachsen können, dass sie den 
Kranken völlig lähmen. 

Allein nicht immer ist der Ausgang des Leidens ein so 
unerfreulicher. Wir werden vielmehr nicht zweifeln können, 
dass eine beträchtliche Anzahl hierher gehörender Störungen 
spontan heilen, wenn die Kranken durch einen glücklichen Zu¬ 
fall von der Grundlosigkeit ihrer Erwartungsangst überzeugt 

') Tronin er: Neuro!. Zentralst. 1 9i \(l. N57. 

D Arch. f. Psycli. XX, ISN9. 

n ) Wiener klin. Rundschau U7, No. 1. vcrgl. Neiiml. Zeiitrjjhl. n7. 
S. 357. 

7 ) Progres medical 1904, No. 2, Nenrol. Zentralbl. P4. S07. Ilie/u 
auch: Raymond et .lau et: Le sviidrome pswhusthcnniuc de 
l’akathisie! Nouv. iconogr. <J. I. SalpCtricre 1 (,| L\ p. 211, ZeutralM. 
f. Nervenlieilk. 03, 424. 


Werden. Dass das auch in schweren Zuständen eintreten kann, 
zeigt das Beispiel des Philosophen berliner, dessen k raak- 
heitsgesciiichte Moebius mitgeteilt hat. Für a!L andere:: 
Fälle ist die psychische Behandlung, vor allem die h\p:u t.sJu. 
das souveräne Heilverfahren. Wahrend sonstige kurverviUu 
nur zu schaden pflegen, beseitigt ui mellt zu emgew ur/elte:: 
Fällen die suggestive Beeinflussung die Beschwerden regel¬ 
mässig und vermag audi bei verzweifelt angehenden Falle". 
Heilung zu bringen. Diese Tatsache wird uns nicht |#Pe r- 
raschen. wenn wir bedenken, dass, wie k raepelin im An¬ 
schluss an Moebius sagt, wenn irgendwo, so hier die B t- 
tienten au Frmnerimgen vmi Kränkln iteii leiden, und da*s mm 
heilt, wenn es gelingt, die MaJit der Frinnerungeii zu be¬ 
seitigen. 

Glauben wir sonnt ein gelingendes \ erständnis der In¬ 
handelten kraiikheitsersjieuiimgen gewinnen /n haben. vu 
werden wir JoJi ncji ihre Sonderung zu einem selbstard - 
gen k raukheitshild rechtfertigen müssen. De nn zw eiie'.l*^ 
muss der Fiuwand. die h.er gesJublet te il S\mptomenkofupYxe 
seien schon durch andere k rankheüvgruppeti repräsentiert. be¬ 
achtet und entkräftet werden. ZunaJM läge es nahe, all de 
hier geschilderten Fiu/elheUeu ,: ! s euii.nh de r II y s t t r . e 
zugehörig zu betrachten, und /wuieü-'s kann man das. wm • 
man als hysterisch alle K r mk!n itsersUu tiiunge n ans Jg. 
welche in \ orstehungen ihren l rsprung h * Gen. Moebius 
hat das seinerzeit auch für d e Akmesie Zuge-g< Ih m. and. re r s, •>, 
allerdings hinzugefugt, dass d um die g m/e Disk usv. m ab 
einen W f-ristreit hmausjt\ J. Bei eler Grosse, weUic d 
Sammelfach der llwene hcMt/t, ist es sjJier geh neu. n.iJ: 
Kriterien zu simherr, um gut umgrenzte Gruppen ins 
hcrauszuheben. Nun haben wir es aber hier mit krekh. >- 
bildern zu tun, hei denen smim alle Zeichen der Mv^bre, ."s. 
besondere ein ausgeprägter hv steris J;er Ch »rakter feVe'\ • * 

Symptomen, vveklie nur bei bestimmten Anlassen unter J.o 
Zeichen der gesp innten Frw artung iiii/atreteii pflegen, d 
die alle durch einen eigenartigen \er!mf das langsame 1 
schreiten, wenn nicht geeignete Beb mdlaug eiugre.ft 
gezeichnet sind. Grunde genug, um die Neurose wo 1 «; Vs 
p s y c h o g e n ’*) tn/usehen, aber von der e ge utu Jieii Hv s*e - «. 
abzutrennen. 

Noch klarer wird die Grenze gegenüber den neu r- 
asthenischen Frs^hymiingeu. \l> Zeichen d-eser n._ b.. •• 
wir die durch Erschöpfung * der angeborene \ e* r ' 1 «.gang be¬ 
dingte Ermüdbarkeit an. \ m einer sYJun :s| Per bei J- 
Frw artungsstorungeii nicht d.e Re de. Die se St-omugen tre' , 
ia nur bei bestimmten Anlassen auf. psvJmgen. durJi de 
ängstliche Spannung bedingt, nullt a's Ze dien den Ffs v li,«pf*j- 
(-der Frmiielimg. Dem eiitspnJit auJt. J os V'ge-u e:n k ut" - 
gende Kuren auf das Leiden keinen Fü'fluss h ibeu. D.d'm v 
nicht zu leugnen, d iss die hierher gehörig, n Kurdn Lrs.Jm _ 
Illingen bieten können, weblie an neunasftuansch-hv p u- 
drische Beschwerden erinnern, namluh d r:ii, wenn das Le , im 
so eingewurzelt ist. dass auch fefuhegende Funk:;■ men zu iVo 
in Beziehung gesetzt werden. Lh Kumte e:"t;i k r mke:i m ; 
Storungen des Einschlafens. bei dem dis Le de n edi .1 ihm- 
hiudurdi gesteigert hatte, und eh r nun srn g «n/e\ I ig. vx e rk 
auf das Schlafengehen ziigesehmtteu hatten Lr bitte siji em (V -. 
Stundenplan ufivgearbeitet. den er aufs pmilidiei e ulnelt. \\ v ' 
er jede Abweichung mit Verschlimmerung vg-ies /ihiöides 
bezahlen musste. Selbst der Speise/eitel war genau gmeg^ jr ; 
gedämpftes Mulm war. so beb mptete ö, v< • - c * 11 Sdi’ ii / •_ 
t r ä glich, während gebritei.es ;hu v* ! \;J- v •. rv, V, u Jite. S • 
mannigfaltig aber in diesem Lalle die kl um /an iJo: zu s t - -- 
schienen, so zeigtem sie siji el«h a : !e Von dem e’.en Gruiml- 
leidem, ele r dureli ehe Frw artungs engst In d ngte n > Jb ifstortj : — 
abhängig. 

Indes muh linier einer weheren Gruppe v->n U'i'-kU : ts. 
crsJiemimgen konnte mau ev eü’ii^i Je von n::s erorterig •> 

") Vgl. Mn eh ins; l eher Warna a m m. Vir . ISe'tr.ue.- | < 
feiner e! e r s e Ib e : t el-er den Beu'.ii der M’.vteie. \er I k 
träge I. 

“> Zu dieser ILveieliimng su'ie S <• je. m e r: Ibagp--stik c! ^ r 
(ieisteskraiiklieiten |un|, s. js p 


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7. Juii 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1429 


Phänomene einordnen wollen. Handelt es sich bei den Er¬ 
wartungsbeängstigungen nicht einfach um Phobien? Be¬ 
reits vor zwei Jahrzehnten spielte eine interessante Diskussion 
zwischen Binswanger 10 ) und M o e b i u s 11 ), die manches 
berührte, was zu unserem Gegenstände gehört. Erörtert 
wurde damals das Problem der Astasie — Abasie und deren 
Zugehörigkeit zur Hysterie. Mit Recht wurde von verschie¬ 
denen Seiten darauf hingewiesen, dass eine Anzahl der Fälle 
nicht als hysterisch im gewöhnlichen Sinne bezeichnet werden 
könnten, dass vielmehr hypochondrische Vorstellungen und Be¬ 
ängstigungen bei ihrer Entstehung ausschlaggebend wären. 
Und so betonten Möbius, Ziehen 12 ) und andere, dass ein 
Teil der Astasie — Abasie als Zwangserscheinung im Sinne der 
Phobien aufzufassen seien. Aber wenn man das auch für ein¬ 
zelne Fälle wird zugeben können, so ist doch nicht zu be¬ 
zweifeln, dass eine grössere Zahl von Abasie- bezw. Dysbasie- 
fällen als Erwartungsstörungen in dem von uns gemeinten 
Sinne aufzufassen sind. Dabei werden wir nicht übersehen, 
dass eine allgemeine Verwandtschaft zwischen den Zwangs¬ 
erscheinungen und den Phänomenen der Erwartungsneurose 
besteht; ja wir werden sogar anerkennen müssen, dass Ueber- 
gänge zwischen beiden Krankheitsformen Vorkommen. Andrer¬ 
seits werden wir aber auch in der Lage sein, die aus¬ 
gesprochenen Fälle beider Gruppen deutlich voneinander son¬ 
dern zu können. Der Grundzug der Phobien ist gegeben in 
Beängstigungen. Es ist die Angst, welche die Kranken als 
Zwang empfinden, und der gegenüber die Gegenstände der Be¬ 
fürchtungen gewissermassen eine sekundäre Rolle spielen. 
Dementsprechend pflegen die Befürchtungen einen allgemeinen 
Charakter zu gewinnen; es ist die Furcht vor weiten Plätzen 
oder Brücken überhaupt, vor Schmutz, vor spitzen Gegen¬ 
ständen ganz allgemein, welche die Kranken zwangsmässig er¬ 
fasst. Dabei bleiben die gefürchteten Objekte keineswegs 
immer konstant, ein gewisser Wechsel ist vielmehr nicht sel¬ 
ten; es ist bald dieses, bald jenes, wovor sich die Kranken 
ängstigen. Anders die Erwartungsneurose, die uns durch ihre 
Einförmigkeit imponiert, bei der es ganz bestimmte Erlebnisse 
sind, welche die Ursache für die Erwartungsspannung abgeben, 
und bei welcher die dauernde Wiederholung immer des glei¬ 
chen Vorgangs zu den schweren Störungen führt. Dabei ist 
auch ein weiteres Moment, das die Phobien von der Erwartungs¬ 
neurose trennt, nicht zu übersehen. Bei der ersteren ist es 
die zwingende Angst, welche den Kranken peinigt, bei der letz¬ 
teren wird über Beängstigung nicht viel geklagt, es ist die 
Störung der Funktion, welche die Kranken zum Arzt treibt. 
Erst der aufmerksame Beobachter sieht den psychogenen 
Mechanismus, dem Kranken bleibt er verborgen. In dieser 
Hinsicht steht also die Neurose der Hysterie nahe, für die 
Moebius auch die Genese im Unbewussten als Kennzeichen 
hinstellte. Diesen Unterschieden im Wesen beider Krankheiten 
entsprechen auch wichtige Differenzen in Prognose und Ver¬ 
lauf. Die Phobien sind uns als prognostisch wenig günstig be¬ 
kannt. Sie entspringen offenbar zu sehr aus dem Kern der 
Persönlichkeit, als dass sie irgend welche Massnahmen be¬ 
seitigen könnten. Sind sie auch therapeutischen Einwirkungen, 
insbesondere der suggestiven Beeinflussung, nicht ganz un¬ 
zugänglich, so sind doch Rückfälle der Beängstigungen die Re¬ 
gel; das Leiden besteht, wenn auch in seiner Intensität wech¬ 
selnd und oft für längere Zeiten völlig zurücktretend, das ganze 
Leben hindurch und zeigt nicht selten einen fortschreitenden 
Verlauf. Die Erwartungsneurose hingegen wird geheilt, sobald 
es gelingt -die übertriebene Erwartungsspannung, welche auf 
ein ganz umschriebenes Gebiet beschränkt ist, zu beseitigen. 
Darum bei dieser die Erfolge der Suggestion selbst in schweren 
Fällen. Gelingt es der psychischen Beeinflussung die Macht 
der Erfahrungen, an welche die Beängstigungen anknüpfen, zu 
bannen, so pflegt die Heilung erreicht zu sein. 

Es bleibt nun noch ein Krankheitsbild zu erwähnen, mit 
welchem die erwartungsneurotischen Zustände offensichtlich 


,0 ) Berl. klin. Wochenschr. XXVII, 20. 21, 1890. | 

fl ) ..Ueber Astasie-Abasie“. Neurol. Beitr. I; dazu Trömncr: j 
Monatschr. f. Psych. u. Neurol., XXII Erg.-H. 1907. I 

,s ) „Abasie“ in Eulenburgs Realenzyklopädie. 


nahe verwandt sind, die U n f a 11 s h y s t e r i e, bei der ja auch 
bestimmte Anlässe die Krankheitserscheinungen zur Entwick¬ 
lung bringen. Aber während es bei den traumatischen Neu¬ 
rosen schwere Gemütserschütterungen sind, welche die ganze 
Persönlichkeit in Anspruch nehmen, handelt es sich bei der 
Erwartungsneurose zunächst um ganz geringfügige Zufälle, um 
leichte Missempfindungen, Gefühle der Schwäche usw., welche 
den ersten Anstoss für die ängstliche Spannung liefern und erst 
die stete Wiederholung immer derselben Erfahrungen steigert 
die Störungen. Darum fehlen der Erwartungsneurose jene um¬ 
fassenden Krankheitserscheinungen, welche die Unfallshysterie 
kennzeichnen, die nervösen Störungen am Herzen und Gefäss- 
system, die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, die dau¬ 
ernde Trübung der Stimmung. Bei der Erwartungsneurose 
bleibt demgegenüber die Krankheit sozusagen auf das Gebiet 
des Traumas beschränkt, kurz, wir können auch der trau¬ 
matischen Hysterie gegenüber die Begrenztheit der Erschei¬ 
nungen bei der Erwartungsneurose, die Intaktheit ddr Persön¬ 
lichkeit, so weit sie nicht von den immer einförmig bleibenden 
Beschwerden in Anspruch genommen wird, hervorheben, wäh¬ 
rend bei der Unfallsneurose eine schwere Veränderung der 
ganzen seelischen Konstitution im Anschluss an das Trauma 
und den Kampf um die Rente die Regel ist. Demgemäss unter¬ 
scheiden sich die erwartungsneurotischen Zustände auch in 
ihrem Verlauf in sehr erfreulicher Weise von den traumatischen 
Neurosen. Stehen wir den Unfallskrankheiten im Allgemeinen 
mit unseren therapeutischen Bemühungen ziemlich machtlos 
gegenüber, so werden wir bei der Erwartungsneurose in der 
Mehrzahl der Fälle bei geeigneter Behandlung glatte und dau¬ 
ernde Erfolge erleben. 

Es treten also praktische Gründe zu den theoretischen 
hinzu, welche dazu bewegen, die Erwartungsneurose von an¬ 
deren nervösen Erkrankungen zu sondern. Gerade für die Be¬ 
handlung ist die richtige Erfassung der Erkrankung von Wert. 
Wird die Natur der Krankheit verkannt, so bedeuten alle Heil¬ 
versuche gewöhnlich nur Steigerungen der Beschwerden. Es 
gibt nur ein Heilverfahren, welches hier wirklich hilft, die plan- 
mässige psychische Beeinflussung, insbesondere die Hypnose. 
Diese vermag selbst in sehr schweren Fällen zum Ziele zu 
führen. Nicht erst seit heute kann man von erfahrenen Nerven¬ 
ärzten hören, dass es gerade die monosymptomatischen Hy¬ 
sterien seien, bei denen sie die Hypnose besonders schätzen 
gelernt hätten. Diese monosymptomatischen Hysterien sind es 
aber vorwiegend, welche wir als Erwartungsneurose auffassen 
möchten. Und so sind es nicht zum geringsten Teile Gründe 
des ärztlichen Handelns, welche die Abgrenzung dieser Zu¬ 
stände verlangen. 


Aus der syphilido-dermatologischen Universitätsklinik zu 
München (Prof. Dr. P o s s e 11). 

Zur internen Therapie der Syphilis. 

Von Dr. A. P ö h 1 m a n n, Assistenzarzt. 

Die Behandlung der Syphilis durch interne Verabreichung 
von Quecksilber ist in England, Amerika und besonders in 
Frankreich eine sehr bevorzugte Methode, „la methode la plus 
commode et la plus generalement adoptee“ (M a u r i a c). In 
Deutschland dagegen erfreut sich die interne Syphilisbehand¬ 
lung keiner besonderen Beliebtheit. 

So äussert sich Neisser 1 ): „Ueber die Quantität des 
resorbierten Präparates ist gar keine Sicherheit vorhanden. 
Die namentlich bei grösseren Dosen eintretenden Darmer¬ 
scheinungen sind sogar sicherlich selbst die Ursache, dass recht 
viel von den eingenommenen Hg-Präparaten unverarbeitet 
mit den diarrhoischen Stühlen wieder herausbefördert wird“. 
Diese Störungen, die durch die Berührung des Hg mit der 
Magendarmwand eintreten können, werden höchst wahr¬ 
scheinlich durch die Bildung von Schwefelquecksilber hervor¬ 
gerufen, welches unter dem Einfluss des im Darm enthaltenen 
Schwefelwasserstoffes im Gewebe sich niederschlägt und 
eventuell sogar zur Nekrotisierung führt. 


D Neisser: Die Einreibungskur. Volkmanns Sammlung kli¬ 
nischer Vorträge, No. 199. 


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H30 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. j: 


Entschloss man sich trotz dieser Bedenken als Notbehelf 
zu einer innerlichen Behandlung, so standen bisher eine Reihe 
mehr weniger empfohlener Hg-Präparate zur Verfügung. 
Nachdem die Merkurialien sich mit den Chloriden des Körpers 
zu Sublimat verbinden und als solches zur Resorption ge¬ 
langen, lag es nahe, dieses in erster Linie in Anwendung zu 
bringen. 

So ist das Sublimat von alters her in Frankreich in Gc- 
brauch gewesen in Form der Dzon di sehen Pillen sowie in alkoholi¬ 
scher Lösung als L i q u c u r de van S w i e t e n und wurde erst 
wieder 1901 von Brocq’j auf Grund von Versuchen an 2 »mhi Pa¬ 
tienten empfohlen. Verabreicht man das Sublimat mit etwas Koch¬ 
salzzusatz in Pillenform, so wirkt es weniger magendarmrei/erul wie 
der van Swieten-Liqucur. welcher ausserdem noch sehr 
schlecht schmeckt. Sublimat, wegen seiner Löslichkeit anscheinend 
das beste Präparat für die interne Medizin, darf aber nur bei ge¬ 
sundem Intestinaltraktus und gesunden Nieren angewendet werden, 
niemals bei auch noch so geringer Albuminurie. 

Als weniger irritierend gilt das Kalomcl; man wendet es 
mit gutem Erfolg bei luetischen Kindern an und mit Recht, da andere 
energischere Methoden dem kindlichen Organismus leicht schaden 
und deshalb kontraindiziert sind. Andere wollen damit auch bei 
erwachsenen Luetikern sehr gute Resultate gesehen haben; jedenfalls 
wird aber Kalomcl von Kindern ungleich besser vertragen als \oii 
Erwachsenen, wo eine Darmreizung meist nicht ausbleibt. 

Das metallische Quecksilber wurde früher in Form der ..Mine 
p i 11 s“ (pilulac cocruleac) hauptsächlich in England, weiter als Si- 
dillotschc Pillen und Lang sehe Pillen in verschiedener Zu¬ 
sammensetzung verwendet. liiehcr gehört endlich auch das sogen, 
„graue Pulver“ (1 Teil Hg T 2 Teile Km Ich In Milch \erab- 
reicht wird es nicht selten jetzt noch bei der Behandlung luetischer 
Neugeborener lind Säuglinge verordnet. Nebenbei sei als Kmiosum 
erwähnt, dass dasselbe Präparat auch bei Erwachsenen mit an¬ 
geblich gutem Erfolge angewendet wurde und zwar in der Fotm von 
— Schnupfpulver. 

Nach Ncumann’) wirken alle die angeführten, aus reguhMi¬ 
schern Hg hergcstclltcn Mittel sehr langsam und inkonstant und können 
daher zur Allgcmeinbchandlung der Syphilis nicht empfohlen w etilen. 

Unter den Jodquecksilbcrvcrbindungen ist von Ricoril und 
Fournier als am mildesten und wirksamsten das Protoiodu- 
rctum Hydrargyri (Quecksilberjodiir) empfohlen worden, das 
jedoch ebenfalls leicht Diarrhöen, sogar Salivation hervorruit. Das 
Quecksilberjodid. Hydrargyrum bi jo datum rubrum, vor 
allem in Frankreich in Gebrauch, erscheint wegen seiner stark ätzen¬ 
den Eigenschaften zum internen Gebrauch nicht geeignet. Besser 
soll eine organische Jodquccksilbervcrbindung vertragen werden, das 
von Kobert dargcstellte I o d q u e c k s i I b e r h ä m o I. welchem 
neben geringen Nebenwirkungen tonisierende Eigenschaften bci. eh.gt 
werden, entsprechend seinem Gehalt an Eisen, das in dem aus Tier¬ 
blut gewonnenen Hä mol enthalten ist. Mit diesem Präparat hat 
Rille’) an der Klinik von Ncumann erfolgreiche Versuche au¬ 
gestellt. 

Die ausgedehnteste Verwendung als bestbewährtes Präparat hat 
wohl das von Lustgarten 5 ) 1KK4 cingefiihrte H v d r a r g v r u m 
o x y d u 1 a t u m t a n n i c u m gefunden. Es enthalt 50 Pro/. Ile. und 
wird erst im Darm unter Abspaltung von metallischem Um-,.kSilber 
in feinster Form zersetzt. Aber auch dieses TanniiuuiccksflKu ruft 
ab und zu Diarrhöen hervor, und enthalten deshalb schon die Lust- 
g a r t e n sehen Rczcptformeln Zusätze von Opium, um st\ptisdi zu 
wirken. 

Als selten verwendete Präparate seien endlich der VUliM.mdig- 
keit halber kurz erw ähnt das H y d r a r g y r u m t h v m o I.. c a r - 
b o 1 i c. und s a 1 i c y I., das von M a r t i n c a ti empfohlene P e p t o n- 
uuecksilber sowie die von W c r I e r angewendeten Pillen aus 
Mercurcolloidsalbc. 

Schon dieser Reichtum an internen Antisy philitizis spricht 
dafür, dass keines die auf dasselbe gesetzten Hoffnungen ganz 
erfüllt und dass der Versuch, vollkommenere Präparate lier- 
zustellen, seine Berechtigung hat. 

Den Anforderungen, die meiner Ansicht nach überhaupt an 
ein internes Antisyphilitikum gestellt werden können, scheint 
in der Tat in weitgehender Weise ein neues Präparat gerecht 
zu werden, nämlich das durch Boss") unter dem Namen 


ff ) Brocq L.: Lcs doses fractionnces de bichlorurc ct de biiodure 
de mercurc dans lc traitement de la Syphilis. Festschrift für h a - 
posi. 

3 ) Ncuma n n: Syphilis. Wien 1K%. 

’) Rille: Ueber die Behandlung der Svnhilis mit .Imlmmk- 
silberhämol. Archiv für Dermatologie und Svphilis. B l. .U. 

s ) L u s t g a r t c n: Ein neues Quecksilberpräparat. Wiener 
medizinische Wochenschrift. 1.HN4. No. 11-14. 

fl ) Boss S. : Die Behandlung der Svphilis mit Mergal. einem 
neuen Antiluetikum. Medizin. Klinik, 1906, No. MK 


Mergal in die 'I lierapic cmgcf.firtc und \ on der JumivJun 
Fabrik R i e d e I - Merlin bergest*. Ü'.e dioNiUfc Qut vksdber- 
o\\d. lifiss glaubt, dass das i.JikAn Tcmw uJuTtt dein 
Quecksilberne dalimamuit, w efytk s i:aJi \ m ! imJ anderen 
als die endliche Moddikam m des im <>:gai ’.mhus kremenden 
Quecksilbers an/tmelu. n ist, am i a ^ I : c m stillt. Mergal w :rd 
in elastisJun t iclatiBekapseln m den Damit! gebrav*’!; e;r-e 
Kapsel enthalt O.n.S g ch»; seines Qm vksilbt io\\J ui d 1 h 1 g 
Tannalbiu. 

Die günstigen Erfolge. w e’Jie mit diesem Präparat b.sbt r 
an verschiedenen Kliniken er Z elt wurden. \ eran ’assy n. de 
therapeutische W irksamktft de'* innu M.tttls au! «iriifd 
kliuisJier Beobachtungi u an dtm K rankt umatt nale dt r km ?\ 
zu prüfen. 

Fs wurden mit Mt rga! in dm: letzte n O Monaten J5 K # al Vt 
behandelt. IS Frauen mul lo M.in.tr; 1»> w .mi Ir.sJi fr.:; - 
zierte Personen mit l Tuberin mmgen dt r StkumLcpi: a »d-t 
l.litl hatten in >v li keine ,m t:!i:e!i"v he Kur d i: vligt rn.u lit . o kam.t p 
mit Re/idi\eii zur I b < b.u htm g. \ .t r der It’/’i n i! Patimtei: 
waren i ruher sJimu m:t ihn v ksdber K hm .!•. !: wurden. 

Was die Art der e.nzeli.» n luitOrui I r s v tu :r um gt u be¬ 
trifft. sn w urdiui bt 1 lande!t: 

I Uim.i ' a’uT fe in t f .i :i 

M ,i k nb 'M' I \ .i ::! hi■ me , '* . 

M. ikii!’ ' i 1 ' ve I \.r theme 7 

N. issende » u mt.iip.ipi m . I * . 

Papeln der Mtjn.Jsv hie mh.mt . s 

Was dm Art und Wim dtT NV.l.ka' < .p ,ir.g P;?. v.l 
erhielten die Patientin zu ILg.iu dir Kur d kapsilu tag Nh. 
dann ieden X l ag 1 Kapsel nulir. ste g< r d bs zur Iagesd *s s 

von li Kapseln und wurde du s e t.ig'.v lu Dos s b.s zu r Be¬ 

endigung der Kur kn;;.miur : .Ji ly du habt n. Bei ehm: >J; 
intermittierenden Kuren. wn es mJ:t dautEf .mkotunu, infek¬ 
tiöse Frss lieumr.gcn im-g’uhst ravli zu best.:.gen. ist es \ .ei¬ 
lt ielit zw eckmuss.ger. »uglkh nur b o >tu w k zu geben n::J d t 
Kur dafür über eine enmprtvImnd la’gtre A:t .iiis/udthver 
Ibis Mifel wurde unter m« »gN lis*t r K«»ir:r«•!.t* \«m Zahn- m d 
Mundpflege und stets i.ub dein l'sy n \ e'ab-e ,v!:!. \ .-i: 

ji eie 1 r d i fl e - Teil te 11 I.nk .1! l't !la I d ’ U li g d* f lliet;sdun Ft! 1"Tt s.y v/ v 
wurde- Abstand genommen, um tu; K.ins B.J eli r at;ss v 1; .e - 
lieh internen Qucvksilbe rw irkimg gewinnen zu k"Ui.tn. 

Fülle Heilung der einzelnen int’ Oie n F.rsJu mm.ger. unter 
dieser rein internen Therapie wurde ery ; v !ü Fe:: 

Primär.iTU ktcii muh JJJ tns .Cd l :v .<»/•* K.ip^e • 

Mak ul< >sem b vanfheme n muh du . |m . 

Papulnseii I \anthcme n ul.d-ci Pla itar- m J 

Palmarst pliilid«u , , Vt >s ^ .C" 

Mac uh '-papnhiseui I \aiither icn . |nj , d-ij 

Nassimden < icntt.dpape-lu . 11^ . -4 *■ 

Pape ln der MtirnNv hie imhatit . U s . Ug» 


In 2 F'ällen \"ii SJiR imluuts\ ph- '.dtti vertagte die Mer- 
galbeliaiieüiiug. 

Die \ ersvIm ele iibtut e!e r /ali.e ti erk'art s. v b uivht r:ur aus 
eler \ erscbiedenbt it eie r Intensität dt s u dermal gti: K ra: kheits- 
svitiptiiius. sni’ele IUI »i ik li aus dem :i d.\;d:;tul VervVe derer: 
Res**rptions\ efttiogt n de s Darnus. St )K:\e» s;.n\{'. Ji w :rd 

es sich, vor allem ln i ri/eiittii F’krankaigt ui tuimtt’uen 
wie es m diesen Fallen alle!) gtsOab e!.e IL b.iiu: ’ ; u g über 


tbis völlige Svliw imlt n dt r 

S\nip'Mme b. 

raus i.nji t : ge Zeit 

fortzusetzen. Man kaum d■ 

iiii'.u b ly !i.. i; 

’V:. dc.sc das Mt rga’ 

eine deutliche mul nulir » 

»dt r w en g. r | 

pr«m.p:e f.Micvksilber- 

Wirkung zu entfalten img 

alule ist \ ■; 

i Sv b- t l'stt n wiirJm 

makulöse I'\ant licnie btt: 

• thi.sst; Pr u , 

u'.dt'kte und ausge- 

delmtere f iemtalpapt In Zt 

’gttl! s|J| Wm 

y ' * dl 11ar:r .uk .ger. 

Papeln der Minulsv bti, .mbaut keimten a' 

!t ’.! ■ gs w .e obetl 

erwähnt m 2 balh n d 

u-vli die mtir 

ne fuha' vhu: g a 'vin 

nicht gebessert w eiihui u 
sch hisse ne Iruktioi^kur. 

!U1 Ti aga. '*t !! 

e' v t auf tu e unge¬ 

Trotz dieser w Ov llt i ia: 

:gt u Zutulir v» 

rn 1? K.-pst ’n p'o d e 

w nrde das ND rgal fast sy • 

's bt v-vbw t • d.' 

h’s vecragt i: m J Nu 

der Mi hrzahl der 1 a! ! e 1 

u ss s Ji jt i e 

Bessern- g d, s Fr- 

n.-ihrubgs/ustaudes imd (it 

. w ..brn/m 

’e k' 'pst.:' t rem N'l" 

in 4 Fallen traten in den t r 

st», n Tarn n d 

r K ur l ed’svbuuT7en 

mit leichten I harr b- .»m auf. 

d.e aber bei Y 

e" •' a ki-g der Dosis 


ooi leicoieii i na ; r i" 'i'M a u i. e..e .. Per ft i \ e■' ’ .' g t tu; " g vier l »mv.s 
bald tUKlilifsspm biue N.t re-.rt /-mg k- • • •■ . u ir me beob¬ 
achten. der Drin w .,r in .n\n 1 u b- • gm ave^ber fort- 
w äh reu dt r Kontrolle c t .s j : . j \ ,.p F a • ; <s. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 









7. Juli 1903. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1431 


Dagegen trat ziemlich häufig, etwa in einem drittel der 
Fälle Stomatitis auf, wozu Jedoch ausser dem oft etwas raschen 
Anstieg in ^ler Dosis auch wohl viel der Umstand beigetragen 
haben mag, dass bei einem grossen Teil unseres Kranken¬ 
materials, vor allem den polizeilich eingew r iesenen weiblichen 
Kranken, sich die Zähne in sehr schlechtem Zustand befanden. 
Jedoch w aren wir nie durch Nebenerscheinungen gezwungen, 
die Kur für längere Zeit zu unterbrechen, sondern es genügte, 
für einige Tage die tägliche Dosis etwas zu verringern, um bald 
mit der früheren die Kur wieder fortsetzen zu können. Aus 
einer relativ häufigen Stomatitis bei disponiertem Zahnfleisch 
auf eine besonders intensive Wirkung des betreffenden Hg- 
Präparates gegenüber dem luetischen Prozess schliessen zu 
wollen, wie es von anderer Seite 7 ) geschieht, scheint mir nicht 
gerechtfertigt. Auch ein ziemlich wenig wirksames Hg-Prä- 
parat wird wohl bei fehlender Zahn- und Mundpflege in einem 
relativ hohen Prozentsatz Mundentzündung hervorrufen 
können, abgesehen davon, dass die Resorptions- und Aus¬ 
scheidungsverhältnisse des Hg bei dem einzelnen Individuum 
von Faktoren abhängig sind, deren Details sich vorläufig 
unserer Kenntnis entziehen. 

Was die Wetterbeobachtung der mit Mergal behandelten 
Patienten, insbesondere, w^as die Art und Zeit des Auftretens 
von Rezidiven betrifft, so fehlen diesbezügliche Angaben in 
den meisten übe 1 * Mergal erschienenen Veröffentlichungen. Der 
Arbeit von Höhne 8 ) entnehme ich, dass von 41 mit Mergal 
behandelten Patienten 5 r i. e. ca. 12 Proz. während der Kur 
an neuen syphilitischen Erscheinungen erkrankten, 9, i. e. 
ca« 22 Proz. bereits kurze Zeit — 1—2 Monate nach Aussetzen 
der Behandlung — w ieder wegen eines Rezidivs in seine Be¬ 
handlung kamen. Von unseren 25 Patienten kamen 3, i. e. 
12 Proz. mit Rezidiven, 1 Woche, 7 und 16 Wochen nach Be¬ 
endigung der Kur zur Beobachtung; bei 2, i. e. 8 Proz. traten 
während der Kur frische luetische Erscheinungen auf. Im 
Folgernden seien einige kurze Angaben über die eben erwähnten 
Fälle, bei denen Rezidive auftraten, beigefügt: 

F a 11 1. S. Ch., männl. Infektion Anfang 1907. 20. XI. 07 Dia¬ 
gnose: Lues II (2. Rezidiv), Plaques der Zunge, Angina specifica. 
9. XII. nach 100 Kapseln sind alle Erscheinungen abgeheilt. 29. I. 08 
neuerdings Krankenhausaufnahme wegen zahlreicher luetischer Pla¬ 
ques der Zunge. 

F a 11 2. A. F., weibl. Ersterkrankung. 1. XII. 07 Diagnose: 
Lues II. Zahlreiche nässende Genitalpapeln. 1. I. 08 nach 226 
Kapseln keine Erscheinungen mehr. Geheilt entlassen. 1. V. 08 
Krankenhausaufnahme wegen nässender Genitalpapeln, spezifischer 
Angina und Plaques der Lippen- und Zungenschleimhaut. 

F a 11 3. M. M., weibl. Zeit der Infektion unbekannt, vielleicht 
1906. 22. I. 08 Diagnose: Lues II, papulo-krustöses Exanthem, näs¬ 

sende Genitalpapeln, spezifische Angina. 7. III. 08 nach Verbrauch 
von 298 Kapseln alle luetischen Symptome geheilt. Ende IV. 08 
Krankenhausaufnahme wegen papulo-pustulösen Exanthems und näs¬ 
sender Genitalpapeln. Pat. gibt an, die „Flecken“ seien schon 8 Tage 
nach Krankenhausaustritt von neuem aufgetreten. 

Fall 4. P. E., männl. Ersterkrankung. 28. II. 08 Diagnose: 
Lues II, maculo-papulöses Exanthem, nässende Genitalpapeln. 20. III. 
nach 192 Kapseln Papeln völlig rückgebildet, Exanthem bis auf Pig¬ 
mentflecke verschwunden. Gleichzeitig Auftreten von gruppiert 
kleinpapulösem Syphilid auf Brust und Rücken. 

F a 11 5. C. M„ weibl. Ersterkrankung. 5. II. 08 Diagnose: 
Lues II, Roseola, nässende Genitalpapeln. Nach 252 Kapseln Exan¬ 
them und Papeln vollständig verschwunden. Während der Kur Auf¬ 
treten einer luetischen Paronychie der linken Grosszehe, welche sich 
durch noch länger fortgesetzte Mergaldarreichung nicht beeinflussen 
lässt 

Wenn auch in Ausnahmefällen kurz nach Inunktionskuren 
und den gebräuchlichen Hg-Injektionsmitteln oder während 
derselben einmal Rezidive zur Beobachtung kommen, so lässt 
sich doch in Hinsicht auf die erwähnten Beobachtungen nach 
Mergalbehandlung entschieden ein höherer Prozentsatz von 
Rezidiven erkennen. Ich kann daher die Ansicht verschiedener 
Autoren 9 ), die Mergalbehandlung sei einer Inunktionskur 
oder Injektionskur ebenbürtig, nicht teilen. Deshalb scheint 


7 ) S a a 1 f e 1 d E.: Zur internen Therapie der Syphilis. Thera¬ 
peutische Monatshefte, 1907, No. 1. 

8 ) H ö h n e Fr.: Zur Behandlung der Syphilis mit Mergal. Archiv 
für Dermatologie und Syphilis, 1907, Bd. 87, Heft 3. 

9 ) Ehrmann S.: Die Behandlung der Syphilis mit Mergal. 

Dermatologisches Zentralblatt, XI, Jahrgang, No. 1. 


mir das Mergal für die erste Kur, die doch besonders energisch 
sein muss, keinesfalls empfehlensw ert zu sein. 

Während mir also Mergal zur Behandlung aller floriden, 
insbesondere der Ersterscheinungen ungeeignet erscheint, ist 
es zur Durchführung von milden intermit¬ 
tierenden Kuren im Sinne von Fournier-Neisser 
sicher ein durchaus empfehlenswertes Präparat. Zu der reiz¬ 
losen und diskreten internen Mergalbehandlung, die der Patient 
mit latenter Lues ohne Berufsstörung durchführen und leicht 
seiner Umgebung verheimlichen kann, wird er sich unter be¬ 
sonderen Verhältnissen wesentlich leichter entschlossen, als 
zu Injektionen oder zu der verräterischen unreinlichen 
Schmierkur. Sodann wird das Mergal in allen Fällen einen 
willkommenen Ersatz bilden, in denen man mit Rücksicht auf 
eventuell vorhandene andere Dermatosen oder bei besonderer 
Disposition des Patienten zu Hg-Dermatitis oder zu Infiltraten 
an der Injektionsstelle auf die Fortsetzung der Injektionen 
verzichten muss. So leistete mir Mergal in einem der Fälle 
gute Dienste, wo der Patient — von Beruf Kutscher — wegen 
seiner sitzenden Lebensweise Injektionen verweigerte, und 
wo mir Inunktionen mit Rücksicht auf eine ausgebreitete 
Psoriasis vulgaris nicht empfehlenswert erschienen. 

Ueber die Wirkungsweise des M£rgals bei tertiärer Lues 
und Erkrankungen des Zentralnervensystems stehen mir keine 
Beobachtungen zur Verfügung. 

Was endlich die Zeit und Art der Resorption und die Aus¬ 
scheidung des Mergals betrifft, so verweise ich auf die kürzlich 
erschienene Arbeit von Nagelschmidt 10 ), nach dessen 
Untersuchungen die Resorption des cholsaurcn Hg-Oxyds 
schnell erfolgt; bereits 4 Stunden nach Beginn der Kur war 
Quecksilber im Urin nachweisbar; fast ebenso schnell beginnt 
die Hg-Ausscheidung in den Fäzes, schon 9 Stunden nach Ein¬ 
nahme der ersten Kapseln. Die Ausscheidung durch den Harn 
überwog die Ausscheidung in den Fäzes, w'as für eine sehr 
vollständige Resorption spricht. Während der Kur 
nimmt die Hg-Ausscheidung allmählich zu. Was die Remanenz 
des Hg bei Mergaldarreichung anlangt, so konnte Boss schon 
3—4 Wochen nach der letzten Mergalgabe Hg im Urin nicht 
mehr nachweisen, während Nagelschmidt in einigen 
Fällen eine wesentlich längere Remanenz konstatieren konnte; 
er fand noch bis zu 4 Monaten nach der letzten Mergaldar¬ 
reichung Hg in w'ägbaren Mengen in Urin, Kot und Schweiss. 

Nachdem aber zwischen langer Remanenz eines Hg.-Prä- 
parates und langer Rezidivfreiheit ein Zusammenhang doch 
eigentlich erwartet werden darf, lässt sich unsere klinische 
Beobachtung, dass in einem grossen Prozentsatz der Fälle 
(20 Proz.!) rasche und schwere Rezidive auftraten, mit der 
angegebenen langen Remanenz des Mergals nicht recht in Ein¬ 
klang bringen. Trotzdem kann man im Hinblick 
auf die geringen Nebenerscheinungen, sowie 
besonders mit Rücksicht auf die prompte Be¬ 
seitigung der manifesten luetischen Sym¬ 
ptome behaupten, dass das Mergal bei Indika¬ 
tion einer internen Quecksilberdarreichung 
eine wertvolle Bereicherung des Arznei¬ 
schatzes darstellt. 


Ziir Entstehungsgeschichte und Behandlung der Ein¬ 
geweidebrüche. 

Von Professor Dr. Wilhelm Koch. 

II. Der Zwerchfellbruch. 

(b. 1899; c. 1900.) 

Je nachdem der Systematiker oder der vergleichende 
Anatom das Wort erhält, w erden als Ausgang des Zwerchfelles 
zwei verschiedene Zonen angegeben. 

Die Systematiker 1 ) verlegen ihn in die Seitenplatten. Wenn 
diese, am Schluss etwa der ersten Woche, bis auf eine Stelle — die 


10 ) Nagelschmidt Fr.: Ueber Quecksilberbehandlung bei Sy¬ 
philis. Dermatologische Zeitschrift, Bd. XV, Heft 3. 

*) Ausser den Lehrbüchern für Entwicklungsgeschichte und 
vergl. Anatomie: K o e 11 i k e r s Lehrbuch; H i s: Anatomie menschl. 
Embryonen 1880, Arch. f. Anatomie u. Entwicklungsgesch. 1881; 
Uskow: Arch. f. ntikrosk. Anatomie XXII, 1883; Wal de y er: 
Deutsche med. Wochensclir. X, 1881; Ravn: Arch. f. Anat. etc. 


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1 432 


MULNCHENER MEDIZINISCHE W OCI1HNSCHRIET. 


Verhiiidmigshriickc — in zwei das Coelom dnscterklciide Schichten 
zerfallen sind, dann zur ventralen Briistbauchvv and sieh umkrummen 
und in der Linea alba zusammeuwaelisen. Mit den Sciteitplatten ver¬ 
einigen sieh dann auch die Verbindiingsbrucken, entspreeliend etwa 
der späteren unteren (jrenze des Brustkorbes. zum ventral und uuer- 
vresteilten Septum transversum. Diese l’ilte steigt, gekrümmt wie die 
Mondsichel, gegen die W irbelsäule und den kucken nach hinten cmp.<r. 
ohne aber beide weiter als mit einem selmialen, mittleren, zimgen- 
fürmigen Lortsatz. zu erreichen. Aus einem solchen Dreizack echt 
das spätere Herzbeutclgckro.se und das stei no-kostale. das ventrale 
Zw erchfell hervor. Ls scheidet das ursprünglich emk mm er :ge 
Coclorn in Brust- und Bauchliohle. aber nur unvollständig und so, 
dass beiderseits, lateral- und dorsalwärts ovale Bfoiten ubog bleiben, 
durch w elche man sowohl in die Brust, a's auch m den B nich ge¬ 
langen kann. Lrst später sch Dessen sich auch diese beiden I Morten, 
durch Wucherungen des Septum transversum zum Dnfsum hm. dm eh 
die Portio vertebralis und lumbalis, das dorsale Zwerchtell. 

Die Vergleichenden hin^evren ereilen, das Zw ei eine I vcrstainl- 
lich zu machen, auf das Prgekrose der \ ertebi aten' zuniek und 
leiten letzteres von der lirvene, der Vena subnitest.nahs ab. welche 
später in zwei hintere Rumpf- oder Kardinalveilen und m zwei Dutm- 
v eilen zerfiel. Dieses Prgekrose w ar ein mcPiuii-sagittn'cs < Vn teu> 
gekiose), wahrscheinlich immer unvollständig. und schloss den bi- 
darm, in seiner rechten Seitenplatte auch die Leber e.n. aus welcher 
ebenso wie aus Niere, Milz und Lunten neue t iekrosiaiten sich ent¬ 
wickelten. So erstand im Kopfteil des emlit .t’ichcu, aber vn 
der Wirbelsäule zum Bauch lim septierten Coelom das I * it iebri- 
gekröse. Ich setze es hier, wo es mir auf RiPahriicu aukomait. 
dem Septum transversum ohne Muskeln gleich und Inge li.nzu. <1 i^s 
auf (irund dieses Zusammenhanges aueli du* nbttleie I *a ts.it/ des 
Septum transversum zur Wirbelsäule hm verstau llkli v. ml. den die 
Systematiker gar nicht erklären können. An dis ihiki de Dikinse, 
das also ventrale Zwerchfell, schloss später das d »isaie m Wiuhe- 
Iungen wahrscheinlich ebenso von der seit lel.e.i l.c.besw md. w ,e 
von der Peripherie der Leber. Lunge und Mlz. Mar wie am Dum 
hat also die oiitogcnetische Arbeit, bebm-dei t dmch d ts mmj apie 
niensehliclie Material, den Sachverhalt in seinem ganzen Lmiaiige 
nicht klarz.ulegen vermocht, vvolil auch die Beziehungen des M. io.lns 
abdominis zum Zvverelifell ausser aclit gelassen. Sie fand nur dis 
muskulöse, nicht auch das seröse Zwerchlell, trug also auch ilnei- 
seits dazu bei, dass die Klinik den richtigen Weg u;c!it linden k mute. 

Das andere, was liier die Analyse erseliweit. ist der l in¬ 
stand, dass die allerverschiedcnstcn (iestaltimgcn als Xwcrcli- 
fellhrueh ausgegeben wurden, ohne aber, ausgenommen die 
grösseren linksseitigen hell Ist eiten und die legitimen Eormm: i, 
auch nur cinigermasscn verständlich beschrieben zu werden. 

(ileieli bei der ersten Variante des Zw erelifellbnielies der 
Autoren gelegentlich deren vom Zwerchfell überhaupt 
nichts dagewesen sein soll, tritt dieses zu tage, hehlte in der 
'Lat alles, da doch [Lärm. Leber, Nieren und Lungen vorhanden 
waren? oder waren nicht wenigstens Andeutungen des Ilerz- 
beutelleberdarnigekröses nachweislich? Wie die Dinge soll 
auch gestalteten, dieser Komplex ist so selten, dass ich ilm 
zji übergehen das Recht hätte, würde nicht gerade er auf die 
Aetiologie besonders helles l icht werfen. Denn wenn ich v un 
Zwerchfell gar nichts oder nicht viel und ebensowenig Dok¬ 
toren ermitteln kann, die es zerstörten, darf ich nicht sagen, 
es sei dagewesen, durch krankhafte Zustände aller wieder weg¬ 
geschafft worden. Ich muss vielmehr die Anlage in s ,| p 
einem Lall überhaupt bestreiten; nicht das Zwerchfell, sondern 
allein das einheitliche Coelom wurde geschaffen und mit ihm 
eine Einrichtung, welche hei niederen Tieren die geset/onissue 
ist. Ungleich häufiger wird der Ausfall der linken Hälfte des 
Zwerchfells als Bruch bezeichnet, trotzdem dann etwas dem 
Bruchsack ähnliches durchaus und jedesmal fehlt. Die hier 
massgebenden anatomischen Verhältnisse kennen wir seit ge¬ 
raumer Zeit, doch zeigt ihr Extrem am deutlichsten eine neuere 


LSS9 mit Suppkan. sind einziisehen: *Balfour: vergib Lmbrv-ob»gx. 
deutsch von Vetter: ‘■‘Paul Mever: Mitt. d. zool. St.in »p m 
Neapel VII; (ioette: Lnt\v.-< iescliiehte der Luke (Leipzig |s~s) und 
Llussneiinauge (Hamburg ti. Leipzig IS9.il; Hochstetten Morph, 
.lahrb. XIII, INNS und Anatom. Anzeiger isss; Kla lisch: Morph, 
dahrb. X VI f I. I s ( >_?; 'Mi. Tos: Atti della r. Ac id. deüc sc. di 'I "mnv. 
Vol. 29, IN9-L c B e r t e I I i: A ich. p. I. sc. mediehe. \ «»!. |ö. und 
Monitore zoolog. italian.. Amio IX. No. |o. |sus; Manier: 
Mandb. d. vergl. u. evper. Lutw icklungsU-Iire, b. s. I.t• f.. |ö »_>; 
■'v. (ioessuitz: Sem«» ns zool. LorscliimgsreSe. Md. IV I<m| i>ii l 
den. Zeitsehr. f. Naturvv.. ds. Bd.. |9n.i; hier =o I l alle v »n Lim h toii- 
niatisehern) Zw erehfellbruch und die Notiz, .dass in denn auf I" 7"«i 

menschl. Sektionen H Zw erehfellbi liehe (.-<»: I.. gekomm« n < n.|. 

Damit wären die statistischen Aufnahmen der mecklenburg.. Aei/tc 
über Häufigkeit der Spina bifida zu vergl. 


Beobachtung S c li w albes-). Loks L'ia der g ■ Mi 
der Pars c »Malis, C in grosser I eil vLs Cemram ic: 1 ■: 

etwa die Hallte der Pars Ihm b.i'.s; v In 1 - ks m:os% ' 
förmiger Rest auf die Pars s*. rn iP*. e o n t m.:-:*. n Io. 
schädelw arts geruhteter W aSl dt r m .t’ohcn Pootvo 
die Ansat/steüe der Pos c« stal.s ! . .• wcuRn 

griffen cndluli b rtsat/c der m-o s. w e d. s V» ^kcN v 
rechten Begrenzung dis De u \\ s i >- .nt d ^ * p- m 
Her/beiitclgi kr«»M hinüber. >t ll'Sa d. * .1 vm.'v:’ - .Li 
Befund w < der d.e emgflfgs aiu-.-h na *• m. kam. c r\ 
memlen W endungen und cm; rc.'o mPa. w i I .io" 
McJiaiiik.i mul Patin b.g.s.t. s :oL ra vv idio.a: | it I 
Hingen der \ eigiuvbaag. u ae. we'.'ie b '•.ou d •' 
ZwerJiiv!!. welches d e Bipsdi-Vc imtd.Pit g.gi " .! , 1 
holde alis Ji!:esst. allgenu ,n gesp*. J-e-y \:o .0 du > 

und des Meuvlien ist. J i»s d.u. gui :m \:>\ ..i i /a 
zuvorderst *1 ciSnukc d r >,L .di vv ?od ri de » -v' 
treten. \i»n der gerne t - oiu a I i bv e tu:.: ^ o. : 
bei l‘isJicu allem dir He'/Ia ab. S; i’er h.’i 
anderem bei RepLlon. an d.i'i u i. Pi 1 c Po M ^ 

heran, trat ansv^Üil.e^sL Ji m.t dem \ v *r » i : I v du i 

li« li’e, uobt mit di m Pmomi /a ve r w ido : l t a - 

j l.iuke Sv’i'.esst erst ''".per m v Mur skz if-.r \\ i 
ib rsale /wer^bRIL l etzte' s jvt A » . d r : * \ 

| jut'.gste AbsJimt! des /wcrPitPLs uod n .Ld:> d. * 

, seitigell ineiisv hlu lu n I U t kle b »be oh J.o.iat a 
j m.Kheil. da^s d e Sun d 1 g m Bt m; d P : o h !o i o 

aul einer Seite sj Ji \. i 1 ; iti.i'. a o dm :i mm o d . 

( Ine:bei! kann, s . o t n k>Le r w v •>'. ^ ’o i o m ■ 

I tiiie'l «un bell, den Sao' «rn < I Ji'-i o) ^ Po '. . v, ' • v. ' 
Vv P . bell allem die f ePl\ I I "e •.!* > / •' . U 1 ’P 's ^ P: i 

links hingegen Brust- h - I I• mP*:: : e o » * . v\ . t 

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au! Zeri'imgin nid gc w i'*v ,-i ^ \ i i s.’ I • I . 

Itrul’e'ider L'tkn teil 1'eM na v er dv ’l. W e . s '< L ' l - 
neueste Zeit und selbst v :i dooo .r a* •• . •: w • t 
den vet gkoPieiid en! ; W k':i:-gsgi PoP”' b t -« >*e ' ; 
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tungen, wenfäStens der Ibust- tied P. -P; U ''o tLL - 
■ H« Put nid iles ZwerPifPL s m ?. d a H o-o 1 . dis f 
ovale, etwaige LnJter an Cemruai !i" ' :o d v 1 . 
Lappung der Lungen, d* ’e". s L m • n- .• d i ' d '. 
niedrig zu bew ertende I' r:rui di r I - o ’ • I N . 

sind niemer Meinung r ob Duc. vv» 'Po P - • * LN Vv 
tilieii v n. b w : -.-det finden ne '• i ’g >’ .• 1 • • - | \ 1 ' 

e-itfirutu'er ,.M osbild mgi n \ < ..je' • • / •- L. 

ba'i 1 i. \ erd. ■«iu•!rc11 < L dem. d. r H s. v . * 

Pr P' a.UühJi pob' Io h ;:••’!» !» ,j 

Mvr ob beb inp'e vv i ' r : b 

Hin! i s ’e n \ 1 b i;' e n. d i s ■ i >> k i ‘o s \». . ^ ■ fl •: 

deutet, wenn waliie'td der t : otw.pP ■ ^ v . ■ ^ * 

•1 M- r a' c >d:i \ ' 1 o- < I s- , - . 

2. Heit, D'-s. 

■) Mmoii. mal. \\ o,M r.sP o D -"*. N 1 


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7. Juli 1908. 


MÜENCHENER 1 MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1433 


und legitime Fehlstellen des menschlichen Zwerchfells auf das 
spätere Leben übernommen werden. Denn ich finde nicht ein 
einziges Kriterium für solch eine hemmende Kraft und bin zu¬ 
zugeben ausser stände, es sei diese Kraft, nachdem sie ihr Werk 
getan, wieder verschwunden, wie es rücksichts gewisser Fal¬ 
tungen, Bänder und Membranen des Bauchfelles gelehrt wurde 
und bis auf den heutigen Tag gelehrt wird (c. S. 72). Ich 
frage also, wie lässt es sich beweisen, dass im Fall z. B. 
allein des Parietalgekröses auch das dorsale Zwerchfell inten¬ 
diert wurde? Bis der Beweis anderen gelungen sein wird, 
nehme ich den entgegengesetzten Standpunkt ein und lehre: 
Bestimmung solch eines Zwerchfelles sei von Anfang an ge¬ 
wesen, Stückwerk im Sinne des tierischen zu bleiben, sintemal 
es auch in dieser niederen Form seinen Zweck erfüllt, wie die 
Erfahrung zeigt, das Leben des Besitzers durchschnittlich nicht 
gefährdet. 

Für die zahlreichen noch übrigen Defekte des Zwerchfelles 
andere Gründe als die angegebenen ausfindig zu machen, dürfte 
ein aussichtsloses Unternehmen sein. Ich beschränke mich 
deshalb darauf, diese Reste aufzuzählen, zumal ich die in Frage 
kommenden tierischen Parallelen speziell anzugeben ausser 
stände bin, 

v. G o e s s n i t z hat gezeigt, dass auf Fehlstellen vom Um¬ 
fange der Schwalb eschen immer kleinere folgen, bis schliess¬ 
lich ein winziger Spalt an der Wirbelsäule, zwischen Pars lum- 
balis und costalis, das Bochdalecksehe Dreieck übrig 
bleibt. Die Grösse der Teilstücke, welche auf die Pars costalis, 
himbalis und auf das Zentrum zurückzubeziehen sind, schwankt 
also im Einzelfalle ganz erheblich und viel werden von dieser 
Gruppe die Zustände, welche man bisher als Spalten zwischen 
Pars sternalis, costalis und himbalis angesehen hat, wahr¬ 
scheinlich nicht sich unterscheiden. 

Wieder anderes stellt hingegen die Vergrösserung der legi¬ 
timen Durchtrittsöffnungen, des Foramen oesophageum und 
sympathicum vor, wobei angedeutet werden muss, dass in 
ihrem Falle wie im Fall der Spalten, die Pleura vollständig sein 
und das Bauchfell als Haube in den Brustraum hineingestülpt 
sein kann, endlich dass bei den gleichen kleineren Fehlstellen 
so einschneidende Aenderungen des Situs, wie ich sie vorhin 
beschrieb, durchaus nicht notwendig erscheinen. Eigenes und 
natürlich ebenfalls kein Bruch ist dann die sogen. Eventration, 
der unter Umständen halbseitige Hochstand eines dünnen 
Zwerchfelles und ein Oberflächenrelief, in welchem sich die 
unterfütternden Darmschlingen ausprägen. Ich wenigstens be¬ 
trachte alle diese „individuellen Schwankungen“ nicht als Folge 
der Bauchpresse und von Krankheiten, sondern als Zeichen 
dessen, dass Lage und Gestalt auch des menschlichen Zwerch¬ 
felles an einen einzigen und eigenen Typus durchaus nicht ge¬ 
bunden sind. Die äusserste Vorsicht ist endlich noch den 
rechtsseitigen Fehlstellen gegenüber am Platze. Zwar wird 
man die kleineren derselben nicht bestreiten dürfen, den Aus¬ 
fall der ganzen rechten Hälfte aber, ohne dass Leber, Darm und 
deren Gekröse auf allerniedrigster Stufe geblieben sind, kaum 
sich vorstellen können. Da hiervon nichts erwähnt wird, war 
vielleicht nur der Muskel in Wegfall gekommen, das seröse 
Zwerchfell aber deswegen schwer zu erkennen, weil es der 
Lunge und Leber aufs innigste sich angeschlossen hatte. Sicher 
ist ist nur, dass, wahrscheinlich gerade der Konstanz der Leber 
und Darmgekröse wegen, die rechten Fehlstellen sehr viel 
seltener als die inken sind. 

In historischer Beziehung erwähne ich, dass ich den hier vor¬ 
getragenen Gedankengang, ohne die kurze und dunkle Parallelstelle 
bei U s k o w zu kennen, im Jahre 1898 habe drucken lassen. Ich 
mag mich, als Nichtfachmann, im einzelnen geirrt, auch ungelenkig 
ansgedriiekt haben; den Punkt, auf welchen alles ankommt, spricht 
mein Schlussatz b, S. 14 klar aus: „... ich hoffe also, dass trotz 
vieler Unsicherheit im einzelnen der Grundgedanke sich wird halten 
lassen, welchen ich vortrug, dass nämlich im Zwerchfeilbruch des 
Menschen, mannigfach kombiniert und weniger in getreuer Kopie als 
in allgemeinen Umrissen, tierische Verhältnisse sich wiederholen“: 
Infolgedessen ist in Wiedersheim (vgl. Anatomie der Wirbel¬ 
tiere, 6. Aufl., 1906) zu ändern, dass dieser Gedankengang v.Goess- 
n i t z angehört, v. G. selbst behauptet das auch gar nicht, da er 
nur sagt: „... und auch ich bin, wie Paterson, der Meinung, dass 
man jenen teratologischen Werdegang im wesentlichen mit den Vor¬ 
gängen der Phylogenie und, wie wir sehen werden, auch der Onto- 

No. 27. 


■genie identifizieren kann.“ Ich hätte mich also nur mit Paterson 
(British med. Journal, II, 1888, S. 1207) auseinanderzusetzen und be- 
daure doppelt, die englische Zeitschrift auch heute nicht zur Hand zu 
haben. Uebrigens wiederholt das menschliche Zwerchfell während 
der Entwicklungszeit die tierischen Formen schon deshalb, weil es 
an der ventralen Seite früher als an der dorsalen anschliesst und 
seine Portionen anfangs nicht so. zusammengesetzt wie am Ende der 
Entwicklung erscheinen. Allerdings weiss man bis jetzt nichts über 
zeitliche Unterschiede seiner rechten und linken Hälfte, es sei denn, 
dass die Leber sehr früh in‘die Erscheinung tritt. 


Aus dem orthopädischen Institut von Dr. Stein und Dr. 

P r e i s e r in Hamburg. 

Zur Frage der Aetiologie der Spondylitis cervicalis 
deformans. 1 ) 

Von Dr. Georg Preiser. 

Die sich auf pathologisch-anatomische Untersuchungen 
stützenden Arbeiten der letzten Jahre von Eugen Fraenkel, 
Simmonds, W. Anschütz, Beneke u. a. 2 ) haben ge¬ 
zeigt, dass sich eine Scheidung der Wirbelsäulenversteifung 
in einen Bechterewschen Typus einerseits, einen 
Strümpell-Pierre Marieschen andererseits nicht 
aufrecht erhalten lässt, dass aber auf Grund pathologisch¬ 
anatomischer Befunde doch eine Einteilung in 2 grosse Grup¬ 
pen berechtigt ist, zwischen denen allerdings Uebergänge, resp. 
Aehnlichkerten bestehen, nämlich in 

1. die ankylosierende Arthritis der Wir¬ 
belsäule und 

2. die deformierende Spondylitis. 

Die ankylosierende Arthritis oder Spondylitis ankylopoetica 
befällt primär vor allem die Gelenke zwischen den Processus 
articulares. Der Gelenkknorpel geht zu gründe und es tritt 
eine ossale Ankylose in diesen Gelenken ein; auch die Rippen¬ 
wirbelgelenke werden ergriffen, während die Form der 
Wirbelkörper im ganzen erhalten bleibt. 

Bei der Spondylitis deformans tritt dagegen vor allem eine 
Deformierung der Wirbelkörper ein; zu beiden Seiten der 
Bandscheiben bilden sich Exostosen, welche sich schnabelartig 
nach vorn und seitlich erstrecken und, wenn sie sich treffen, 
schliesslich auch zusammenhängende Knochenbänder bilden 
können, welche meist nur auf der rechten Seite der Wirbel¬ 
säule beobachtet und als Anpassungserscheinung an die ver¬ 
änderten statischen Verhältnisse aufgefasst werden. Nach der 
Anschauung zahlreicher Autoren ist die Spondylitis deformans 
auf eine primäre Erkrankung der Zwischen- 
wirbelscheiben zurückzuführen. Nur selten findet sich 
bei ihr die für die Spondylitis ankylopoetica charakteristische 
Ankylosierung der kleinen Gelenke; da wo sie sich findet, lässt 
sich am mazerierten Präparat meist noch ein Rest eines Ge¬ 
lenkspaltes nach weisen, während das frische Präparat den Ein¬ 
druck einer völligen Ankylose machen kann. BeiderSpon- 
dylitis deformans wird vor allem die Lenden- 
und Brustwirbelsäule, meist erst später die 
HalswirbelsäulevondempathologischenPro- 
zess ergriffen. 

In den ersten Anfängen wird die Krankheit verhältnis¬ 
mässig selten beobachtet, bezw. wird sehr selten die richtige 
Diagnose gestellt; ebenso herrscht über die ersten Symptome 
und die Aetiologie der Spondylitis deformans noch Unklarheit, 
so dass ich es wage, einen Fall zur weiteren Kenntnis zu 
bringen, der noch im Beginn der Erkrankung steht und eine 
interessante ätiologische Seite hat. 

Ein jetzt 54 jähriger Kaufmann, der vor 30 Jahren eine Lues 
durchgemacht hat, erkrankte vor 3 Jahren an linksseitigen Nacken¬ 
schmerzen, die von verschiedenen Aerzten als rheumatische Muskel¬ 
schmerzen aufgefasst wurden. Deshalb trat er auch in unsere Be¬ 
handlung. Unsere Diagnose lautete ebenfalls „Muskelrheumatismus“. 
Nach einigen Tagen fiel uns nun während einer Massagesitzung auf, 
dass bei bestimmten Bewegungen, besonders beim Neigen des Kopies 


*) Demonstration am 25. Februar 1908 in der Biologischen Ab¬ 
teilung des Aerztlichen Vereins in Hamburg. 

2 ) Ausführliche Literaturangaben wolle man bei Simmondg, 
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. VII, Fraen¬ 
kel, diese Zeitschrift, Bd. VII und XI und Anschütz, Mitteilungen 
aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie, Bd. VIII suchen. 

a 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRlPt. 


No. 21 . 


UM 


nach vorne links Krepitation auftrat, so dass wir eine Vs ii beisaulcu- 
erkrankung vermuteten und dadurch zu mehreren Rontgcnaufmdmicn 
veranlasst wurden. Die Scitenaufnalimc ergab eine typische De¬ 
formierung des 4. bis 6. Halswirbelkörpers (Skizze 2), also zw ei¬ 
fellos eine Spondylitis deformans cervicalis. In 
den Aufnahmen sagittaler Richtung zeigte sich eine links seitige, 
anscheinend der Gegend des Processus articularis entsprechende 




Skizze 2 . 


deiiciiigang hinten eine SJmuimg. die. wie auvli tm Spckiikm. c c 
Botin» \aginabs und was \«>n der /e r\ivhuh.c zu schul ist, rat 
dicken diphtheritischeil, teilweise g.mgr mioscn Bel.ig bedeckt ist l"i 
Uterus linden skIi buchst ubeiriecltende a.tue B.utgerit; risch In 



- Temperatur. 

X Scrviminjektiori. 


Knochenspange, die sich vom 4. bis 6. Halswirbel erstreckt (Skizze 1). 
W'ährend die rechte Seite der betr. Halswirbel normal ist, ein 
Verhalten, dessen Gegenteil man bei Spondylitis deformans zu sehen 
gewöhnt ist. Aber auch noch dadurch ist der Pall ein ausserge- 
W'öhnlichcr, dass die Lenden- und Brustwirbelsäule, die doch sonst am 
ersten und schwersten erkranken, bis jetzt völlig frei geblieben zu 
sein scheint. Und von der Halswirbelsäule ist auch nur der 4. Ins 
b. Halswirbel erkrankt; nur diese weisen eine Hohenabnahme (Skizze 
1) gegenüber dem 3. und 7. Halswirbel auf. die auch m SeitenansiJit 
(Skizze 2 ) ihre normale Form bewahrt haben. Ob wir m der seit¬ 
lichen Knochenspange (Skizze 1) in diesem Palle eine sonst bei Spon¬ 
dylitis deformans nur seltene Verknöcherung der Processus arti- 
culares zu erblicken haben, mochte ich nach dem Rontgenbilde allein 
nicht entscheiden. 

Da die Knochenspangenbildung nach Heneke der Ausdruck 
der „Anpassung der Wirbelform und -Struktur an die veränderten 
Belastungsmomente“ ist, so forschte ich nach einer besonders schädi¬ 
genden Ursache, die gerade die Halswirbelsäule hetmiun haben 
müsste. Ich glaube nun eine solche gefunden zu haben: Der Patient 
ist eifriger Violinist und muss beim (ieigenspiel stets den Kopf nach 
links vorn neigen. ‘ Hierbei müssen die Bandscheiben gerade dort 
stark gequetscht werden und diesen chronischen Insult haben sie 
dann mit der vorliegenden Deformierung und Km'clienspaii '.etibiKltitici 
beantwortet. 

Mein E a I 1 s c li eint di e A n s i e fi t derer zu st ii t - 
z e ii, die dem T r a u m a, das selbstredend nicht 
i m m e r in einer ei n m a 1 i g e n s c h ä d I i c Ii e n E i n - 
w i r k u ii g b e s t e li e n m n ss, in der A e t i n I o g i e d e r 
Spondylitis deformans ei n e Rolle z n w e i s e n 
wollen. 

Interessant ist auch an ihm, dass die Prktankimg sich sub¬ 
jektiv mit Schmerzen in den Nacken- und den Supraspiiial- 
muskeln des Schulterblattes kimdgcgebcii batte, emliergeheiid 
mit leieher Spannung der betr. Muskeln (Spasmus?), so dass 
eine Verwechslung mit reinem Miiskelrlicumatismus sehr 
nahe lag. 


Zur Serumbehandlung des Puerperalfiebers. 

Beitrag zum Aufsatz von Dr, Alb. Müller m No. 20 
dieser Wochenschrift. 

Von Dr. R. v. Fcllcnberg in Bern. 

Die Erfahrungen des Herrn Dr. Müller über die Serum¬ 
behandlung des Puerperalfiebers, sowie die geringe Einigkeit, 
die über ihren Wert noch herrscht, rechtfertigen die Veröffent¬ 
lichung einzelner Fälle, in der Hoffnung, einem späteren Ncu- 
bearbeitcr der Frage möglichst viel Material an die Hand zu 
geben. So sei mir denn auch erlaubt, einen Fall von günstigem 
Erfolge des Streptokokkenserums bei Wochenbettfieber zu be¬ 
richten, den ich letztes Jahr zu beobachten Gelegenheit hatte; 

Am 9. Januar 19(17 wurde icli durch die Hebamme R. zu einer 
Wöchnerin B gerufen, die am 6. Januar zum eisten Male spontan 
geboren hatte. Sie soll ziemlich viel Blut verloren haben. Seit 
vorgestern, also 7. L, hat sie Temperatiirsteigerung. Bei der 
Untersuchung findet sich eine blasse, eher schwächliche I ran mit 
lemperatur 38,4, Puls 110. Der Uterus ist über der Svmphvse zu 
fühlen. Bei der inneren Untersuchung zeigt sich vorerst am Schei- 


wud eine Utcrusspi.ltibg mit I.\ V4»»rm gen.uht. n.uh Auv .r,«:::ur £ 
der Gerinnsel mit dem 1 mgcr. eine 1 :vi ,ih und 1 xtraB se^u 
cornut. ilmd 3 ■ 2o lr<»pfen t.»g iJi x ena n.r-e t. 

Am NaJmiiUag desselben I ages steigt d;e l empe:utur aut 8*'.l. 
Puls 144. Fs wud soii.ft eine Irnckti-.u x-n lo Vv -n p vw ."Mi 
S t r e p t o k o k k e n s e r u m s aus dem Ikriur 1: I .r I :■ 

forschung der Inickftwpvkra::khe.teil unter d;c B.uK.'b'nut geimu'* 

Am naehsten Morgen. I". I.. wird wieder eine l U r uss;< .-.mg x..r- 
genommen, x«»rhcr aber aus der /eoi\ Se kret tr.t:; •:v.::,ni und /r 
Diagnose dem genannten Institut emo s.mdt il'.c 1 »ing : 1 -sc iaute: 
auf Reinkultur xmi SU ept< «m kkt n. I leifer wird e e zw e tc In¬ 
jektion X o 11 S C r ll lll \ "t ge in • .nie ll. lerne! InKt. .i-K-t.i s 


lä Ir opteii taghell \U" 

»r dnet. 




11. 

.I.iiiii.if. 1 ule r st.^ iaiiig w ic 

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her. !m% 

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12. 

1. Beh.ind urig 

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li; * in ! e k t t o 11 I >:v 

I Je läge* 

auf Portn» und 1 

e ui\ a su:d w v i'i, 

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18. 

I. \N le ge Sie r ll 

Mut \ U'm.i!;; 

’ .e il 

1 r l te 'u 

issp K 1 m S [' e • 

k u 1 um sieht ma n 

vl e u t ; i s 

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I' lt t M e r I..; i S s V 1 J1 

m c m b 

! a n o s c n B e 

1 a g c zu 1 

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i zell 

1 . . e S s v I!, 5 S i‘ • 

r u m i n 

J c k t M» n. 





11. 

1. Spülung, Io 

dlinktur und 

h. 

> e r u : 

:. i n e k l i o n | >;c 

Bcia gc 

habe m eitle l ge stiiid ausst. t u, 

M 

t |- ,|: , .i 

t - ns* ,u ’ e 1 hat.* ge - 

Ulile lit. 






15. 

1. Wie gestern. auJi t.».; 

o h 

ii- < h S 

,i w .nn ' e • .e.:t ,v s 

Rektum 

7. Sei u Iti i ii 

' e k t l «• tl 




ll». 

1. >crum foite 

;e hiss», n. >; 

■ . m 

:g und 

1 • fT.eg 11.r rv s. !i *e - 


macht. Tempi t .mii 87.5, |‘n\ P»I 

17. I. Da heute M<t ccm 1 e m;*e r.itur 87. \ Puls sj |s». w . ■ d d c 
l ’terusspuliu-ig sowie die I isbi.ise w e n. 1 tm in-vh we %%.? 

gegeben, sow ie lu nh r s|u; imge n. 

ls. 1. stieg die I einjK r.itur n ^‘n.n .ils an a.;l '’Ö. | *\f\ \ ln l';c 
Ulsache war aber hur eine I "J' ll !iw , :.,i :;r.: \-u t"d sHfl 1 age, 

19. |. wird de sh.ilh imk h eine l -mg ge m.K 'n.t. w or.nil 

die lemperatur de’imliv sirmt und i,.t I ’at. an 22 I. ans vier Be- 
haiiellung entlassen werden kann. 

Die I ’at. Zeigte su Ii jiojü; a's am 12. le'n.af zur k c 

Alles m (bdming. nur die I Luk h !e v k e n etwas ! y n ss Br 

Sah ii ll sie nochmals l in \ :it.mg dieses LP 'es in b ’u'W'er «;e- 
simdlieit und völlig ar beitM.P.ig. 

\\ ir mussen liier vor allem festMcikn. d.-ms e s s : J] um e.nc 
Endometritis piierperalis strepb k og k.i handelt. a’sn e m La!., 
wo sieb ausser dem Endometrium Xet\i\. \ ag.ua tu d Nalxa 
keine weiteren Lokalisatione n im Körper der P.f.eufm f* de n. 
Also ein Fall, der für die Se rumthe r.ip;e von vnrrlure;:: gün¬ 
stige Aussichten bot. Die Infektion war ilmli n Jit ab; d e 
Temperatiirsteigeriingcu haften I .• läge gcd.mc't. .Es d e Be¬ 
handlung begann. Sobald uh d.e nie mhfat:--sen Beb-gc aal 
Portio und Vulva sali, so war die Ir.d.kat.on ,.>t:e pf"se'um“ 
gegeben, da nach \\ a I t h a r d diese de rbei:. \u:'^',dkn 
Psciidomcmbrancn meist durch Stre ptokokke :: Nda'gf d. 
Deshalb brauchte mJiI erst die hakte r:oh Diag:«.s t - , t b- 

gew artet werden. 

Daneben bin ich allerdings der NU. na: g. dass unm s. v h 
nicht auf die Infektion von Serum bes^lB.mk: u darf. s.-ndem 
am Anfang der P»e hand'iing m i e d e m E alle die P f i i c lt t 
li a t, den Uterus a u s z u t a s ty n •:* d irgend wekker: 
patbolngisJlen Inhalt ZU ei.ffemen. I be De!cb r . ea e I-:'ek*i..r 


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7. Juli ]0ö& 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1435 


einzuschleppen, verschwindet bei Gebrauch von Gummihand¬ 
schuhen gegenüber dem Verderben, das darin liegt, Nährboden¬ 
material wie Blutgerinnsel, Plazentarreste usw. in der Uterus¬ 
höhle zu belassen. (Ich renne hier keine offenen Türen ein, 
wenn ich dies betone, denn es ist mir in den letzten 2 Jahren 
zweimal vorgekommen, dass Aerzte sich bei Fieber im 
Wochenbett scheuten, einzugehen, in der Furcht, etwas zu 
\ erderben. Beide Male fanden sich dann doch Plazentarreste 
in utero und nach deren Entfernung trat rascher Fieberabfall 
und Genesung ein.) 

Ferner bin ich Anhänger von Uterusspülungen im Anfang 
und glaube, dass man dadurch das Sekret aus der Höhlen¬ 
wunde am besten regelmässig und gründlich wegschafft. 
Ergotin in mittleren Gaben (3—4 mal täglich 20 Tropfen) um 
durch kräftige Kontraktion der Muskulatur ein Durchwandern 
der Infektion zu verhindern. Endlich wurde hier noch Jod¬ 
tinktur injiziert und die Frau mit wiederholten Kochsalzein- 
läufen ins Rektum sowie Digitalistinktur auf der Höhe zu er¬ 
halten gesucht. Die Rektaleingiessungen ersetzen in der 
Privatpraxis in solchen Fällen völlig die subkutanen Infusionen. 

— Was den Verlauf anlangt, so glaube ich trotz aller nebenbei 
angewandten Massnahmen, dass das Hauptverdienst an der 
prompten Heilung dem Streptokokkenserum zukommt. Be¬ 
sonders auffällig war die unter meinen Augen sich 
vollziehende Reinigung der belegten Ge¬ 
schwüre durch Verflüssigung der Pseudo¬ 
niem b r a n e n. Ich glaube nicht, dass dies der Jodtinktur 
zuzuschreiben ist, da diese Verflüssigung Hand in Hand ging 
mit dem Abfall der Temperatur und der Besserung des All¬ 
gemeinbefindens. 

Die Art und Weise, wie die Verflüssigung vor sich ging, 
drängte einem die Ueberzeugung förmlich auf, dass dies die 
Folge eines von der Tiefe des Gewebes aus und nicht von der 
Oberfläche aus wirkenden Agens sei. 

Ein Haupterfordernis bei der Serumtherapie der Puerperal¬ 
infektion ist sicher, wie dies auch Müller erwähnt, das 
frühzeitige Einsetzen der Therapie und das Fehlen von 
Lokalisationen im Körper ausserhalb des Genitalschlauches. 
Was das Serum des hiesigen Institutes zur Erforschung der 
Infektionskrankheiten anbetrifft, so ist auch dieses ein poly¬ 
valentes Serum, das steril aufgefangen und ohne Karbolzusatz 
in Glasröhrchen eingeschmolzen, verkauft wird. Jedes Glas¬ 
röhrchen enthält ca. 10 ccm Serum = 1000 A.-E. (Antitoxin¬ 
einheiten). 

Im übrigen kann ich den Ausführungen des Herrn Dr. 
Müller nur beistimmen, sie bestätigen die Erfahrungen, die 
ich seinerzeit als Assistenzarzt an der Berner Frauenklinik 
mit der Serumtherapie der Puerperalerkrankungen machte, und 
deren Publikation mir hier nicht zusteht. 

Ein neues Keuchhustenmittel. 

Von Dr. Walther Kaupe, Spezialarzt für Kinderkrank¬ 
heiten in Bonn. 

Die Zahl der gegen Pertussis empfohlenen Mittel ist Legion 
und gerade der Umstand, dass immer wieder neue auftauchen, 
ist der beste Beweis für die Unzulänglichkeit. Die einen sollen 
gegen die zwar noch nicht gefundenen, als ätiologischer Faktor 
wohl unbedingt in Frage kommenden, spezifisch-pathogenen 
Mikroorganismen zu Felde ziehen, die anderen sollen mehr 
symptomatisch als Narkotika und als Expektorantia wirken. 
Von all den vielen Mitteln — um nur einige zu erwähnen, sei 
an die Inhalation von Lignosulfit, Thymol, Naphthalin, Zypres¬ 
se nöl, an die Einblasungen von Borsäure, Natrium sozojodoli- 
cum, Orthoform, an die innere Darreichung von Kodein, Bel¬ 
ladonna, Morphium, Pertussin, Bromoform, Veronal erinnert 

— hat Sich bis heute im Grunde doch nur das von Ungar 
empfohlene Chinin mit seinen fast geschmacklosen Abkömm¬ 
lingen halten können. Es kann aber nicht verschwiegen 
werden, dass uns auch diese vortreffliche Medikation in einigen 
Fällen im Stiche lässt. 

Gelegentlich einer Pertussisepidemie wandte ich in 
\ mehreren Fällen , denen ich machtlos gegenüberstand und, wie 
i ich offen gestehe , ut aliquid fieri videatur, ein mir damals zu¬ 
fällig als Muster zugesandtes Dialysat der Herba Thymi und 


Pinguiculae an. Die erstgenannte Pflanze, der Thymian, wurde 
früher nicht selten zu Heilzwecken benutzt, letztere, die Pin- 
guicula alpina und Pinguicula vulgaris, das Alpen- beziehungs¬ 
weise blaue Fettkraut, kommt besonders in den Alpen bis zu 
einer Höhe von 2200 Meter vor. Das Dialysat des Fettkrauts 
soll nach Angabe der Fabrik ein proteolytisches Ferment ent¬ 
halten. 

Meine anfänglichen Versuche zeitigten derartig günstige 
Resultate, dass ich das Medikament bald stets bei der Be¬ 
handlung des Keuchhustens in Anwendung brachte. So waren 
besonders bei den Kindern zweier Kollegen, nachdem die seit¬ 
herige Therapie fehlgeschlagen hatte, der Erfolg unter der ge¬ 
nauen Beobachtung der Väter so eklatant, dass der Vater des 
einen Kindes von einer „Heilung mit einem Schlage“ sprach. 
Nun, wenn wir auch nicht stets ebenso erfreuliche und rasche 
Resultate der Darreichung unseres Dialysats erzielen, so waren 
diese aber in einigen 60 von mir beobachteten Keuchhusten¬ 
fällen so günstig, dass ich nur dringend raten kann, das oben 
benannte Mittel anzuwenden. Ich fand, dass es bei beginnen¬ 
dem Leiden gar nicht zum rechten Ausbruch kam, dass das 
spasmodische Stadium ausblieb und dass in ausgebildeten 
Fällen von Pertussis die Anfälle bald — schon nach 1—2 Tagen 
— seltener und vor allem bedeutend leichter wurden. Das 
Erbrechen setzte meist schnell aus und das Konvulsivische des 
Hustens machte bald einem leichten, dem Bronchitistypus ähn¬ 
lichen Platz. Die Dauer der ganzen Krankheit schien ebenfalls 
ganz erheblich abgekürzt zu werden. Wie sehr dem Publikum 
der günstige Einfluss der Therapie auffiel, ist daraus zu er¬ 
sehen, dass aus einem benachbarten Dorfe sich eine ganze 
Reihe von Müttern mit ihren keuchhustenkranken Kindern bei 
mir einstellten, lediglich weil aus diesem Orte mehrere Kinder 
durch das Dialysat schnell Heilung gefunden hatten. In nur 
2 bis 3 Fällen habe ich ein Misslingen der Kur konstatieren 
müssen. 

Ich bin mir nun sehr wohl bewusst, dass die geringe Zahl 
der von mir beobachteten Fälle noch kein abschliessendes Ur¬ 
teil gestattet und es ist eben auch nur der Zweck dieser Zeilen, 
weitere Kreise für Versuche zu interessieren. Besonders wert¬ 
voll würde in dieser Beziehung natürlich die Anwendung des 
Dialysats bei Krankenhausmaterial sein, dessen genaue Be¬ 
obachtung weit eher möglich ist und das weit mehr eine kri¬ 
tische Beurteilung gestattet, als es in der ambulanten Privat¬ 
praxis möglich. 

Das Dialysat wird von der Societö anonyme „La Zyma“ 
in Aigle (Schweiz) in den Handel gebracht und soll nach deren 
Angabe, die sich mir auch als gut erwies, folgendermassen 
dosiert werden: Kinder unter 5 Jahren erhalten morgens und 
abends nüchtern einen Tropfen in einem Esslöffel Wasser, und 
zwar bis zur Abnahme der Anfälle. In diesem Falle soll man 
auf 2—3 Tropfen (morgens und abends) steigen bis zur ein¬ 
getretenen Heilung. Sollten die Anfälle wiederkehren, so 
empfiehlt sich ein langsamer Rückgang auf wiederum 2 mal 
täglich 1 Tropfen. Bei Kranken über 5 Jahren beginne man 
mit 2 Tropfen und steige (wie oben angegeben) auf 3 bis 
4 Tropfen, ebenfalls morgens und abends. 

Die Kinder nehmen das Medikament leicht, irgendwelche 
Nebenerscheinungen habe ich bei dieser Therapie nicht be¬ 
obachtet. 

Es würde mich freuen, wenn diese Zeilen zu Nachver¬ 
suchen und weiteren Mitteilungen Anlass bieten sollten. 

Fibrolysin bei Hepatitis interstitialis. 

Von Dr. M o e r 1 i n in Greifenhagen. 

Ausgehend von der Tatsache, dass bei Hepatitis inter¬ 
stitialis die Funktion der Leber durch dem Narbengewebe ähn¬ 
liche Bindegewebsstränge gestört ist, habe ich bei einem an 
dieser Krankheit leidenden Manne einen Versuch mit Fibro¬ 
lysin gemacht. Fibrolysin ist bekanntlich ein wasserlösliches 
Thiosinaminpräparat, das, wie aus der Literatur hervorgeht, 
in grossem Umfange zur Erweichung von Narbengewebe ver¬ 
wendet wird. Ich injizierte meinem Patienten 2—3 mal die 
Woche jedesmal den Inhalt eines Gläschens ä 2,3 ccm Fibro- 
lysinlösung subkutan in die Lebergegend, und zwar mit vielem 
Erfolge. Da meines Wissens praktische Erfahrungen mit 

3* 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


14.36 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 27 . 


Fibrolysin bei dieser Krankheit bis jetzt noch nicht Vorlieben, 
glaube ich, zumal bei der sonst ungünstigen Prognose der 
Leberzirrhose, dass eine Veröffentlichung der Krankenge¬ 
schichte dieses Falles vielfach Interesse finden wird. 

Sch. in M. kommt mit Leberschrumpfung und beginnender Was¬ 
sersucht in meine Behandlung. Allgemeinbefinden sehr schlecht. 
Appetitmangels, Kraftlosigkeit, verfallenes Aussehen, graugelbe Ge¬ 
sichtsfarbe, müder Blick, schlaue <iesichts/iige. Tr< tz entsprechen¬ 
der Mittel wird Patient sehr elend und schliesslich bettlägerig krank. 
Die Leberdämpfung ist stark verkleinert und die Leber nach dem 
Magen zu schmerzhaft. Beginnende Bauchwassersucht. 

Die Darreichung von Jodkali brachte für einige läge Erleich¬ 
terung, dann versagte die Wirkung ganz. Kahnnel vermochte nur 
vermehrten Stuhlgang hervorzurufen. Nun begann ich mit den I ihm« 
lysininjektionen. Gleichzeitig gab ich Karlsbader Salz und >alz- 
säuremixtur. Die Leberfunktion wird bekanutermassen durch Karls¬ 
bader Salz wesentlich gefordert; ich habe jedoch bei alleiniger An¬ 
wendung desselben niemals einen so erheblichen f ortscfmtt m der 
Heilung gesehen, wie hier, wo das Librolvsm tatsächlich eine ganz 
ausgesprochene und rasche W irkung entfaltete. Die Sal/sauremixtur 
wurde wegen des pappigen Geschmackes im Munde gegeben. Die 
erste Eibrolysininjektion, die gut vertragen wurde, blieb ohne melk¬ 
bare Folgen. Zwei läge nach der zweiten Injektion meinte der 
Kranke, er fühle sich wohler. Objektiv war die Bauchwassersucht 
nicht mehr testzustellen. die Urinmenge vermehrt, der Main ohne 
Bodensatz. Nach der nächsten Einspritzung konnte der Patient wie¬ 
der ausser Bett sein. Appetit reger. Allgemeinbefinden besser. Eine 
Untersuchung bei der vierten Injektion ergab folgendes: Die vorher 
stark geschrumpfte Leber ist erheblich vergrnssert und unterhalb 
des Rippenrandes deutlich fühlbar; nicht mehr schmerzhaft. Dagegen 
bestehen nach Aussage des Mannes geringe, nach dem rechten 
Schulterblatte ausstrahlende Schmerzen, wie sie im Anfaiigsstadium 
der Leberkrankheiten aufzutreten pflegen. Das Allgemembetiiuh n ist 
gut, Appetit und Lebensmut sind wieder zuruckgekehrt, die Augen 
haben ihren natürlichen Glanz w iedergew omien, die Gesichtsfarbe ist 
frischer, die Muskultar strammer. Der Mann stellt kräftig auf den 
Beinen und sehnt sich darnach, sich im Freien zu bewegen. 

Nach der sechsten Fibrolysininjektion stellte sich stark ver¬ 
mehrter Appetit ein; allerdings wagte der Patient nicht, sich so satt 
zu essen, wie er es wohl gewollt hätte. Als ich dann einige läge 
darauf wiederkam, wurde er vom Felde geholt, wo er seinem Sohne 
Anweisungen für die Ackerbestellung gab. Nach dem schnellen 
Gange war die Herztätigkeit erhöht und setzte einmal aus. um dann 
in langsameres Tempo zu fallen. Die Herztone waren noch anämisch 
unrein. Zwischen den Schulterblättern bestanden leichte Schmerzen. 
Die Fibrolysininjektionen wurden fortgesetzt und weiterhin statt 
Karlsbader Salz Pilulae aloeticae ferratae gegeben. Die Salzsäure¬ 
medikation war schon seit der Besserung des Appetits ausgesetzt 
worden. 

Sch. kann jetzt zu mir in die Sprechstunde kommen und erträgt 
das Fahren ohne alle Beschwerden. Fs besteht berechtigte Aussicht 
auf völlige Wiederherstellung des Patienten. 


Bemerkung Uber Therapie der angeborenen Wortblindheit. 

Von Dr. B. Kupczyk, Nervenarzt in Krakau. 

Anlässlich des Artikels des Herrn Prof. Peters über kongeni¬ 
tale Wortblindheit (s. Münch, med. \Yochenschr. No. J1. mochte 

ich daran erinnern, dass in Emile Javals Physiologie des Lesens 
und Schreibens (deutsch übersetzt von Haas. Leipzig lön7) Winke 
zur Behandlung dieser Störung gegeben sind. Im Kapitel über Steno¬ 
graphie ist dort die Behauptung ausgesprochen, dass die Stenographie 
von Kindern bedeutend leichter erlernt wird als die gewöhnliche 
Schrift. Sie beschleunigt auch den Unterricht im Lesen und Schreiben 
und ist daher geeignet, ein Hilfsmittel für Kinder zu werden, welche 
im Lesen und Schreiben schwer vorwärts kommen. Versuche, 
welche in Frankreich und England angestellt worden sind, ergaben 
ein befriedigendes Resultat. „In England hatte man den glücklichen 
Gedanken, eine Klasse aus Kindern zu bilden, die nach mehreren 
Schuljahren noch nicht weiter gekommen waren, als Ins zum Lesen 
einsilbiger Worte: auf dem Umwege, dass man sie eine Lautschrift 
lesen liess, konnte man ihnen ziemlich rasch das Lesen des Englisch 
beibringen“. 


Aus der Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg. 

Zur Radikaloperation von Nabelbrüchen und von epi¬ 
gastrischen und subumbilikalen Hernien der Linea alba 
durch quere Faszienspaltung und Muskelaushülsung. 

Von Professor Menge in Heidelberg. 

In No. 23 des laufenden Jahrganges dieser Wochenschrift findet 
sich ein Aufsatz von Port über die Graser sehe < Ipcration grosser 
Nabel- und Bauehbi iiche. 


Diese ( »pcMlioii\nieth"dc ist. ^ > w : t sie s.h ,nl I» .• u c : - 

n a r I» e n b riu h c bezieht, die z w is k tu n Nauci tm.j \ m i- > .< - 

siet t sind. Vor s Jahren \<«n P I a ti m 11 •> I it I irvcUn 10 ! x 
ihm und anderen (»per ah nun it K m haid.g K: b .1 iu üft,t r 1 e - 
b r u c h e n mit ausgezeu iiuctc m Dauer er 1 ".ge am.ec : ml w 

Die tur die Beseitigung \<>n grossen u:.d k.cinett Nabe 

b r 11 c h e n und von e p 1 g .1 s t r 1 s c h e n und s u b 11 rn b 1 ; . s a c r 
Hernien der l.inea alba den l es - le'ctt .um: ■. n \ •. 

haltmssgii der oberen Baue hdcu kc npar w rt ar .. •. p.< ss: t M - • .! : . ka- 

t l o 11 des P I a n n e 11 s i 1 e 1 s t h e n \ cil>#irfUi \ ti u e 1# Je r 

wesentlichen Punkten durchaus e 1 g e 11 a r t : g e < » p t - 
r a t 1 o n s in e t h o d e. wurde zuerst \ * >n it 1 r amgethrt 1 \r. a : 

ihren Einzelheiten im /e nt 1 .ubl.iM 1 1. r t1\ !!.>*•.« g c E**V 's- l' ! 1- 
sGirieben. Es handelt sidi »labe« um eme Im Je Gut • s’m : • g 
x "I der eil Blatter der RektusscU :.!e n bis id m de am : c.. 
w iv.Ile De 11 Re ktusbaiu be. lim eine ausge de h: te > * ••str-g de r g- a 
Baik Iimuskein x 1 >n di 11 \"i deren und hinter en Rt ■ biss. :;e . .1 * te * ". 

lim eine Sc harte \ertikaie la-stre urning der Im di r t " 1 asM ' r x 

den Vot deren f as/ie 11 blatte m ganz nahe di r Mdti ”u , s., dass yi dm 
Hinter li.u he der \ordticii f as. u n: ..s: t e r m Jer Me .1 me y n \ e ' - 
I tlkal Ve I lallte ildtT < li w ebsKailiill Md.Cl I i d t. w e-t« " u m" t 
I isolier te \ et tika.e \ er 1 unguiig eie r tu ! . s.et te ri Ri * :s 1 '•>. • n 

der Mittellinie, und cuduh um dm tra:>xe -s., c W' „ . g dm 
\ orderen puei gi spalte m it Rt : : t *••• .•tte r u" l e c a h 

her beigelnhr te fi.uhe nlialte \ u: r e i.ur: K dir xmde'en I mm .1 v. - 
zusanmit ngt nahten Muske !b.nu f:e de' Rckti. s-< dass 1 m < m ! 
Muskel sk h gegenseitig \eraiihe * ri und de ’u u-:r a.1 1 d '• nie in 1 U » g 
und dem Zuge der breiten Batu hmusk e 11 nullt lodud tu 1; ! iu 

wieder auseinander w eu heil können. 

I Me* B g z c u lirinng Grasers. i;e < *pi 'ate n ist .1 s.. f r di n e 1 . n 
skizzierte n Emgr dl nicht berechtigt. 

Mein verehrter I r e und < 1 r a s e r ha! das \ e rcuf. P ! a •' n e n - 
Stiels und meine < »per at ;■ •neun *h.-de Ul Ürner leist;:*, s* ^ * ■ ‘ 
richtig gew urdigt, sie- 11:1 cinr ur gis. heil I a.. e r »li.'di se me I’. - . s : n 

bekannt gem.uht und ihnen trei.nle ge w n zu haben 1 l m * ? 
ich ihm natilf'.Ich sehr dankbar, jn >. h Kami ul) a’ .psub’s dm r«. 
dings immer w ie viel ke hr ende 11 unzutM Ve ’-.di n ! ü ne • 1 i: - g dt s \m- 

falirens es null! unter lassen, d.i'aii! lim / lav 1 • ,:,.u < i r a s e ' d -s 

(»per alionsx er lahr e 11 durch muh kennen ge m t um! es \ n *■ - 
überrioininen hat. 

Graser selbst hat dieser lafs.uhe anj- m !ms:m W, 

Reu 1 mutig getragen; denn in se.mr e? s|yn. me Mm '• % n-: /e • : • a • 
blatt für (i\ nakojngie. 1 •«*«., N". I « lum 'e r.di u l'.:‘ > .d u m - : 

er das \ er tahr • n tlas Pia inieiislie I - Mi n k es. ' e umi e - u ■ : 

er aiuh, dass uh ihm bei den eisfeii x 11 ihm • ;e r Je n en s v » ,. K ^ 

I ail.ui assistiert habe. 

Diese Mitteilung Grasers irrt /eniM 1 a*t 1 r G\:\.k 
I Or Ki. ist aber ebenso wie div remue aus de m l.d'e dmt 1 j. - 

clin urgen \olhg eiitg.mgeii. Iu:h d dies r.m.i i..,r aus der P •• r 
scheu Arbeit, s-.n,Jetn es vd't ebes atu h aus .•••'.men rnt.s'v: 
et sc liieneiien Mitteilungen ln r \*-r> die s.vh r .1 dem 1 i a s e r- 
selten U|HTations \ er !.i lire'Ti" be sd, \\ 

Da es meiner -XiiVassuug na.lt ung ererbt ist. e me <»; •- 
rationsmethoelc. die suli als wertx-.l und ie;sb.'\si g t r w e im * 
daher Aussicht hat. abgernmu aut ge u-.nmu rt zu w e» ‘.e ü. r-r d- s‘u, '• 
mit einem nicht zutrette ndeit Namen zu \e r k- . *• n, web d.e I 
katumeii. m elenen elas \ ertahren zum ersten Mae' m -mi s v 

I mzelhe Peil beschrieben wurne. nuht gelesen Worden s-d. turne- im: 
es, obwohl nur pe rs.ut'.u h gelallte I umrte • m».cÜ Hi 1: e ' ',ms::r 
Journalen höchst urtsx mt'atli.sc h smd. do v h t r rulig. v *. s. kn- e 

Klar Stellung ZU geben, zumal nur \ • .11 \ ei Sc !::e be ru-ll >e -te ft :• -tge te t 

\x ur de. dass rtian du sg Klar s!i n-g \ oii t: ,r e'w.rte 

Da mir ande rerse its e!e r Wiiusdi ganz Te * 11 dass d , 

(»[uratioiismethode. wenn uh s lt aiuh as rr.e u md .,-s | ^e 
betrachte, meinen Namen tragt. rto v uh r u 11 ud. ,,g e'- 
laubeii. ihr eine n e ti t r a I e. re m v.u bbGie lb • e mm g zu gi e ”. s t 

etw a als R a d 1 k a I o p e r a t 1 o n mit ej 11 e f e r 1 a s z . e rt s p a 

t u it g u n el Muskel a u s h u ! s 11 r g zu Iu ze u hm u 

Dieser Notiz pro domo habe uh ri '.h t • ,.eu d< E * mi r v. 
Ste llung und die Technik der < »Petition bet'ife tu!e W -re bm. 
zufiigen. 

Port schreibt in seiner Arbeit. d>e Me'h- ’e s e Tiu r | ' 
grosse Nabeiheinien reserxiert bie dm. da s g !m dmt k ’ e 1 rt e n 


Nabelhgr nign einen um er ha Itu-smassig gr* -sse rt I "gu" d.t'sti "e M ••- 
suhtluh dieses Ihmktes bin uh ganz a" !mm M< • ■mg Eh l .b •. :m 
den letzten 5 Jahren bei einer grossen eit \ ->n I miim’. d.e w e v - 't 

eines gx ii;iko]og|Sclieri 1 eide rs Vo»t n.-r ly- •.>' \ b-' w m- 

gleichzeitig am h grosse und kleine Vd . ü e m ' sb. 
limbiiikale Hernien eher I in a aib.t rt.u h de r ! e s. »•• u ' . ••• •* V,. ,: \ 

radikal gelullt. ls mag su h el .1 Ge 1 11 m ca. J" Par«-' mt luiv :• -i 
I nie genaue Zahl kann ich heute mdit .t"m. 5 1 n. da uh >; e K'a”*i’u 
gesi hu Iden nie lit ade zur Hand habe 1 eh-. h w m !g u h d.g < »: e '.!*■• -s. 
resultate an eler aliud eler Jouma'e de" - d ä p:d .- mm lassen *) 

') Leber einen Te i! meiner l abe i.e . • M sj |'mu''*e v-r v<-n 


.1. Well ner: Inatig.-l hss., I e pz g 1 ^ >; u- ! \ / a c r : a s • 

.Munch, med. W ochenschr., lü"!). No. J 4. >. IDE Aiuh d. isg .Mit- 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1437 


Von diesen Kranken habe ich leider eine infolge einer post- 
operativen septischen Peritonitis verloren; die übrigen sind geheilt, 
und die Frauen, welche ich wiedergesehen habe, sind auch alle be- 
schwerde- und rezidivfrei geblieben. 

So richtig meiner Erfahrung nach die schon von Graser 
und dann auch von Port ausgesprochene Meinung ist, dass die 
Operation bei grossen Nabelhernien eine sehr eingreifende 
zu sein pflegt, der nur dann eine glatte Rekonvaleszenz folgen kann, 
wenn man eine ganz exakte Blutstillung und eine einwandfreie 
Aseptik durchzuführen vermag, so wenig berechtigt finde ich die 
Port sehe Anschauung, dass die Faszienquerspaltung und die Mus- 
kelaushülsung bei kleinen Nabelhernien unangebracht sei. 

Denn bei kleinen Nabelhernien liegen die anatomischen Ver¬ 
hältnisse ausserordentlich günstig. Die Muskelbäuche der Rekti sind 
nicht atrophisch und nur wenig auseinandergewichen, so dass der 
Eingriff sich ausserordentlich einfach und leicht gestaltet, selbst wenn 
rnan die Muskeln ausgiebig mobilisiert. Da man aber auch bei den 
kleinen Nabelbrüchen ein wahrhaftes Dauerresultat an¬ 
streben muss, meiner Auffassung nach aber keine andere Operations¬ 
methode mit solcher Sicherheit ein gutes Dauerresultat verspricht wie 
die quere Faszienspaltung und Muskelaushülsung, so möchte ich auch 
für die kleinen Nabelhernien dieses Verfahren empfehlen. 

Weiter habe ich noch mitzuteilen, dass ich die Operationsmethode 
auch bei einer Kranken mit sehr weitgehender Diastase der 
Musculi recti angewendet und damit einen geradezu verblüffend 
guten therapeutischen Erfolg erzielt habe. Die betreffende Patientin 
klagte über sehr grosse Beschwerden im Leibe, für die ich 
absolut keine anatomische Unterlage finden konnte. Es bestand nur 
ein leichter Grad von Enteroptosc. Das Nervensystem 
zeigte keine nennenswerte Abweichung von der Norm. Die Kranke 
aber hatte nicht nur fortgesetzt das Gefühl, dass ihr Leib ganz haltlos 
sei, sondern sie klagte auch über beständige starke Schmerzen 
in der Mitte des Leibes, die sie zwar nicht genau lokalisieren konnte, 
die ihr aber in den Bauchdecken selbst zu sitzen schienen. Trotz 
guten Willens war die Patientin vollkommen arbeitsun¬ 
fähig. Eine gut sitzende Leibbinde, die ich die Patientin tragen 
Hess. brachte eine nur unwesentliche Besserung. Wohl fühlte sich 
die Kranke nur, so lange sie im Bett ruhte. Es blieb schliesslich 
keine andere Möglichkeit übrig, als anzunehmen, dass die starke 
Diastase der Musculi recti allein die Schmerzen der Kranken 
verursache. Ich stellte mir die Auslösung der Beschwerden so vor, 
dass durch die Verschiebung der einzelnen Bauchdeckenschichten 
schmerzhafte Zerrungen im Gewebe zu stände kamen. 

Diese Kranke wurde nun von mir durch quere Faszienspaltung 
und Muskelaushülsung operiert. Die Heilung war eine völlig glatte. 
Die vordere Bauchwand, welche bei aufrechter Stellung der Kranken 
vor der Operation zwischen den weit auseinandergewichenen geraden 
Bauchmuskeln immer die bekannte vom Brustkorb bis zur Schossfuge 
reichende bergrückenähnliche Vorwölbung zeigte, ist jetzt eine feste 
glatte Platte. 

Die Kranke ist völlig beschwerdefrei und war schon 
bald nach der Entlassung aus der klinischen Behandlung ganz arbeits¬ 
fähig. 

Es ist natürlich nicht ganz leicht in einem solchen Falle das thera¬ 
peutische Resultat richtig einzuschätzen; vielleicht spielt bei dem 
Ergebnis die Suggestion doch eine gewisse Rolle, wenn es sich 
anscheinend auch um eine nervengesunde Person handelte. Aber ich 
habe mich bemüht, den Fall ohne jede Voreingenommenheit zu be¬ 
trachten, und doch mehr den Eindruck gewonnen, dass die Person 
durch den Eingriff von einem körperlichen Leiden befreit wor¬ 
den ist, welches tatsächlich alle ihre starken Beschwerden veranlasst 
hatte. 

Nun will ich im Hinblick auf diese Beobachtung natürlich nicht 
dafür plädieren, dass jede stärkere Diastase der Musculi recti durch 
quere Faszienspaltung und Muskelaushülsung operativ anzugreifen 
sei; denn viele Frauen haben trotz starker Bauchdeckendiastase ent¬ 
weder überhaupt keine oder nur geringe Beschwerden. Beiläufig 
möchte ich an dieser Stelle bemerken, dass in den mir zur Verfügung 
stehenden Hand- und Lehrbüchern der Chirurgie, der Gynäkologie 
und der Geburtshilfe sehr wenig oder überhaupt nichts über die 
klinische Bedeutung der Diastase der Musculi recti zu finden ist. 

In Anlehnung an den beschriebenen Fall darf ich wohl die Be¬ 
hauptung wagen, dass eine starke Diastase der geraden Bauch¬ 
muskeln eine hohe klinische Bedeutung haben kann. 
Und unter dem Eindrücke, den dieser Fall bei mir hinterlassen hat, 
würde ich auch immer wieder bei einer Rektusdiastase mich zu dem 
Eingriff entschliessen. wenn ich ähnliche Beschwerden bei ähnlichen 
anatomischen Verhältnissen anträfe. 

Die ouere Faszienspaltung und Muskelaushülsung ist zwar auch 
bei der Diastasenoperation ein grosser, aber doch auch 
wieder ein sehr einfacher Eingriff, da sich die auseinandergewichenen, 
nichtatrophischen Muskeln spielend leicht von den Faszienblättern 
stumpf ablösen lassen, und man bei einiger Vorsicht die Operation 
ohne Eröffnung der Peritonealhöhle durchführen kann. Vielleicht 


teilungen sind von den Chirurgen, welche neuerdings sich über die 
Operationsmethode geäussert haben, tibersehen worden. 


kommt einer der Leser dieses Artikels bald einmal in die Lage, über 
einen ähnlichen Fall zu berichten. 

Zur Technik der queren Faszienspaltung mit Muskelaus¬ 
hülsung, speziell bei grossen Nabelhernien, will ich noch bemerken, 
dass die von Port beobachteten, bei der Nahtlegung eingetretenen, 
Muskelzerreissungen und Muskeldurchschneidungen auch mir in der 
ersten Zeit gelegentlich begegnet sind, dass sie aber nur dann Vor¬ 
kommen können, wenn die Muskelbäuche ungenügend ausgehülst 
sind. Die gut mobilisierte Muskelsubstanz ist so elastisch, 
dass man sie auch bei grössten Brüchen leicht ohne Verletzung in 
der Mittellinie zusammenziehen kann. Oft habe ich sogar die beiden 
Muskelbäuche dadurch in der Mittellinie breit aneinander gelagert, 
dass ich sie in zwei Etagen vernähte. Es bildet sich dann eine 
dicke leistenförmige Muskelpelotte an der Stelle der früheren Bruch¬ 
pforte. 


Ich ergreife gerne die mir von der Redaktion gegebene Gelegen¬ 
heit, dieser Arbeit einige Worte beizufügen. Ich stimme allen Aus¬ 
führungen M e n g e s persönlich und sachlich bei und hätte auch ohne 
besondere Anregung gegen die Bezeichnung'als „Graser sehe Ope¬ 
ration“ Verwahrung eingelegt. Ich habe mündlich im Vortrag und 
in der späteren Publikation hervorgehoben, dass mir keine Erfinder¬ 
rechte zukommen. Tatsache ist aber, dass durch meine eingehende 
Beschreibung unter Beifügung von Bildern erst die Aufmerksamkeit 
weiterer, namentlich chirurgischer Kreise auf die Methode gelenkt 
wurde. Ich selbst habe fortdauernd die besten Erfahrungen auch in 
Bezug auf Dauerheilung gemacht und werde die Operation auch 
fernerhin als Faszienquerschnitt nach Pfannenstiel- 
Menge bezeichnen. 

Erlangen. Dr. Graser. 


Carl v. Voit 

Gedächtnisrede, gehalten im Aerztlichen Verein München von 
Prof. M. C r e m e r. 

Viele von Ihnen waren unzweifelhaft anwesend, als die 
sterblichen Ueberreste des unsterblichen Mannes, dessen Büste 
hier aufgestellt ist, am 2. Februar dieses Jahres der Mutter Erde 
übergeben wurden. Wohl jeder von uns ist sich darüber klar 
gewesen, dass wir seit seines genialen Freundes, Max v. 
Pettenkofers Tode keinen grösseren Verlust für die Alma 
mater und für die medizinische Fakultät insbesondere zu be¬ 
klagen hatten. Die Männer, die heutzutage von sich sagen 
können, dass sie der Wissenschaft neue Bahnen gewiesen und 
Veranlassung zur Entstehung neuer Zweige gegeben, sind 
selten geworden. Voit war es vergönnt, in jener glücklichen 
Zeit der Entwicklung der Physiologie zu leben, mit seinem 
wissenschaftlichen Arbeiten zu beginnen, wo die grösseren Ent¬ 
deckungen Schlag auf Schlag aufeinander folgten und die lei¬ 
tenden Gesichtspunkte für Jahrhunderte festgelegt wurden. 
Dreist darf man sagen, dass von allen grösseren Physiologen 
der damaligen Zeit, wie Brücke, Du Bois-Reymond, 
Ludwig, Heidenhain, Fick, Kühne und in gewissem 
Sinne sogar Helmholtz, keiner auch nur annähernd mit 
seinen Lehren, so ins praktische Leben eingegriffen hat, als 
es sowohl für den Arzt, als für den Hygieniker, den National¬ 
ökonomen und Landwirt unser Altmeister des Stoffwechsels 
und der. Ernährung, Carl v. Voit getan hat. In mehreren 
Nekrologen ist dieses sein Verdienst von- verschiedenen 
Seiten bereits ausgesprochen worden und ich hätte mir zum 
Andenken an das Ehrenmitglied des ärztlichen Vereins keine 
bessere Aufgabe stellen können, als darzutun, was er speziell 
für die innere Medizin geleistet hat, wenn dies nicht in so 
treffender Weise durch Herrn Professor v. Müller ge¬ 
schehen wäre. 

Gestatten Sie mir daher, dass ich mich vielmehr darauf 
beschränke, etwas eingehender darzutun, welche Schwierig¬ 
keiten gerade der junge Voit zu überwinden hatte, um die 
einerseits klar erkannten Wahrheiten zur Anerkennung zu 
bringen, andererseits sich von den Fesseln des Hergebrachten, 
speziell der L i e b i g sehen Anschauung lozulösen. 1 ) In kurzen 
Umrissen nur will ich Ihnen vorher noch die wesentlichsten 
Lebensdaten des Verewigten in Ihr Gedächtnis zurückrufen. 


D Bezüglich der Literatur verweise ich vor allem auf die ersten 
Bände der von Voit mitbegründeten Zeitschrift für Biologie; auf die 
Darlegungen V o i t s in Hermanns Handbuch, sowie neuerdings auf 
die monographische Abhandlung „Ueber die Prinzipien des allge¬ 
meinen Stoff- und Energiewechsels von Krummache r“. (Er¬ 
gebnisse der Physiologie, Bd. 5 und 7.) 


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1438 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


Geboren wurde Carl v. Voit am 31. Oktober 1831 zu 
Amberg als Sohn des nachmaligen Professors an der Kunst¬ 
akademie und Erbauers des Münchener Glaspalastes August 
Voit. Im Alter von 9 Jahren kam er nach München, 
das er nur noch zu Studienzwecken auf kürzere Zeit 
mit Würzburg und Göttingen vertauschte. 1856 wurde er 
Assistent bei Bi sch off, 57 wurde er Privatdozent, 60 be¬ 
reits a. o. Professor also mit 29 Jahren, und 63, also mit 
32 Jahren bereits o. Professor der Physiologie, eine Stellung, 
die er dann bis zu seines Lebens Ende bekleidete. An äusseren 
Ehren hat es ihm nie gefehlt, 1865 wurde er bereits Mitglied 
und 82 Klassensekretär der mathematisch-physikalischen 
Klasse der Akademie der Wissenschaften. Ausserdem ehrten 
ihn eine Reihe von Ordensverleihungen, der Titel des Ober¬ 
medizinalrats und des Geheimrats wurden ihm verliehen, als 
Ritter des Kronenordens erwarb er den persönlichen Adel. 

Kehren wir nach dieser kurzen, die Lebensdaten be¬ 
treffenden Abschweifung zurück zu jener Zeit, wo Voit erst 
eigentlich zu arbeiten anfing, zu der Zeit, als er Assistent 
bei Bi sch off wurde. Um Ihnen ins Gedächtnis zu¬ 
rückzurufen, um was es sich eigentlich handelte, muss 
ich zuerst 2 Jahrhunderte zurückgreifen. Wir müssen 
uns zurückversetzen in die Zeit Stahls und dessen 
Phiogistontheorie. Heute wissen wir ja alle, was eine 
Verbrennung im gewöhnlichen Sinne ist und dass es sich 
dabei um Verbindungen der brennbaren Körper mit Sauer¬ 
stoff handelt. Zu Stahls Zeiten, in der ersten Hälfte 
des 18. Jahrhunderts, kannte man diesen noch nicht und 
die Bemerkung Mayows, dass das Leben und die Ver¬ 
brennung auf der Verbindung der brennbaren Substanzen mit 
einem Bestandteil der Luft beruhe, war unbeachtet an den 
Zeitgenossen vorbeigegangen. Nach Stahl beruhte im 
Gegenteil die Verbrennung auf einer Art Zerlegung. Aus den 
brennbaren Körpern trete das in ihnen enthaltene brennbare 
Prinzip heraus, das Phlogiston verlasse unter Flammener¬ 
scheinungen den Körper. Es nützte nichts, dass es schon 
M a y o w bekannt war, dass bei der sog. Verkalkung der Me¬ 
talle, derenAnalogie mit derVerbrennung man frühzeitig kannte, 
das Produkt schwerer war, als das in ihm steckende Metall, es 
bedurfte der Isolierung des Sauerstoffes durch Scheele und 
Priestley 1774 und vor allem des genialen Scharfblickes 
von L a v o i s i e r, des Begründers der modernen Chemie und 
des Gesetzes der Erhaltung der Materie, um die heutige Auf¬ 
fassung der Verbrennung nach hartem Kampfe zum Siege zu 
führen. L a v o i s i e r begründet durch Versuche den Satz, 
dass die Verbrennung nichts anderes als die Verbindung mit 
jenem kurz vorher entdeckten Sauerstoff und dass auch die 
Atmung als eine langsame Verbrennung aufzufassen sei. Nach 
Lavoisier sollte eine kohlenstoff- und wasserstoffreiche 
Flüssigkeit in den Lungen verbrannt werden und darin ‘die 
Quelle der tierischen Wärme liegen. 

Um diese seine Ansichten zu stützen, führte Lavoisier 
sowohl die ersten Respirations- wie auch die ersten kalori¬ 
metrischen Versuche an Tieren aus. Die letzteren wurden erst 
etwa 40. Jahre später durch Despretz und Dulong wieder 
aufgenommen. Auch sic standen noch wie Lavoisier auf 
dem Standpunkte, dass an den Lungen bezw. in dem Blut eine 
kohlenstoff- und wasserstoffreiche Flüssigkeit verbrenne und 
es genüge, den Verbrauch des Sauerstoffs und die Produktion 
der Kohlensäure festzustellen, um aus diesen beiden Daten 
die vom Tier durch Verbrennung produzierte Wärme zu be¬ 
rechnen. Sie gingen dabei ruhig von der Annahme aus, dass 
sie für 1 g verbrannten Kohlenstoff und für je 1 g verbrannten 
Wasserstoff einfach diejenigen Wärmewerte einsetzen dürften, 
die sich aus besonderen Bestimmungen an Kohlenstoff 
und Wasserstoff ergaben. Dulong benützte dabei die alten 
Zahlen L a v o i s i e r s. Selbst wenn diese richtig gewesen 
wären, wäre dieses Vorgehen im Prinzip falsch, denn einmal 
vernachlässigten Dulong und Despretz gänzlich die Aus¬ 
scheidung, die in Harn und Kot erfolgen und sodann war es 
ein fundamentaler Irrtum derselben, die Verbrennungswärme 
einer Verbindung aus dem Gehalt an Kohlenstoff und Wasser¬ 
stoff berechnen zu wollen, bezw. die Annahme zu machen, es 
verbrenne eine kohlenstoff- und wasserstoffreiche Flüssigkeit 
in den Lungen resp. im Körper. Es war hier vor allen Dingen 
das Verdienst von Liebig, darauf hingewiesen zu haben, 


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dass man wissen müsse, welche Stoffe im Tierkörper zerstört 
werden und dass aus Harn und Kot weitgehende Rückschlüsse 
möglich sind auf den Verbrauch namentlich eines Nahrungs¬ 
stoffes, des Eiweisses. Es genügte also nicht, um über die 
Stoffzersetzung im Organismus orientiert zu sein, wenn man 
noch so exakt lediglich die gasförmigen Ausscheidungsprodukte 
eines Versuchstieres verfolgt, wie das R e g n a u 11 und 
Reiset und andere getan haben. Man muss die Ausschei¬ 
dung in Harn und Kot notwendig mit berücksichtigen und ist 
dann in der Lage, die Stoffe anzugeben, wenigstens so weit sie 
den Hauptnahrungsstoffklassen angehören, die in einer be¬ 
stimmten Periode im Tier zersetzt werden. B i d d e r und 
Schmidt hatten den Versuch gemacht, alle diese Aus¬ 
scheidungsprodukte bei einer Katze unter verschiedener Er¬ 
nährung derselben mit Fleisch zu untersuchen. Ihr Buch war 
es, das Voit mit Begeisterung erfüllte und zu eben diesen 
Forschern wollte er gehen, als sich ihm die Gelegenheit bot, 
bei Bi sch off Assistent zu werden. Die Fortschritte der 
Wissenschaft bewegen sich in Schlangenlinien und so wurde 
eine Tatsache, die Liebig ohne weiteres angenommen hatte 
und für die B i d d e r und Schmidt bei der Katze Beweise 
beigebracht, wieder in Zweifel gezogen und zwar von den 
ersten Autoritäten auf diesem Gebiet, die Tatsache nämlich, 
dass aller Stickstoff des zerfallenen Eiweisses lediglich in Harn 
und Kot ausgeschieden wird und nichts davon gasförmig durch 
die Lungen entweicht. Wäre das letztere richtig gewesen, so 
sagte sich Voit mit Recht, dann würden alle Spekulationen 
aufhören oder würde allen Berechnungen der Boden entzogen, 
die die Menge und Art der zersetzten Nahrungsstoffe aus eben 
diesen Ausscheidungen ableiten sollen. Der grosse Fortschritt 
von Liebig wäre lediglich ein schöner Traum gewesen; und 
nun war es kein geringerer als B i s c h o f f selbst, sein neuer 
Chef, der für die Lehre des sogenannten Stickstoffdefizits ein¬ 
getreten war. B i s c h o f f gelang es nicht den Stickstoff der 
Nahrung im Harn und Kot wieder aufzufinden und jetzt beginnt 
V o i t s Kampf mit dieser falschen Lehre vom Stickstoffdefizit 
zunächst im eigenen Hause dem eigenen Vorgesetzten gegen¬ 
über. Voit erkannte alsbald, dass das von Bidder und 
Schmidt abweichende Ergebnis seines Lehrers nur durch 
eine falsche Versuchsanordnung bedingt war. Es kam nur 
darauf an, die Einfuhr richtig zu analysieren, die Ausgaben an 
Harn und Kot vollständig zu erhalten und ebenfalls ihren Stick¬ 
stoffgehalt richtig zu ermitteln, dann musste das Defizit ver¬ 
schwinden. Es verschwand auch alsbald und Voit erzielte 
Resultate, bei denen innerhalb der Genauigkeit der Analysen¬ 
fehler Tag für Tag, der N-Gehalt der Einnahmen gleich dem 
der Ausgaben gefunden wurde; um in der von Voit ge¬ 
schaffenen Nomenklatur zu sprechen, das Tier hatte sich im 
Stickstoffgleichgewicht befunden. Wohl selten ist der Leiter 
eines wissenschaftlichen Laboratoriums angenehm berührt, 
wenn einer seiner Mitarbeiter ihm die Kunde bringt, er hätte 
sich in einem wesentlichen Punkte geirrt, und die Angaben 
von Voit verfehlten auch nicht bei B i s c h o f f zunächst das 
Gegenteil von begeisterter Zustimmung zu erwecken. B i - 
sch off wurde einfach misstrauisch und vermutete, dass 
Voit nicht richtig arbeite. Man bediente sich damals zur 
Stickstoffbestimmung ganz allgemein der Liebig sehen Ti¬ 
trationsmethode des Harnstoffes. Warum sollte, so dachte 
B i s c h o f f, das abweichende Resultat nicht in einer falschen 
Anwendung der Methode liegen seitens seines jungen Assi¬ 
stenten. Er veranlasste Liebig, Voit zu kontrollieren. „Da 
kannst Du ganz ruhig sein“, hatte Liebig hernach zu Bischoff 
gemeint, „der macht es eher noch besser wie ich“; und so ge¬ 
lang es Voit, seinen Lehrer bald ganz für sich zu gewinnen. 
Beide leugnen in dem Buche „Die Gesetze der Ernährung des 
Fleischfressers“ auf Grund ihrer neueren Versuche das Stick¬ 
stoffdefizit. 

Es zeigte sich, dass der Zubereitung des Fleisches, seiner 
Befreiung von Sehnen, Knochen, Faszien, sichtbarem Fette, 
ganz besondere Sorgfalt gewidmet werden musste und vor 
allem war es notwendig, sämtlichen Harn zu erhalten. Bis 
dahin hatte man sich begnügt, lediglich das zu analysieren, 
was aus einem mehr oder minder zweckmässig eingerichteten 
Käfig ablief. Voit lehrte den Harn quantitativ in einer unter¬ 
gehaltenen Schale zu erhalten, wobei er namentlich gegen Ende 
des Versuches das Tier zu häufiger Urinentleerung veranlasste, 

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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1439 


um das Zurückbleiben von Harnresten in der Blase zu ver¬ 
hüten. Endlich lehrte V o i t den Kot einer bestimmten Periode 
abzugrenzen. Aber wer jetzt geglaubt hätte, dass alle Forscher 
die richtige Methode nur anzuwenden brauchten, um sich bei 
gleichmässiger Fütterung mit Fleisch von dem Eintritt des 
Stickstoffgleichgewichts zu überzeugen, den belehrt die Ge¬ 
schichte eines anderen. Namentlich war es S e e g e n, der im 
Verein mit Nowak immer wieder für das Stickstoffdefizit 
eintrat und auch noch als Voit seinen berühmt gewordenen 
142 tägigen Versuch an einer Taube darstellte, bei der das 
Körpergewicht konstant geblieben und Stickstoffgleichheit der 
Einnahmen und Ausgaben erzielt war. Voit entschloss sich, 
die Wahrheit der eigenen Behauptungen ad oculos zu demon¬ 
strieren und reiste nach Wien, um am Seegen sehen Ver¬ 
suchshund im S e e g e n sehen Laboratorium seinen Funda¬ 
mentalversuch anzustellen. Es gelang ihm auch bald, das Tier 
durch gleichmässige Fütterung mit ausgeschnittenem Fleisch 
in Stickstoffgleichgewicht zu bringen. Er konnte das Stick¬ 
stoffdefizit nur an den Tagen erhalten, an welchen das Tier 
den Harn im Käfig Hess. Er zeigte, wie früher am eigenen, 
so auch am Seegen sehen Laboratorium, dass im Käfig 
herumgespritzte Kochsalzlösung unmöglich quantitativ wieder 
gefunden werden konnte. Dabei bestimmte er den Stickstoff 
im Harn mit der ursprünglich von ihm angewandten Modifi¬ 
kation der Will-Varrentrapsehen Methode, die seit 
jener Zeit den Namen der Bestimmung nach Schneider 
und Seegen führt, wobei Schneider und Seelen 
lediglich gewisse Modifikationen an derselben angebracht 
haben. Trotzdem das Experiment Voits amSeegen- 
schen Hunde über die Massen glänzend gelungen war, 
trat S e e g e n im nächsten Jahre mit neuen Einwänden 
hervor. Das Fleisch von Voit sollte einen höheren Stick¬ 
stoffgehalt gehabt haben als er angenommen; das häufige 
Herausführen der Tiere zum Harnlassen am Ende der Ver¬ 
suche hätte die Stickstoffausscheidung vermehrt, und so fort. 
Und noch lange zog sich dieser Kampf hin, wenn auch die 
Fachgenosen im grossen und ganzen auf Voits Seite traten. 
Zuletzt, in wesentlich späterer Zeit, fiel G r u b e r die Auf¬ 
gabe zu, die Methode der Stickstoffbestimmung und auch die 
Lehre von dem Nichtstattfinden eines Stickstoffdefizits zu ver¬ 
teidigen. Es zweifelt heute wohl niemand mehr an der Richtig¬ 
keit, sowohl der damaligen Voit sehen Bestimmungen, als 
namentlich auch an seiner Lehre. 

Kehren wir wieder etwas zurück, so war natürlich für 
Voit, nachdem er das Stickstoffdefizit als nur durch falsche 
Versuchsanordnung vorgetäuscht erkannt hatte, die Unter¬ 
suchung von Harn und Kot einer Versuchsperiode das sou¬ 
veräne Mittel, um über die Zersetzung der stickstoffhaltigen 
Substanzen im Tierkörper sicheren und unzweideutigen* Auf¬ 
schluss zu erhalten; man wusste damit, wie viel Fleisch resp. 
wie viel Eiweiss zersetzt war. Voit war jetzt in der Lage, 
anfangs mit B i s c h o f f, später allein, die Gesetze der Zer¬ 
setzung der eiweisshaltigen Substanzen verfolgen. 

Sein Vorgehen war dabei immer dasselbe. Zuerst brachte 
er die Tiere durch einige Tage gleichmässige Fütterung in das 
von ihm gefundene Stickstoffgleichgewicht und dann unter¬ 
suchte er wie verschiedene Umstände, z. B. Beigabe von Koch¬ 
salz, auf diese Eiweisszersetzung wirkten. Hierbei sollte er 
nun alsbald in den schärfsten Gegensatz geraten mit den Mei¬ 
nungen seines hochverehrten Justus v. Liebig. Liebigs 
Buch „Die Tierchemie oder die organische Chemie in ihrer 
Anwendung auf Physiologie und Pathologie“ war zwar eine 
Geistestat allerersten Ranges, und wie wir eben sahen, waren 
die Schlussfolgerungen Liebigs bezüglich der Erkennbarkeit 
des Eiweissstoffwechsels aus der Bestimmung des Harnstoffes 
resp. Stickstoffgehaltes des Harns durchaus richtig gewesen, 
aber das Buch war auch vielfach den Experimenten voraus¬ 
geeilt. Liebig hatte sich Vorstellungen gebildet über die 
Ursachen oder Bedingungen der Stoffzersetzung, die einst¬ 
weilen nicht geprüft waren* und der experimentellen Bestä¬ 
tigung am Tier noch harrten. So hatte sich Liebig vorge¬ 
stellt, da die Muskeln ihrer überwiegenden Masse nach aus Ei¬ 
weiss bestehen, so müsste sich bei ihrer Tätigkeit an ihnen 
der Stoffwechsel vollziehen, das Eiweiss müsste abgenutzt, 
bei der Arbeit eingerissen werden und an seine Stelle das 


Nahrungseiweiss wieder treten. Die Arbeit, so hatte Voit 
dem entsprechend erwartet, müsste den allerstärksten Einfluss 
auf die Zersetzung des Eiweisses im Tierkörper haben. Wie 
war er erstaunt, das umgekehrte zu finden, als er nun faktisch 
den Versuch machte. Die Eiweisszersetzung braucht sich 
trotz stärkster Arbeit gar nicht zu erhöhen, sie kann völlig 
gleich bleiben. Vor allen Dingen aber war nicht das Geringste 
von dem zu sehen, was Voit, der doch selbst zu des Meisters 
Füssen gesessen und die Liebig sehen Lehren gründlich 
kannte, sich als Konsequenz derselben erwarten musste. Es 
war auch nicht entfernt die Rede von einer der Arbeitsleistung 
proportionalen Steigerung der Eiweisszersetzung in den Fällen, 
wo ein geringes plus bemerk lieh war. Sehr oft wird auch 
heute noch die Meinung ausgesprochen, es hätte Voit da¬ 
mals gelehrt, das Eiweiss sei bei der Muskelarbeit überhaupt 
nicht beteiligt, das ist so wenig der Fall gewesen, dass Voit 
trotz seiner Befunde noch lange an der Meinung festhielt, es 
sei sehr wohl möglich, dass das Eiweiss die Muskelarbeit decke 
und er dachte sich speziell, dass die Energie des zerfallenen Ei¬ 
weisses irgendwie in elektrischer Form, auch in der Ruhezeit 
zur Benützung für spätere Arbeit aufgespeichert werden 
könnte. Darum war es für ihn gar keine Widerlegung des 
Satzes: — der Eiweisszerfall liefert die Muskelarbeit, — weder 
als er selbst die Nichtvermehrung durch Arbeit fand, noch als 
Fick und W i s I i c e n u s zeigten, dass der Eiweisszerfall 
der Versuchszeit zur Deckung der Arbeit nicht hinreichten, 
d. h. als diese zeigten, dass der geleisteten Arbeit equivalente 
Wärmemenge erheblich kleiner sei, als das in der Versuchs¬ 
zeit zersetzte Eiweiss. So erklärte es sich auch, warum 
V o i t bei den Versuchen, die er später wiederholt durch seine 
Schüler — zuletzt durch Krummacher — anstellen liess, 
einen so grossen Wert darauf legte zu erweisen, dass die 
24stündige Eiweisszersetzung dazu nicht hinreiche. Es ist 
sehr merkwürdig, dass Voit die Meinung, dass auch Fette 
und Kohlehydrate für die mechanische Leistung des Muskels 
verantwortlich gemacht werden müsse, verhältnismässig sehr 
spät ausgesprochen hat, und erst spät angibt, dass alle 3 Klassen 
der Nahrungsmittel zur Deckung der mechanischen Arbeit ver¬ 
wendet werden können. Ich erwähne dies so ausführlich, um 
den ungerechtfertigten Vorwurf, Voit habe die Beteiligung 
des Eiweisses bei der Muskelarbeit geleugnet, als solchen 
besser charakterisiert zu haben. 

Das unerwartete Resultat betreffend der Wirkung der 
Arbeit auf die Eiweisszersetzung brachte Voit in Gegensatz 
zu L i e b i g, mit dessen Anschauungen das Ergebnis nicht leicht 
zu vereinigen war. Es war schon vorher aufgefallen, dass der 
mächtigste Faktor für die Eiweisszersetzung nicht die Arbeit, 
sondern die Eiweisszufuhr war, eine Tatsache, die gerade 
durch die erwähnten V o i t sehen Versuche und die Erreichung 
des Stickstoffgleichgewichtes in das hellste Licht gesetzt 
wurde. Schon B i d d e r und Schmidt hatten das bemerkt 
und sie glaubten daher, dass nur ein Teil des Eiweisses not¬ 
wendig sei und zwar nur so viel als im Hunger zersetzt werde 
und dass alle Eiweisszufuhr darüber lediglich ein Luxus für 
den Organismus bedeute, dass dasselbe gewissermassen un¬ 
nütz verbrannt würde. Es ist dies die Theorie der Luxus¬ 
konsumtion, die also präzisiert werden kann: Die Stickstoff¬ 
ausscheidung des hungernden Tieres liefert den Massstab für 
den reinen Stoffwechsel oder für den mit dem Bestehen des 
Lebens verbundenen Umsatz stickstoffhaltiger Organteile und 
für die notwendige Zufuhr an Eiweiss; sie gibt das typische 
Minimum des für die Tiergattung notwendigen Stoffumsatzes 
an Eiweiss an, während das darüber hinaus aufgenommene, 
überflüssige Eiweiss durch stickstofffreie Substanzen ersetzt 
werden kann und wie diese nur zur Wärmebildung dient. In 
dieser Form ist sicher die Lehre von der Luxuskonsumtion 
falsch und Voit zeigte, dass es nicht möglich ist, bei aus¬ 
schliesslicher Ernährung von Eiweiss, ein Tier mit den Eiweiss¬ 
mengen auf seinem N-Bestand zu erhalten, die es im Hunger 
zersetzt, sondern dass man 2X> bis 3 mal mehr braucht. Damit 
soll natürlich nicht gesagt werden, dass die Nahrung mit mög¬ 
lichst viel Eiweiss nicht im gemeinen Sinne teurer ist als eine 
Nahrung mit gemischter und speziell eiweissarmer Kost; in 
diesem Sinne treiben ja alle wohlhabenden Klassen Luxus¬ 
konsumtion, nur im Sinne von ß i d d e r und Schmidt wurde 


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1440 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


No. >7. 


die Lehre als unhaltbar erwiesen. Ob freilich die von V o i t 
aufgestellte Theorie vom zirkulierenden und Organeiweiss da¬ 
mit über alle Anfechtungen erhoben ist, darauf will ich nicht 
eingehen. 

Auf die Zeitgenossen machte es den mächtigsten Eindruck, 
dass V o i t in einer Konsequenz der L i e b i g sehen Lehre, die 
von allen Anhängern derselben gezogen wurde, L i e b i g so 
gründlich schlug und es hat dieser Sieg über seinen grossen 
Gegner wohl am meisten zu dem Ansehen beigetragen, das 
auch Voit als jugendlicher Forscher schon weit über sein 
Vaterland hinaus genossen. Liebig selbst rührte sich erst 
spät gegen die Keulenschläge, die ihm hier die Voit sehen 
Experimente versetzten. Erst im Jahre 1869 trat er ihnen in 
einer Abhandlung „Ueber die Gärung, über die Quelle der Mus¬ 
kelkraft und über Ernährung“ entgegen, wobei er aber nicht nur 
an den Lehren Voits rüttelte, so weit sic den Eiweisszerfall 
betreffen, sondern auch gegen weitere Lehren von P c 11 c n - 
kofer und Voit, auf die wir gleich eingehen werden, zu 
Felde zog. Den uns hier interessierenden Satz, dass die 
Muskelarbeit nicht notwendigerweise mit einer Mehrung des 
Eiweisszerfalles verbunden sein muss, hat er aber nicht umzu¬ 
werfen vermocht und wird Widerspruch dagegen heute kaum 
mehr ernstlich aufrecht erhalten. Voit erwiderte seinem 
hochverehrten Lehrer in einer berühmten Abhandlung „lieber 
die Entwicklung der Lehre von der Quelle der Muskel¬ 
kraft und einiger Teile der Ernährung seit 25 Jahren“. In 
späteren Polemiken ist die Abhandlung L i c b i g s gegen 
Voit noch zitiert und gegen ihn verwandt worden. Aber nur 
sehr wenigen Menschen dürfte cs bekannt sein, dass Liebig 
den. Hauptinhalt seiner Abhandlung Voit gegenüber zurück¬ 
genommen hat, allerdings nicht in einer Publikation, wohl aber 
persönlich in seiner letzten Krankheit. Er liess Voit kommen, 
und das Resultat der Unterredung war, dass Liebig der 
Meinung Ausdruck gab, im wesentlichen habe in dem Streit 
Voit und nicht er recht. 

Mittlerw'eile war Voit sehr weit fortgeschritten auch 
auf anderen Gebieten der Stoffwcchsellehrc. Er hatte erkannt, 
dass der Apparat von Regnaul t und Reiset iiir 
die Ekstimmung des RespirationsstofrWechsels nicht den Be¬ 
dingungen genügte, die er an einen solchen Apparat 
stellen musste und dass auch die Vorichtungen von 
Bidder und Schmidt viel zu unvollkommen waren. 
Er wandte sich daher an seinen Freund und Lehrer 
Pettenkofer, ob er ihm nicht behilflich sein wolle, 
einen neuen Respirationsapparat zu erfinden. Petten¬ 
kofer hatte kurz vorher seine exakte Bestimmung der Kohlen¬ 
säure in der atmosphärischen Luft veröffentlicht. Von ihm 
rührte der geniale Gedanke her, abweichend von den früheren 
Autoren nicht die ganze Abluft eines Tierraumes, sondern nur 
einen aliquoten Teil zu untersuchen. Mit dem neuen Apparat, 
dessen Einzelheiten ich hier als bekannt voraussetze und der 
so gross gebaut wurde, dass seine Respirationskammer auch 
den Menschen zum Aufenthalt dienen konnte, haben die beiden 
Forscher begonnen, die vollständige Stoffwechselbilanz aufzu¬ 
stellen; wenn ich sage, die beiden Forscher, so muss dabei be¬ 
tont werden, dass die eigentliche Versuchsarbeit von Voit 
geleistet wurde und auch der Plan zu diesen Versuchen rührte 
von Voit her. Ich weiss aus dem Munde meines verstorbenen 
Lehrers, dass Pettenkofer oft gedrängt hat, doch öffent¬ 
lich den wahren Anteil an diesen Untersuchungen klarzustellen 
und zu verkünden, dass er, Pettenkofer, im wesentlichen 
nur den Apparat konstruiert habe. Voit hat in seiner Be¬ 
scheidenheit dieses Ansinnen stets abgelehnt, und so sind diese 
Untersuchungen bis auf den heutigen 'lag diejenigen von 
Pettenkofer und Voit geblieben. Voit benötigte zur 
Erreichung seines Zieles seinen väterlichen Freund nicht nur 
wegen seiner Erfahrung in chemischen Dingen und seiner Er¬ 
findungsgabe, sondern vornehmlich auch deshalb, weil die 
äussere Stellung Pettenkofers direkt erforderlich war, 
die Kosten für die Konstruktion herbeizuschaffen. Man weiss, 
dass Pettenkofer mit der Unterstützung von Liebig es 
verstand, den für die Wissenschaft so begeisterten König M a x 
zur Stiftung von 7000 Gulden für diesen Zweck zu veranlassen. 
Später hat Voit den grossen Apparat modifiziert und mit 
' esentlichen Vereinfachungen seinen kleinen Respirations- 
rat konstruiert unter Beibehaltung des von Pc t teil - 


koffer angegebenen Prinzips. Was der Apparat nun ge¬ 
leistet hat, das schildert Voit selbst in kurze im Nekrolog auf 
Pettenkofer w ie folgt: 

„Pettenkofer und idi haben uns zu den Unter¬ 
suchungen mit dem Apparate verbunden tir.J 1<> I.dre inten¬ 
siver freudiger Arbeit mit einander verlebt. Unsere \ itmiJic 
an Hunden und an MensJie-n waren die ersten, bei welchen der 
Gesamtumsatz im tierischen Organismus ermittelt wurde. 1> 
ist unmöglich, auf die erhaltenen Resultate naher e.tvugeben: 
es sollen nur die hauptsa Jähsten erwähnt w e r de u. Man 
kann sich aber wohl denken, welche Empfindungen wir hatten, 
als sich ikiJi und nach vor unseren Augen e.n B. d der merk¬ 
würdigen Stoffw echseK organge im Körper enthal te und eine 
Fülle von neuen Tatsachen uns bekannt wurden. W ir fanden, 
dass beim Hunger im wesentlichen nur Ei w ems und Eett 7e r s?..n 
wird, denn es wird dabei ebensoviel Sauerstoff m den Körper 
aufgenommen, als zur Verbrennung des aus der Spcksv ff- u: J 
KohlenstoffaussJieiduiig berechneten Eiwems- und Eettutn- 
sat/es notwendig ist. Der fleisdiiressende Hund \ er mag s:di 
ausschliesslich mit Eiwciss auf seinem stofikdiem Best.o de an 
Eiweiss und Fett zu erhalten, indem bei diesem B'ar/\trMjdi 
sich alle Elemente der Einnahmen genau in dem Ausg.thvP 
wieder vorfinden. Ueber die Bedeutung der st.cksp mreie n 
Stoffe der Nahrung, nämlich des Eettes und dir Kolke h\d'ate. 
erhielten wir mamgf.iche Aufs Jiiussc: mit Ee’t und K oh \- 
hydraten allein wird der Verlust \ • »n Fett v**m Körper aufge¬ 
hoben, jedoch braucht man zu diesem Zweck ' • m dev K • kke - 
hydraten wesentlich mehr wie' \on dem Eett; wenn dir K>* r ;x r 
bei mittleren Mengen vmi Eiwe ss alh in m-di E.we sc und 
Fett abgibt, so erhalt sidi das Der bei Zusatz von Eett oder 
Kohlehydraten auf seiner Zus.mmieise t/mg. wahrend es o!mc 
die stickstofffreien Stolle zu dem gleidun Erb dg sdir be ¬ 
trächtliche Mengen \ou Eiweiss bi.nicht Ob? inan, zu der 

grossen Quantität \ on Eiweiss. welche den Körper auf st.rtr 
stoitlichen Bestand völlig erhalt, nodi Eett dazu, dmm wird 
dieses Fett rudit zersetzt, sondern alles am Körper abgt’.-.gert. 
Die Muskelarbei! des Mcnsdum bedingt, \nnii d e Ndmimg 
l ine ausreichende ist, keinen grosseren \erbr.mdi au 1'.weiss. 
wohl aber an stickstofffreien Stoffen; bei der Ruhe. M":u!e"s 
im tiefen Schlafe nadi einem läge anstre: ge mh r l.it^ket. 
wird weniger Eett zerstört. Bei sdir grossen Gabem \ mr I i- 
weiss haben wir m zwei Ner^uduu au den be.deu trs^j; 
Tagen zw ar allen Stickstoff de s E'iw eiss t s m de ** Aus¬ 
scheidungen wieder aufgi tmuhm. aber nidit .Ule n Kobäns*. 
es fehlten täglich 42 g. die im Körper zimukge b'u Km s.<d; 
wir deuteten diesen Befund so. dass dieser K o} : ;<. i-st. m m aus 
dem Eiweiss entstandenen Eett autge spt rdu M w«»‘d«n m:; 
auch bei Berücksichtigung des Eettg haites des \ e ? tat te * ?e 11 
Fleisches bleibt unsere Deutung bestdun. 

Die für die Sauerstoltauinahme erhalte in n Zahlt t: f-dirte:: 
uns zu der Vorstellung, dass de r Sauerstoff r;di: d e midiste 
Ursache für die Zersetzung nn Körper ist. wie n an b.s d.ilun. 
seit L a v o i s i e r und E i e b i g a'lgetnem a? gtr.-mu eu hatte ; 
wäre dies so gewesen, dann liatten d.e Stofie ni (): gamsmus 
wie auserhalh desselben nach ihrer Verwandtschaft- zum Sauer¬ 
stoff verbrennen imisseii. d. h. am leichtesten das Eett. danri 
die Kohle h\drate uiiel am schw ie rigste n das E.iwtiss. w ahmend 
im Organismus am leichtestem und in grösster NU : -„e das Ei- 
w eiss in seine midisten Komponenten gespaKm w:*d. dann d e- 
Kohlehydrate und am sdiw ie r: K s* L n ehts fett. Unter sops* 
gleichen äusseren \ crlinltniwim mt der Saue r st< ft\e d*^i|^di 
in den weitesten Grenzen Schwankend. nur durdi de \er- 
schiedene Qualität und (.hiantitat de r zuge fd-rte u Na-Vungs- 
stoffe bedingt: reichliche Eiw eiwiiftihr bewirkt e ie go,cc. v - c 
Saiierstiiffautnahme ohne dass daKi im.hr Eett m K-uur arr- 
gegriffeii wird, die Zufuhr des n:iss tr hu!b sn h d‘t irbreri!- 
licheii Eettes ändert ie dodi an ehr SgPU-rvP .f*\t; ahme irdits. 
Der Eiweissiims.it/ ist nidit direkt \ <.m Saue rs?, ff abhängig, 
da dieser l ‘iiisatz durdi die Muske hohe t Pu ht Ke: ‘‘hisst w :rd. 
obwohl dabei die doppelte Menge .ff zur \ e*bmnnu: g 

von Fett aufgenojiimeii wird. Die Ee'te und K<4i:di\ dra’e er¬ 
setzen sidi nidit in den Mengen, m d erneu s| v idle Memgen 
\'on Sauerstoff /up Verbreitung be,udmii. snud» rn, wie s;>;.*. r 
durch die \ ersudie R u b n e r s be moiii wurde*, m be¬ 
stimmtem Ehillen m de n Mi ngeri. m v U. K: s c deiche Menge'! 
von Warme liefern. 


□ igitizedty L,o öle 


Original fm-m 

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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1441 


Auch an kranken Menschen, bei welchen wir Aenderungen 
der Zersetzung voraussetzen durften, haben wir die ersten 
Versuche über den Qesamtstoffwechsel angestellt. Aus den 
bei einem an hochgradiger Zuckerharnruhr Leidenden er¬ 
haltenen Zahlen habe ich später geschlossen, dass alle Ver¬ 
änderungen der Stoffzersetzung bei dieser Krankheit erklärt 
werden können aus der Ausscheidung der grossen Zucker¬ 
menge im Harn; infolge derselben wird mehr Eiweiss zerstört 
und auch mehr Fett, da dieses für den durch die Zuckeraus¬ 
scheidung erlittenen Ausfall eintreten muss; die Sauerstoff¬ 
aufnahme und die Kohlensäureausscheidung des Diabetikers 
ist deshalb die gleiche wie die eines Gesunden von dem näm¬ 
lichen Körpergewicht. — Bei einem an Leukämie Erkrankten, 
bei welchem die Zahl der weissen Blutkörperchen enorm ver¬ 
mehrt und die der roten, den Sauerstoff aufnehmenden Blut¬ 
körperchen in gleichem Grade vermindert war, zeigte sich 
keine geringere Aufnahme von Sauerstoff und keine geringere 
Zersetzung wie bei einem normalen Menschen bei der näm¬ 
lichen Nahrung, woraus wir entnahmen, dass auch eine ab¬ 
norm kleine Zahl der roten Blutkörper durch kompensierende 
Einrichtungen ebensoviel Sauerstoff in den Körper zu befördern 
vermag, als eine normale Menge derselben.“ 

Gestatten Sie nur, dass ich aus der Fülle dessen, 
was der neue Apparat leistete, zunächst noch einmal das 
Wesentlichste hervorhebe. Auf Grund der Versuche von 

V o i t und Pettenkofer war es jetzt möglich exakt 
in jedem einzelnen Fall festzustellen, wie viel Eiweiss, 
Fett und Kohlehydrat im Organismus in» einer Versuchs¬ 
periode zerstört wurden. So konnte man jetzt die Gesetze 
kennen lernen, nach denen diese Zersetzung beim ge¬ 
sunden und kranken Menschen erfolgt. Man kann sagen, 
keines der von V o i t erhaltenen Resultate, so weit er sie 
nicht selber korrigierte, oder durch seine Schüler korrigieren 
liess, sind als unrichtig erkannt worden. Freilich ist es richtig, 
dass V o i t und Pettenkofer früher glaubten, aus den 
Kohlehydraten werde im Organismus kein Fett abgelagert, 
aber gerade durch Versuche, die aus dem physiologischen 
Laboratorium hervorgegangen sind, wurde diese Tatsache 
selbst gesichert, so z. B. durch eine Untersuchung von Erwin 

V o i t und von K. B. L e h m a n n an Gänsen. Durch Versuche 
von Rubner wurde diese Fettbildung aus Kohlehydraten 
wenigstens wahrscheinlich gemacht. Die so vielfach an¬ 
gegriffene Lehre von der Fettbildung aus dem Eiweiss ist ge¬ 
wiss nicht widerlegt und auch unter den alten Versuchen 

V o i t s finden sich solche, die den C-Ansatz aus Eiweiss im 
Körper des Tieres dartun und die man nicht als unrichtig er¬ 
weisen kann. Spätere Versuche von Rubner und Erwin 

V o i t und auch von mir tun das Gleiche dar und gerade in 
allerjüngster Zeit ist durch Versuche von Kollegen Wein¬ 
land, die sich im Druck befinden, meines Erachtens wenig¬ 
stens bei den Fliegenmaden der sichere Beweis einer Fett¬ 
bildung aus eiweissartigen Substanzen erbracht worden. Ich 
bin überzeugt, dass in nicht zu ferner Zeit die alte Voit- 
sehe Lehre sich allgemeiner Anerkennung erfreuen wird. 
Durch seine bisher mitgeteilten Arbeiten hatte Voit 
den Boden für die Entwicklung seiner Wissenschaft ge¬ 
schaffen und auf diesem Boden sind weitere Resultate 
erzielt worden. Als Schüler V o i t s hat Max Rubner 
das Isodynamiegesetz erwiesen. In meiner Lebensbeschrei¬ 
bung meines verehrten Lehrers, die ich zum 70. Ge¬ 
burtstag verfasst habe, habe ich den Ausdruck „auffinden“ 
gebraucht, gegen den dann v. H ö s s 1 i n protestiert hat. Es 
ist hier nicht der Ort, auf den Prioritätsstreit zwischen den 
beiden Autoren näher einzugehen, der Leser findet ihn in 
der Münchener med. Wochenschrift im Jahre 1901 und 1902. 
Ich will gern zugeben, dass ich damals besser gesagt hätte 
statt „auffand“ — „dasselbe hierdurch als giltig erwies“, wobei 
ich jedoch die Frage offen lassen will, wie weit vor Rubner 
v. Hö ss 1 in und andere Forscher, z. B. Bidde r und 
Schmidt dem Isodynamiegesetz nahe gekommen sind. Das¬ 
selbe sagt bekanntlich, dass unter gewissen einschränkenden 
Voraussetzungen die verschiedenen Nahrungsstoffe sich in 
denjenigen Verhältnissen vertreten, in welchen sie gleiche 
Wärme entwickeln. Bei abundanter Zufuhr ist dies nicht 
mehr der Fall und bei Eiweissfütterung auch schon dann 

No. 27. 


nicht mehr, wenn- die gereichte Eiweissmenge den Hunger¬ 
bedarf in ihrem kalorimetrischen Wert noch nicht er¬ 
reicht. Es ist Rubners Verdienst, die energetische 
Betrachtungsweise in den Vordergrund geschoben zu 
haben, aber es ist unrichtig, anzunehmen, Voit habe für 
diese nicht das volle Verständnis gehabt. Er wusste sehr 
wohl, inwieweit eine energetische Betrachtungsweise möglich 
und berechtigt war, aber dass es auch Fragen gibt, die der 
energetische Standpunkt gar nicht zu entscheiden gestattet, 
man denke nur an den Mineralstoffwechsel, bei dessen Be¬ 
trachtung man an dem alten Standpunkte, dem rein 
stofflichen festhalten muss. Als Beweis dafür, dass auch 
Veit selbst den energetischen Beziehungen die aller¬ 
grösste Aufmerksamkeit schenkte, dient ein noch heute 
im physiologischen Institut befindliches Kalorimeter für 
den Menschen, das die Gebrüder Voit gemeinsam kon¬ 
struiert haben. Leider sind bis auf zwei kleine Bemer¬ 
kungen in V o i t s Handbuch Versuche mit diesem Instrument, 
das allerdings heute überholt sein dürfte, nicht publiziert 
worden, aber die Tatsache seines Vorhandenseins beweist doch 
die Bedeutung, die Voit den Energiebeziehungen beige¬ 
messen hat. 

Und eben dasselbe beweist auch diese historische Tafel, 
die ich Ihnen hier mitbringe und die aus dem Jahre 1866 stammt. 

I Sie sehen hier, wie Voit aus seinen Respirationsversuchen 
die Kalorienproduktion berechnet hat und wie sich hier findet, 
dass ein Arbeiter 2,25 Millionen Wärmeeinheiten bei Hunger 
und 2,50 bei mittlerer Ernährung gebraucht. Voit konnte 
also mit Recht sagen, dass es ihm nichts neues war, als 
v. H ö s s 1 i n aus seinen und Pettenkofers Versuchen 
am Menschen herausrechnete, dass die entwickelten Wärme¬ 
mengen bei den verschiedenen Ernährungen von einander nicht 
so sehr abweichen. Wie dem aber auch sei, der Boden, auf 
dem die Ansichten von H ö s s 1 i n s und Rubners gediehen, 
den hat Carl v. Voit geschaffen. 

Eine der umstrittensten Lehren von Voit ist das Kost- 
mass, das er für den mittleren Arbeiter aufgestellt hat, für 
den er bekanntlich 118 g Eiweiss, 56 g Fett und 500 g Kohle¬ 
hydrate verlangte. Namentlich um diese 118 g ist ein heisser 
Streit entbrannt; man hat sie sehr oft als viel zu hoch be¬ 
zeichnet. Vor mir liegt ei/ne Schrift, die in Angriffen auf 
ihn das Möglichste in dieser Richtung leistet. Es mag genügen, 
dem gegenüber die Worte Tigerstedts zu zitieren, die er 
im Handbuch von Nagel zu der Frage schreibt. 

„Da es indessen bei der Anordnung der Kost in einer 
öffentlichen Anstalt äusserst zweckmässig ist, von einem 
Normalkostmass, das nicht allein die absolute Energiezufuhr, 
sondern auch die Zufuhr von Eiweiss, Fett und Kohlehydraten 
berücksichtigt, auszugehen, dürfte meines Erachtens die Zahl 
i von Voit fortfahrend zu wählen sein, denn die frei gewählte 
Kost enthält, in Europa und Amerika wenigstens, in der Regel 
ebensoviel oder noch mehr Eiweiss.“ 

In allen bisherigen Untersuchungen sehen wir denselben 
roten Faden hindurch ziehen. Methoden und Gesetze der Stoff¬ 
zersetzung ergründen und Normen für den praktischen Ge¬ 
brauch schaffen, das war das Ziel und wirklich in höchstem 
Masse hat Voit das erreicht. Dazu aber gelangen ihm hier 
und da auch noch einige besondere Funde, die aber immer 
noch mit seinem Hauptgegenstand im Zusammenhang standen. 
So fand er frühzeitig die sogen, kardiopneumatische Be¬ 
wegung. Beim Atmen durch das M ü 11 e r sehe Ventil ent¬ 
deckte er nämlich, dass auch in den Atempausen kleine 
Schwankungen der Wassersäulen stattfanden, die synchron mit 
den Herzbewegungen waren. Voit konnte diese kardio¬ 
pneumatische Bewegung noch auf andere Art demonstrieren 
und erkannte in ihr das Mittel, mit dem der Winterschläfer 
seinen Gaswechsel unterhält. 

Ein weiteres wichtiges Ergebnis fanden Bauer und Voit 
gelegentlich ihrer Untersuchungen über die Resorbierbarkeit 
des Eiweisses in Darmschlingen. Voit betonte, dass diese 
Verhältnisse nicht erklärt werden könnten durch die Annahme 
eines einfachen Schemas für die osmotischen Beziehungen 
zwischen Darminhalt und Blut. Diese Behauptung ist lange 
unbeachtet geblieben bis Heidenhain dasselbe fand und 
zunächst ohne Kenntnis dieser älteren Versuche veröffent- 

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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1442 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


lichte. Dann aber Hess er V o i t die volle Anerkennung, auf 
die derselbe mit Bauer Anrecht hatte. Er schrieb: 

„Ich darf diesen Paragraphen nicht schlossen, ohne zu 
erwähnen, dass bereits vor 25 Jahren C. Voit die Resorption 
von Blutserum im Darmkanal beobachtet hat, als er die Ei¬ 
weissresorption studierte. Die von ihm beobachtete Tatsache 
führte Voit zu dem Schlüsse, dass die Resorption nicht durch 
Diffusion zustande kommen könne. — Die Voitssche Beobach¬ 
tung — vereinzelt wie sie war - ist bei der Diskussion der 
Resorptionstheorie in der Literatur ganz ausser acht geblieben; 
auch ich habe sie erst bei nachträglicher Durchmusterung meiner 
Collectanea während des Niederschrcibens dieser Arbeit auf¬ 
gefunden und freue mich, sie wieder zu Ehren bringen zu 
können.* 4 

Damit glaube ich Ihnen ein Bild der wissenschaftlichen 
Tätigkeit meines unvergesslichen Lehrers entrollt zu haben. 
Gewiss wäre noch viel, sowohl über die Arbeiten des Meisters 
selbst, als namentlich auch seiner Schüler zu sagen. Ich er¬ 
innere Sie an die Namen Herzog KarlTheodor von Bayern, 
Förster, Hofmann, Müller, Renk, Schuster, 
Prausnitz, Moritz, Feder, Bergeat, Fritz Voit und Otto 
Frank, um nur einige hervorzuheben. Aber ich würde Ihre 
Zeit über Gebühr in Anspruch nehmen, würde ich hier dieselbe 
Ausführlichkeit in der Darstellung walten lassen, wie bezüglich 
der ersten Entwicklung und der ersten Hauptsätze, die V o i t 
gefunden, und es bliebe mir nur noch die Aufgabe, in wenigen 
Strichen Ihnen Voit als Mensch zu zeichnen, wenn Sie. meine 
Herren, ihn nicht alle selbst kennen würden. Es werden nicht 
viele Menschen existieren, die eine so heilige Auffassung von 
dem besassen, was man eiserne Pflichterfüllung heisst, wie 
Carl Voit und nicht leicht hatte jemand ein gleiches Be¬ 
streben, gerecht gegen alle zu sein. Wenn er etwas für richtig 
erkannt hatte, dann brachten ihn keinerlei Rücksichten von dem 
einmal eingeschlagenen Wege ab, er war nicht nur gegen 
Drohungen, sondern auch gegen Bitten unbestechlich. Es sei 
erinnert an seine Strenge im Examen; gewisse Kenntnisse ver¬ 
langte er unbedingt und Hess in Bezug auf dieselben keine 
Kompensationen zu. Und bei dieser grossen Strenge gegen 
sich und andere war er doch im persönlichen Umgang stets 
liebenswürdig und wenn auch weit davon entfernt, die Be¬ 
deutung der von ihm gehobenen Edelsteine des Wissens zu 
unterschätzen, war er ein bescheidener Forscher. Er gab un¬ 
umwunden zu, dass ihm einige Gebiete seiner Wissen¬ 
schaft nicht direkt zugänglich seien, weil es ihm zum 
vollständigen Verständnis an den nötigen Vorkenntnissen 
fehlte. Das Verhältnis zu seinen Assistenten war das eines 
väterlichen Freundes und er hatte namentlich eine goldene 
Eigenschaft, er Hess gern jeden in seinem Laboratorium sich 
den Weg selbst suchen, auf dem er glaubte, wissenschaftlich 
am weitesten zu kommen. So kam es, dass aus seinem In¬ 
stitute in den letzten 10—15 Jahren Arbeiten hervorgehen 
konnten, die seinem eigenen Forschungsgebiet gänzlich fern 
lagen. Ich selbst habe es namentlich dankbar empfunden,, dass 
er mir volle Freiheit Hess, meinen wissenschaftlichen Lieblings¬ 
neigungen nachzugehen. Und dabei zeigte er für die Resultate 
selbst das grösste Interesse; wiederholt hat er mich gebeten, 
ihn doch zu rufen, wenn meine Vesuchsergebnisse irgend 
etwas Beachtenswertes ergeben hätten. Er war in dieser 
Richtung also nicht nur selbst Forscher und gewaltiger För¬ 
derer der Wissenschaft, er war auch ein Maccenas für andere 
Bestrebungen, an denen er selbst nicht teilnehmen konnte. 

Mit grossen Hoffnungen gingen wir im Institute anfangs 
November vor. Js. ins Semester. Unser verehrter Lehrer war 
so völlig erholt aus der Sommerfrische wiedergekommen und 
hatte sich mit einem solchen Eifer in seine Arbeiten gestürzt, 
dass er uns geradezu verjüngt vorkam. Da trat plötzlich ein 
leichtes Unwohlsein auf, das ihn nach einigen Tagen zwang, 
die Vorlesung vorübergehend auszusetzen. Von bangen 
Ahnungen erfüllt, baten wir ihn, sich möglichst zu schonen, 
womöglich ein südliches Klima aufzusuchen. Wir richteten 
wiederholt diese Bitte an ihn, vergebens! Er glaubte es seiner 
Pflicht schuldig zu sein, so lange es seine Kräfte ihm erlaubten, 
wenigstens die grosse Vorlesung weiter zu halten. Es kamen 
dann die Weihnachtsferien. Leider wurde der Zustand 
schlimmer und schlimmer. Es kam Neujahr, es begannen die 


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Vorlesungen w ieder und alle unsere B.tten an Ji i: n:;' sJ:\nr 
kranken Mann, sieh zu sch'ifvn. waren \ erge ‘«erv Erst aS 
er beim Heimgang von der \ orleMing am I". I.u iur \ <*u sk::. 
Trambalmw agen aus kaum mehr seine Wil-mg hatte er¬ 
reichen können, da ergab er suh dun Zwar g der \e r h.«'t: .^"e. 
dei tückischen Krankheit, die ihn bua’iui hatte. Lh lade :::: 
nach diesem Jage nur noch zweimal gebeten, denn aV\ s d 
begannen seine geistigen l ah.gkuten ab/ui e 1 ::iui ir J am 
dl. Januar erlostoe ihn der I«»d \»»n seinem sJiweru: l e du.. 

Wie Schon wäre es gewesen, wenn ihm r.iJi se;t:un be¬ 
vorstehenden Rücktritt noJi ein längeres ot. au umi d u *..*v 
beSchieden gewesen wäre. SJmn l ir s:i;e Farn.: e, sU: 
für uns, seine Freunde und Schüler! Abel :Ji g a.:t\ : ..V 
eben so schon auch für den \ erstorbene n m Ibs;., denn & d. 
der so mit allen seiner Fasern an vier Arbe.t u; d der P*i 
ermlhirig hing, wie Cat I v. Voit. der lütte vJt ihiiua m 
seiner unfreiwilligen Musst* ghukhJi getuh.t. 

Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Ein ärztlicher Beleidigungsprozees. 

Am 21. .Mai ds. Js. hat vor dem Kg! Ear. .!•*•*?* k De s.uen \. r t 
cm Beieidigungspr<i/ess sein l tide gitimliM. der M- r ute i.a g 
hiesige Aer/tesc halt in Atem hielt ui: J s--w.-;il bei letzte 'e r a s ,i:. v 
bei der Bürgerschaft ganz \ eis Juedeuartig beurtv .t wurde I v e r¬ 
scheint deshalb wichtig und notwendig. den Lesern dieser \\ - >. e:r- 
schrift einen objektiven Beruht zu gehen utul k len i me ■ o; v.:i 
selbst ein Urteil bilden zu lassen. Zu dusim /«ea.e i-zw u’i 
etwas weiter ausholen und aut frühere Begebe :.he:*t n zu* .ukg*«. \ r.. 
die der Allgemeinheit nur teilweise oder gar nicht besamt >• ; 

Schon lange bemüht suh die Aer/les,. butt Ba \ erns. e: u s^z.le 
Ordnung zu erhalten, um ahn.ich wie die Anw.i :e Dv.uuls . der 
die Aer/te Sachsens und Preusscns die k- .v\tn gegen «e g u::e 
unlautere Handlungsw eise einzelner, die es mit der M.r.dv w • • t j . 

So genau nehmen. Schutzen zu können und v..':.:t sw de »m.I 

Starnlesbew usstsem /u festigen und zu c’h. Im. ! .sder tr :/ e es 
einmaligen Veisuches Seitens vier kgl Mu.tisn gu*tfi:g \i-gsbe-s 
Wiederholt haben Aer/tes erem und Aer/tckur. :: v r aut ,..is tr. 
haltbare dieses Zustandes hmgew lesen. aber me ist etwas P v \ t s 
erreicht worden. Wohl ist den ar/Ouhcn Be.’irkw v :t im n d:.:*r: e 
Allerhöchste Entschliessung \<un 9. .1 •;,i eme l .,:v::,eu:.> . 0 - 

keit vci liehen worden. doji erstreikte suh diese mir au .u-.n V.t- 
glieder, und auch letztere kontien suh don.l vi; ,v iv'/vd d.um V..s. 
tritt entziehen. Da musste nun unK J.ngt etwas ^vd-de:, 
die medizinische und politische Presse suh * tter n.t dieser VGe¬ 
legenheit beschäftigte und so munJie Zustande gv.sM te. a..t d e 
Stolz zu sein wir keinen (irund haben; so war 7 B m S* 
Jahrg. I9n7 des ..illustrierten brcindenb attes Um- n iDe.;ts v ::e Budi - 
Zeitung)” ein Artikel „Der Badearzt im W mter.juart.er' - c*sji; v m n. 
der nullt gerade schmeichelhaft I.ir unseren >:.-;d zu 1 : 0,011 war; 
So hatte auch Kollege Nassauer in daver Ze.ts^hott das \ 
gehen eines Badearztes scharf krü.sicrt und ioJi r-umhev \:-,dv-e 
aus neuester Zeit Ware liier an/ut ?;ren 

Aus solchen Erw agungeti heraus hatte vier ar/t uhe Bi zrks* 
verein Bad Kissmgen in einer Mt/ung im M, / 1 "7 io.;, svvu. 
Schritte zu tun, um diese l ebclst.mde aus der Wdl /u s v <. n. u::d 

seinen Vorsitzenden. Herrn fhirat Dr. SJi.. 1 v a.ui, t : C 1 u- 

gabe an die kgl. Staats» cg lerung zu n.ulun m dv m > *;:u, t 

Aer/te, die auf Maatsstellung. Bet.-rderung und A . 0.0 g v. 

tieren, zu veranlassen, sich vier Mundes-*r ganv.it* n u* d dv *v:: 1 .'vu- 
gerichtsbarkeit zu untersteilen, um aui v;u se Wv.sc .1 ^ s. " t- 

liclie Acr/tc der StarivlesorÜMing zu/ir .* :rv n. De \;;:w..rt n 1. .- t r 

Stelle erschien am J.L resp. J7. Juii l-^'T I w .o m d L m r W 
schritt im Wortlaut ahgedriukt (Miruii n.vd. W . w ■ s v hr.. \. 
Jahrg. 1907). Diese I ing.ihe hatte a s,. mir .Ln 1 n t • w v : 

sachlichen Zweck, sollte vier kgi. Maat>fv.g.v: i.r g V.atv* m ! \^- 
lass zur Aufstellung einer Man '.vs..:dnimg gv' _ ;• k te d. v ; :. ; b 
zur Illustrierung der Notwendigkeit einer v n aut iw »;>e ans 
dem baverischen \ eretjt*!cbcn uis.ht \erzubttn. \.<- eti wi.-.vn h e- 

bei Selbstverstaiivllich nicht genannt. I s wir .v aut d c l • t 

der IMluhten und kV eilte liingv w usetr. die n.idi V !v r >.u !..age t * 
Mitglieder und NiJitmitgiiedcr der Kne'iv'n Avt/tv-u.r .v.-t. n 
Geltung haben. Wahrend die Pf.ivhten. w v L e d.e >ta- to ' g 

mit sich bringt, mir den erstem» .•! .ug-.n. lakrvrt an den k’vU tvn 

die ausserhalb Stehenden ebenso te:i. ia in w r ts.. 1 Jtv z.v 1 1 ;*tg 

ist ihnen durch den Mangel an Pr.whten d.e k uk-rrw u-g.--v ri 
erleichtert. 

Ein Passus in der Eingabe lautete 7 . B. i 'gefdv müssen: ,.ii ui; i 
einen anderen hiesigen Ar/t hat der \'v. ,n. w .v ad. ,t Me u::g 
nehmen müssen, obw .dil er dem \ ere.n sd': n seit l.r ge'er Ze t 
nicht mehr als Mitglied ar.geb.--rt, weil d-.i-de »nter X-.lerem 
kostenlose Behandlung der zum kurgv I -;i;g •; rac*1 k.w g-.-'. k m- 
menden Offiziere ausgeschrieben hat. was s**:w er gegen de >*.ardcs- 


Ori_gmal frorri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 








7. Juli J908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1443 


Obliegenheiten verstösst [Statuten §§ 64 1 ) und 86]. Der Herr hat 
sich weiterhin nicht im mindesten in seinem standeswidrigen Vor¬ 
gehen stören lassen, dafür aber kürzlich einen hohen russischen 
Orden bekommen“. 

Das standeswidrige Verhalten war s. Z. erblickt worden in 
einem Ausschreiben im deutschen Kolonnenführer vom 15. August 
1904 und gleichlautend in der Beilage der Zeitschrift „Das rote 
Kreuz“, Berlin 31. Juli 1904, No. 16, das folgendermassen lautete: 

„Bad Kissingen.“ 

„Um den invaliden deutschen und russischen Kriegsteilnehmern, 
welche zur Beseitigung ihrer Leiden den Gebrauch der hiesigen 
Kurmittel nötig haben und nicht die erforderlichen Mittel hierzu 
haben, zu ermöglichen hieher zu kommen, haben sich nachstehende 
Hoteliers bereit erklärt, denselben freie Wohnung und Verpflegung 
zu gewähren, eventuell den Herren Offizieren die Pension mit 50 
Proz. Nachlass zu berechnen. 

(Folgen die Namen der Hotels und Pensionen.) 

Freibäder stellt die Verwaltung der Kgl. Bäder (Friedrich Hes¬ 
sing), freie Medizin und kostenlose chemische und bakteriologische 
Untersuchungen Dr. K. (Boxbergers Apotheke) zur Verfügung, wäh¬ 
rend der Unterzeichner, Herr Hofrat D., gern bereit ist, die ärztliche 
Behandlung zu übernehmen und die Kurmittel in seiner Anstalt: In¬ 
halationen, pneumatische Kammer, elektrische Bäder usw. kostenlos 
nehmen lassen würde. 

An das aus Herrn Hofrat Dr. D. als Vorsitzenden, Herrn Hotel¬ 
besitzer B. als Schriftführer und den Vorstandsdamen des „Frauen¬ 
vereins unter dem Roten Kreuz“, Frau Geheimrat S. und Frau 
Hofrat D. bestehende Komitee wäre vor dem Eintreffen des Invaliden 
Nachricht über dessen Ankunft zu übermitteln; die Verteilung an die 
einzelnen Hotels und Restaurants würde von dem Komitee aus 
besorgt werden. 

Bad Kissingen, den 6. Juli 1904. 

Hofrat Dr. D. 

Badearzt und Oberstabsarzt der Landwehr und Vorsitzender des 
Lokalkomitees für Lazarettangelegenheiten (Landeshilfsverein vom 
roten Kreuz), Kolonnenführer.“ 

Ausserdem erschien noch eine Reihe von Artikeln in der hiesigen 
Saalezeitung, die sich mit der Angelegenheit beschäftigt haben. 

Der oben erwähnte Passus der Eingabe war ohne Wissen und 
Willen des ärztlichen Bezirksvereins, resp. dessen Vorsitzenden vom 
Kgl. Ministerium des Innern dem Kriegsministerium zur Verfügung 
gestellt worden, und Herr Hofrat Dr. D. hatte sich vor seinem 
Militärehrenrat zu verantworten mit dem Erfolge, dass letzterer er¬ 
klärte, Herr Hofrat Dr. D. habe sich nicht gegen die Standesehre 
verfehlt. Daraufhin liess letzterer ein Schriftstück drucken und an 
alle hiesigen Aerzte (mit Ausnahme der Vorstandschaft), die Aerzte- 
kammer, den Leipziger Verband und die Kgl. Regierung verbreiten, 
das schwere Beleidigungen gegen die gesamten Mitglieder, ganz 
besonders aber gegen die Vorstandschaft und den Vorsitzenden des 
ärztlichen Bezirksvereins, Herrn Hofrat Dr. Sch. enthielt. Diesem 
ersten Schreiben vom 24. X. 07 folgte bald ein zweites, das haupt¬ 
sächlich nur gegen Dr. Sch. gerichtet war. Diese Schriftstücke ent¬ 
hielten folgende Sätze: „Hofrat Dr. Sch. habe wissentlich und vor¬ 
sätzlich die Unwahrheit gesagt, habe wider besseres Wissen und 
vorsätzlich Unwahres dem Kgl. Staatsministerium berichtet; die dies¬ 
bezügliche Eingabe sei nackt und frakt eine Denunziation und Ver¬ 
leumdung; es sei nicht zweifelhaft, dass ein Verein, der aus Ge¬ 
bildeten bestehe, denen die Ehre über Alles geht, in seiner Ge¬ 
samtheit unfähig sei, zu einer so erniedrigenden Handlungsweise; 
es wird wiederholt von verleumderischer Denunziation gesprochen 


*) § 64 lautet: „Es ist gegen die Würde des ärztlichen Standes, 
in irgend einer Weise Reklame zu machen, z. B. wiederholt öffent¬ 
liche Anzeigen zu erlassen, durch Karten oder sonstige Ankündigungs¬ 
mittel die Aufmerksamkeit besonderer Arten von Kranken auf sieb 
zu lenken. Armen oder dem Publikum überhaupt öffentlich oder 
privatim seine ärztliche Hilfe unentgeltlich anzubieten (auch nicht 
durch Ausschreiben von Polikliniken), oder gegen besondere Vorteile 
unentgeltlich auszuüben, briefliche Behandlung, Zusendung beson¬ 
derer Arzneien und Instrumente zu versprechen, durch sog. populäre 
Broschüren auf bestimmte Heilmethoden aufmerksam zu machen, 
Krankengeschichten oder Operationen in nichtwissenschaftlichen Zei¬ 
tungen zu veröffentlichen oder deren Veröffentlichung zu gestatten. 
Laien als Zuschauer zu Operationen einzuladen, sich Zeugnisse oder 
Danksagungen für ärztliche Hilfe oder Heilerfolge öffentlich oder 
privatim ausstellen zu lassen oder ähnliche Handlungen zu begehen. 
Selbstverständlich ist es jedoch jedem Mitglied gestattet, bei Nieder¬ 
lassung an einem anderen Orte oder bei Wohnungswechsel jeweils 
dem Publikum in ortsüblicher Weise (3 mal) durch öffentliche Blätter 
hiervon Nachricht zu geben; auch kann er bei dieser Gelegenheit, 
sofern er Spezialist im ernsten Sinne des Wortes ist, dies mitteilen. 
Ausserdem soll sich keiner Spezialist nennen, der nicht nachweisen 
kann dass er wenigstens ein Jahr hindurch nach der Approbation sich 
einem s Deziellen Fach gewidmet hat oder ausser dem Spezialfach 
keine allgemeine Praxis ausubt. 


und behauptet, nach Anschauung des Dr. Sch. seien Denunziation 
und Verleumdung nicht standeswidrig.“ 

Der ärztliche Bezirksverein beschloss hierauf in einer Sitzung 
vom 11. November 1907, gegen Herrn Hofrat Dr. D. Beleidigungs¬ 
klage zu stellen und den Vorsitzenden zu beauftragen, im Namen des 
Vereins die Klage zu erheben. Dieser wurde vom Kgl. Amtsgerichte 
Kissingen stattgegeben und Verhandlung auf 2. April 1908 vor dem 
Schöffengericht Kissingen festgesetzt. Es war von klägerischer Seite 
eine grössere Anzahl wichtiger Zeugen und Sachverständiger aufge- 
boten worden, das Gericht lehnte jedoch die Vernehmung der meisten 
Zeugen und der beiden Sachverständigen ab und kam zu einer Ver¬ 
urteilung des Beklagten und zwar zu einer Geldstrafe von 30 M. und 
Tragung der Kosten. Die sehr ausführliche Begründung spricht von 
einer Kompetenzüberschreitung des ärztlichen Bezirksvereins, da 
letzterer in legaler Weise nicht in der Lage gewesen sei, gegen den 
ausserhalb des Vereins stehenden Herrn Dr. D. Stellung zu nehmen 
und erklärt die Behauptung kostenloser Behandlung für unwahr. 
Gegen dieses Urteil wurde vom Kläger und Beklagten Berufung ein¬ 
gelegt und die Verhandlung am Landgericht Schweinfurt am 27. Mai 
durchgeführt. Hier kam es, nachdem sämtliche Akten und die Ver¬ 
handlung der ersten Instanz zur Verlesung gekommen waren, nach 
Vorschlag und Fassung des Gerichtshofes zu folgendem Vergleich 
im Interesse unseres Badeortes und der ganzen Aerzteschaft des¬ 
selben: 

„I. Der Privatkläger Hofrat Dr. Sch. erklärt nach den ihm in 
Laufe der Verhandlung gewordenen Aufklärungen*), dass er den 
in der Eingabe des ärztlichen Bezirksvereins Bad Kissingen an die 
Kgl. Staatsregierung vom 15. März 1907 enthaltenen Vorwurf „der 
Angeklagte habe durch sein Verhalten in der Angelegenheit betr. die 
Gewährung von Vergünstigungen an russische und deutsch-südwest- 
afrikanische Kriegsteilnehmer die ärztliche Standesehre verletzt“ 
nicht mehr aufrecht erhalte.“ 

„II. Der Angeklagte, Hofrat Dr. D., erkennt an, dass der Privat¬ 
kläger die in der Eingabe vom 15. März 1907 der Kgl. Staats¬ 
regierung vorgebrachte, das Verhalten des Angeklagten in der be- 
zeichneten Angelegenheit betreffenden Aufstellungen nicht wider bes¬ 
seres Wissen gemacht hat und nimmt die in seinem Rundschreiben 
vom 24. Oktober 1907 gegen den Privatkläger erhobenen Vorwürfe 
der verleumderischen Denunziation und einer niedrigen Handlungs¬ 
weise, als in der Erregung gebraucht, mit Bedauern zurück.“ 

„III. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens in erster 
Instanz. Die Kosten des Verfahrens in zweiter Instanz werden gegen¬ 
einander aufgehoben." 

Aus der ganzen Verhandlung hat sich gezeigt, dass für Standes¬ 
fragen das ordentliche Gericht nicht der richtige Ort ist und dass es 
dringend nötig und wünschenswert wäre, wenn die Kgl. Staats¬ 
regierung möglichst bald eine Standesordnung für die Aerzte Bayerns 
ins Leben rufen würde. 

Bad Kissingen, 15. Juni 1908. 

Wahle. 


Referate und BQcheranzeigen. 

F. Schenck-Marburg und A. Gürber -Wtirzburg: 
Leitfaden der Physiologie des Menschen für Studierende der 
Medizin. Fünfte Auflage. 280 Seiten mit 43 Abbildungen. Ver¬ 
lag von F. Enke, Stuttgart 1908. Preis 5.40 M. 

Kaum anderthalb Jahre seit dem Erscheinen der vierten 
Auflage des bei den Studierenden so beliebten Schenck- 
G ü r b e r sehen Leitfadens der Physiologie ist eine neue Auf¬ 
lage notwendig geworden. 

Bei Bearbeitung dieser fünften Auflage waren dieselben 
Gesichtspunkte massgebend wie früher, nämlich den Ueber- 
blick über das Gesamtgebiet der Physiologie zu erleichtern, 
ohne aber in die Manier der oft mangelhaften Kompendien zu 
verfallen. Durchgreifende Aenderungen weist das Buch in der 
neuen Gestalt nicht auf, aber der Drang nach weiterer Ver¬ 
besserung macht sich doch an vielen Stellen bemerkbar. 

Möge das Buch zu der nicht kleinen Zahl alter Freunde 
neue hinzu werben! K. Bürker-Tübingen. 

Riegel: Die Erkrankungen des Magens. Zweite, ver¬ 
mehrte und neubearbeitete Auflage. II. Teil: Spezielle Dia¬ 
gnostik und Therapie der Magenkrankheiten. (Mit 7 Tafeln 
und 14 Abbildungen im Texte.) Bearbeitet und herausgegeben 


*) Nachdem durch den Beklagten erklärt worden war, dass nur 
ein Teil der in der „Saalezeitung“ erschienenen Artikel ihm vor der 
Veröffentlichung bekannt gewesen sei und in dem Ausschreiben im 
„Deutschen Kolonnenführer“ (siehe oben) das Wort kostenlos sich 
nicht auf die ärztliche Behandlung beziehen sollte, sondern nur auf 
die Kurmittel seiner Anstalt, erachtete sich der Kläger für berechtigt, 
den Vorwurf einer Verletzung der Standesehre fallen zu lassen. 

4* 


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1444 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 . 


von Privatdozent Dr. J. v. T a b o r a. Wien und Leipzig. 
Alfred Holder, 1908. 642 S. Preis 18 M. 

Nachdem 1896 in No. 36 dieser Wochenschrift die erste 
Auflage ausführlich besprochen worden war, konnte Rezensent 
im Jahre 1904 (No. 32) den ersten Teil der zweiten Auflage in 
der neuen Bearbeitung Riegels anzeigen. Zum Schluss 
sprach er die Hoffnung aus, es werde der zweite Teil bald 
nachfolgen. Leider wurde dieser Wunsch nicht erfüllt. Der 
fleissigen Hand des rastlosen, speziell um die Erforschung der 
Magenkrankheiten so hochverdienten Klinikers entfiel die 
Feder leider viel zu früh. Die Neubearbeitung des vorliegen¬ 
den Bandes hatte Riegel begonnen. Vollendet hat sie sein 
letzter Schüler, v. Tabora, ein bereits gerade auf dem (ie- 
biete der Magenpathologie rühmlich bekannter Forscher. Er 
hat die schwierige Aufgabe, ein grosses Werk eines anderen j 
Autors neu zu gestalten und mit den Fortschritten der For- ; 
schung in den letzten 8 Jahren auszustatten, vortrefflich ge¬ 
löst. Die Pietät gegen seinen Lehrer hat ihn davon abgehalten, 
in das Bestehende allzutief cinzugreifen, sie hat ihn aber 
andererseits auch angeregt, das neu Hinzugekommene orga¬ 
nisch mit dem Früheren zu verarbeiten. So ist ein Werk zu 
Stande gekommen, welches im Wesentlichen auf dem gegen¬ 
wärtigen Standpunkt unseres Wissens steht, ohne seine ur¬ 
sprüngliche Eigenart verloren zu haben. Wenn wir sagen, 
dass man es kaum merkt, dass das R i c g e I sehe Buch von 
einem Anderen bearbeitet ist, dass man glaubt, Riegel selbst 
habe die neue Auflage besorgt, so ist dies wohl das schönste 
Lob, welches man dem Herausgeber v. Tabora spenden | 
kann. Es darf daher auch der zweite Teil dieses vorzüglichen 
Abschnittes des Nothnagel sehen Handbuches den Aerzten, 
besonders aber den Magenärzten auf das wärmste empfohlen 
werden. P e n z o I d t. 

Paul le Gendre et Aug. Broca: Tra 116 Pratlque de 
Thgrapeutlque infantile medlco-chlrurgicale. Deuxieme Edition 
comptetement refondue. Avec un formulaire, un tableau poso- 
logique et 170 figures dans le texte. Paris 1908 . O. Stein- 
h e i 1. 759 Seiten. Preis 15 Frcs. 

Die erste Auflage dieses Buches ist vor 13 Jahren erschie¬ 
nen, ein Monat vor Entdeckung der Serumtherapie der Diph¬ 
therie. Seitdem hat sich in der Kinderheilkunde viel gewandelt 
und es ist begreiflich, dass die zweite Auflage einer völligen 
Neubearbeitung gleichkommt. Die Namen der beiden Autoren 
sind auch in Deutschland riihmlichst bekannt und bürgen für 
die Qualität des Werkes. Das Buch ist eine Enzyklopädie der 
pädiatrischen Therapeutik und zwar der internen wie der chi¬ 
rurgischen. 

Die Verfasser haben sich die Mühe nicht verdriessen 
lassen, bevor sie mit dem „A B C“ beginnen, in 136 Seiten 
einen ausführlichen Exkurs zu bringen über die Ernährung des 
Kindes, über die äusseren Hilfsmittel wie Hydrotherapie, Mas¬ 
sage, Aerotherapie, Blutentziehung, Elektrizität. Ionisation, 
Radiotherapie; des weiteren über die hauptsächlichsten thera¬ 
peutischen Indikationen, über die Anwendungsweisen und Do¬ 
sierungen der Medikamente. Eine diesem ganzen Abschnitt 
vorausgeschickte Einleitung behandelt die speziellen Charak¬ 
tere der kinderärztlichen Therapie und die erforderlichen Qua¬ 
litäten des Kinderarztes („Milde, Geduld und Festigkeit!“). 
Den Schluss des Buches bildet eine nach Krankheiten geordnete 
Rezeptsanimlung und eine Tabelle der einzelnen Medikamente 
und ihrer Dosen für 4 Altersstufen. Der von Broca bearbeitete 
chirurgische Teil, welchem der grösste Teil der Abbildungen 
zugehört, ist auch für den Nichtchirurgen sehr lehrreich. Mir 
scheint es ein Manko deutscher Lehrbücher (Biedert- 
Fischl bildet eine Ausnahme), dass sie wenigstens den 
häufigeren chirurgischen Erkrankungen der Kinder und deren 
Behandlung keinen Raum gewähren: ihre Kenntnis ist für 
jeden Kinderarzt notwendig schon wegen der rechtzeitigen 
Diagnosen- und Indikationsstellung. Die Schreibweise des 
ganzen Buches ist durchweg anziehend, klar und auch für den 
des Französischen weniger Bewanderten nicht allzuschwer zu 
lesen. Mit dem Inhalt des rein pädiatrischenTeiles (Le (iendre) 
kann man sich im ganzen einverstanden erklären; in manchem 


allerdings sind die Ergebnisse neuerer Forschungen za wenig 
berücksichtigt (Ernährung. Zystitis). Neben diesem Mangel sir.J 
aber einzelne Abschnitte wieder voi/ugluh herausg-arbc.tt:: 
ich nenne nur z. B. die Ernährung m Krunkhc.'.staden, das 
Baden, Diphtherie. Intubation. Pneumonie. I uberkutose u. a. m., 
so dass Alles in Allem genommen das Buch ieJem se ibst.md.gen 
Leser viel Anregendes bringen wird und als N.u hs JilagebaTi 
für Aerzte wohl empfohlen werden kann. 

Privatdo/ent Dr. Hecker. 

R. v. K r a I f t - E b I n g: Die progressive allgemeine Para¬ 
lyse. II. Autl. Auf (irunJ der Darstellung \ ou wm.and Prof. 
A. R. v. K rafft- E hing neubearbeitet \mi H. < > b e r s t e i - 
n e r. Wien und Leipzig. AÜred Hold c r. E'"V 217 >e.ten. 
Preis M. 6.20. 

Das bekannte Werk des verstorbenen hoJn erd.enteil For¬ 
schers K rafft- E ln n g ist in II. Auflage ersJncnen. lie*aas- 
gegeben von Obersteiner und von ihm bea'beitet. De^e 
Bearbeitung ist, wie \erf. m se ner \ orrede bemühe''!, be¬ 
dingt durch die vielen neuen k’.n sjun Eflahamgeii und patba% 
logisch-anatomischen ErruugeiisJunten, d e d.e letzt; n 14 Jahre* 
seit der I. Auflage für d e progressive Par.ew erfreu!.über¬ 
weise Zeitigten, zu einer grindl. Jieti Pmarbeita’ig b.era*.ge¬ 
wachsen. Verf. war bematit, m E.nteihing uuJ Da r ste!..i::g 
sich möglichst eng an die k rafft- E. b i n g sjie V.isg.tbe an- 
zuscliliesseii. Dov.h haben die grossen EortsTiritte in der Er¬ 
kenntnis dieser Krankheit notu eud.gerw e.n* manu,.;\o iie und 
Ztiill Teil einschneidende Aendernngen \ eran’asst, zum 1 e.! K :ir - 
Zungen, zum Teil Erweiterungen und zum Ieil aiiTi e uc ganz 
neue Darstellung verschiedener Kapitel. E. ne Re be \ ■ *n w.vh- 
tigen Kapiteln ist völlig neu h;nzugeko;n:ue*i. Hierdurch hat 
das W erk mellt nur au l'mfang um die Hatte /ngenomm-. 
sondern auch, was besonders hervorgehohen sei, mha'.tb Ti e.ne 
überaus wertvolle Bereicherung und Verheuerung erfahren. 
Mit grosser Sorgfalt und < irundlic hkeit sind d.e neuesten, m 
allerneuesten Forschungsergebnisse betreffs der pu>g:ess;\ t -:t 
Paralyse ziisammengetragen erinnert sei h.er kurz nur an 
die Beziehungen zur Schlafkrankheit und an Je Plant- 
Wasser m a n n sehen Lntersuchungen - und in klarem, 
flüssigen Stil mustergültig w icdergegebeii und besprochen 
worden. Der Lmfang des Werkes ist trotz seiner Zunahme bei 
der Reichhaltigkeit seines Inhaltes, der aüe J e progressiv c Pa¬ 
ralyse betreffenden Gebiete erschöpfend umfasst, e n be¬ 
scheidener geblieben dank der Kunst des \ ertasvers. kurz, 
klar und vollständig sein zu können. Ehe vorzügliche Mono¬ 
graphie ist für den Neurologen und Psychiater als unentbehr¬ 
lich zu bezeichnen, für den praktischen Arzt kann em ergehen¬ 
des Studium derselben mit RiuksiJit auf die W;T:t gseit des 
möglichst frühzeitigen Erkennens der progressiven Par.i’w 
im Interesse des Kranken, seiner Fam.be und se-ner Be¬ 
ziehungen zur Allgemeinheit nicht warm genug cmpThYn wer¬ 
den . Germanus ET a t a u - Die sdeit. 

Ha ab: Atlas und Grundriss der Ophthalmoskopie und 
ophthalmoskopischen Diagnostik. Mauchen, 1*". I E. 
Lehmann. Preis 12 Mk. 

Von dem \ II. Baude der weit \ erbr«. iteU n Lehmann- 
i sehen medizinischen 1 landathinten ist damit d e 5. V.m.tge er¬ 
schienen, welche wieder duieil eitle Xn/ahl inner EiguryCt im 
anatomischen und ophtlialmoski>p:sTun Im!, si.uie dumh Er¬ 
setzung oplithalmockopisJu r Bdder durch hesstre su trr-ter 
anderen der Retinitis pigmentosa eine wcsetimJic \ er- 
besserung erfahren hat. Der Zw enk. v!e u der \ e rf. ||| d 
Schöpfer der Abbildungen im Auge hatte, de r o;>! :h.d- 
moskopisclien Ausbildung der Studierend*, t: und .rg.mmkn 
Aerzte durch Darbietung eines bei seinem inneren und arnnru: 
Werte mit ge ringet? M.tffcjn zu be sJi.iö'emkm V’ass v s e.ne 
grossere Ausdelmui g zu geben, erwma v v h sm um u der 
neuen Auflage als l :u voilerreiclre r m d m.idit a :Ji Ja 
rührigen und uu.ternelmienden \ e , !ag' l, '.:T.-ba- .‘Tug gmssc 
E li re. S t. g g e 1. 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1445 


Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für klinische Medizin. 65. Band. 3. u. 4. Heft. 


Nachruf für Leopold v. Schrötter. 

13) H. S t r a u s s und J. L e v a: Untersuchungen über die Motili¬ 
tät des menschlichen Magens mittels des Fettzwiebackfrühstücks. 

(Aus der Poliklinik für innere Krankheiten von Prof. S t r a u s s.) 

Zur Prüfung der Motilität erhält der Patient nüchtern ein Probe- 
frühstück aus 400ccm Thee ohne Zucker und Milch und 50g des Fett¬ 
zwiebacks (11,2 Proz. Fettgehalt), nachdem er am Vorabend einen 
Esslöffel Korinthen genommen hat. Genau nach einer Stunde wird 
ausgehebert — I. Portion —; danach 100 ccm Wasser eingegossen 
und nochmals ausgehebert — II. Portion —, endlich dann noch mit 
1 Liter Wasser ausgespült — Portion III —. Portion I wird zur 
Schichtung in einem graduierten Spitzglas angesetzt; nach 2 Stunden 
wird die Menge des Sedimentes abgelesen und so der Schichtungs¬ 
quotient ermittelt (= Prozentgehalt an festen Bestandteilen). Das 
Sediment wird mikroskopisch untersucht; ferner das spezifische Ge¬ 
wicht der Portion I und II in einem filtrierten Teil bestimmt; ferner 
der Fettgehalt von Portion I und II, sowie von der Schaumschicht 
und dem Bodensatz von Portion III refraktometrisch nach dem Ver¬ 
fahren von W o 11 n y mit geringen Modifikationen bestimmt. Werte 
unter 0,8. g Fett sprechen für Hypermotilität; letztere sind zweck¬ 
mässig als Hyperkinese, normale Motilität als Eukinese, geringere 
Herabsetzung der Motilität als Hypokinese, stärkere mit nüchternem 
Rückstand und Fettrest über 2,5 g als Phaulokinese bezeichnet. 
Hyperkinese fand sich bei Hypazidität und bei Apepsie, ausserdem 
bei Neurosen des Magens. Bei Vorhandensein von freier Salzsäure 
und Eukinese beträgt der Gesamtinhalt 150—200 ccm, der Schich¬ 
tungsquotient 40—60 Proz.; Indikatoren der Stauung: Korinthen, Sar- 
zine, Hefe etc. fehlen, der Fettrest ist 0,8—2,5 g bei Hypokinese war 
der Gesamtinhalt stets über 150 ccm, der Schichtungsquotient über 
40 Proz., Indikatoren der Stauung fehlen, der Fettrest beträgt 2,5 bis 
4,0 g. Bei digestiver Hypersekretion mit Eukinese ist der Schich¬ 
tungsquotient herabgesetzt, der Gesamtinhalt vermehrt. Bei Gastro- 
ptose verhält sich die Motilität sehr wechselnd. Bei Apepsie und 
chronischer Gastritis besteht häufig eine Hyperkinese. Bei keiner 
Magenerkrankung ist in allen Fällen der Motilitätsbefund gleich¬ 
artig. 

14) M. Bo r nstein: Neurologische Beiträge. (Aus der Nerven¬ 
abteilung des jüdischen Krankenhauses in Warschau.) 

Beschreibung einzelner Fälle. Zu einem kurzen Referate nicht 
geeignet. 

15) E. Gr an ström: Ueber das Bronchlalatmen bei der Pleu¬ 
ritis exsudativa. (Aus der diagnostischen Klinik der med. Militär¬ 
akademie in Petersburg.) 

Die Versuche des Verf., durch Injektion von Ol. Cacaon in die 
Pleurahöhle lebender Hunde über die Bedingungen für die Entstehung 
des Bronchialatmens bei Pleuritis Aufschluss zu erhalten, ergaben, 
dass das Bronchialatmen nicht in den komprimierten Lungenpartien 
entsteht und auch nicht durch dieselben fortgeleitet wird, dass es 
ferner keiner Biegung oder Verengerung an einer Stelle der Bron¬ 
chien bedarf; sondern das Bronchialatmen erwies sich stets als fort¬ 
geleitetes Trachealatmen; es fehlte meist nach Durchschneidung der 
Trachea. Die Fortleitung geschieht durch die Flüssigkeit, welche mit 
der Wand der grossen Bronchien in Berührung dadurch kommt, dass 
sie infolge der Retraktion der Lungenlappen zwischen den Lappen 
vord ringt und die Wand der Bronchien in der Nähe des Lungenhilus 


erreicht. 

16 ) K- Reicher: Chemisch-experimentelle Studien zur Kennt¬ 
nis der Narkose. (Aus der chemischen Abteilung des pathologischen 
Institutes in Berlin.) 

Die Versuche des Verf. an Hunden ergaben nach protrahierten 
Sarkosen mit Chloroform, Aether, Morphium, Skopolamin-Morphium 
oder Alkohol eine bedeutende Vermehrung des Alkoholätherextraktes 
im Blut bis zur dreifachen Menge, eine beträchtliche Vermehrung des 
, f namentlich in der Atemluft und endlich eine Erhöhung des 
p • und der Ammoniakmengen. Die Vermehrung des 

v^hT^exlraktes betraf sowohl Fett wie Lezithin und Choie- 
AiKofloiatn v _ r mehrung des Eiweissumsatzes ist als eine toxische 
«erin. Die Zunahme des NH 3 durch eine Azidose, bei welcher 

uirzulassen, a den bekannten Säuren wie Oxybuttersäure, Azet- 
hkrdings aus andere unbekannte Säuren mitwirken. Die Ver- 
essigsäure noc ^ öer Durchblutung von Lebern normaler Tiere 
<ache, künstlicn £-jj 0 j es terin, Lezithinemiflsionen oder von palmitin- 
Each Zusatz yon ^ ölsaurem Natron eine Azetonvermehrung zu 
saurem, stearinsa kein positives Resultat. Die Ergebnisse seiner 
erzeugen, erga j^ssen den Verfasser, die M e y e r - O v e r 1 0 n sehe 
Versuche veraniarnodifizieren, dass durch die Narkotika, deren 
Narkosetheorfe da j n Zusammenhang mit ihrer Löslichkeit in den 
Wirkung eine 


narkotische ----- u 
Lipoiden steht, auch 
Lette veranlasst ^ 

utopisch im ßl**te< 

'bst. 5 

Wscten scbweren^* f “ä"g e .) 
; r Beitrag zur Jvrc 


__ Ausstossung lebenswichtiger Lipoide und 

Welche sich geraume Zeit chemisch und mikro- 
sowie histologisch in den Organen nachweisen 

j_j3 e rlin: Ueber histogenetlsche Beziehungen 
F n ^ f?futfcraokheiten und bösartigen Geschwülsten. 


Der Verf. führt aus, dass sich die schweren Blutkrankheiten als 
verursacht durch einen Rückschlag in die embryonale Form der 
Blutbildung erklären lassen. Während bei der normalen Erythro¬ 
zytenregeneration die Rückdifferenzierung des Fettgewebes im Dia- 
physenmark nur bis zum roten Normoblastenmark stattfindet, zeigt 
das Auftreten von Megaloblasten bei der perniziösen Anämie einen 
Rückschlag in die embryonale Periode der prämedullären Blutent¬ 
wicklung an. Die normalen, nur mehr eine mässige Reproduktions¬ 
kraft besitzenden Knochenmarkszellen erhalten ganz junge embryo¬ 
nale Zellen mit grosser Reproduktivität zu Nachbarn und werden da¬ 
durch geschädigt. Ferner findet auch ein Wiederauftreten der Blut¬ 
bildung in Organen statt, welche nur in der Embryonalzeit und im 
Beginn der Fötalzeit Blutbildungsorgane sind, in der Leber, in der 
Milz und in den Lymphdrüsen. Bei der myeloiden Leukämie betrifft 
die Embryonisierung die Myelozyten, deren embryologischer Cha¬ 
rakter zwar morphologisch nicht erkennbar ist, sich aber in der 
grossen. Regenerationskraft offenbart, welcher gegenüber die wachs¬ 
tumsregulierende Hemmungskraft der normalen Nachbarzellen nicht 
mehr ausreicht. Auch hier kommt wieder Blutbildung in Leber, Milz, 
Lymphdrüsen und in den Nieren vor. Es werden dabei Myelozyten 
in diesen Organen gebildet. Betrifft der Vorgang die Lymphozyten, 
so entsteht eine lymphoide Leukämie, bezw. wenn die neugebildeten 
Zellen im Zusammenhang bleiben, maligne Lymphome. Da Normo- 
blasten und Erythrozyten auch als embryonale Zellen vor Bildung des 
Knochenmarks hauptsächlich in der Leber und Milz gebildet werden, 
so könnte man auch die Polyzythämie durch Uebergang von typischen 
Knochenmarksnormobiasten in einen embryonalen indifferenteren, 
morphologisch allerdings von dem normalen nicht unterscheidbaren 
Zustand erklären. Die Annahme eines Rückschlages in die embryo¬ 
nale Gewebsbildung lässt sich auch sehr leicht für die bösartigen 
Bindegewebsgeschwülste, die Sarkome und für epitheliale Ge 
schwülste, die Krebse machen, bei welch beiden ebenfalls die Auf¬ 
hebung der natürlichen Hemmungen durch die Nachbarzellen eine 
wichtige Rolle spielt. 

18) R. Balint und K. Engel: Ueber paroxysmale Tachy¬ 
kardie. (Aus der I. medizinischen Klinik in Budapest.) 

Zu einem Referat nicht geeignet. 

19) W. Falta: Ueber die Gesetze der Zuckerausscheidung 
beim Diabetes mellitus. IV. Mitteilung. (Aus der medizinischen 
Klinik in Basel.) 

Die Untersuchungen des Verfassers ergaben bei der betreffen¬ 
den Patientin enorme Stickstoffretention in Perioden konstanten Kör¬ 
pergewichtes. Bei Reduktion der Eiweisszufuhr unter gleichbleiben¬ 
der Kalorienzufuhr hörte die N-Retention sofort auf, ohne dass der 
retinierte Stickstoff zum Vorschein kam, sie trat sofort wieder auf, 
sobald die Eiweisszufuhr wieder gesteigert wurde. In den Super¬ 
positionsversuchen mit Eiweiss traten enorme Steigerungen der 
Zuckerausscheidung auf, welche sich durch Bildung von Zucker aus 
dem mehr zugeführten Eiweiss auf keine Weise mehr erklären 
lassen. Die Steigerung der Glykosurie war viel grösser, wenn die 
gleiche Eiweisszulage auf eine an sich schon N-reiche Kost erfolgte. 
Die Patientin war empfindlicher gegen Eiweiss als gegen Kohle¬ 
hydrate. Die bedeutende Zunahme des Körpergewichtes bei man¬ 
chen Diabetikern im Stickstoffgleichgewicht oder selbst bei negativer 
N-Bilanz ist zu erklären durch Retention von Wasser. Bei den 
Perioden sehr reichlicher Zuckerausscheidung wird die Wasser¬ 
bilanz leicht negativ, weil die Patienten nicht genügend Wasser auf¬ 
nehmen können. Sobald die Zuckerausscheidung nachlässt, wird die 
Wasserbilanz wieder positiv und das Körpergewicht steigt rapid. 

20) W. Falta und A. G i g 0 n: Ueber die Gesetze der Zucker¬ 
ausscheidung beim Diabetes mellitus. Beiträge zum zeitlichen Ab¬ 
lauf der Zersetzungen. V. Mitteilung. (Aus der medizinischen Klinik 
in Basel und der I. medizinischen Klinik in Wien.) 

Die Untersuchungen ergaben, dass bei schweren Fällen von 
Diabetes die Eiweisszersetzung nicht schneller, bei manchen sogar 
langsamer verläuft als bei normalen, obwohl ein wesentlich ge¬ 
ringerer Reservebestand an Kohlehydraten vorhanden ist und ein 
beträchtlicher Teil der sonst die Eiweisszersetzung verlangsamen¬ 
den, aus dem Eiweiss entstehenden Kohlehydrate ausfällt. Beim 
menschlichen Diabetes besteht weder bei Eiweisszufuhr auf Hunger, 
noch bei Zulage von Eiweiss zu einer Standardkost eine Inkongruenz 
der D- und N-kurven wie beim pankreaslosen und beim phloridzi- 
nierten Hund. Fettzufuhr kann im Hunger eine Steigerung des 
Quotienten D : N bis zu 10,2 bewirken. Der Quotient D : N zeigt 
grosse Schwankungen in den einzelnen Harnportionen, bei einem Fall 
war er in der ersten Hälfte der Nacht am geringsten und stieg in 
den frühen Morgenstunden stark an. Die Zuckerkurven erreichen 
ihren Höhepunkt nach Kohlehydratzufuhr früher als nach Eiweiss¬ 
zufuhr. 

21) Goldscheider: Zur Frage der Dikrotie bei Aortenlnsuf- 
fizienz. 

Der Verf. bringt 4 neue Fälle von Aorteninsuffizienz mit Mitral¬ 
insuffizienz, bei welchen deutliche Dikrotie bestand, auch in völlig 
fieberfreien Zeiten und ohne Kompensationsstörung. Die Kombination 
von Aorteninsuffizienz und Mitralinsuffizienz muss allerdings nicht in 
jedem Fall Dikrotie erzeugen, Fieber kann bei reiner Aorteninsuf¬ 
fizienz Dikrotie erzeugen, muss es aber nicht. 


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1446 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 . 


22 ) 0. Kl em per er und H. Uinber: Zur Kenntnis der dia¬ 
betischen Llpämle. II. Mitteilung. Mit Bemerkungen über Lipolyse 
und Nierenverfettung. (Aus dem städtischen Krankenhause Moabit 
in Berlin.) 

Die Untersuchungen des Verfassers an IS positiven fällen er¬ 
gaben, dass das Blutfett bei der diabetischen Lipäniie aus Zell/er- 
setzungen stammt. Gehirn und Nieren sind jedoch nicht die Duelle 
des Blutfettes. Eine Lipoidinfiltration der Nieren findet nicht statt. 
Bei Lipämie ist auch Azidosis vorhanden, bei Azidosis kann Lipanne 
auch fehlen. L i n d e m a n n - München. 

Zentralblatt für innere Medizin. 1908. No. 19 bis 25. 

No. 19. Arnold: Ueber die Therapie der übertragbaren Ge¬ 
nickstarre. (Aus dem Allg. Krankenhause in Lemberg.) 

Nützlich waren heisse Bäder (38-40°. 20-30 Minuten Dauer). 
Symptomatisch waren häufige Lumbalpunktionen besonders gegen die 
Kopfschmerzen erfolgreich, Kalomcl gegen die sehr hartnackige Ob¬ 
stipation. 

Durch Verabreichung von Salzsäure liess sich in einer Reihe von 
fällen das im Gefolge der Meningitis auftretende Erbrechen, welches 
jede Nahrungsaufnahme aufs äusserste erschwerte oder vereitelte, 
sowie in leichteren Fällen die Appetitlosigkeit der Kranken erfolg¬ 
reich bekämpfen. Morphium verschlimmerte diese Erscheinungen da¬ 
gegen eher. In mehreren fällen wurde durch epidcrmatisGie An¬ 
wendung von Guajakol binnen einigen Tagen Rückgang des Fiebers 
und der meningitischen Krankhcitserschcmungen und binnen kurzer 
Zeit die definitive Ausheilung der Krankheit erzielt. TagliJi 
wurde, für d—5 Tage, eingerieben: Guajakol 1,0. Lanolin, Vaselin 
ana 6,0. 

No. 20. Z i c k g r a f: Ueber die Darreichung von kieselsäure- 
haltigem Mineralwasser ln Lungenheilstätten. (Heilanstalt der Hanse¬ 
städte in Gross-Hansdorf.) 

Die Kieselsäure besitzt besondere Bedeutung fiir das Binde¬ 
gewebe, d. i. die Stützsubstanz., der Lungen. Ist das Bindegewebe 
der Lungen in widerstandsfähigem Zustande, so ist eine grossere Re¬ 
sistenz gegen Krankheitsprozesse in der Lunge und eine grossere Hei¬ 
lungstendenz anzunehmen. Von diesem Gesichtspunkte aus hat Verf. 
versucht, Kieselsäure in geeigneten Verbindungen therapeutisch ein- 
zuführen. Er liess seine Bat. den Mineralbrunnen aus Glashagen 
(Mecklenburg) trinken, das Wasser enthält in 100 g 4 mg Meta¬ 
kieselsäure. Verf. machte dann regelmässige Blutuutersuchungeu 
nach A r n e t h, um das Verhalten der weissen Blutkörperchen zu be¬ 
stimmen. Es scheint danach, dass selbst minimal eingefuhite Kiesel¬ 
säuremengen den Körper günstig beeinflussen und in dem Sinne ist 
daher das Wasser Tuberkulosen für längere Zeit zu empfehlen. 

No. 21. We iss mann: Ueber Rhachisan. ein neues Antl- 
rhachltlkum. 

Es handelt sich um ein Ersatzmittel des Phosphorlebertraiis, 
dem viele Mängel anhaften. Das L ti n g w i t z sehe Rhachisan ent¬ 
hält 30 Proz. LcTertran, 0.1 Proz. Jod, 0.8 Proz. Lezithin. 1.75 Proz. 
Nukleine, 0,3 Proz. Eisen (organisch) usw. Der Phosphorgehalt, auf 
P berechnet, ist 0,05 Proz. Das ganze ist eine dauernd haltbare 
Emulsion, die unter dem Namen Rhachisan in den Handel kommt. 
Der Verfasser teilt aus seiner Erfahrung einige Krankengeschichten 
mit, welche die günstige Wirkung des neuen Mittels zeigen. Es kann 
deshalb als Ersatz des Phosphorlebertrans durchaus empiohlen wer¬ 
den. Darreichung: 3 mal täglich einen Kinderlofiel voll. 

No. 22, 23. Ohne Originalartikel. 

No. 24. T s u c h i v a: Die volumetrische Elweissbestimmung 
mittels der Phosphorwolframsaure. 

Die 1 proz. alkoholische Phosphorwolframsäure ist dem 
E s b a c h selten Reagens vorzuziehen. Vergleichende Unter¬ 
suchungen haben die IJeberlegenheit der neuen Methode gegenüber 
der Esbach scheu, der sie analog ist, ge/eigt. 

No. 25. Eisen: Beitrag zur Stomatitis und Angina ulcero-mem- 
branacea (Plaut-Vincent) mit scharlachähnlichem Exanthem. 

(Aus der inneren Abteilung des stüdt. St. Rochushospitals in Mainz.) 

Verf. beschreibt einen einschlägigen fall, bei dem die Diagnose 
der V i n c e n t sehen Bazillen bakteriologisch sichergestellt war. 
Wegen der Verwechslung mit Scharlach ist die genauere bakterio¬ 
logische Untersuchung von fällen mit Angina ulcero-nienibranacea 
notwendig. \\ . Z i n n - Berlin. 

Zentralblatt für Chirurgie. 1908 No. 23 25. 

No. 23. M o m b u r g - Spandau : Die künstliche Blutleere der 

unteren Körperhälfte. (Vorläufige Mitteilung.) 

M. empfiehlt die Anlegung eines gut fingerdicken ( iummi- 
schlauchs (unter voller Ausnutzung der Elasti/itnt langsam in 2 bis 
4 Touren zwischen Bcckenschanfel und unterem Rippenrand an¬ 
gelegt). Die Bedenken betreffs Schädigung des Darmes oder Erm- 
staiiung etc. haben sich nicht bewahrheitet. Die Methode ist zwei¬ 
mal praktisch mit vollem Erfolg angewandt worden (einmal bei Ex¬ 
stirpation des Beins und fast der ganzen zugehörigen Bcckenhalitc 
w egen Eilssarkoms. 


Th. Kullikcr: Zur Technik der Oesophagoskople. 

K. bespricht von den 4 Enge» der >pe:se' wre bes w !e v 2 e 
Ringknorpelenge, die auf zw cieUei W c:se d:c l N s. p..ag '>* : - 

eiuf uhf ung erschweren kann: E duiyh ii h.e : I • r ;.: g^'i. -'" •. 

2. durch Krampt des Cmmti k t<a phar \ ".;.s n :«. r. I «. t/t«.- «. s iv i m •. 

der s bei hoch sit/enden I .asu men < ie lau I u.v.-rt n är 1 rem : ■- " 

zu erwarten. Bei letzterem ist sjir vh w"‘«.s \ wa“:*. n ,«mi P . 
man versucht zunächst <] u r ^ h r-nuurbie El*, w «. g..:;g<. :> u:.:«.r . 

I >ruck das Hindernis zu nbei w mdut. gt .;t dm iüC;!. w .r !t t *’ -• 
eine Weile ruhig und gelangt dann < tt n; du s Ä'd' - c I 

«»der man lasst den Patientin leer s,. hukm n. w 1 ei r K-’ • w.w 
oben und etwas n.idi \"iii galtet und «!. i 'G; aeerv .svee'; c. 

Speisei'dire über den Inbus st-bpt. \u, ü 1 .-.a ••m.k*; ^ 

ist zu empiohlen. 

No. 2-4. D e e I e tu a n u: Vorschläge zur Aerhcsserung de* \cr- 
bandpäckchens für den f eldsoldaten. 

Emplehlung eines kreisrunden Go v rn Dufvhm t \ . • 1 a *' S •-*- 
cheiis mit abreissbarem \ er h*Ö ss! '-‘|^. uas vlu' Gl e. e m 4 vtn 

/pmtube beigegel't neu \. f > c t t t ti •: c li s*.he M oLx v • g a’ ge*. e ! 

wird. 

No. 25. Er. K u h n - Kassel: Darmauastomosc mittel* Gumml- 
naht der Schleimhäute. 

K. empfiehlt ein \ er Jahren zur Na J:j>'..jung, d..s s.wi dm 
7 E.ilien sehr bewahrt hat und bei dein d.e Pe...i * \*.k n : «. " ' *e 
der beulen zu \ ereinigenden l '.»fnubviii'itte 'er:r s » : .*• ” . 
die spater dur i. Iiselpu :den. autv. mauder gw-wt we'.ius k. : ' ” t 
dem \ erfahren abs..,ute Am ;m\, be-im tm-s N ':e:i. \e:' e— g 

\"il Blutung und Dar nm:i'.a!ta ! Um. vh:i, /ii\h .i" \w«.: ... g : 

Darme, genaue Beim sMing *!•„ s >,i whauts,. u::d i.ic' •' 

Arbeiten ii.uh urul Uivmt aut e c -\ r r-v»l Dr »mes.irs l 1 
nebeneinander gehn'teilen l'ar'i d uhi’ilte w i rd*. n d.m h er •. r 1 .w 'm- 
schnitt «lurGi >er- s.i und Miwku.ans i -s zur >id va a* av "" t- 

teii. dann durch stumpus / u: u k.! r a • an dtr Wir P •. w. s.. 
diese eil lpt1 Sv ll ist. dl*: mJi \-e biu htm. dr M fl «. er‘..nt a :t vier !%* - 
toiieak u Pute iteigx iegt, die b rmu.r !, gui W sr r. i r zu* .u: s *. 
hinten auunainler genaht dne \e'.-t/u'^ K ] K r : >. • 1 .?.-?* *.• % 

dann mit m stumptvpit/ue N.i.li .r» tmcoi tui Bau* •• • *..ui 

(wie mau sie zum l msvhnnreti \ • -n l’.uaU'i I u' !/! * c.e s . •. . •• - 

haut medial umstoGun. die Na lei bis zum Wm '.wr se. t. 

dort ausgestovheil, aut vier anderut Piite gv gen . 1 e: v ' d e 

gestochen und in entsprechender t urtv. r mm g wieder a;.v v .^t v'-.”. 
u i ul diese Naht 2 mal. exeutuen .ouh 3 4 u ai a ul. *e ' 

Faden straff angezs^eri (untres l’e.ir*» und vl.ht gm ?» tv t. s - 
dann wird die vordere Peros.i-Musku .a* is-N.mt t rt auten.l am.«. «. 

(s. I lg ). 

Borch .i r «1 t - Ikriin: Zur temporären Aufklappung beider 
Oberkiefer. 

B. empfiehlt aiuh die K •* c h e r Vvhc ( b>c■'atu n. I « ^ r di rs w * i s 
auf kosmetisch gutes RiMdt.it ank umet 1P i vut : u : i •' K ■- 
resektioiien vli r v. Berg n; a n n vie n k ’ k w -r !c po \ ■ 

tracheotormer t. me Pdiad.eu luerx.ui gv sv ’.x n Df k u h n v m- 1 i.- 
bage w urde das (»peiatmtisu .J un.ir: K t r.tErn enuumn 

Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Hand rJ. 
Heft I. Stiittg’art Ions, f-. Enke. 

1) R. Teller- Giessen: Leber Incontinentia urinae bei Spalt, 
hlldung der weiblichen l rethra (sogen, weibliche M>pospadic) und 
Ihre operative Behandlung. 

Es liaiVdt !te suli um «Iie in Jir ( v' «. • '-v '■ • ?t gi w 

kongeiiitaie \noif|a,ie bei umru !«• m’ •ri M. ivi w v. * • v • •; 

eine lukontipui/ vltiuh 4ic mc r„i:v ' a’*t .^c o : 

I'unktiousb« iumlrr ung dv r wi iriuun M -,s« .Pir % n fl.- r • 

w and und Marntolitc bei ti 1 iuu.:un uss v!v : II.-::- :.- v 

war. Die ( Mh ' atu-nMu Iw :k wird gt,s v h. '< ’! Id f 1 : g w .r .i 

ge/eicliuet. Kritik vier m vtu lituatur dv':' v ■« • ui 4 1 ,t c 

2) 1 utos ( i o t h - k ..Mwcrd ir g : Bedrohliche innere Blutung aut 
einem Perithelioma o\aril. I aparol« mie. Heilung. 

24 i.tll! ige l'aiu ! sf i all. 1e :» t s«. ■! 3 **' u vW" !.,• r 
Baikh. As/ites. Bei der zu «tiagm Wc - u• v • 

Zwecken \ oi ;;i iionamin. n 1 ’ui kt;- :i «. • I ,.t «. : | 1 •. '- . c • v - 

Biu! ung «l.idlir V h. d.w\ dw 1 'w *-.!;• "s* .Wi. . •. u Iw*: ..og ■ • }, v. 

ln tiic ( uscliw tust \ 11 ms.k i't hatt«.. aus «. v s:.-- .. 1 ■ :■ | . 

rotoinie utnl I xstw p.it i-ui >!«. s ( K .r t ■ s. r sw. :• -■ s*. •• 

als i-iu ,.l\ mplwtwv !k \ 1 11 .i> ■ t*■ t , -m - I * k a : t • • < i i \ _ 

tlk irchi ei weist. Ausgang in (k-PW-wg. 

3) M. II i n s c 1 m a v n - h c : Beitrag zur Kenntnis der buvartivicn 
pigmentierten Geschwülste der Nu!\a. 

Im \ns Ijlnss ap t ir.i ri m di r k . w I - • •• k \ • •• W t - : o 

«»perierteii lall \ <*n M-.. -.inoMi dt r :t . f-: N\f! f 

aus der I .it«. r .nur /iw.owuw ..mW I • •. t. v ■. s'.-i If • : v w c - - 

den durch Iks.imk is nwtr uutix e \f ' w-wt ! t.-.w . r . 

/Iis.wmvnsu i'lf.g. 

41 h. W e ! s h t | |i P f - Im ' n 7ur lehre t "n der f ndnmetr ii i«c 
lind der Bedeutung der i’lasma/elien bei patho!ogi'. v hen (icwehs- 
reaktionen (I nt/iindung). 

I »11 a hat U >J aut :.*s \ 4 \ • ! ' -w- • n * ], . 

sehu uistv n und bt i um * • " I ■ • 1 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1447 


gemacht. Diese Zellen sind seither von verschiedenen Autoren in 
anderen Organen eingehend studiert. Hitschmann und Adler 
haben 1907 die Gynäkologen für diese Zellgebilde interessiert, legten 
ihre Wichtigkeit für die Entzündung der Schleimhäute dar und wollten 
die Diagnose der Endometritis von ihrem Vorkommen in der Uterus¬ 
schleimhaut abhängig machen. Verf. hat diese Angaben an einem 
grossem Material nachgeprüft und zum Teil bestätigen können. Die 
Diagnose der Endometritis einzig und allein nach dem Vorkommen 
von Plasmazellen zu stellen, erscheint nicht angängig, da dabei einer¬ 
seits die Schädigung des epithelialen Gewebsanteils ganz ausserhalb 
der Betrachtung bleibt und andererseits auch schwere Störungen des 
Stromas ohne Plasmazellen angetrofien werden. Die Plasmazellen 
sind bei den reaktiven Vorgängen des interstitiellen, gefässführenden 
Gewebes lebhaft beteiligt. Eine Auflockerung des perivaskulären 
Gewebes erscheint als Bedingung ihres Auftretens. 

5) K. Möhlmann -Berlin: lieber die Therapie der Eklampsie. 

Die Bearbeitung des Eklampsiematerials der Ols hausen sehen 

Klinik in den Jahren 1906 und 1907 ergibt die schon früher aus dieser 
Klinik publizierte Tatsache, dass es eine ganze Reihe von Eklampsien 
gibt, bei denen man zu einer sofortigen Entbindung nicht gezwungen 
ist, sondern für das operative Eingreifen günstigere Verhältnisse ab- 
warten darf. Es ist immer zu überlegen, ob die Kranke durch die 
bei sofortiger Entbindung notwendige Operation oder durch die 
Eklampsie selbst grössere Schädigung erleidet. Die Statistik umfasst 
104 Fälle mit 16 Todesfällen. Empfohlen wird ausser kleinen Mor¬ 
phium- und Chloralhydratdosen der Aderlass mit nachfolgender Koch¬ 
salzinfusion und, wie erwähnt, in bezug auf die Beendigung der 
Geburt ein abwartendes Verhalten. 

6) A. H. F. Barbour -Edinburgh: Das untere Uterussediment. 

Verf. publiziert seinen Gefrierschnitt durch eine am Schluss der 

Austreibungsperiode an Herzschlag gestorbene Gebärende und ant¬ 
wortet auf eine Kritik, die B u m m im Band 57 der Zeitschrift an 
diesem Präparat geübt hat. 

7) Emil Ries-Chicago: Vater-Paclnisehe Körperchen in 
der Tube. 

Verf. hat in einer Tube, die wegen Pyosalpinx exstirpiert wurde, 
Vater-Pacinisehe Körperchen gefunden. Es ist dieser Befund, 
den er früher schon einmal erheben konnte, eine grosse Seltenheit; 
ob von irgendwelcher klinischer Bedeutung, ist zu bezweifeln. 

8) P. Mathes -Graz: Beobachtungen an mit Plazentasaft 
dixrcbstrdmten Hundenleren. 

Schlussfolgerung: Im Pressaft menschlicher Plazenten sind Stoffe 
enthalten, die den Austritt von Flüssigkeiten durch die Gefässwand 
von Hundenieren beschleunigen. Die Stoffe sind nicht wärmebe¬ 
ständig; ständige Erwärmung auf 64° schädigt oder vernichtet sie. 

9) Viktor Alb eck und J. E. Lohse: Rin Versuch, das 
Eklampsiegift auf experimentellem Wege nachzuweisen. 

Verfasser glauben, dass das Fruchtwasser der Eklampsiepatien¬ 
tinnen das Eklampsiegift enthält; 1. weil solches Fruchtwasser. Meer¬ 
schweinchen iniiziert, Veränderungen in ihrer Leber hervorruft, die 
denen ganz ähnlich sehen, welche bei Eklampsiekranken gefunden 
»erden, und 2. weil solche Veränderungen nicht durch Fruchtwasser 
gesunder Schwangeren hervorgerufen werden können. 

Werner- Hamburg. 


Zentralblatt für Gynäkologie. No. 24 u. 25. 1908. 

H. S i e b e r - Marburg: Beitrag zur Skopolamin-Morphium-Nar- 
kose in der Gynäkologie. 

S. berichtet über 88 Erfahrungen aus der Marburger Klinik, bei 
denen sich 32 mal, also in 36,4 Proz. der Fälle, eklatante Puls- 
Steigerung nachträglich einstellte. Es handelte sich um die ge¬ 
wöhnlichen Gaben von 3—6—9 dmg Skopolamin und 1—2 cg Mor¬ 
phium. Die Pulserhöhung dauerte 1—2 Tage und schwankte von 
Jü —50 Schlägen pro Minute über die Norm. 

S. sieht in dem Auftreten längerdauernder Pulserhöhungen eine 
Schädigung des Herzens und warnt vor weiterer Anwendung des 
Mittels. 

R. Ziegenspeck -München: Zum hohen Querstand der Ge- 
WchtsJage und ihrer Behandlung mittels hoher Zange. 

Bericht über den Verlauf einer II. Gesichtslage bei sehr grossem 
Kind und Hängebauch, der den Nichteintritt des Kopfes in das Becken 
•Vranlasste Mit hoher Zange und stehenden Traktionen nach 
'siander gelang es Z., das Gesicht quer in die Beckenmitte 
■ neinzubringen ; hierauf Abnahme der Zange und Anlegen derselben 
n 1 ^chrägdurchmesser des Beckens, worauf die Drehung der Ge- 
. in den geraden Durchmesser und Entwicklung des Kinds- 

ripfes gelang Das Kind war und blieb gesund, desgleichen die 

_ Berlin : Dammschutz. 

vr p.-Mß* eigene Methode des Dammschutzes, die er seit 

N. schildert ein* t Die Kreissende liegt auf dern Rücken> 

] im . Cr: «UL— Einschneiden des Kopfes setzt N. die Finger der 

>:e:ss erhöht. Heim arn Rande der Vulva so auf den Kopf auf, 
ukten nana a * inf r er vor dem Schambogen, der Daumen auf 
^ Mittel- und King i;A(r p n kommt. Zeieefincrer und Daumen der 
-*i Scheitelbeinen 

ske 
I das 


liegen kommt. Zeigefinger und Daumen der 

-- ■--- pamm, um die rechte Hand zu unterstützen, 

ntland liegen a geboren ist. Letzteres zieht N., wenn 

; Hinterhaupt völlig 


er es mit 4 Fingern umgreifen kann, in der Richtung gerade nach vorn 
hervor und streift dann mit den beiden am Damm liegenden Fingern 
der linken Hand die Kommissur langsam und vorsichtig über Stirn 
und Gesicht nach hinten. 

Bei grossen Missverhältnissen zwischen Kopf und Vulva, Vor¬ 
derhaupts-, Stirn- und Gesichtslagen u. ä. tritt die Episiotomie in ihre 
Rechte. 

No. 25. A. C z y z e w i c z jr. - Lemberg: Extraperitonealer 
Kaiserschnitt. 

44 jähr. XII. Para mit hochgradiger Osteomalazie, die absolute 
Indikation zum Kaiserschnitt bot. Cz. machte den extraperitonealen 
Schnitt nach S e 11 h e i m. Die Lösung des Bauchfelles und der 
Blasenwand war auffallend leicht. Nach Eröffnung der Zervix in der 
Mitte machte Cz. die Wendung und extrahierte das lebende Kind; 
die Plazenta folgte erst auf Crede. Wegen heftiger Atonic des 
Uterus musste letzterer mit Vioformgaze tamponiert werden. Hierauf 
Schluss der Wunde. Heilung. 

Cz. hält das Verfahren nach S e 11 h e i m nur bei reinen Fällen 
für indiziert, ev. bei dessen Misslingen das nach Pfannenstiel, 
für zweifelhafte Fälle empfiehlt er das Verfahren nach Baumm oder 
Fromme, für ausgesprochen infizierte den P o r r o oder Seil- 
heims Uterusbauchdeckenfistel. 

W. S c h m i d t - Plauen i. V.: Der kreissende Uterus als Bruch- 
Inhalt bei Bauchbruch nach konservativem Kaiserschnitt. Kaiser¬ 
schnitt nach Porro. 

Eine Frau, die vor 4 Jahren mittels klassischen Kaiserschnittes 
entbunden war, wurde wieder gravid und bekam einen stetig wach¬ 
senden Bauchbruch, der schliesslich fast den ganzen Uterus aufnahrrt. 
Haut papierdünn, mit Dekubitusgeschwüren übersät. Der Uterus war 
in einer Ausdehnung von 8 cm fest mit dem Bruchsackrand ver¬ 
wachsen. Porrooperation nach Extraktion eines lebenden Kindes. 
Rekonvaleszenz glatt 

Der Fall lehrt u. a., dass man beim extraperitonealen Kaiser¬ 
schnitt gut tut, vor Schluss der Bauchdecken eine Lösung der Peri¬ 
tonealblätter vorzunehmen, um die Adhäsionen an der vorderen 
Bauchwand zu vermeiden. 

A. D i e n s t - Oppeln: Die Pathogenese der Eklampsie. 

Nach D. ist die Eklampsie eine durch Ueberschwemmung des 
Blutkreislaufes mit Fibrin verursachte Erkrankung. Die Schwanger¬ 
schaftsniere disponiert zur Eklampsie, da sie eine Kochsalzretention 
im Blute bedingt. Leukozytenzählungen machen es wahrscheinlich, 
dass die noch im Bereich des Physiologischen liegenden sogen. 
Schwangerschaftsbeschwerden, des Hydrops ohne Albuminurie, die 
Schwangerschaftsniere und die Eklampsie in ätiologischer Hinsicht 
analoge, aber nur graduell verschiedene Krankheitszustände sind. 

Die nähere Begründung dieser Ansichten soll eine demnächst im 
Archiv für Gynäkologie erscheinende Arbeit bringen. 

J a f f t - Hamburg. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrgang II. Heft 11. 

Anton Sitzenfrey -Giessen: Ueber die Verschleppung von 
Krebskeimen durch die freie Tube. (Aus dem histologischen Labora¬ 
torium der deutschen Universitäts-Frauenklinik in Prag.) (Mit 5 Ab¬ 
bildungen.) 

Mitteilung eines Falles (57 jährige Nullipara), in welchem bei 
bestehendem Adenokarzinom (mit Metaplasie in Plattenepithelkarzi¬ 
nom) des Corpus uteri durch heftige, klinisch stark hervortretende 
Uteruskoliken Geschwulstpartikelchen in die Tube hineingepresst 
wurden. Die Geschwulststückchen blieben frei im Lumen der Tube 
liegen, ohne Metastasen zu machen. Der umgekehrte Transport von 
Geschwulstmassen (vom abdominalen zum uterinen Ostium tubae) 
ist häufiger zu beobachten. 

Wilhelm Rosenfeld - Wien: Ueber das Fr ühauf stehen Im 
Wochenbette. (Aus dem Kaiserin Elisabeth-Wöchnerinnenheim in 
Wien.) 

Verf. liess eine Anzahl (102) Wöchnerinnen nach normalen Ge¬ 
burten versuchsweise bereits am 3. bis 4. Tage das Bett ver¬ 
lassen, und zwar am ersten Tage eine Stunde, dann steigernd um 
Vs—1 Stunde länger, bis sie am 8. Tage von der Morgenvisite an 
ausser Bett bleiben durften. Die Resultate befriedigten. 

E. G a 11 a t i a - Laibach: Supravagtnale Amputation eines 
16 Wochen graviden Uterus wegen höchstgradiger Osteomalazie. 
(Aus der gynäkol.-geburtshilfl. Abteilung des Landesspitales.) 

Beschreibung eines Falles schwerster Osteomalazie (43 jährige 
X. Para, letzte Geburt vor 12 Jahren); jetzt Gravidität der 16. Woche. 
Wegen lebensbedrohlicher Erscheinungen supravaginale Amputation 
des graviden Uterus. Ungestörter Verlauf mit Wiederherstellung der 
Gehfähigkeit. Zum Schluss allgemeine Bemerkungen und Beobach¬ 
tungen über die Osteomalazie in Krain. 

Emil E k s t e i n - Teplitz: Ist die Uterusperforation bei der Abor- 
tusbehandlung zu vermeiden? 

Bezugnehmend auf einen Vortrag R. v. Brauns „über Uterus¬ 
perforation“ in der geburtsh.-gynäkol. Gesellschaft zu Wien bespricht 
Verf. die verschiedenen Vorsichtsmassregeln zur Vermeidung der 
Perforation des Uterus bei der Abortbehandlung. Bereits auf der 
Universität muss der angehende Arzt durch Tätigkeit in der Poliklinik 


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1448 


MUKNCHFNER MEDIZINISCHE \V()CHF.N>C!1RIFT. 


sich eine schulgcrechte Diagnostik und Therapie des Abortes zu 
eigen machen. A. R i e 1 ä n d e r - Marburg. 

Archiv Wr Hygiene. 66. üd. 3. Heft. 1908. 

1) P. N a w i a s k y - Berlin: Ueber die Umsetzung von Amino¬ 
säuren durch Bac. proteus vulgaris. 

Will man die durch das Bakterienwachstum erzeugten Um¬ 
setzungen genau kennen lernen, so muss man als Ausgangsmaterial 
nur ganz bekannte Körper nehmen, da schon das „eimache“ Pepton 
ein ungleichmässig zusammengesetztes kompliziertes Material ist. 
Es wurden zu den Versuchen deshalb die genau chemisch dehnier- 
baren Aminosäuren benutzt und als „Yergärer" das energisch 
Eiweissstoffe zersetzende Bacterium proteus gebraucht. Ls 
entsteht bei dieser Umsetzung Buttersäure aus Ammovaleriaiisaiire 
und aus Leuzin Amylalkohol. Asparagin wird zerlegt in Bernstein¬ 
säure, Essigsäure. Ammoniak und Kohlensäure. Asparagms.ini e und 
Leuzin sind der Einwirkung des Proteus am besten zugänglich, we¬ 
niger gut Aminovaleriansäure, Phenylamin, Thyrosin, Argmm. Kreatin, 
Glykokol, Alanin. Auch abgetötete Bakterien vermögen das Aspa¬ 
ragin in Bernsteinsäure und Ammoniak zu zerlegen. 

2) Karl K i s s k a 11 - Berlin: Untersuchungen über das Mittag¬ 
essen In verschiedenen Wirtschaften Berlins. 

Für die Untersuchungen wurde aus 4 verschiedenen Wirt¬ 
schaften, einer Volksküche, 2 kleinen Wirtschaften mit Arbeiter¬ 
publikum und einem Restaurant mit besser situiertem Publikum, 
Mittagessen geholt und davon Trockensubstanz, Fett, Asche und 
Stickstoff bestimmt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem 
Speisezettel im Restaurant und dem in kleinen W irtschaften ist der, 
dass in letzteren viel grössere Mengen an Kalorien durch die gleiche 
Speise eingeführt werden, während in den Restaurants der Speise¬ 
zettel aus viel mehr einzelnen kleinen Teilen besteht. Trotzdem ist 
die Nahrung in den kleinen Wirtschaften nicht einförmig. Pie ge¬ 
botene Menge an Nahrung ist natürlich sehr verschieden. Durch¬ 
schnittlich werden 1000 Kalorien als Mittagessen abgegeben: in der 
Volksküche am meisten (1260), in dem Restaurant I<i3m und in den 
kleinen Wirtschaften 960 und 876, das ist nur zirka der dritte Teil 
des Tagesbedarfes. Pie Art der Verteilung der Kalorien in der Volks¬ 
küche beläuft sich bei Kohlehydraten auf 73.3 Pro/.., bei Fett auf 
13,6 Proz., bei Eiweiss auf 13,1 Pro/. In der einen kleinen Wirtschaft 
war es ähnlich so. In der anderen und im Restaurant überwog das 
Fett. Eiweiss wurde am meisten im Restaurant geliefert, etwa 
50 Proz., w’ährend in den kleinen Wirtschaften nur 35- 40 Proz. ab¬ 
gegeben werden. Pie Preise richten sich, wie bekannt, nicht nach 
dem Nährwert, weil auch alle Unkosten mit in den Mittagspreis ver¬ 
rechnet werden. Im Restaurant erhielt man für 1 Mark 7ö3 Kalorien, 
in den beiden kleinen Wirtschaften 1S(>2 resp. 2337 und in der Volks¬ 
küche 4200 Kalorien. Pie Volksküche gewährte also die vollkommenste 
Ernährung,wenn auch derEiwcissgehalt noch zu wünschen übrig lasst. 
Pem Uebelstandc würde durch eine Vermehrung des vegetabilischen 
Eiweises abzuhelfen sein, ohne den Preis wesentlich erhoben zu 
müssen. Ein Vergleich mit früheren Beobachtungen über die Mittags¬ 
kost zeigt, dass seit den Untersuchungen Voits bis 1895 eine Ver¬ 
besserung der Ernährung andauert, später aber trotz der Erhöhung 
der Preise wieder eine Verschlechterung. 

3) Ernst Moro und Albert U f f e n h c i m c r - München: Die 
Einwirkung menschlicher Lymphe auf den Tiibcrkelbazllliis. 

Alle Versuche, die die Verfasser anstellten, haben erwiesen, dass 
die menschliche Lymphe in vitro auf die Virulenz des Tuberkelba/illus 
keinen Einfluss auszuiiben vermag. Ueberhaupt dürfte die Lvtnphe 
selbst im Kampf gegen die Tuberkulose im Organismus keine Be¬ 
deutung haben, ebenso wie auch der Phagozytose durch die Leuko¬ 
zyten keine ausschlaggebende Rolle beizumessen ist. 

R. O. Neu mann - Heidelberg. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 25 u. 26. 1908. 

1) F. K r a u s e - Berlin: Subkutane Dauerdrainage der Hirn¬ 
ventrikel beim Hydrozephalus. 

Vergl. Auszug Seite 1363 der Münch, nied. Wochenschr., löos. 
Per Artikel bringt einige Abbildungen zu dem Vortrage. 

2) H. Z i e s c h £ - Breslau: Die kutane Impfung mit Tuberkulin 
nach v. Pirquet In Ihrer Bedeutung für die Diagnose und Prognose 
der Tuberkulose. 

Bei seinen Impfungen an 302 Personen, unter w elchen bei 114 
zugleich auch die konjunktivale Reaktion angestellt wurde, hat Verf. 
keine Schädigung durch die Reaktion gesehen. Pie Sätze, welche 
Wolff-Eisner über die prognostische Bedeutung des Ablaufes 
der Reaktion aufgcstellt hat, decken sich nicht mit den Erfahrungen, 
welche Z. gewonnen hat, wie aus der vom Vcrf. mitgeteilten Sta¬ 
tistik seiner Ergebnisse hervorgeht. Von den 114 auch mittelst der 
Augenprobe untersuchten Fällen ergaben 95 Proz. ein negatives Re¬ 
sultat, also auch hier wieder ein grosser Unterschied gegenüber den 
Angaben von Wolff-Eisner. Im ganzen fand Verf. die Haut- und 
Augenproben der subkutanen Impfung überlegen, die kutane Reaktion 
wieder der Augenprobe vorzuziehen. Für die Diagnose der tuber¬ 
kulösen Erkrankungen haben beide Proben, auch wenn sie gleich¬ 
zeitig an einer Person angewandt werden, nur bedingten Wert, weil 


sic m ihrem Ausfall zu insular so J, , t .s ,:.os t; an s-t 
Ergebnis der klinischen l r.ti ? suw liuu^cn uiwcici V. . * * t. \ _> 

geringer ist der prognostische Wirt mr Pr-mh 

3) E. E i c h I e r - Liiam tti r 1 ur g io l K. ; b e r g 1 e i : - V '• 
singen: Leber (il> kosuric, experimentell her* nrgeruten durdi Ver¬ 
ätzungen und Verschorfungen der Innenfläche des Darmes. 

Die Verf. habt n I vpc; «mimte an Hm* ■ .r u 'ti : u: .1 ‘cv . 
teils chemisch, teils mit dem l’.i .n m I <. ..c s D 1 ..-’s 

scliorft. Die Iure bekam« n da .midi. am!: wum das I ‘.r «. • • u - 
nicht g«. schädigt w Miilcn war. e-nt n:C \ Zu.vUa ss. • «. 
und zwar snw * *h I bei V v: sdmr lang dis I -..i i uns .« \ .«. .. 

Ilentns, so dass diesen bilden D,nv.ihA: hei .u .i • H - . * 
gegenüber anderen Angabi n e me ges nduti p. v !< r .. * / „t - 

sprodiin w et dm Kami. I he auit'edc :dt « i \ ►. v..,c v .«r s;us ^ 

N oriihet gelle nde. BitreU dir t i h. amrg i! oü t>« ‘ad*:-.: . s". • 
die V erl.issei die V ctmutu::g. dass es s.di f..d • i mu i i •• R«. ’ 

die Leber handelt. Welche ihr < 1 . \ k<« K e-U p .di #uu i • ..'i /..* 

4) < i. A. VV o| I e n b e r g - Be r Im : L I t t I c sehe Krankheit und 
Huftluxation. 

V ei f. hat w eitet e 1" | a ,e \ "ii 1 i : l . c s. m r k : .i - , ’ ! r • U . ■ 

logisch untersucht lind unter Joih hui < :* .ij k ; mte I r* 

H’iltgelenkes getundeii. I uter Rep: • mm. tu n \ • r: • e matu «..e: R • 

geiiogramme werden die l.u/eifcden dir Bitude lod.'.i c; . 
der Mechanismus des Zustande n««mme ns der Vimv he * m,.i ti e* *: 
Verf. ist der Ansicht, dass der t ir ad der Navuen zur /e t de r i 
siichung nicht massgebend war t*.r den dra! der P:.r • ; v -. . 

resp. der l.u\,»ti<»nen. Hmsic !;t:.c h dm I mm: e der I ; t ! . t s v 

Krankheit wird besonders am das ha,;' ge I ::.fv!en dt r H ” • 

hingewiesen, ferner aut die N' «tw t:: : .gkcit. zur a *.:■>; g.u 

Muskelspanriungen M\ot,.m,en und I^Ji-m ::.;en ru‘d:i.:.g u 
fuhren. 

5) R. M u Ii s a m - Berlin: Sticldrchung der Gallenblase. 

Die imtgeteiitc Beobachtung w u: !e an e:r e r r.l i 1 .. . 

gemacht, Weidic mit der Diagnose: t ::;p\em der < ia u • .ac ; .* 
Operation gelangte. Bei letzterer far:.l vdi d.e < ia. u ’ ,ai um ; »- 
uni den Ductus c\stidis gedreht. in der p..asc se : s: ke.n >!e m 1 \- 
stirpatioii der ( ia.lt nb.ase, g at:e He. ar.g. 

6) A 1' i I p - Mrassl urg : Zur Kenntnis der Implaniatlonskarzi- 
nome Im Abdomen. 

Mitteilung eines Eudes, in w eiche m s:d; bei i :r*er 7- 
brau ein primäres ausgedehntes t ia .etd a\t *:». ar / m tat:-! v- d • <. : 
anderen Metastasen eine mädit:ge I'o iIm: ;i un I" ; • • t :.is:.o. 
des Peritoneums m den Items um! das h.Mue ; o .i •• g <. v, 

sowie m den Dickdarm, die iha:.u und di :i Wir: : P: 

Literatur hat Verf. nur 3 ahi.hche 1 a e ■r: :« n 

7) lli. Mau s in a n n - (irel. I eher die Palpation des normalen 
Pylorus und der normalen grossen Kurxatur und über ein neues 
akustisches Phänomen, das exspiratorische (lurren. 

A iif (ir u ii d se me r Pa. pa 1 1 « ■ 11 sc r g c:';: i ssi- 4 d«.■ r i ;i I ia ' ■ k :..»■ e r 1 e - 
Schrieben wird, glaubt Verl, mit Bi-vri.rntht it b« ‘aüpti •*. k • • L 
dass der P\!«*rus in mmdt sti ns 1s ,1er Ia e getastet w e ' * 

kann, und zwar a's bald w cidier. sd. a”c\ lad iri.r k ■.r.r.i-* ' 

Z\linder, an weichem zu Beginn der i :s v ::la‘*::r.g t.d.er am I • . e d-. ■ 
Kontraktionsph.ise meist im K *• c ’ 11 « :e r 1 n w ao , ; r, r •- •„ :• 

werden kann. I eher die Ied uiK der 1 asm« g der g'-vs,.«: k 's.i*,. 
w elche V erf. als Idtalna-tl .«de zur I age' i s* :: ::,u- g des V’a.e- s t ^ . 
Zeichnet, müssen die deta. derten Angaben des n-. • s \ i «g. v , 
w erden. Die grosse Kiitxautt kann in :i r.desten.s 3^ !*:• .* !i : r.»• • 

untersuchten I al'e n!’getas:et wuloi Das p'...;- m«. *i c., s iw ... 

torischen Ourrens entstein m dem M->Tent. u. > dir de g- vc C k:«. 
vatur begrenzende M.ign;st:i:k;i an dt u | --gem \.r erst t v ♦ 

Ls entsteht dadurch, dass die Ruhe der p.i ; .t 'cfd« n I : r c v 

bclieidung des Magens m e 11 ; • ■ i unter eil und • \ 'i:i V,a..t ira.ee * . 
wirkt, von denen der untere s.Ji bei di •*: i\s : c j-,. \ ;j « %v - 

steigen des Magens \crengt. Aut « i- und s; r v, n 1'. 

IKitumsbetunde gibt Verf. an. dass d.e g-- ss C k,'\.r..r di s i _ • 

ptotischeu mul mdit at<«msc hi n Via.;» ns 5 i. v *n s S,.* . ^ 

\ e i Li u It. Die Pa I pa 1 1 < m, wie s.e V i r t. ■ ’ t. i v -t s v >. 

auch dazu, um die Zuge in >r igkcit v«-n l'un n n guui fe^:.- ; . 

stellen. 

M .1. S c h w a r z m a n n - (>di sv.t; Zur VV irkurig der Arzneimittel 
auf das Blutserum. 

Durch V ersuche, w eiche V cf. an r. H :: di :: a".a di : k • • • 

er sich überzeugen, dass unter di r I n-w g \ ” I a 
Agglutinationseigenschalten des >er;;*-.s sta-g / . i 1 - n. •: f 
gelmis. weiches d;e I rage ul er die W;:k.;g dir V • i •• . .. - 

neue Bah.tien lenken kann. 

* H. L. K nopf-t ;a;rkii:rt a M : Die Heilung der chronischen 
Bronchitis durch Atmurigsg\ mnasiik. 

Verf. hat nadi dun Vi'U.hm \..j: > ,, n i r i ■ «.- s. v , . 

Anzahl von Asthmatikern diodi \ r •• u* .. ^.. c-. g / , : }| — 

bracht lind nun diese Methode unter A’tWi • ,.i • g \ n 4 g\ •• "..c* ^ •* , ’ 

l ebungen zum l iefatm-m atidi l u c 1 • c. r 11 d * s / •• 

Asthma angew endet. Die E'ge! msse w.rui. v\ :e a d: a s r * . 

teilten Kraifkenge sd.iditm ersehen w .:d. K s: V-d'. ut t'■/. ~ 

wicht auf die dadurch zu erzielende 1 «i ^ed.v.:-g de' s u.n." p.- -* \ 
do\en Atmung solcher Kranken, bei \u'd:^ w -'e**d de' pV'-'V: . **'' 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1449 


die oberen Teile ausgedehnt werden, während sich gleichzeitig die 
Bauchmuskeln kontrahieren, wodurch die unteren Lungenteile, in 
welchen hauptsächlich das Sekret sitzt, ziemlich unbeweglich bleiben. 
Das kann durch Uebung beseitigt werden. Ein weiteres Moment ist 
die Erziehung zum richtigen Husten. Der Bronchitiker darf nur dann 
husten, wenn er auch wirklich Sekret expektorieren kann, dann aber 
kurz und kräftig. Die systematische Atmungsgymnastik bildet zu¬ 
gleich ein wichtiges Heilmittel gegen die Chlorose, auch sieht man 
Rückgang von Herzverbreiterungen und Beseitigung chronischer Ob¬ 
stipation dadurch eintreten. 

10) O. T u s z k a i - Marienbad: Die subaquale Untersuchung und 
Behandlung in der Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Vergl. hierüber die Berichte der Münch, med. Wochenschr. über 
die vorjährige Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in 
Dresden. 

11) B. L a q u e u r - Wiesbaden: Ueber die Versorgung von 
Krankenhäusern und Heilstätten mit guten Büchern. 

12) Q. Schmidt-Berlin: Das Heeressanitätswesen während 
der Jahre 1906 und 1907. 

Nicht zu kurzem Auszug geeignet. 

No. 26. 1) Waldvogel und Süssenguth -Göttingen: Die 


Folgen der Lues. 

Der Artikel bringt eine Reihe statistischer Angaben über 297, 
vor 24—33 Jahren, an der Klinik zu Göttingen wegen Syphilis be¬ 
handelter Personen. Aus der Zusammenstellung über die Todes¬ 
ursachen bei 89 Verstorbenen ist ein Einfluss der früheren Syphilis 
auf das Vorkommen von Tuberkulose, von Pneumonie und Pleuritis 
nicht zu ersehen, auch kein wesentlicher Einfluss auf Erkrankungen 
der Zirkulationsorgane, speziell Arteriosklerose. An Tabes erkrankten 
2.5 Proz., von den Verstorbenen waren an progressiver Paralyse 
ca. 12 Proz. erkrankt gewesen. Ein weiterer Teil des Berichtes be¬ 
fasst sich mit der Frage, um wie viel Jahre die Syphilisinfektion die 
Lebensdauer der Erkrankten herabsetzt. Es ergab sich, dass die 
syphilitisch Infizierten eine ca. 2 Jahre kürzere Lebensdauer auf¬ 
wiesen als Gesunde. Die von den früher Syphilitischen eingegangenen 
Ehen erwiesen sich als kaum weniger fruchtbar als die Ehen Nicht¬ 
syphilitischer. Ein Einfluss der früheren Syphilis auf die Mortalität 
Jer Säuglinge war nicht erkennbar. 

2) L. Langstein -Berlin: Ekzem und Asthma. 

Verf. hat in mehreren Fällen durch die Verordnung salzarmer 
Kost ein bestehendes hartnäckiges Ekzem zur Heilung kommen sehen, 
während sich andere als nicht beeinflussbar zeigten. Bei den Be¬ 
ziehungen zwischen Ekzem und Asthma wurde diese Therapie auch 
tiei an Asthma leidenden Kindern versucht. Verf. hat in seinem Falle 
cavon keinerlei Erfolg erlebt. 

3 ) M. M o s s e - Berlin: Ueber metalymphämische Leberzirrhose. 

Bei dem 53 jährigen Kranken, über welchen berichtet wird, er- 

vlgte durch eine grössere Reihe von Röntgenbestrahlungen eine Bes¬ 
serung. ja fast vollkommene Heilung der lymphatischen Leukämie, 
-> ch entwickelte sich später eine Leberzirrhose sowie eine chronische 
Peritonitis. Verf. halt es für möglich, dass es zu einer Schädigung 
der LeberzeHen duTch die infolge der Röntgenbehandlung zu gründe 
gegangenen Lymphozyten gekommen ist. 

4) Z. Tomaszewski - Lemberg und G. G. W i 1 e n k o - 
Karlsbad: Beitrag zur Kenntnis der antagonistischen Wirkung des 
Adrenalins und der Lymphagoga. 

Entgegen anderweitigen Angaben konnten die Verf. bei den 
Versuchen, über welche sie berichten, das Auftreten von Adrenalin- 
rlvkosurie’ durch Einspritzungen von Pilokarpin meist nicht ver¬ 
ändern. Sie konnten ferner feststellen, dass bei 6 Kaninchen, bei 
" eichen auf Adrenalininjektionen Glykosurie eingetreten war, diese 
aa^hjjeb wenn Kochsalz intravenös injiziert wurde. In weiteren Ver¬ 
gehen über die Wirkung des Adrenalins auf den Lymphstrom konnten 
i einen stark hemmenden Einfluss desselben feststellen. 

5 ) 4 M ü n z e r - Berlin: Zur Histologie und Klassifikation der 


laiidrysehen Paralyse. 

Schilderung eines typischen Falles dieser Krankheit, welcher 
-latomisch durch die Verbindung von Infiltration mit Degeneration 
V Erscheinungen der Poliomyelitis acutissima darbot. Es ist mög- 
"l dass ein sich ebenfalls vorfindender, augenscheinlich toxischer. 
Oberer Magendarmkatarrh mit der Paralyse in ätiologischem Zu- 



F j?t*h fisch: Herzbewegung und Herzkontraktion. 
v ‘i r bricht Seite 1261 der Münch, med. Wochenschr. 1908. 
-j p R pn di <r - Magdeburg: Ein weiterer Beitrag zu dem Ar- 
Sri Ak»Ve äclbe JLebcratrophie bei Syphilis“. 

i g eines Falles, wo sich bei einem 17 jährigen Dienst- 

MitteUung r 3 tägigen, ganz unbedeutend sich ansehenden 

'Jenen nach zlich infolge der später durch die Sektion cr- 

oromalsta diu mp e j, ie hochgradige Verschlimmerung ent- 

1 ;senen Leberatr p ganz 24 Stunden zum Tode führte. Verf. 

- :*.e/re. welche in -welchen im Sekundärstadium der Syphilis 

■noch? Fälle mit , '" ftrat 

’zrrhalischer Ikterus , Moskau: Beitrag zur Frage der Diph- 

,ii PA. Blum ent n 
i-ie«iltoxln«ewJnnumf- niona | c 

Einverleibungsmethode beim Pferd 
Verf. hat die intrap . er an der Hand der von ihm erzielten 
rteilhaft gefunden, 


Resultate nachweist. Es kann dadurch in möglichst kurzer Frist, 
unter möglichster Schonung des Tierorganismus, und unter möglichst 
geringfügigen Reaktionserscheinungen ein hochwertiges Serum er¬ 
zielt werden. 

9) A. P e y s e r - Berlin: Ueber isolierte Lähmung des Musculus 
rectus externus bei gleichseitiger eitriger Mittelohrentzündung. 

Mitteilung und ausführliche Epikrise eines Falles, in welchem sich 
bei einem 12 jährigen Mädchen nach Scharlach eine eitrige Mittelohr¬ 
entzündung entwickelte, wobei eine Geschwulst vor dem rechten 
Ohre auftrat und im Anschluss hieran eine Schwellung des rechten 
oberen Augenlides mit Unvermögen, den rechten Bulbus über die 
Mitte hinaus nach aussen zu bewegen. Bei der Operation wurde ein 
subperiostaler Abszess in der Schläfengrube entleert, im Anschluss 
daran die Totalaufmeisselung des nekrotisch gewordenen Prozessus 
vorgenommen. Heilung. Verf. erörtert die Wege, auf welchen sich 
derartige entzündliche Prozesse auf die Bahnen der Augenmuskeln 
bezw. ihrer Nerven fortsetzen können. Mitgeteilt wird ferner noch 
ein Fall von Abduzenslähmung der linken Seite nach Verletzung des 
rechten Sinus transversus. 

10) G. M u s k a t - Berlin: Stauungshyperämie bei fixiertem Platt- 
fusse. 

Der Artikel ist referiert in dem Berichte der Münch, med. Wo¬ 
chenschrift über den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chi¬ 
rurgie 1908. 

11) H. B e i t z k e - Berlin: Neuere Arbeiten über die Infektions¬ 
wege der Tuberkulose. 

Zusammenfassendes kritisches Referat über dieses Kapitel, aus 
dem hervorgeht, dass wir zwar mit der Möglichkeit rechnen müssen, 
dass intestinale Entstehung der Lungentuberkulose öfter vorkommt 
als aus den pathologisch-anatomischen Befunden geschlossen werden 
kann. Ob und welche Bedeutung aber diesem Infektionsmodus für den 
Menschen zukommt, lässt sich noch nicht entscheiden. Der alte Satz, 
dass die Lungentuberkulose des Menschen in der Mehrzahl der Fälle 
durch direkte Aspiration der Tuberkelbazillen in die Bronchien ent¬ 
steht, kann noch nicht als widerlegt angesehen werden. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. No. 26, 1908. 

1) W. M ü 11 e r - Rostock: Ueber Knochengelenkresektionen. 

Klinischer Vortrag. 

2) Weber und Fuerstenberg -Berlin: Zur Arsenbehand¬ 
lung der experimentellen Nagana (Tsetse). 

Die überraschende Beobachtung von L ö e f f 1 e r und R ü h s 
über spezifische Dauerheilwirkung der arsenigen Säure gegenüber 
einem Naganastamm bei kleinen Tieren konnten Verf. gegenüber einem 
anderen Stamm derselben Trypanosomenart bei Ratten nicht be¬ 
stätigen. Verf. erklären sich dies so, dass nicht nur differente Try¬ 
panosomenarten, sondern auch verschiedene Stämme ein und der¬ 
selben Art durch chemische Mittel verschieden beeinflussbar sind. 
Der genannte, relativ arsenfeste Stamm wurde durch kombinierte 
Behandlung mit arseniger Säure und Atoxyl dauernd aus dem Tier¬ 
körper beseitigt, auch wirkten diese Mittel prophylaktisch. 

3) Elschnig -Prag: Beitrag zur Aetlologle und Therapie der 
chronischen Konjunktivitis. 

Verf. weist auf folgende zu wenig beachtete Ursachen der chro¬ 
nischen Konjunktivitis hin: a) Hypersekretion der Meibomschen 
Drüsen („Conjunctivitis Meibomiana“), b) relative Insuffizienz der 
Augenlider, d. h. mangelhafter Verschluss bei leichtem Lidschluss und 
im Schlafe. In 2 Fällen beobachtete Verf. hochgradige lederartige 
Eintrocknung (Tyloma conjunctivae). Die Therapie besteht für die 
Form a in häufiger gründlicher Entleerung der kranken Talgdrüsen, 
daneben anfangs Adstringentien; bei der Form b ist ein nächtlicher 
Schutzverband anzulegen. 

4) A. G u i 11 e r y - Köln: Ueber die Aufhellung der durch me¬ 
tallische Aetzgifte verursachten Hornhauttrübung. 

Trübungen, welche auf eine vom Aetzgift (namentlich Kalk) 
mit dem Hornhautgewebe eingegangene chemische Verbindung zu¬ 
rückzuführen sind, lassen sich durch chemische Lösungsmittel auf¬ 
hellen. Am besten bewährten sich Verf. Bäder des anästhesierten 
Auges mit 4—5 proz.. ansteigend bis 10 proz. Chlorammoniumlösung 
und 0.02—0,1 proz. Weinsäurezusatz. 

5) O. v. He rff-Basel: Ueber die Bewertung gewisser Be¬ 
handlungsmethoden der Bakteriämien des Kindbettes, Insbesondere 
der Hysterektomie. (Schluss.) 

Angesichts der Machtlosigkeit gegenüber den Spaltpilzen des 
Kindbettfiebers redet Verf. der operativen Therapie entschieden das 
Wort. Unterbindung der Beckenvenen. Amputatio uteri supravagi- 
nalis mit tiefer Verschorfung des Stumpfes kommen in Befrucht. Die 
einzelnen Indikationen werden vom Verf. genauer angegeben. 

6) Jos. F i s c h e r - Bad Nauheim: Die auskultatorische Blut¬ 
druckmessung im Vergleich mit der oszillatorischen von Heinrich 
v. Recklinghausen und ihr durch die Phasenbestimmung be¬ 
dingter klinischer Wert. 

Vergleichende Untersuchungen auf der Goldscheider- 
sclicn Klinik führten zu dein Ergebnis, dass die auskultatorische 
Methode der oszillatorischen nicht nachstellt, ausser bei Fällen mit 
sehr starker Arteriosklerose und bei mittelstarker Arterienverkalkung 


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1450 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


SV 27. 


ohne Blutdruckerhöhung. Wesen ihrer einfacheren und billigeren 
Handhabung verdient die auskultatorische Methode wenigstens für 
die Praxis den Vorzug. Ausserdem hat dieselbe noch gewisse kli¬ 
nische Vorteile, sie gibt bei entsprechender Verwertung der naher 
bezeichneten Phänomene (Phasenbestimmung) manche besondere An¬ 
haltspunkte. 

7) Alb. B o h n e - Hamburg: Ein Fall von Sprue und sein« Be¬ 
handlung. 

Der beschriebene Patient bot alle fiir die in Ostasien heimische 
Krankheit bezeichnenden Veränderungen: (hatte, zerklüftete, atro¬ 
phische Zunge, Aphthen der Mundschleimhaut, profuse Durchfalle 
unter starker Gasbildung. negativer Ausfall der bakteriolugischen 
Stuhluntersuchung. 

8) Semi M e y c r - Danzig: Relative Eupraxle bei Rechts- 
gelähmten. 

Bei mehreren Rechtsgelähmten beobachtete M. eine gegenüber 
der stark reduzierten Kraft auffällige gut erhaltene Handfertigkeit, 
die er in Anlehnung an Liepman ns Ausführungen durch Annahme 
grösserer Entfernung des Herdes von der Rinde erklärt. 

9) Leo Z u p n i k - Prag: Bemerkungen zu Pochhammcrs 
Aufsatz: „Der lokale Tetanus und seine Entstehung* 4 . 

Z. verweist auf seine früheren Untersuchungen, welche zu ent¬ 
gegengesetzten Schlüssen führten wie die von P. 

10) F. Oavidsnhn - Berlin: Ein Universalstativ für Röntgen¬ 
röhren. 

Die Konstruktion des für Durchleuchtung und Aufnahmen zu 
verwendenden einfachen und billigen Apparates ist aus der Abbildung 
ersichtlich. 

11) Maxim. W a s s e r m a n n - Franzensbad : Ein neues Speku¬ 
lum fiir Vaginaluntersuchung bei intaktem Hymen. 

Die 3 Blätter des Spekulums drehen sich um eine Achse, die in 
die Höhe des Hymens zu liegen kommt, so dass also hier keine Dila¬ 
tation erfolgt, wenn die Blätter gespreizt werden. 

R. (1 r a s h e y - München. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVIII. Jahr¬ 
gang. No. II u.. 12. 1908. 

E. Tschudy und Otto V e r a g u t h: Epizerebrales Sarkom In 
der Gegend der sensomotorlschen Windungen links. — Operation. — 
Genesung. (Nach einem Vortrag in der Oescllsch. der Aerzte der 
Stadt Zürich.) Mit Abbild. 

Genaue Beschreibung und Besprechung des hochinteressanten 
Falles. Zuerst zur Sicherung der Diagnose diakramelle Hirnpunk- 
tion; zweizeitige Operation; Blutdruckmessungen. Wahrend der 
4 jährigen Krankheitsdauer fehlten, obwohl der Tumor ca. 5 Pmz. des 
Schädels ausfüllte, fast sämtliche für Hirntumoren charakteristischen 
Allgemeinsymptome. Kurze Gegenüberstellung eines imei klai teil 
geheilten Falles von Jack so rischer Epilepsie und der Obduktion 
eines nicht operierten Falles. 

Brandenberg - Winterthur: Ueber Miiskeltransplantatlonen. 
Mit 1 Abbild. 

Bespricht die neuen Anschauungen und Methoden und empfiehlt 
die „homogene“ Methode V u I p i u s* für die Ueberpflanzimg am 
Unterschenkel, die „heterogene“ Methode Langes zum Ersatz des 
Quadrizeps. 

Löwy-Berlin und Roh. Glaser-Muri (Aargnu): Sind 
Gallensteine In Galle löslich und lässt sich die Lösuneslählgkelt der 
Galle durch Medikamente (Chologen) steigern? (Mit Abbild.) 

Die Versuche an Tieren und Menschen beweisen, dass durch 
Chologen No. I und 2 die Menge der abgeschiedenen Galle und ihres 
Trockenrückstandes und ihr Lüsungsvermogcn fiir Gallensteine 
(Pulver und ganze Steine) erhöht wird. 

Glaser fügt kurze Angaben bei über die verschiedene klinische 
Bedeutung der Kolikanfälle; über den Einfluss von Erkältungen und 
über die Diagnose. P i s c li i n g e r. 

Oesterrelchische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 26. R. Kraus: Ueber die Beziehungen der sogen. Endo¬ 
toxine zu den Toxinen. 

Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet. 

E. Weil und H. Braun- Prag: Ueber positive Wasser- 
mann-Nelsser-A. Bruck sehe Reaktion bei nichtluetischen 
Erkrankungen. 

Die Verf. haben ihre Untersuchungen namentlich auf Fälle von 
Pneumonie, Typhus, Tuberkulose. Diabetes und 'rumoren gerichtet 
und dabei in einer namhaften Anzahl positive Reaktion gefunden. 
Wo diese Affektionen ntiszuschliesscn sind und Luesverdacht besteht, 
behält der positive Ausfall der Reaktion seinen diagnostischen Wert. 
Speziell bedeutungsvoll ist immer die Reaktion im Liquor cerebro¬ 
spinalis bei der Paralyse, dagegen ist die Reaktion im Blute nur 
mit grosser Vorsicht für Lues zu verw erten. 

E. K 1 a u s n e r - Prag: Klinische Erfahrungen über das Prä¬ 
zipitationsphänomen mit destilliertem Wasser Im Serum Syphilitischer. 

Die Reaktion ist nach K.s Untersuchungen für Lucs nicht spe¬ 


zifisch. aber änsserst Charakter istis Ji i ;r flmtJi- I ues Bei (iisir 
und ffaiitkranken ist sie im a!dk,fta uu n iug.it da.:egt n P s*a 
unter gewissen Umstanden bei manchen Fk ►.•»••-skr.tr> - a .k •» w c 
Tvplius, Pneumonie, I uLyr kumsc. Masern. "uh.r..uü. I k i e * 
bisweilen zum Seilwinden gebracht wird die Rv.iktimi durah . . 
Ouccksilbertherapic bei Flies. 

R. I ranz-Wu/n: Das R c t z I u s sehe SsMera ai» Kotlateral- 
krcislauf bei Leberzirrhose. 

Krankengeschichte erprs Mauru s »rat atr*hi f 1 1 1 .'m 
und schwerer Ati.muc n.ieh Ruptur t mer \ a» ik ..scn si;‘ pm a * v 
Neue m der (legend der lunaicn I ic\nr dis k -.- i s mal I'. dar.ax 
in die Bauchhöhle. N cncticr w i »k rimg irn Be re.eh dis i.v^ui i «. •. i. 
des Oesophagus mul Magens. Die Ruptur ist w» hl dtkch me pas«. w 
Mvpcr.miic, •Ncinlcrungi ti in d t r (iv Sassw .md i:r-d «Vn c'km .x„' .. u 
Reiz/iistand des Batuhküs ( \s/ik si /u crk.mvis. 

V. Uecht-Wun: Zur Actlnlogie der Pfortaderlhrombosc. 

Der hier hesc hr lel'eiio lall betraut im 1 ^ i K es M.< ahen. Im 
dem die klinische Diagnose n.uh dt rn \s/itv s, M . • *r u: d p *. - 

hellem Biuterbrce hen auf I ’lm taderThn md- xe gm». t wir u u d '.u'i 
vier Anamnese bereits im (». 1 t in ns atr c mi t^d ias an t u | a 

ein ahuheber Zustand bestatt !eij hat. Du I trse ist n.uh, di 
((bdiiktn»nsbefund /uriu kzuh.lit eil auf t-me argt b 'ft ne Ne- a. v - 1 . • g 
und die genannte traur:atis v he ab;., rrue liv.iaug dt s | 

Stammes mit tlauernder Kmufr t sm-ii dess,-'bt n. I i*ms^':f dar •. 
in der Literatur \ er/eu Imeti n l a e u..t R Jt a ;f ,..e Net.- „ c 
tler Pfoft.uk r tlir«»ml" »se. 

(). F o e d e r I - NN u n : Phimosenoperation. 

Das hu r beschriebene ti*’ 1 eu;pf< ■!..t r e (»;u rat ■ -r.s\t' f.d • t ” 
muss irn Original cingcsiticii werden. 

K. 1 w u I d: Leber die Verrenkung de* Fusses nach hinten und 
den E\tensions\erhand hei gebeugtem Knie. 

Fs F r fahr n ng an 7 I i "t o bt vtat-gt ilnu!;vvus J.v 11. • ».;* _ ► i t 
gleichzeitigen Fraktur des W adt ulunus. Oh ms., war r l t • r .» s c • i 
keil tm irn ge Absprengiing am hindern Rande de r t 1 a'n <ud' *. - 
fla». Ile festgestellt. Die h w ler: g k e 1 1 . du» r.uh hmkrt ds’mirnm' 

tu ss dauernd in normaler läge <aiiv.li mi < i;:-s \ t l.r .!» za mb.» . 
bestunnite F‘. zu einer koj»p d/uMmcn, n •* e r l'i c‘:vd rr D - 
haiidiuug. die erstens das Bl in irn knie gi ‘u agt h • t. a 1 ts 

Fusse mittelst einer über die Ferse n.uh \»»:n gi hend t n 1 L tt; • .is* t - - 
schlinge eine < icw u litsextensn m .mbungt. 

P. I J r o f a n t e r - Karlsbad : Beitrag zur kon*er\ati\en Behand¬ 
lung von Frauenkrankheiten. 

Sehr eingehende Ft«*r tcllm gen i.'h # d e Ti J "-V lu u.-r \ - 
giualit rigattonen mit F’r.m/ensbadcr Mrura w ,i.ss t r. M «.• ' 

gvuak"|».gisclic Massage. B c r g c a t - M u 1 u r 

Russische Literatur. 

G. Albanus; l’eber Fieber bei S>phlli*. <R.;ssi.\ NNr.it-Oi 
l‘xts, No. 1.) 

A 1 1» a n u s teilt einige Bi '.b.u l'trui n idtr lu’ar lat : * v 
mit. Itn ersten Falle trat tirup tahr f* d c ■ rauh dv r I u< s -u ; t.- •• 
beim Patienten ein intern.:ttu tetali s lala: auf. das b» W .-Ja 
anhielt, zuerst den Nerd.uht auf \ 1 "adApius, s.d.rvi auf *•_- 
guinerule Tuberkulose erregte und m iraui I a g i n unter s;a . ■ s v » 4 •- 
Behandlung \ et schwand. Zu Ikgi:;’: dir 1 i t • * - pt' !■ t d. • kr.i- - c 

Ersehemutigeil dar. die dem /ued'i M.i !mm dt * >\ p!a‘-s r.o 
tmiilit.li sind, irn w eiteren Ner'.m! a.!»ah stt M; *»ah rrvt* -!'-.e t 
die bereits eher dem tlntttn >!.i,l.i;'ii la u.-.d \ n s»- .1. Das 1 '■<. * ^ T 
dauerte noch an. als die FrsJa »tau-gen dt r s t ►,>,!»• !a*en 1 t:cs l\ a ; N 

gesell w u Ihlen waren. Inimgcdi ssqi kann t s atu h na!;t as ..1 

tioiisfiel'cr“ im c-tigeren Sinne dis NN . rtas la/e J -at. s- -v.a m» r vs 
eher zu den Temperatur s^ua rung». u lat »li r tr!. »an I t;r e >. - 
rechnet Werden. I »es kr neun la-'.iJ.ttk Ar Nif 3 I a e \ "t 
Svphilt-s vier leber mit 1 u la r. Im e’s’.ii 1 ,i V ha- h de es sah n 
eine Patientin mit tei tiarvu LsJa imi'arr, da.s 1 u ! a ' 1 • t 3 M -r.tt v 
au. war anfangs k.»ntimiier Ik h. sp.sk-ü- •* i: k : •• ;t • a ' i n I ml sd« ,t-* * 
einlliv. li muh N'erabreu Innig \ (, n l"d'-at Lu /ui tin um! i;n dg 
Falle lagni e\ kleitt I ebv r gummat.i \ • »r : 1 ah hm« :..dc da N m. 
gtosserung vier labet s. .w ie das la'tr. waa d i.i.a, , ks b». r \ . 

den Kranken Selilvabt \ettragiu wurde. Dir Ni ' r s, i sst s : v • 

rucklialth »s iler Ansicht v».ti K 1 c m p c r t r u-»! \N istpbal • 
nach welcher das l ieber hei V- phi .s n.,d dnmff vUn /Art.id. u*- * 
nullt dutvll die Resofpti»«n i!t r Zm ta"sm ■ tc la • \ g•. • r.k ü w r ' 

smidcrn tlmch die S\ phiiis a’s s..R!ie. Da N ■ .rh t ’ v* .a v* t re /-v*- - 
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klingen gewarnt werden muss, das .nah m kam man 1 - \ *» a : i v‘. S c 
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R. Luria; Leber die Diagnose der I nberkub»se mittels der 
C a I m e t ( c sehen Ophthalmoreaktion. 'R..sn-v M - 1 •» ^ 

No. 2.) 

Auf (ir und Si. et r Fd ialir»na n k -r • t 1 zu -da - •• -a 1 ss v ,, . 

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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1451 


ten handelt. In zweifelhaften Fällen steigert der positive Ausfall 
der Ophthalmoreaktion den Verdacht auf Tuberkulose und kann da¬ 
her neben anderen klinischen Symptomen eine ent¬ 
scheidende Bedeutung gewinnen. Ein negativer Ausfall der Reaktion 
bei wiederholter Untersuchung macht das Fehlen einer tuber¬ 
kulösen Affektion bei der betreffenden Person wahrscheinlich. 

R. W r e d e n: Die konservative Behandlung der chirurgischen 
Tuberkulose mit Injektionen von Kamphernaphthol. (Russky 
Wratsch 1908, No. 3.) 

Privatdozent W r e d e n empfiehlt aufs wärmste die Behandlung 
chirurgischer Tuberkulosen mit Einspritzungen von Kamphernaphthol. 
Auf Grund seiner ziemlich ausgedehnten Erfahrungen (20 Kranken¬ 
geschichten werden mitgeteilt) stellt der Autor den Satz auf, dass die 
Behandlung der chirurgischen Tuberkulose mit Injektionen von 
Kamphernaphthol bei gleichzeitiger konsequenter Anwendung von 
Immobilisierung des affizierten Organs bessere Resultate auf¬ 
weist als andere Methoden. Die Einspritzung von Kampher¬ 
naphthol ist völlig ungefährlich, falls es unverdünnt nur in 
Abszesshöhlen und in Fisteln eingeführt wird, für Injek¬ 
tionen in die Qewebselemente jedoch eine Emulsion von 
Kamphernaphthol in Glyzerin im Verhältnis von 1:5—2 zur An¬ 
wendung kommt. Durch vorhergehende Anästhesierung mit einer 
1 proz. Kokainlösung können die Injektionen von Kamphernaphthol 
in die Gewebe und die Entleerung der Abszesse vollkommen 
schmerzlos vorgenommen werden. 

L. U s s k o w und A. Godsewicz: Ueber den Einfluss der 
Röntgenstrahlen auf den Stickstoffumsatz bei Leukämie. (Russky 
Wratsch 1908, No. 3—5.) 

Die sorgfältige Beobachtung von 4 mit Röntgenstrahlen behan¬ 
delten Leukämiefällen, von denen 3 zur myeloiden, 1 zur lympha¬ 
tischen Form der Leukämie gehörten, ergab, dass die Röntgenstrahlen 
bei dieser Erkrankung auf den N-Umsatz und auf die Ausscheidung 
der Harnsäure und der Purinbasen zweifelsohne einen starken Ein¬ 
fluss ausüben, dass aber diese Alterationen in Abhängigkeit von der 
Form der Leukämie, der Schwere des Falles, der Dauer der Krank¬ 
heit, der voraufgegangenen Röntgenbehandlung und der Stärke der 
Bestrahlung verschieden sind. In günstig verlaufenden Fällen wiesen 
nach den Erfahrungen der Verfasser diese Alterationen eine gewisse 
Regelmässigkeit auf und trugen einen anderen Charakter als in den 
Fällen von entgegegengesetztem Verlauf. In den erfolgreich be¬ 
handelten Fällen wird nämlich gleichzeitig mit der Abnahme der 
weissen und mit der Zunahme der roten Blutkörperchen und des 
Hämoglobins ein deutlicher N-Verlust beobachtet, der zum Sinken 
des Körpergewichts führt; daneben wird eine gesteigerte Ausschei¬ 
dung von Harnsäure und von Purinbasen und eine relative Zunahme 
des PaOs vermerkt, wobei die Grösse der Harnsäureausscheidung 
sich nicht immer in einem bestimmten und beständigen Verhältnis zur 
Anzahl der Leukozyten befand. In den Fällen jedoch, wo die Rönt¬ 
genbestrahlung keinen rechten Erfolg zu verzeichnen hatte, nahmen 
zwar gleichzeitig mit der Verringerung der roten Blutkörperchen 
und des Hämoglobins auch die Leukozyten ab, aber unregelmässig, 
abwechselnd mit kurzdauernden Zunahmen, jedenfalls langsam. Die 
Ausscheidungsgrösse des Harnstickstoffs war meist kleiner als die 
mit der Nahrung eingeführte N-Menge, es fand somit eine Retention 
des Nahrungs-N im Organismus statt; entsprechend der N-Retention 
konnte ein Ansteigen des Körpergewichts während der Behandlung 


konstatiert werden. 

A Worobjeff: Zur Behandlung akuter eitriger Entzündungen 
■dt Stäuuügshyperämle nach Bier. (Russky Wratsch 1908, No. 5 


In der chirurgischen Abteilung des Militärhospitals zu Kiew be¬ 
handelte der Autor mehr als 50 Fälle akuter eitriger Entzündungen, 
darunter 9 Panaritien, 11 Phlegmonen, 1 Paronychie, 1 Osteomyelitis, 
3 Riss- und Quetschwunden, 1 Tendovaginitis, 4 Furunkel und Kar¬ 
bunkel 3 gonorrhoische Arthritiden und 2 Geschwüre, mit Stauungs- 
hvperäVnie nach Bier (Anlegen einer elastischen Binde). Verf. 
empfiehlt diese Methode aufs angelegentlichste bei den verschieden¬ 
sten akuten entzündlichen Erkrankungen und hebt ihre Vorzüge her¬ 
vor- Verringerung oder vollständige Beseitigung des Schmerzes, 
Tendenz des diffusen Prozesses zur Begrenzung, Fehlen entstellender 
Varhen bei der Ausheilung, mangelnde Neigung der Sehnen u. a. 
inr Nekrose weshalb geradezu ideale funktionelle Ergebnisse er¬ 
zielt werden * und die Möglichkeit, das so schmerzhafte Tamponieren 
_ * Die Einwirkung der Stauungshyperämie auf die Kör- 

JLmnrratür war keine evidente. Ebensowenig war in allen Fällen 
Abkürzung der Krankheitsdauer zu bemerken. In 
i f- ii /hei zwei akuten Eiterungen und einer gonorrhoischen 

{ f?.® , l Worobjeff einen Misserfolg zu verzeichnen. 

Arthritis) natt e \ n : Zur Lehre von den Opsoninen; ihre Bedeu- 
, “ Vkf 5 i<?ffOse und Therapie. (Russky Wratsch 1908, No. 6.) 

tag für die Ul K über 23 Fälle von Akne und Furunkulose, 

Der Autor ftöhlenfisteln nach Laparotomie und 10 Fälle von 
3 Fälle von bau r vizitis mit hartnäckigem, jeglicher Behand- 

katarrfta lischer ^ albus (sämtlich durch den Pneumokokkus be¬ 
ton? frofzen dem r y^j^inebehandlung nach W right einen durch- 
lingtl. in denen hatte. Keinerlei unangenehme Nebenerschei- 

xhlmnden ErtolfC dies? r Behandlungsmethode beobachtet. Ab- 
CDnj ten wurden bei 


gesehen von ihrer hohen therapeutischen Bedeutung gewinnt die Be¬ 
stimmung des opsonischen Index durch die Schwankungen des ent¬ 
sprechenden Index in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung 
und die Spezifizität der Opsonine des Blutes eine wichtige dia¬ 
gnostische Bedeutung. Zum Schluss glaubt der Verf., dass bei Er¬ 
krankungen, die einen chirurgischen Eingriff erfordern, eine prä¬ 
ventive, wenn auch einmalige Impfung mit den in diesen Fällen 
gewöhnlichen Infektionserregern die Schutzkräfte des Blutes beim 
Kranken steigern dürfte. 

A. Shirnow: Die Agglutination bei Choleraschutzimpfungen 
und bei der Cholera. (Russky Wratsch, 1908, No. 7.) 

Im Herbst vorigen Jahres bot sich dem Autor Gelegenheit, wäh¬ 
rend der Choleraepidemie in Astrachan das Agglutinationsvermögen 
des Blutes von Personen, die gegen Cholera geimpft worden waren 
oder die Krankheit überstanden hatten, näher zu studieren. Für seine 
Untersuchungen über die agglutinierenden Eigenschaften des Blutes 
von Geimpften diente ihm das Serum von 14 meist jugendlichen 
Personen, die sämtlich zweimal vakziniert waren. Die Dosis der 
ersten Impfung hatte 1,0—1,5—2,0 ccm, die der zweiten (nach einem 
siebentägigen Intervall) 2,5—3,0 ccm betragen. Das Blut wurde 8 
bis 10 Tage nach der zweiten Impfung entnommen. Mit einer ein¬ 
zigen Ausnahme wurde in sämtlichen Fällen eine deutliche Agglu¬ 
tination in einer Verdünnung von 1 ; 15, in der Hälfte der Fälle in 
einer solchen von 1 :30 und bei einer Person in einer Verdünnung 
von 1 :100 beobachtet, während normales Serum nach der Erfahrung 
des Verf. abgetötete Vibrionen in einer Verdünnung von 1 ; 30 gar 
nicht und in einer solchen von 1 :15 nur ausnahmsweise agglu- 
tinierte. Von den 8 untersuchten Personen, die Cholera überstanden 
hatten, waren 5 vorher zweimal geimpft worden, 3 dagegen nicht. 
Das Serum der Personen der letzteren Kategorie agglutinierte die 
abgetöteten Vibrionen der Schutzlymphe höchstens im Verhältnis von 

1 :50, während bei den Personen der ersteren Kategorie das Agglu¬ 
tinationsvermögen des Blutes nur in einem Falle bis zu 1 ; 200 stieg, 
in den übrigen 4 Fällen hingegen sich nicht über l : 50 erhob. Das 
Agglutinationsvermögen des Blutserums bei Cholera ist somit allem 
Anscheine nach durchaus nicht hoch. Bei den Versuchen wurde 
noch die Beobachtung gemacht, dass lebende Vibrionen in weit 
grösseren Verdünnungen agglutiniert werden als abgetötete und eine 
schnellere und deutlichere Reaktion aufweisen. 

W. Stühlern: Ueber die Bedeutung der quantitativen Be¬ 
stimmung der typhösen Bakteriämie. (Russky Wratsch, 1908, No. 8.) 

Im Obuchowkrankenhaus für Männer in Petersburg nahm Stüh¬ 
le r n an 42 Typhuskranken eine Reihe quantitativer Untersuchungen 
des Bakteriengehaltes des Blutes (unter Benutzung der Methode 
von Schiiffner) vor, um die Frage nach den Wechselbeziehungen 
zwischen dem Grade der Bakteriämie und dem klinischen Bilde des 
Abdominaltyphus klarzulegen. Die Untersuchungen ergaben folgen¬ 
des: Eine quantitativ scharf ausgeprägte typhöse Bakteriämie beim 
Vorhandensein eines schweren Allgemeinzustandes im Beginne der 
Krankheit berechtigt zur Annahme eines toxischen (foudrovanten) 
Typhus. Der sogen, abortive Typhus steht höchstwahrscheinlich 
an der Grenze zwischen dem toxischen und dem schweren Tvohus 
und kommt dem Grade der Bakteriämie nach der toxischen Form 
nahe. Mit dem Sinken der Temperatur sinkt auch gleichzeitig die 
Bakteriämie, wobei in der Apyrexie noch eine quantitativ schwach 
ausgeprägte Bakteriämie beobachtet werden kann. Diese beiden 
Typhusformen bieten klinisch und bakteriologisch das Bild einer 
Sepsis dar. Bei schwerem unkompliziertem Typhus und normal ver¬ 
laufendem Typhus mittlerer Schwere ist ein merklicher quantitativer 
Unterschied im Grade der Bakteriämie nicht nachzuweisen. Bei 
leichtem Typhus kommt eine kurzdauernde und quantitativ schwache 
Bakteriämie zur Beobachtung. 

L. Padlewsky: Ueber eine neue Anwendungsmethode des 
Malachitgrüns zum Nachweis der Typhusbazlllen. (Russky Wratsch, 
1908, No. 12.) 

Angesichts der Mängel des gewöhnlichen Malachitgrünagars 
setzte sich Padlewskv zum Ziel, einen solchen Nährboden her¬ 
zustellen, der, für das Wachstum der Kolibakterien ungünstig, die 
Vermehrung der Typhusbazillen nicht im mindesten hemmen, son¬ 
dern im Gegenteil ein üppigeres Wachstum derselben begünstigen 
solle. Diesen Anforderungen entspricht am besten ein Agarnähr¬ 
boden von folgender Zusammensetzung. Zu 3 Proz. Fleischagar mit 

2 Proz. Pepton (von schwach alkalischer Reaktion) fügt man 1 Proz. 
chemisch reinen Milchzucker und 3 Proz. natürliche Ochsengalle 
hinzu. Der Agar wird zu je 100 ccm in Kölbchen gefüllt und drei 
Tage je eine halbe Stunde lang in strömendem Wasserdampf sterili¬ 
siert. Sodann bereitet man: a) eine 1 proz. wässrige Lösung von 
kristallischem, chemisch reinen Malachitgrün, b) eine 10 proz. wäss¬ 
rige Lösung von schwefligsaurem Natrium (NasSOa). Zu je 100 ccm 
Agar werden nun hinzugesetzt: 0.5 der Lösung a, 0,75—1.0 der 
Lösung b und 0,5ccm Ochsengalle: die Mischung muss von schwach 
grüner Farbe und durchsichtig sein. Der mit dieser Mischung ver¬ 
setzte Agar wird in nicht allzudünner Schicht in Schalen gegossen 
und ist nach der Erstarrung völlig klar, von gewöhnlicher gelblicher 
Farbe, ohne grüne Niiance. Die Farbenreaktion, die auf diesem Nähr¬ 
boden verschiedene Bakterien ergeben, besteht darin, dass die¬ 
jenigen Bazillen, welche den Milchzucker zersetzen, Säure bilden, 


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1452 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 . 


diese das durch das schwefligsaure Natrum reduzierte und ent¬ 
färbte Malachitgrün oxydiert und das Auftreten der grünen Farbe 
wieder hervorruft; die Qalle begünstigt ihrerseits das Wachstum der 
Typhusbazillen. Wird demnach der beschriebene Nährboden mit dem 
Untersuchungsmaterial beschickt, so sind bereits nach lf> in Stunden 
reichliche Kolonien wahrzunehmen, von denen die Kolibak- 
terienkolonicn grün gefärbt, die iippig entwickelten Ty- 
phusbazillcnkolonien hingegen erst farblos, sodann schon 
g e 1 b g o 1 d i g gefärbt und durchscheinend sind. 

L. Finkeistein: Lieber die Kutan- und Konfunktlvalrcaktion 
auf Tuberkulin. (Russky Wratsch, 19 <)X, No. 13 .) 

A. Bylina: Die Ophthalmoreaktion auf Tuberkulin als dia¬ 
gnostisches Mittel bei der Tuberkulose. (Ibidem.) 

A. Bogdanow: Ueber die Ophthalmoreaktion auf Tuberkutin. 
(Ibidem.) 

A. Schiele: Ueber die Beziehungen der sogen. Ophthalmo¬ 
reaktion zur ekzematösen Konjunktivitis und zum Trachom, (ibidem.) 

B. M i k I a s c h e w s k y: Einige Worte über die Möglichkeit 
schwerer Augenkomplikationen bei der C a 1 m e 11 e sehen Oph¬ 
thalmoreaktion. (Russky Wratsch. FMK. No. 14.) 

In der pädiatrischen Klinik des Prof. W. T sc her not f an der 
Universität Kiew stellte F i n k e I s t e i n ausgedehnte 1 ’ntersuchmigui 
über die v. P i r q u e t sehe Kutanreaktion (mit einer 25 pro/. Losung 
von K o c h schem Alttuberkulin in physiologischer Salzlösung) und 
die W o I f f - E i s n e r sehe Konjunktivalreaktiou (mit Calmette- 
schem Tuberkulintest) au. An Kindern der ersten Lebenstage (die 
ja bekanntlich stets frei von Tuberkulose zu sein pflegen) winde 
die Konjunktivalreaktiou 45 mal ausgeführt, und zwar durchweg mit 
negativem Resultat; mithin ist der Schluss berechtigt, dass tulc- 
kulosefreie Individuen nicht reagieren. Ferner wurde die Kon¬ 
junktiv alreaktion an 120 Kindern im Alter von mehreren Monaten bis 
zu 15 Jahren vorgenommen, von diesen reagierten 74 positiv und 4h 
negativ. Von den positiv reagierenden Kindern litten ö zweifellos 
an Tuberkulose (3 mal durch Sektion bestätigt), ix waren tuber- 
kuloseverdächtig. in 20 Fällen wurde das Ergebnis durch du sub¬ 
kutane Tuberkulinprobe bestätigt. Von den negativ reagierenden Kin¬ 
dern starben drei; bei dem einen wurde Tuberkulose nicht gefunden, 
bei den beiden anderen hingegen fanden sich käsige Veramleiime.cn 
in den Bronchial- und Mesenterialdrüsen; diese beiden starben aber 
3 und 5 T 'agt nach Ausführung der Reaktion. Von 17 erw achs<-nui 
Personen reagierten 14 positiv (sämtlich tuberkulös oder tuberkulos.-- 
verdächtig) und 3 negativ (I klinisch nicht tuberkulös, die Ividui 
anderen schwindsüchtig mit Kavernen). In einem Knulerasvl stellte 
Finkeistein die Konjunktivalreaktiou HK» mal an. I he Kiitan- 
reaktion wurde von ihm an 25 Kindern im Alter bis zu einem Monat 
ausgeführt (bei sämtlichen mit negativem Resultat) und bei !'■<> 
älteren Kindern. Auf (irund seiner Erfahrungen kommt der Autor 
zu dem Schluss, dass die beiden Tuberkulinproben, die kutane wie 
die konjunktivale. sich in den ersten Lebensjahren, wo keine latenten 
Tuberkulose'formen Vorkommen, am besten bewähren durften, dass 
aber für die übrigen Lebensalter ihr unmittelbarer klinischer Weit 
mehr in dem negativen Ausfall enthalten sei. 

In der inneren Klinik des Prof. W. Obraszow an der 
Universität Kiew' stellte Bylina die Ophthalmoreaktion 53 mal an, 
davon 31 mal mit positivem, 22 mal mit negativem Erfolg. In all den 
13 Fällen, wo klinisch die Diagnose auf Tuberkulose dieses ««der 
jenes Organs gestellt worden war, fiel die Reaktion positiv aus. Aus¬ 
serdem wurde jedoch eine positive Ophthalmoreaktion bei 1H Pa¬ 
tienten beobachtet, die klinisch nur wenig oder gar keine Anzeichen 
von tuberkulöser Affektion darboten. In einem dieser Falle, wo das 
klinische Bild am ehesten für Karzinom des Blinddarms zu sprechen 
schien, wurde bei der Operation, dem positiven Ausfall der Reaktion 
gemäss, Tuberkulose des Blinddarms gefunden. Der Autor ist geneigt 
die Ophthalmoreaktion als wertvolles diagnostisches llilisrmttel anzu¬ 
sprechen. 

In der Lungenheilstätte Troiany untersuchte Bogdanow 33 
notorisch tuberkulöse Patienten und konstatierte bei sämtlichen ein 
positives Ergebnis. Von 5b Schillern der ersten Klasse eines Pro- 
gymnasiums reagierten lö.b Pro/., von 35 Schülern der dritten 
Klasse ganze 40 Pro/, positiv. Bogdanow' ist der Ansicht, elass 
die Ophthalmoreaktion auf Tuberkulin in Bälde bei der bruheliagnose 
der Tuberkulose den ersten Platz, eimiehmcn und sowohl die soziale 
Bekämpfung derselben als auch die persönliche Proplivlaxe er¬ 
leichtern werde, da diese Methode uns die Tuberkulose bereits 
dort nachz.uweisen gestatte, wo mit Hilfe anderer moderner Mittel, 
ja der Röntgenoskopie noch keinerlei Veränderungen zu entdecken 
seien. 

Miklaschewsky wandte die Ophthalmoreaktion nach Cal- 
mette in bloss X Bällen an und erlebte schon an diesem gering¬ 
fügigen Material zwei schwere Komplikationen seitens des Auges, 
und zwar eine schwere Keratitis, die über 10 Tage anhieit. und 
eine heftige Iritis, die 2 Wochen zu ihr er Heilung erfordeite. 

Bei dem Studium der Reaktioiiserschemungeii. die nach dem 
Einträufeln von Tuberkulintest in den Konjunktivalsaek des Auges zu 
diagnostischen Zwecken auftreten, stiess Schiele auf folgende 
überaus merkwürdige Tatsache: war das Auge von TraUinm be¬ 
fallen. so quollen die Trachomkörner in den ersten 24 Stunden nach 


Einführung des Tropfens Tubcrkuüroest auf: dazu gesäte snh cai 
mehr oder minder hochgradiger katarrhn'ischer Zu st.it:.! der Ikm'i- 
haut. In den nächsten lagen nahmen ade diese b:s v Meinungen an 
Intensität zu: die alten Korner sJiw «.'.len n>sh n.v hr an. nr ! an: 
der Bindehaut der Lider wie des Augapkis raten z.i'äoJe tr.Ve 
(von grauer barbet auf; seltener entvvi v keden s, v h b as a’ < n • 
bilde und Infiltrate auf der Hirnhaut. Die K"iiu-Vtiva war m t>■ 
hvpe ramisch; das Sekret nahm einen Sc h:em ag-eir ;ge n GüaraUcr je. 
häufig wurde über heilige sJimerzui gvk agt: mit eeern W «nt. es 
Stellte suh das Bild eles akuten tr.u homat**st n P:* Ziss..s em l' ui 
positive Reakti'Ui auf I ube: kühn wiit.le ruh! rar in den sjuiuen 
Stadien des Trachoms. sondern aiuh bei !cs% n V umren I 
Kränkungen iler Bindehaut, bei der s-gen I •• ö.u.-.s.s und dun t- - 
kularen Katarrh der Pu.tasten m gleiväer M c.se be-f.iJ'tet. Das..’ 
Lmstand bestätigt vn neuem die bereals memt.uh v. oissute An¬ 
sicht, dass s.uiilikhe f ■ diku l.i r c Arie kti-au n vier Ku* :.»*►: \ a d.u”' 
Wesen nach identisch vn I. Mit Aumim »-•divum ilr»dD v er¬ 
handelte tr.K Immatose Augen ergaben die Reaktion na:t. - ca’ 
Beweis dafür, dass die Lds.vure das I ’.k ''.■•n.g.t! Ze'st- M. We'e 
aikh ein I eil der l<dkki| '.d*ei uhatetj Leiben kann. 1 "um- um k 
reagierten auf I ulvikii m a e ulaigeii \ ugua : k r gen. n :t Aas. 

nähme natürlich eler skrotulosi-n und tuhe ’kirnte n 

H. T u r n e r: Die Klopfung als Methode zur Beschleunigung der 
Heilung von knochenbruchen und als Hilfsmittel bei der Behandlung 
von Pseudarthrosen. «Russkv W ratOi, !■*“». No I* » 

Prof. Menr\ I ii r n e r. Direktor die: padisc L t n K ak a'1 

iler Militär rm-dizmiSv !ien Akademie m |Vti *s» u- g. i mp* eh t Jka 
legen!ik hst die niethodis che tagik he l k » • r'm-g der i: ds;■' e hu !cr 
liegend der Wekhtue (mit tmun I \ ? k imm ■ :>!.. mm er o,;.. r e'vi 
eigens konstruierten Insfflii a nr > In i ausi ä d «•:*..u r Aerhuimg v v 
Kilos berief tivjieii infolge verzögerter K .t us- !ur g rmd lu - ;u.on 
sJiwer zn be subiguid.en l’seii dar öo • -s.. n Mt h*uc K'ar-kef.ge s! .ms 
teil illustrieren die \orzige dieses Aut.d 'u v 

P. M a s s | a k o w e t / und 1. I i e h e r m a n n Theorie und 
Technik der Wassermann «chcn Reaktion und ihre Bedeutung für 
die Diagnose der S>phlli», < RusWkv A\ •. tsui. d .dem » 

Auf (irund eines Materia s \"fi loo | \ n kuum ti d L \ e ’Lism ' 

zu folgenden >Ji:nsseti: I. I *;e W .» s s e r :r a n n s, Uv Re a*.!:• n •>: 

bei positiven) Alisf.iü Stets spe/ms.h 2 De r Vivhues \. M \ * 

körpe rn Vermag bei tlem ge ge riw ,i-tigui Vae.ie imsut s W ,set 
Von ihrem Wesen nur el.ir iber .tue/ns.ueii. d.tss du K arö e e e 
I Ile smfektion eiftttul dur». hgem.uht hat. .o'tw .rte t e b-w h reut de 
l'rage, ol» er iiov.li ge ge riw .o tig an n eilet. 3 Der N.u! s 

von Aritigen ui eie n PduteMr.i)- teil sp^'v Dt mit g'o>s;u i - 

Iklikeit dafiir, dass der >v plii ivtiiuit au. !» g > . e ",w ' t. g s.h .. 

(bg.tmsnius aufh.tlt. 4. lebe-r die R e des «.»m ! us ;u: 

des N\ phfiflser reger s w ie auJi der X-mko’p« r k.tmi bei de mj g*. ge 
w artigen Mamle der >eP#i$iagt'o\t:k muk I’• vimv ausge \.t t t w e - - 
den. 5. (Ibwohl el'e W a s s g r rir a n n ! t lü.idi-n s . h i st m .‘.e ’ 
Perioele eles Ausbaues birm.tet. v, k ar*n man e!o v ii s. |>,fi u.-f l.tst 
tlllt Sk her llelt bi li.mpte ll. elass i!:r m / i'suUt e e Ukebu' R e 
bei eler Diagnostik e!e r P 1- .; IS. r! ’ef p r ". V. w » he 1 der \ s- 

arbeitung einer re ge ir eu b.te n. w issi iisju:' u !i I e g • • • k Be ’ ,f d - 

lungsmethovle b-. sv. Inede fi vnii d • rte. 

W . P r e d t e c z e n s k v : I eher die diagnostische Bedeutung 
der Kutan- und konjunktiv alreaktion auf Tuberkulin. ' 

Wratsch l'X's. No. 1 u. 2.) 

Keine L'r fahr urigen in eler pro** ,di ut s, he n K k v!u 1 m v t. • v . 
tat Moskau resümier t Priv aLch *zent Pre.Ütv z e P s % \ m ■ ge e o 
Tatzen: Sowohl ehe Kutan- wie »he K o.murktiv .i‘'ea* !:• n veiug s 
wertvolle diagnostische Auis.h'sse /u ge *n n • J.is Vus'-ä v v '..* 
Reaktion sprklit mit gross, r W .ihrs v lu n*’k fö , q g< . .u I ii'tTu' s.. . 
wahreiul eler positive Ausf.id entweder aut dis \ •• h.n'd- -:si eua s 
aktiven tuberkulösen Pro/esses oder aut e "e a’ ,.e ',e.;V''r tu' e*- 
kulose Atie-ktiori Imivveisr; mit ande’en W or? t *i ■ dir n v! \ e Vusr.t ; 
vier Reaktion ist seiner Natur u.kh einer u n d' d'.h !e ;!e l 

sie gestattet keine klinische', sondern e me pa! K . • • c s v h..m.,v :v v ' t 

I)iagriose. liier m ist eler \ or teil wie eler Na, i.te ;i !'"e' p*a *.! h. 
Aerwendntig am Krankenbett enTf.rUii. 

R. 1 r a ri k e I: l eher die klinische Bedeutung der Russe» sehen 
Reaktion. I Pr aktiv, z* sk V WratSch l'x s. V. 3 i; 

Die von Prof. R u s s o nn I.d.’e 1 a's f -s..|z di r l'li r 1 j c k . 
sehen I ha/oreaktnm emi'fohieöe ihohe mit Me v % .* u war :*i- d, - 

Autor in einer ganzen Red e v-m Lu’Yn an im.1 i.ust se ui I 'te'd c'.t 1 -> 

zus.uiinieit. dass sie für \bdominu't\ und, km;"' -se Pve u *•> 

ch.Uakter istisdi ist um! Wegen eler Lmku Vu it md 1'e.i‘ie" v- i | 
ihrer Ausführung vor vh.r Ihazor * ak te.n e!en \ mmg \rrde"T. \ < . 

Ausfall der RussoSciieri Reaktion kann tnm d.r'n a's p. v.*:v 
gesellen werden, wenn nav.li /nci'z v-n 4 I • u ’ui d-r vv 
Metln lenblaniovmig zu 4 5 skm Harn viies v r t i>e s^ 1 ne vm.e -^ * . 

giurif I ai billig annimmt, de auf Zusatz v-n w e te •• " I 2 i' m*.. 
des Reagens nicht V e: sdrw imlet. s t !t : r; 1 . ss e ”e u «!m* R \ r t n 
T« »n gt vv nmt. 

< i. W ! a d i tu i r o vv : l'eher den Scharlachrheiimatismiisg. 

(Prakticzesk\ Wräfsji |oos. s i 

Luter >c har hkhi In umaTismns v erv. ; d c K n 

eles Scharlachs, ehe bmw edeti bere ts m de e's f || lagen de- r ! r . 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1453 


Kränkung, häufiger jedoch am Ende der ersten und im Verlaufe der 
zweiten Krankheitswoche aufzutreten pflegt. Die Komplikation ist 
charakterisiert durch Schmerzen und Schwellung der Gelenke. Nicht 
selten indes kommen Fälle vor, in denen die Gelenkschwellung fehlt, 
und nur mehr minder heftige Schmerzen beobachtet werden. Unter 
Beiseitelassung der eitrigen Synovitis pyämischen Ursprungs, die 
sich zu schweren Formen des Scharlachs hinzugesellt, und der von 
Henoch sogen. Synovitis scarlatinosa serosa beschäftigt sich der 
Autor mit derjenigen Form, die sich durch Schmerzen, mitunter 
längs der gesamten Extremität, auszeichnet. Bei einer genaueren 
Analyse derartiger Formen kann man sich kaum des Eindrucks 
erwehren, dass es sich hier um eine infektiöse Polyneuritis handle, 
und in dieser Annahme wurde der Verf. noch bestärkt, als er in 
einem Falle nach Scharlach eine Ataxie der unteren Extremitäten 
beobachtete. In 2 Fällen von schwerem Scharlach bei Kindern von 
7 und 9 Jahren, die in der ersten Krankheitswoche an Schmerzen 
in den Beinen gelitten hatten und in der zweiten und dritten Woche 
starben, untersuchte nun Wladimirow den N. peroneus super¬ 
ficial. und den N. dorsalis pedis. In den Nerven wurden tiefgehende 
Zerstörungen gefunden. Die Nervenfasern waren hochgradig ver¬ 
ändert, das Myelin zu Tropfen und unregelmässigen Schollen zer¬ 
fallen. Ausser diesen tiefgreifenden Veränderungen der Nerven¬ 
faser, die den Spätstadien des pathologischen Prozesses entsprechen, 
wurden noch an einigen Fasern die frühesten Anfangsstadien ana¬ 
tomischer Veränderungen angetroffen, die der bei der Diphtherie ver¬ 
kommenden Frühform der parenchymatösen Neuritis ausserordent¬ 
lich glichen. Der Scharlach kann somit eine Neuritis im Gefolge 
haben, und die Fälle von „Scharlachrheumatismus“ mit Schmerzen 
allein, ohne Gelenkschwellung, sind wohl auf eine Neuritis scarla¬ 
tinosa zurückzuführen. Ebenso mögen wohl Fälle von Tod an Schar¬ 
lach in den ersten Krankheitstagen durch neuritische Prozesse im 
Vagus und Phrenikus zu erklären sein. Was die Therapie anlangt, 
so hat der Verf. in einem Fall von „Scharlachrheumatismus“ mit 
heftigsten Schmerzen, die’ jeglicher Behandlung trotzten und an In¬ 
tensität immer mehr Zunahmen, einen durchschlagenden Erfolg von 
Mose rschem Scharlachserum gesehen, das 6 Stunden nach der In¬ 
jektion (200 ccm) die Schmerzen beseitigt hatte. 


L. Bruck: Zur Anästhesierung des Geburtsvorganges. (Prak- 
ticzesky Wratsch 1908, No. 10.) 

Als Mittel, um den Geburtsverlauf schmerzlos zu gestalten, ohne 
die Wehentätigkeit irgendwie zu beeinträchtigen, empfiehlt Bruck 
das Skopolamin-Morphium, das ihm in einer Reihe von Fällen vor¬ 
zügliche Dienste geleistet hat. Er benutzt eine Lösung von Scopola- 
mini hydrobromici 0,0003125 + Morphii hydrochlor. 0,015 + Aqu. 
destill. sterilisatae 1,0 in zugeschmolzenen Ampullen und injiziert 
in die Bauchgegeüd oberhalb des Mons veneris je nach dem Falle 
Vi>, % oder eine ganze P r a v a z sehe Spritze. Das Skopolamin-Mor¬ 
phium besitzt eine hochgradig anästhesierende Wirkung, die sich 
genügend in die Breite wie in die Tiefe erstreckt, um den Geburts¬ 
vorgang schmerzlos zu gestalten. Die etwaigen Nebenwirkungen 
sind nach des Autors Erfahrungen so sehr geringfügig und unwesent¬ 
lich, dass sie weder hinsichtlich der Mutter noch des Kindes in Be¬ 
tracht gezogen zu werden brauchen. Angesichts dieses Umstandes 
verdiene die Anästhesierung des Geburtsverlaufs mit dem genannten 
Mittel vollste Beachtung. 

F. Bialokur: Ueber die prophylaktische Behandlung der 

1 angentuberkulose. (Prakticzesky Wratsch 1908, No. 14.) 

Ausgehend von der Anschauung, dass Kinder tuberkulöser Eltern 
mit einer gewissen (temporären) Immunität der Tuberkulose gegen¬ 
über zur Welt kommen, empfiehlt der Autor nach Analogie der 
Jen n ersehen Schutzimpfung die Menschheit prophylaktisch gegen 
die Schwindsucht zu immunisieren, da ja dieser Immunisierungs¬ 
prozess auch unter natürlichen Verhältnissen sich häufig genug im 
Wntterleibe vollziehe. Die Immunisierung könne offenbar mittels des 
tuberkulösen Toxins (Tuberkulins) ausgeführt werden. Der richtige 
Zeitpunkt für die künstliche Immunisierung sei das Kindes- und 
Jünglingsalter, wo noch Spuren der ererbten Immunität vorhanden 
seien. 


a c r hkarin: Morbus Basedowü im frühen Kindesalter. 

WrpKchebnaia Gaseta 1908, No. 1 u. 2.) 

von Basedowscher Krankheit bei Kindern bilden eine 
Woch seltener ist sie bei Kindern unter 5 Jahren; in der 
.dtenheit. fj einschlägige Beobachtungen niedergelegt. Der 

uieratur sind erst S c h k a r i n in der pädiatrischen Klinik des 
u-n Ptivatdo . an der Militär-medizinischen Akademie be- 

\ ror * N- Morbus Basedowii bei einem 4Va jährigen Mäd- 

onachiete rait hste- Von den charakteristischen Symptomen der 
oien ist der se * lässig grosse, weiche Struma, hochgradiger 

Krankheit lagen - r die mit sc h ar f ausgeprägter Arrhythmie des 

uuphthalmus, J a erne j n 2 ustand, während das M o e b i u s sehe und 
Pulses, nervöser fehlten. Das Antithyreoidin Moebius 

;as 0ra e f e sene ro die) übte auf das Nervensystem des kran- 

m Dosen von O,o ij' c htlich günstigen Einfluss aus, der Allgemein¬ 
en Kindes einen ^ si he hiich, aber die objektiven Veränderungen, 
lustand besserte ^Ifoohthalnius, widerstanden sehr hartnäckig dieser 
*ie Struma und pxop t, e jne besondere Tendenz zur Besserung, 
laerapie und zeigten 


G. Gorbunow: Die Behandlung des Trachoms mit Stauungs¬ 
hyperämie nach Bier. (Wratschebnaja Gaseta 1908, No. 6, therap. 
Beilage.) 

Zur Hervorrufung einer passiven Hyperämie im oberen und 
unteren Augenlide bedient sich Gorbunow einer entsprechend 
modifizierten S n e 11 e n sehen Pinzette. Die Technik des Verfahrens 
ist folgende: dem Kranken werden etwa 3mal einige Tropfen einer 
3 proz. Kokainlösung instilliert, sodann mit einem G r a e f e sehen 
Messer oder einer lanzenförmigen Nadel kleine Einschnitte in die 
Körner oder in die am meisten verdickten Stellen der Konjunktiva 
gemacht und hierauf die Pinzette für 30—40 Minuten angelegt, was 
von den Patienten vorzüglich vertragen wird; aus den Einschnitten 
und Stichwunden quillt Blut und der Körnerinhalt. Konsekutive 
Schmerzen und Reizungen konirrien nie zur Beobachtung. In leich¬ 
teren Fällen von Trachom legt der Verf. die Pinzette ohne vorauf¬ 
gehende Skarifikationen und Stichelungen an. Die Behandlungs¬ 
ergebnisse waren stets ausgezeichnete. Sogar die hartnäckigsten, 
die verschlepptesten Trachomformen mit tiefgreifenden Verände¬ 
rungen nicht nur in der Bindehaut, sondern auch im Tarsus — alle 
diese Formen nehmen nach den Erfahrungen des Autors unter der 
Stauungshyperämie einen auffallend guten Verlauf, wobei allem An¬ 
scheine nach auch die Narbenbildung in der Konjunktiva ausbleibt. 

G. Meszczersky: Das Atoxyl bei der kondylomatösen 
Syphilis. (Russische Zeitschrift für Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten, Januar- und Februarheft 1908.) 

Auf Grund von 15 Syphilisfällen, die in der Moskauer chirur¬ 
gischen Klinik (Prof. A. Pospelow) einer Atoxylbehandlung unter¬ 
zogen worden sind, kommt der Autor zu folgenden Schlüssen: Das 
Atoxyl übt im allgemeinen auf den Verlauf der kondylomatösen 
Syphiliserscheinungen nur einen geringen Einfluss aus, wobei die 
Wirkung der ersten Injektionen eine unvergleichlich stärkere ist als 
die der folgenden. Am ehesten werden von dem Mittel gutartige, 
zur spontanen Rückbildung neigende kondylomatöse Erscheinungen 
beeinflusst, während tiefere und ernstere Veränderungen entweder 
gar nicht oder nur sehr schwach reagieren. Alles in allem ist die 
Atoxylwiikung erheblich schwächer als die des Quecksilbe -s, so öi ss 
das Atoxyl als Spezifikum gegen Syphilis durchaus nicht bezeichnet 
werden kann. Ueberdies ist die Atoxylbehandlung bei weitem nicht 
ungefährlich, da dabei plötzlich Vergiftungssymptome auftreten 
können, die Personen mit Gefässveränderungen oder geschwächter 
Herztätigkeit ausserordentlich zu gefährden vermögen. Infolge¬ 
dessen ist die Anwendung des Atoxyls auf Patienten zu beschränken, 
die kein Quecksilber vertragen oder deren Allgemeinzustand gehoben 
werden soll, wie z. B. bei der Syphilis maligna. Schwere oder 
drohende Manifestationen der Syphilis sowie die Lues der Schwan¬ 
geren sind von der Atoxylbehandlung auszuschliessen. 

A. Dworetzky - Moskau. 

Inauguraldissertationen. 

An dieser Stelle verdient eine juristische Arbeit von Fritz 
Koppe (Erlangen, 1907, 92 Seiten, Druck bei Ewald Dick, Elber¬ 
feld) Erwähnung, die sich betitelt: das Recht am eigenen 
Körper; insbesondere seine Gestaltung bezüg¬ 
lich der Bestandteile, die vom Körper getrennt 
werden. In einem kurzen Anhang wird über das Recht an 
künstlichen Bestandteilen und Ergänzungen des 
Körpers berichtet. 

11 z i n a liefert einen Beitrag zur chirurgischen Be¬ 
handlung der Basedowschen Krankheit (Berlin 1907). 
Ein Ueberblick über die verschiedenen vorgeschlagenen Methoden 
der chirurgischen Therapie dieses Leidens macht den Eindruck, dass 
diese Behandlung eine relativ undankbare Aufgabe der Chirurgie 
wäre. Die Zahl der Rezidive, unvollkommener Heilung und der 
Todesfälle übertrifft die der vollkommenen Heilungen. Allerdings 
scheint die S t r u m e k t o m i e, besonders die partielle, bessere Re¬ 
sultate zu haben, also die relativ beste Behandlungsme¬ 
thode des Morbus Basedowii zu sein. Die Mortalität bei dieser 
Methode ist gering, während sie bei der inneren Behandlung immer 
noch 12 Proz. beträgt. 

Hermann W eisbein liefert in einer Berliner Dissertation Bei¬ 
träge zur Behandlung der Placenta praevia mittels 
vaginalen Kaiserschnittes und kommt zu folgenden The¬ 
sen: In allen Fällen von Placenta praevia, bei denen die das Leben 
gefährdenden Blutungen eine schnelle Operation notwendig machen, 
und die enge, noch wenig entfaltete Zervix sowohl die Wendung 
nach Braxton Hicks als auch die Metreuryse ausschliesst, 
ist der vaginale Kaiserschnitt indiziert. In den meisten 
Fällen, wo der vaginale Kaiserschnitt indiziert ist, kommt man mit 
der Hysterotomia anterior aus. Fritz Loeb. 

Neu erschienene Dissertationen. 

Universität Freiburg. Juni 1908. 

Min ski Leo: Zur Frage der Tuberkuloseheilung im frühen Kindes¬ 
alter. 

Hildesheimer Salomon: Ein Beitrag zur Kenntnis der Akro- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1454 


MtlENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr». ; 


megalie mit besonderer Berücksichtigung der Sclincrvenbetcili- 
gung. 

Schneider Erich: Ein Pall von aussergcwöhnlidier Grosse eines 
kindlichen Wasserkopfes. 

Zimmer mann Alfred: Ein Beitrag zur Aetiolngic der primären, 
endogenen Uveitis nach dem Material der Ereiburger Universitats- 
Augenklinik. 

Spilieke Ernst: Traumatische Lungentuberkulose. 

Deich mann Eritz: Zur Actiologie des Caput ohstipum musculare. 
Weber Ernst: Ein Beitrag zur Kenntnis der malignen Geschwülste 
des Hodens. 

Universität Rostock. Mai 19iis. 

Langbehn Willy: Zur Kasuistik der traumatischen Erkrankungen 
des Magens mit besonderer Berücksichtigung des l’nfallversjJie- 
rungsgesetzes. 

Rettig Hugo: Statistische Mitteilungen über das Vorkommen der 
übertragbaren Geschlechtskrankheiten in Rostock tur den Zeit¬ 
raum 1897—1903. 

Osteroth Emil: Ausgedehnte vikariierende H\perphasie des linken 
Leberlappens infolge schwerer Echinokokkussacke im rechten 
Lappen. 

Keimer Paul: Zur Behandlung der inkarzerierten Hernien, speziell 
bei Gangrän und Gangränverdacht. 

Witte Ernst: Ausbreitung der Stirnhöhlen und Siebbein/ellen über 
die Orbita. 

Meine rtz J.: Tuberkulose und Blutströmung. Untersuchungen 
über experimentelle Nierentuberkulose unter geänderten Zuku- 
lationsverhälhtnissen (venöser Hyperämie der einen Niete durch 
Unterbindung ihres Ureters). (Habilitationsschrift.) 

Vereins- und Kongressberichte. 

V. Tuberkulose-Aerzte-Versammlung 

in München am 15. und 16. Juni 1908. 
Berichterstatter: Dr. K. K. Ranke- München. 

In der Vormittagssitzung des ersten Tages, die unter dem Ehren¬ 
präsidium Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Lud w i g E e r d i n a n d 
von Bayern von Hofrat Dr. E. May geleitet wurde, gal) Herr 
Professor Friedrich v. Müller Leitsätze zur Frühdiagnose der 
Lungentuberkulose. Der klare, durchsichtige, das Wichtigste mit 
sicherem Griff hervorhebendc Vortrag, dem die sehr zahlreich er¬ 
schienenen Kongressteilnehmer mit grösster Aufmerksamkeit folgten, 
war eine glänzende Eröffnung des Kongresses, der auch in seinem 
sonstigen glücklichen Verlauf wohl geeignet war, das Interesse wei¬ 
terer Kreise auf die Grösse der in Angriff genommenen Aufgabe hin¬ 
zulenken, wie auf die Notwendigkeit, die furchtbare Seuche noch 
energischer und erfolgreicher als bisher anzugreifen. 

Da der Vortrag Herrn v. Müllers in dieser Wochenschrift 
demnächst in extenso veröffentlicht werden soll, genügt es hervor¬ 
zuheben, dass er in erster Linie die Bedenken, die der Diagnose so oft 
entgegenstehen und die Fehler, in die man bei ihr verfallen kann, 
klarlegen sollte. 

Im Anschluss an ihn demonstrierte Herr v. Müller anatomische 
Präparate und Herr Prof. Rieder eine Reihe sehr gelungener 
Röntgenaufnahmen der Lungen. Prof. Rieder führte dazu aus: 
Während die Perkussion und Auskultation mehr ein Oherflachenbikl 
geben, ist die Röntgenuntersuchung imstande kleinere und namentlich 
tiefer liegende Herde aufzudecken, von denen mau vorher keine 
Ahnung hatte. Häufig lässt sich eine Erkrankung der Bronehialdrusen 
nachwcisen. Wie die Röntgenbilder zeigen, sind die Spit/entuberku- 
losen meist nicht lokal, sondern -das Innere der Spitze und der Hilus 
sind meist miterkrankt. Das Röntgenverfahren zeigt oft eine ganz 
ausserordentliche und sehr überraschende Verbreitung der Tuber¬ 
kulose. Dagegen muss zugegeben werden, dass es nicht gelingt, 
frische aktive Herde von inaktiven zu unterscheiden. Deshalb ist 
es nötig, die physikalischen Untersuchungsmethoden mit dem Ront- 
genverfahren zu kombinieren. Auf diese Weise lässt sich das 
sicherste Urteil über Diagnose und Prognose erzielen. 

Aus der nun folgenden Diskussion ist in erster Linie lier- 
vorzuheben, dass der von v. Müller aufgestellte Satz, n u r di e 
physikalische Untersuchung kann die für den Arzt 
wichtigste F r a g e entscheiden, ob ein fortschrei¬ 
tender, der Behandlung bedürftiger Prozess in 
der Lunge vorhanden sei, von allen Diskussionsrednern als 
richtig anerkannt wurde. Selbst ein so ausgesprochener Anhänger 
der Tuberkulinanw endung wie Herr R o e p k e - Stadtwahl-Mel¬ 
sungen führte aus, dass nur die klinische Untersuchung entscheiden 
könne, ob eine aktive oder obsolete Tuberkulose vor liege. Dieser 
einstimmig akzeptierte Standpunkt war auch von Herrn v. Müller, 
wie aus seinen einleitenden Worten klar hervorging. schon mit der 
notwendigen Einschränkung gedacht, die Herr P e t r u s c h k i -Dan¬ 
zig aussprach, dass er nur für die Lungentuberkulose 
Erwachsener, nicht für Kinder, Geltung besitzt. Ein negativer 
physikalischer Lungenbefund kann bei Kindern natürlich nicht als 


Beweis für das beiden einer Tubeik#-se uberiiauH Kn ;t/t we h. 
bei denen die Tuberkulose meist picht in den 1 imgen. v » 'c'p 
L ymplidf useusx stein ihren \iitung nimmt. 

Em weiterer Satz Herrn v. M u . . c r s. K: w edetk« Kn I 
kulmmipiungen irgendwelcher Art ist d.ts Vittreteu tme r V 
ph\la\ie stets als möglich zu betrachten und als beweisend s - : 

Iler mir die prompten, starken Reaktionen .r/nw i.t n. wim .e i 
gegen mJit so einstimmig angenommen. Herr Pt t r u s c t; k i - 1 \. 
zig und Herr R o e p k e - Stadtw ahl-M< si:uc.tu gunKn r ,e t * a . 
d.erartiges beobachtet zu haben und seien da.-.er ::: der V ap x \ 
keine in Betracht kommende I e ii.e miie e t .r d;e I i:‘ e • ► 
diagnostik. Herr R o e P k e Iiu it atu h vite « u t.ihr. d.e aus v!e r g- 
I 'nr egelmassigkeit der I t mpe ra'.ur kir \ e n I u 1 e *k.. • ->e r suh T .r 

Beurteilung \on Me ige' imgcn nadi I ut e r k u mm-e ► t ne n e r ^ * t. • 

nicht so gross, wie der Re K nut. und betonte, duss .i s Ks. : ‘ c 

weisend angesehen werden müsse, wenn bei Ine-P. m de r ge. 
Dosis das zweite Mal eine höhere I e mpe : atnr ste u.e • :i"g ai. 

I >as Kapitel eie r I u I e r k u 1 i n s c h .i d e n. v.us o e st - - * 

Anitauger dieses Mitte \ s.. g, rn ganz sfeuinn " • - bte •». w ' 

mehrlach gestreut. Herr x. Mn lief li.it i,idi d .i .. 1 e 1 

spr it/ungeti mehr mais Ihmiopp.em nn .1 a l nt e ' t /e ’* e ir I ’ e • • ■ 

\ er scluimmer uiigeu eler 1 ube r kn'oe.; be • b.u ute t. Me'f K < ■ . e ' 

llo|si er hause n sah Hach eler Upi thu "wie .ik t, n <: e \ 

I über keiKiiotc hen auitre teil. Audi Ile • r g Ti r o d e r - >. " " ' 

sah im Anschluss an ehe I uK r Kii.m'pf obe 1 ui er \ • rr I'. 

Herr S e h r o d c r - Sdi-mibe rg und Ht r r R"'i iiteM- 
galt sprachen ferner über die Methodik des Vi*>w nvs e • ” i 

peraturSteigerung elurdi Koi perhew e gun.g . P e t r u s k h s i - i 
Ritter- Geesthacht und S b < • t t .» - Rv <| < . ds.. :a .der den l -- 
leim.idiw eis uu Sputum. 

Herr I. a ii d m a n n - I '.ir mst.id.t i.iiid bei D.rub.m.. s\ pei\ ‘ e ••. : 

Tllberkulol B die Ko«.p!e melit.d'e nk ur N mit ti 1 e ' k ;i .• c m 1 n . 
extrakt positiv, mit normalem l.ur.ct ne vtrast üue get» n.e^at-x . 1 '■ 

Resultat ist aber desha.b mdit imdeut.g imd t.r d..e I - m '■e x •. 
w uidhar. weil E. mit dem I xt’akt eim r s.o k> •iiut-s; r, 1 im.:e w e 
eine positr e Konp.e ine nt.d ,e hm;:- g er hu 1t. I . r den I ;d •. • * 
bazillellliaeilw eis empbeh.t E. ile ll Iterxervidl as am *• 

rauhend. Er sei in •> Minuten er ie Jut. w .tlrus! man s. nst .:t st 
den lang suchen müsse. 

Herr b r a n c k e - M mu he n weist aut su: e IP ' .id.!,.:.,^' 
ehe (ielassstre Heil hm und I dtet um düng se er !ü s. t.-. te 

Audi seien ehe sclimer zliatten >e'">.i!i"i l efi rv lU'e d: der e • k ■ .r 
Pleurapar tien, darunter audi der I »nie ksc mue :/. se -r der Be.u t 
Wert. br eie ni"iistr iert einen neuen I ’e i k ussi. : c .m me r. 

/u den Demonstrationen Herrn Pr I. Rieders lernest M 
K. b. R a ii k e - Mundie n. dass ö.e 1 't utiüge n de I R- • ‘ge :b ..der \ . 
fach noch redit w ü.kui üdi sind. 1 ur randte' dieser I »e nt u” c« s 
keine patllo|ogisdl-auatomi< v hen Para, eell bekannt. I ‘ s{ e 

grossere Reihe elurdi die (M\!ukt: n k'Vt'". a der P». de r u m! :■ . 
die ..Mhatten mul Mrange“ der R. «mgenbi !e r ruht g deuten it • -e ••• 

Im Schlusswort bedauert Herr x. Muilir. , .iss m de’ 1 ’ n 
kiissi«ui nicht naher aut die ph\sika'isdie l nte r ' c rigu.i' 
worden sei, und Weist llodl daraut hm. diu e e l.de’k.. s ; ■ . 
so selten nicht ui den l.iingerispu/eu be..:’ ne. W .m die s;«||H,d 
Reaktionen angeht, so seien sie gewiss p;r eie 1 sc ur w u t . 

Immerhin muss ehe K'>i:tro de de r k\ .ö : • -’s'e su t.i'.e d.rd: ehe < *' 
tum erst abgewartet w e lei» n. 1 ir e’.:e l h »griose an s:. h gei-'t 
Zukunft den spe/ilisdien Reavti'-nn. I r ...e l ;;s v ia N . -P .d-t \ 
oder maktix. abe r e!e r pl:\s.ka a, in n l Mersud iPi,: IU r r p- : 

R I e el e r antwortet He rrn Ranke, afch er se i de r M. g. 
die pathologische Anatomie für ehe I »e utung de t R ut v e •• 1 : dt r , .-s 
letzte Wort zu spr ec heil habe. I s sei ater. I es. uders I.. r du : :. - 
gminndeii lalle, sehr sdiw er. solche < »I Eikti-au u zu erh.ideU 

Den erstell \ ortrag in eler Sit/'O'g des /ue te m k on»;*e sst.o. 
ehe du (eil ehe Anwesenheit Sr. Kgi. H !:e it di s Prin/i tjd u d w . v 
ausgezeichnet war. hielt Herr R o c p k c - stadtw .d !-NU Aimce tt 
das 1 he ma: Welche halle von I ar> nvluKtrkulose können In eien 
VolküheilMattcn mit Frlol« behandelt werden? h t de k t 

kopftuberkulose analog der l mu-. ••!:;! e -1 uiose in d >t.‘‘efi em. w ... 
bei unter dem 3. Studium r.nm uh nuiut mehr ,i' pf.’.ri W um c - 
ruilgen titlel l Izerati-me n. s<-w :e pei idrond* s v 1 /•m s* r-.;;■ m ■; 
verstehen sind, so sind die b'iiil iii.itoiun I I, I • II tmd II I. 

Wenn kein lieber \ orliamle m für die Amt .d-me me • t \ • 't. -, e 

geeignet. Die Kombination der I ei.lui 2 s, .i hü r et de • r • •< 

R. empfiehlt aber audi soRiie lulle auf/ime d " l n. u: : zu ’e ’.u'e 
Weil wir mit ihnen \or einem f 1 '• .;n. ,c* v i , M ,, ,, • ... # vpi,-. 

In der Diskussion emphei;t s c h r o d e r - s^ • . ”'--i • ^ de 

Ausdehmmg der Kur für ehe I ur\: xtu: e -m •( | ;f 4 r« V, 

Des weiteren sprechen muh Herr R u m p i - 1 P le u-1 d 'e n ut J Me" 

K o c h - Sc hotiiber g. 

II. Prof. A. Kay scrllnt-M. ' n sp-.d:: l eher die Fntwick- 
lung der Auskunfts- und Fiirsorgestaiten für 1 ungenkranke und deren 
weitere Ausgestaltung in Deutschland. Ir e • ; ' : v -r u ■. 

Untersuchung eler lamme, ui e 'baupl de- s- . n l " oh- • . s 
fortgeschrittenen 'bube' mi • se ti. In 1 ’.e : m f. • 1 s v d. ; e. ku e'"e 
Itiebtinfi/ierte bumiiie. w *mn sie mit d-I •:'•'* >•. p n u/h’i 
Raum bewohnte. Ihe wichtigste Angabe vier Se c l a'i.ptimg ist 


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UNIVERSITY ÖF MINNESOTA 








1. M i0öä. 


MUfiNCHENfig MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1455 


die Beschaffung normaler wirtschaftlicher Verhältnisse in der Familie 
des Tuberkulösen, wozu Qeld und eine sehr genaue Kenntnis der 
• sozialen Gesetzgebung erforderlich ist. Jeder Infektiöse muss ein 
eigenes Zimmer zum Schlafen und Wohnen haben. 

In der Diskussion sprechen Becker-Charlottenburg und 
Fr an k e n b e r g e r -Nürnberg über die Einrichtung und Finan¬ 
zierung der dortigen Fürsorgestellen, Geheimrat Kehl- Düsseldorf 
über die Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande, R a n k e - München 
über die Notwendigkeit die oft sehr lange vorhandene teilweise Ar¬ 
beitskraft des Tuberkulösen zu dessen Unterhalt heranzuziehen und 
Arbeitsnachweise für solche teilweise arbeitsfähige Kranke zu 
schaffen. Cohn- Posen über die Versorgung der der Ansteckung 
ausgesetzten Kinder, für die er Walderholungsstätten mit Nacht¬ 
betrieb und Abgabe von Leberthran und Milch durch die Fürsorge¬ 
stellen empfiehlt. Stadtrat Z a m t e r - Charlottenburg hält nur die 
Behörde, nicht den privaten Verein, für fähig, eine systematische 
Seuchenbekämpfung zu betreiben. Prof. Pannwitz - Berlin 
schliesst sich den Ausführungen Rankes an. Wo leichte Arbeit 
nach der Entlassung aus der Heilstätte beschafft werden konnte, 
haben sich wesentlich bessere Resultate erzielen lassen. Stabsarzt 
Pannwitz - Hohenlychen schildert die dortige Kinderheilstätte, der 
eine Ferienkolonie für tuberkuloseverdächtige Kinder, sowie eine 
Haushaltungsschule für Mädchen und eine Gärtnereischule für Knaben 
angegliedert ist. Kreismedizinalrat Messerer -München schildert 
die Verhältnisse seines Kreises und Herr Geheimrat Liebrecht- 
Hannover spricht über die Misserfolge einer ländlichen Kolonie, die 
auf einem Bauerngute der Lüneburger Heide eingerichtet worden war. 

III. Stabsarzt Dr. E. Kuhn- Berlin demonstriert seine Lungen- 
saugmaslce, deren Anwendung und Wirkung auf den Brustbau an 
mehreren Hunden gezeigt wird. 

In der Diskussion wird von den Herren Ritter-Geest¬ 
hacht, Sobotta - Reiboldsgrün, Schröder - Schömberg, P i - 
schinger -Lehr und Rosenfeld -Stuttgart übereinstimmend das 
Fehlen einer deutlichen kurativen Wirkung hervorgehoben. Da- 
I gegen sei die Maske oft sehr brauchbar für die Bekämpfung von 
i Husten und Kurzatmigkeit, und es sei noch keine Schädigung bei 
i ihrer Anwendung beobachtet worden. Im Schlusswort empfiehlt 
! Kuhn die Saugmaske besonders für die Frühfälle und ganz be- 
i sonders bei Kindern, deren Brustbau noch in günstigem Sinne um¬ 
geformt werden kann. 

IV. W ich mann -Hamburg: Die Behandlung des Lupus. 

V'ortr. empfiehlt nach synoptischer Besprechung der vielen Be- 
nandlungsmethoden die heute in Gebrauch sind, Finsenlicht, Rönt- 
«tnstrahlen, und für Frühfälle vor allem die Exzision. Die fortge¬ 
schrittenen Fälle gehören in die Behandlung von Spezialisten und 
i3 Lupusheime. 

In der Diskussion zeigt Röpke Photographien von einem 
curch Tuberkulin gebesserten und dann durch Exzision geheilten 
Aapusfall. Herr H e u c k - München hat von der Exzision nicht so 
gute Resultate gesehen wie der Referent, Herr Francke -München 
empfiehlt da, wo die Röntgenstrahlen versagen oder zu teuer sind, 
die Kombination derselben mit einer Behandlung durch Resorzin 
iusserlich und Kreosot innerlich. 

Im Schlusswort hält Herr Wichmann an seiner Empfehlung 
:kr chirurgischen Behandlung fest. Namentlich Kinder sollten ihr 
stets sobald als möglich zugeführt werden. 

V. C u r s c h m a n n - Friedrichsheim: Inwieweit ist eine Tren- 
bhb£ der offenen von der geschlossenen Tuberkulose in den Lungen¬ 
heilstätten erforderlich und durchführbar? 

Vortr. verneint sowohl die Notwendigkeit als die Durchführ¬ 
barkeit dieser Massregel, womit sich sämtliche Diskussionsredner mit 
Ausnahme von Herrn Kreisarzt Dr. K r i e g e - Barmen einverstanden 
trklären. 


33. Wanderversammlung der Südwestdeutschen Neuro¬ 
logen und Irrenärzte. 


Die Versammlung fand wie alljährlich in Baden-Baden statt, 
-in fessle 3 Sitzungen am 30. und 31. Mai und wies eine Präsenzliste 
i 100 Namen auf. 

Der Geschäftsführer H o c h e - Freiburg eröffnet, entschuldigt die 
Anwesenheit des in letzter Stunde abgehaltenen 2. Geschäftsführers 
^aqcer- Frankfui t a. M. und gedenkt dann in warmen Worten des 
•erstorbenen Hitzig- Als Vorsitzende für die Einzelsitzungen 
OJägt er die Herren K r e h 1 - Heidelberg, E r b - Heidelberg und 
’• fs s 1 - Heidelberg vor, als Schriftführer die Herren Bnmke- 
-eiburg und Rosenfeld - Strassburg. Die Versammlung 
>-ir.unt zu. 

1. Sitzung. 


f u gibt einen Rückblick und Ausblick auf die Ent- 

® ~ ne, ”L Ä-i #« c |ien Nervenpathologle im letzten halben Jahr- 
jeklwig der daran, dass die Psychiatrie, welche heute iiber- 

- E I. en .' I in den 70 er Jahren von der inneren Medizin 

- ^Inständig ist, dass die Nervenpathologie von den Lehrern 

^zweigt ^ ur J I . e ' f,#»irründet, durch die Psychiater gefördert und 
; inneren Medizin oegrui 


vor allem von den Elektrotherapeuten auf die heutige Höhe gebracht 
worden sei, dabei aber noch immer der Selbständigkeit entbehre. 
Er verlangt eigene Lehrstühle, eigene Kliniken und eigene Ambula¬ 
torien für Nervenheilkunde; wo dies nicht zu erreichen ist, soll die 
Neurologie bei der inneren Klinik verbleiben, aber nicht mit der 
Psychiatrie vereinigt werden. Endlich gedenkt Erb der Gründung 
der Gesellschaft deutscher Nervenärzte, die er als den sichtbaren 
Ausdruck der Selbständigmachung betrachtet. 

S t a r k - Karlsruhe spricht über einen Fall von geheilter Menin¬ 
gitis tuberculosa, bei dem die Diagnose durch 8 Punktionen einwand¬ 
frei festgestellt ist. Bei der 1., 3. und 4. Punktion wurden in der 
Lumbalflüssigkeit ziemlich reichlich Tuberkelbazillen nachgewiesen, 
bei den vier letzten Punktionen nahm die Leukozytenzahl ständig ab, 
Tuberkelbazillen fehlten ganz. Der Eiweissgehalt der Lumbalflüssig¬ 
keit nahm von Punktion zu Punktion ab. Der Patient wurde nach 
einigen Monaten mit grosser Gewichtszunahme 'entlassen. 

H ess- Würzburg erläutert in seinen Ausführungen zur Physio¬ 
logie und Pathologie der Pupille, dass die Pupillenreaktion von einem 
kleinen, höchstens 4 mm breiten Bezirk rings um die Fovea abhängig 
ist, während die übrigen Teile der Netzhaut motorisch nicht wirksam 
sind und die motorische Erregbarkeit auf der nasalen Seite viel 
schneller abnimmt als auf der temporalen. 

Zur Untersuchung der hemiopischen Reaktion, für die H e s s den 
Namen Hemikinesie vorschlägt, hat er an Stelle der bisherigen Metho¬ 
den einen neuen Apparat konstruiert. 

Auf Grund seiner Untersuchungen an Tag- und Nachtvögeln 
nimmt Hess an, dass im Sehnerven Sehfasern und Pupillenfasern 
noch nicht getrennt seien. 

Weygandt- Würzburg gibt Beiträge zur Lehre vom Mongo¬ 
lismus. Die 3 Hauptcharakteristika dieser besonderen Form des an¬ 
geborenen Schwachsinns sind 

1. die eigenartige Physiognomie, die den eigentlichen Rassetypus 
des betreffenden Individuums verwischt; 

2. das eigenartige Verhalten des Stütz- und Bindegewebes: 
Hypotonie der Gelenke, verkrümmte Knochen (die Verkrümmung ist 
geringer wie bei Kretinen), rissige gefurchte Zunge, Hyperbrachy- 
kephalie; 

3. der psychische Habitus, ausgezeichnet durch die leichte Reiz¬ 
barkeit und die grosse Neigung zu Scherzen. 

Weygandt demonstriert die lebensgrosse Abbildung eines be¬ 
sonders typischen Falles und zieht aus einer Reihe von Sektionen 
den Schluss, dass es sich beim Mongolismus um ein Gehirn mit eigen¬ 
artiger Degenerationsform und kindlichem Habitus handelt. 

Da die mongoloiden Kinder vorzugsweise Kinder von alten 
Eltern sind und da meist das letzte Kind einer Familie erkrankt, 
dürfte es sich um ein Erschöpfungsprodukt handeln. 

Der Vortrag von K a p p e r s - Frankfurt über strukturelle Ge¬ 
setze im Gehirnbau eignet sich nicht zur kurzen Wiedergabe. 

Beyer- Roderbirken sucht zu beweisen, dass durch den Kampf 
um die Rente bei nicht traumatischen Neurosen das gleiche Bild wie 
bei den traumatischen erzeugt wird. Invalidenversicherung und Pen¬ 
sionsberechtigung, Beeinflussung durch verwandte Rentenempfänger, 
Verlobung und Heirat sowie endlich das Interesse der Arbeitgeber 
an billigen Arbeitskräften werden als treibende Kräfte beschuldigt. 

2. Sitzung. 

E d i n g e r - Frankfurt a. M. hält das angekündigte Referat 
über Die Gruppe der Aufbrauchkrankheiten. 

Er wiederholt und vermehrt zunächst die grosse Zahl von Bei¬ 
spielen, die er im Vorjahr aus seiner eigenen Erfahrung angeführt hat 
(s. diese Wochenschrift 1907, No. 28), und die vor allem die Mehrzahl 
der Neuritisformen als Aufbrauchkrankheit dartun. Dass die Neuritis 
regelmässig solche Individuen betrifft, die durch Blei, Alkohol oder 
Tabak oder auch durch die Toxine von Infektionskrankheiten ver¬ 
giftet sind, widerspricht dem nicht, ist vielmehr so zu er¬ 
klären, dass die Funktion vergiftete Nerven 
leichter erschöpft als andere. Der allmähliche 
Aufbrauch führt nicht bloss bei den peripheren Nerven, 
sondern auch im Zentralnervensystem zu Erkrankung. Hat jemand 
in der Jugend eine poliomyelitische Lähmung erlitten, so tritt oft 
Jahrzehnte später eine neurotische Lähmung der anderen Seite ein. 
Sind die einzelnen Teile des Zentralnervensystems zu klein angelegt, 
so müssen sie schliesslich selbst den normalen Anforderungen er¬ 
liegen. Das beweist z. B. der Umstand, dass die Friedreich sehe 
Krankheit stets Kinder mit zu kleinem Rückenmark betrifft. 

Auch die luetischen Hirn- und Rückenmarkserkrankungen sieht 
Referent so an, dass die Syphilis die betroffenen Organe so schwächt, 
dass sie den normalen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. 
Tabes und Paralyse sind ein Additionsprodukt aus Lues ~h Erschöp¬ 
fung. Das beweist z. B. die akute Verschlimmerung, welche Tabiker 
nach aussergewöhnlichen Anstrengungen erfahren, das beweist u. a. 
ein Fall, wo nach mehrwöchentlicher Seefahrt Ataxie der Arme ein¬ 
trat, weil sich der Kranke viel an Seilen festhalten musste, das be¬ 
weist auch der Umstand, dass bei den Japanern nach einer Mit¬ 
teilung von B ä 1 z die Paralyse erst seit dem grossen industriellen 
Aufschwung des Landes in den letzten Jahrzehnten auftritt. End- 




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1456 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N 


lieh beruft sich der Referent noch auf die \ oivuglicheii I iio’ge dei 
Schunungstlierapie hei Tabes. 

In der auf das Referat tollenden eingehenden Ihsk ussmii 
will Hoc he die 1: d i n g e r sehe Theorie insbesondere nicht im 
das Zentralnervensv’stem gelten lassen. 1 >ie Paralxse hetiirt ia nicht 
bloss Personen, welche besonders intellektuel tätig sind, und die Ver¬ 
blödung schreitet auch dann noch fort, wenn der Erkrankte über¬ 
haupt nicht mehr geistig arbeitet. Auch der monotone. txpisjie \er- 
lauf von Tabes und Paralyse widerspricht E el i u g e r s Anschau¬ 
ungen. 

Determann erklärt auf Orund von ca. 1*«» Tubesfälleii. dass 
Ataxie der Beine vorzugsweise solche Personen betreffe, welche die 
Beine besonders anstrengen (z. B. Reiter). Ataxie des rechten Armes 
vorzugsweise Leute, die viel schreiben. 

Leute mit stehender Beschäftigung (Bureaubeamte) sollen be¬ 
sonders Seiisibilitatsstörungen der Beine, Leute, die oft genötigt sind, 
den Harndrang zuriickzuhalten, zuerst Blaseustoruugeu auiwuwn. 

Nicht verwendbar ist die Ld inger sehe Theorie für die Mn- 
nesorgane. 

E r i e d 1 ä n d e r fragt den Referenten, w ie sich die Pr folge de r 
Uebungstherapie mit seiner Theotie vereinigen lassen. 

Hess erwähnt eine Beobachtung aus England. wonach post- 
diphtlicritische Akkommodationslähinuug m solchen Krankenhäuser n 
nicht auftrat, wo man den genesenden Kindern das Lesen imle i sagte. 

Lilienstein erwähnt den Lall eines Bleikranken mit Optikus¬ 
atrophie, dessen 'Tätigkeit darin bestand, dass er in einer l.etteiu- 
fabrik die Lettern mit der Lupe auf f ehler untersuchte. 

(iegeniiber Hoc he fuhrt er aus. dass das (ielnrn des paia- 
lytischen Taglöhners durch < icnmtscrrcguugcn ebenso erschöpft wer¬ 
den könne als durch Denkarbeit. 

Hegen die L d i n g e r sehe 'Theorie scheint ihm der mangelhafte 
Wiederersatz erkrankter Nerven zu sprechen. 

Bing erklärt, dass in bezug auf die Tabes folgendes gegen 
Edinger spricht: Ls gibt Lalle des dauernd präataktischen >ta- 
diunis, welche trotz Missachtung aller Scliouungsvorschi Uten nicht 
schlimmer werden; andere Kranke erfahren trotz sofortiger Heil¬ 
behandlung vollkommene Lähmung. Bei konjugaler Tabes zeigen 
sich zuweilen die ersten Symptome bei beiden Ehegatten an iden¬ 
tischen Stellen und endlich erkranken im N. opticus die am meisten 
gebrauchten Lasern zuletzt. 

Lrb hebt ebenfalls das monotone Bild der 'Tabes bei V inuern 
und Frauen aller Beruisstände hervor, in Pro/, aller labest.ule \er- 
laufen ohne Pupillenerkrankung, obwohl alle Kranken ihre Augen 
sehr viel gebrauchen, (ianz besonders spricht gegen die L d inger- 
sche Theorie, dass keine Tabes ohne Lues, lediglich durch Autln auch 
entsteht. 

Kohnstamm erzählt den Lall eines Knaben, der mit 1 2 .1,ihren 
das Olekranon gebrochen hatte und erst mit lt> Jahren eine Uluaiis- 
lähmung bekam, als er anfing Violine zu spielen. 

Nissl gibt nicht zu, dass Veränderungen der Ner\cnzellcn 
durch Ueberanstrengung bewiesen seien. Die Versuche, die zum 
Zweck dieses Beweises gemacht wurden, wie z. B. das Amhaiigeu 
von Ratten am Schwanz, stellen nicht eine l eberaustrengung. son¬ 
dern eine Malträtierung dar. 

La udenhei mer fuhrt zur Unterstützung der Imlinger- 
sclien Theorie den Lall einer Dame an, die als uriges Mädchen den 
Ellbogen brach und II) Jahre später beim Reiteulei neu eine Nemitis 
der Arme erfuhr, sowie den Lall einer Masclnueuschfeibcti.fi, deren 
Tabes an den Armen begann. 

Im Schlusswort erwidert E d i n g e r auf die einzelnen Liuw amlc, 
dass ein Ersatz der geschädigten Nerveiisubstanz aiuli bei voll¬ 
kommener Schonung deshalb nicht stattfindet, weil im Nervensystem 
des Erwachsenen keine Kernteilung mehr statthat. dass die l ebungs- 
therapie deshalb nichts gegen seine Theorie beweist, weil sie keine 
wirkliche Anstrengung darstellt, und dass das Lortscbreiten \on Para¬ 
lyse und Tabes dadurch zu erklären ist, dass der Kranke von seinem 
Nervensystem immer noch so viel verlangt als früher. Seine <L d i u - 
gers) Hypothese gibt eine Erklärung fiir jedes einzelne Symptom ; 
das leistet keine andere Hypothese. 

Die Ausführungen von Kohnstamm und Q ii e n s e I - König - 
stein über den sensiblen Kern des ersten Kopfmetamers eignen sich 
nicht zum Referat. 

S. A u e r b a c h - Frankfurt a. M. schildert die operative Epi- 
lepslebehandlunK an b Fällen, die seit s - J.s Monaten geheilt, be/w. 
gebessert sind. In einem Lall trat ein Rezidiv ein. als der gebildete 
osteoplastische Schädellappen wieder verknöchert war. Besonders 
bemerkenswert ist der Lall eines Knaben, der im Alter von m Jahr 
etwa 20 heftige Anfälle pro Nacht erlitt, beinahe verbindet ui die Be¬ 
handlung trat und jetzt in der Schule ganz ordentlich vorwärts 
kommt. 

Redner verbreitet sich dann über Kochers 'Theorie, welche 
die Dauertrepanation als eine Ventilbildung zum Ausgleich von Druck- 
Schwankungen im Schädelinncrn ansieht, er schildert Friedrichs 
Operationsmethode durch Kraniektomie und Exzision eines Stuckes 
der Dura und geht des näheren auf die Ansicht ein, wonach die Epi¬ 
lepsie keine konstitutionelle Neurose ist, sondern auf entzündliche 


\ oi <, 111 c am < k h i in m t• ,,h. r I . I zu . • ■ t w c T . 

1 ,i 1 i der opei ie X tui I am s ,:..i.c • i.d m : * t bo!i ii. 

W i n d s c h c i d - I v p- g v '< ' ' d e \m • m :mut g . . 

malischen Reflexepilepsie *:mi Bi .m n ,n.: 

1. Der Kranke muss u.u hu e c .u v • u dem l : :af ; lo ’■>' 

Wese n Sein (Sehr sdroi zu )\ o < Nm. 

2. ile r e i ste An lall du I i.u !it u t u! h.i- I: de m .r .m ' • 

Unfall aufgeti eten sein th«. w l,Me i.s 5 l./e v;. 

X nach Exzision der Narbe* m ."Ven \ mm .•..** • -* t *i • 

ZU bedenken ist. dass I ;',’t|'ve aiivli x • ” v t .0 '' • 'te 

l nter 72 eigenen I .«..e n. d:e aut e m I .i zu- «I g. * 

den, kann er so mir f als tr. ■;in..i!is l : e R ‘evev-me I < ■ 

Besomlef s bemet ki nsw c f$ ist en I .i 1. w i ! .u!. I "tte*: . 

Endgliedes all einem f inger vier linken 11.u I de V V e \- 
\r ui ausgehend zu a 1! ge meine n K ’ .m ;:ei i 1 • !i n. V . h I \ .* ■» 

Narbe hin hem die Aul.ne II M umie weg. d.e-u tratmi se \e 

aut mul 1 11 1 11 teil \c fim.ss:fc*% zum I >d . dm \ nt ; ve tm-d' n . « 
des i e c hte u Stil rhu ns. 

\\ i n el s c h e i d g .ml t. dass liier 2 \ r te u x :i \ :. c *; S 
eile erstell relle kt<U IS Jl. ehe sp.-telell du* du den I uv Ie.. • gt. 

van den V c I d e n - D..sv 'bat au -47 I ;> ept.m-:: 

suche über Chlor- und Bminstoit»echsel ge: m, nt Da . e ! 

medikatioii li.iupt s.n Im«, h vluuii i sitc. W;>e. s s e 

k« »disalzai me K"st ersetzt We'deii. 

Ci e r h a r d t - Basel lusd.reit \ .- r f • e \ ■ u Meningitis svi 
deren interessante 1 mze du ite u |e r:.n:, » \ e ■ • m v ■ : u e ” • 

einem Zlll Mektioii gehllute n i .i.i batte n ii.ttax t u.’H K 

tiopvu elreimal hinteremai.der eleu /u st.n ! .n.sse •• •mte et ..b ^ • - 

elami x er sagten sie. 

d. Sitzung. 

Diese Sitzung war xmuieoiiJ eie| au.it -u .s v !;.h.st ^ 
\ortr.igen gewidtiet. 1 be Mitte. imge n vmi 

Oppenheim - I ml tag: l eher pmioplasmatischc Cjlijst 
turen, 

Törtter - Leipzig! leber ea.eii unter e 1 -. P- .1 Ar ’ 

sixen Paralxse xetiautetun I a.i x <>ri (ieschw ulMhildung im xordv 
Dalken, 

V o K U I ranklurt: l el er Au I .i !e x n tuberöser Sklerose. 

Härtels - Ni assbur g : l eher Augenhintergrundsx erander im 

müssen in de n austidir lu he n \ eii ’M'f r..u'ge e s t w . • 

Der letztgeiiamite Redner g.ht au. C.ins 1 a e \*m re.ue’ M 
er kr.tiikimg x or k--imite n, bei x\e.vt:en tme N.aanyx; . e .. ’ 
die Xon iler zeiil’Mu n nu iit zu nute : s v :a .vh n ist. 

v. M e s s I - I eip/ig li.it l r.te imu himg u'er he 1 ■ *.. 
der motorischen Aphasie gemacht, etie n.u n Pierre M a f ■ e s . 
sihemrr ege ude r Behauptung nivlit in eler dt :tte n 1c ke n Mt • • 
lokalisiert Sein s-dl. Die Zit'tr.uii \ iislu e u! äe s fh ;> . 

tretten zusammen mit Ue m le i. I'ei dessen /emt -wg r t * m 
Aphasie e 111 1 11 ; t, d. h. mit der I Ö*\s^ h eite. 

Schreiber und \N c > I e r - Hei !e ht i r g hat i n dum h I 
xon >ch.|ifiieh<d ms \nge Mitosen an den (langlivn/ellen der Nei/Ii 
ei zeugt. 

I) r e > f u S S - Ile nie d e rg li.lt Xeisiivht. d.e P« 1 s ■( :i ;• t n 
vöser I)>spepsie m x e ■ schmale ne «jruppen zu Um”, i." s ■ , i | 

keimtms einer Kränkln it zu tmheiu. n • -i» der 11 g h i ^ : ’.stst. * 
die Mageuer sc t|e immge u oder die f.e rxnseii >*>< ir.,e: . ..s | • 
sind, f r unterscheidet: 

1. Pei sollen mit erworbener Ne uhntiaire. w ' . e d \m ; 

sehen Ersehe mim geil ehe ursp: .ng <v Ii .»us . .se i.de u t 'dh : 

uherw lullern. 

2. Personell, deren 1 r kr .mkimg aui "\.i: \ s, l \ K * i j . 

läge beruht, 

d. I *e I Solle II \"|| ps\ ch •patliische T \e’a' 

J her a peilt tsc h Will D r e \ t n s s e ■ . Ni d ■ *. i 

wirken, vier Magen Soll Wehr ?:.e, hc-n. h v . d - . . ► a:u • • 

hehamlelt wervleii. 

V. M O n a k O W - / ntlv ll bat ” e P N-i •• :! " v :• e : ’ e ’l I v ‘ 
Untersuchungen auf tu und e x ;n • cm ”U h : l.*v* “e a”i Mittelfn 
neugeborener Tiere gem.u ht. \m* e s. mdc • e dum'; » - s« Jh- I u , < 
ratlou des roten Kefiis. Ilieiel e-^.:b si v i. .-.s ü.jJi p.,:. 
Dnrchtreummg \ mi Bahne n .i’tt rretu» si l.c e.”e ;’.:”v e P 

geueration x ofi Kernen zu et/iv.ui ist. 

P f c r s d f) r I f - St i asvf mg hat s;di be ” h diiiercntiakli.ignosi 
sehe Merkmale auf dem (iebiet der Sprachstörung ;uz. m P 
mentia praecox und Manie auvu* :* '.vH. V> . ‘ ' c ’ 1 * e: d.v n V. 1 v 
sinnlose \ er bindunge ii imd Re men a U rfi.ett n. : e r e'eti P. - 

x oit sinnlosen \ ei bnulimge n n trage i dem imd a : v • t tenden I ” 
sinnlosen Reihen Sowie che M:s v : arg z w e: s;rm kd 

unter einamlcr nur bei Katah uie ge tu: h n. 

0 u e n s e I - Kouigx;. r i. • t .* s dute \\ nrttaubheit mn d. 
an, wenn \\ ortsjnnvers:..: ‘‘.s ür: ! \\ ■:t auf. e *s* • s\e'' viv 

die meisten Talle sind n be den Idd.im ..eii i. * . 

<J ii e u s e 1 will a e durJt peripd^r ge fh. *.!e i • c 

lalle ais perzeptix e M Ihr... heit, che durch /e 1 a e Ile * de : e...: d. 
als assoziative Worita ul !;cvt I i/e:d;;:eii. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 









MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1457 


7. Juli 1908. 


Gierltch - Wiesbaden beschreibt einen Sarkomfall, bei dem 
das ganze Kleinhirn operativ freigelegt wurde und einen 4 Wochen 
lang beobachteten Tumor des Kleinhirnbrückenwinkels, wobei durch 
Hvdrozephalus der N. opticus und olfactorius zur Degeneration ge¬ 
bracht wurden. 

Als Thema für die nächstjährige Versammlung 
wird die Differentialdiagnose der Lues cerebri bestimmt, 
nicht; worüber K n o b I a u c h - Frankfurt referieren soll. Zu 
ü eschäftsfiihrern werden Laqueur - Frankfurt und N i s s 1- 
Heidelberg bestimmt. Gustav Feldmann -Stuttgart. 


Altonaer Aerztlicher Verein. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. März 1908. 

Vorsitzender: Herr H e n o p. 

Schriftführer: Herr F e 1 g n e r. 

Herr Hueter demonstriert: 

1. Aneurysma der Aorta, mit besonderer Beteiligung der Wirbel¬ 
säule. 

Das vorgelegte Präparat stammt von einem 54 jährigen Mann, 
welcher im Jahre 1881 Lues akquiriert hatte, 1892 durch Fall von 
einem Neubau sich eine Verletzung der Wirbelsäule zuzog, welche 
Urinverhaltung und Gehstörungen zur Folge hatte. 1898 wegen 
Tabes in Krankenhausbehandlung (Schmerzen im Kreuz, in den 
Beinen, Unvermögen zu gehen, Blasenbeschwerden). 1907 Wieder¬ 
aufnahme in -das Krankenhaus. Jetzt ergab die klinische Unter¬ 
suchung schlaffe Lähmung beider Beine, geringe Ataxie beider Arme, 
Khlen der Reflexe, Incontinentia alvi und urinae. Bei Bewegungen 
m Bett traten heftige Schmerzen unter dem Rippenbogen auf. 

Die Autopsie ergab graue Degeneration der Hinterstränge, 
Zystitis, prävesikularen Abszess, Pyelonephritis, eitrige Peritonitis. 
Aneurysma am Arcus aortae, schliesslich das vorgelegte 
Präparat. 

Von der schwer sklerotisch veränderten Aorta abdominalis führt 
ein nahezu markstückgrosses, mit glatten Rändern versehenes Loch 
;ti einen gut kindskopfgrossen aneurysmatischen Sack, der mit der 
Wirbelsäule verwachsen, beiderseits neben ihr zwei gleich grosse 
Rezessus von je Faustgrösse bildet. Der Aneurysmasack ist zum 
xrossten Teil mit alter Thrombusmasse angefüllt. Die Wirbelsäule 
lässt eine kyphotische Knickung in der Höhe des Dornfortsatzes des 
12. Brustwirbels erkennen. An der längsdurchsägten Wirbelsäule 
sieht man Arrosionen an der Vorderfläche der in das Aneurysma 
hineinbezogenen Wirbelkörper des 10. und 11. Brustwirbels und des 
1. Lendenwirbels. Die den 12. Brustwirbel begrenzenden Band¬ 
scheiben sind an der Vorderfläche der Wirbelsäule über einander 
geschoben. Sie umfassen einen keilförmig gestalteten Raum, welcher 
an Stelle des früheren Wirbelkörpers mit Thrombenmasse angefüllt 
ist und mit dem Aneurysmasack kommuniziert. Von der Knochen¬ 
substanz des Wirbelkörpers sind nur geringe Reste am hinteren Um¬ 
fang desselben übrig geblieben. Auch die Substanz der Bandscheiben 
ist zum Teil hämorrhagisch infiltriert. Das Periost. welches der 
hinteren Fläche des 12. Wirbelkörpers im Wirbelkanal entspricht, ist 
durch Hämornhagie abgelöst. Der aneurysmatische Sack hat sich 
ferner in die Muskulatur links seitlich von der Wirbelsäule aus¬ 
gedehnt, hier sind die Muskeln an umschriebener Stelle mit Thrombus- 
massen infiltriert, die Infiltration reicht fast bis an das Subkutan- 
gewche heran. 

Fine derartige Läsion der Wirbelsäule bei Aneurysma der Aorta 
ist durchaus ungewöhnlich. Vermutlich ist der Fall durch die An¬ 
nahme zu erklären, dass bei der vor vielen Jahren erfolgten Ver¬ 
letzung der Wirbelsäule eine Fraktur des 12. Brustwirbels und zu¬ 
gleich an entsprechender Stelle ein Riss in der Wand der Aorta 
eintrat. In klinischer Beziehung erscheint der Fall auch dadurch be¬ 
merkenswert, dass durch den Befund der Kvphose und der Infiltration 
der Muskulatur Tuberkulose der Wirbelsäule mit Abszess vorge¬ 
täuscht werden konnte. 

2. Ein durch Operation gewonnenes Präparat von Metrltis 
chronica. 

Es stammt*von einer bisher stets gesund gewsenen 47 jährigen 
Frau, welche während der letzten Monate an starken Schmerzen 
im Bauch und intensiven Blutungen aus den Genitalien gelitten hatte. 
Die Untersuchung ergab einen sehr stark vergrösserten, druckemp¬ 
findlichen Uterus. Die klinische Diagnose schwankte zwischen 
Uterus myomatosus und malignem Tumor. 

Der Uterus ist über kindskopfgross, die Portio verstrichen, der 
Zervikalkanal sehr weit, die Uteruswand stark verdickt, das Gewebe 
sehr weich, feucht, rötlichgrau, an Sarkomgewcbe erinnernd, die 
Schleimhaut glatt, fleckig gerötet und mit Hümorrhagien durchsetzt. 
Die mikroskopische Untersuchung stellte fest, dass das Gewebe des 
Uterus durchweg in Granulationsgewebe verwandelt ist. Die Muskel¬ 
fasern sind durch Oedem und zellige Infiltrationen auseinander ge¬ 
drängt, stellenweise fehlen sie ganz. Von dem perivaskulären und 
interstitiellen Bindegewebes ist nichts zu sehen. Die Wandung der 
Arterien ist häufig verklebt. Polynukleäre Leukozyten fehlen durch¬ 
aus. Die Zellen sind Lymphozyten, vielgestaltige Granulationszellen 


(Polyblasten), zahlreiche Plasmazellen, besonders auch im Gebiet 
der Schleimhaut gelegen, spärliche Mastzellen. Bemerkenswert er¬ 
scheint besonders, dass das präexistierende Bindegewebe des Uterus 
völlig zugrunde gegangen ist. Eine Neubildung von Bindegewebe 
würde also in dem vorliegenden Fall nicht durch Hyperplasie des 
präexistierenden Bindegewebes entstehen, sondern von dem Granu¬ 
lationsgewebe als Vorstufe ausgehen. In ätiologischer Beziehung 
liegt der Fall völlig dunkel. Die gewöhnlich für die Entstehung der 
chronischen Metritis angeführten ätiologischen Faktoren: Lues, 
gonorrhoische, puerperale oder sonstige Infektionen, vorausgegangene 
Schwangerschaft, Lageanomalie des Uterus, kommen für den vor¬ 
liegenden Fall nicht in Betracht. 

Herr Mölling: Lieber Retinitis circinata. 

Unter gleichzeitiger Vorstellung eines ausserordentlich typischen 
Falles geht Vortragender näher ein auf die Frage der Netzhaut¬ 
blutungen und ihrer ätiologischen Bedeutung für das Zustande¬ 
kommen der Hintergrundsveränderungen bei der Retinitis circinata. 

Herr Pllsky demonstriert zwei Uterusmyome, die er durch 
Laparotomie gewonnen hat. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offizielles Protokoll.) 

XX. Sitzung vom 14. März 1908. 
Vorsitzender: Herr Hecker. 

Herr Rostoski: Demonstrationen. 

a) Patient mit gleichzeitiger Lähmung des Musculus deltoides 
und Serratus anticus maior rechts bei erhaltener Abduktion des Armes. 

Der 48 Jahre alte Arbeiter fiel von einem 6VL* m hohen Brücken¬ 
bogen auf Rücken und Schultern, während -die rechte Hand einen 
Kübel mit Zement hielt. Darauf entwickelte sich eine Lähmung des 
rechten Serratus anticus maior mit Unfähigkeit den Arm über die 
Horizontale zu erheben flügelartigem Abstehen der Skapula und allen 
sonstigen bekannten klinischen Erscheinungen. Auch eine vorüber¬ 
gehende Schwäche und Atrophie im Infraspinatus stellte sich ein. 
Zugleich mit dem Auftreten der Serratuslähmung war eine Atrophie 
der hinteren Partie des rechten Deltoides zu bemerken. 14 Tage 
später waren auch das seitliche und vordere Bündel des Deltoides 
vollkommen atrophisch und gelähmt. Eine Subluxatio humeri blieb 
aus. In der gelähmten Muskulatur war komplette Entartungsreaktion 
zu konstatieren mit der Eigentümlichkeit, dass in der vorderen Partie 
des Deltoides zunächst vorübergehend partielle Entartungsreaktion 
mit indirekter Zuckungsträgheit auftrat. — Es waren also bei dem 
Patienten beide Muskeln, welche zur Erhebung des Armes dienen, 
gelähmt. Gleichwohl konnte der Patient den Arm je länger, je besser 
erheben — zuletzt sogar 30° über die Horizontale hinaus. Dabei 
beugte er den Rumpf etwas nach links, wie jemand, der eine schwere 
Last vom Boden erhebt. Die Erhebung des Armes war dem Pa¬ 
tienten durch vikariierendes Eintreten des Pectoralis maior und der 
mittleren Partie des Trapezius, welche beide hypertrophierten, viel¬ 
leicht auch des Supra- und Infraspinatus möglich. Fälle von iso¬ 
lierter Lähmung des Serratus und des Deltoides mit vikariierendem 
Eintreten anderer Muskeln sind beschrieben worden. Der vorge¬ 
stellte Patient mit gleichzeitiger Lähmung beider Muskeln 
bildet eine Ergänzung hiezu. 

b) 2 Patienten mit arthrogener (sogen, reflektorischer) Muskel¬ 
atrophie. 

Der 1. Patient, ein 53 jähriger Möbelpolierer, hat schon mehr¬ 
mals an akutem Gelenkrheumatismus gelitten. 14 Tage vor seiner 
Aufnahme ins Krankenhaus erkrankte er von neuem mit einer 
Affektion des rechten Kniegelenkes und beider Schultergelenke. In 
den Schultergelenken blieb auch nach Abheilen der akuten Er¬ 
scheinungen Knirschen ohne Immobilisation des Gelenkes zurück. 
Innerhalb von 10 Tagen entwickelte sich nun unter -den Augen des 
Beobachters eine ausserordentlich starke Atrophie des Infraspinatus 
und des hinteren Bündels des Deltoides. Bei der Palpation glaubte 
man, unter der Haut direkt den Knochen zu fühlen. Gleichwohl trat 
keine Entartungsreaktion, sondern nur eine mässige Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit auf. — Im 2. Fall (59 jähriger Arbeiter) 
bestand schon längere Zeit eine Erkrankung des rechten Schulter¬ 
gelenkes, die sich an ein Trauma angeschlossen haben sollte. Objek¬ 
tiv fand man die Bewegungen in voller Ausdehnung möglich, kon¬ 
statierte aber Knirschen, daneben eine ausgesprochene Atrophie im 
Supra- und Infraspinatus mit normaler elektrischer Erregbarkeit. 
Vortr. weist auf die relative Seltenheit in der Auswahl der von der 
Atrophie befallenen Muskeln hin und geht dann auf die jüngst 
publizierte Arbeit von Sude k ein. nach der die arthrogenen Muskel¬ 
atrophien mit dem von S u d e k entdeckten im Röntgenbilde sicht¬ 
baren Knochenatrophien und den bisweilen beobachteten Hauter¬ 
scheinungen auf eine Stufe zu stellen sind. W i e die dem o n - 
strierten Röntgcnplattcn beweisen., sind jedoch 
in den gezeigten Fällen keine K n o c h c n a t r o p h i c n 
aufgetreten. Daun geht Vortr. noch auf die Theorie derartiger 
Atrophien ein und betont, dass ihre Entstehung unmöglich durch In- 
aktivität zu erklären sei. Die plausibelste Theorie sei zur Zeit die. 
welche annehme, dass von der erkrankten Gelenkkapsel ein Reiz auf 


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1-158 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHEN SCHRIET. 


v . jr 


das Rückenmark übertragen werde, der dann wieder auf die tm- 
phischen Zentren für den Muskel überspringe. Schliesslich wird die 
Differentialdiagnosu gegen Neuritis erörtert. 

Diskussion. Herr A. Schanz: Der I. hall ist wichtig für 
die Frage der Muskeltransplantation. Sch. hat die hier spontan em- 
getretenen Muskeln systematisch bei Lähmungen am Schiiltergurtel 
übergepflanzt. Betreffs der anderen hülle ist besonders die Ouadri- 
zepslähmung nach Kiiieverletzungcn praktisch und therapeutisch 
wichtig. 

Herr H. H aenel: Mit einer reflektorischen Erklärumt ist nicht 
viel geholfen; wenn aus den gesamten Schultermuskeln um der 
Supra- und Infraspinatus, wie in den beiden letzten ballen, um der 
Atrophie lierausgelesen werden, so deutet das daraui hm. d ms doch 
wohl auch örtliche, neuritisalmliche Prozesse mit anzusclmhligcn sind, 
die hier durch Uebergreiten des polyarthritisclieu Prozesses auf d e 
Nachbarschaft den N. suprascapularis geschädigt haben. 

Herr Rostos ki glaubt nicht, dass eine richtige Neuritis mit 
im Spiele sein kann, wegen des raschen Eintretens der Atrophie, des 
hehlens von Schmerzen und der Entartimgsreaktioii. 

Herr H. H aenel: Beim Kniegelenke liefen die Vct h,iitu;sx C in¬ 
sofern anders, als der Ouadriz.eps der einzige dort m IL t:.uht 
kommende Muskel ist. der durch eine Kiiicgeluiksnffktioii s.m it m 
toto ausgesehaltet wird. Drei einzelne Schultetumskelii bei Er¬ 
haltung der übrigen können aber nicht wohl ..reflektorisch“ ge¬ 
lähmt werden. 

Herr Werther: Die gonorrhoischen Ai tlu itivlen. die in d< m 
Rufe stehen, besonders leicht Atrophien zu machen, weisen auf 
toxische Ursachen dieser Prozesse hin. 

Herr A. Schanz: lieber Krüppelfürsornc. 

ln der letzten Zeit ist in den Tagesblätter n vie'iach nm der 
Notwendigkeit einer K r ii p n e I f ii r s o r g e d ( e Rede gew eseti. ohne 
dass genaueres mitgeteilt worden sei über die Zic'e und Wege, 
welche diese Fürsorge sich zu setzen und zu verfolgen habe. Da es 
sich hier um eine für die Aerztc wichtige Etage handelt, mochte ieh 
zu diesem Thema an dieser Stelle sprechen. 

Dass es Krüppel und Kriippelnot in ausserordentlich grosser 
Masse in der Welt gibt, das lehrt uns in sehr vielen apsserdeutschen 
Ländern ein Blick auf die Strasse. Dort sieht man überall, wo 
Strasscnbettel existiert, unter den Bettlern eine grosse Zahl von 
Krüppeln. In Deutschland, wo der Stras'-enhettel unterdrückt ist. 
ist die Eeststellurig des Vorhandenseins von Kruppelelend nicht so 
leicht zu machen, (irossc Verdienste hat sich nach dieser Richtung 
der Zentral verein für Jugendfürsorge erworben, indem er auf Ver¬ 
anlassung unseres Kollegen Biesalski im Jahre l‘M> eine stati¬ 
stische Erhebung über das Vorhandensein jugendlicher Kruppe! im 
Deutschen Reiche veranstaltete. Auf < 1 rund dieser Statistik be¬ 
rechnet sich die Zahl der jugendlichen - d. h. der nicht über H Jahre 
alten — Krüppel in Deutschland auf mumm». Dafür, dass auch bei 
uns in Deutschland Kriippeltum zu wirtschaftlichem Ehud fuhrt 
haben wir ebenfalls zahletimässige Grundlagen. die wir dem Kode gen 
R o s e n f e 1 d in Nürnberg verdanken.. Er Int berechnet dass das 
deutsche Volk an seinem Nationalvermögen einen jährlichen \ er hist 
von 200 Millionen Mark erleidet aus den wirtschaftlichen Schaden, 
welche im Gefolge von Kriippeltum auftrctui. 

Die hier angeführten Zahlen beweisen, dass cs sich bei der 
Krüppelfürsorge um e i n c E rage v o n w e i 11 r a g e oder Be¬ 
deutung für das öffentliche W < * li ! ha n d e I t. 

Wenn man sich nun die Aufgabe. Kriippclinrsot ge zu treiben, 
stellen will, so muss man sich zuerst klar machen, worin die 
K r ii p p e I n o t besteht. 

Das erste, worunter der Krüppel leidet, ist imzw eiiclhait der 
körperliche Defekt, welcher sein Kriippeltum verschuldet. 
Diese Defekte sind auserordentlich wechselnd. Ein paar m.okante 
Erscheinungen an denselben, die für uns hier Wichtigkeit haben, 
sind folgende: Es handelt sich sehr selten um reine Defekte, d. h. 
um Verluste oder Veränderungen, mit denen nicht sonstige körper¬ 
liche Leiden verbunden sind. Eolgc davon ist, dass die KiuppcI. 
auch wenn ihr Knippelturn nicht zu beseitigen ist. fast immer amt¬ 
licher Hilfe bedürftig sind. Ein zweites wichtiges Moment ist. dass 
dieselbe Körperveränderung, welche, im hohen Masse entw ickelt. 
volles Kriippeltum mit allen seinen Eolgen hervor ruft, in niederen 
Graden sehr oft für qnoad Kriippeltum völlig irrelevant erscheint. 
Durch diese Erscheinung wird die Wichtigkeit ärztlicher Hilfe für die 
Krüppel auch in den Eällcn markiert, wo eine volle Heilung mJit 
möglich ist. 

Die zweite Eorm. in welcher das Kriiniuleiend sich geltend 
macht, ist auch leicht zu erkennen. Es ist das w i r t s c Ii a f t ! : c h e 
Elend. Dass Menschen, welche nicht im vollen Besitz ihres Kör¬ 
pers sind, bei dem Eintritt in ihm Kampf ums Dasein ungünstiger 
gestellt sind als ihre normalen Konkurrenten, ist leicht verständlich. 
Die Beeinträchtigung, welche die Krimnel in dieser Beziehung er¬ 
fahren, kommt aber nicht nur direkt von der minderen Leistungs¬ 
fähigkeit ihres Körpers. Studien über die brverbsfalugkeit von 
Krüppeln haben gezeigt, dass vielfach auch Krimnel deswegen der 
wirtschaftlichen Verelendung verfallen sind, weil es ihnen nicht 
möglich gewesen ist, Berufe zu finden, für d : e ihre körperlichen und 
geistigen Balligkeiten sie geeignet machen. 


Recht wenig bekannt i ne d- ttc L'tan . 

K i iippeiienlens. Ich ha e n.i r c e m t . o . iu ti I «. d *«• •'*. 
Auge, w e I c h e k r u p p e t u nt t :i t s e r. e I r a .: c ' r s 
bringt und w cd he \ or .» ca 1 1 r.».t n ‘ c • ,i M k ' ..« 1 s. .v t 

steil tretlen. il.e au ihre ui K • i.ts' 1 oa a- - ..'M - s ‘-‘ v ' 

geborenen Kiuppcl und d e ui r iiM'i ligr ' K • ; e ca • • . ' - 

Ausser oi ilent.iw ii n nage tig v w .u:.' u. k • . ♦ : os ir a 

em Stietkmd der Natur ui.d g. •. ■ c • Me «m •- ’■ 

diente: massefi ben.iwite, gt zu s. n. I 1 . *:*, > I % w . xx-x 
dem KTwppelknule rdit im: s. s.e Pm s • 'm" ’m - k • , '*•- 

ganzes I eben. Die s>. i w 1 ::i In« - . w * m c. de m c tx\ 
haben sjiw ei w w ge ‘c n f m rsx , a: e L . •. - v k ’ 

pels. t s ist gar he ii /u c te . n.ixx . i. c_ r ’c: :m k ■' 

Zuge auf ti etc n. de .hcMacs w 

der M igertic rdic U der |V\ war, \ ti itt s ’ 1 L' m ■ 

lad. dass man a t di m 1 1 ■ .;‘m de r I r ,..e :. ’* • • - ' - ■ *• 
lasst, dass das \ - k den I e ii • k •’ . sst l * . •• s 

mau unter den I eatc n. de m. ga m s , . ■. , ' c - - '• t c . 

ii an auch unter den \ i ' i, 'jii c c .i •" .. ss. ,-•* , V 

h.iitci Iimh t. I *.i\ crs.rt vgl i . ,i..v c ^ • 1 - . ■ 

d:e K r :i;mm «d* il.res K * « 'ems c ’.■ • •, t ' . ■ s . ' m 

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des k r ii [i p e I e I c n d c s i i w ii t c n Z : • s* t .. . ’ v • v :< 

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folgsun-g ;c itke -teil i! c s*. u : w u s • • • t.u - ’ ' ’ Vc ' 

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Lt e h c n 1 1 e n d s der k ’ k • • c • w - v. ♦ « r vw. s : *a «. 

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t ii r des e Lc r ti ! e \ <• r I' e r e * c n t: •: 1 d t ' c r !’■ c r ’ c 

/ u I n Ii ( t u. t h s, ’i .c n -.ca • . - ’ x w i; c e r, w ■. . ’ c e ' M 

eine gute' a ’ ' g e ui eine v *. a u ’ d «; " w. d . ? ' k . i 

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K r Sippe nr s< I’ ge s , |; c >v i,'i ir i ; xx .. x . v . ■ * 1 m . d 

1 s t an \c's,!; t \ia’i ^ ’ X. I X . ■ • • w 

Zu m \ rst .1 te U X ’-d ’ iS • ■( • v I . •.SM R • - • .' ■ . • - 

e'amsw he :n k. [>c i .cd d v. 

Xest.iUi n w ’? d. tiu ! das x- . k‘ w 

u de I v!e i ge n.t! :,le I! e k' v ■ . • w e •. * I > . ' 

I UaitSw h a M d ai: xxw •)» i !• |'. i\ w ■ ,x \ ■ , , > 

k : i.'i'ln auxM ti !< } i ■ . ■ i . . b i m * x e x- • • . . , .. ... s. * ' 

c ntu iw kiiingsi.i! g ge/e .,t '.Mm. 

AiPg ihr ihr k • np: e m s • g t *: •«•'s m i • s. \" •-' ' e 1 ' ’ ... 

dem K"Pe rrhage n. r m l M . m V «n m .• . ’ v 1 e ’ : r - *t 
natiirhv h w nm<..- di imtc V". e ’mm. ,:•• c m < m \ • • 

L’s stellt S..1I 1 1 e r e ne s. ' c X M . . . e u , • sw \ 

er l< >r der t. bei yl» r a'c r a \ 1 -1 ,' ■ • I v • t ■■ ' /‘, , ’ ■ ! x ■ 

ehe* de ii t s v he ll X i r / te a c ‘ c • «‘ m I • e ' * ' • ■ .* x ‘ 


Herr Gustav 7 I m m e r m a n n: Die AKknmmodalion im 

Ohr. 

X'o.rtr. retVrie! t ijmt t_ r/ :. l 'vr reu *e A-'x-/,. .1 . 
angestellt w urden, irn d c W g ( •< ,V *- L. !■ M -x’- <’a 
Mittelnlir zu erklaum. S r ! • ü. ” d !* •'.r-s, .! - w ' -• 

/ufiiliriiug zum iimerrti < Dir d :• Ji d i •• e'- 

weder verbessert oder N . f m - ! •: > r tu b.-s. Id.’. 

tung incd.ti/uTt sein s. ” t . s. h« u .1 ;*. h d-■ \\ ! -x- - . 
unter stJi führten s.e auf de n <n ! i"*, ( m. .!.• xw . -•• \ >. 

Setzung, die (ie !n u k tn • Jr.’Jnm J . ■ * m d • * mg. tr • 

riwdrig sei. 

Es wird da r getan, dass Im d," . u . 1 • * -r SJ- d' 

füll rimg die (ielu*tLn*'w he Iw !:•. ti v.'i -g ’d' 1 * . - ’-*e I 

geblit’g, sr.udem PH r g'eiwli/e:' g ” ‘ *•« **' ■ ”» '.ms »• 

und dass d irtini d.ibt. j auw’i Ki ' e S* .. ’x* x. .. ' .m 

; würden, von denen mau S,’’ 1 * g ! . ^ g •• 

Ktiiinte. Per Sc’iaM weide d • m- t d-.h x 

knmpakteu Ktmclums der in x . |- • -- . .. . ..: }\ - 

silai fase»m X'enn tn. !t un.l d- r >•• g ' ’g. * ! • r ’ 

stärkere "d-*r isnln-’ t ihn b-, u . . • k 1 . " . v • | p 

Miiske!kniitrak*i"Ucn !a! \ : : *' ■-.«.• ■ ■ . • " • : e “ 1 '. s s. 

liinw ärtsriiwkeil Ii.ibe e : tie SP .!" !. " - g. - • c • . : e SP . " 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1459 


empfindung im Gefolge. Es wird das auf Grund hydrostatischer 
Gesetze zweifellos festgestellt und an der Hand von Experi¬ 
menten und Selbstbeobachtungen bewiesen. 

Vortr. zieht daraus die Nutzanwendung für die Physiologie, 
dass die reflektorische Verschiebung der Kette eine Druck¬ 
erhöhung in der »Kette auslöse, die in drei Richtungen bedeutsam 
sei: einmal um die schädlichen Wirkungen allzustarken Schalls 
zu vermeiden, zweitens um die grösseren Amplituden der auf 
tiefe Töne resonierenden Fasern zu kompensieren und drittens 
um gegenüber komplizierteren Schallbildern eine bessere Dif¬ 
ferenzierung der Einzelkornponeirten zu ermöglichen. Gerade 
in letzerer Beziehung sei der Name Akkommodation mit Vorteil 
zu verwenden. 

Zum Schluss wird noch kurz darauf verwiesen, dass diese 
physiologischen Ableitungen ihre Bestätigung in dem fänden, 
was die klinischen Beobachtungen bisher ergeben hätten. 

(Der Vortrag erscheint in erweiterter Form im Archiv f. 
Anat. und Physiologie, 1908.) 


Aerztlicher Bezirksverein Erlangen. 

(Bericht des Vereins.) 

164. Sitzung vom 29. Januar 1908. 

Herr Jamio demonstriert eine grössere Anzahl von Kindern 
mit positivem Ausfall der Konlunktival- und der Pirquet sehen 
Hautreaktion. 

Diskussion: Herr Penzoiüt fügt seine eigenen klinischen 
Erfahrungen mit dieser Methode an. 

Herr Graser: Ueber die Chirurgie der Hirntumoren (mit De¬ 
monstrationen). 

Diskussion: Herren Menge, Penzoldt. 

165. Sitzung vom 26. Februar 1908. 

Herr Nagel: Praxis des Stillens und dessen Einfluss auf die 

Entwicklung des Kindes. (Erschien bereits in No. 20 dieser Wochen¬ 
schrift) 

Diskussion: Herren Hauser, Penzoldt, Jamin. 

Herr Hauser: Ueber die krebsige Entartung des chronischen 
Magengeschwürs. 

Neben kurzen Bemerkungen über die klinischen Gesichtspunkte 
bespricht Vortr. eingehend an der Hand mikroskopischer und eni- 
diaskopischer Projektionen die pathologisch-anatomische Diagnose, 
die mit Sicherheit nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt durch die 
mikroskopische Untersuchung gestellt werden kann. Besonders wird 
darauf hingewiesen, dass die Differentialdiagnose gegenüber dem 
sekundär ulzerierten Karzinom nur dann möglich ist. wenn erst ein 
Teil des Geschwürsgrundes krebsig entartet erscheint, während in 
späteren Stadien der ganze ulzerierte Bezirk Krebselemente erkennen 
lässt und so meist eine sichere Entscheidung unmöglich ist. 

Vortr. berichtet unter Demonstration der diesbezüglichen mikro¬ 
skopischen Präparate über einen solch absolut eindeutigen Fall, der 
in einer Dissertation durch med. Prakt. Herold bearbeitet wird. 

Diskussion: Herr Penzoldt gibt die krankengeschicht¬ 
liche Notiz zu diesem Fall. Herr Denker. 

166. Sitzung vom 13. Mai 1908. 

Herr Königen Ueber die klinische Diagnose des einseitigen 
Zwerchfellhochstandes (der sogen. Eventratio diaphragmatica). Mit 

Demonstration einer Kranken. 

Unter den lediglich auf Grund des Röntgenbildes diagnostizierten 
un«d unter dem alten, aber unschönen Namen ..Eventratio diaphrag¬ 
matica“ publizierten Fällen von einseitigem Zwerchfellhochstand ist 
bisher kein Fall durch die Autopsie bestätigt, ein Fall dagegen als 
Hernie aufgeklärt. Der Vortr. bezweifelt die Stichhaltigkeit der für 
die klinische Diagnose der Eventratio diaphragmatica angeführten 
Momente des radiologischen Befundes und empfiehlt für die klinische 
Unterscheidung der Zwerchfellhernie vom Zwerchfellhochstand mehr 
die'Entwicklung und die sonstigen klinischen Symptome des Leidens in 
den Vordergrund zu stellen, welche in dem vom Vortr. beobachteten 
und demonstrierten Falle zur Diagnose einer Hernie führten. 

(Der Vortrag soll ausführlicher in dieser Wochenschrift mit- 
geteilt werden.) 

Diskussion: Herren Schittcnhelm. Spuler. J a m i n. 
Penzoldt. 

Demonstrationen: 

1. Herr Ja min bespricht die Dexiokardie im Röntgenbild unter 
Zugrundleeung einer eigenen Beobachtung bei angeborenem kom¬ 
plizierten Herzfehler. 

2. Herr Merkel demonstriert das betr. anatomische Präparat 
(fast totalen Defekt der Vorhof- und Kammerscheidewand mit Fehlen 
des Pulmonalkonus und Atresie des Pulmonalstammes bei Offen¬ 
bleiben des Ductus Botalli). 

Herr Merkel demonstriert ferner eine Photographie des Bauch- 
situs sowie das Sektionspräpara’t eines Falles von exzessiver Magen- 
ek teste, bedingt durch Knickung des Duodenums infolge Verwach¬ 


sung desselben mit der krebsig entarteten Gallenblase (Steine!). 
(Der Fall wird als Dissertation verwertet.) 

Diskussion: Herr Penzoldt bespricht eingehend die 
praktisch hochwichtige Frage der akuten Magendehnung im allge¬ 
meinen, mit besonderer Berücksichtigung des vorliegenden Falles. 

3. Herr Schittenhelm: Ueber Fälle von Rückfluss des 
Pankreassaftes in den Magen. 

Ausgehend vom den experimentellen Resultaten BoJdireffs 
über den Befund einer tryptischen Verdauung im Magen seiner Ver¬ 
suchshunde an Stelle der peptischen hat Sch. eine Reihe von Kranken 
auf das Vorhandensein von tryptischem Ferment in ihrem Magen¬ 
safte untersucht. Es haben sich dabei mehrere Fälle gefunden, welche 
zum Teil schon im nüchternen Magen, zum Teil .nach dem Ewald- 
Boas sehen Probefrühstück, einen alkalisch schwach sauer 
reagierenden Magensaft lieferten, welcher mir tryptische Verdauung, 
in einem Fall neben der tryptischen auch schwach peptischen Ver¬ 
dauung zu veranlassen imstande war. Der Magensaft wurde stets 
sofort nach der Ausheberung in dreierlei Proben untersucht, im ur¬ 
sprünglichen Zustand, bei Salzsäure- und bei Alkalizusatz. Dadurch 
dass bei dieser Versuchsanordnung unter völligem Fehlen des pep¬ 
tischen Fermentes nur Trypsin gefunden wurde, war es klar, dass es 
sich hier um Fälle handelte, wo eine Rückstauung von Pankreassaft 
im Sinne B o 1 d i r e f f s statthatte, welche zu einer Darmver¬ 
dauung im Magen an Stelle der Pepsinverdauung 
führte. Es ist möglich, dass es sich hier um einen pathologischen 
Zustand handelt, doch können auch andere Erscheinungen gefunden 
werden; jedenfalls ist es wichtig zu erwähnen, dass in allen positiven 
Fällen dauernd Magenbeschwerden bestehen. Weitere Unter¬ 
suchungen werden Aufschluss bringen. 

Diskussion: HH. Penzoldt, Schittenhel m. 

Geschäftliches. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom' 23. Juni 1908. 

Vorsitzender: Herr D c n c k e. 

Demonstration: 

Herr Trömner demonstriert a) einen unter dem Namen 
„Penteapparat“ marktschreierisch angepriesenen Apparat zur „Hei¬ 
lung und Verhütung des Stotterns“ und warnt vor dem damit ge¬ 
triebenen Unfug. 

Diskussion über den Vortrag des Herrn Nonne: 
Meine Erfahrungen über die Diagnose und operative Behand¬ 
lung von Rückenmarkshauttumoren. 

Herr Trömner kann nur einen negativen Beitrag zu dem 
Thema üefern — eine nach Beriberi aufgetretene Erkrankung mit 
allen Symptomen einer Dorsalmyelitis, bei welcher sich autootisch 
ein Tumor fand. Zur Differentialdiagnose stellt Tr. dann eine 56jähr. 
Frau vor: Vor 5 Monaten rheumatoide Schulterschmerzen, dann all- 
mählige Lähmung des linken Armes; Status: atrophische Lähmung 
der Schultermuskeln, am stärksten des Deltoideus, starke Parese aller 
übrigen Armbewegungen, rechtsseitige Hypästhesie für Schmerz- und 
Wärmeempfindung, dagegen Hyperästhesie links und rechts an Hals 
und Nacken bis zum Gebiet der 4. Zervikalwurzel. Also links¬ 
seitige Wurzel- und Halbseiten-(Brown-S6quard)-Läsion des Hals¬ 
marks, in der Höhe etwa der 3.—8. Wurzel. Da sich aber ausserdem 
doppelseitige reflektorische Pupillenstarre, geringer Romberg und 
Areflexie fand, muss die Diagnose nicht auf Tumor spinalis, sondern 
auf Meningitis cervicalis luetica mit Hinterstrang¬ 
veränderungen gestellt werden. Die Anamnese bestätigte die 
Diagnose: Vor 13 Jahren Luesinfektion, vor 3 Jahren Okulomotorius¬ 
parese. 

Herr L u c e ma^Iit in different.-diagnostischer Beziehung auf die 
Peripachymeningitis tuberculosa und sarcomatosa aufmerksam. Er 
hat in einem Falle,, wo bei einem % jährigen Kinde 8 tägiges Fieber 
bestanden hatte, dann Rückenmarkkompressionserscheinungen auf¬ 
getreten waren, einen tuberkulösen Prozess angenommen; bei der 
Operation zeigte sich ein Rundzellensarkom, das durch das 6.. 7. und 
8. Foramen intervertebrale nach der Dura gewuchert war. Umge¬ 
kehrt fand sich bei einer 57 jähr. Frau, die kein Fieber, niemals tuber¬ 
kulöse Erscheinungen gehabt hatte, erst an ein- dann an doppel¬ 
seitigen Interkostalneuralgien gelitten, Empfindlichkeit des 3—5. 
Dornfortsatzes, umkomplette Lähmung, schliesslich absolute Kom¬ 
pressionslähmung hatte, anstatt des angenommenen Tumors eine ge¬ 
schwulstartige. tuberkulöse Masse, ausgehend von 2 kariösen Wirbeln. 

Herr Sick berichtet über, die chirurgischen Erfahrungen: Von 
22 Tumoren sind 3 geheilt, 1 gebessert, von 20 Spondylitisfällen 5. 
von 3 Frakturen mit Kompression 2. Die Operation gehört zu den 
technisch schwierigsten. Der rasche Abfluss des Liquor cerebro¬ 
spinalis muss verhütet werden. Möglichst früh operieren, bevor 
Lährnungserscheinungen. Kräfteverfall und Dekubitus die Prognose 
noch mehr trüben. 

Herr Sänger gibt eine Anzahl Krankengeschichten: 3 intra¬ 
durale, 2 extradurale Tumoren, von denen der eine dadurch be¬ 
merkenswert ist. dass er völlig schmerzlos verlief, 4 vom Wirbel aus- 


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1460 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT« 


No. 27. 


Rehende Tumoren, die operativ angegriffen werden mussten, 3 Fälle 
von Meningitis serosa spinalis circumscripta, sogen. Arachnoideal- 
zysten. Die operativen Erfolge waren meist schlecht. S. bespricht 
die Schwierigkeit der Höhenlokalisation, da einerseits die Schmerzen 
ausstrahlen, andererseits über dem Tumor der Liquor sich staut und 
Reizerscheinungen macht. 

Herr Lenhartz ist überrascht über die schlechten Resultate, 
der von Sick und Sänger gegebenen Statistik. Er erinnert an 
einen Fall, der operativ in Angriff genommen wurde, wo aber eine 
abundante Blutung 2 mal den Chirurgen abhielt, die Operation aus¬ 
zuführen. Es wurden dann Atoxylinjektionen gemacht, und Pat. 
genas. Er warnt ferner vor zu frühem Operieren bei akuten post¬ 
infektiösen Rückenmarkserkrankungen. Er sah einen solchen Fall 
nach Typhus; kolossale Schmerzen und eine fortschreitende Atrophie 
in einem Bein legten den Gedanken einer Operation nahe. Eine Ber¬ 
liner Autorität riet zu, Lenhartz ab. Der Kranke genas. 

Herr B ö 11 i g e r berichtet über seine bisherigen Erfahrungen 
und erinnert zunächst an seine früheren Demonstrationen. Die erste 
betraf eine Karzinommetastase des 4. Brustwirbels, welche operiert 
wurde (F. Krause). Die zweite betraf einen in Lokalisation und 
Segmentdiagnose richtig erkannten subduralen extraspinalen Tumor, 
der von Krause operiert und geheilt wurde 1898 und 1900. Dazu 
kommen 2 weitere Fälle: Ein 36jähr. Lehrer erkrankte März 1905 
an einer mit Brown-Sequard sehen Symptomen beginnenden, 
rapide zunehmenden Querschnittserkrankung. Lues wurde negiert. 
Diagnose: Tumor extraspinal subdural liegend, in Höhe des 4. Dorsal¬ 
segments. Die Operation (Dr. Schwertzel) bestätigte die Dia¬ 
gnose. Es fanden sich 3 erbsen- bis bohnengrosse Fibrome, die 
schmale Schichten gummöser Substanz enthielten. Es wurde Hg-Kur 
angeschlossen. Der Verlauf war sehr günstig. Es besteht nur noch 
eine leichte spastische Parese des rechten Beines. Pat. geht seinem 
Beruf wieder nach. Fall 4: 37jähr. Fräulein, Oktober 1907. Beginn 
vor einem Jahr mit Wurzelneuralgien, nach V-j Jahre Schwere im 
rechten Bein, Analgesie*, im linken. Brown-Sequard, Druck- 
empfindlichkeit des 4. und 5. Dornfortsatzes der Dorsalwirbe’säule; 
keine deutliche Deformität. Pat. war nie tuberkulös erkrankt ge¬ 
wesen. Operation (Dr. Schwertzel) in Höhe des 4. Wirbel¬ 
körpers, in dem sich eine kleine Karies fand, von der aus ein gut 
kirschengrosser Abszess extradural, gegen das Rückenmark von 
vorn drückend, ausgegangen war. Auskratzung. Streckverbaixl. 
Die Kranke starb einen Monat später an Erschöpfung und Hypostasen. 
— Endlich gibt B. eine Krankengeschichte besonderer Eigenart. Die 
Dame erkrankte 1899 mit Wurzelneuralgien, war bis Ende 1900 total 
paraplegisch geworden, besserte sich spontan von 1903 an. 1904 in 
Halle Diagnose Tumor gestellt und Frage der Operation erörtert. 
B. fand noch 1906 das ausgeprägte Bild des Tumor spinalis. Seit 1907 
geht die Kranke wieder ohne Stütze, jetzt bereits eine Stunde lang 
ohne Beschwerden. B. glaubt an eine Spontanheilung einer Karies 
oder eines meningealen Tumors. B. hebt besonders die heutige 
Leichtigkeit einer Segmentdiagnose, dagegen die Schwierigkeit der 
Tumordiagnose und seiner Differentialdagnose hervor. Herr Nonne 
betont Lenhartz gegenüber die günstigeren Zahlen seiner und 
B ö 11 i g e r s Statitstik gegenüber den von Sick und Sänger ge¬ 
brachten, weiter zurückliegenden Zahlen. Offenbar haben Zufällig¬ 
keiten aller Art bei den ungünstigen Ausgängen mitgewirkt. N. warnt 
vor Atoxylbehandlung, die erstens die beste Zeit fortnähme und 
zweitens an sich nicht ungefährlich sei. Gerade auf die früh¬ 
zeitige Operation kommt es an. Daher geniere man sich nicht, 
eine probatorische Laminektomie in suspekten oder unklaren Fällen 
machen zu lassen. Die Gefahren der Operation stehen in keinem 
Verhältnis zu der Sicherheit, mit der der Kranke sonst bei verfehlter 
Diagnose elend zu Grunde gehen muss. Je grösser die Zahl der Be¬ 
obachtungen wird, desto komplizierter wird das Symptombild, das 
der Tumor machen kann. Die Fälle mit schmerzlosem Verlauf, die¬ 
jenigen mit komplizierenden Kernsymptomen mit gleichzeitigem Vor¬ 
kommen von intra- und cxtraduralen Tumoren oder von Kombi¬ 
nation von Tumor mit Syphilis sind besonders lehrreich und geben 
schwer zu lösende Rätsel auf. Werner. 


Naturhistorisch-Medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 26. Mai 1908. 

Herr V ö 1 c k e r: Erfahrungen in Zystoskopie und Nieren- 
Chirurgie. 

Diskussion: Herr Menge. 

Herr R. O. Neumann: Ueber protozoische Parasiten im 
Blut von Meeresfischen. 

Vortragender berichtet über die Ergebnisse seiner Unter¬ 
suchungen über protozoische B 1 u t p a r a s i t e n bei 
Meeresfischen, die er im Frühjahr d. J. in der Z o o 1 o - 
gischen Station in Neapel angestellt hat. An Meeres¬ 
fischen sind in systematischer Weise kaum noch Unter¬ 


suchungen ausgeführt worden und es liegen nur einige Be¬ 
obachtungen von französischer Seite über das Fischmaterial 
aus dem englischen Kanal vor. Aus anderen Meeres¬ 
teilen und auch vom Golf von Neapel waren weder die 
Fisch arten, welche Parasiten beherbergten, noch die Art 
der Parasiten selbst, noch das Mengenverhältnis 
derinfiziertenFische bekannt. Das Material, welches 
Neu mann untersuchen konnte, beläuft sich auf über 
600 Fische mit 62 verschiedenen Spezies. Davon 
waren 120 Fische infiziert, welche 13 Spezies angehörten. 

Aehnlich wie die französischen Forscher fand er bei den 
untersuchten Fischen T rypanosomen und Hämo g re - 
g a r i n e n, ausserdem konnte er bei 2 Spezies Spiro - 
chäten, die bisher bei Fischen noch unbekannt sind, nach- 
weisen. T rypanoplasmen fanden sich nicht. 

Die Parasiten verteilten sich in den verschiedenen Fischen 
folgendermassen. 

Un K hte 


Gobius pagancllus.1 

Solea lutea. 

Gobius minutus ...... ^ 

Torpedo ocellaris. 

Scorpaena scrofa. ) 

Scorpaena ustulasa ...... | 

Raja punctata.[ 

Raja oxyrhynchus.[ 

Trigla corax .I 

Pelamys sarda .. . . 1 

Gadus minutus./ 


Hämogre- 

garinen 


Trypano¬ 

somen 

Spirochäten 


132 

12 

46 

8 

3 
17 
14 

1 

4 
3 
8 


103 

2 

2 

2 

1 

1 

2 

1 

1 

1 

1 


Ein Exemplar von Gobius minutus enthielt bisher 
nicht beschriebene Teilungsformen, in denen sich 16 bis 
62 merozoitenähnliche junge Parasiten entwickelt hatten. Die¬ 
selben Formen fanden sich auch in 2 unter 56 Exemplaren von 
Arnoglossus Grohmanni. Endlich wurden in e i n e m 
von 32 jungen Haifischen (Scyllium canicula) sonderbare 
gainetenähnliche grosse Parasiten, welche in ausgewachsenem 
Zustand das Blutkörperchen vollkommen ausfüllen und öfter das 
Chromatin getrennt vom Protoplasma zeigen, angetroffen. 
Ueber die Stellung der beiden letzten Parasitenarten im System 
konnten ganz sichere Angaben zurzeit noch nicht gemacht 


werden. 


In allen den obengenannten Fischen sind Parasiten proto- 
zoischer Natur bisher noch nicht angetroffen worden. Nur in 
Raja punctata haben auch die französischen Forscher 
Trypanosomen und auch Hämogregarinen ge¬ 
funden. 

Zieht man die Tatsache in Betracht, dass unter 614 Fischen 
120 infiziert waren, so scheint das Prozentverhältnis der In¬ 
fizierten zu den Normalen recht bedeutend zu sein. Schaltet 
man aber die eine Art: G o b i u s p a g a n e 11 u s, bei der allein 
unter 132 103 Parasiten enthielten, aus, so kommen auf 
482 Fälle nur 17 infizierte — 3,5 Proz. 

Interessant ist die Tatsache, dass alle infizierten 
Fische zu denen gehörten, welche am Grunde des Meeres sich 
aufhalten und auf dem Boden liegen, wie z. B. die Plattfische 
us\v„ mit Ausnahme von Pelamys sarda. Diese Lebensweise 
führt insofern eher zu der Infektion, als parasitenüber¬ 
tragende Zwischenxvirte resp. Wirte leichter diesen Fischen 
beikommen können. Es gelang dem Vortragenden eine Reihe 
mit Blutegeln (P o n t o b d e 11 a m u r i c a t a) behafteter 
Fische, so z. B. Torpedo ocellaris, Raja punctata 
und Raja oxyrhynchus, zu finden, welche z. T. mit 
Trypanosomen infiziert waren. Durch weitere Unter¬ 
suchungen konnte festge^ellt werden, dass die Trypanosomen 
in Pontobdella muricata morphologische Verände¬ 
rungen, die in manchen Stadien an Ruheformen von Grega- 
riiien, dann wieder an Herpetomonasformen und Crithidia- 
formen erinnerten, durchmachen. 

Diese wichtige Tatsache, welche bei Süsswasserfischen 
von K e y s s c 1 i t z an Trypanoplasma zuerst genauer 
studiert wurde, Hess die schon früher vermutete Möglichkeit 
einer Uebertragung der Trypanosomen durch die Blut¬ 
egel als sicher erscheinen. Die Bemühungen des Vortr., eine 
künstliche Infektion durch infizierte Pont- 


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Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1461 


obdella bei Rajapunctat a z ustande zu bringen, 
hatten Erfolg und es gelang nach dem An¬ 
setzen von Egeln in ca. 10 Tagen im gesunden 
Fisch Trypanosomen nachzuweisen. 

Der Vortrag wurde erläutert durch eine grosse Anzahl mi¬ 
kroskopischer und makroskopischer Demonstrationsobjekte 
und Bilder. Die Arbeit wird ausführlich an anderer Stelle er¬ 
scheinen. 

Diskussion: Herren Iggersheimer, Neumann. 


Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. März 1908. 

Vorsitzender: Herr Unverricht. 

Herr Brandt demonstriert: 1. Lupus erythematodes, 17 Jahre 
bestehend. 

2 . Ekzema tyloticum manum. 

3. Lupus exfoliativus. 

4. Ekzema barbae folliculare, Folliculitis barbae. 

5. Sycosis tonsurans des Mons veneris parasitär. 

6. Lues III. und zwar multiple Eifloreszenzen. 

Herr Wiesenthal: Ueber epidemische Genickstarre. 

Gelegentlich eines vom Redner behandelten Falles von 
echter epidemischer Genickstarre gibt er zunächst ein aus¬ 
führliches Referat über diese Erkrankung, ihre Ausbreitung 
nach den statistischen Angaben besonders in den letzten Jahren 
bis zum Februar d. J., ihren Erreger, den Weichsclbau mi¬ 
schen Meningokokkus. Nach kurzer Schilderung der patho¬ 
logisch-anatomischen Verhältnisse nach der Darstellung W e - 
sienhöfers und Goepperts wird der typische Krank¬ 
heitsverlauf beschrieben und »die Möglichkeiten der Diagnose 
geschildert. Im Speziellen verweilt der Redner längere Zeit 
bei der Frage der differentiellen Diagnose, der Prophylaxe und 
der Behandlung. Bei dieser redet er der häufig zu wiederholen¬ 
den Lumbalpunktion und der Serumtherapie das Wort. 

In Bezug auf den von ihm mit Prof. Keller, Sanitätsrat 
Dr. Schreiber (Augenarzt) und Dr. Meier (Ohrenarzt) be¬ 
handelten Fall erwähnt er besonders folgende, ihm als vornehmlich 
auffällig erscheinende Symptome: Margarete F., 6 Jahre alt, kon¬ 
stitutionell nicht erkrankt und ohne lymphatischen Habitus; Kind von 
in guten, besonders in sanitärer Beziehung besten Verhältnissen 
lebenden Eltern, erkrankt ohne jede Vorboten nach 3 tägigem 
Schulbesuch. Die sofortige Untersuchung ergibt: Temperatur 38,7°. 
freies Sensorium, Zunge etwas belegt; der ganze Rachen, soweit er 
sichtbar, sowie Gaumenmandeln ausserordentlich blass, wie die 
Schleimhäute schwer Anämischer. Magengegend etwas aufgetrieben, 
aber nicht empfindlich, Stuhlgang war tags vorher erfolgt. An Brust- 
und Bauchorganen nichts besonderes nachweisbar, dagegen auf der 
Haut, in der Mitte der Sterni, am unteren, seitlichen linken Rippen- 
'bogen und oberhalb der Symphyse vereinzelte, im ganzen vielleicht 
7 unregelmässig angeordnete linsengrosse, wasserhelle Bläschen, die 
beim ersten Sehen den unzweifelhaften Eindruck von Varizellen 
machten. Nach 5 Stunden war -das Fieber auf 40,1 gestiegen, die 
beobachteten Bläschen waren völlig verschwunden, ohne auch nur 
die geringsten Spuren zu hinterlassen. Nach weiteren 5 Stunden 
betrug das Fieber 40,2, fiel nach derselben Zeit auf 38,3, um nach 
nochmaligen 3 Stunden (2 Uhr nachts) die Höchsttemperatur von 
.«r».S zu erreichen. Puls betrug 160. Es war 24 ständiges unstillbares 
Erbrechen und heftiger Kopfschmerz eingetreten. Am 4. Tage zeigte 
sich eine ausserordentlich starke Starre der ganzen Wirbelsäule, die 
am nächsten Tage zurückging und sich nur auf Hals und oberen 
Rückenteil beschränkte. Die Haut- und Kniereflexe waren erhöht. 
Kernig sches Symptom war vorhanden. Das Kind nahm dauernd 
selbstgewählte Seitenlage ein, zunächst nur links. Am 5. Krankheits¬ 
tage klagte es über heftige Schmerzen am linken Oberschenkel und 
als wir es herumdrehten, gewahrten wir varizellenartige Bläschen, 
w ie am ersten Tage. Diesmal aber waren sie mehr in Gruppenform 
angeordnet, wie bei Herpes zoster; sie verschwanden auch nicht, 
vielmehr wurde der Inhalt der Bläschen trübe, das Unterhautzell¬ 
gewebe entzündete sich in zum Teil über fünfmarkstückgrosser Um¬ 
gebung, es bildeten sich Abszesse, die später gespalten werden 
mussten. In der zweiten Woche litt das Kind unter den verschieden¬ 
sten Gesichts- und Hautneuralgien und unter furchtbaren, Tag und 
Nacht anhaltenden Jaktationen. Mit dem stereotypen Wort „rum“, 
das Patientin jedesmal ausrief, veraniasste sie ihre Umgebung, sic 
mehr als 20 mal in der Stunde auf die andere Seite zu legen. — Der 
erste Augenspiegelbefund fiel völlig negativ aus, dagegen zeigte sich 
auf dem linken und später auch aut dem rechten Ohr eine Otitis 
media, die gar keine subjektiven Erscheinungen gemacht hatte, die 
aber bei der von Dr. Meier sofort vorgenommenen Parazentese 
reichlich Pus absonderte. Im Blut, im Nasenschleim, im Halsabstrich 
wurde bakteriologisch zunächst nichts Typisches gefunden, im Ohr¬ 


eiter Streptokokken und plumpe. Gram-positive Diplokokken. Erst 
bei der dritten, durch Lumbalpunktion gewonnenen Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit, sowie bei der zweiten mikroskopischen Ohreitcrunter- 
suchung wurden Meningokokken gefunden, von denen im hiesigen 
| bakteriologischen Institut (Dr. Gun dl ach) Kulturen angelegt 
| werden konnten, deren Identität durch Vergleiche mit Stammkuituren 
| festgestellt ist. Vom weiteren Verlauf ist noch mitzuteilen, der fiir 
i sporadische Fälle besonders typische Verlauf der Fieberexazer¬ 
bationen und Remissionen, das Auftreten von Herzschwächeanfällen 
in der 3. und 4. Woche von kurzer Dauer und eines sehr schweren, 
sich über 24 Stunden hinziehenden Herzkollapses mit nicht mehr 
fühlbarem Puls, stark beschleunigtem Atmen, Zyanose des Gesichts 
in der 5. Woche, schwere Erscheinungen von seiten der Sehnerven 
und doch der schliesslich günstige Ausgang, wie er ebenfalls bei 
derartigen, sich über Monate hinziehenden Fällen nicht selten ist. 
Die objektiven KrankheitssymDtome an Augen und Ohren bildeten 
sich zurück, sowie auch der in der Rekonvaleszenz (im 4. Monat) 
aufgetretene, sehr erschwerte, steife, etwas schleifende sogen, 
spastische Gang. Das Kind wurde völlig gesund. 

Therapeutisch wurden gegen die Jaktationen mit Erfolg Chloral- 
hydratklysmata (1:100) gegeben, gegen die Herzschwäche Digitalis 
abwechselnd mit Strophanthus, bei dem schweren Kollaps 14 Kampher- 
spritzen, nach denen sich jedesmal die Herztätigkeit und der Puls hob. 
Von heissen Bädern sahen wir keine beruhigende Wirkung, wohl 
aber, wenn auch nur vorübergehend, von unseren 4 Lumbalpunk¬ 
tionen, bei denen 10 ccm — 2 Tropfen — 40 ccm — 20 ccm — Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit entnommen wurden. Eine Serumbehandlung ist nicht 
erfolgt, weil unser frühzeitiger Verdacht auf echte Genickstarre erst 
spät bakteriologisch festgestellt wurde. 

Das Woher der Ansteckung ist in diesem Falle, wie oft bei 
den sporadisch auftretenden Fällen, völlig dunkel geblieben — auch 
nicht eine Spur hat sich verfolgen lassen. Dagegen ist wichtig und 
interessant, dass eine gleichaltrige Schulfreundin, Marie Louise v. H.. 
die sich mit dem erkrankten Kinde noch tags zuvor geküsst hatte, 
völlig gesund geblieben ist. Ueberhaupt sind Ansteckungen von 
diesem Falle nicht vorgekommen, wie auch in den Mauern Magde¬ 
burgs und darüber hinaus dies der einzige Fall geblieben ist. Aller¬ 
dings war die Absperrung des Kindes und seiner Umgebung eine der¬ 
artige, dass z. B. der Vater des Kindes auf Anordnung des hiesigen 
Kreisarztes über 2 Monate vom Geschäfte ferngeblieben ist und dass 
Dritte mit der Familie überhaupt nicht in Berührung kamen. Zum 
Schluss redet der Vortragende einer Krankenhausbehandlung das 
Wort. Ganz abgesehen von den Schädigungen, die der betr. Arzt 
bei ängstlich besaiteten oder sagen wir ganz besonders vorsichtigen 
Familien in seiner Klientel erleidet, ist auch für die betr. Familie die 
Durchführung häuslicher Behandlung mit schwersten Opfern ver¬ 
knüpft. Dazu kommen noch allgemeine Rücksichten, die zunächst 
von den Beteiligten, wie auch vom Arzt nicht genügend beachtet 
werden: Die Mitbewohner eines solchen mit einem Genickstarre- 
kranken belegten Hauses werden geschäftlich und auch im pri¬ 
vaten Verkehr gemieden und können dadurch leicht Schädigungen 
erleiden. 

Herr P. Schreiber: Ueber Augenveränderungen bei epi¬ 
demischer Genickstarre. 

M. H.! Der von Herrn W i e s e n t h a 1 des genaueren beschrie¬ 
bene Fall von epidemischer Genickstarre bietet auch okulistisch 
manches Interessante: Ich wurde zu dem Falle hinzugezogen, als 
die Krankheit bereits diagnostiziert und polizeilich gemeldet war. 
Die Augenuntersuchung bei der ersten Konsultation am 29. IV. 07 
ergab jedoch ein absolut negatives Resultat. Weder war eine 
Neuritis optica, noch gar eine metastatische Ophthalmie oder eine 
Augenmuskellähmung zu konstatieren. Die auffallend weiten Pupillen, 
welche bei den häufigen Schmerzanfällen maximal weit wurden, 
jedenfalls infolge von Sympathikusreizung, reagierten deutlich auf 
Lichteinfall. Erst am 11. V. konnte eine deutliche Neuritis optica 
auf beiden Augen festgestellt werden, welche augenscheinlich mit 
einer Sehstörung verbunden war und welche bis zum 22. V., au 
welchem Tage Pat. bereits fieberfrei war. entschieden zunahm. Am 
genannten Tage waren die Papillargrenzen äusserst verwaschen 
und die Venen zeigten starke Stauung, ohne dass man jedoch von 
Stauungspapille reden konnte, auch waren keine Netzhautblutungen 
zu sehen. Pat. machte einen entschieden hochgradig schwachsichti¬ 
gen Eindruck. Bei der nächsten Untersuchung am 3. VI. bot das 
Kind ein durchaus verändertes Bild. Erstens hatte sich das Sehver¬ 
mögen ganz merklich gehoben, infolgedessen war die Pupillenreaktion 
eine äusserst flotte. Der Augenspiegelbefund war fast normal zu 
nennen. Die Neuritis war abgeklungen und die Panillargrenzen 
traten wieder deutlich hervor. Auf Grund dieses Befundes wurde 
die Prognose des Falles günstig gestellt, und wenn auch die völlige 
Heilung noch Monate in Anspruch nahm, so ging doch die damals 
auf Grund des Augenspiegelbefundes gestellte Prognose glänzend 
in Erfüllung. Eine am 27. XI. 07 ausgeführte Schlussuntersuchung 
des Kindes ergab ein in jeder Beziehung erfreuliches Resultat. Seh¬ 
schärfe und Gesichtsfeld waren auf beiden Augen bei normalem 
Augenspiegelbefund vollkommen normal. 

Der beschriebene Fall ist nun insofern interessant, als die von 
den verschiedensten Autoren beobachtete Neuritis optica, beiläufig 
gesagt die häuftest beobachtete Augenkoniplikation bei epidemischer 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1462 


Nn. 


Genickstarre, im vorliegenden Kalle erst 2(» Tage nach Beginn der 
Erkrankung auftrat lind nur ca. 14 Tage bis .1 Wochen zu beobachten 
war. Es wäre danach wohl denkbar, dass eine Neuritis optica noch 
hüufixer im Verlaut der epidemischen (ienickstarrc auitntt. als es 
bisher beobachtet ist, denn es gehört, wie dieser I all lehrt, ein öfteres 
Augenspiegeln dazu, um eine Neuritis nach/uw cisui. Wie schon er¬ 
wähnt, hatten die Augerispiegelimtersiicliimgeti in den ersten Wochen 
des Bestehens der Krankheit ein durchaus negatives Resultat er¬ 
geben. 

Herr Meier referiert über die klinischen Erscheinungen und 
pathologisch-anatomischen Veränderungen des Mittelohres und Ohr¬ 
labyrinths bei übertragbarer Genickstarre, sowie die topisch- 
neuritischen Veränderungen des Gehörorganes. 

Bei dem hier behandelten Fall hat es sich um eine reine Mittel¬ 
ohraffektion gehandelt, die klinisch symptomlos verlauten war mul 
erst mit dem Ohrenspiegel entdeckt wurde. In dem durch Para¬ 
zentese entleerten Exsudat war der Menmgococcus iutracellularis 
gefunden und gezüchtet worden. Das Besondere war. dass die voi- 
aufgegangenen bakteriologischen Untersuchungen der durch Lumbal¬ 
punktion gewonnenen Zerebrospinalflüssigkeit negativ ausgefallen 
waren und erst der positive Meningokokkenbefimd des Ohreiters 
die Diagnose sichcrstclltc. 


Aerztlicher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. Mai 190S. 

Vorsitzender: Herr T u c z e k. 

Schriftführer: Herr Sardern a n n. 

Vor der Tagesordnung demonstriert Herr Krusius einen Lall 
von sympathischer Ophthalmie in Form einer plastischen Irido¬ 
zyklitis bei einem Jungen, die sich drei Wochen nach einer perfo¬ 
rierenden Stiehverletzung am Limbus nahe dem Ziliarkörper ent¬ 
wickelt hatte. Die Wunde an sieli war gut geheilt und das Auge nur 
massig injiziert. Das primär erkrankte Auge hatte bei der Auf¬ 
nahme (d Wochen nach der Verletzung) ein Sehvermögen von 
Fingern in 2 m, das sekundär erkrankte hatte noch normale Seh¬ 
schärfe und zeigte nur mehrere feine Prnzipitate an der hinteren 
Hnrnhautwand und hintere Synechien. Allgemeimmtersuelmng war 
negativ. Energische Schmierkur wurde cmgclcitet, Atropin und 
subkonjunktivale Kochsalz.injcktioncii gegeben. Trotzdem sank m 
den nächsten Tagen der Visus des sekundär erkrankten Auges bis 
auf \o, während der Visus des primär ei krankten Auges sich etwas 
hob und sich der ophthalmoskopische Befund dieses Auges besserte. 
Ls wurde deshalb von der Enukleation des verletzten Auges abge¬ 
standen. In den dann folgenden lagen hob sieh der Visus dieses 
Auges bis auf ‘/io und ebenso der des anderen Auges wieder bis auf 
’/a bei Besserung der iridozyklitisehen Erscheinungen. Gestutzt auf 
diesen Fall und ähnliche in der Literatur erw ähnte rat Vnrti agcmlcr. 
nicht zu leicht zur Enukleation zu greifen und lieber ab/uw arten, 
zumal auch die moderne Metastasentheorie (Romei) einen solchen 
Eingriff nicht mehr unbedingt fordert, da ja da mach eine schon er¬ 
folgte Aussaat in den Körper angenommen werden muss und man 
durch die Enukleation nicht mehr den einzigsten Iniektioiisherd 
entfernte. 

Herr Römer: Spezifische Lieberempfindlichkeit und Tu¬ 
berkuloseimmunität. 

Wie die Tubcrkuloseiniminiisicrinigsarbeitcn der letzten 
Jahre übereinstimmend gezeigt haben, kann man Rinder durch 
intravenöse Injektion mit für Rinder schwach virulenten In - 
berkelbazillen immunisieren gegen nachfolgende Infektionen mit 
virulentem Rindertuberkulosevirus. Man erzielt aber auch eine 
erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen tuberkulöse Infektionen, 
wenn man zur immunisierenden Vorbehandlung rindvirulente 
Tuberkelbazillen in schwacher Dosis nimmt. Mau erzeugt also 
eine schwache Tuberkulose beim Rinde, die gegen nachfolgende 
Infektionen Schutz verleiht. Der Vortragende hat nun Ge¬ 
legenheit gehabt, das gleiche Phänomen bei tuberkulösen Meer¬ 
schweinen zu beobachten, und setzt des näheren die Be¬ 
dingungen auseinander, unter denen man beobachten kann, dass 
ein tuberkulöses Meerschwein sielt gegen nachfolgende Infek¬ 
tionen widerstandsfähig erweist. Die Aufstellung dieses Phä¬ 
nomens selbst geht übrigens, wie der Vortragende hervorhebt, 
schon aut Koch zurück. J *' 

Diese erhöhte Widerstandsfähigkeit tuberkulöser Indi¬ 
viduen gegen eine nette von aussen kommende Infektion bringt 
der Vortragende in kausalen Zusammenhang mit einer bei 
tuberkulösen Individuen zu beobachtenden l'eberempfiiullich- 
keit gegen Ttiberkelbazillen. Zu der gleichen Theorie, die der 
Vortragende übrigens schon im August 1 ( >07 in der Sociedad 
ttfedica Argentina vorgetragen hat, ist auch W o 1 f f - E i s n e r 


(\ergl. Brauers Beiträge zur Klinik der I uhcrki.ti<* s e, Ja¬ 
nuarheft |9o.s) gekommen. 

Die I atsache. dass eine tuberkulöse 1 1 :!e kto *11 erhöhte W j~ 
derstandsiiiliigkeil gegen weitere. \ <m aussen kommende In¬ 
fektionen \erleiht. kann von aulKlarender Bedeutung mr ver¬ 
schiedene, schwer verständliche ejnJemiuI'igisJie latschen 
sein, auch praktisch hygienischen Bestrebungen in der I uher- 
kiilosebekämpfimg bestimmtere Wege weisen. 

(Der Vortrag erscheint ausführlich in Brauers Bei¬ 
trügen zur Klinik der I u b c r k u 1 o s e.) 

Herr Mayer berichtet über d.e Erfahrungen, die n..: 
Skopolamln-Morphiuminiektionen bei Geburten an der Mar- 
burger Frauenklinik gewonnen wurden. NaJi kurzer Berück¬ 
sichtigung der ersten Anwendung des Skopolamin-Morph um i:i 
der (iebiirtslnlle. der günstigen Erfahr ungett an der Freiburger 
Frauenklinik und der ungünstigen an der Charikiraaeukm .k in 
Berlin und der Leopoldschen Klinik in Dresden, besprich; 
er die I eJimk der Anwendung. Er gellt dann zur Frage dt r 
Berechtigung über, ob ein soldits Medikament einer Gebären¬ 
den gegeben werden darf, wobei nicht nur die Mutter, sondern 
auch das Kind berücksichtigt werden muss. 

Es werden folgende Anforderungen an das Mittel gesteht: 

I. Darf keine Beeinflussung des pliys;o!»»g,schen Gebarts- 
ablanfes stattfinden, 

II. keine Schädigung der Mutter e ntreten und 

III. keine Giitwnkimg auf dm kindlichen Organismus vor- 
handen sein. 

Herabsetzung der \\ elientaiigkeit wurde mJit beobachtet, 
ebenso keine ernsteren Nac hgeburtsst. .rimgen. wdi! aber trat 
Verschlechterung der BauJipresse ein und Schädliche E r.vv.r- 
kimg auf den kindlichen Organismus bei Anw eirn.ing grosserer 
Dosen. Als unangenehmste Nebenwirkung waren ha..hg ver¬ 
schieden hochgradige Auiregungs/iistaiide der Mutter e.rge- 
treteii. 

Was die (iesamtresultate betrifft, so wurde unter den 5" 
beobachteten Fallen in 

4l» Pr<*/. W irkung. a's.» ..Kunst'; Jicr I *a:t.iiit;scMat** erzielt, 

m -12 Pr<»/. Ihp.egevc und 
ui 12 Pro/, keine W ir kung. 

Der Vortragende kommt zu dem Schluss, dass eine stän¬ 
dige l'eberw achung der Kreissenden bei der Skojx«:.im!n-M<*r- 
phmmanw enduiig notig ist und dass deshalb d.e Methode nicht 
für den praktischen Arzt geeignet ist, sondern nur in klenken 
angewandt werden darf. 

(Der Vortrag erscheint in evunso im /eiitralblatt für Gv- 
nakologie.) 

Diskussion: Herr M »ic k c ! lat- nt. dass er d e >s- p- - 
l;*tn i n - M« »i plniinin.il kose als einen sein N ad; Je nsw erteil \ om;2i m 
dem Best leben, die Geburt Schmer zios zu gi sia.teu. ane r k e n ••.!. d.«sc 
er aber das Mittel tur zu gt.’.di. d.e M":ei :ui Hu i te: * 
Sclieiniingi n beim Diutüriersc Iba! bir zu iii'.i: ^cii-Vn ha't. as dass 
die Methode ideal genannt tun! dem Puisi-ct en.pn n wer.e 
konnte. D.e TiihereclienInokt.it der W.'kn g. te n.u h :4er I g- 

l.dikeit des betreuenden Organismus t“ r ♦ r t de .tagosstc \ - 

sieht bei der Applikation Von >k"P"lam n. Uun nur Ina 5-1 P: /. 
der Kreissenden >kopi,i.unai ange wendet v\ er der: K'-nute. so l.i\t ;n 
dieser Beschränkung auch ein N.uhte.l. !•:!-• a.kvstii .st das \e r - 
tahren an der Marburger brauenkumk ut/t \. n.issm w-udvn zu 
(i miste n eines anderen \ eriahiens. de "Mi l’:,:.u K mdi nicht ab¬ 
geschlossen ist. nbtr d.is aber Jemn.uh't r.a:a r e M.tte düngen e*- 
i« Igeii werden. 

Herr Sieber macht darauf antra 'ks.un. dass vu kom- 
p I i k a t i o n s I «i s e ii g \ n a k o ; n g i \ g h c n Operation*- 
fallen derselben Klinik 22 Po*/. nach >*--■; lar M> rp;; u:r.- 

ii.n kose t .ne zwei- bis d r e i t a g ; g c erbe ■ n.",e 1 sc: ia d.-.rig 
zeigten. Die Pulszahl betrug in dasen 1 . en zw .n s :ot 1"* urd I 
Schlagen m der Minute, sie war um 2 1 ' b s 5 > >d.'agc ge sie .gort. 
Dieselben Emheimmg.en s.ml muh nach Im st n v.«n >k-•:»■*,am.n 
ohne daTauilolgen-le operan-m K« b.uhiet. D.e >*. p- .mr : d--sen 
w.oen durciiaiis massige und u'er sd‘” Uten i? vesi»»:! ne ".-»<• *t g. 
das Präparat war. was seine K\ .nac t lat- CtS e uw .unis!: e 
ln deser langer daucr n Jett Tu'v.i *e’ah‘>n >! e e Sud . arg des 
Herzens infolge A i i g e m e i u i ti t o \ : k a t : o n d«. s k-'iurs zu er¬ 
blicken. Es werden des)ij b an der bet 1 c"e ’ den k r k >» r • a::i::f- 
Morph.umnarkoseii nicht mehr ausgc: : *t, hr'gt Ctrl w er.an int 
Lumbalanästhesie ( N"V«>k.a n » lur. vi 1 -’* .ita-’er M . -:i 

11 i.o 1 gl vollkomn.en beb :e.l gyn-.li. R«. s'i ’ate e r /a t; ;t's' e^-mdere 
wil'-kü hierbei llaUtals di'.otcv P . a'i r \-.!l be •• aPdct. 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1463 


Herr Fischer berichtet über das Ergebnis der durch den 
ji/tüchen Verein zu Marburg veranstalteten Sammlung von Kur¬ 
pfuscherei- und Geheimmittelanzeigen in der Fresse der Kreise 
\\3rburg. Kirchhain, Erankenberg, Biedenkopf und Wittgenstein. 


Gynäkologische Gesellschaft in München. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 25. Juni 1908. 

Vor der Tagesordnung hält der Vorsitzende. Herr Prof. Döder- 
■ e i n. einen warmempfundenen Nachruf auf das in Frankfurt ver¬ 
storbene korrespondierende Mitglied der Gesellschaft, Herrn Prof. 
A i b r e c h t. in dem er sein Bedauern ausspricht, dass dieser 
rCrscher, der berufen war, in der pathologischen Anatomie eine 
führende Stelle einzunehmen, so früh dahinscheiden musste. 

Herr Mirabeau demonstriert einen Schllngenftihrer als 
Zusatz inst runtent zu seinem Instrumentarium zur endovesikalen 
Therapie. 

Herr Amann demonstriert: 

1. Präparate von Dickdarmresektionen und -ausschaltungen bei 
gynäkologischen Operationen. 

a) Myomata Uteri und Zökumkarzinom. Abdominale Totalexstir- 
r*a:ion des Uterus und prim. Resektion des Zökums. Einpflanzung des 
lk-ums seitlich in das Colon ascendens. Heilung. 

b) Kystoma ovarii und Karzinom des linken Kolonknies. 
Kystomektomie und prim. Resektion des Kolonstückes. Seitliche 
Anastomose. Heilung. 

c) Myomata uteri, Ileus. Einklemmung einer über 30 cm langen 
Querkolonschlinge in Nabelbruchpforte. Primäre Resektion eines 

i A5 cm langen Stückes des Querkolons. Heilung. 

| d) Resektion der schwielig verdickten Flexur (Pseudokarzinom) 

! lieosigmoideostomie (Dr. A 1 b r e c h t). Heilung. 

e) Fiexurkarzlnom mit grossen sekundären Ovarialtumoren. 
Abdominale Totalexstirpation der Ovarialtumoren und des Uterus, 
prim. Resektion der Flexur (End- zu End), Dr. Brunner. Heilung. 

f) Perisigmoiditis. Genitaltuberkulose, früher vaginale Total- 
evstirpation. Dann mehrfache Laparotomie zur Lösung der 
Adhäsionen. Schwere Obstipation bis Ileus, schliesslich Dickdarm- 
uisschaltung und lieosigmoideostomie. Heilung. 

2. Schwere intraabdominale Blutung mit grosser Hämatozelen- 
üdung durch Platzen eines weit vorgeschrittenen Ovarialsarkoms. 

Laparotomie. Heilung. 

3. Myom mit Extrauteringravidität. 

4. Myom mit Gravidität. 

5. Nebenniere im Lig. latum bei Dermoid des Ovariums. 

6. Kopfgrosses weiches Fibrosarkom des Beckenbindegewebes, 
ausgehend dem Lig. latum, subsigmoideale Entwicklung. 

Herr Hertel demonstriert: 

1. Ei 5 Wochen alt. 

2. Inkompletter Abort von 4—5 Monaten: 3 Wochen nach Aus¬ 
messung des Fötus werden bei der Auskratzung noch frischlebende 
Zraten gefunden. 

3. Uterus einer 40 jährigen Frau, bei der die Menses nie aus- 
^cblieben waren. 12 tägige schwere Blutung. Totalexstirpation. 
I:r, Uterus ein kleines Myom mit darauf haftendem Plazentarpolyp. 

Herr G. Klein: Dämmerschlaf und Lumbalanästhesie. (Der 
Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.) 

Diskussion die Herren: Albert Hörrmann, Amann. 
• Himer, Hengge. Erhärt, Döderlein. Mirabeau, 
klein. G. Wiener -München. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Februar 1908. 

Vorsitzender: Herr Frankenburger. 

Herr Görl: Exanthem durch Anacardia orientalis. 

Anacardia orientalis d. h. deren Frucht wird in Nürnberg ziem¬ 
lich häufig als Sympathiemittel gegen Zahnschmerz verwendet. 
Gewöhnlich wird sie, in einem Säckchen eingenäht, um den Hals ge¬ 
tragen und ist dann unschädlich. Wenn aber — wie bei dem 
7 Jahre alten Patienten G.s — die Frucht durchbohrt ist und blank 
~uf der Brust an einem Faden getragen wird, treten sehr schwere 
Fntzündungserscheinungen auf. Bei dem Knaben war nicht nur die 
Br mst, sondern auch die ganze Bauchgegend mit thalergrossen 
Blasen bedeckt. Das äusserst schmerzhafte Exanthem heilte erst in 
4 Wochen ab. — Einige Exemplare der Frucht werden demonstriert. 

Ferner demonstriert Herr Görl eine schon früher vorgestellte 
Patientin mit sehr ausgedehntem Lupus, bei 'der die Röntgen¬ 
behandlung ein gutes Resultat erzielte.’ 

Des ferneren berichtet Herr Görl über Entfernung von Täto- 
-, v 1 e r u n g e n mittels der Kromeyer sehen Stanze. 

Herr Kraus berichtet über einen Fall von familiärer, ange- 
'orener Hornhautveränderung. Die Veränderungen konstatierte der- 
»■vlbe bei einem 15 jährigen jungen Mann gelegentlich einer Brillen- 
-Vstimmung. Auf bfeiden.Augen wies die Kornea viele kleinste punkt- 
i i'rmige Trübungen auf, die auf das Zentrum sich beschränkten, eine 
l 2—3 mm breite Randzone war vollkommen frei von jeder Trübung. 


Am rechten Auge waren ausserdem einige feinste strickförmige, 
gitterartig sich kreuzende Trübungen zu konstatieren. Auf Befragen 
erklärte der junge Mann, er habe nie eine Augenerkrankung durch¬ 
gemacht, seine Mutter und 1 Vetter hätten die gleichen Verän¬ 
derungen. ln diesem Jahr hatte Vortragender Gelegenheit, die Mutter 
desselben zu untersuchen und konstatierte auch hier beiderseits 
kleinste, punktförmige Trübungen, die zentralen Hornhautpartien ein¬ 
nehmend. Auf Befragen erklärte sie. diese Veränderungen habe sie 
schon immer und wurden schon vor langer Zeit in Würzburg 
(v. Wels) nicht mir bei ihr. sondern auch bei ihrem Bruder fest¬ 
gestellt. Sie hat 2. Kinder, 1 Mädchen und den oben erwähnten 
Jüngling, das Mädchen hat keine Veränderungen: Ihr auswärts leben¬ 
der Bruder hat 3 Kinder, doch vermag sie nicht tnzugeben. ob die¬ 
selben an den Augen Veränderungen hätten. J Eine hier lebende 
Schwester von ihr hat normalen Augenbefuifd, von ihren 3 Kindern 
hat ein Sohn die gleichen Hornhautveränderungen. Bemerkt sei. dass 
diese Schwester mit einem Bruder ihres Mannes verheiratet. Anam¬ 
nestisch liess sich nichts eruieren. Da jegliche Entzündung der 
Augen fehlte, glaubt Kraus, dass es sich um eine angeborene, 
erbliche Form von Keratitis punctata handeln dürfte. 

Sitzung vom 5. März 1908. 

Vorsitzender: Herr Flat au. 

Herr Hein lein: Fortsetzung des eingehenden Referats über 
Prof. Me r k e I s - Göttingen: Topographische Anatomie (Schluss¬ 
band, I. Teil). 

Herr Barabo demonstriert eine anatomische Tafel des 
männlichen Körpers, gefertigt Mitte des 16. Jahrhunderts zu Nürnberg. 

Sitzung vom 19. März 1908. 

Vorsitzender: Herr Frankenburger. 

Herr H e i n I e I n bringt den Schluss seines Referats über 
Topographische Anatomie von Professor M e r k e 1 - Qöttingen 
(Schlussband; untere Extremität). 

Herr Gernert demonstriert einen ziemlich grossen Speichel¬ 
stein, den er aus dem Ductus Bartholinianus eines Mannes extrahiert 
hatte, und spricht über Speichelsteine nn Allgemeinen. 

Herr Stander demonstriert einen durch Resektion gewon¬ 
nenen Tumor der grossen Kurvatur des Magens und bringt die 
Krankengeschichte des Falles: 62 jähriger Lehrer, der seit 3 Monaten 
über unbestimmte Magensymptome klagt und bei geringer Gewichts¬ 
abnahme und leichter Herzinsuffizienz einen harten kleinapfelgrossen 
Tumor der Pylorusgegend bei Palpation und Aufblähung aufwies. 
Die Motilität wäre erheblich gestört, nach Probefrühstück 200 ccm 
Rückstände, freie Säure 20. Ges.-Azid. 40, Congo positiv, Biuiet posi¬ 
tiv, kleine Mengen Blut. Neben dem Tumor und der Magenatonie 
bestand ein massiger Descensus ventriculi. Im Verlaufe von 6 
Wochen trat Blut im Stuhl hie und da auf, die Motilität verschlechterte 
sich nicht mehr weiter, dagegen sank der Säuregehalt langsam auf 
0,7 freie Säure und 33 Ges.-Azid. Im nüchternen Magen fand sich 
wiederholt Blut. Die am 14. XII. 1907 von Herrn Hofrat H e i n 1 e i n 
vorgenommene Laparotomie, die trotz mehrstündiger Dauer mit 
Schleich gemacht werden konnte, brachte folgenden Befund: 
Apfelgrosser Tumor der grossen Kurvatur, ca. 4 cm vom Pylorus- 
ring entfernt; keine Drüsen; Sekretion und Schrumpfung des Ligam. 
gastro-colicum. Ein Teil des Querdarms ist an den Tumor fest 
adhärent. Resektion eines ca. 8 cm langen Stückes des Coxa trans- 
versum und des Pylorusteils des Magens bis 2—3 cm über den Tu¬ 
mor hinaus. Vereinigung der Ouerdarmstümpfe durch Zirkulärnaht. 
Einnähen des Duodenums nach Billroth I mit vorzüglicher 
Funktion. Pat. erholte sich von dem Eingriff rasch, ohne jede Tem¬ 
peraturerhöhung, nimmt 6 Pfund zu. isst alles und ist 4 Monate 
völlig beschwerdefrei. Ab 24. IV. 08 die ersten Symptome eines 
Rezidives mit grossen Rückständen und starken Blutungen, dem 
Patient in Bälde erliegen dürfte. 

Das durch die Operation gewonnene Präparat stellte sich als 
ein tiefes (PA cm) mit kraterförmig verdickten Rändern umgebenes 
grosses Geschwür der grossen Kurvatur dar; die Randpartien waren 
wallartig aufgeworfen und erschienen maligen degeneriert. Quer¬ 
darm war in die Geschwulst nicht eingezogen. Die mikroskopische 
Diagnose, welche im pathologischen Institut Erlangen von Herrn 
Professor Hauser gestellt wurde, ergab das seltene Bild eines von 
den Ly mph spalten der.Submukosa des Magens aus¬ 
gehenden Endothelioms des Magens. Präparat wird de¬ 
monstriert. 

Charakteristisch für diese Tumoren, die wohl dem Sarkom des 
Magens nahe stehen dürften, ist der Sitz an der Curvatur maior, der 
rasche Verlauf, die Rezidivbildung. 


Berliner medizinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom I. Juli 1908. 

Vor der Tagesordnung: 1 

Herr Bl um reich: Zum suprasymphysären Kaiserschnitt. 

Bei einer sehr dyspnoischen Patientin soUte der Uterus ohne 
Wehentätigkeit entleert werden. Er wählte dazu den suprasymphy¬ 
sären Kaiserschnitt. Morphium-Skopolamin-Narkose versagte. Bei 


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1464 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


V». 27 . 


Actliernarkose wurde Tracheotomie notig. Er glaubt, dass die 
Methode den klassischen Kaiserschnitt, ebenso den vaginalen ver¬ 
drängen wird. Es ist eine Konkurrenzopcration der beckenerw eitern¬ 
den Massnahmen. 

Herr R. Frank: Ein Fall von Chylurie. 

Seit 6 Jahren war der Urin milchig, es wurde auf Bla"ciikutarrls 
behandelt. Eis sind von europäischer Ui.vlmie nur ca. sii I alle be¬ 
kannt. Die Gerinnbarkeit des Urins war so gross, dass derselbe 
in 2 Minuten vollkommen erstarrte. Hei der Z\stosk»»pie ergab 
es sich, dass der Chvlusurin nur von e i n e r Niere ausgesclucdeii 
wurde. — Hierzu Herr M a g n ii s - E e v y. 

Herr v. Bergmann: Zur antiprotcolytischen Kraft des Serums. 

Kasein • Serum • wechselnde Trvpsinmengen (Methodik muh 
Eu Id) zeigen deutlich die hemmende protcnU tisJie Krait des 
Serums aus der Menge der an der Wirkung verhinderten Trypsm- 
menge. Bei Karzinom ist eine Vermehrung der antiproten* 
h tischen Kraft konstant, wenn das gleiche allerdings auch bei 
anderen Krankheiten beobachtet wird. Er glaubt, dass eine Kai/mom- 
diagnose durch die autipmte, »Ivtische Kraft des Patienteiisci ums ge¬ 
stützt werden kann. 

Herr Paul Manassc: Zwei Fälle aus der t'nfallpraxis. 

]. Eine Zerreissung des Ligamentum patelläe iiiieriiis; Operation 
führte zu fast vollkommener Heilung. 

2. Zerreissung der Harnblase ins Peritoneum nach Einwirkung 
eines schweren Traumas. 

Tagesordnung: 

Herr Anton Sticker: Ueber die Beeinflussung bös¬ 
artiger Geschwülste durch Atoxyl und fremdartiges Eiweiss. 

Vortr. unterscheidet zytizide und zytnlytisclie Stoffe i 
gegenüber Tuniorgew ehe. Serumtherapie scheint keine Chan- j 
een zu habet:; ein weiterer Weg ist die Bekämpfung mit Fer¬ 
menten, doch treten bei dem Abbau der (ieschw ulst/elleii 
toxische Wirkungen auf. Weiter ist die Benutzung der atito- 
iermentativen und heterofermentativen Methoden möglich. 

Bei Anwendung von Atoxyl trat bei toxischen Dosen ein : 
Geschwulst w a c h s t u m ein; bei kleinen Dosen blieb d is j 
Wachstum der Tumoren stellen und entstand eine Hyper- i 
leiikozytose, Bei Angewöhnung trat das Wachstum bei den | 
Hundesarkonicn jedoch wieder in Erscheinung. | 

Bei Anwendung von körperfremdem Eiweiss erwies sich j 
Hammelblut am geeignetsten. Direkt nach der Iniektu n trat I 
ein Schwinden der J unioren ein, das sich anhaltend iortsetzte I 
und zur regressiven Metamorpln se der rumoren führte. Bei 
Wiederholung der Injektion traten unangenehme Allgemein- , 
erscheinungen auf (Serumkrankheit). 1 

Kombination von Atoxyl und artfremdem Blut verminderte 
die Schädigungen und verbesserte die Erfolge. Er hat auf 
diese Weise Hundetumoren zum völligen Schwinden gebracht. 

Bei Menschen wurde in keinem Falle ein Dauererfolg er¬ 
zielt, doch sollen erst noch Versuche mit der kombinierten Me¬ 
thode ausgefiibrt w erden. 

Herr J. Hofbauer: (irundziige einer Antifermeiitbe- 
handlung des Karzinoms. 

Dem Karzinom wohnen abnorme, fermentative Prozesse 
inne (analog der befruchteten Eizelle spez. des Cliorionepitluls). 
Die Therapie muss daher eine antifermentutive sein. Autifer- 
mentimmunisierung ist jedoch quantitativ zur (ieschw 11 1st- 
therapie nicht ausreichend. Injektion körperfremder Eiwciss- 
substanz wirkt antifermentativ zum Teil durch Absorption der 
Fermente. Er benutzt vor allem Rinderserum, weil dieses be¬ 
sonders geeignet ist, da es Lezithin, ein sehr aktives Ferment 
ausflockt. Alle ihre Fälle wurden günstig beeinflusst. 

Herr Falk: Injektionen von Plazentarblut bei Karzinom, 
ein Beitrag zur Kenntnis der Antifermentbildung. (Kurze Mit¬ 
teilung.) 

Vortr. demonstriert Versuche mit Seidenpepton, die zcigui. 
dass dem Atoxyl keine autifermentative Wirkung gegenüber 
Pankreatin zukommen. Plazentarblut wirkt ziemhxh stark 
autifermentativ in vitro, doch hat er nach einigen anscheinend 
ermutigenden Ergebnissen schliesslich absolut keine Resultate 
erzielt. Die Erfolge erw iesen sieh als Sclicinhesscruiigcn. 

W o 1 f f - E i s u e r. 


Wissenschaft!. Gesellschaft deutscher Aerzte in Böhmen. 

Sitzung vom —. J u n i, med. Klinik Hofrat R. v, .1 a k s c h - Prag. 

Herr Epstein demonstriert 2 Kinder mit Mongolenlleek. Ihr , 
Bruder des einen \<>n beiden zeigt eine ziemlich hochgradige ll\po- I 
plasie des äusseren Genitales. Der Y,»i tragende \ e. nmte t. einen I 


Zusammenhang der bi :de n >:*>rur;gi n dc-.rt, Öins N. le •• d. . 
iigelid eaie uub.v. kannte I rvuhc e ne >:<»• arg .n vier I utw v* 
de s lulltet eil le.Insel des e i,.,e ’: e de ll .st. I >v V, ^ 'e Vu»,. 

zuerst am huuiigsicii be: lapa. <■ m he »hai ! w m X, "te ! n/.v ■ • 

kein Rasse n med re mal vl.it. 

Herr Münzer: 

I. Der \ «utoigvuvle den 'geut uni K'pvU t e u ,.e d e I ’ 

Miehimgen des Ma ge rn, a r ud' a 11 as he ! r e Pe ude , NU :):• Ce u / ;• . 

e ne Einrichtung zur Ansaugung des Magensaftes. 1 e we . e 

Dt tiekhet abscl/img ;n gle . ‘n r \\ e se e” t ■ ■ w e * 1 »: \ s* 

V11 n M c " s tltiv] ieded/cd mde ' h ■ < n heil wenden s .r tt !».■■• 
sptiJit et die Mith-deu. iu , :.e mdm-d ,:‘n' d. :.. - * 

I iiv lltigke.t vles Magens Xuis* b :«ss g«-be rt s • n, ! c D e s v ■ 

probe > .1 li i i s und d e I m>. *. • d:s;»- ati.ug Uv s M •e ' s •: tte " 

P t •• b e k <• " t 11 ,1 e ii s v It tti . ,! t. Ir Me ! Je''*. dass ... w 

liehe Iv 1 »de bei vier I t «»Urning ilt s De vm d e ate v *i r s c e " o, ’ e "‘ 

el.i ns. ehe Bellte eile M m realer ", Ul .2 .'"a'/vure .riCib . w ■. 
aiteli e.tt ge w^ser E mhl"S vles Pe; s • s i:.u'.nW o«:i \v 0 u * .r 

In k’ai.se tie r Be/.e'nmg let-uit e r . »'.iss es immi C« :t, *n :: < i; v..C 
XU e v k 111 .tVs g e "’ 1 ' S he tt*. ei e I ’ e tl.u M Jru; M r e ' ” » • 

lasse 1!. Bei \ ^ 1 . \ ...« gasd.ia W U de C.i" KiCdCi" t: e ’ .t " e ’ 
lei M\pera/ d tat »-‘ne D„n w .r 'e es «..st .u • e ' e 

w.iiireiul die P e I e. ;••»; träte: s'e! n t: . t 1 •. 

\\ titele und li.l« • de xm tt es .mge.'e e * s. 1 et. de rt \ 1 • e 

bis zw eunal zu w .e de ' ! • e n. e ! 1 e n .«:•. e n « d'u 'e> I * te . 

Stalle ’. Be /i.g lu : n vie r I a e > s a u : ■, t I «‘•■at \ : \ t .«. 

ehe Beile lltlllig il Oe! I nte ’ viu l ir ^ ! »r de I '.1' u .1 • vt * 

II e t v • 11. dass et su h /um n s t > 1« \i de n N.k t: w e s „e s litte" . 

( Kn; u ui bed.e nt u.uii \'--.iii'ge\.i'\; nyf \er*e i.g ir •.! I • w .r •• 
des Ntuh'es T1:, t Mal irvel I ';vs t. ll”d /e d e' ' < .0 

t 1.1: ungsi < dfrUbdu, w e ». *;e ' v n h.tn I v de r Di;'. * ' ' a . 

Probe attvse r.de 1 ' ll l*e w .1 1 ' t h.d e n. 

2 I e be t d e Be de u!.11 g der \ isko^itat des Blutes S d li I \ • 
tl"e ll nii ht ge Sv!: • ss. M ; de / ; - a"'t w • .1 e' "! e e ' . • h u: d \v 1 _ 
iaagn«».sj)s v he und tlte : a:*i ut c ::<• Be Uat.i'g d. 1 "e r Bes* u.u..,: g . 

h» »IIIint. \ < »t de ' i a* d ‘ e "*e • t 11' m • e \ atg.C e C.t’ e ue e \ .»- 'e ,. 

kl.lUSili ’c 1 i.i| ijur 1’t .r e NhtO -de /<:’ |b'*"uag de' \ s. s 
tat \ i ll I uiss.^ki ' e 1 zu '••• \ tt. I • esetr. / w e v s e* v:d ! be , v 
ih 1 " I ‘»tute s ihr II . r s ^ ii . |t i- , k sj'e \ »'.rat e”*":'' • . h* u 1 

Best,n.mutig tut de^em Nnurat >! tat reu .r .-* me /'»n : . . 

IltaIlse ',g. I s !’ e ’veU a v - de r \; 'm ' .11 v "i D e ! 1 * »: a c U m 

\ < »11 Hess. | t.is i '• i’ / n d.e s le t / te ' e n ’ a ’ 1 n !'» . v • u d N^ 

/ur Me: "te hing ea.es e ^ e eil \ sk "■’.e'i s t v */t / ev .. .. v 

lauge, äusserst u re Kat' .rem ge den ii ,-, e' Ni. .• g 

viete, ter w e.te te t < 1 .»s:»»i.rtn :ii eu gvo • " . * 1 s »im-s 

ivapl arett und atts^ ft.iessett le 11 1 I.asr. •! ' e " •’ ! mi e :• • V« . ■ 

ns.mtel euuess’h« .sse::. um de I * « •.«*:' s . * •• 

ste den /n ki.une n. \\ .1! : e: ! d « k 1. ., r m ■ d ' ' 

ansv ‘die "se ii.mii I 11.1 n r•. 1 >*e ir1 o ii m:d gw .r •••"!' " N\ "" 

besl.n.mte etwas Weder. Das \ e ' 1 a s de' NN’ ti b. « P 

wird iladlir^b te -1 ,'e "t e " t. da"s *» « t ’t !>v »d; M NN «""e ' "a :. 

«lese NNe.se emptseh \ ■ n >•». e- a ^‘e e \ e • ‘ • s 

R-'breii te"tste'lt. Mau liate" d 1 u um 1 ••* g. w • • ” «. N -- 

tat \'tt I ii's gkeule ti be "t tun e t. w . n ..e t « R .1 N\ • 

•g’ex b/e ;t g IM d e .«'• tv ' e «• e /(!«"•''’« e I . *.e t ; 

Das \ e' 1 !ia JäI" dl » I iU. I tl »'<. ' W i"'(•"■: « ■ ;• l .1 ^1 , ' I . 

k eu' "VIM C mild!» / 1 • t trat d« m \ e . a * '• s , '.Ne te ..e ' P ’ e 

d e \ ,"k »sdat vier t e rendet? I • e t ”• \ « . v " /..•*. N\ »s«. 

R • t K \ - P-.,g 

Aus den französischen medizinischen Gesellschaften. 

Socttt6 mddlcale des höpitaux. 

V I t / 11 tl g \ <» ”, Io \ P ? 1 : II n ! I V .11 1 « " 

Die I iw cDsmeiigc bei der Di. betiker kost. 

NN ..In e 11 d .ule k linker da' ‘ e r 1 'ass •» ..»• 1 . ! . 

die /muht an K»i}ilei;\ doPeti e ms v , ■■• d 1 - > :■ as, m . 1 1 i r 

s 1 er und l.cmmiie u Ji |f d l :-».'t :» ' I >< * •. 

BeaJduug ge s^ heulst. >14 )•• mge n de Id . m. .*v e e ’ k *a 

bei W e k Ile tl de »' / ll "atu e u« ■ g»,v ,ss. -\ V _ f ,. s. ;; 

W , »ll ul ll Ile 11 k • >"t s! a • ke 1 e "U ■ le 1 .» ' . * ' .1 " t / 1 

kah »r mie t nsi ii K ekheT. Me ..e k d .de. ' .. / *; }•' " • 

stilt/t ailt ehe v« und ii .d.e'e I»I .u l" 1 . s , " a 1 I 

eier I ite i atut. i. .men Bi m i.'t oldd • . , \ . *. • .■ u . 1 

In »lite I 1 w euss m . .: \ «. 1 u-r s,*m » I». 1 « . -. r •» Nu. ! 1 . 

CIlle /11 Mallliie Cm < • ■ k. .si, • ie tr / mi • 

staut In 1 SiJive'mi I , u \ • •»» D,. • s ■'.•]* . 

W eassw 11 kling tt ii"" ” n aut 1 um« u. ,.a"s 1 • 1 m. isv- ■ . •; s 

ein noch tu. (»t In .mut, » s.c, . * l s " . •. .. ..m- 

1 rn.ilii uiig in. d I a sm vlu.i 1C.1 I ‘ "" ' “ ■ : " 

sclt.iesslk h du* s u N 1 , (r te 11 /»ti • m . •' ' ' . " . u . 

dilti 11 \ et Nv v ? ! g eii'S \ —. * " U ' : , s- 

aiisleri-tl K \ ato.r.e d"e '"1 heiiuuui n; - ' m .. - 

bei ie neu I ha im: :$&•: t n eint 1 et« 11. ‘ . . ~ . ' » : "• "t 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1465 


Zuckergehalt im Urin nicht vermehrt; Linossier und Lemoine 
bringen hiefür mehrere von ihnen beobachtete Beispiele. Sie er¬ 
klären daher die allgemeine Annahme, als ob ein Diabetiker einen 
grösseren Nahrungsbedarf habe als ein gesunder Mensch, für irrtüm¬ 
lich und halten Einschränkung sowohl der Eiweiss- wie der Kohle¬ 
hydratzufuhr für notwendig. Nicht weniger falsch sei es zu glauben, 
dass Abmagerung für den Diabetiker sehr verhängnisvoll sei; ebenso 
sei die Annahme ein Irrtum, dass alle Diabetiker ausserordentlich 
hohe Stickstoffausscheidung hätten; bei arthritischen Diabetikern ist 
der reiche Stickstoffgehalt im Urin nur die normale Folge der Poly¬ 
phagie und der sehr N-reichen Diät. 

Marcel L a b b 6 stimmt zwar mit Linossier und Lemoine 
darin überein, dass übermässige Fleischzufuhr beim Diabetiker ge¬ 
fährlich ist, ebenso wie bei jedem anderen Individuum, aber er glaubt 
nicht, dass die Eiweissmenge eine grössere Bedeutung habe, als die 
der Kohlehydrate. Um zu beweisen, dass die Ei weissmenge ebenso 
von Einfluss beim Diabetiker sei, wie die der Kohlehydrate, müsste 
man beweisen, dass man willkürlich je durch Vermehrung oder Ver¬ 
minderung der Eiweisszufuhr die Glykosurie entsprechend erhöhen 
oder reduzieren kann, wie es mit Zufuhr von Kohlehydraten der Fall 
ist. In der Praxis dürfte noch immer die Reduktion der Kohlehydrate 
nach den Prinzipien Bouchardats den Grundstock der Behand¬ 
lung der Glykosurie bilden; die Fleischmenge aber muss einfach in 
massigen Grenzen gehalten sein. 

Acadömie des Sciences. 

Sitzung vom 21. April 1908. 

Die Fortschritte der modernen Chirurgie, nach einer Statistik der 
Kniegelenksresektionen beurteilt. 

Nach Besprechung der schlechten Resultate, welche in der vor¬ 
antiseptischen Zeit die geringsten Eingriffe (Punktionen) an den Ge¬ 
lenken zeitigten und bei Resektion eine Mortalität von 35—36 Proz. 
noch für ermutigend halten Hessen, führt Lucas-Champion- 
ni^re an, dass er von 1880—1897 im ganzen 136 Resektionen des 
Kniegelenkes ausgeführt und erst den 133. Fall und zwar 36 Stunden 
rach der Operation an Alkoholdelirium verloren hat. Das ist eine 
Mortalität von 0,76 Proz. statt der vorhin genannten 36 Proz. Mit 
Ausnahme eines einzigen Falles, erlebte er nie sekundäre Eiterung 
oder Rückkehr der Tuberkulose. Ch. hat eine sehr grosse Anzahl der 
Operierten nach 25, 15, 18, 14 Jahren wieder gesehen lind alle 
konnten gut gehen, einige sogar wahre Parforcetouren mit einem 
verkürzten Beine machen. Ch. hat alle seine Operationen nach Li¬ 
ste rs Methode (antiseptisch) ausgeführt und niemals einen asepti¬ 
schen Saal benützt. Man kann aus dieser Reihe von Kniegelenks¬ 
resektionen, einer der umfangreichsten, die je ein Chirurg in einem 
einzigen Lande für sich allein sammeln konnte, schliessen, dass diese 
Operation nun als eine durchaus gutartige anzusehen, ebenso, dass 
absolute operative Sicherheit durch Antisepsis zu erzielen ist. 

Sitzung vom 4. Mai 1908. 

Die Radiographie der Neugeborenen. 

Edmund Perier berichtet über eine Arbeit von Vaillant, 
Chef der Röntgenabteilung am Spital Saint-Louis, betreffs einer 
neuen Methode, welche es ermöglicht, mittelst Röntgenstrahlen fest¬ 
zustellen, ob ein als totgeboren erklärtes Kind gelebt hat oder nicht. 
Wenn es nicht gelebt hat, ist kein Organ auf der Radiographie sicht¬ 
bar. Hat es nur einige Atemzüge gemacht, so ist nur der Magen 
sichtbar. Hat es 1—14 Stunden gelebt, so ist der Magen mehr durch¬ 
sichtig, hat an Volumen zugenonimen und der Darm wird sichtbar. 
W enn das Leben über 14 Stunden gedauert hat, so werden die Lungen 
sichtbar, die Leber zeichnet sich ab und das Herz ist schwach an¬ 
te zeigt. Von jenen Kindern endlich, welche mehrere Tage gclclu 
haben, erscheinen alle Organe deutlich auf dein radiographischen 
Bilde. 


Aus den englischen medizinischen Gesellschaften. 

Society of Tropical medicine and hygiene. 

Sitzung vom 15. April 1908. 

Eine ungewöhnliche Ursache von dysenterischer Diarrhöe In den 
Tropen. 

W. T. P r o u t berichtete über folgende bemerkenswerte Erleb¬ 
nisse bei einer in Gambia stationierten Kompagnie Soldaten. Gegen 
Ende der trockenen Jahreszeit, als das Wetter noch heiter und klar 
war. mit nur gelegentlichen schweren Regenschauern, kamen in all¬ 
mählich zunehmender Zahl Soldaten zur Behandlung mit Klagen über 
kneifende Schmerzen im Leibe, Diarrhöe und Blutbeimischung zum 
Stuhlgang. Das Allgemeinbefinden war nur wenig beeinträchtigt, und 
die bedrohlichen üblichen Erscheinungen der Dysenterie fehlten. Auch 
war bei der Zivilbevölkerung um diese Zeit von Dysenterie nichts 
bekannt, trotzdem die Praxis des Vortragenden im wesentlichen eine 
private war, und er nur aushilfsweise mit der ärztlichen Versorgung 
des Militärs betraut worden war. Als Ursache der Störung wurde 
schliesslich das Trinkwasser ermittelt. Es wurde nämlich das von 
-en Dächern der Kasernengebäude abflicssendc Regenwasscr benutzt. 


da das durch die Brunnenanlagen zu beschaffende Wasser salzig und 
unschmackhaft war. Das in grossen Reservoirs äufgespeicherte 
Wasser war aber eines Tages durch das Vorüberziehen eines 
enormen Heuschreckenschwarms verunreinigt worden. Die Tiere 
waren allerdings nicht in den Wasserbehälter hineingelangt, doch 
hatte der nach Millionen zählende Schwarm so viel Fäkalmassen auf 
den Dächern hinterlassen, dass alsbald nach dem nächsten Regen 
grosse Mengen davon in die Zisternen hineingelangten. Man fand am 
Boden derselben einen grünlich-grauen Schlamm mit einigen etwa 
haferkorngrossen Körperchen, den unaufgelösten Fäzes der Heu¬ 
schrecken. Diese Fäkalstücke bestehen aus den unverdaulichen 
Teilen von Blättern und Gräsern und enthalten vielfach die auf 
Gräsern vorkommenden Nadeln von Kieselsäure. Sobald das ver¬ 
anlassende Moment beseitigt war, hörte die kleine Epidemie auf. 
Redner erinnert an die Darmaffektionen der Obeahleute in Westindien 
als Folge von Glasstaub und an die Wirkung von Diamantstaub in 
Aegypten in den Schleifereien. 

J. Canti ie bemerkt, dass in Indien die sogen. Gebirgsdiarrhöe 
der Anwesenheit von Glimmer im Trinkwasser nach heftigen Regen¬ 
güssen zugeschrieben wird. 

W. H a r t i g a n erwähnt, dass man in Hongkong ebenfalls die 
Anwesenheit von Glimmer aus dem sich zersetzenden Granit viel¬ 
fach für die Entstehung von Diarrhöen verantwortlich gemach! hat. 

G. T. Collingwood sagte, dass man Epidemien von Diarrhöe 
auf Bermuda als Folge der Beimischung von Kalksteinstaub zum 
Trinkwasser durch den von Dächern abfliessenden Regen habe 
auftreten sehen. 

Royal Academy of medicine in Ireland. — Section of 
Surgery. 

Sitzung vom 27. März 1908. 

Denyssches Tuberkulin. 

F. Dünne demonstriert einen Mann und ein Mädchen, welche 
wegen langdauernder und ausgedehnter Knochentuberkulose mit 
Denysschem Tuberkulin behandelt worden waren. Es waren im 
Laufe eines Jahres etwa 50 Einspritzungen gegeben worden, und 
beide Kranke sind mit funktionsfähigen Gliedmassen genesen. 

H. Swanzy hat bisher nur Kochsches Tuberkulin gebraucht. 

Lentaigne bemerkt, dass auch schon in früheren Zeiten 

Tuberkulose zur Heilung gelangt ist; er glaubt aber, dass man die 
besten Resultate erzielen wird, wenn man die operative Behandlung 
durch Tuberkulin unterstützt. Die Opsoninbestimmung liefere sehr 
gute Resultate, doch könne man auch ohne dieselbe die negative 
Phase nach der Einspritzung ziemlich richtig abschätzen. 

M c W e e n y führt aus. dass das D e n y s sehe Präparat nur eine 
Modifikation des Koch sehen ist. Beide züchten Tuberkelbazillen 
auf einer mit 5 Proz. Glyzerin versetzten Bouillon; das D.sche Tuber¬ 
kulin wird aber verwendet ohne das beim Koch sehen Verfahren 
vorgeschriebene Eindampfen auf ein Fünftel des Volumens. Infolge¬ 
dessen enthalte es wohl verschiedene toxische und auch thera¬ 
peutische Bestandteile, welche durch das Kochen zerstört werden. 
Bei der Bestimmung des Opsoninindexes machen sich so viele Fehler¬ 
quellen geltend, dass er nur auf Bestimmungen, die von W r i g h t, 
dem Entdecker der Methode, selbst ausgeführt sind, sich verlassen 
möchte. Er hat aber auch ohne solche Bestimmungen bei Drüsen¬ 
schwellungen am Halse wiederholt Bazillenemulsion eingespritzt und 
dabei nach anfänglichem Anschwellen ein schnelles und meist gänz¬ 
liches Schwinden beobachtet. 

McArdle hat bei fortgesetzter Tuberkulinbehandlung wieder¬ 
holt eine deutliche Gewichtszunahme konstatiert. Nach Laparotomien 
hat er mehrfach Genesung erst nach Anwendung von Tuberkulin ein- 
treten sehen. Sobald Abszesse entstanden sind, ist aber die Tuberku¬ 
linbehandlung direkt schädlich. 

Dünne bemerkt noch, dass seine Beobachtungen sich auf 
einige 90 Fälle erstrecken in einem Zeitraum von 3Vs Jahren. Er 
richtet sich bei den Injektionen nach den klinischen Erscheinungen 
und vermeidet so viel wie möglich fieberhafte Reaktionen. Am besten 
fährt man mit kleinen Dosen und kurzen Zwischenzeiten. Seiner 
Meinung nach ist das Tuberkulin das beste Mittel gegen Tuberkulose 
bei jeder Lokalisierung. 

Manchester medical Society. 

Sitzung vom 1. April 1908. 

Mangelhafter Fettumsatz. 

M u m f o r d berichtet über eine Reihe von Fällen zur Be¬ 
leuchtung des Einflusses, den eine mehrere Jahre lang fortbestehende 
Störung im Eettstoffwechsel bei Kindern ausübt. Eine derartige Ab¬ 
normität ist mit chronischer Diarrhöe und mit Fehlen oder Ver¬ 
änderungen des Pigments in den Fäzes (Acholie) verbunden. Ikterus 
oder Glykosurie besteht dabei nicht. Bei den mitgeteilten Fällen trat 
Genesung oder wenigstens Besserung durch Verabreichung von Pan¬ 
kreatin ein. Die Assimilation von Fett ging dabei wieder in nor¬ 
maler Weise vor sich, während die Behandlung der Diarrhöe nach 
den sonst üblichen Methoden mit Kalomel und anderen Medikamenten 
versagt hatte. Das Wachstum schritt wieder vorwärts nach mehr- 


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1466 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 . 


jährigem Stillstand, und es konnte wenigstens bei einem Falle von 
einer endgültigen Heilung gesprochen werden. 

D. Mann bemerkt, dass die Farblosigkeit der Fä/cs ohne be¬ 
stehenden Ikterus bedingt sein kann einesteils durch reberfluss an 
Fett, andernteils durch Mangel an (iallenpigment oder auch durch 
Defekt am Pankreas. Das Fäkalfett kann dann bis auf und hn 
Proz. gesteigert sein. Manchmal beruht die Farblosigkeit des Kotes 
auf übermässiger Reduktion des Bilirubins durch abnorme (iarungs- 
vorgänge im oberen 'Feile des Dickdarms. Normalerweise wird durch 
bakterielle Einwirkung das Bilirubin im Darmkanal zu Fr«.lutin 
reduziert, das dem Kote die normale Farbe verleiht; bei intensiver 
Reduktion entsteht das farblose llrobilinogen. Derartige Vorgänge 
finden sich bei chronischem Darmkatarrh, bei Tuberkulose der Ab¬ 
dominalorgane, bei septischer Erkrankung und auch bei einigen Ab¬ 
normitäten des Blutes. P h i 1 i p p i - Bad Sal/schlirf. 

Aus Ärztlichen Standesvereinen. 

36. Deutscher Aerztetag 

zu Danzig vom 26.-27. Juni 19ns. 

(Eigener Bericht.) 

Im Saale des Friedrich-W ilhelm-Schiit/enhauses wurde am 
26. Juni um 9 Uhr durch den Vorsitzenden des Deutschen Aer/te- 
vereinsbundes, (ich. Medizinalrat Prof. L ö b k e r - Bochum, der 
36. Aerztetag eröffnet. In seiner Ansprache gedachte der \'<>tsitzende 
zunächst mit einem herzlichen Nachruf des grossen Verlustes, den die 
Aerzteschaft Berlins und ganz Deutschlands durch den Tod Julius 
Bechers erlitten hat. Nachdem die Versammlung sein An lenken 
durch Erheben von den Sitzen geehrt hatte, fuhr die Rede fort: 

„M. H.! Als wir vor Jahresfrist nach Beendigung der wichtigen 
Beratungen das gastliche und schone Minister verWessen, konnten 
wir hoffen, dass uns in diesem Jahre ruhigere Tage bcscluedcn sein 
würden. Harrten doch in erster Reihe sozialhvgienische Gegenstände 
der Erledigung, die unter dem Drucke der wirtschaftlichen Vorlagen 
in Münster nicht stattgefunden hatte. Die Schulgcsundheitspflefte 
und die Frage der Schularztsvstcme wurde a's erster Gegenstand 
für die Verhandlung auf dem diesjährigen Aerztetag bestimmt. 
Unsere Beratungen sollten mithin in erster Linie in uneigennützigster 
Weise dem Allgemeinwohl dienen, und ich zweifle nach den A«>r- 
arbeiten unserer Kommission nicht, dass eine Summe von Wissen und 
praktischer Erfahrung bei der Besprechung dieser Gegenstände 
niedergelegt ward, die der Förderung dieses überaus wichtigen Jedes 
der Sozialhygiene nur dienlich sein kann, (ianz dürfen wir dabei 
aber doch nicht vergessen, dass w ir nicht n u r als Staatsbürger, 
denen das Wohl des (ianzen am Herzen liegt, bei diesen Fragen be¬ 
teiligt sind, sondern dass wir Aerztc auch gewisse eigene Interessen 
dabei zu vertreten haben, wenn die Regelung derselben zur al'gc- 
meinen, also auch auch zu unserer Zufriedenheit eriolgen soll. Ich 
versage es mir, den (iedanken schon hier weiter zu verfolgen, w ill 
ihn vielmehr nur der weiteren Erörterung bei der Besprechung dieses 
Gegenstandes unterbreiten. 

M. H.! Auch der zweite (iegenstand der heutigen Verhandlung 
betrifft Neuregelungen auf einem Gebiete, welches nicht länger ver¬ 
nachlässigt werden darf, wenn nicht das öffentliche Wold schweren 
Schaden erleiden soll. Wir Aerzte haben seit Jahrzehnten pflicht¬ 
gemäss auf die Schädigungen hingewiesen, welche durch die Pmkla- 
mierung der Kurierfreiheit in Deutschland hei vorgetreten sind. 
Unsere Stimmen sind ungehört verhallt, ja man macht uns /um Vor¬ 
wurf, dass unsere Bestrebungen nach Besserung lediglich aus eigen¬ 
nützigen Motiven entspringen. Wir müssen uns dies von übelwollen¬ 
den Gegnern gefallen lassen in dem Bewusstsein, als Sachverständige 
unsere Pflicht gegenüber dem Staate und dem Volke getan zu haben. 
Den Männern, die getreulich in dem undankbaren, fast aussichtslosen 
Kampfe gegen die Kurpfuscherei nicht erlahmten, gebührt der Dank 
des ganzen Volkes, wenn endlich:# wenn auch nur schwache An¬ 
sätze gemacht sind, wenigstens die schlimmsten Auswüchse der 
Kurierfreiheit zu beschneiden. Auch die von Ihnen eingesetzte 
ständige Kommission zur Bekämpfung der Kurpfuscherei hat den 
..vorläufigen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Ausübung der 
Heilkunde durch nichtapproblerte Personen und den Geheimmittel¬ 
verkehr“ alsbald nach seiner Veröffentlichung einer eingehenden 
Beratung unterzogen und Ihnen das Ergebnis zur weiteren Kritik 
und Beschlussfassung unterbreitet. Wir Aerzte sind uns wohl be¬ 
wusst, dass eine gründliche Beseitigung der Schäden n u r d u r c h 
Aufhebung der Kurierfreiheit erzielt werden kann. 
Nichtsdestoweniger haben wdr geglaubt, uns der Prüfung des vor¬ 
läufigen Gesetzentwurfes nicht zu entziehen und Verbesserungen Vor¬ 
schlägen zu sollen, die sich im Rahmen des Entwurfes anbringen 
lassen. Wir betrachten ihn aber lediglich als einen schwachen An¬ 
fang zur Besserung und werden das Endziel unserer Bestrebungen 
unbekümmert um persönliche Verunglimpfungen nicht aus dem Auge 
verlieren. 

M. H.l Wenn wir somit in unseren Beratungen diesmal den 
Fragen des öffentlichen Wohls den Vorrang gewähren, so dürfen wir 
doch nicht vergessen, dass wir von unseren Vereinen hierher-..;*' !t 


worden sind, um unsere eigenen Staudt \ n:e:c ssm zu \er!reten »m.J 
zu fordern. Zu diesem Zwecke im;"Oi wir uns n--J’.::..is rmt vh r 
Regelung des Verhältnisses des Deutschen Aerzte*erelnsbundcs mit 
dem Verbände Deutscher Lebens* ersicherungsgeselKchaftcn 1 c- 

schaftigen. In Münster haben Me de \ "Page /sr r« gi" l'c- 

ratung und w eite; eil Acthiikhnng n .t den \ e i t'ctcrn de r 1 n *-v - 
sehalten au unsere \e:staikle K«•rmn.s-vH^ ziir.ukutw iki:. ! 1 c 
hat s.Pi der Aufgabe m.:t gn-swiu ! der und * e e r I o\'v xr •e’- 
/«•geii. ist aber nullt imstande gewesen, de * -<n I: t ■* in * e* g.<- gi * e u 
Jahr en fevuesct/teri 11*»n«»r ar I-•: vier nnge n du-Pi/rnt t/m; d -Pi s u d 
Voll der < iegef.se :te noch gewisse Zuges!.*?- b sv V g». •» #Pd w . ' d-, *u 
die n.uh Ausuht der Kommiss*, ai und 1: -o ins. -üvosv, Passt s e r c 
nicht öftw esefit'.che Acrbesserung der tr d^'m \ ' tge duPM-P f ■ 

is re hatten in Minister den < iesPial*saiiss k Piss ) ••a .."'agt. t « de". 
Fall der Ablehiiur-g der \«>n Ihnen bes v :.w. n. •: !. ■ ee:i I' •' Ge¬ 
rungen seitens dt. r (it seüscliaften den b 'P* • gm Aefag zu t!e”i 
liachst/uhissigim Tear.n zu kundigen. Mb n am V De zur ' er \. F 
wurde \"ii dt. ii Acitiitcrn Iw. !er Parte.«,« tes\i v. t. dass de I ” - 
derungen des \e r /bdages in Munster a's me : ' 'd /u KdmP te o 
seien. Nach r tot.:«. hi. r I r w . i g i m g hat iidtuh I: r < u s, :..i*!s.i i :s%. ‘ :: sc 
auf t irtrnd dis m/w .sP.eii zu st -u r Kernt- s gc a'gb M . tu: t! e IV - 
lirteilung dieses l n ,-i nsi.in '- s w «Pit gen M.rr a's e ".:* .! g gtgbr.P !. 
den \i-n Ihnen m W e r t e. 1 1 n Nutfag de r k .' '„mg dt s ! t . 

stellenden \ ertragt s n c ht zur Aust-d.-n- g b r r.;m /.i ! .*'e-i. d.i ii'dt * 
den obw a beiden \ er hu tn.sse* de I: !t uomi .1-. ' I 't < •« Vi'/ti 

und die M« "äug v |e s Aerzte* ere.iisluii.b s dar vh s. *■ *t k .• ! ga g 

Schatten e?1 t:< n habt, n w ur dt n. 

M. 11! I »er < iyci!.att'S.niss v *:us\ ist s Ji fiuusst. d.-.ss er b 
vbese Fntio lassiir g der k iiiklgut-g gt gt u t • t :i wa*«/ tu zw e de*: „t 

Beschluss des \t r/tidagt s \e? sp.sst n hat Ir st m dt r Mt * .mg 

gewesen, dass he. der Ntianb’bn >.u * i„t rar dt r Am/Ubig st ' st 
nach nochrti.i ger Bt ’.ttirg tl-e A t mi-! w.•-tu« g * ' rm s. w P-- 
tigcii Se ln : 11 fibt r m \ mm k.-iuie. Im st n 11 tr. : . matsf e:‘ !’■! 
tler (ieSchattsauss^ ,-a.ss \.-n Ümen !• I. ’i*. u* .! f- "t. v! tss > t - 

ihm diese erteilen werden, sf’l-st. we'ii > e de 1 t *r /ar lU s. ::ss- 
fassurtg unterbreitete A'-Fage a’ - ’ ::t :t s • • . I: ! • - >*.t 

ralnue zu dieser w -d'Yn " e i'dd l'.tfamt '.aw-i, d tss es 

sitli nicht a’ie.u um d e s< b-n a.:F. u-m d e Ver¬ 
tragsfähigkeit des Aerzte*crclnshundes n.uh .•.av: 1 !• t S- tto 

Sie den Anträgen der K"ii;:r/w..-i: li e /-.ist -* •• ;• g e'ft tu. s 
müssen aber aiuli t! e \mi I! "in \ t : !• t dt neu Ae*-, 'e i! t k •••■s t ,..;i • 
ziehen, dass v>e ke.re Bes v h’usse i.iss V n. .! e !t'? \ • s- •. dt ••• 

tlie Nislttbe.u htung tler \ ei eml ar u:gt n aui- r t n Dt* \e! .ml ,!t' 
Verskherun-gsgest !\ v lutffen * e’t-f! <!dt t s« m- M*. • !• \ v sv-. -g 

an tlie Bestimmungen des \ e't’.iges zu ha ti n. 's . t P *. Ft, d'.- 

turig müssen wir iur u: s^-e Not .re u'>t" m ---tu. w t r *. \m/te- 

vcremsbimd ve? trägst.d; g b'id'tn s. ", 

Frul nun. rn. II.. weide uh n, zir Krankcnk.tsscnlragc. dt 
nimmer zur Ruhe k ••«einen w rd. be\ s e n Pr t re I s.:-g gt- 

für len hat. ehe aiuli d e l'eutsP'.en At 'de In :■ td g.. ?>. Pa\\ t 

w ir tlie augtiib’u k'Pie läge rulb g be tr b btt u* d dt ■- ■ • 's • t p- •. - ■ 1 
Ste'limg nehmen w-dbii. s.. m>issi-> w •» <. *i 1- r ■< *■ R . k :*•.* 

die I'nt w u kt lurig dieser I rage in dm \c’ <* ! m dt- Am •' • a g e 

weifen. Das \ ersiel.eni'-gsgesi \/ war fass* n v : der At-;' P*--g 

für die Kassen, ihren M.tg'.i dem m K'ai-khe tsr • in j-» t .»* / • Pu 
Behandlung zu giw.doiii. Ihr (it -st!/ g t ’u r habe es .*’ m *. -- 

lassen, die Frage aui/uw e r it gcsP-u.t. o dt • n zu ' i r’w . -*tu < 

die Kassen l*ei I r!u"»mg sie r d" t n u’-t -1• agi mi 1’* P* * s v "- d t V, !- 

:< t beit tler Aer/te sum-rii s- dt”, «>!::* c* *1 e d *s < it setz dt'* *.::b v v ht 
tlurchZufuhren is?. 

Ich will aus d't'ser Ftde r 'usvung n.u'if.iP ^ h 1 1 • t *** c i *: A’- # - 

wurf machen. Musste d-uh dieser erste * •?' i'u H :udr 

aui einem bis dahin fast \.. g un’-ekannti n < it ’ b r: Pt -v Nur 
die Erfahrungen gew-sser Beim '-sk'.in '-1 ’iPum n u st *—|t c . 
rufen standen zur A ebugung. d« r en 1 r-* , • gt u v •• . s ' P- *« •- 

aügeniemert weidtü k-u’idtiT. Fh w ’ au’; ziut tu. dass dt 

Deutschen Aer/te. ! < r er! Organ sat n * • *.u *• n P’ ga* / nr*./u r e s'*« *•.! 

war, sich dama’s se’l sj n-Pit dir gat/m I • a.:w e te dt r treuer F 
ruhtung für uristitii Mm ul und s» -e M *P , w :;sst -a-wiM " 

sind. So rechnete ii-ati d«. nn, a’s es an d . \- s- -ii' g d.t s < it st :/e s 

ging, mit dem hiimani n I in p 1 elf ! e n. - P * ?• • b r n d dt r \b i • 

pf I i c h t ti n g der Aerzte. al t - ul! :u dr« •• I' .* -O ( ? Hu—.. t w att u /*: 

lassen. Mit Befriedigmg tr ! mit St- •’/ ka»m P: m.-. n. d *ss man s P-; 

bei dieser Beirr teilun-g dir Aer/te nuht \ «"u ; vt J hat. In 1: - odr-- 

der ()pferw ilhgkeit haben die .ii ntsP-.n \ - ••/♦t ub- '.-.s rj i)--. 

Pflicht den Kassen und dtn A io Pa de«; g: ' e" e ,; *. o»-w --V 

das Ergebnis ihrer atif'e budui l.-dP-- t • •*• *t e /• •'/ ”•-’m c'e 

Lage vie’fach ein uerade/u k-mf«»'i * d'o und ga* /e "b 'mu: 

i zu den Kassen an \ubri Hdoi t nt g.r / ir u :* ' ge w a* W r w 

J es uns verargen, dass unte- s. b' . n IV m '-r ■ ■ 1 ■ - .t" — K • P-e de 

Klagen über d.ese Zustande tru! d.«s \ -u-.'i r u!* \ ' de m 

unseren Kb lieti immer über wi!*dei> J 

Ais |«»vale Staatvl'drg, $ haben w .• :f h. n A-. '■*: *.! r d * 

()effentlichkeit die Fnhabha; k-<.-t dm ^. P '. . •. .» u- !• . -:. *•.•* t •* 

Wege zur Besserung gew i-sm. mi ’• I *.•’••• /• -•.• g-. 

- Belmnlen um Abh.'ft gtht’m'. v .. .. . .. s • ■ ... . .• t \m 

hallt, unsere Wunsche sau! 11 ? e • * t g " -P F* " r '• * s d - 


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7. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1467 


mals geflissentlich fern gehalten von den Vorberatungen zur Ab¬ 
änderung der sozialpolitischen Gesetzgebung, obwohl man wissen 
musste, dass das Verhältnis der Aerzte zu den Krankenkassen ge- 
V radezu unhaltbar geworden war. Unsere Schilderung der Verhält- 
^ nisse und Beschlüsse in Königsberg sind sowohl dem Bundesrate wie 
dem Reichstage in einer ausführlichen Denkschrift am Schlüsse des 
Jahres 1902 unterbreitet worden. Dennoch wurde in dem dem 
Deutschen Reichstage im Jahre 1903 zugegangenen Entwurf zur Ab¬ 
änderung des Krankenversicherungsgesetzes auch nicht einmal der 
Versuch gemacht, die Aerztefrage zu lösen. Sie war angeblich 
»noch nicht spruchreif“. Und daraus erheben wir allerdings 
einen ernsten Vorwurf gegen die damaligen Vertreter der Reichs¬ 
regierung. Zum letzten Male erhoben wir unsere warnende Stimme 
an jenem denkwürdigen 7. März 1903 in den Mauern der Reichs¬ 
hauptstadt selbst. Nochmals wiesen wir hin auf die schweren 
Schädigungen, welche aus diesem Gesetze sowohl für den ärztlichen 
Stand, wie für die Versicherten erwachsen waren, und forderten zur 
Abwendung dieser Gefahren, dass wir wenigstens als Sachverständige 
angebört werden möchten. Im Hinblick auf die bisher fruchtlosen 
Versuche, die Reichsregierung zur Berücksichtigung unserer Forde¬ 
rungen zu veranlassen, erliessen wir aber laut und vernehmlich 
\ Aufruf an die Deutschen Aerzte, bis zur zufriedenstellenden Lö- 
\ sang der Kassenarztfrage In festem Zusammenschluss die Mittel der 
\ Selbsthilfe nachdrücklich zur Anwendung zu bringen. Nun raffte man 
sich zum ersten Male zu einer Verhandlung des Gegenstandes im 
Reichstage auf, die zur Annahme der bekannten „Resolution T r i m - 
born“ führte, in der die Regierung ersucht wurde, „wie den Vor¬ 
ständen der Krankenkassen, so auch den Vertretungen des Aerzte- 
standes Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Aeusserungen und 
Wünsche zu geben und diesen so weit wie möglich gerecht zu werden, 
insbesondere in eine Erwägung darüber einzutreten, ob sich nicht 
die Bildung von ständigen Kommissionen je aus gewählten Mitgliedern 
der Krankenkassenvorstände und der Aerzte unter einem neutralen 
Vorsitzenden empfiehlt, welchen die Regelung der ärztlichen Behände 
lang nebst Festsetzung eines Tarifes der Honorierung sowie die Ent¬ 
scheidung bezüglicher Streitigkeiten obliegt, mit der Massgabe, dass 
alle Aerzte, welche sich dieser Regelung unterstellen, als Kassen- 

( ärzte gelten“. Damals wurde im Reichstage endlich ausdrücklich an¬ 
erkannt, „dass das Krankenversicherungsgesetz in die Interessen 
der Aerzteschaft so tief eingreift, dass die Aerzte einen moralischen 
Anspruch darauf haben, vorher gehört zu werden, wenn es sich um 
die Aenderung dieser Gesetzgebung handelt.“ Bald darauf brachte 
I der Abgeordnete Dr. B e k k e r - Hessen einen Antrag ein, der die 
f verbündeten Regierungen ersuchte, dem Reichstage tunlichst noch in 
dieser Session den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, welches das 
Verhältnis zwischen Krankenkassen und Aerzten einer Regelung 
unterzieht, erforderlichen Falls auch ausserhalb des Rahmens einer 
Gesamtreform des Krankenversicherungsgesetzes. Dieser Antrag ist 
aber in die Versenkung verschwunden und aus ihr niemals wieder 
1 «aufgetaucht. 

Es folgte der von uns nie gewollte Kampf mit den Kassenvor¬ 
ständen, der zwar grosse Opfer forderte, aber dank der inzwischen 
fest gefügten Organisation der Aerzteschaft von uns fast überall sieg¬ 
reich durchgeführt wurde. Wir Aerzte erkennen rückhaltlos an, 
dass dieser Kampf eine gewisse Erbitterung auch in unseren Reihen 
erzeugt hat, durch die eine Regelung des Verhältnisses auf dem Wege 
> friedlicher Verhandlung nicht gerade erleichtert wird; wir haben aber 
das Bewusstsein, in Langmut und Geduld bis an die äusserste Grenze 
der Zulässigkeit gegangen zu sein, die innegehalten werden muss, 
I wenn man nicht den Akt der Selbstvernichtung vollziehen will, 

j Aber auch während dieser Periode der Selbsthilfe haben wir den 

Weg friedlicher Vereinbarung nicht verlassen, und an vielen Orten ist 
I auf diese Weise das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Aerzten 
zur Zufriedenheit aller Beteiligten geordnet worden. Und als es im 
vorigen Jahre nicht ganz aussichtslos erschien, unter den veränderten 
politischen Verhältnissen bei der Reichsregierung mehr Gehör zu 
finden, als bisher, da hat der Aerztetag in Münster seinen 
Geschäftsausschuss beauftragt, seine Beschlüsse mit dem gesamten 
einschlägigen Material dem Herrn Reichskanzler persönlich zu über¬ 
reichen, und dabei die Bitte auszusprechen, dass Vertreter des 
Deutschen Aerztevereinsbundes zur Mitarbeit an den Vorberatungen 
der Vorlage betr. die Abänderung des Krankenversicherungsgesetzes 
zugezogen werden. Dieser Beschluss ist von einer Kommission, der 
ausser Ihrem Vorsitzenden die Herren Lent, Pfeiffer und 
Meinte angehörten, am 1$. November v. J. ausgeführt worden, 
in mündlichem Vortrage haben wir dem Herrn.Reichskanzler unter 
gleichzeitiger Ueberreichung einer Denkschrift die Wünsche der 
Deutschen Aerzte in bezug auf die Lösung der Kassenarztfrage dar- 
\ -elegt. Der Herr Reichskanzler hat in seiner Antwort anerkannt. 
\ uass die Mitarbeit der Aerzte an der weiteren Entwickelung der 
1 v 'Zia!en Gesetzgebung wertvoll und unentbehrlich sei: er hat weiter 
ausdrücklich zugesagU dass die Vertreter der Deutschen Aerzte zur 
Mitarbeit an den Vorberatungen aller Vorlagen betr. Abänderung des 
Krankenversicherungsgesetzes zugezogen werden sollen; er hat sich 
endlich bereit erklärt, etwaige weitere Wünsche der Deutschen 
t i.erzre in Bezug auf die soziale Gesetzgebung mündlich oder schrift- 
i« -«&■ jederzeit entgegen zu nehmen. 



M. H.l Der Herr Reichskanzler hat inzwischen das uns ge¬ 
gebene Wort eingelöst. Auf seine Veranlassung hat am 11. und 
12. Juni <L J. im Reichsamt des Innern unter dem Vorsitz des Staats¬ 
ministers Herrn Dr. v. Bethmann-Hollweg eine Konferenz die 
zukünftige Gestaltung des Verhältnisses zwischen den Aerzten und 
den Krankenkassen eingehend beraten. Es haben daran teilgenom¬ 
mene Vertreter der Reichs- und Preussischen Behörden, Vertreter 
grosser Kommunalverwaltungen, Vertreter von Orts-, Betriebs-, 
Knappschafts- und Eiserobahn-Krankenkassen, endlich eine Anzahl von 
Aerzten aus allen Lagern: Freunde und Gegner der freien Arztwahl. 
Die Verhandlungen haben einen vertraulichen Charakter gehabt, so 
dass die Teilnehmer verpflichtet sind, sich bei der Besprechung in 
der Oeffentlichkeit, namentlich bezüglich der Einzelheiten, einer 
loyalen Zurückhaltung zu befleissigen. Ich glaube aber keinen Ver¬ 
trauensbruch zu begehen, wenn ich Ihnen folgendes über den Ver¬ 
lauf der Konferenz mitteile. 

Die Beratung hatte lediglich den Zweck gegenseitiger Aus¬ 
sprache und Information, wurde daher in zwangloser Form geführt, 
so dass die spätere Stellungnahme der Teilnehmer dem zu er¬ 
wartenden Gesetzentwurf gegenüber durch ihre Ausführungen in 
keiner Weise festgelegt ist. Der zur Beratung stehende Gegenstand 
ist nach allen Richtungen beleuchtet worden, und Vertreter aller 
interessierten Gruppen sind in der durchaus sachlich geführten Aus¬ 
sprache in ausgiebigstem Umfange zu Wort gekommen, so.dass der 
Zweck der gegenseitigen Belehrung und Information der Reichs¬ 
regierung unzweifelhaft erreicht ist. Die Vertreter des Deutschen 
Aerztevereinsbundes haben selbstverständlich die Beschlüsse der 
Aerztetage zur Richtschnur bei ihren Ausführungen genommen. Ab¬ 
stimmungen haben nicht stattgefunden und Beschlüsse sind nicht ge¬ 
fasst worden, und so mag der persönliche Eindruck, den die Ver¬ 
treter der einzelnen Parteien über das Ergebnis der Verhandlungen 
mitgenommen haben, in mancher Beziehung von einander abweichen. 
EinsaberstehtfestidieZeiten, in denen diedeutschen 
Aerzte weder als Sachverständige noch als Interessierte bei 
der KrankenkAssenfrage betrachtet und behandelt wur¬ 
den, sind vorüber, die Verhandlungen der Deutschen Aerzte¬ 
tage und die schweren Kämpfe im Lande haben uns endlich Gehör 
verschafft, und weder die Reichsregierung noch irgend einer von 
unseren Gegnern entzieht sich mehr der Erkenntnis, dass die Lö¬ 
sung der Arztfrage nur durch Festlegung gewisser Grund¬ 
sätze in der Reichsgesetzgebung erfolgen, und keinen weiteren 
Aufschub vertragen kann. Wir Vertreter der Aerzteschaft 
glauben nach dem Verlauf der Beratung auch begründete Hoffnung 
hegen zu können, dass bei der in Ausicht stehenden gesetzlichen 
Regelung ganz wesentliche Punkte unseres Programms, die sich auf 
die Verhütung und Beilegung von Streitigkeiten beziehen, Berück¬ 
sichtigung finden werden, und dass gewisse allgemeine Normativ¬ 
bestimmungen festgelegt werden dürften, durch welche unter 
Wahrung des Selbstverwaltungsrechtes der Kassen, das anzugreifen 
wir Aerzte keineswegs gewillt sind, eine friedliche Regelung des Ver¬ 
hältnisses zwischen ihnen und den Aerzten bezüglich weiterer For¬ 
derungen unsererseits erfolgen kann. Sollten diese Hoffnungen sich 
alsbald verwirklichen, so will ich mit dem Ausdruck des Dankes an 
den Herrn Reichskanzler nicht zurückhalten. Einstweilen müssen wir 
unter solchen Umständen den weiteren Verlauf der Dinge auf dem 
Wege der gesetzlichen Regelung der Arztfrage abwarten, eine frucht¬ 
bare Kritik kann erst einsetzen, wenn der aus den stattgehabten Be¬ 
ratungen hervorgehende Gesetzentwurf von seiten der Reichs- 
regierung der Oeffentlichkeit übergeben sein wird. Und wir können 
uns nach meiner Meinung im jetzigen Augenblick diese Zurückhaltung 
auferlegen, da einerseits unser Programm auf dem Aerztetage in 
Königsberg unabänderlich festgelegt ist, andererseits auch wir in 
unserer endgültigen Stellungnahme gegenüber der Regierungsvor¬ 
lage durch die Verhandlungen im Reichsamt des Innern in keiner 
Weise gebunden sind. Ich kann Ihnen aber auch nicht verschweigen, 
dass ein Teil unserer Wünsche und Forderungen auf heftigen Wider¬ 
stand gestossen sind, und dass es mir mindestens recht fraglich er¬ 
scheint, ob wir auf volle Erfüllung derselben durch einen Akt der 
Gesetzgebung hoffen dürfen. Dies gilt namentlich von der gesetz¬ 
lichen Einführung der organisierten freien Arztwahl. Unzweifel¬ 
haft ist das Verständnis für das Wesen und die Bedeutung dieses 
Arztsystems in allen Kreisen gerade in letzter Zeit bedeutend ge¬ 
wachsen, und daher hat die grundsätzliche Bekämpfung des¬ 
selben von Seiten der Gegner abgenommen. Um so heftiger aber ist 
der Streit um die Frage entbrannt, ob die Einführung der freien 
Arztwahl durch Gesetz den Krankenkassen auferlegt werden 
soll, oder der freien Vereinbarung zwischen diesen und den Aerzten 
vorzubehalten sei. Wir haben daher keinerlei Veranlassung, auf 
den weiteren Ausbau unserer freiwilligen Standesorganisation oder 
die Mittel der Selbsthilfe zu verzichten. Im Gegen¬ 
teil, jetzt heisst es mehr als je. die gesamte Deutsche Aerzteschaft, 
einschliesslich der Gruppen, die allerdings in einer der wichtigsten 
Fragen, der Frage der gesetzlichen Festlegung der freien Arzt¬ 
wahl eine abweichende Meinung vertreten, in dieser freiwilligen Or¬ 
ganisation zu umfassen, um in geschlossener, lückenloser Reihe das 
Endziel unserer Bestrebungen, die Erhaltung der Selbständigkeit, der 
Würde und der Ehre unseres Standes zu erkämpfen. Das ist 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1468 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N<». 27 . 


möglich auf dem Boden der vielfach kritisierten Direktiven, die 
der Deutsche Aerztevereinsbund im Verein mit dem wirtschaftlichen 
Verband den Vereinen gegeben hat. Lassen Sie uns bei der weiteren 
Entwickelung der Kassenarztfrage in den Vordergrund stellen, was 
uns eint; durch gemeinsame Arbeit mit uns werden auch diejenigen 
Kollegen, welche sich bisher nicht entschlossen konnten, das ganze 
Programm der Aerztetage gutzuheissen, davon überzeugen. dass 
wir ihre Interessen keineswegs zu schädigen gewillt sind, dass diese 
vielmehr im Schosse des alle Kollegen umfassenden Bundes am besten 
geborgen sind. Dann wird ein zielbewusstes Vorgehen mit Milte 
freiwilliger Vereinbarung den Rest von (iegensat/en zwischen 
Krankenkassen und Acrzten beseitigen, den der (ieset/geber uns 
etwa unerledigt übrig lassen sollte. Dann wird es zu einem end¬ 
gültigen ehrlichen Brieden kommen, der allein dem Interesse der V er¬ 
sicherten, der Krankenkassen und der Aerzte dienlich ist. 

Welcher Deutsche Arzt aber mochte heute abseits unserer 
Reihen Stellung nehmen angesichts der Verhältnisse in Köln?! Wem 
von uns steigt nicht bei Nennung dieses Namens die Zofnesrote in 
das Antlitz? Utid müssen nicht alle im Lande, die ein Merz für die 
Börderung des sozialen Wohles des Volkes haben, die dort von 
neuem ausgebrochenen W irren aufs tiefste beklagen? Vor *1 lahreu 
hafte der erste und bis dahin grösste Kampf auf diesem Gebiete 
dank dem Solidaritätsgefühl der Deutschen Aerztesch.nt mit einer 
Niederlage der Krankenkassen v o r s t ä n d e nicht der Kiauken- 
kassen, wie ich ausdrücklich hervorhebe - geendet. Die Auf¬ 
sichtsbehörde hatte auf Grund der ihr gesetzlich /usteheiideu Rechte 
und Pflichten eine Bntscheiduug getroffen, dank welcher die arzf- 
liche Hilfeleistung für die Kassenimtglieder unter Hew illigung der 
wesentlichsten Wünsche der ortsansässigen Aerzteschatt geschert 
W'urde. Dass ein solcher Zwangsfriede nicht ein endgültiger s t! |i 
würde, dass die unterlegene Partei wahrend der Dauer desselben 
alle Mittel in Anwendung bringen wurde, um den Nachweis des 
Ruines der Kassen durch das auigezw ungene SWem liefern zu 
können, war vorauszusehen, laid welches S\stem konnte denn uher T 
haupt zürn Segen der Kassen gereichen, wenn es nicht mit gutem 
Willen in gemeinsamer Tätigkeit beider Beteiligten geh.nulh.ibt witd? 
Beide Voraussetzungen haben in Köln gefehlt, und daher musste es 
trotz des sachlichen Bntgegenkommens der Aerzte von neuem zum 
Bruch kommen. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich behaupte, dass 
manche Massnahmen der Kassenvorstände keine andere Deutung 
zulassen, als dass das verhasste Arztsvstem unmöglich gemacht 
werden sollte, und damit dadurch mittelbar der ärztlichen Organi¬ 
sation in Köln das Rückgrat gebrochen wurde. Als zu Beginn 
dieses Jahres, also ein Jahr vor Ablauf des Zw angsfriedens. die 
Aufsichtsbehörde den Kölner Krankenkassen das Selbstverwaltungs¬ 
recht in vollem Umfange zurückgab. wurden zwar Bmigungsver- 
handlungcn zwischen den Parteien geführt, aber schon im März in 
schroffer Weise von den Kassenvorständen abgebrochen, zugleich mit 
einer Anzahl Kölner Aerzte feste Verträge geschlossen und Ver¬ 
suche gemacht, um die Zahl der erforderlichen Kassenaizte aus den 
Reihen der früheren Distriktsärzte in Leipzig zu ergänzen. Wieder 
suchte die Aufsichtsbehörde zu vermitteln, und mit besonderem 
Danke müssen die Bestrebungen des Herrn Oberbürgermeisters von 
Köln zur Wiederherstellung des Briedens unsererseits anerkannt 
werden. Sie mussten trotz weitesten Bntgegenkommens der Aerzte- 
schaft scheitern, weil sie scheitern sollten. In Wahrheit handelt es 
sich nämlich in Köln gar nicht um Mormrarstreitigkeiteii oder um 
Abstellung von Behlern und Mängeln im Arztsvstem, nein es wird 
dort von Seiten der Kassen Vorstände um eine Machtfrage gekämpft, 
die mit der Vernichtung der Organisation und der Selbständigkeit 
der Aerzte enden soll. Und ist es nicht beschämend für uns. dass eine 
solche Situation von unsern (iegnern nur geschaffen werden kann, 
weil sich einige Dutzend Mitglieder unseres Standes bereit finden, 
unter solchen Umständen die Waffen gegen uns durch Abschluss 
fester langfristiger Verträge mit den Kassen vorstanden unseren 
Gegnern in die Hand zu geben? (Pfuirufe.) Sollen diese es dauernd 
unmöglich machen, dass geordnete Zustände auf dem Wege fried¬ 
licher Vereinbarung geschaffen werden? Mit Genugtuung stelle ich 
heute fest, dass aus allen Teilen des Reiches Kundgebungen em- 
laufen, die den Kollegen in Köln die Sympathie der Deutschen Aerzte 
und zwar sowohl der Breunde wie der Gegner der freien Arztwahl 
zum Ausdruck bringen. Ich zweiile nicht, dass auch der diesjährige 
Aerztetag einmütig sich der Kundgebung anschliesseii will, die der 
Geschäftsausschuss im April ds. Js. nach Köln gesandt hat, um die 
dortige Aerzteschaft im mutigen Ausharren zu bestärken, um ihr 
zu beweisen, dass sie nicht allein im Kampfe steht, sondern der 
tatkräftigen Unterstützung der gesamten Deutschen Aerztschaft sich 
versichert halten kann. Wahrlich, es heisst nicht rasten in der 
Arbeit, wenn wir vor dem Urteil der kommenden Generation in B.liien 
bestehen sollen, lind daher erhebe ich auch heute w ieder die 
mahnende Stimme an die Kollegen im ganzen Reich, sich eng um 
unser Banner zu schären und einmütig eiuziistclien iiir die Ver¬ 
teidigung von Standeswohl und Staudesehre. 

Alle Mann auf Deck! Das ist die Losung, mit der ich den 
XXXVI. Deutschen Aerztetag in Danzig für eröffnet erklaie und 
Sie alle zu gemeinsamer Arbeit namens Ihres fieschäftsaussJmsses 
willkommen heisse. (Lebhafter nii-rnm-uu r Beifall.) 

Digitized by Google 


Geh. Medizinalrat Dr. Aschenborn iibcrbra y fi!c h'e-auf 
freundlichen Grosse des preussischen Ku’tusmifgste's. dc'sc e l-.f e 
den lebhaften Wunsch, dass die bcrcshtigtcti W i.nsdte der Xe ■ ’k 
tunlichste Berücksichtigung finden timgen, vl.inat cn,: ah w n de# R • 
lind Mündigkeit m die ar/tüchen \ et h.dtH'jssc t .'»kehren k< •* ■ 

In Vertretung des Kgl. Regier uugspr .tside n:ui sjitu ht Me .!.. - 

rat Dr. Seemann mul gevienkt besonders vles llesetzes gegen 
Kurpfuscher. Bin Mittel zu di reu Be k.immune U .at .iikh a.c Be¬ 
kämpfung der empfimhis he ll AerzteUot auf de tu La'.de. Wedle au 
\ ieleii Oiteu die Befinde des Maates n *tw en.bg tmuhe. 

Stadtrat T o o p beg'usst den Aerztetag mame ns de s O! e r b .' ge r - 
Illeislers und der Madt Dan/ig mit vleni Hinweis aut die w a Vt.gcu .' 
Beratung stellenden allgemein h \ gie msc Ire n lauem Bei ihrem be ¬ 
halten Interesse tur .me sanita* eil Ir.igen wrd d.e Ma ft w ' w a : .• . 
auch diese \ er handlangen mit bes< -nde t er An:- e:l k .sr,Li: \ e: !■ • ge n 

Der Rektor eler teelnnsjieii Mm I Vcbiile, Br 1. K r <• h n. le’t .. e 
gemeinsame n.itur w issnis, liaM..%;kv i .rumdue de r Med.zm u: J ete • 
tevllinschen W isselisc hatten h e r s «• r. Inet w ic dat bedeutet v!.e v 
wendigg Spe‘#%'i!isu*'T ung der Dnschimg kennsue.s eine ze^; 
ternde kpc/J.*ItMer ung eler W jsse ns, halt mul tut ihrer um\ e~%äl e • 

1 ntw te klung kt inen l int rag. 

Dr, Moinber sprüht für die Natu* t* •? u !:cm!c <um v ' .r: 
Danzig, elie, v t 1 1 17 -I .< bestelsetnl. in An 1'tsMi lk zu '.uiue n zu ’ 
Aerzteschatt Danzigs steht und an a eil 1 k st: c i'inge n eiet Ae'de 
w armen Xnt< il iini.mi. 

Blol Barth heg r usst An Xer/tefag mmans des „ 

\ e i e 111 s Dan/ig und gibt eler l reine \ioCiuh. a e die I vc 
iliutscheii Aerzte schall kennen zu e nie n. et e •Ara.i. w* vier Ae *, 
tag statlffUdil. aut neue tlas ^tamle si-i u usslM. ri der \ e ’ /; e s v b.»’t *• t - 
leben. In I hinzu he rr schert g k .u he* \ e r! i.i-iwi Die Pea V •: • 
Wahl ist Iller eiuuh stets s.u ma ht s. nuw;. es un.t I .d - d ' c " 
\ «»l gellen k K ht tlur v hge 1 1 . ll * t W <*r de n. ••Ime vl.tss auf c.e r < j e 
seile eine Bitterkeit herrscht. 

Dir Aorsifzetuk I obker elarikt a eil I ho e : . .. u 'te ll tur Ce 
fl elliullic hell Be g Mi SS ung su 1 .1 te. gedenkt der sdl - nu U | - • ■ e ' m v e o 
die Danziger Natur mrs v iu r \ t rsamim. :ng um) norm, u ,e | ... 

fuhrt \ Oll elelll Ir whe re ll < H'e r I• ,r ,.e ' Pa tsJe r Winter, sie ts e c 
\ or kample t in eler Madte h\ gu ne gewesen sei. 

Nadi Veriisiing einigen Big! assimgsti >t gufiMiii s v V g * de.» \ - 

sitzende ein Begnissungste > annii an Giliemp.it W .i d ; •* h s \ . 

eler. llaelulerii er bis letzt .me 'A Aerztelage t eMid.t, zum e vo 
Male gezwungen ist. tei n/ub.t d>e n. 

All Meile des elmdl K r a*’Lheit \ e ' li .n de ' te M liefe Mi’.tts I '* ' 
l'r. lent wirel Mevlizinairat Dr. I i n d :v a n u zum \ e r t • e t e * d.s 
\ oi sitzenden bestimmt. 

I. Der (icm:hah»hcrlch(, eler gedruckt \.',i^t. u.-d . *-e L» 
kussiou erkiligt. 

II. Vereinshlaft und Ka«»cnhcricH(. 

Der Antrag Mutier- I np/.g An Bt / v g des \ e ’ e s' dt" \ 
für alle Mitgiieeler des Xer/te \ erenisl-utrde s td is. h zu m • , . 

Wird auf \orsJllag des \ . •' s;*, e Ilde ll dem « le s v !,.-.ttsaiiss v ( jss ,'c'- 
w lesen; ebenso stimmt eler \ sitze nde vie r Xme g.n g 

S t e t n b r u c k - Me tim zu. ai.ui K r ark e id: ,o.se • n el.is X e • e • s. 
blatt zii/useiiileii. lim die Hingen Xe'zte mit eien Mar de s'h s*- t 
bekannt zu maeheii. 

Der K a s s e n b e r i e h t wird n.u b k u* / e * Diskuss;, n ge ’v ‘ . t. 

der labresbeitrag m ele r ImsIk t igen 11 he Ih ass<. n. 

III. I»er midiste Punkt vier I age s. a d"i:r g be tr i**t d.e Schulde- 
SiindlidtüpflcKC u m eI zwar a) die t nterwelsung und tr/ichung der 
SchuljiiKcnd zur (icMindhei^pflegc. h) da» Schular/twesen. 

Leber den erstell leil berichtet 

fs t e p ll a n i - M.nölfu mi an eh r Ham! ,.e oder I e -tsat/e ; 

I. Die hm anw ,k bsc. nde liumnl muss cumh v!;e >c'::u.e mt eie n 

Regeln eler < iesumllie itspde ge S e r 1 1 a u t gi v..u!.l Werden. 

Bill Melitigis Xeustandms eler < ie s>ui d!e 'tsp* e v e ist \ • •' )'f d m v u • v 
für zweckmassige Xnw emiung ile tse Iben; via se 1 : • t zur Hebung 
Volksgesiimllie It. eler X ■>' k sw • d: Uah* t und ekr \ ' lks\e e k • alt li: 
mehrt elaeiurch ek r) \ < •!L sr e u htum 

2 Bei XusbiMimg ade i 1 ehr Kräfte tu* \ • ’k s- um! !u V.e *e >v V;; eu 
muss ehe (iesmielhe itsjule ge einen hes..mieten \ n!ir:,d'!sc'ci:iv.i’ .! 
bilden. 

/ll diesem Unterricht send in erste r I m e da Xe'/te ber;r-. 
wrklu* dar. h ilna- A"sbi.vlnng und elumh ilmn lk r ut e! c <iew.. - 
dafür bilden, elass elieser l nteiticbt ein zue A': Mt. 

d. Bei iedetn geeigneten l nterris l:tss{. ft san.1 c e M ‘ er auf d e 
Gesumllieitspili ge Imi/uw eisen mal zur dauernden lat cimg v k r 
Regeln anzuhade n. 

In die I a hl Imu.Ii» r samt ! u her de I lde t 1 siirj gee.cUele Kap te 1 ; ’ e * 
Gesittteb'eitstakuse .iiit/mn. Ima n. 

1. I.lll besonderer l nte» r k ht über Ge MP: d 1 e ds G ist V.mct- 
saclilich Inr a.ter e >.!i der w misc ’ie ms a e ' t. 

Xn >c knien trat I .te bk !o s\ sr.'n ] : gf de r I a ,, t *u d.-r <u- 

sumllieitsptk ge »IutcIi e i arie I .u ' e •;* e r. w ■ >v • ^ ich dm di e:ne n A: et 
ZU erteilen. 

5. Behufs zw i c k m.issi g t ? I i.i-, : r - I uv. *w e stag v 1 

Brzie liung dar S Jinim.a nd ist e- X* ’- r • • ■ de- Xe'/tc m A. i 
dchnlbeln u Je n er tarier ddi. 

Original From 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





r.juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1469 


In^ besonderen legt Referent bei Punkt 3 grossen Wert auf 
die durch alle Klassen von Anfang an fortgesetzte fast unme'rkliche 
Unterweisung: und Erziehung zu gesundheitsmässigen Begriffen und 
Verhalten. Die wichtigste und schwierigste Frage ist die, wer den 
Unterricht halten soll. In der Stadt mögen sich genügend viele Aerzte 
finden, auf dem Lande ist es unmöglich. Auch in den städtischen 
Volksschulen ist es schwierig, da dort ja keine Fachlehrer wirken. 
Es hat auch nicht jeder Arzt die den jungen Schülern angepasste 
Interrichtsgabe; es kann eigentlich nur für ältere Schüler, da wo 
Fachlehrer wirken, der Arzt in Betracht kommen. Sehr wichtig ist 
die Beiziehung des Arztes in die Schulbehörden, denn nur der Arzt 
vird das nötige nachhaltige Interesse für diese Fragen haben. 

Zwei Fragen sind auszuschalten: 1. Die Frage der sexuellen 
Auik 1 ä r u n g der Jugend ist zurzeit noch nicht genügend geklärt, 
wie es auch der 3. Kongress der deutschen Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten in Mannheim und die Verhand¬ 
lungen des internationalen Kongresses für Schulhygiene gezeigt 
haben. 2. Die Frage der Kurpfuscherei. Der Kampf gegen diese 
muss auf einem anderen Felde geführt werden. In der Schule wird 
-re richtige Unterweisung in hygienischen Fragen allein dem Kur¬ 
pfuschertum entgegenwirken. 

ln der Generaldiskussion betont 

Petruschky- Danzig, dass, so lange die These 2 so wenig er- 
i.llt ist, unsere Vorschläge noch grossenteils unerfüllt bleiben wer¬ 
den. Das wird noch lange dauern. Vorerst sieht der Lehrer in dem 
Arzt nur den unbequemen und ungerufenen Mitarbeiter. Das erste 
müssen Fortbildungskurse für die Lehrer aller Schularten sein, dann 
ist das wichtigste die allmähliche unablässige erzieherische Tätigkeit 
itr Lehrer und soweit es möglich ist, die direkte hygienische Auf- 
' kärung der Schüler durch Aerzte. Auch die Eltern müssen noch erst 
erzogen werden und dazu sollen die Elternabende dienen. 

Es liegen folgende Anträge vor: 

I C o h n - Charlottenburg: Zusatz zu These 1: Voraussetzung ist, 
dass Schulhaus und Schulbetrieb den Anforderungen der modernen 
Hygiene entsprechen. 

) Zusatz zu These 3: Eine Mitwirkung der Schule bei der not- 
f 5 endigen sexuellen Aufklärung unserer Jugend erscheint unent¬ 
behrlich. 

Bei These 4 zu streichen die Worte: „Durch eigene Fachleute, 
womöglich“. Zusatz: Die Anstellung von Schulärzten für alle Schulen 
wird die Durchführung dieses Unterrichtes erleichtern. 

Kormann -Leipzig wünscht wie Cohn dieselben Worte in 
1 These 4 zu streichen. 

1 V a n g e h r-Tilsit wünscht (zu These 3) die Einführung be¬ 
sonderer Lehrbücher für Gesundheitspflege, wie ein solcher Ge- 
sundheitskatechismus früher schon in Gebrauch war. Ebenso wünscht 
er die Bekämpfung der Kurpfuscherei in der Schule, nicht aber die 
sexuelle Aufklärung. 

Cohn- Charlottenburg wünscht die Unterweisung durch Aerzte, 
nicht durch Lehrer, die bekanntlich vielfach Anhänger der Naturheil- 
unde sind, dafür sprechen auch die namentlich im Auslande gemachten 
cjten Erfahrungen. Vor allem müssen auch die vielfach noch sehr 
schlechten hygienischen Verhältnisse in den Schulhäusern und im 
x hul betrieb eine Besserung erfahren (Lehrpläne, Schulstrafen, 
Fragein, Erholungspausen, Schularbeiten u. s. f.). Bezüglich der 
s:\uellen Aufklärung muss sich der Aerztetag äussern, wenigstens 
1 ^nin, dass eine Aufklärung überhaupt stattfinden soll, wenn auch 
: . ent. nur im naturwissenschaftlichen Unterricht. Aerzte, welche den 
vgienischen Unterricht erteilen können, sind jedenfalls in genügender 
wähl vorhanden, zumal wenn in den höheren und niederen Schulen 
>c'iulärzte angestellt werden. 

Jaks- Thüngen wünscht die Aufstellung von Schulärzten auch 

dem Lande, die Landärzte werden sich vollkommen dazu eignen. 

In der Spezialdiskussion hält 

Stephani - Mannheim den Zusatz Cohns zu These 1 an sich 
r gut, zieht aber eine möglichst bestimmte, einfache Fassung vor. 

These 1 wird unverändert angenommen, ebenso 


Zu These 3 spricht sich der Referent gegen die sexuelle Auf- 
t U'ung aus. Dieser Gegenstand soll möglichst wenig öffentlich be- 
indelt werden; er erklärt sich nach seinen Erfahrungen als Schul¬ 
et entschieden als Gegner jeder sexuellen Aufklärung in der Schule, 
e gehöre ausschliesslich ins Elternhaus. 

FI e r z a u - Halle: Der Aerztetag soll sich zur sexuellen Äuf¬ 
nung äussern. Diese Aufklärung ist nur in der Schule möglich, 
s jetzt haben sich Lehrer und Aerzte nur wenig an die Frage 
"'angewagt. In Halle hat man die besten Erfahrungen gemacht, 
i Wehdem es* anfänglich in der Schuldeputation mit den Lehrern 
nweren Streit gegeben. Nun hat der Stadtarzt D r i g a 1 s k y zu- 
\ : .h st den älteren Fortbildungsschülern, dann auch anderen Schülern 
I Ogenwart der Lehrer und Lehrerinnen entsprechende Belehrungen 
" und zwar mit bestem Erfolge. In der richtigen Weise geübt, 
tauten solche Aufklärungen einen grossen Fortschritt. 

Pfalz-Düsseldorf wünscht diese Aufklärung wenigstens für 
1 i schiilpr der obersten Klassen. 

KöniVsb öfer- Stuttgart: Die sexuelle Aufklärung gehört 
S ■ Unterricht hinein, zurzeit kann man aber nicht 


- äen hygienischen 


gleich allen Lehrern diesen-Gegenstand zumuten, damit würde man 
der Sache mehr schaden, daher empfiehlt sich wohl am meisten die 
Anregung von P f a 1 z. 

Kormann -Leipzig wünscht den Antrag Pfalz wie folgt zu 
formulieren: 

Bei der Schulentlassung ist durch geeignete Aerzte eine Be¬ 
lehrung über die Gefahren der Geschlechtskrankheiten zu geben. 

H a k e r - München: Bei Aerzten und Lehrern bestehen jeden¬ 
falls noch Gegensätze über das W i e der Aufklärung. Diese Auf¬ 
klärung hängt sehr von den Persönlichkeiten ab und nicht alle sind ' 
dazu geeignet. Es ist das beste, die These unverändert anzunehmen 
und auch die Einführung eines Katechismus abzulehnen. 

K o r m a n n - Leipzig: Das wichtigste ist, dass die Aufklärung 
nicht zu früh erfolge, die grosse Mehrzahl der Kinder ist nicht ver¬ 
dorben. Mit der Aufklärung könnte nur der Lehrer betraut werden, 
aber man tut ihm keinen Gefallen damit, es erwachsen viele Unan¬ 
nehmlichkeiten und auch die Gefahr von Denunziationen usw. Da¬ 
gegen haben sich die Aufklärungen, welche an Gymnasien durch 
Aerzte in Gegenwart von Lehrern und Eltern an die Abiturienten 
erteilt wurden, gut bewährt. 

P e r u t z - München beantragt besonders die Aufklärung über 
die Schäden des Alkoholmissbrauches zu fordern, damit man sehe, 
dass die Deutsche Aerzteschaft dieser Frage gebührende Aufmerk¬ 
samkeit schenke. 

Scheyer -Berlin stellt mit kurzer Begründung den Antrag, 
auszusprechen: Die Frage der Mitwirkung der Schule bei der 
sexuellen Aufklärung hält der Aerztetag noch nicht für spruchreif. 

S c h ü c k - Berlin: Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten hat ihre schönsten Erfolge gerade solchen 
Aufklärungen zu danken. Auseinanderzuhalten sind dabei die bio¬ 
logisch-physiologischen Fragen und die Geschlechtskrankheiten. Ge¬ 
rade während der Entwickelungszeit, dem bisexuellen Zustand nach 
Moll, sind solche Aufklärungen durch Aerzte besonders wichtig. 

L i n d m a n n - Mannheim: Die Meinungen der Aerzte sind sehr 
geteilt und es wäre nicht gut, sich mit einem schwachen Majoritäts¬ 
beschluss festzulegen; es fehlt zurzeit noch an geeigneten Lehrern 
und Aerzten. Vor kurzem hat in der badischen Kammer der Minister 
die Frage noch für undiskutierbar erklärt. Auch die Aufklärung der 
Abiturienten ist nicht notwendig, die meisten bedürfen derselben nicht 
mehr. 

A 1 e x a n d e r - Berlin beantragt zu 3. noch hinzuzufügen: Je¬ 
doch sind Ratschläge in Bezug auf Behandlung von Krankheiten un¬ 
zulässig, und: für die Abfassung von Lesestücken ist die Mitarbeit von 
Aerzten unentbehrlich. 

Nach Annahme eines Schlussantrages und kurzen Bemerkungen 
des Referenten wird der Antrag Scheyer gegen 44 Stim¬ 
men angenommen und die These 3 mit den Zusätzen 
von Alexander angenommen. 

Bezüglich der Anträge zu These 4 führt 

Stephani als Referent aus, dass die allgemeine Durchführung 
unmöglich ist, wenn ausschliesslich Aerzte den Unterricht erteilen 
sollen; die Erfahrungen im Ausland sind nicht durchwegs so gut wie 
Cohn angegeben hat. Die entsprechenden Aerzte sind schwer zu 
finden und wie die Lehrer werden auch die Aerzte nicht gut bezahlt 
werden. Es genügt, zu sagen, dass womöglich Aerzte den Unter¬ 
richt geben sollen. 

Kormann -Leipzig will von einem Kompromiss nichts wissen 
unter Hinweis auf die bedenkliche Kurpfuscherei durch zahlreiche 
Lehrer, kommt es doch vor, dass derselbe Lehrer Vorstand eines 
Vereins für Schulgesundheitspflege und Vorstand eines Naturheil¬ 
vereins ist. 

Die Abstimmung ergibt die Annahme der 
These 4 mit Annahme der Anträge Cohn und Kor¬ 
mann und Ablehnung des Antrages Perutz. 

Die These 5 wird angenommen, der Antrag 
Vangehr abgelehnt. 

IV. Wahl des Geschäftsausschusses. 

Gewählt werden: L ö b k e r - Bochum mit 20 550, Hartmann- 
Leipzig mit 20 317, D i p p e - Leipzig mit 18 433, Herzau-Haüe mit 
18 002, W e n t s c h e r - Thorn mit 17 707, P f e i f f e r - Weimar mit 
17 250, W i n k e 1 m a n n-Barmen mit 16952, M u g d an - Berlin mit 
16 844, K ö n i g s h ö f e r - Stuttgart mit 16 241, Le nt-Köln mit 
14351, Mayer-Fürth mit 11125, P a r t s c h - Breslau mit 8112 
Stimmen. 

Es erhielten ferner noch Stimmen: F ra n z -Schleiz 6690. 
Reh m - München 6683, Lindmann - Mannheim 5995, K a s 11 - 
München 4865, Scherer - Ludwigshafen 4838, Hartmann- 
Hanau 4581, D e a h n a - Stuttgart 4029 Stimmen usw. 

Nach Schluss des Aerztetags wurden in den Geschäftsausschuss 
kooptiert: Lindmann - Mannheim, B r u n k - Bromberg, Sche¬ 
rer- Ludwigshafen, Hartmann - Hanau, D e a h n a - Stuttgart, 
Munter- Berlin, Scheel- Rostock, Rehm - München, Franz- 
Schleiz. (Schluss folgt.) 


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1470 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Kn. ” 


Verschiedenes. 

Ehrengerichtliche Entscheidungen. 

In der ehrengerichtlichen Unterstichungssache wider den Ar/.t 
Dr. Hans Fischer, früher in Wilmersdorf, jetzt in Karlshorst wohn¬ 
haft — E. G. 104. 07 — ist dieser Angeschuldigte durch das rechts¬ 
kräftige Urteil des Unterzeichneten Gerichts vom 9. April 190N wegen 
Verstosscs gegen die Standesehre mit einer Geldstrafe von Kkki M. 
und mit der Veröffentlichung dieser Entscheidung bestraft worden. 

Berlin, 16. Juni 1908. 

Aerztliches Ehrengericht für die Provinz Brandenburg und den Stadt¬ 
kreis Berlin. 

ln der ehrengerichtlichen Untersuchungssache wider den Ar/t 
Dr. Hans Eise her, in Karlshorst bei Berlin wohnhaft. E. U. 

34. 08 — ist dieser Angeschuldigte durch das rechtskräftige Erteil 
des Unterzeichneten Gerichtes vom 6. Mai 1 ( >08 wegen Verstosses 
gegen die Standesehre mit einem Verweise und einer Geldstrafe \"ii 
2tMM) M., sowie mit der Veröffentlichung dieser Entscheidung bestraft 
worden. 

Berlin, 18. Juni 1908. 

Aerztliches Ehrengericht für die Provinz Brandenburg und den Stadt¬ 
kreis Berlin. 

In der ehrengerichtlichen Untersuchungssache wider den Ar/t 
Dr. Ernst Geyer in Schoneberg, Hauptstr. 4. wohnhaft. E. < i. 

35. 08 — ist dieser Angeschuldigte durch das rechtskräftige Er¬ 
kenntnis des Unterzeichneten Gerichtes vom 6. Mai Iöos wegen Ver- 
stosses gegen die Standesehre mit einem Verweise, einer Geldstrafe 
von 1000 M. und Veröffentlichung dieser Entscheidung bestraft 
worden. 

Berlin, 18. Juni 1908. 

Aerztliches Ehrengericht für die Provinz Brandenburg und den Stadt¬ 
kreis Berlin. 

Dr. Geyer ist bekanntlich der frühere, Dr. Hans E isclicr der 
derzeitige Gehilfe des Kurpfuschers M i s t e I s k i. 

Eine Sterilisationsflaschc für physiologische 
Kochsalzlösung bringt die Hofapotheke in Heidelberg in den 
Handel, welche es ermöglicht, die sterilisierte Losung jederzeit ge¬ 
brauchsfähig vorrätig zu halten. Die Eiasche ist aus dünnem Glas 
hergestellt, kann somit ohne Gefahr höherer Temperatur ausgesetzt 
werden; ausserdem ist die Einrichtung getroffen, dass die Ausguss¬ 
öffnung entweder durch einen Wattebausch oder durch Aus/ieheii 
der Glasspitze ganz geschlossen werden kann. 

Ist der erstere Modus gewählt, so ist die Eiasche leicht durch 
einen durchbohrten Stopfen mit Schlauch und Trokar zu verbinden 
und direkt als Irrigator zu verwenden, während im zweiten Falle der 
Schlauch einfach über die Spitze gezogen wird. 

Therapeutische Notizen. 

Die Wirkung des Wismutsub nitrat auf gewisse Ver¬ 
dauungsstörungen beruht nach Untersuchungen der chemischen 
Fabrik Bong 6t Sohn in Böblingen auf einer Hemmung der Miklr- 
säuregärung; sie wird beeinträchtigt durch die spezifische Schwere 
des Wismut und sein dadurch verursachtes Bestreben, sich zumal in 
proteinhaltiger Umgebung schnell in körnig gehallter Form ah/u- 
setzen. Um dies zu vermeiden, stellt die Fabrik mit Kakao und etwas 
Zucker bereitete Pastillen mit einem Gehalt von 0,3 Wismutsulmitrat 
her, in welchem das feinst zerteilte Präparat von dem Fett des 
Kakao eingehüllt ist. Hiedurch wird erreicht, dass das Wismutsub- 
nitrat im Organismus in suspendierter emulsionsartiger Form zur voll¬ 
ständigen Wirkung gelangen kann. (Allg. Med. Zentralztg. E>n*, 
No. 18.) R. S. 

Die natürlichen und künstlichen k o h 1 c n s a u r e n 
Bäder empfiehlt Mougeot in einer längeren, mit einer histo¬ 
rischen Einleitung versehenen Abhandlung (Revue de Thcrapeutujue 
mödico-chirurgicale, 1. Mai 1908) vor allem bei 3 Arten von Er¬ 
krankungen: bei Typhus, bei mit Insuffizienz verbundenen Herz- 
klappcnfehlern, bei Chlorose und Anämie. Das natürliche k"hlen- 
saure Bad ist die Behandlung der Wahl bei einer grossen Anzahl mit 
vermehrtem arteriellem Druck verbundener Fälle, wo auch die 
künstlichen Bäder Erfolge, wenn auch weniger befriedigende, geben. 
Letztere lassen trotz der Vorzüge der natürlichen, bei Erscheinungen 
von Arthritis, wie Hypoazoturie, Ekzema, wandernden Muskel¬ 
schmerzen, Bronchitis, Tracheopharyngitis wenig an Erfolg zu 
wünschen übrig, ebenso kann man sie zur Behandlung der Tabes 
anwenden. Sehr grosse Dienste leistet das künstliche Bad bei den 
akut fieberhaften Krankheiten, wo das natürliche Bad nicht in Be¬ 
tracht kommen kann, und vor allem beim Typhus. Seme Wirkung 
ist eine vollkommenere, wie jene des einfachen Bades, es erniedrigt 
in ausgesprochengr Weise die Temperatur, vermindert in höherem 
Grade die Pulsfrequenz und verursacht eine noch stärkere Diurese. 
M. rät daher statt der kalten Bäder, die kohlensauren Bäder, die 
selbst bei höheren Temperaturgraden stärkere Wirkung haben, bei 
Typhus allgemein anzuwenden; man könnte den Kranken damit die 


W irkung des immerhin sehr unangenehmen, am Anfang a 
Schocks ersparen und die Zahl der Bader \ er mm :cr n. was 
Brandt sehe Methode iur die Pta\;s n«««Ji ie.Jitcr ges;., ;<.:i w . 

Als heller/.gensw erte \ orv.Jitsnuwegij efffptich t NE. <. • " 
kleineren Baderaum, in dein man e.n an k-m c;>aaie sehr re ros Im . 
gibt, gut zu lütten. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ü n c h c n. 6. Juli I * -v 

Der 30. Deutsche Acr/tctag m D.iförg ^ E 

der Generalversammlung des leipziger Verbal.dcsi lat sich in :* 
als einer Beziehung m scharten Widerspruch gesetzt zu si.-- \ •- 

ganger in Minister. Der \ ra»l;ka.em «niste e'i de M ’ » 

Aer/tet.ig hat es snh geladen lassen müssen. m.i-.t nur m a. 

seine Bes», h.usse, heltittenJ die \ erhalt.: rd ge n mit de n l e '• e * * 
Me. heT ungsgeseiic li.ilte II, sondern. was w n litigef ist. Mi he, mg . 

Gesamttendeii/ .die ei* - r t /um Vusd» ii» k ge k--:rm.t n w.o. K-" .. e " 

zu w er eien. I nter dem Beii.nl tks Ai r/ti tags war m V. .-.sti: \ • 

N ersJliedcMeil Ri dliern die N**tw tfi Juki :J »1er ..re m c'.eil *.i . ^ 

proklamiert wrdeii. d. h. des Aus>cP uw s Erunan Mu * 
aus Aer/lev er emsPuinl und E. \ .. ine '.di »!e r 1 • zw u. K .mg der l’e . 
Arztwahl gegen den WumsJi der bete -Kien K.ienn.i’/Ii w * s;„ ■ • ■ ■ 
wollten. In einem Riukhiick auf de n Xe:ztetag ui N • J". I • 7 • 

wiesen wir aut die < n t.iln in hke it s- .„.hct Best-e: ai.gui t r de”. !•. 
stand unserer Organisation hm und warnten davor. »um m : s.r i e - 
richteten Bau len litte r tig nii/nrei'Hii. 1s gereicht uns .m: « n 
tuung, dass unsere «*tt ausgi spr o v he t c \i'VcM. »lass iinnre « »' ^ n 
satmu /um kample gegen n.e « ie w a d.he r r Sc halt de r Kassen. ii:c ■;: 
i Kample gegen K • *E e ge n ge s v hallen sei. um! dass d.c Bim"',:' k 
K ollegen zur trenn Xrztwahi auf dem Wege de r ln emu-m 

I eher Zeugung, nicht dufeti die Zw ah..snnt'U i des p. \ r. dt i.- .1 
Sperre erreicht werden müsse, mm and) in den ie de k n Ke 
des Aer/tetags bc/w. des E. \. ii;in!\e dr idme ii ist. Har tü. a : 
gab dem m seiner Eröffnungsrede der < ;e ru ra v s.o- m 'erg de s 1 X 
mit eien Worten Ausdruck, die freie Arztwahl d rie mdit .ruM d 
Zanka[i!el unter den K'd.e gen bikkn. Xu d.e "te e des Rute s t.a. ” 

reinlicher Scheidung trat die Mahnung ..''ent em.g. im g. i ; k . 

Hart manu m der einen >itzung dreimal in u!ui:.i\ :.hii We ■» 
den Kollegen zunet. 

Wann wird man audi in MuU%.heii die K-mse.jutuz aus da'.' 
veränderten >.uliiage ziehen.-' Vdr innrer ist m M Md.eii d.e e: 
Richtung massgebemt. die, um die ir.ie Ar/twaln bei den P- st- 
Balmkasseii zu erzwingen, die 8*prt n s ung de s Be zi: es\ e r eins hm . 
führte uiiel m fünf langen Jahren eiaKi d -di u!c r ‘ts errerdde. a % e • e- 
trostinse Verwirrung ader kni,ui.i,ni V er ha.tmsse. Im Reute 
diese Riehtimg abgetan; wann wird man audi m M muhen zu: 1 
siclit kommen, dass es f.tSdic Propheten waren, »ie u m u B:i..:m- 
kritg. der lins in Mu lulle« n*»wh luute entzweit, t •••!:.»» lite n um! 
elieiemgen Kollegen die w eiletb.ukernten w.nu. »!ie die tried ,dd. 
wenn auch langsamere I nt w k *> .img dem .itpsuMs • »in Kample \ 
gezogen wissen Wollten r* 

- - I >er Z e n t r a I \ c r e i n deutscher > t • • m a t <> I ■ ■ g e ’. 
zu Dresden wendet sidi m einem Zi'kuar gigeii das kV 
ge r ic Ii t su r le 11 m dem 1 iteipr*>/e ss der Zan-i'ztc Dresdens g< .. 

Dr. Breitbach «s. diese W odrensdn Mt l>o. > 1 - ^ wi. . 

mehrere uurKlr.ige Angaln-n eiitha te. die üngn! s -r|. »!en l .tf- 
bestand zu entstelkn; so n.irnent.-Wh. »lass ln. B sidi as 
ar/t" angekundigt habe, und dass „Z i' narzt" um! di'i .-.a .rd * 
Zahn- und Mnndkr.inkhtJtu u" rdr nt;' zu r t w e* !e. Die l.gnrg d» 
Internationalen > t <• m*t t *• 1 <• g i s c h c n « i i s ^ s c : a : • 
zu Paus im August l'iol hat a^» «nundsatz .uihidi .t. »lass de- Za 
arzt Arzt sein müsse, dass me Bi zi n f.mmg ../an-dn ... 

durch die umlassende re Be/tuhmmg „ v b rr.at. ' c" t ’ fzt wt’d 
solle und dass ie»U r >t<'in.iWEa >;u ziahmzt t *r Zahn- w '■ 

Mundkranklieiten berechtigt sein in ah-. v »ä - h ie !'»•», n.le'C Ar; - 
batioii die Bezeislmung seines >;h z a t.icl is bi .zu i . • Gtt rrs . w . 
jeder Augen-, Ohren- etc. Xr/t. I he >;• m.it l g e s. •.. m ;!. r e m * i m 
begntleii obligatorischer l n|ri r k ‘-fsgi d pstaf»' i .r e \ n M«-' er¬ 
den der Medizin sein, in k di m l arde s...; w emgs^ns an e.ne 
Emversitat Gelegenheit zur • spez ia is;a. !;eii Xus?>. g ge’- t i 
werden. 

Die I »epntatioii tut die '»f.tdf ;s J-,e lr n ry'\ ge m Bi' ti b. t 
beschlossen, iur le »le de r s t a »I t i s v fly n I r r «. n a v s t a I t e n e 
eine Assistentin zunächst \ ersu v !tsw i m a-zus*» \\ 

lur den k n r zir i s ti k e n Z \ k ' u s u m " ! K i *- 

lieber ii r z t I i c h e r I t 1 i ' : « n g s x u » v v m B-. - n s ■ 

E>. bis 31. (»ktober d. .1. siml \. an Re .c hs.uiss. • I r ».as ,i-zv c t 
Eortbildimgsw eseii in V er bmdung n d* m Zi -t' a s -v itu na» ' 
stellende Bestimnm-'gi n getr-mn wadi.n 1. lk v btigmg zur 1- - 

nähme. Zur J eiiitahme an di n I "üi ; i'wn i; 1 V " 

ist jeder deutsche Xrzt ge p u 1 ''egm’g t .t’e r l "sd'-i • g-, ; ” r \ ’* 

15 M. iur den ganzen Z.\ s.us bertr t t gt. Da.se 1 ixbi --n ge ‘ 
wird niJit zuriic kerstatti t. sofern a-;s irg*-*: !w e\ ht n ‘i ” len t 
Jeilnahme an dem Z \ k ■ 11 s tmtit n • gdc h ist. e me Zu: c K-•-stufim.. 
erloigt nur dann. Wenn etwa sam.tl.che bet der Me Jung gew :r-s» ’-k ‘t 
Kurse und Vorträge schon besetzt s::;J. 2. Art der An::;e'düng., Pr * 


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7 . Juli 10ÖÖ. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1471 


granime und Meldezettel für die gewünschten Kurse und Vorträge 
sind unentgeltlich im Bureau des Kaiserin-Friedrich-Hauses für das 
ärztliche Fortbildungswesen (Schalter für Kartenausgabe) zu er¬ 
halten, wo auch Auskunft erteilt wird (schriftlich nur gegen Er¬ 
stattung des Rückportos oder wochentäglich von 9—2 Uhr persönlich). 
Bei schriftlichen Bestellungen auf den Meldezetteln ist zugleich die 
F.inschreibegebühr (durch Postanweisung) zu übersenden, ohne 
welche die Meldung ungültig ist. Alle schriftlichen Meldungen und 
Postanweisungen sind zu richten an: Herrn O. Ziirtz, Kaiserin- 
Fried rich-Haus, NW. 6, Luisenplatz 2—4. Persönliche Meldungen 
werden wochentäglich von 9 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachmittags 
angenommen; hierbei ist zugleich die Einschreibegebühr zu erlegen. 
Telephonische Bestellungen von Karten und Verzeichnissen können 
nicht berücksichtigt werden. 3. Termine der Meldungen, a) Be¬ 
ginn der Meldungen: 10. August, b) Schluss der Meldungen: 17. Ok¬ 
tober. 4. Programmheft. Vom 10. August an werden täglich aus 
allen bis 2 Uhr nachmittags eingelaufenen schriftlichen und persön¬ 
lichen Meldungen durch Auslosung die Teilnehmer für die einzelnen 
Kurse festgestellt, welche hierauf ein Programmheft erhalten. Das 
Programmheft ist unübertragbar, enthält den Ausweis für die Kurse 
und ist auf Verlangen beim Eintritt in die Kursräume vorzuzeigen. 
5. Zuschriften. Alle Zuschriften sind zu richten an das: Bureau des 
Zentralkomitees, NW. 6, Luisenplatz 2—4 (Kaiserin-Friedrich-Haus 
iür das ärztliche Fortbildungswesen). 


— Das am Hausstein bei Deggendorf errichtete 
Sanatorium für Lungenkranke aus dem Mittel¬ 
stände ist am 15. Juni in feierlicher Weise eröffnet worden. Aus 
diesem Anlasse wurde dem leitenden Arzte des Sanatoriums, 
Dr. H o h e, der sich um das Zustandekommen dieses gemeinnützigen 
Unternehmens die grössten Verdienste erworben hat, ebenso dem 
Vorsitzenden des Sanatoriumsvereins Dr. Werner- München der 
Titel eines K. Hofrates verliehen. 

— Der bisherige Leiter der Deutschen Heilstätte in Davos, 
Stabsarzt a. D. Dr. B r e c k e, folgt einem Ruf an die von der Ver¬ 
sicherungsanstalt Württemberg neu erbaute Heilstätte bei Isny im 
Allgäu; an seiner Stelle übernimmt die Leitung der Deutschen Heil¬ 
stätte in Davos Medizinalrat Dr. Kölle, langjähriger I. Assistent der 
Heilstätte. 

— Wie uns aus Königsberg i. Pr. gemeldet wird, ist der Privat¬ 
dozent für innere Medizin an der dortigen Universität, Dr. med. 
Walter Rindfleisch, zum Oberarzt der Station für innere Er¬ 
krankungen am städtischen Luisenhospital zu Dortmund berufen wor¬ 
den; er tritt dort an Stelle von Dr. Franz V o 1 h a r d, der die Leitung 
des allgemeinen Krankenhauses in Mannheim übernommen hat. (hc.) 

— Herr Dr. Julius Peiser »bisher Assistent an der Kgl. Uni¬ 
versitätskinderklinik in Breslau wurde in die neue Oberarztstelle an 
der Berliner Säuglingsklinik gewählt. 

— Dem Direktor des Stadtkrankenhauses zu Chemnitz i. S. und 
Oberarzt der chirurgisch-gynäkologischen Abteilung desselben, Hof¬ 
rat Dr. Reichel wurde der Titel Professor verliehen (hc.) 

— Dem Direktor des Instituts für Hygiene und Bakteriologie 
Dr. Bruns in Oelsenkirchen, dem Arzt Dr. Hecker in Wiesbaden, 
dem Assistenten bei der Chirurgischen Klinik im Charitee-Kranken- 
hause in Berlin Stabsarzt Dr. N e u h a u s ist das Prädikat „Pro¬ 
fessor“ beigelegt worden. 

— Der bekannte Chirurg. Geh. Med.-Rat Dr. med. Edmund 
Rose. ord. Honorarprofessor an der Berliner Universität, beging am 
>. Juni die 50 jährige Doktorjubelfeier, (hc.) 

— Die Herren Mistelski und Dr. Hans Fischer haben die 
i.- der Beleidigungsklage gegen die „Münch. Neueste Nachr.“ von 
ihnen eingelegte Berufung zurückgezogen. Das Urteil (s. d. Wochen¬ 
schrift No. 13, S. 710) ist somit rechtskräftig. Ebenso hat Herr 
Mistelski eine Beleidigungsklage gegen den Redakteur dieser 
V, ochenschrift, zu der ihm der im Jahrgang 1907, No. 46, S. 2308 
dieser Wochenschrift erschienene Bericht über die schöffengericht- 
nche Verhandlung vom 31. Oktober Anlass gegeben hatte, unter 
Tragung der Kosten zurückgezogen. 

_ In Marienbad hat sich ein Verein zur Errichtung 

eines ärztlichen Erholungsheims konstituiert (s. a. 
No. 40. 1907 d. W.). Den Bemühungen des vorbereitenden Komitees 
>t es gelungen, schon in diesem Jahre für 40 Aerzte in der Vor- und 
Nachsaison freie Unterkunft in Marienbad zu schaffen und eine Reihe 
von sonstigen Vergünstigungen und Preisermässigungen zu erwirken. 
Der Verein erlässt an alle Aerzte des Deutschen Reiches und 
Desterieich-Ungarns die Einladung zum Beitritt, um sein Ziel, die 
Errichtung eines eigenen Gebäudes baldmöglichst zu erreichen. Bei¬ 
trittserklärungen, sowie Gesuche um Freiplätze sind an den Vor¬ 
stand des Vereins zu richten. 

_ p er ] m Kongress der Internationalen Gesell¬ 
schaft für Urologie findet vom 30. September bis 3. Oktober 
1^08 zu Paris statt. Tagesordnung: Pathogenese rnd Behandlung der 
Viurien- Retentionen in der Blase ohne mcchr mische> Hindernis; 

rmaie und pathologische Physiologie der Prostata; Indikationen zur 
Operation bei Nierentuberkul°se. tte , deutscher Psychiater 

f min een hält ihre nächste Versammlung am 25. Ok- 

ib »rdJsin Halle a. S. ab. Vorträge sind bis längstens 1. August 


i 


ds. Js. bei Geheimrat Prof. Dr. Anton, Halle a. S., Kgl. Nervenklinik, 
Julius Kühnstrasse 7 anzumelden. 

— Von der Kryptogamenflora, die von Prof. Walter 
Migu 1 a als V.—VII. Band von Thomas Flora von Deutsch¬ 
land, Oesterreich und der Schweiz herausgegeben wird, 
sind jetzt die Lieferungen 49—53 erschienen (Verlag von F. v. 
Zezschwitz, Gera; Preis pro Lieferung 1 M.). 

— Cholera. Britisch-Ostindien. In Kalkutta starben vom 
10. bis 23. Mai 180 Personen an der Cholera. — Hongkong. In der 
am 4. April abgelaufenen Woche sind 2 Todesfälle an Cholera, welche 
Chinesen betrafen, festgestellt worden. 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 8. bis 13. Juni 10 Per¬ 
sonen an der Pest erkrankt (und 6 gestorben), seit dem 7. Mai ins¬ 
gesamt 47 (26). Ferner sind unter dem 14., 15. und 16. Juni je 
2 neue Fälle bekannt geworden. — Aegypten. Vom 13. bis 20. Juni 
sind 50 Personen an der Pest erkrankt (und 14 gestorben). — Bri- 
lisch-Ostindien. Während der Woche vom 10. bis 16. Mai sind in 
•ganz Indien einschliesslich nachträglicher Meldungen aus der Vor¬ 
woche und teilweise auch aus früheren Zeitabschnitten 6720 Erkran¬ 
kungen und 5708 Todesfälle an der Pest zur Anzeige gelangt. — 
Hongkong. In der Zeit vom 29. März bis 2. Mai sind in der Kolonie 
98 Pesttodesfälle, ausschliesslich bei Chinesen, vorgekommen. Von 
107 gemeldeten Erkrankungen entfielen 80 auf die Stadt Viktoria. — 
China. Nach einer Mitteilung vom 25. Mai ist die Pest in Amoy 
mit dem Beginn der heissen Jahreszeit wieder aufgetreten. — 
Britische Kolonie an der Goldküste. Einer Mitteilung vom 7. Juni 
zufolge sind in Accra 3 neue Pestfälle festgestellt worden. — Trinidad. 
Einer Mitteilung vom 5. Juni zufolge sind in Port of Spain 2 Todes¬ 
fälle an Pest festgestellt worden. Es wird angenommen, dass die 
Seuche aus Venezuela eingeschleppt worden ist. — Brasilien. In der 
Stadt Sao Paulo ist am 18. Januar und am 6. April je ein Pestfall 
mit Ausgang in Genesung vorgekommen. Sodann sind dort am 
23. Mai 2 Pestfälle, welche mit dem Tode endeten, und einige Tage 
später noch ein weiterer Fall festgestellt worden. — Ecuador. Laut 
Mitteilung vom 30. Mai war die Seuche in Guayaquil im Abnehmen 
begriffen. Im Lazarett waren nur noch 48 Pestkranke vorhanden; 
nur 4 bis 5 kamen wöchentlich hinzu. Vom 10. Februar bis 30. April 
sollen 501 Pestfälle aufgetreten sein, von denen 238 tödlich verliefen. 
— Neu-Süd-Wales. Nach einer etwa 6 wöchigen Pause sind in 
Sydney in der ersten Hälfte des Mai wieder 2 Pestfälle vorgekommen. 
Beide verliefen tödlich. — Queensland. Während des April sind in 
Queensland 2 tödlich verlaufene Pestfälle vorgekommen. 

— In der 25. Jahreswoche, vom 14. bis 20. Juni 1908, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Königshütte mit 34,8, die geringste Rheydt mit 4,8 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Masern und Röteln in Altenessen, Beuthen, Königshütte, 
Recklinghausen, an Keuchhusten in Elberfeld, Hagen. (V. d. K. G.-A.) 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Der bisherige Privatdozent für Physiologie an der 
Universität Göttingen, zurzeit physiologischer Chemiker am städti¬ 
schen Krankenhaus Friedrichshain zu Berlin Prof. Dr. med. Heinrich 
B o r u 11 a u hat sich mit einer Antrittsvorlesung über „Chemische 
und nervöse Funktionsregulierung im tierischen Organismus“ als Pri¬ 
vatdozent in den Lehrkörper der Berliner medizinischen Fakultät 
eingeführt, (hc.) — Für Chirurgie habilitierte sich der Stabsarzt 
Dr. Oskar Rumpel mit der Antrittsvorlesung über das Thema: 
„Fortschritte der Nierenchirurgie auf Grund der neueren Unter¬ 
suchungsmethoden“. (hc.) — Seinen 70. Geburtstag begeht am 27. ds. 
der Vorsteher der wissenschaftlichen Abteilung am Kgl. Institut für 
Infektionskrankheiten in Berlin Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Wilhelm 
D ö n i t z. (hc.) — Dem Prof. Dr. med. Ernst Friedberger (bisher 
Privatdozent für Hygiene und Bakteriologie in Königsberg i. Pr.) ist 
die Leitung der neugeschaffenen Abteilung für experimentelle The¬ 
rapie am pharmakologischen Institut der Universität übertragen wor¬ 
den. (hc.) 

Düsseldorf. Wie wir bereits vorher mitteilen konnten, ist 
nunmehr die Ernennung des Zahnarztes B r u h n zum a. o. Mitglied 
und Dozenten für Zahnheilkunde an der Düsseldorfer Akademie für 
praktische Medizin erfolgt. 

Erlangen. Die 100jährige Jubelfeier der physikalisch¬ 
medizinischen Sozietät wurde am Samstag den 27. Juni 
in der geplanten Weise begangen. Anlässlich dieser Feier wurde dem 
I. Vorsitzenden Prof. Dr. R o s e n t h a 1 der Titel und Rang eines 
Kgl. Geheimen Hofrates und dem II. Vorsitzenden Prof. Wiede- 
mann (Physik) der Michaelsorden III. Klasse verliehen. Eine grosse 
Zahl wissenschaftlicher Gesellschaften und ärztlicher Vereine aus 
Nah und Fern waren durch Abordnungen bei dem Fest vertreten. Die 
Festrede des I. Vorsitzenden bei dem Akt in der Aula behandelte 
„Die Entwicklung der Physik und ihre Beziehungen zur Medizin in 
den vergangenen 100 Jahren“. — Zu Ehrendoktoren der medi¬ 
zinischen Fakultät wurden ernannt: Becquerel -Paris, 
C u r t i u s - Heidelberg, Nernst- Berlin; die philosophische 
Fakultät dagegen verlieh den Doktor hon. c. v. L e u b e - Würz¬ 
burg, H o r s 1 e y - London, v. Kries- Freiburg. 

Frankfurt a. M. Zum Direktor der gynäkologischen Klinik 
am städtischen Krankenhause zu Frankfurt a. M, ist der Privatdozent 


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1472 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


für Geburtshilfe und (lyiiiiki*1* »v. ic an der l-m\ ersitiit Bein. I *m >i. 
Dr. mcd. Max \V a I t li a r d berufen worden. (hc.) Der Ohum/I 
der inneren Abteilung am städtischen Krankenhause. I’mi. Dr. nied. 
Hugo Lüthje hat einen Ruf an die Universität Kiel erhalten: er soll 
dort als Nachfolger des im Herbst d. .1. vom Lehramte /unicktreteii- 
den Geh. Med.-Rats Prof. H. Quincke die ordentliche Pmtcssur 
der inneren Medizin und die Leitung der medizinischen Klinik über¬ 
nehmen. (hc.) 

Drei bürg i. B. An der Universität Lrciburg i. Br. haben nach 
dem Jahresberichte Lehraufträge erhalten: Prof. |)r. Edwin (io'ld- 
mann für experimentelle Chirurgie, Prof. Dr. Alexander Ri t sc hl 
für orthopädische Chirurgie, (hc.) Dr. Karl S u p f I e. I. Assistent 
am hygienischen Institut, habilitierte sich iiir das l ach der Ihgieiie 
und Bakteriologie mit einer Probevorlesung über „Die Autg.ihcii des 
Schularztes im Interesse der öffentlichen < iesimdheitspflege". >eitie 
Habilitationsschrift behandelt „Die Vak/ineunmumtat". Liner Auf¬ 
forderung der British Medical Association folgend, wild Professor 
Th. Axenfeld auf dem diesjährigen Kongress m Sheiiield die Dis¬ 
kussion über „Serumtherapie in der Augenheilkunde” durch einen 
Vortrag einleiten. 

(i r e i f s w a I d. Eiir innere Medizin habilitierte sich der Assi¬ 
stenzarzt an der medizinischen Klinik, Dr. med. Joseph Lorsch- 
bacli. (he.) 

Kiel. Der I. Assistent an der ps\ chiatrischen und Nervenklimk 
(Direktor Prof. Dr. S i e m e r I i n g) I >r. W asser in e v e r aus 
Bonn a. Rh. hat sich auf (irund seiner Arbeit „Delirium tremens'* iiir 
das Lach der Psychiatrie habilitiert. teilte Antrittsvorlesung be¬ 
handelte „die Haftpsychosen“. 

Leipzig. Der ausserordentliche Proiessor der Medizin au der 
Leipziger Universität. Siegfried <) a r te n. nahm einen Ruf als ordent¬ 
licher Professor fiir Physiologie an die Universität < dessen an. 
Zum (Jeheimen Medizinalrat wurde der ordentliche Professur de» 
Anatomie und Direktor des anatom. Institutes. Dr.mcd. Karl Rabl, der 
einen Ruf nach Wien abgelelmt hat. ernannt. Dr. Llorus Lichte n- 
stein, Assistent bei (ieh.-Rat Zweifel an der Um\er sitats-l raueii- 
klinik, habilitierte sich mit einer Probevorlesung über das Thema: 
..Die Geburten beim engen Becken und deren Behandlung, insbeson¬ 
dere die operative“, (hc.) 

Münster i. W. Dem Strafanstaltsar/t Dr. med. Ileinu.h 
Többcn in Münster i AV. ist ein Lehrauftrag für getklitliJic 
Psychiatrie an der dortigen Universität erteilt worden, die.) 

Rostock. Zum Rektor der Universität für I9i»s 09 wurde der 
Psychiater Prof. L. S c h u c h a r d t gewählt. 

\V ii r z b u r g. Prof. [)r. Ldwm P. Laust hat den Ruf muh 
Göttingen als Nachfolger .1 a c o b j s a b g e I e Ii n t. I k r "emit zu 

Hamburg hat Herrn Prof. Dr. \V. We \ gandt zum Direktor der 
Hamburger Staatsirrenanstalt Lriedrichsberg erwählt. Unser hat 
den Ruf angenommen. 

Pisa. Dr. A. Boni habilitierte sich als Privatdozent für Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie. 

Rom. Dr. L. Donetti habilitierte sich als Privatdo/ent für 
innere Pathologie. 

Turin. Dr. A. Aggarotti habilitierte sich als Pi iwitdo/eut 
iiir Experimentalphysiologie. 

(T o d e s f ä 11 e.) 

In Berlin starb nach längerem Leiden Geheimint Dr. (kkur 
Liebreich, bis vor kurzem Ordinarius fiir Arzneimittellehre und 
Direktor des pharmakologischen Instituts der Unixersitut Bei Im. im 
Alter von 69 Jahren. Ein Nekrolog wird folgen. 

Dr. Moreau. Professor der Hygiene und genehtlulieu Me¬ 
dizin an der medizinischen Schule zu Algier. 

Dr. D e n e f f e, früher Professor der operativen Medizin und 
Ophthalmologie an der medizinischen Lakultät zu Gent. 

Dr. E. V. S t o d d a r d. früher Professor der Therapeiitik und 
Materia medica an der Universität Buffalo. 

(Berichtigung.) In der Arbeit von Leber und Stein¬ 
harter „Diagnostische Impfungsversuche mit einem lettfreun 
Tuberkulin“ in No. 25 ist auf S. 1 426, Sp. 1 in der Tabelle unter 
„Nicht an Tuberkulose Erkrankte" zu lesen 152 statt 124. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Anton Forstncr. appr. Ions, in München. 
— Dr. Heinr. Sander, appr. 19(H), in Nürnberg. 

Verzogen: Dr. Lnedrich M arggraf von Niederwerrn nach 
Schweinfurt. 

Gestorben: Dr. Daniel Ritter in Sembach <Rheinpfalz). 

Dr. Ziminermami in Oggersheim (Rheinpfalz). 


Korrespondenz. 

In Sachen „Aerztliche Mitteilungen 4 *. 

Herr Dr. Back, Herausgeber der „Aerztlichen Mitteilungen“ 
ersucht uns mit Bezug auf die in No. 24. S. 1419 enthaltene Notiz 
zu konstatieren, dass sein Blatt „W'eder irgend einem deutschen Arzt 
noch auch dem Leipziger Verband einen Pfennig gekostet hat. Ibis 


Bi.itl winde und wild \ieimi$$ xmi vkm ILt.uiV^i 04* I* ■ 

und bestellgcldli ei. wöchentlich J S «n 1 X \ K uts v %:n \e ?zt-. n /'•vi'bi : 
Der Leipziger Verband iM überdies m-cii .1:11 Gewinn I e t e. . H ; . I * •. 
Aei Zthcheil Mitteilung' n geboten a.s *. w .is m”- Lnuwugs m ' e • 
kannt war, zu den li'.itlern, die g.mz \<«m I ilt.ig ui k m. .*, 
unterhalten w erden. I bige gen iM n.vbts lin/iiwc:. k n. m:r §■’'<.■■ 
zur <uw Innung * "ii Inseraten nicht Vittei ge' .imM we’.km *. •. 

11.ah allgemeiner Vnsuhl l-ediTikich v.nd. 

I nsere \usi munde 1 sel/imceii vA 0.1 Re .'.Ab n .:v. ’ V«. ’• * 

Mlttellunge II haben übrigens ge ereilt u Ij des \i:/!n.uo il! I ».« . . 

zu e 1 n g e h e 11 d e 11 B e s p 1 e c f: 11 n g e n 1 ' e ' d . \ng-. e . • • * 

zwischen Mitgimelct II des V m vt.mde s eh s I V w,.; Pc'•*'«« l'r Ile 
p a c ll Cllleisells llllel de Jll Re d.o.te lll eile se * M v',e s v : - :: .r de ' • ' 
seits gelnhrt. Als eiere 11 Irgtb’us k.imi koust.iüt 't ve'.dni, d. .1 s v 
über el 1 e Beurteilung der \ *> 11 11 n s b e a n s t .1 n d e ! e r 

Beilage .. \ 11 s el e r Praxis 1 11 r die Praxis' u 1: t e r .1 e *■ 

Beteiligten I l e b e r e 1 11 s t 1 m :n 11 ri g besteht. I s / e ». * e 
sich, el.iss d.is V er S v !;u mdi II e!e! Belage und id'e * b.OJpt ' e l 

gest ,1 i tut lg der Ael/ti. Milt, alle ll eh U VV ilishn .le s | \ e ’ 

spricht uiiel es würbe ehe Ib'i.nug .ms^t M'* • de«, d.iss ::.a '• I 

leeligllllg ainle-r W eit'ger I':”e r e n/e ll ZM;s. V: de u I V w de” 

Verleger der Aer/ti. Witt, zu einer Be m d a* _ des Be I .bo w 

geschritten weiden können. I me s 1 **.^1 \ r • 'e’u'g se • mdi r •' 

mit dem Verleger eh r Vetzb M tt. .11 K ev: • smi ni Vefug 1; • 

mogln h. 

N.k ll du sin | 1 kl.irungen x • ie d.gt s« v h t-.o ins de- in de u ’e Vh • 
Nummern mit den Vci zti. Mbl ge: m: tc V m n.n h • setw e 

alle ll I le I I Dt. Hell p .1 e ll sie 1 m r e ■ e : . 1 eh .i!l VV o h.i ’ e > •' .• " 

Veltl.ithll ZU de II Musste be liueU; I ’e l s. r. i.l.w ite U. b.tss s*t keil V !h 
Ui: % ersucht I.issell Weiden, um s. Im .! w e r m. di zu e u*e r e - 

w nihllreicn (lest.iltung eles V c Krt 's •• s ,-es zu g. u'.,en. 

I l e her dm "t* .lir.g dt s 11. r r 11 D*. 11 e I p .1 v ä zu b.e : V - 

geieg etl'Ke it kmillen Wir nbes nb'.nu ..He'? D f He" .1 . " 

ll.lt bereits be 1 tief l e be r ll.ilijüe eie r Rt ..(►Ii ll tle r \e'b M tt. sc e 
Schweren Bedclbell ge.eir el ie Benthe b.j- .eeg! Ieh' ” .w:. 
ihm beile utel w erh n, b.tss eh ♦ zw ,e n be n ! V 1: ; .hm Be > ■ 

der AelZtl. M1! t. se mel Ze it g e s v ! . sse ' e V e r • .1 g e * e I h s- b : K ■ g ,.e ' 

betreuenden Beilage* x *-r .'iih-g naht e v* • n "e im.l b.ns t' !z 

aut be-1 e le u \ e r tr .igsc hliessei.de ll "eben v c r w e . e /um V-’s v . 
gekoflmie Ile n l tlzuf ie tle nht it • r > J -n VtdM.e e ,; e \‘.f •. • . 

des Iftzteteu naht 111 umubde 1 .n \ijss:.*-; . i s;. t wi'bm k • ,t 
Herr Di. II e I I p a c h Im e n.u :■ e • a h. .tss e ne e *a t 

t ie staltung tles (Og.ois Nnm.o hn •< 'n .r-i ll< - on ■ . . . u s . 
als ihm \e;her und ei.os er eias "na be r* eh. ? s h *: n D .n 

ftdiimig einer s. de heu .111 tle m n'w.ms k” ' ae'hn Ve’h.u' bn* 

V el b.imle s mit ihm IU sitze » be » Ve * ! M.tt v ••st a m s* •• 

bedauere. I f wies da» ;of4i. u. b.tss \ e ' s v ' e h"' .."hn 'e' ’h. 

ge 1 » ade auch nf/t ii"di n.it .b'iaan ’.t t *•• 

Rubriken ausst.iiner t sere n. eii%- b.ns b.i 'n\li n.1'. r . U'i ti.is ja- 

il.ilinil llbef eile Behistkng des f-p.Zie tu V < • 1 .< u L s. k ,! • C "d e - v • • 

solc he 11 Anhang ge un .be ■ t xx e* «!t n h-*n:a M t n.n 1 r .e ... sa ' !s e M •> 

Seinerzeit ube r luillpt die Re .'„ist:«dbii u ’• n' h.b e. s.. s t : , ... s : , • 
aus ihr Irw.igung heraus ge> v )n h« n. d.-v V In V.dvs*.-- 

der "itjiatnn e s tut b> n V e ’ b.nd •••'a • ri.oipt 11 u *:; ■* „ 1 c b ^1 • 

Wurden sein Wurde, e :ra ll R- hntni' /■) »■'•au. w.‘ t’d d n‘. e < 

Retoi in wt in.aii ms ihr r ed.o. ti--ru a n V e • •• vs t ivi .*■ ■ a«. •• st ; •• 

Interesse eh s V er h.in.h «. nn! d< I x-n du. x e * ?• 1 te n u ".a ‘ a st¬ 
iegen habe, ledugiuh Von .lasi-n 1 n v. !dsn'."0 ,0 v de' b ”i .1 . ” 

\ 0(1 V ul Sf.i Helsum g |iah h|t . 1 « s V e '' . u h s r .d a . < e .;! w ■ ■ h u s ■ 

ll.ibe er sali mit vie r un/u .on'a Men hi d.i !:u;g eles t »• g.o; s-:,s de' 

Acrztl. Mitt. abimdetl zu ifurteu gegi.iid-t.“ 


Ueberticht dar SterbafSlIe In MOnchan 

während der 25. Jahreswochc vom M. bis 2". Juni P>iH. 

Bevölkcrungs/ahl 55r> 

Todesursachen: Angeborene Lebensstil w. G. Leb.- M l P* 1 ), 
Altersschw. ruh. f»n J.) 2 «o. Kmdl'ettficl'er — t2 s and. Lulgen der 
Oeburt — De SchariaJi -ö. Masern u. Rutein d G , Diphth. u. 

Krupp — ( ), Keuchhusten 1 < Ji, Typhus I ( h ubertragb. Tierkran* h. 

— ( —), Rose (Erysipel) l (■-). anJ. VV undtnfektiunskr. icmschl. B;ut- 
U. Eitcrvcrgift.» 1 ( 2 \ Tubcrkul. J. Lungen 2^ 2 ». Tubcrkul. arrJ. 

Org. 4 (4), Miliartuberkul. 1(1.. Lungcnent/unJ. (Pneumun.) I ' tili, 
Influenza -( and. übertragb. Krankh. 1 (' », Ent/mJ d Atmjngs- 
organc 2 (4), sonst. Krankh. dcrselb. I b, organ. Hcr/lciJ. 12 il* ), 
sonst. Kr. d. Krcislaufsorg. (cinschl. Hcrzs^h’agp 2 b. Gchirnsch'.ag 
4 ((>), Gcistcskrankh. 2 *2), Eraiscn, Ekiamps. d. Kinder »> 4i. and. 
Krankh. d. Nervensystems f 1 1■ <), Magen- u. I»a-m.-Kat. Brechdurchfall 
(cinschl. Abzehrung' 4o (24t, Krankh. d. Leber 4 p». K r ankh. des 
Bauchfells — (I), and. Krankh. d. V erdauungsorg. 1 < b, Krankh. d. 
Harn- u. Geschlcchtsorg. o on, Krebs iKar/murn. Kankrmd) U (I ü, 
and. Ncubildg. (cinschl. Sarkom* ^ Ui. Scihstmu'd 4 i!), Tod durch 
fremde Hand 1 (—). Unglücks!.die 7 ili. alle ub-ig. Krankh. I c>j. 

Die Gesamtzahl der Sterbcfallc l"7 (1""I. Verh.iitms/ahl auf das 
Jahr und lm«» Einwohner im allgemeinen 17G (17/ ), für die über 
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 1 .4 (|4.4>. 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Läüe der VnrvnrS* 


Vertag »on J. F. Lebmmn ln München. — Druch von L. MuhithAien Buch- und kumtdrucitrei A ei , Mur.c&cm 


Difltlzed b' 


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Herausgegeben von 

Iv.liierer, Eh. Malier, I.r.Bslliagsr, ICinthmi, LHeilerieh, I.r.Leolie,G.r.Merkel,J.r.liehe!, P.fenzaldt, B.r.Banks, (.Spalt, F.t.V incke), 

München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Ekenadi. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 


No. 28. 14. Juli 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet) 


Originalien. 

Ueber Hämolysine, Bakteriolysine und Opsonine.*) 

Von Professor Dr. v. Baumgarten in Tübingen. 

Dass die bekannte Erscheinung des „Lackfarbigwerdens“ 
des Blutes, die Hämolyse, wie dieser Vorgang jetzt nach 
Bordet und P. Ehrlich allgemein bezeichnet wird, in 
vielen Fällen auf einem osmotischen Vorgang beruht, ist 
von den Physiologen ,ganz allgemein anerkannt. Es kommt 
hier vor allem das Lackfarbigwerden des Blutes in Wasser und 
in gegenüber dem Blutkörpercheninhalt anisotonischen Salz¬ 
lösungen in Betracht. Die roten Blutkörperchen verhalten sich 
wie mit Salzlösungen angefüllte Bläschen. Wie die Moleküle 
eines Qases, in dem Bestreben, einen möglichst grossen Raum 
einzunehmen, auf die Wandung des Qefässes, in welchem sie 
eingeschlossen sind, einen Druck ausüben, so üben, nach 
van’t Hoffs Anschauung, auch die Moleküle des gelösten 
Salzes in dem gleichen Bestreben einen Druck auf die sie um- 
schliessende, für sie undurchdringliche Bläsenchenwand aus. 
Diesem „osmotischen“ Innendruck der roten Blutkörperchen 
wird durch den osmotischen Druck der sie umgebenden Blut¬ 
flüssigkeit, welche ja ebenfalls Salze und andere wasserlös¬ 
liche Stoffe enthält, unter normalen Verhältnissen derart das 
Gegengewicht gehalten, dass Volumen und Gestalt der roten 
Blutkörperchen konstant bleiben und niemals, so lange sie 
leben, auch nur Spuren des in ihnen mit den Salzen in ge¬ 
löstem Zustande enthaltenen Hämoglobins in die umgebende 
Blutflüssigkeit übertreten. Werden aber die roten Blutkörper¬ 
chen in Wasser aufgeschwemmt, so tritt sofort das Hämo¬ 
globin aus ihnen heraus, weil def osmotische Druck des 
Wassers gleich 0 ist, mithin der osmotische Innendruck in den 
roten Körperchen das Uebergewicht gewinnt, sie unter 
Wasseraufnahme ausdehnt, bis die zarte Blutkörperchen¬ 
membran entweder platzt, oder wenigstens so stark gedehnt 
wird, dass sie das Hämoglobin durchsickern lässt. Derselbe 
Vorgang vollzieht sich, wenn die roten Blutkörperchen statt 
in Wasser in hypisotonische Salzlösungen (das 
sind solche, welche einen geringeren osmotischen Druck 
als das Blutplasma repräsentieren) verbracht werden, nur dass 
der Hämoglobinaustritt hier entsprechend langsamer von 
statten geht. Komplizierter gestaltet sich die Hämolyse in 
hyperisotonischen Salzlösungen (solchen, welche 
einen grösseren osmotischen Druck als das Blutplasma 
repräsentieren). Hier müssen zunächst die roten Blutkörper¬ 
chen eine Schrumpfung unter Wasserverlust erfahren, weil sie 
durch den stärkeren osmotischen Aussendruck zusammen¬ 
gepresst werden; nach und nach dringt aber doch Salz, die 
ursprüngliche Impermeabilität der Wand überwindend, von 
aussen her in die Körperchen ein, der intrazelluläre Druck 
steigt demzufolge wieder und übersteigt schliesslich sogar den 
Aussend ruck, wonach es zur Hämolyse kommen muss. 

Die Blutkörperchenmembranen oder Stromata bleiben bei 
der Salzhämolyse, nach K o e p p e auch bei der Wasserhämo¬ 
lyse e r h a 11 e n, in striktem Gegensatz zu anderen Fällen von 
Lackfarbig werden des Blutes, z. B. durch Einwirkung höherer 
Wärmegrade, Säuren, Alkalien, fettlösenden Reagentien usw., 


•) Nach einem im medizinisch-naturwissenschaftlichen Verein in 
Tübingen am I. Juni gehaltenen Vortrag. 

No. & 


in welchen der Hämoglobinaustritt mit einer Zerstörung und 
Auflösung der Stromata verbunden ist, Fälle, die ich zum 
Unterschied von der eigentlichen Hämolyse als Erythro¬ 
zyt o 1 y s e bezeichne. 

Angesichts der Erfahrungen über Wasser- und Salzhämo¬ 
lyse lag es nahe, die Ursache des Lackfarbigwerdens des 
Blutes in andersartigem, Normal - oder Immun¬ 
serum, ebenfalls in Störungen des osmotischen Gleich¬ 
gewichtes zwischen Zellsaft und umgebender Flüssigkeit zu 
suchen. Doch mussten alle früheren derartigen Erklärungs¬ 
versuche der „Serumhämolyse“ ganz zurücktreten gegenüber 
einer anderen, bis vor kurzem herrschenden Theorie, wonach 
der genannte Vorgang auf einer direkten chemischen 
Destruktion der roten Blutkörperchen durch spezifische 
Blutgifte beruhe. Da indessen die zuerst von L a n d o i s, 
später von mir angestellten mikroskopischen Beob¬ 
achtungen des Vorganges der Serumhäraolyse sich nicht 
mit dieser rein chemischen Auffassung derselben in Einklang 
bringen Hessen, indem diese Beobachtungen zeigten, dass eine 
eigentliche Destruktion der roten Blutkörperchen auch bei 
dieser Hämolyse nicht stattfindet, vielmehr nur eine einfache 
Trennung des Hämoglobins vom Stroma, wie bei der Wasser- 
und Salzhämolyse, und dass auserdem die Serumhämolyse 
unter ganz ähnlichen Form- und Volumveräinderungen der 
roten Blutkörperchen erfolgt, wie die Salzhämolyse, so habe 
ich eine neue, allen Beobachtungstatsachen möglichst gerecht 
werdende, gewissermassen chemisch-osmologische 
Auffassung der Serumhämolyse zu begründen gesucht, welche 
sich kurz folgendermassen zusammenfassen lässt: 

Durch die feste chemische Bindung des Hämolysins, des 
Antikörpers, welcher entsteht, wenn Blut einer Tierart in den 
Organismus einer andern Tierart übergeführt wird, an das rote 
Blutkörperchen, welche Bindung nachweislich an das Stroma, 
nicht an das Hämoglobin stattfindet, wird die normale Be¬ 
schaffenheit des Stromas verändert. Diese Veränderung 
besteht offenbar nicht in einer direkten chemischen Destruk¬ 
tion, sondern wohl nur in einer „molekularen“ Alteration, der 
zufolge die normale Permeabilität (Semipermeabilität) des 
Stromas sich ändert, wodurch es zu Störungen des osmotischen 
Gleichgewichtes zwischen dem Blutkörpercheninhalt und der 
umgebenden Blutflüsigkeit kommt, welche Störungen sich teils 
durch anfängliche Schrumpfungen mit sekundärer Quellung, 
teils durch primäre Quellungen der Körperchen zu erkennen 
geben. Die in der Quellung zum Ausdruck kommende Stei¬ 
gerung des osmotischen Druckes in der Zelle ist es dann, 
welche das Hämoglobin aus dem Stromagehäuse heraustreibt. 

Gegen meine Auffassung sind verschiedene Einwen¬ 
dungen erhoben worden, welche aber auf Missverständnisse 
zurückgeführt werden konnten, und daher gegenwärtig als er¬ 
ledigt anzusehen sind. 

Auf der andern Seite hat aber meine Auffassung auch 
Zustimmung und gewichtige Unterstützung gefunden, und ich 
darf unter anderem konstatieren, dass neuerdings auch die 
Ehrlich sehe Schule von ihrer früheren Annahme, dass die 
spezifischen Hämolysine eine „fermentative Auflösung“ oder 
eine „primäre Abtötung“ der roten Blutzellen bewirken, zu¬ 
rückgekommen ist und unter Bezugnahme auf meine Auf¬ 
fassung jetzt nur noch von einer „Schädigung“ der roten Blut¬ 
zelle durch die Einwirkung des Hämolysins spricht. Auch die 
neuesten interessanten Ermittlungen C. Neubergs, wonach 


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Original from 

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1474 


MUENCHENER MEDIZINISCHE NVOCIIENSCHRIFT. 


Sn. N. 


die Hämolysine lipolytisch wirken und dadurch die 
Lipoidhülle der roten Blutzellen verändern, lassen sich mit 
meiner Auffassung vereinigen. 

Die genauere Erkenntnis des Prozesses der Seruin- 
hämolyse gibt uns nun auch den Schlüssel für ein näheres Ver¬ 
ständnis der dieser analogen Serum b a k t e r i o I y s e. Es 
besteht in der Tat nach meinen eingehenden vergleichenden 
mikroskopischen Untersuchungen beider Vorgänge eine voll¬ 
ständige Uebereinstimmung derselben in den wesentlichen 
Punkten: Auch bei der sogen. Bakteriolyse kommt es nicht zu 
einer eigentlichen „Auflösung“ der Bakterienzelle, son¬ 
dern nur zu einer analogen Trennung des Zellsaftes von dem 
festen Zellgchäuse, wie bei der Hämolyse; nach dem Austritt 
der gelösten Zellbestandteile bleibt die (den roten Blutkörper¬ 
chen fehlende) eigentliche Zellmembran und der, wie diese, 
in Wasser unlösliche, dem Blutkörperchenstroma entspre¬ 
chende, Protoplast, plasmolytisch verändert, aber ungelöst 
zurück. Das schliessliche spurlose Verschwinden der bak- 
teriolysierten Bakterienleiber im lebenden Tierkörper ist ein 
sekundärer Vorgang, der mit der Bakteriolyse als solcher gar 
nichts zu tun hat. Bekanntlich besitzt der lebende Tierkörper 
die Fähigkeit, in ihm befindliche abgestorbene Zellen und Zell- 
bestandteilc, mögen sie nun Leichen oder Leichenbestandteile 
von Fremdzellen oder von eigenen Körperzellen sein, aufzu¬ 
lösen (zu „resorbieren“), und da die Bakterien nach voll¬ 
ständiger Bakteriolyse, ebenso wie die roten Blutkörperchen 
nach vollständiger Hämolyse, sicher abgestorben sind, so 
unterliegen sie im lebenden Tierkörper dieser seiner nicht 
spezifischen nekrolytischen Tätigkeit. In vitro bluben aber 
selbst im stärksten bakteriolytischen Serum die. den entfärbten 
roten Blutkörperchen, den „Bhitkörperchenschatten“, ent¬ 
sprechenden „Bakterienschatten“ erhalten. So ist also auch in 
Bezug auf die mikroskopisch verfolgbaren Erscheinungen die 
Uebereinstimmung zwischen Hämolyse und Bakteriolyse eine 
so vollständige, als es die zwischen Bakterienzelle und roter 
Blutzellc bestehende Verschiedenheit der Zellstruktur über¬ 
haupt zulässt, und es darf mithin die aus dem mikroskopischen 
Studium der Serumhämolyse für diese gewonnene chemisch- 
osmologische Auffassung auch für die Serumbakteriolyse als 
gültig betrachtet werden. 

Eine, wenn auch nur kurze Erörterung der Hämo- und 
Bakteriolysine kann heutzutage die von A. E. W right ent¬ 
deckten oder wenigstens als besondere Antikörper des Serums 
diskussionsfähig gemachten „Opsonine“ nicht mit Still¬ 
schweigen übergehen. Die Wirkung der Opsonine soll darin 
bestellen, dass sie die Bakterien für die Phagozyten (Le uko- 
zyten) vorbereiten, sie gew issermassen für diese 
„schmac k hafte r“ machen das (iekochte, 

Fleisch zubereiten). Dieser Vorbereitungsakt soll die Bak¬ 
terien nicht töten, ja nicht einmal schädigen; erst durch die 
Aufnahme in die Leukozyten sollen sie vernichtet werden. Die 
Opsonine sind bereits im Normalserum vorhanden, durch die 
Immunisierung werden sie in vermehrter Menge gebildet und 
erlangen zugleich die Eigenschaft der Themiostabilität, wäh¬ 
rend- die Normalopsonine thermolabil sind. Die Immiiimpsoriine 
sind spezifisch, d. h. sie wirken nur gegen d i e Bakterien, 
mit welchen immunisiert worden ist; sie haben daher dia¬ 
gnostische Bedeutung. Ihr vermehrtes Auftreten im Blute von 
Kranken ist nach W right ein günstiges Zeichen; sie haben 
daher auch prognostische Bedeutung. Unabhängig von 
W right, aber im Anschluss an ältere Versuche von Den y s, 
hat in neuerer Zeit Neufeld in Berlin in Strepto- und Pneu¬ 
mokokkenimmunserum thermostabile phagozytosebefordernde 
Stoffe gefunden, die er „Bakteriotropine“ nennt und die nach 
seinen neuesten Mitteilungen von VV rights Opsoninen 
verschieden sein sollen. Ich will nicht unterlassen, zu 
bemerken, dass ich die von N e u f e I d für die Verschieden¬ 
heit angeführten (iriinde nicht als unbedingt stichhaltig anzu¬ 
erkennen vermag. Es wäre doch auch schwer verständlich, 
warum der Organismus zwei verschiedene phagozytosebe¬ 
fördernde Stoffe in Bereitschaft halten sollte, wenn bereits der 
eine derselben, das Opsonin, in Bezug auf phagozytose- 
befördernde Leistungsfähigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. 
Indessen will ich hier auf die Frage der Identität oder Nicht¬ 
identität von Opsoninen und Tropinen nicht näher eingchen; 
in dem Punkte, auf w elchen es mir heute ankommt, sind die 


Tropine, nadi der Auffassung N c u leid s. mit den Opsomrei 
identisch, namifch darin, dass auch sie die Bakterien mir für 
die Leukozyten ..schm.ukhait“ machen, ihre \ erm Jitgr.g aber 
diesen überlassen sollen. Durdi diese .Ansdianurg \«>n 
W right und N e u leid ist die M e t s c h n i k o j i s,he 
Phagozytenlehre, welche tu Deutschland zu Dunsten der Lehne 
von den bakteri/ule n Ser u in stutt e n. dt n Bakte r < 1\ vnen. 
fast ganz auigegebeii werden war. inr bestimmte IUkte r e n 
wenigstens, wieder m den \ orde rgrund genickt werden. Be; 
einer kritischen Prüfung der in Rede stillenden Arbeiten ia t 
nun auf, dass die daraus entwickelte, eben erwähl te A: s:dit 
nur sehwach gestützt iM. W right ur.d Neufeld haben 
zwar für die zu ihren \ersuchen benutzten Sera dt n Mat g-.: 
einer bakteriziden Wirkung derselben durdi d.ts platte r\e 
fahren festgestellt; aber den Nachweis, dass d-e. durdi de 
Einwirkung dieser Sera nicht abget- de te n Bakterien rau durdi 
die Aufnahme in die Phagn/Meii getötet Werder:, habe n Vv 
nicht ausreichend erbracht. W right Scheint es als er¬ 
wiesen anzusehen, dass von Phag<.z\ten autge nonn-.e :.e 
Bakterien von diesen audi \ermditet werden; Neufeld da¬ 
gegen sucht eleu \ ernichiwngspro/ess der phag<</\t;e rte u B.^- 
te-r ie ii durch direkte mikroskopische Be< •baditui ge :: 
darzutun. Aber diese Bew e.smeth« de ist im \ «g._ : de n 
Falle dndi redit zw eiielhalt. w :e idi aa anderer Stelle) be¬ 
gründet habe. Eni eil. .g e' I lilasse II sichere r I ’e w e:s f a r e . ‘: e 
erst durch die P fl a g o z \ t e n zusta: :Jc ge k* mtri.e r e 
Bakterienabtötung wäre wohl nur dadurch zu erbru gen. wet u 
gezeigt werden konnte, dass die in einer bestimmten \ i:v:cb- 
Probe gegebene Anzahl w ,ic hstimislali ger Keime d irdl de 
I.iiiw irkuiig des Serums allein mdit \ e r r.r ge r t w.rd. wc!’ 
aber durdi glek h/eit.ge bmw irkung \nii be*t:n • ge w.-di* t.e:: 
Leukoz\te il. Derartige Aersudic Ili.de n s.di. me.ms U anii.s. 
mir bei liektnen und Rüdiger arge t..:irt, M.b\r: \ 
auch diese \ ersudii im (ianze n e.n m:l den \ »ra.i^w V .t.gcr: 
de r ()ps<um.theorie ube reiiistufmu i: Je s Re sab it e r K e!n::. s.. 
sind sie dodi so spär lich und im b..nzt Ii.e 11 m.t W nkisp: ..dum. 
behaftet, dass sie als eine defi; n\e Ltled.mn g der I rage i:,J.t 
angesehen werden konr.en. Weitere l uu rsii^.r gen e * - 
schienen daher notig und waren irnr hesmdifs nahende*.*. 
W cmi die in meinem Laboratorium ar „e'stdbe n Vu hp* .üar.ge r 
auch nodi nicht abgeschlossen sind. s<. glaube ,J: d<»di e-r m 
Resultate derselben hier bereits mitte. \n zu dürfe u. 

Die betreffenden \ ersiidu wurden \<m 
hell mit de n I lerreii Dr. I i n k h aus b\ dm \ . 

Sdiiile-r W rights, sowie meinen Ass o 
Uliel eUlieJ. Mied. M ll I ! in ge i .üie f \:,\ Ir in g 
Sehe \ ersiie fiste Jank ausge Juli r t. fLe f /u k 
allere emse lllagige \ersudie. weldle gelegen 
sienings\ e‘i Mic he an Rindern gegen U;be:r . 


me ine n dam.liegen Asnste nte n, den Ile r m 
Dr. Dibbelt .mge ste'lh w in de n. 
dienten p\ogei.e bta|>h\ k. kk« .11. 
ba/ljfe ll und .M '/hiai. JbakU r u fr. Ab 
\ 011 ( ie s 11 neie 11 und I %|his,ker n, I a!-e 
dei n, k aniiie he ime rum. I aube r.se 1 um. 
ki z \ teil entsprashen in mlou labe . 
be lle Ile 11 vle 11 bt 1 um. I >ic I *\ um g .1 
geschah nadi dein be karr te u. \on B u , 
Baktenzidie des Blritser 11:11s arge w 
Platteliaiissaat. Bei de ll I ui e ’ke ,b.i/ 


v,, n der nadi W right berge sie 11 
allein (teils frasdi. teils nadi '» bis 
im W arnieschraiik bei b7 " Ld mit 1. de 
von Bakteriencmulvion • be rum. 2 . e 
saat von Bakte rieiieinids.nu und ge was. 
d. der Keimzahl der .Ahsm.ii \,, n |g 1N ; t 
• gewasdieiien Leiikoz\ten. Die \ e 
wurden in eien einzelnen \ersudiei: ;m 
hch nadi einander ausge fuhrt. 

In diesen Versuchen stellte ndi i 
nähme von W right und \unn V 
Lalle, trotz mehr oder mmder reudndie 


gerne ,i:s. b.-.t 
• mm ernähre !'e 
■ te n D r . Do: 
u de W r I g b t 
”ti r u- h e. r . 
;dr d, r L’trr > 
s e \ ■ n m;r ui 


d 


I <r. I! , 


er tu 


') N’euliarulhinceUt der Pei:lsa»cn 
XII. Tagung, Kiel, April PA'b: „L'ntcrsuc 


As \msrdi 

s bak te ' : e ! 

Il e sd: \ bc 

I idn r ke : - 

■ be ' a. Mo.s, 

. he r se rif- 

' r i • tse r t:i 

\"i: Icm- 

1 *:e \ e ’ w - r 

-de i: 1 e .1 - 

L r IL d. r •; 

r ,k h vic ■ *i 

• t haste ',/ide 

W r kn*- g 

. Ir i e r / ir | 1 

r g bi f 

-O dte m \ e f 1. 

d- r e U J e r 

'l.le fl W 11 r sie- 1 

de r Ir fe k - 

1 Milte gel:nn 

nt e ;i. Ll 

1 Keimzahl der Ams.t.u 

teil Bakterie 

tu. muls;, 

2 Vt,.: d ge rn 

\rwe:.e ll 

r Kennzahl de 

.r \ ;sv.i.tt 

der Keimzahl 

der A:rs. 

die’ en Lei:ko 

z\ ten ur.d 

e r ie i.e mulsi« -i; 

* bernrii 

■'rsc 1 ne deute n 

Anss.ui'eu; 

nie r Sn ras v h 

a 1 s im-g- 

15,j:; . mu’geger 

i der An- 

ha gern, m 

kein e m 

e r i tiag« -/ \ t( ise IU alie fl 

: ' ' C.Sc ‘te U « ioe- Schaft. 

ge ui i. Zer ( 4 ps 

mrc”. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




K Juli 1908._ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Fällen, eine keimtötende Wirkung der Phagozyten heraus. Im 
Fall 2 (Bakterienemulsion + Leukozyten) wurden niemals 
mehr Keime vernichtet, als in der reinen Bakterienemiilsion. 
In den Fällen 1 und 3 tötete entweder das Serum die be¬ 
treffenden Bakterien nicht, so beim Menschen^ und Ka¬ 
ninchenserum gegenüber Staphylokokken und Tuberkel- 
hazillen, beim Rindertuberkuloseserum gegenüber Tuberkel¬ 
bazillen, beim Taubenserum gegenüber Milzbrandbazillen; 
dann tates aber die mit der Serum Wirkung 
vereinigte Phagozytose ebensowenig; oder 
das Serum allein tötete die betreffenden Bakterien in teils 
höherem, teils geringerem Qrade, ohne dass aber das Hinzu- 
kommen der Phagozytose die bakterizide Serumwirkung ver¬ 
stärkte. so beim Kaninchenserum gegenüber Milzbrandbazillen 
und beim Taubenserum, gegenüber Staphylokokken; nicht 
selten wurde sogar die bakterizide Serumwirkung durch das 
Hinzukommen der Phagozyten erheblich abgeschwächt. Dies 
Ergebnis unserer Versuche liefert also der Metschnikoff- 
sehen Phagozytentheorie und ihrer Modifikation, der Wright- 
sehen Opsonintheorie, keine Stütze (Demonstration). 

lieber die Natur der sogen. Opsonine habe ich mich be¬ 
reits an anderer Stelle 2 ) dahin geäussert, dass die Erscheinung 
der sogen. Opsonine nichts anderes sein dürfte, als eine Neben¬ 
wirkung der bekannten Bakteriolysine, ein abgeschwächter 
Grad von bakteriolytischer Veränderung der Bakterienzelle, 
welcher zu einer partiellen Ausschwitzung von Bakterien¬ 
protemen führt, die nach Büchners Ermittelungen eine aus¬ 
gesprochene positiv chemotaktische Wirksamkeit auf Leuko¬ 
zyten besitzen. Wie ich ersehe, sind auch verschiedene andere 
Autoren zu derselben Auffassung gelangt, so auch Neufeld, 
der indessen diese Interpretation nur auf die Wrigthschen 
Opsonine angewendet wissen möchte, nicht jedoch auf seine 
Tropin^, die er als besondere neue, von den Lysinen und Ag- 
glutininen durchaus zu trennende Immunstoffe erachtet, die 
Träger der von ihm der bakteriolytischen Immunität gleich¬ 
berechtigt an die Seite gestellten „Tropinimmunität“. Ich ver¬ 
mag N e u f e I d in dieser Anschauung nicht zu folgen. Abge¬ 
sehen davon, dass in den der Untersuchung zugänglichen 
Eigenschaften kein durchgreifender Unterschied zwischen 
W rights „Opsoninen“ und N e u f e 1 d s „Tropinen“ zu er¬ 
kennen ist, steht der Tropintheorie der gleiche Ein wand gegen¬ 
über, der hier gegen die Opsonintheorie erhoben wurde, dass 
nämlich nicht erwiesen ist, dass die unter dem Einfluss der 
Tropine den Phagozyten überlieferten Bakterien von den 
Phagozyten vernichtet werden, ohne seitens der Tropine eine 
Beeinträchtigung ihrer Lebensfähigkeit erfahren zu haben, die 
die eigentliche Ursache ihres Todes ist. 

Meines Erachtens müssten gerade diejenigen Forscher, 
welche die intrazelluläre Auflösung von Bakterienleibern als 
einen „Verdaungsprozess“ auffassen, nach den überzeugenden 
Nachweisen namhafter Physiologen und Pathologen (M a t - 
ihes, Fe r m i, E. Neumamn u. a.) über die Verdaulichkeit 
lebenden Protoplasmas anerkennen, dass die Bakterien ab¬ 
gestorben oder wenigstens schwer geschädigt sein müssen, 
ehe sie „verdaut“ werden können. 

Ich würde es bedauern, wenn die höchst interessanten 
Versuchsergebnisse über opsonische bezw. bakteriotrope 
Serumwirkung, deren praktische Bedeutung für Diagnose 
’-’Rd Behandlung von Infektionskrankheiten ja von der Kritik 
ihrer theoretischen Bedeutung für die Immunitätslehre nicht 
berührt wird, dazu Anlass geben sollten, die Immunitäts- 
fVschung wieder in die Bahnen der Metschnikoffsehen 
Phagozytentheorie, die ich für einen Irrtum halte, zu lenken. 
Es liegt mir selbstverständlich fern, der Phagozytose, 
V i. der Aufnahme korpuskulärer Elemente in amöboide Zellen, 
jede Bedeutung für die Befreiung des Organismus von in 
hn eingedrungenen Bakterien abzusprechen; aber nicht gegen 
lebende und wachstumsfähige Bakterien kann ich 
die Tätigkeit der Phagozyten gerichtet sehen, sondern nur 
gegen abgestorbene und moribunde. „Sie erscheinen nur als 
eie Hyänen des Schlachtfeldes, nicht als die Helden des Tages“ 
Verf.), oder stellen, um einen Vergleich Weigerts zu 
wiederholen, nur die „Krematorien 1 der aus anderen Gründen 


*) cf. Jahresbericht für pathogene Mikroorganismen, Jahrg. 1905. 

* 144 und S. 748. 


1475 


abgestorbenen oder absterbenden Bakterien dar“. In solcher 
Eigenschaft können sie immer im Befreiungskämpfe des tieri¬ 
schen Organismus gegen die in ihn eingedrungenen schädlichen 
Bakterien eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, nicht 
nur durch Säuberung des Terrains von den Bakterienleichen, 
sondern auch dadurch, dass sie durch intrazelluläre „Ver¬ 
brennung“ derselben giftige Inhaltsstoffe der Bakterien (Endo¬ 
toxine) in unschädliche Verbindungen verwandeln. Doch darf 
andererseits auch diese, den Phagozyten zuzuschreibende 
sekundäre Rolle in ihrer nützlichen Bedeutung für den infi¬ 
zierten Organismus nicht überschätzt werden. Denn 
diesem stehen gewiss auch noch andere Mittel zur Verfügung, 
die Endotoxine unschädlich zu machen (Antiendotoxinbildung). 
Zu einer Ueberschätzung der Phagozyten auch in dieser be¬ 
schränkten Bedeutung, als Krematorien der Bakterienleichen, 
können die Reagenzglasversuche nach Denys, Wright und 
N e u f e 1 d leicht verführen. Wie unzulänglich und verschoben 
aber häufig das Bild ist, welches uns künstliche Versuchs¬ 
anordnungen in vitro von den entsprechenden natürlichen Vor¬ 
gängen im lebenden Organismus geben, das lehren die in Rede 
stehenden ingeniösen, mit vollendeter Technik angestellten Ex¬ 
perimente wiederum aufs deutlichste. Während im Reagenz¬ 
glas weder das Normalserum, noch auch das Immunserum von 
Menschen, Kaninchen und Rindern eine deutliche bakterizide 
Wirkung auf Staphylokokken und Tuberkelbazillen ausübt, 
lösen sich, wie ich aus zahlreichen eigenen Untersuchungen 
weiss, im natürlich immunen oder künstlich immunisierten Or¬ 
ganismus beide Bakterienarten grossenteils bereits i m 
Serum unter bakteriolytischen Erscheinungen auf, nicht erst 
in den Phagozyten; und während im Reagenzglas, imDenys- 
Wright sehen Versuche, stets eine grosse Menge beider 
Bakterien phagozytiert werden, tritt im immunisierten Orga¬ 
nismus bei den Tuberkelbazillen die Phagozytose im allge¬ 
meinen so zurück, dass ihr in diesem Falle nicht einmal für die 
Unschädlichmachung der Bakterienleichen eine grössere Be¬ 
deutung zugesprochen werden kann; bei den Staphylokokken 
findet allerdings auch in vivo reichliche Phagozytose statt, be¬ 
trifft aber doch immer nur den kleineren Teil der injizierten 
Kokken, der grössere löst sich auch hier unter bakteriolytischen 
Erscheinungen direkt in der Gewebsflüssigkeit auf 3 ). 


Aus der medizinischen Klinik des städtischen Krankenhauses 
zu Frankfurt a. M. (Direktor: Prof. Dr. Lüthje). 

Untersuchungen über Opsonine.*) 

(Typhusuntersuchungen — zum Bau der Opsonine — 
Meningitisuntersuchungen). 

Von Dr. A. Böhm e, Assistenten der med. Klinik. 

Die Untersuchungen W r i g h t s über Opsonine, die Jahre 
lang fast ausschliesslich in England und Amerika auf Nach¬ 
prüfungen stiessen, sind in letzter Zeit auch in Deutschland 
aufgenommen worden. Eine Methode, die so weite diagno¬ 
stische und therapeutische Ausblicke eröffnet, erfordert unbe¬ 
dingt Beachtung. 

Seit Januar ds. Js. sind wir ebenfalls mit Untersuchungen 
über Opsonine beschäftigt. Die Technik richtete sich nach 
den — bereits oft geschilderten — Vorschriften W r i g h t s. 
Der Verf. hatte im vorigen Jahre Gelegenheit, im Laboratorium 
W r i g h t s die dortige Arbeitsweise näher kennen zu lernen. 
Für das grosse Entgegenkommen, das Herr Prof. Wright 
und seine Mitarbeiter bewiesen, sei auch an dieser Stelle auf- 
richtigst gedankt. 

Von verschiedenen Seiten, neuerdings auch von deutschen 
Autoren, besonders von Saathoff 1 ), sind ernste Bedenken 
gegen die Zuverlässigkeit und damit auch gegen die Verwend¬ 
barkeit der Methode erhoben worden . Auch unsere Unter- 


3 ) Die Literaturnachweise zu den obigen Ausführungen sind teils 
in meiner Abhandlung: Die Hämolyse im heterogenen resp. Immun¬ 
serum (Arbeiten aus dem pathologischen Institut zu Tübingen, Bd. V, 
H. 2, 1905), teils in meinem Aufsatz: Die osmologische Auffassung der 
Hämo- und Bakteriolyse (Hamburger - Jubelband der biochemi¬ 
schen Zeitschrift, Juni 1908) enthalten. 

*) Nach einem in der Wissenschaftlichen Vereinigung am Städti¬ 
schen Krankenhausc zu Frankfurt a. M. gehaltenen Vortrage. 

') Münchener medizinische Wochenschrift, 1908, No. 15. 

V 


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1476 


MlJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHESSCHRIFT. 


Nn. Js 


suchungen über die Phagozytose von Staphylokokken und 
Tuberkelbazillen ergaben nicht den Genauigkeitsgrad, der der 
Methode von ihren Begründern zugeschrieben wird. Fs wird 
bei anderer Gelegenheit über diese Versuche berichtet werden, 
die sich auf die Grösse der Fehler und deren (.Indien beziehen. 

Eine Reihe von Faktoren sind von wesentlichem Einfluss 
auf die Stärke der Phagozytose. Es sei hier nur ein Befund er¬ 
wähnt: der grosse Einfluss ständigen Schütteins. Bereits 
Rosenow 2 ) weist kurz auf die phagozytosefördernde 
Wirkung des Schütteins hin. In unseren Versuchen wurden 
in kleinen Reagenzgläsern je 0,2 ccm gewaschene Blutkörper¬ 
chen Bakterienaufschwemmung und Serum gemischt und diese 
Mischung 20 Minuten bei 37° gehalten; in dem einen Versuche 
blieb das Röhrchen ruhig im Brutschrank stehen, in dem andern 
wurde es ständig mit der Haml in einem W asserbade von 37“ 
20 Minuten lang geschüttelt. Wie gross die Steigerung sein 
kann, lehrt die folgende Tabelle: 


Tabelle I. 




Fress- 

zahien 

Blutkörperchen 

4- Staphvlokokk.-Susp. I -f akt. Serum . 

a b 
55,0 d.s 

„ 

+ » II ~b * « 

5,s i.n 

w 

4- Coli-Suspeiision 4- akt. Serum . . . 

6,2 l.s 

* 

-f- * 4- inakt. Serum . . . 

2.5 <». 1 

m 

4- . + NaU. 

11,1 INI 


Die Staphylokokkensuspension I war dichter als Suspension II. 
a geschüttelt, b nicht geschüttelt. 


Während bei Staphylokokken- und Tuberkuloseerkran- 
kungen die phagozytosebefördernde Kraft des Serums meist 
nur wenig von der normaler Fülle abweicht, und daher die 
Verwendbarkeit der Bestimmung bei den Fehlern der Metho¬ 
dik nur beschränkt ist, fanden wir andere Erkrankungen, in 
denen die Unterschiede zwischen normalen und pathologischen 
Fällen trotz der Fehler der Methodik so gross waren, 
dass sich eindeutige Resultate erzielen liessen. Die Fehler 
spielen keine ausschlaggebende Rolle mehr, wenn gegenüber 
einem normalen Index von 0,7 1,6 pathologische Fälle einen 

Index von 3 oder noch mehr aufweisen. W ir fanden derartige 
Verhältnisse bei Fällen von Typhus abdominalis, ähnliche auch 
bei einem Fall von Meningitis cerebrospinalis. 

Es liegen bisher wenig Untersuchungen über den Opsonin¬ 
gehalt des Blutes bei Typhuspatienten vor. Von den meisten 
Seiten ward hier auf technische Schwierigkeiten aufmerksam 
gemacht. 3 ) Muc h und S c h o 11 m ii 11 e r *) haben in letzter 
Zeit über günstige Untersuchungsresultate bei Typhus und 
ähnlichen Erkrankungen berichtet, ohne aber nähere Angaben 
über ihre Methodik zu machen *). 

Wenn man Vollserum prüft, wie es fiir Opsoninunter¬ 
suchungen üblich ist, so ist allerdings das Resultat kaum ver¬ 
wertbar. Die Bakteriolyse spielt hier eine sehr störende Rolle. 
Die Bakterien, und zwar sowohl die phagozytierten wie die 
freien, sind infolge der Scrimiw irkung zum grossen Teil schlecht 
färbbar, in Kugeln umgewandelt oder kaum noch erkennbar. 
Eine genaue Zählung ist häufig nicht möglich. Die Bakterio¬ 
lyse hisst sich aber stark einschränken durch Benutzung eines 
10-20fach verdünnten Serums. Die Bakterien sind hier 
bei 8 Minuten langer Einwirkung im Brutschrank fast völlig 
erhalten. An der Hand eines längere Zeit beobachteten 
Typhusfalles seien die weiteren Einzelheiten des Versuchs 
besprochen. 

Der Patient machte einen typischen Typhus durch, der 
vom Stadium der Akme an hier beobachtet wurde. Auf den 
lytischen Abfall folgten einige fieberfreie läge, dann ent¬ 
wickelte sich - - vielleicht im Anschluss an eine Thrombo¬ 
phlebitis — ein Rezidiv, das ganz ähnlich wie die Fieberperiode 
verlief und alle Symptome einer typischen Typhuserkrankung 

') Jmirn. of Inf. Diseases, 19(16, Bd. 3. 

'') W right und D <> u g las: Proceedings of tlie Roval Sog . 
1904. Vol. LXIII. 

’) Münchener medizinische Wochenschrift, löiis, No. <> n. 

) Nach Abschluss dieser Arbeiten erschienen die Veröffent¬ 
lichungen von Kä mm e rer. Münch, mcd. Woeheiischr., Ions, N<>. Jo 
und R o I I y, Münch, mcd. Wochcnsehr.. Ions, No. J(>. 


bot. Die opsonischen UnU rsiu hungen winden im erste', 
lytischen Stadium begonnen und wahrend der ganzen Krank¬ 
heit fortgeführt. 

Fs wurden stets junge 12 Inständige lebende Aga»* 
kulturell eines Jahre lang auf künstlichen Nährboden ge¬ 
züchteten Stammes benutzt. In den meisten \ erhüben wurden 
Bakterieiiaufschw emmiingen gleicher Dichte \eruai.Jt. de 
nach einer StandardaufsJiw etnmung hergestellt waren. D.e 
Ausstriche wurden mit heissein Karboltluonm 2 Minuten Leg 
gefärbt. Gezahlt wurden für jede UntersuJnmg mindeste’ s 
5u Leukozyten, häufig mehr. Der Stamm wurde ohne Zus.iv 
von Serum nicht phago/ytierl wenigstens nicht lenetkab 
der kurzen Emw irkun.gs/rit mhi S Minuten; bei lange r I u- 
w irkung maJit sidi, wie meist, eure geringe >p< »ntanphag« *- 
zyt(»se geltend. I n\eTeiunnte s akti\ es Serum bewirkte t.r c 
sehr lebhafte I*hago/\tose. Bei Anwendung der uK.Jun m r 
schwach opaleszierenden I \ phusha/äle naulsc liw e niitmng be¬ 
trug die dur Jischmttich \on ledern I.euko/Men autgeru»mme; c 
Bakterienmenge p!iago v \ t'c count, im lobenden sei der 
Ausdruck Fress/ahl dalur gebraucht etwa <» 12. D.e ge¬ 

naue Zahlung war hur. wie bereits erwähnt, irhdge der 
teriolyse sehr erschwert. Wurde das Serum e.u.er bestimmtet: 
normalen Person m Zehnfacher \ e rJuur.inrg be nutzt, so 
schwankte die Fress/ahl m unseren zu \ ers v h.e de r en Ze.te’r 
angestellti n Versehen zwischen n.3 als Mm.mum und 1.5 as 
Maximum. Sie war im Wcsent'idum abh.utg.g \ "U eie r Dichte 
der Bakterienaufschwemmung. Ihi luu.e liatm.g \ oh.g g!eic):er 
Versnclisbediugiingen (gleiches Alter der Kultur. g!eiJie Drdrtc 
der Aufschwemmung) Wechselte sie wen ge r. 

Jeder einzelnen Bestimmung hattet ein mJit n r edle b ,c he r 
f ehler all. Um dessen Grosse ungetahr schat/eti zu k■ r 
wurde mit dem gleichen Serum in |o \ ersdnede u.e n kam aue*: 
lömal nacheinande r derselbe \ersudi angcMt/t. \,.n u Je r 
Kapillare wurden zwei Ausstriche a und h angelegt und ::: 
jedem Ausstrich 5 o Lcukn/vtcn gezalnt. DaPei w u mh n t-> 
gende Fress/ahlen erhalten: 


Tabelle II. 


Kapillare 

1 2 3 4 5 i» 7 s »i |n 

u u 

r a* 

I! 

I* 

Ausstrich a 

1,5 1,7 1.5^1,6 1.4 1,7 1,4 2.0 1,4 Id 

2.o 1.3 

1,55 

(je 50 Leukozyten) 

1 

• 


Ausstrich h 

1,9 l.s 1,51,62,01.51.5 2.o|.5 1.6 

2.o 1,5 

1.69 

(je 50 Leukozyten) 

1 



Durchschn. \ . a u. h 

1,75 1.75 1.5 1,6 1.7 1.6 1.452.o 1.45 1.45 

2.o 1.45 I .»\2 

(je loo Leukozyten) 


l 



Die Sera verschiedener normaler Personen verhieben s;d: 
rieht gleich. Schwankten aber innerh.ilb i id:t zu weiter 
Grenzen. Die nadi W right berechneten o|m.i:;s, he u Id /-> 
Kl in finaler Personen lagen /wisdien 0.7 und 1.6. 

Die mit dem Serum des I \ plmspatm. nu n erhaltenen Frese, 
zahlen waren sämtlich hoher als die der NormaNe'n. rve s? 
waren die Unterschiede sehr erhebndl. l’ire Berechn mg des 
Index dieses Serum ist natürlich bei der Grosse' des beh ers 
der Fm/elbestimmimg und der Dille re-rz der \ ersdi e de ?e n 
normalen Sera nur von bedingtem Wert. Nur g r o s s c 
S c h w a n k u u g e u d e s | n d e x k «> n n e n zu Schluss c n 
über Steige n und Faller: des (ipso p i n g e h a ! t e s 
v e r w e r t e t w e r d e n. 

Ftir jeden Versuch wurden ausser drin pa;h->!< micdien 2 
bis 4 normale Sera, sämtlich m zehnfadie r \ e rdam ur g. ge- 
priift. In der folgenden Tabelle III crJ die bei der l'rtte r- 
siichung des erwähnten T\ pliushiMes enWuite® Werte- w ie Je r- 
gegebeit, und zwar sowohl d.e I ress/.,!: An wie' de daraus !»<.-. 
r chneten Indizes. Audi die be i ele r Prating de s inaktiv rerte’t 
Serums erhaltenen Zahlen, auf die sp.,ur ge rau e.tge gange ?i 
wird, sind hier xerzeic hue t. In der Figur 1 snd ube r der 
I emperaturkurve die Indexkiirx en für Jas k :: \ c wie t.. r d..s 
inaktive Serum gezeichnet. 

Aus der Tabelle und der Kurve ist ers.JrJ.Ji. d.isx r 
(Ipsonmgehalt des aktiven Serums mi Ixpsdien Stad um leicht 
erhöht ist, um in der fieberfreien Ze.t euren sjlf In Iren Wert 
anzuuelmien. Zufa.'i.g war eine Best.mrrn g gerade am luge 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1477 


Tabelle III. 


Datum 

19. III. 

|*iii n 

30. III. 

2. IV. | 

14. IV. 

> 

00 

AI VZ 

> 

> 

> 

10 

CM 

Fresszahl des 

Norm, aktiv. Serums l li o I 

11 
UI 
IV 

1,9 

1,7 

2,3 

1,5 

0,9 

0,8 

1,1 

1,6 

0,9 

1.3 
1,2 

2.4 
1,1 

0,3 

0,4 

0,9 

1,3 

0,5 

0,6 

0,7 

1,4 

1,1 

1,2 

0,8 

0,6 

Durchschnitt 

Typhuspatient 

2,0 

3,4 

1,1 

3,3 

1,2 

19,0 

1,5 

5,7. 

0,35,1,1 
4,8 18,3 

0,55 

7,83 

1,05 

7,5 

1,15 

1,7 

0 J 
0,7 
1£ 

Opson. Index 

1,7|3,0 | 16 

3,81 14 |7,5j 14 ! 

7,1 11,5 1 

rresszahlen 

Normal, inakt. Vollserum 1 
II 

1 1 
© © 

4 k cn 

0,6 

1,2 

- 1 — ' 0 , 3 ! — 

— - 0,31 — 

0,3 *0,2 
o!i 1 - 

- 

Durchschnitt 

Typhuspatient 

0,4 

0,45 

0,8 

0,9 

8,1 


— 0,3! — 
l,4 0,7;i,5 

0,2 0,2 
1,3 0.3 

_ 

Opson. Index des inakt Pat.- 
Ser., bezog, auf inakt. Nor¬ 
malserum 

0,9 

1,8 

i 

9,0 - 

4,7 

2,3 

7,5 

6,5 1,5 



Die Ziffer I bezeichnet in allen Versuchen immer dieselbe Person, 
II—IV bezeichnen verschiedene, an den verschiedenen Tagen nicht 
immer identische normale Menschen. 



vor Beginn des Rezidivs gemacht worden. Die einige Tage 
später vorgenommene Prüfung — also während der ersten 
Tage des Rezidivs — ergab einen bedeutend geringeren Opso¬ 
ningehalt. Es folgt aus diesen Beobachtungen, dass eiri Rezidiv 
auch eintreten kann bei sehr hohem Opsoningehalt des Blutes. 
Dieser gibt also — wenigstens beim Typhus — dem Körper 
nicht unbedingt Schutz gegen den Krankheitserreger. Die 
vorliegende Beobachtung erinnert an Befunde von Stern 5 ), 
cass auch der bakteriolytische Titer des Blutes un¬ 
mittelbar vor einem Rezidiv sehr hoch sein kann. Es darf 
also bei der T y p h u s i n f e k t i o n nicht ohne 
weiteres der Gehalt des Blutes an Antikör¬ 
pern als Ausdruck der tatsächlichen. Immuni¬ 
tätangesehen werden. 

Der starke Abfall nach Beginn des Rezidivs ist wohl als 
negative Phase im Sinne E hr 1 i c h s aufzufassen. Auch in der 
Agglutininkurve sind gelegentlich derartige Abstürze beim 
Auftreten eines Rezidivs beobachtet worden. 

Im weiteren Verlauf der Krankheit scheint der Opsonin¬ 
gehalt zu steigen und zu fallen, bleibt aber immer weit über 
der Norm. Die Unterschiede zwischen den Präparaten, die 
mit normalem Serum und denen, die mit Serum der Patienten 
aus der Zeit der ersten Rekonvaleszenz und des Rezidivs an- 
gefertigt sind, waren durchweg so gross, dass ein Blick in das 
Mikroskop genügte, um die gesteigerte Phagozytose zu er¬ 
kennen. 

VA Wochen nach der Entfieberung verhielt sich das 
Rekonvaleszentenserum ganz wie das normaler Menschen. 

Der Grad der Phagozytose kann beeinflusst werden durch 
die Agglutination. Wenn die Bazillen rasch durch das Serum 

•’) Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Breslau 


Digitized by Gck igle 


zu Haufen zusammengeballt werden, so nehmen die Leuko¬ 
zyten solche Haufen auf, und es erhöht sich dementsprechend 
die Zahl der phagozytierten Bakterien. In unseren Versuchen 
war jedoch bei der Kürze der Einwirkungszeit — 8 Minuten — 
meist noch keine Agglutination eingetreten. Dass diese nicht 
die Hauptrolle bei der Grösse der Phagozytose spielt, zeigt 
sich ferner, wenn man nach dem Vorschläge Simons fest¬ 
stellt, wie gross der Prozentsatz der mit Bakterien beladenen 
Leukozyten ist. Immer waren hier die Patientensera den 
Sera der normalen Menschen bedeutend überlegen. Ein be¬ 
günstigender Einfluss der Agglutination ist bei dieser Art der 
Zählung ausgeschlossen. 

Neben der opsonischen Wirkung des aktiven Serums 
wurde auch die des inaktiven Serums verfolgt. Durch 
% ständiges Erhitzen auf 56—58 0 verliert das normale Serum 
seine opsonische Kraft fast völlig. Anders das Patienten¬ 
serum und das Serum künstlich aktiv immunisierter Tiere. 
N e u f e 1 d und Hüne 5 *) hatten nachgewiesen, dass das 
Serum von mit Typhus-, Paratyphus-, Cholerabazillen etc. 
vorbehandelten Tieren auch nach dem Inaktivieren noch 
phagozytosebefördernd wirkt, dass also diese immuni¬ 
satorisch erzeugten Opsonine thermostabil sind. 
Hektoen®) hat das thermostabile Opsonin beim mensch¬ 
lichen Typhus verfolgt. Wir fanden bei unseren Typhus¬ 
untersuchungen den Gehalt des inaktivierten Serums an 
Opsoninen bisher stets (vielleicht mit einer Ausnahme) erhöht, 
wenn das aktive Serum eine solche Erhöhung erkennen liess. 
Immer aber war die opsonische Wirkung des inaktiven Serums 
nur sehr gering gegenüber der des aktiven. Die Vio Verdün¬ 
nung des inaktivierten Serums ist häufig nur sehr schwach 
wirksam, es empfiehlt sich daher, das inaktive unverdünnte 
Serum zu benutzen. 

Die Versuche wurden mit der Bakterienaufschwem¬ 
mung angestellt, die am gleichen Tage zur Prüfung der aktiven 
Sera diente. Es wurden mitunter auch inaktivierte Sera ge¬ 
prüft, die bereits einige Tage alt waren, da nach den bisher 
vorliegenden Erfahrungen die phagozytosebefördernden Sub¬ 
stanzen des inaktiven Serums sich nicht wesentlich beim Auf¬ 
bewahren ändern. Zur Indexberechnung ist die Fresszahl des 
inaktiven Patientenserums durch den Durchschnitt der Fress- 
zahlen zweier inaktiver Normalsera dividiert worden. Auch 
bei dieser Berechnung sind natürlich sehr erhebliche Fehler 
möglich. Die Werte, die sich für das inaktive Serum des 
Patienten ergaben, sind aus der Tabelle III und der Figur er¬ 
sichtlich. Die Kurve des inaktiven Serums zeigt ganz ähn¬ 
liche Schwankungen wie die des aktiven. Es sei noch einmal 
darauf hingewiesen, dass das inaktive Serum in unverdünntem 
Zustande, das aktive in lOfacher Verdünnung untersucht 
wurde. Die in Tabelle III verzeichneten Fresszahlen des 
inaktiven Serums sind daher nicht ohne weiteres mit denen 
des aktiven Serums zu vergleichen. 

Bei einem anderen Typhusrekonvaleszenten, der im all¬ 
gemeinen fieberfrei war, aber gelegentlich leichte Temperatur¬ 
erhöhungen zeigte und ständig Typhusbazillen im Harne aus¬ 
schied, wurden in der Zeit vom 14. II. bis 10. III. 08 fünf Be¬ 
stimmungen der opsonischen Wirkung des inaktiven Serums 
vorgenommen, die sämtlich erhöhte Werte ergaben. Ein 
dritter, nur einmal im lytischen Stadium untersuchter Patient, 
wies ebenfalls eine Erhöhung auf. 


Tabelle IV. 

Prüfung inaktivierter unverdünnter Sera. 


Datum 

H. II. | 

iS. ii. | 

16 . II. 

|237n.j 

10 ’ m. 

Normalserum I 

0,2 - 

I 

0,3 1 

0,4 

i 

0,5 

0,5 

II 

0,2 

- 1 

— 

0,4 

0,4 

Typhusrekonvaleszent 

0,8 | 

1,3 | 

3,4 

2,3 

5,4 

Index 

4 I 

5 i 

8,5 

i 5,i 

1 12 


Die Ueberlegenheit des aktiven Immunserums gegenüber 
dem inaktivierten zeigte sich auch in Versuchen mit dem Serum 
einer gegen Typhusbazillen immunisierten Ziege. Die Sera 
wurden in verschiedenen Verdünnungen geprüft, die Blut- 


Arbeiten aus dem Kais. Qes.-Amt, Bd. 27, H. 1. 
*') Zentralblatt für Bakteriologie, Bd. 44, S. 456. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


























1478 MIIENCIIENER MEDIZINISCHE VYOCHENSCHRIPT. 


Körperchen, die zum Versuch benutzt wurden, stammten von 
Menschen. 

Tabelle V. 



aktiv 

inaktiv 

Vollserum 

7.2 

d.O 

‘/io Verd. 

8,9 

14 

*/ioo 

5,2 

0.7 

Vl-Uü 

0,5 

0,5 


Immer war das aktive Serum dem inaktiven überleben, 
von der fast wirkungslosen tausendfachen Verdünnung abge¬ 
sehen. Die Unterschiede treten in den Versuchen mit zclin- 
und hundertfacher Verdünnung sehr viel stärker hervor aK in 
denen mit Vollserum. Auf dieser Erscheinung beruht es viel¬ 
leicht auch, dass N e u f e I d und H ii n e bei ihren stark w irk- 
sanien Seris eine Herabsetzung der opsonischen Krait durch 
Inaktivierung nicht beobachteten. Auffallend ist ferner der 
Umstand, dass das aktive unverdünnte Serum nicht stärker 
wirkte als die zehnfache Verdünnung. Wahrscheinlich liegt 
die Ursache in der stärkeren Bakteriolyse, es ist jedoch auch 
an andere Erklärungsmöglichkeiten zu denken (toxische Wir¬ 
kung fremdartigen Serums auf die Leiikozyten-Hemmungs- 
zonen). Mit Untersuchungen hierüber sind wir noch be¬ 
schäftigt. 

Auch für die Versuche mit inaktiviertem Serum wählten 
wir eine Bebrütungszeit von nur 8 Minuten. Hei längerer 
Einwirkung steigt zwar die Phagozytose, aber die Unterschiede 
zwischen pathologischen und normalen Sera verwischen sich 
mehr. 


Tabelle VI. 


•— 

Dauer 

der Einwirkung 


7 Min. 

2<> Min. 

75 Min. 

Inaktives Rekonvaleszentenserum . . 

1,3 

1,0 

34 

* Normalserum. 

0,3 

11,0 

1.0 


Erwähnt sei hier noch, das bei Verwendung inaktiven 
Typhuspatientenserums die phagozytierten Hakterien auch 
nach Verlauf einer Stunde keine Auflösungserscheinungen 
zeigten. Die rasche Auflösung ist gebunden an die Anwesen¬ 
heit des bei 56° zerstörbaren Serumkomplementes ). I k*r gleiche 
Befund ist von Lambotte und S t i e n n o n ") für Cholera¬ 
bazillen erhoben worden. Diese Beobachtungen bilden einen 
Beweis für die Anschauung, dass in den Leukozyten Komple¬ 
ment für Typhus- und Cholerabazillen nicht in nennenswerter 
Menge vorhanden ist. Wenn N e u f e I d und H ii n e trotz be¬ 
sonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit diesen Befund nicht 
erheben konnten, so mag vielleicht die verschiedene Wider¬ 
standsfähigkeit der benutzten Kulturen oder die abweichende 
Versuchsanordnung die Ursache sein. 

Welche Beziehungen bestehen nun zw ischen dem thermo¬ 
stabilen Opsonin des inaktiven und dem Opsonin des aktiven 
Serums? Die Steigerung des thermostabilen Opsonins an sich 
ist zu gering, um den hohen Anstieg des (iesamtopsonins allein 
als blosse Additionswirkung zu erklären. Man konnte zu¬ 
nächst annehmen, dass im Serum ein thermolabiles und ein 
thermostabiles Opsonin nebeneinander bestehen, die beide im 
Verlauf der Erkrankung zunehmen. Bei weitem die grossere 
Zunahme würde dann auf Rechnung dos thermolabilen Opso¬ 
nins kommen. Aber es lässt sich doch nachweisen, dass die 
Zunahme der opsonischen Kraft wesentlich von Stoffen ab¬ 
hängt, die durch das Erhitzen nicht zerstört werden, von 
thermostabilen Stoffen also, die an sich meist nur eine geringe, 
beim Zusammentreffen mit den Stoffen des normalen aktiven 
Serums aber eine starke Steigerung der Phagozytose be¬ 
wirken. 

Es sei hier an das Verhalten der bakteriolytischen Sera 
erinnert. Immunisiert man ein Tier gegen Typhusbazillen, so 
erhält es die Eähigkeit, grosse Mengen ciugeführter Typhus- 
bazillcn rasch autznlösen. Das inaktivierte Serum dieser Tiere 
ist im Reagenzglas, für sich allein geprüft, völlig wirkungslos. 
Es entfaltet aber eine starke bakteriolytische Wirkung, wenn 

') Ihis Phänomen tritt klar nur zu taue bei Yervv emlimu volbV 
\x olilei haltener am -besten 12 ständiger - Agarkiiltm eil. 

) Zentrn’bhiü fr Bakteriologie, -in. Heft 2 \. 


man ihm eine kleine an suh nuht bakterioh tisJi wirker.de 
Menge normalen Serums zuset/t. oder w eim man es einem 
anderen normalen Tier mu/iert. Die B.ikkti'dvsc beruht als., 
auf dem Zusammenwirken zweier Substanzen, emer thermo¬ 
stabilen. im Immunserum vorhandenen. ..des Amho/e-i»i«' rs ’’. 
und einer durch Hitze zerstörbaren. muh im N« •rm.bs l n.v. 
vorhandenen. ..des Komplementes“. In ahn’:* tu r Weist lasst 
sich zeigen, dass auch die bakien*ä\t;s v he Wirkung des Nor¬ 
malserums aut einem Zusammenwirken \ m; Vmbo/ep'.of ii'd 
Komplement beruht. 

Bereits L e v a d i t i und I n m a n *) und M u r r tr d M a r - 
t i n'") haben afmhJie \ erbaltmsso für die Upv-rmt riaJi- 
w eisern können. Das inaktiv urU Nornalserum ist fas* \--.g 
wirkungslos. Der Zusatz einer kleine i; Menge akt:\er: >e-mi:;\ 
die an sich nur eine sehr vJiw.iJn Wirkung ausubt. bring: 
eine deutlulie (Ipsonierung lierxor. Wird ein aktives |m- 
n unserum so weit verdünnt, dass es an suh kaum ra-Ji < p- 
S( msJi wirkt, und da/u eine kleine Menge an siJi eben!, s 
nur schwach wirksamen aktiven NnfiiuibeUiiiis gefugt, s.. 
wirkt wieder das (icmisUi stark opsonisch. 

Wir hatten ohne Kenntnis der I. e v .1 d t t i sJkü und 
Muir-Martin sollen l utersiuhurigen den gleichen Virvuh 
hantig aiisgefuhrt und zwar immer mit ganz demselben Re¬ 
sultat, sowohl bei Anwendung v * »ii Immun- wie Normale rum. 
Unsere* l ntcrsiicfmngi n eistreuktell mJi auf die Reaktivier mg 
von norn abn wie Immun- be/vv. Patie nteu^eris g.gmuhi^ 
Typhus- und K'dib.^llyn. t irnmft wurden mer.sjiäjte ird 
'I lersera. 

Tabelle V II 
\ e r s t a r k u n g s v t r mu Ii t. 

1 . Normales Menvhenserum. 1 \ phtisba/iben. , 

' r re ss/.e 

1 Vol. Bl. 4- I Vol. Mmp 4* 1 V ol. makt. norm. M >. 4- 

I \ o|. V j., akt norm. M >. . . 1.7 

1 Vol. Bl. -f- I Vol v ‘iis|\ 4- 1 \ "I makt. norm M S -i- 

1 Vol N.,U.t*4 

| Vol. Bl. 4 - | \o| Mjsp. 4 - | \..|, » o akt. norm. M. S 4* 

1 \o|. NaU. .... " 2 


2. T\ pluis-lmmun-Ziegensernm. 


1 V ril. Bl. 4- 1 Vol. Susp. 4 - 1 \o| 

1 um. makt 

Hll 

nun 

/ S. 


4 - 1 N ol. '■'!•* akt. norm. 

M >. 



. . äX 

1 V« 

d. Bl. 4- 1 Vol. >usp. -f | Vol 

! S-. makt. 

In, 

min 

/ >. 


4- 1 Vol. NaU. . . . 




, 1 s 

1 V. 

d. Bl. -f 1 Vol. Misp. -f I \,. 

. 1 m akt. n« 

rin 

M 

>• + 


1 Vol. NaU. 




. 4 


.1. Tv plms-Rekorn ales/entense 

rum. 


1 V( 

>1 Bl. 4- 1 Vol. Susp. 4- 1 V< 

1 . makt. Rek 

S. 

-f 

1 Vol. 


i«. akt. norm M S. 




. . . r * * 

I V« 

> 1 . Bl. 4- 1 Vol. Misp. 4 . l \o 

1 . makt Rek. 

>. 

+ 

1 Vd. 


NaU. 




e 7 

1 V« 

1. Bl. 4 - 1 Vol. s.jsp. 4 . | V,,|. • 

o akt norm. M. > 

• 4- 

1 \ol. 


NaU. 




. . . 

4. 

Serum eines mit abgetoteten 

Kultiren v<> 

n 

B a/ 

c«* i i v o r b c - 


handelten Patienten. Piuluiu 

ge gen den 

•g'.i 

u tu 

n Mjiüiii. 

2 V, 

d. Bl. -p 2 Vol s„sp. 4- I \, 

d. 1 i makt. 

I 

lt > 

4- i 


Vol. akt. norm. M t". 




. . O.s 

2 V. 

d. Bl. 4- 2 Vol. Misp. 4 - 2 

1 . J t makt. 1 

’at 

S. 

i, 7 

2 V« 

d. Bl -p 2 \ o 1 . >usp. 4 2 \ ■ 

d. akt. n> 

rm 

M 

> U 

Bl. 

— gewaseliene Blutkörper¬ 

Z. S. Zu 

ge 

nve’ 

um. 


chen. 

R' k. >. 

Ri 

k' Ui' 

\ a'.es/eUten sc 

Siisj 

). — Ba/illensiivpeiisnm. 

NaU. | 


s 1 ' |. 

gis^h.e hoj 


M. S. M ensclieiiser um. sal/losuug 

IS spi\clieii dies-j Ve'suJie aXo sehr d.:fu r . da^ t s s.J; 
auch bei der Opsomnvv irkung um J.is Zus.mm •„: v . w . k ; 

Komponenten liaiulelt. einer thermost. t-Kui:. ;m V c Banfe der 
Immunisierung suh v erniehre uden und einer tbe bmUabX n. 
nur im aktiven Serum vorhandenen. 

Wendern wir iet/t diese Eitafmuigen zu 1L niti ,'u"g der 
Präge an. worauf der Anstieg der < iesam’.m*..: e bt-uhr. 
Es sei gleich ein bestimmtes Beispiel anget b r t. I’.is aktive 
Serum eines T\ phuspatieiiteii in I" f.uber Vi-d.rrmg e r gab 
an einem bestimmter I nge eine BtcW.fhi v ■•'* 4.o. das ;• akt ve 
Patieiisernm in IhiuJrt Nerdumm g e*g.;h ; ur ".7 Eugteti 
wir 'et/t aber zu de m P't.uh ve jdat.i *e r ■? .4 t er Pat.eiten- 
serum ein gltkhes \ «•amten 1" buh v e:d..t : teu ek'n.eii Nor- 

") Lo-npt. re ml. >-u. 1 : .! . I**»;. B « 2. fl.:; 15 u».c Pu 

"') British Med. -Ioumi.. ];* p 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 











14. Jufi 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1479 


malserums hinzu, das an sich eine Fresszahl von 0,5 bewirkt, 
so stieg die Wirkung des Qemisches auf 5,4, also — mit Be¬ 
rücksichtigung der möglichen Fehler — auf denselben Wert, 
den das aktive Patientenserum ergab. 

Es lässt -sich also das inaktive Patientenserum durch den 
Zusatz von aktivem Normalserum annähernd auf die Wirkung 
des aktiven Patientenserums bringen. Es folgt daraus, dass in 
den von uns untersuchten Fällen das Ansteigen der Opsonine 
im wesentlichen bewirkt wird durch Vermehrung von thermo¬ 
stabilen Substanzen. 

Sprechen diese Reaktivierungsversuche für einen kom¬ 
plexen Bau des Opsonins, so sind ausserdem eine ganze An¬ 
zahl anderer Eigenschaften bekannt, in denen mit dem aus 
Ambozeptor und Komplement bestehenden Alexin des Serums 
sich Analogien finden. 

Das normale Opsonin verhält sich gegenüber den ver¬ 
schiedenen physikalischen Einflüssen (Hitze, Eintrocknen, Auf¬ 
bewahrung, Dialyse) wie das Komplement 11 ). 

Es wird wie das Komplement durch feine korpuskuläre 
Elemente, Kohle, Karmin u. a., absorbiert 12 ) u. 13 ) u. “). 

Es fehlt in denselben Körperflüssigkeiten, in denen das Kom¬ 
plement fehlt. Leva di ti und Koessler 16 ) zeigten, dass 
die Flüssigkeit der vorderen Augenkammer, die frei von Kom¬ 
plement ist, auch keine Opsonine enthält, dass Oedemfliissig- 
keit nur wenig Komplement und Opsonin enthält. Wir fanden, 
dass ebenso die durch Lumbalpunktion gewonnene normale 
Zerebrospinalflüssigkeit nur Spuren von Komplement und Op¬ 
sonin besitzt. 

Durch Absorption des Serums bei 0° gelingt es nach 
C h a p i n und Cowie 17 ), dem Serum den opsonischen Ambo¬ 
zeptor allein zu entziehen. Das vorbehandelte Serum ist un¬ 
wirksam gegen die betreffende Bakterienart, erhält aber seine 
opsonische Wirkung wieder, wenn man ihm Ambozeptoren 
in der Form inaktivierten Serums zufügt. Die in der Kälte 
mit Serum behandelten Bakterien sind nicht stärker phago- 
zytabel als vor der Behandlung, sie werden aber sehr leicht 
aufgenommen bei Zusatz von verdünntem normalem Serum 
oder von in der Kälte absorbiertem Serum.*) 

Die genauer erwähnten Verstärkungsversuche sprechen 
in demselben Sinne. 

Nach diesen Befunden ist es wahrscheinlich, dass die Op- 
soninwirkting nach dem Ambozeptor-Komplement-Schema 
verläuft, wobei es ganz dahingestellt bleibe, ob diese Ambo¬ 
zeptoren und das opsonische Komplement mit dem bakterio- 
lytischen Ambozeptor bezw. Komplement identisch seien. 

Während das inaktive Serum auch bei hohem Ambozep¬ 
torengehalt an sich nicht bakteriolytisch wirkt, zeigt inaktives 
Serum von Rekonvaleszenten oder aktiv immunisierten Tieren, 
wie bereits erwähnt.für sich allein schon eine mehr oder weniger 
grosse opsonische Wirkung. Man könnte, wie L e v a d i ti und 
Inman 18 ) es tun, annehmen, dass die Ambozeptoren an sich 
bereits opsonisch wirken. N e u f e 1 d und Hüne 19 ), ferner 
Bacher 90 ) erwähnen demgegenüber, dass man gelegentlich 
Sera von hohem Gehalt an bakteriolytischen Ambozeptoren 
f 'ndet, die gar nicht opsonisch wirken. N e u f e 1 d nimmt dem¬ 
entsprechend an, dass eine opsonische Wirkung zustande 
kommen kann 

1. durch das Zusammenwirken von Ambozeptor und Kom¬ 
plement, 

2. durch besondere von den Ambozeptoren verschiedene 
thermostabile Stoffe, die „bakteriotropen Substanzen“, 


n ) Noguchi: Journ. of exper. Medic., Bd. 9, S. 455. 

”) Simoni La mar, Bispham; Journ. of exper. Medic., 
1**6, Bd. 8. 

”) Bacher: Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskr., Bd. 56, H. I. 
14 ) Kämmerer: Münch, med. Woche.nschr., 1907, S. 1916. 

’ 5 ) 1. c. 

Comptes rend. Soc. biol., 1907, Bd. 62, H. 17. 

“) Anmerkung bei der Korrektur: Zu «ähnlichen Re¬ 
sultaten kommt Meyer, Berl. klin. Wochenschr., 1908, No. 20. 

,7 ) Journal of Med. Research 1907, Bd. 17, No. 2. 

») i. c. . ... 

,s ) Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 25. 
Zentralblatt für Bakteriologie, Bd. 45, S. 166. 

Arbikteh abs dem Kaiserl.'Gesundheitsamt, Bd. 27, H. 2. 

*) /. c. 


In Versuchen mit roten Blutkörperchen gelang es Neu¬ 
feld und Bickel 21 ) sogar, die lytischen Ambozeptoren von 
den hämotropen Substanzen zu trennen. 

Jedenfalls haben wir uns die Phagozytose als einen sehr 
komplizierten vitalen Vorgang vorzustellen, auf den viele 
Faktoren von Einfluss sind. Durch Einwirkung des 
Serums auf die Bakterien kann deren Aufnehmbarkeit 
gesteigert werden. Die Reaktion des Mediums ist nach 
Noguchi 22 ) von Einfluss auf den Grad der Phagozytose. 
M. N e i s s e r und G u e r r i n i 2S ) zeigten, dass durch die ver¬ 
schiedenen chemischen Stoffe — je nach der Konzentration — 
die Phagozytose gehemmt oder gefördert werden kann. Auch 
Bakterienstoffe, wie das Tuberkulin (Calmette 24 ) können 
von Einfluss sein. 

Endlich sehen wir, welchen grossen Einfluss rein physi¬ 
kalische Veränderungen, wie z. B. das Schütteln, auf die Stärke 
der Phagozytose haben. Temperaturveränderungen können 
ähnlich wirken. Es wird noch sehr eingehender Unter¬ 
suchungen bedürfen, um die Wirkung aller einzelnen Faktoren 
genügend zu isolieren. 

Einige Versuche über die Phagozytose von Meningo¬ 
kokken seien noch kurz mitgeteilt. Schwierigkeiten bietet die 
rasche Auflösung der Meningokokken in den Leukozyten, die 
Einwirkungszeit kann daher nur kurz bemessen werden, auf 
etwa 8 Minuten. Manche Stämme eignen sich wegen ihrer 
schlechten Färbbarkeit nicht zu den Versuchen. Allgemein 
empfiehlt es sich, nur 8 bis 12stündige Meningokokken¬ 
kulturen zu benutzen, diese sind meist frei von De¬ 
generationsformen. Uns erwies sich am geeignetsten 
ein frisch aus der Lumbalflüssigkeit eines Meningitis¬ 
kranken gezüchteter Stamm, der unter der Einwirkung 
von normalem aktiven Menschenserum gut aufgenommen 
wurde, aber keine Spontanphagozytose zeigte. Inaktives nor¬ 
males Menschenserum wirkte nur sehr schwach auf ihn ein. 
Das Serum des Patienten, aus dessen Lumbalflüssigkeit der 
Stamm herrührte, agglutinierte ihn stark, und zeigte eine sehr 
verstärkte opsonische Wirkung, sowohl in aktivem wie in in¬ 
aktivem Zustande, die im Verlaufe der Krankheit zunahm. Bei 
der Schwierigkeit der Zählung und dem Einflüsse der Aggluti¬ 
nation haben wir meist auf eine genaue Zählung verzichtet und 
uns mit Schätzungen begnügt. 


Tabelle VIII. 


Datum 

21. III. 

29. III. 

31. III. 

2. IV. 

Norm. akt. Serum I . . . 

1,7 


+ 

-f (ca. 7) 

11 . . . 

2,0 

— 

+ 

-Mca.3) 

III ... 

— 

— 

“T 

+ (ca.8) 

Akt. Serum des Patienten . . 

5,0 

— 

ütetto 

1 |-4- 

(ca. 20) 

Norm, inakt. Serum I . . . 

— 

— 

0,5 

•— 

II . . . 

— 

— 

0,7 

— 

nakt. Patienten-Serum . . 

— 

über 15 

über 20 

— 


Die sämtlichen Versuche mit inaktiven Sera sind am 2. IV. aus¬ 
geführt worden. 


Der Patient bekam am 21., 24. und 29. März Injektionen 
von je 20—30 ccm Meningokokkenserum. Möglicherweise 
sind diese Injektionen für den Anstieg des Opsoningehaltes ver¬ 
antwortlich zu machen; wahrscheinlich ist diese Annahme 
nicht, da das zur Injektion verwandte Serum wieder für sich, 
noch auf Zusatz von verdünntem aktiven normalen Menschen¬ 
serum opsonisch wirkte. Der Patient starb am 9. April. In 
den letzten Tagen vor seinem Tode konnten keine Bestim¬ 
mungen gemacht werden. 

Es sei noch bemerkt, dass ein Meningokokkenserum 
anderer Herkunft, das an sich gar nicht opsonisch wirkte, durch 
Zusatz fünffach verdünnten, an sich fast wirkungslosen aktiven 
Normalmenschenserums kräftige opsonische Wirkung erhielt. 


23 ) Verhandlungen des ärztlichen Vereins Frankfurt a. M., 4. No¬ 
vember 1907, ref. Münch, med. Wochenschr., 1908, No. 4 und Arbeiten 
aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu Frankfurt a. M., 
Heit 4, 1908. * ; . 

•’) Conipt. rend. Soc. biol. 1907. 


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1480 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Zum Schlüsse seien die Resultate der Arbeit kurz zu- 
sammengefasst: 

1. Der Opsoningehalt des Serums gegenüber Typhus¬ 
bazillen lässt sich gut prüfen bei Benutzung verdünnten ak¬ 
tiven Serums. Mit Rücksicht auf die Fehler der Methodik und 
die verschiedene Wirkung der normalen Sera lassen sich nur 
grosse Ausschläge zu Schlüssen verwerten. 

2. Bei einer längere Zeit beobachteten Typhuserkrankung 
fanden wir in der Rekonvaleszenz eine starke Vermehrung der 
Opsonine. Trotz des hohen Opsoningehaltes trat ein Rezidiv 
ein. Nach anfänglichem Sinken war im weiteren Verlauf' des 
Rezidivs der Opsoningehalt wieder hoch. Mehrere Wochen 
nach dem Fieberabfall war dieser auf die Norm gesunken. 

3. Auch das inaktivierte Serum dreier Typhusrekonvales¬ 
zenten zeigte eine erheblich gesteigerte opsonische W irkung, 
die aber hinter der des aktiven Serums weit zurückblieb. Sie 
liess sich durch Zusatz von normalem aktiven Serum be¬ 
deutend steigern, etwa auf die gleiche Höhe, wie sie das aktive 
Patientenserum aufwies. 

4. Die Steigerung der opsonischen Wirkung beruht in den 
beobachteten Fällen also im wesentlichen auf einer Zunahme 
thermostabiler Substanzen. 

5. Eine erhebliche Steigerung der opsonischen Wirkung 
durch Zusatz von verdünntem aktiven Serum liess sich zeigen 
für inaktiviertes Typhuspatientenserum und die durch aktive 
Immunisierung erzeugten Sera gegen Typhusbazillen, Koli- 
bazillen und Meningokokken. 

6. Die Reaktivierbarkeit des inaktiven Serums sowie eine 
Reihe anderer Eigenschaften lassen sich am besten durch die 
Annahme eines ambozeptor-komplementartigen Baues der 
Opsonine aktiver Sera erklären. 

7. Durch beständiges Schütteln wird die unter dem Ein¬ 
fluss von Serum zu Stande kommende Phagozytose bedeutend 
gesteigert. 

8. Eine rasche Auflösung der Typhusbazillen inner¬ 
halb der Phagozyten findet nur bei Anwesenheit aktiven Se¬ 
rums statt. 

9. Die normale Zerebrospinalflüssigkeit enthält nur Spuren 
von Komplement und Opsonin. 


Aus der Tübinger Universitäts-Frauenklinik (Direktor: Prof. 

Dr. S e 11 h e i m). 

Oer Wert der RUckenmarksanftsthesie flir die gynäko¬ 
logischen Bauchoperationen. 

Von Dr. Ernst Holzbach, Assistenzarzt. 

Je mehr die Lumbalanästhesie Gemeingut der operieren¬ 
den Aerzte wird, um so divergenter werden die Kritiken, die 
man über die Brauchbarkeit des Verfahrens hört. Bei der 
Mannigfaltigkeit der Gebiete, auf denen die grosse und kleine 
Chirurgie versucht hat sich die Methode nutzbar zu machen, 
ist das nicht schwer verständlich. Die Anforderungen, die von 
den verschiedenen Spezialitäten an das neue Verfahren gestellt 
werden, sind grundverschieden, und die vorzüglichen Resul¬ 
tate der Arbeiten, die kaum über Laparotomien berichten 
(vergl. z. B. Lindenstein mit 4 Proz. Laparotomien unter 
500 Fällen) werden immer abstechen gegen die Veröffent¬ 
lichungen über Erfahrungen in der Bauchchirurgie. In dieser 
wieder nimmt die Gynäkologie eine gesonderte Stellung ein 
bezüglich der Indikationsbreite für die Anwendung des Ver¬ 
fahrens. Während sich für das Gros der gynäkologischen 
Operationen die Auswahl auf Inhalationsnarkose oder Lumbal¬ 
anästhesie beschränkt, steht dem Chirurgen die Lokal¬ 
anästhesie in ihren Modifikationen als Konkurrenzmethode ans- 
giebigst zu Gebote. Nicht in letzter Linie wird dabei immer 
der persönliche Geschmack oder der nachhaltige Eindruck 
früherer Misserfolge im einen oder anderen Sinne ausschlag¬ 
gebend bleiben. Wenn man aber die zweifellos schwierige 
Technik der Lumbalanästhesie in Rechnung zieht, aus der her¬ 
aus nach meiner Ueberzeugung 99 Proz. aller schlechten Re¬ 
sultate zu erklären sind, so wird man verstehen, dass in den 
Statistiken grosser chirurgischer Kliniken die lokalen Anä¬ 
sthesien im allgemeinen im Zunehmen, die lumbakn im Ab¬ 
nehmen begriffen sind (R o i t h). Eine direkte Stimmung gegen 
die Lumbalanästhesie spiegeln die Sammelreferate, die über 


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Sn. 2*. 

die gerade neuerdings erschienen«, n Arbeiten beruhten. Das 
lässt sich, glaube ich. mit dem gew ohr.lijien Abflauen eines 
anfänglich grossen Enthusiasmus allein nicht erklären. Un¬ 
schuld daran erblicke ich in einer gat /en Reihe um Autoren, 
die der neuen Errungenschaft zwar ihr Lehrgeld n<>Ji mJi: 
bezahlt hatten, aber doJi glaubten, n.uh eia paar Putze t J 
Versuchen ihre mehr weniger häutigen Misserfolge gegen d e 
Methode als solche atisspielcii zu müssen. 

Wenn uh hier den Versuch mache, d.e Lumbalanästhesie- 
in ihren Vor- und Nachteilen tur die g\nako|..g;sJie B.mJi- 
chirurgie einer kritischen Würdigung zu unte f/u he % so ge¬ 
schieht dies auf der Grundlage einer ausgiebigen hei t:" ;s di r 
verschiedenen Methoden der Inhalatioiisiiafkose, die 1 J 1 mir 
unter bewährter Anleitung an der Mufti.heiler I X tu a u t I. 
Heidelberger (v. Rostlmr n) und I hisse-Morter (S c li h e i in. 
W itzel) Klinik an/ueignen Gelegenheit hatte. X,rn \ er¬ 
bleich stehen mir die Lrtalmmgen an annähernd I""»' Lumbal¬ 
anästhesien zu Gebote, von denen etwa zwei Drittel bei Lapa- 
lotomien ausge-fulirt wurden. Speziell beriukM Jitige ri werde 
ich die Eindrücke, die ich uaJi einmal exakt entwickelter IcJi- 
mk bei den letzten J5u Laparotomien der S c I I h c i m s w b«vf4 
Klinik gewonnen habe, und über de ich genauere Aui/e.J:- 
nimgen besitze. 

Bei einem Vergleiche der be.de n Methoden ist zun.iJist zu 
präzisieren, was wir von der Anästhesie- überhaupt, sei es der 
partiellen oder der allgemeinen, für unsere B.uk hoperatua.e •; 
verlangen müssen. 

W ir fordern : 1. Absolute Sch m e r z b e i r c in n g 

für den P a t i e n t e n w a li r e n d der g a n z e n Da u e r 
des Eingriffe s. 

2 . Die Schalt u n g von \ c r li ä I t n i s s e- n i in 
Operationsgebiet, die die Technik im Inter¬ 
esse einer rasch e n u n d c i n w a n d f r e i e n Durch¬ 
führung des Eingriffs weit möglichst er- 
leichter n. 

3. Di e m o g I i c h s t c Herabsetzung der < i e - 
f a li r der A n ä s t h e s i e w a h r e n d w i e n a c h dem 
E i n g r i f f. 

4. Die V e r h ii t u n g u n a u g e n e li tu e r oder gar 
b e d e n k I i c h e r Sensationen zu B v g i n n und i m 
Gefolge der A n ä s t h e s i e. 

5. Möglichst gering c n 1' i n t I u s s u f J c n 
post o p e r a t i v c n Neri a u t. 

Ehe ich auf die Besprechung dieser einzelnen Punkte <.iu- 
gehe, will ich ganz kurz über das klinische Mater.a! retctlereti. 
das ich der Kritik des Wertes der Lumbal.tr.asthe sic spe/.e:! 
für die gynäkologischen Batuhoperatioueti zu Grunde lege. 

Von den letzten 253 Laparotomien der lus^n Ki;t..k 
wurden 25o in Lumbalanästhesie- ausgefufmt. bei dm 3 übrigen 
Fällen musste wegen mechanischer l nniog'ichkeit. den l.urn- 
balsaek zu punktieren, auf die Ar.w et;Jur g der Lumbal¬ 
anästhesie verzichtet werden. Es handelte s:Ji dabei /w emla! 
um Verbiegungen der Wirbelsäule bei Osieoma‘az:e (Kastra¬ 
tion). einmal um starke Lordose bei K \ pb,. .skoG.se |s ut |,, 
caesarea). In den übrigen J5o haleii gelang d;e Punktum. 
Trotz erzielten Lu|iierab;!iisses hatten wir ein völliges 
Versagen der A u a s t h e s i e zu u r/i idmen m o Eal’c n 
3,6 Proz., einen uiibefned.genden. durch W argen. IbeJien 
etc. besonders zu Beginn der Operation gestörten \ er- 
I a u f in 7 hallen 2,-S Pro/., ein N i c h t a u s r e i c h e n 
der Anästhesie, so dass bei anfangs \o! cer Schmerz¬ 
losigkeit die Operation unter /ulultenähme der Irh.dmuu>v_ 
narkose zu Ende geführt werden musste -11 Ural 16.4 Proz. ; 
35 mal handelte es sich bei diesen 4! hallen um Emg* :f?e. d. e- 
mehr als 5o Minuten beanspruchten. h.ue s.,g, r.an*-te SJiun- 
narkose, d. h. wenige Tropfen Voller zur P.es Jiw u Ir.cur. -g 
aufgeregter Patientinnen an/uw enden, mi:J wir iioJi öfter u; 
die Lage gekommen. 

In ungefähr 9o Proz. der habe w unk um dem Pt a n n e n - 
s t i e 1 scheu Oiierschnitt. sonst duTch uu J:aue n oder pa r .i- 
medianen Läng-schnitt, durch SJmut pant'bj dem I jg. p,. t j- 
Partii, und J mal mit dem L ranz sj: ; .rtsjuatt npenem. 
holgetide Eingriffe winden dam t amn’ Art: 

N Kar/'i.uni<'per.i:."iieu n.u ; i i - ■ :• - \\ t - : ■■ t t v 

Carcinoma cOli. P* hei L ,u c.uv>ni,i o • * p >? -s. c .t r . :n. • ,.i »..t v 

und 1 hei S\ nc\ touna ma .gmru. J I v -n Je r .Ve" Je - ** 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1481 


üefiisse bei Kollumkarzinomen, die sich bei der Operation als in¬ 
operabel erwiesen. 3 Explorativinzisionen bei multipler Karzinose. 

1 Explorativinzision bei Carcinoma flexur. sigmoid. inoperabile. 

1 Sectio alta bei Carcinoma vesicae. 1 Sectio alta bei Blasenscheiden- 
ristel. 35 Myomoperationen nach Doyen. 14 Mvomoperationen 
durch abdominale Totalexstirpation. 1 Myomoperation durch supra¬ 
vaginale Amputation. 1 Myomoperation mit extraperitonealer Stiel¬ 
versorgung nach Hegar. 4 Myomoperationen durch Enukleation 
resp. Abtragung 8 Radikaloperationen bei Tuberculosis genitalium 
etc. 3 abdominale Totalexstirpationen bei Metritis, Pyometra. Fibro- 
sarkoni. 8 Adnexoperationen mit Resectio uteri (Seil heim. Verh. 
der oberrhein. Qes. f. Qyn. 1907). 18 Hämatozelenoperationen bei 

geplatzter Extrauterinschwangerschaft. 16 einseitige Salpingoopho- 
rektomien. 12 doppelseitige Salpingoophorektomien. 6 einseitige 
Salpingektomien bei ungeplatzter Graviditas tubaria. 2 doppelseitige 
Salpingektomien bei Hämato- resp. Hydrosalpingen. 11 doppelseitige 
Ovariotomien wegen Ovarialtumoren. 27 einseitige Ovariotomien 
wegen Ovarialtumoren. 6 Exstirpationen von Parovarialzvsten. 

1 Nephrektomie bei Hydronephrose. 7 Laparotomien bei Tuber¬ 
culosis peritonei. 5 Tubensterilisationen. 3 wegen Tuberculosis pul¬ 
monum. 1 wegen Vitium cordis, 1 wegen Amaurosis e graviditate. 

6 ventrale Fixationen an den runden Gebärmutterbändern. 3 Ope¬ 
rationen nach Alexander-Adams mit Eröffnung des Peri¬ 
toneums. 1 intraperitoneale Ligamentdurchtremiung (Seilheim: 
Verh. -der mittelrhein. Ges. f. Gyn. 1908). 5 Nabel-. Leisten- und 
Schenkelhernien. 1 Ileus postoperativus. 1 Ileus chronicus. 1 Vari- 
kocele muliebris. 11 extraperitoneale Uterusschnitte nach Sell- 
h e i m. 1 Entbindung durch die Uterusbauchdeckenfistel nach Seil- 
heim. 

Auf Details bezüglich Technik, Grosse und Dauer der Ein¬ 
griffe kann ich hier nicht eingehen. Auch alle die komplizieren- 
i den Momente zu besprechen, die vor der Unternähme des Ein¬ 
griffs abgewogen werden mussten, würde zu weit führen. Ich 
kann nur sagen, dass wir bei einer ganzen Reihe von Fällen 
strikte Kontraindikationen gegen die Inhalationsnarkose hatten, 
so durch Herzfehler, Lungenerkrankungen, Strumen und so 
fort, nie jedoch wegen ähnlicher Bedenken von der Ausführung 
der Lumbalanästhesie Abstand nahmen. 

Zu den Kaiserschnitten muss betont werden, dass die 
i Kinder jeweils völlig lebensfrisch zur Welt kamen. Bei dem 
bekannten Uebergehen der Narkotika auf das Kind erscheint 
das bemerkenswert. Bei den übrigen geburtshilflichen Ein¬ 
griffen, so weit sie in die Domäne der Lumbalanästhesie fallen, 
bei denen also auf eine Aktion der Bauchpresse nicht mehr ge¬ 
rechnet werden muss (im Gegensatz zu den beckener- 
weiternden Operationen) haben wir vornehmlich aus didak¬ 
tischen Gründen auf die Verwendung der Rückenmarks¬ 
anästhesie verzichtet. Der Student soll auf dem Kreiss- 
saa! die Geburtshilfe so lernen, wie er sie in der Praxis treiben 
muss, und dazu gehört auch die geburtshilfliche Narkose. 
Dem kaum Geübten die Nadel zur Punktion in die Hand zu 
geben, dazu ist die Methode zu diffizil. Maske und Chloro- 
iormflasche sollen hier vor der Hand in ihrem Rechte bleiben. 

Von den 27 nach Freund-Wertheim operierten 
Gebärmutter- und Scheidenkarzinomen starben uns 5 = einer 
Mortalität von 17,8 Proz. Ausserdem haben wir die wegen 
Blasenkarzinom operierte Patientin verloren. Die Sektions¬ 
befunde ergaben, wie auch schon der klinische Verlauf gezeigt 
hatte, dass die Lumbalanästhesie die Todesursache nicht ge¬ 
wesen ist. Von den übrigen 222 Laparotomierten haben wir 
keine verloren, also eine Mortalität von 0 Proz. Anfügen kann 
ich hier, dass ich bei der grossen Zahl der von mir selbst aus- 
geflihrten oder beobachteten Rückenmarksanästhesien (an¬ 
nähernd 1000 Fälle) einen Todesfall oder auch nur wirklich be¬ 
drohliche Erscheinungen durch die Methode bis heute nicht be¬ 
dachtet habe. 

Wenden wir uns jetzt der Prüfung der Frage zu, inwieweit 
Inhalationsnarkose und Lumbalanästhesie unseren oben auf- 
gesteilten Forderungen gerecht werden, so erkennen wir be¬ 
züglich Punkt 1 eine gewisse Ueberlegenheit der Inhalations¬ 
narkose an: Gleichgültig, welche Narkosetechnik und welche 
von den gebräuchlichen Narkotizis wir anwenden, Versager 
werden wir wohl damit nicht erleben, und wir können dem 
Patienten die schmerzlose Durchführung des Eingriffes an¬ 
nähernd garantieren. Bei der Lumbalanästhesie können wir 
:as nicht, ja wir müssen sogar beim Versagen oder nicht Aus¬ 
ziehen der Anästhesie zu den alten Methoden unsere Zuflucht 
i zhmen Doch haben wir kein Bedenken, eine in 
t Umbaianästhesie begonnene Operation bei 
I -'ichta u s r e i chen der Anästhesie durch Inha- 
I So. 28. 


halationsnarkose zu beenden. Bei durch kompli¬ 
zierte Technik stark protrahierten Operationen haben wir uns 
dieser Kombination stets bedient, ohne auch nur ein einziges 
Mal irgend welche beängstigenden Situationen dadurch er¬ 
leben zu müssen. Die Anästhesie klingt nie mit einem Schlage, 
sondern stets allmählich ab, und ebenso allmählich soll das 
Inhalationsnarkotikum (Aether) zugegeben werden. Forziert 
man dabei nichts, sondern wartet man ruhig, bis die Narkose 
ihre Schuldigkeit tut, so verliert man freilich einige, u. U. sogar 
kostbare Minuten, ist aber durch den glatten weiteren Ver¬ 
lauf stets reichlich entschädigt. Alle Autoren sind darin einig, 
dass man dabei mit einem Minimum von Inhalationsnarkotikum 
auskommt. 

Die völlige Anästhesie nach Lumbalinjektion soll nach 
unserer Forderung bis zum Nabel reichen. Die Erscheinung, 
dass nur Teile dieses Operationsgebietes anästhetisch sind, 
dass also z. B. bei unempfindlicher Haut das Peritoneum seine 
Schmerzhaftigkeit behalten hat, würde ich als vollen Versager 
bezeichnen. Es wird bei der Beschreibung der Technik aus¬ 
einandergesetzt, warum wir das höchst selten erleben. Häu¬ 
figer dagegen hören wir Schmerzäusserungen beim Entfernen 
der meist hoch hinaufgesunkenen Qazekompressen, mit denen 
wir die Bauchhöhle abschliessen. Es ist klar, dass mit ihrem 
Herausziehen am Mesenterium und damit an ausserhalb des 
Infiltraüonsgebietes liegenden Partien der Parietalserosa ge¬ 
zerrt wird. Abgesehen von dem .dadurch gelegentlich ver¬ 
ursachten, einen Moment dauernden Schmerz können wir, be¬ 
sonders da ja ein prinzipielles Bedenken gegen die Kombi¬ 
nation der nicht ausreichenden Lumbalanästhesie mit Inha¬ 
lationsnarkose nicht besteht, unseren Patienten mit gutem Ge¬ 
wissen eine schmerzlose Durchführung des Eingriffes ver¬ 
sprechen. 

Unter Punkt 2 müssen wir verlangen: Beckenhoch¬ 
lagerung, Ausschaltung der Bauchpresse, speziell völlige Er¬ 
schlaffung der Bauchdecken, Verhütung von Würgen und 
Brechen. Je mehr wir dem Operateur die Uebersicht über 
sein Operationsfeld und dessen leichte Zugänglichkeit sichern, 
umsomehr nützen wir dem Patienten. Wir können deshalb der 
Forderung einzelner Autoren, zu Gunsten der Lumbal¬ 
anästhesie auf die Beckenhochlagerung zu verzichten, nicht zu¬ 
stimmen . Der Qrund, warum die abdominalen Operations- 
metnoden den vaginalen immer mehr den Rang ablaufen, ist 
die durch sie gegebene Möglichkeit des anatomisch exakten 
Arbeitens durch Ueberblicken der Topographie, und dazu 
brauchen wir auch Beckenhochlagerung. Experiment und Er¬ 
fahrung haben uns mm gelehrt, dass wir aus Rücksicht auf die 
L. A. die Steillagerung durchaus nicht aufzugeben brauchen 
(cf. Technik). Genau wie bei der Inhalationsnarkose führen 
wir hier im Bedürfnisfalle extremste Beckenhochlagerung aus; 
nur verlangt die Methode die Rücksichtnahme, dass 
alle Lageveränderungen langsam vorge¬ 
nommen werden. Das ist übrigens eine Vorsicht, die 
auch jeder Inhalationsnarkose gewaltig zu Oute kommt. 

Bezüglich der übrigen Punkte wird uns keine Methode der 
Inhalationsnarkose auch nur annähernd das leisten können, 
was die Lumbalanästhesie leistet. Direkt ideal ist der Er¬ 
schlaffungszustand der Bauchdecken nach Rachistovainisation 
— schon vor Beginn der Operation dokumentiert sich am Zu¬ 
sammenfallen des Leibes das Qelingen der Anästhesie — und 
auch D-öderlein-Krönig schreiben, dass sie nur bei 
tiefster Inhalationsnarkose ähnliche Erschlaffungen beobachtet 
haben. Jeder weiss, wie dadurch ein Eingriff erleichtert wird. 
Auch der „Kampf mit den Därmen“ hat aufgehört, das Pressen, 
das gerade in entscheidenden Momenten zu recht kritischen 
Situationen geführt hat. Und noch einer Wohltat darf ich ge¬ 
denken, die ich bei etwa 50 Laparotomien, welche ich im 
letzten Vierteljahr selbst auszuführen Gelegenheit hatte, an¬ 
genehm empfunden habe: Die Rücksicht auf die Nar¬ 
kose fällt weg. Der Operateur kann seine Aufmerksam¬ 
keit ungeteilt seinem operativen Beginnen zuwenden, und es 
bedarf nicht mehr des ominösen „Kiefer vor“ und der ver¬ 
stohlenen Seitenblicke zum Narkotiseur hinauf, wenn allerlei 
unliebsame Zwischenfälle den Ablauf der Arbeit stören. Der 
ganze Vorgang gewinnt dadurch an Ruhe und 
Sicherheit. 

2 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1482 


MUENCHFNER MEDIZINISCHE \\ OCHENSCHRIFT. 



Ad III beabsichtige ich nicht, die (jefahren der Inhalati«»ns- 
narkose, den akuten und protrahierten Chloroformtod, die 
Asphyxien, Bronchitis, Pneumonie usw. in den schwärzesten 
Farben zu malen, um daneben die Lumbalanästhesie w ie den 
Vogel Phönix aus der Asche aufsteigen zu lassen. Ich bemühe 
mich im Gegenteil, die Nachteile der Methode möglichst ob¬ 
jektiv zu registrieren. Fs sind eine Reihe von Todesfällen nach 
Lumbalanästhesie bekannt, die sicher dem Verfahren zur Last 
gelegt werden müssen; ich will dabei nicht rechten mit den 
Operateuren, die ihre Unglücksfälle speziell im späteren Ge¬ 
folge von operativen Eingriffen auch anders, und zwar mühe¬ 
loser anders hätten erklären können, als wie als Folge der 
Lumbalanästhesie. Fine vergleichende Mortalitätsstatistik 
wird jetzt noch sicher zu Ungunsten der Lumbalanästhesie 
ausfallen. Doch halte ich es für angezeigt, zu betonen, dass 
wir es hier mit einer jungen Methode zu tun haben, die ihr 
erstes Lustrum noch nicht hinter sich hat, und dass Inter¬ 
essenten beim Nachlesen der Geschichte des ersten Jahr¬ 
zehntes der Inhalationsnarkose auch mancherlei Belehrung 
finden werden. Ebenso ist zu betonen, dass die Methode in den 
letzten 2 Jahren bezüglich der Lebenssicherheit zweifellose 
Fortschritte gemacht hat. Ich selbst habe, wie aus der oben 
angeführten Statistik ersichtlich, mehr Glück gehabt wie 
andere; dass ich bei den mir zu Gebote stehenden Zahlen, 
durch deren Grösse Zufälligkeiten wohl ausgeschlossen sind, 
in der Prognose der Lumbalanästhesie dementsprechend zu¬ 
versichtlicher bin, wird mir niemand übelnehmen wollen. 
Ueber die Verhütung von Unglücksfällen werde ich bei der 
Beschreibung der Technik einiges zu sagen haben, ebenso über 
die Natur der jetzt zu besprechenden N a c h e r s c Fei¬ 
nungen. 

Unter ihnen rangieren an erster Stelle die durch die Me¬ 
thode gesetzten objektiv wahrnehmbaren Veränderungen, zu 
deren Kenntnis ich einige Beobachtungen mitteilen kann. Es 
sind in der Literatur eine Reihe trophischer Sto¬ 
rungen, speziell der unteren Extremitäten, nach Lumbal¬ 
anästhesie bekannt, vor allem Hackendekubitus, einmal sogar 
eine ausgedehnte Gangrän. Sie beweisen eine Schädigung der 
die obersten sakralen oder untersten lumbalen Wurzeln aus¬ 
sendenden Rückenmarksabschnitte oder der Wurzeln selbst. 
Eine bisher nach Lumbalanästhesie noch nicht beschriebene 
Form der trophischen Störung habe ich 3 mal zu sehen Ge¬ 
legenheit gehabt. 

In dem einen Fall trat am 2., in den beiden anderen schon am 
1. Tag nach der Operation eine zirkumskripte, derbe Infiltration des 
Unterhautzellgewebes in der <ilutäalgegend auf. zweimal etwa ent¬ 
sprechend dem unteren Abschnitt der Ursprungslinie des Ghitacus 
maximus, einmal mehr im oberen Winkel der Crena am: die Haut 
über den gut talergrossen Stellen war jeweils intensiv gerötet, heiss, 
crysipelatös — Messungen mit dem Hautthermometer ergaben Unter¬ 
schiede über einen Zentigrad gegen die Umgebung - und absolut 
unempfindlich: die Fpitheldecke war intakt. Die Affektion blieb stets 
auf die eine Seite beschränkt. Druckdekubitus war unbedingt aus- 
zuschliessen, die Patienten waren sämtlich am Operationstag aufge¬ 
standen, das Fettpolster war reichlich. Im 1. Fall nahm das lnfilti.it 
ziemlich an Umfang zu. und da die Frau wegen Sclieidenkarzmoms 
operiert war, so musste au einen Zusammenhang mit der malignen 
Neubildung gedacht und ein Stück des Infiltrates probeex/ubert 
werden. Es handelte sich um derbes, schwieliges Gewebe, das der 
Fascia lumbodorsalis innig aufsass. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab starke Infiltration und Nekrose, keinerlei Zeichen von 
Malignität. Die Wunde heilte ziemlich langsam, der Rest des Inul- 
trates verschwand in etwa 4 Wochen ohne weitere Behandlung, auch 
in den beiden anderen Fällen ging das Infiltrat von selbst zurück. 

Ich stehe nicht an. die Erscheinung als Folge 
einer trophischen und vasomotorischen Storung 
anzusprechen, ausgehend von einer Läsion der 
unteren Sakralseg mente oder der C a u d a e u u i n a. 
Eine andere Art der Trophoneurose beobachtete ich an einer an 
Prolaps operierten 64 Jahre alten Frau: hier trat am Tage nach der 
Operation eine etw r a handtellergrosse, mit klarer Flüssigkeit gefüllte 
Blase im Gebiete des linken Musculus peronacus auf; auch diese heilte 
ohne weitere Massnahmen. Verbrennung war ausgeschlossen. 

Zweimal habe ich. ebenfalls am Operationstage entstanden, bei 
Operierten eine Blase von etwa Walnussgrosse an der lateralen 
Kante des kleinen Fingers gesehen. Ich notiere das. obwohl ich eine 
Erklärung dafür nicht geben kann. Sollte die L. A. auch hierin r die 
1 V;k4ie sein, so müsste eine Läsion im Gebiete der obersten Dorsal- 
I angenommen werden. 

Fazit besteht die Tatsache, dass i m G e f o 1 g e der 
' a n ä s t h c s i e t r o p h i s c he St ö r ii n g e n i n 


v c r s c h i e d e n e n ( i e bieten a u t t r e t e n kn n *i c r«. 
deren Prognose nn allgemeinen gut zu sein sJicint; Jas 
Ca vc d e c u b i t u m ist aber wie bei allen Aficklnmui eies 
Rückenmarks auch bei der Lumbalauastlics*c bcM.iidi.rs zu 
beherzigen. 

Eine andere, wohl zu vermeidende Art der Schädlichkeit 
sind die Beltllasclieiiv erbt ennimgcii, wie uh sie tiuher ver¬ 
schiedentlich nach Ltimbal.maMhcsie gescln.ii habe ; Uns Pflege¬ 
personal muss deshalb zur \nrsiJit gemalmt werden. 

I he bekannten A u g e n rn ii s k e I I a h m ti n g e n r.u b 
Lumbalanästhesie habe ich früher häufiger, unter den letzten 
41 Kf Fallen nur einmal beobachtet, kh werde auf sie spater 
zuriiekziikommen haben. Ueber die bei der Narkose wie 
Lumbalanästhesie gleich häufigen P e r o u e u s I a Ii m ti n g e n 
ist nichts besonderes zu sagen. Ihre Frequenz scheint mit dem 
Gewicht der die 2. Assistenz iiiuehuhendcn Person zu sie.gen 
und zu fallen. 

Solange ein 2'• /tr. schwerer \ «>i<>nt.o.»rzt. /\usJun Je:i Hinun 
eie- r m Üeckcuhoc lii.uei ung bellt: .1 i«. !k n l’.O.e.Uui *it,i:tJ ««Cer l.ia- 
figer auf ihnen h.ingeial. an zweiter M.it'J a^s st elle, f-.itr. n w r a e 
N l äge eine I Ytoiiewsp.it esc. >eit eine knapp 1 /tr wu K e: ua D.im c 
die Melle bekleidet. ist uns Jas M:\sgesch.c k ruht ive hr /w. es? wp; 

Dauernde doppelseitige Lähmungen habe ich nie gesJie'i. 
F!s muss natürlich zugegeben werden, dass das Stovam oder 
auch Adrenalin si khe grosse Nervengebiete ausser F iekt.< *r 
set/eti kann. Viel wahrscheinlicher ist aber d<*ch die l rv.iJk 
nicht im Anästhctikiim, sondern in der Punktion zu suchen. 
Ein Herumstocherri in der Riickeninarkssubsi.m/. wie uh das 
mit anzuseheii Schon Ge legeulu il hatte, kann natur lull, be¬ 
sonders bei getasskranken Individuen, durch Geiass/er rc ;sMin.g 
eine Apoplexia s p i n a 1 i s i m Gebiete der Lenden- 
a ii s c h w e 1 1 ii u g verursachen. Audi bmi it/ (M.,:Ji 
mcd. W odieiischr. lönö. 2M hat l.alimui ge n. die I rauten- 
roth seinerzeit beschrieben hat. durdi du ekle Nervenver¬ 
letzungen erklärt. Die Ansicht, dass Blasen- und Mast- 
il a r m I ä Ii m 11 u g e n nach Lumbalanästhesie Vorkommen, 
hat Roith widerlegt, kh selbst habe derartige Moriinge n 
ebenfalls nie gesellen, konstatiere vielmehr mit Freuden, dass 
wir kaum mehr eine postoperativ e Zvsntis erleben, we.l Je 
Patienten fast durchweg nodi am Operatmnstugc spontan 
Wasser hissen. Katheterisnms nach Laparotomie n ist ente- 
grosse Seltenheit geworden. An seine Melle ist eine andere 
Schädigung des Marnapparates getreten. > c h w arz hat zu¬ 
erst auf konstante Nierenreizung e n Inugew ie s t o. 
die die Rachistov amisation im Gefolge- hat. Mosemann 
hat das bestritten. 

I kl selbstverständlich nur Katheterharn itir diese Unter¬ 
suchungen verwendbar ist. so musste ich mente Nachprüfungen 
auf M) Falle beschranken, von denen ein grosser I eil le diglich 
zum Zwecke des Studiums der Niemiers du mimgen katheteri- 
siert wurde. Meine Befunde su;J mm von denen von 
Schwarz recht wesentlich verschieden: In U» Fallen fand 
ieh f) Stunden nadi Beendigung der Operation Fiweiss mi 
Urin. Zu seinem Nachweis ebente jeweils elie F.ssigsaure- 
Ferrozyankahum-. Salpetersäure. Ring- und kodiprobe. Die 
Menge des ausgescliiedenen Albuinens Sclivvankte etwas, er¬ 
reichte aber me Prom. nadi Esbach. In von diesen 
Fällen war das Fiweiss auch nodi |s Munden nach der (Opera¬ 
tion im Urin zu finden, meist sdiori etwas Schwacher. In 
2 Fällen schwand es erst am 3. lag, 2 mal trat Fiweiss erst 
an dem Tage auf. an dem die Patientin das Bett verhess (I mal 
der 2., I mal der 3. lag); bei 17 Faiien trat kein Albnmen auf. 
Organisierte Bestandteile, die auf eine akute Nephritis lnn- 
v\ lesen, wurden nie gefunden, vor allem bestand me ausge¬ 
sprochene Zylmdrurie. Ich bestreite also, dass 
n a c h S t o v a i ii i s i e r u n g des R u c k e n m a r k e s mit 

reinen Pr ä p a r a t e n N e p h r i t i d e n. wie sie 

S c h vv a r z b e schrei b t. a u r t r e t e n. u n d konsta¬ 
tiere in u n g e f ä h r d e r Halft e m e mer F alle ei n e 

transitorische Albuminurie, die nur mdit bedenklich zu sein 
scheint. Wird bei schon erkrankter N.ere operiert, so ist das 
Frgebnis der Urinuntersuchung frcil.Ji anders; 

Eine stink aimge blute te Patent n n : .rn y pi:.! •. r ,o, rn, ; c \‘. 
h ii inen nach Esbach unj sp.,r v * lt n h\.i -. i;! /•, \\ir.:e 

w egen M voms nacli Doyen »*p t r t. s >p.it : ..e". p p. w ,ir : f - 
w eissgchalt auf I pro n.i 'e. 2-1 MwmY r. J.m.uh au 2 * V - u c ce- 
st iegell. blieb J.um 2 I.i<e ’.t» g .n; K it J i«',, t 51 ; ?. t , 4 .„ | 


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i-1. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1483 


38 i 1 Proni. Die Zylinderausscheidunit war während dieser ganzen 
Zeit vermehrt, schwand mit dem 7. Tag, und erst am 10. Tag war 
Jlt Eiw eissgehalt aui 1 Prom. zurückgegangen. Die Erage, ob 
-as Stovain für kranke Nieren vielleicht doch eine schwere Schädi- 
zj.ng bedeutet, bedarf also weiterer Prüfung. 

lieber anatomische Veränderungen an der Niere nach Lum¬ 
balanästhesie ist bis jetzt so gut wie nichts bekannt; ebenso 
:chlen noch Untersuchungen über den Ausscheidungsmodus 
und die Ausscheidungsgeschwindigkeit der injizierten An- 
jsthetika. Aufgefallen ist mir, dass ich bei Frauen, denen nach 
der Laparotomie grössere Mengen Kochsalzlösung infundiert 
wurden — ausser wegen des Blutverlustes geschieht dies bei 
ns vielfach aus Rücksicht auf die Skopolaminausscheidung — 
kein Eiweiss im Urin finden konnte. Ob hier mit dem Kon¬ 
zentrationsgrad des Giftes die Schädigung des Nierenpar¬ 
enchyms herabgesetzt wird, ist eine Frage, die der Nach¬ 
prüfung wert ist. Zugegeben muss werden, dass die Lumbal¬ 
anästhesie für die Nieren eine Schädlichkeit darstellt, die wir 
nach Inhalationsnarkose mit Aether oder Chloroform nicht in 
der Häufigkeit antreffen. Während aber die Inhalations¬ 
narkotika unter Umständen schwere parenchymatöse Degene¬ 
rationen der Niere verursachen können, scheint die Folge der 
Rachistovainisation bei gesunden Nieren nur eine rein tran¬ 
sitorische Albuminurie zu sein. 

Jetzt zu der am meisten gefürchteten Folgeerscheinung der 
Lumbalanästhesie, den wochenlang anhaltenden Kopf- und 
Vackenschmerzen der Operierten: Wir machten 
darin, wie ich das früher beschrieben habe (Münch, med. W. 
1908, No. 3), speziell in Tübingen in der Anfangszeit sehr be¬ 
trübende Erfahrungen. Auf ein fast regelmässig dabei zu be¬ 
obachtendes Zeichen will ich hier aufmerksam machen, näm¬ 
lich auf eine auffallende Differenz der Pupillen. Nur eine 
Beteiligung der obersten Abschnitte des Rückenmarkes oder 
der Medulla oblongata kann das erklären. Die Tatsache, dass 
unsere Operierten seit X A Jahr so gut wie völlig von den 
furchtbaren Schmerzen verschont bleiben, beweist mir, dass 
wir mit unseren Anschauungen über Injektionen in den Lumbal¬ 
sack auf dem richtigen Wege sind. Cf. darüber die Technik. 

Ueber die postoperativen Lungenerschei- 
iiungen schreibt Roith, dass am Chirurgenkongress 1905 
die namhaftesten deutschen Chirurgen aus einem grossen Ma¬ 
terial in Inhalationsnarkose Operierter eine Pneumonie- 
inorbidität nach Laparotomien von 4—5 Proz. mit einer ganz 
respektablen Mortalität berechneten, und es wird als ein 
Hauptvorzug der Lumbalanästhesie von K r ö n i g und anderen 
hervorgehoben, dass sie annähernd vor Lungenkomplikationen 
schütze. Pneumonien haben wir in der Tat auch nicht mehr 
beobachtet, dagegen hatten wir im sehr kalten Monat Februar 
eine richtige Bronchitisepidemie auf der operativen Station. 
Mikulicz hat ähnliches bei Lokalanästhesien beobachtet. 
Das beweist, dass das Inhalationsnarkotikum zwar zu Lungen¬ 
erkrankungen eine gewisse Prädisposition schaffen mag, die 
einzige Ursache dazu aber nicht abgibt. (Ich betone dabei, 
dass w ir selbstverständlich auf geheizten Tischen operieren.) 
Immerhin fürchten wir uns seit Anwendung der Lumbal¬ 
anästhesie so wenig mehr vor der Bronchitis, dass wir selbst 
an Bronchitis erkrankte Frauen bei einigermassen dringlicher 
Indikation stets operieren; wir schaden ihnen damit nicht. 

Punkt IV, die Verhütung unangenehmer oder gar be¬ 
denklicher Indikationen zu Beginn und im Gefolge der An¬ 
ästhesie, gehört mit dem vorigen innig zusammen. Ich scheide 
ihn nur deswegen von ihm, weil ich hier keine objektiv mess¬ 
baren, sondern durch das subjektive Empfinden zu bewertende 
0rossen besprechen will. Eine wichtige Frage steht dabei 
im Vordergründe, nämlich die der Ausschaltung der Perzeption 
und Apperzeption der Vorgänge im Operationssaal. Bezüglich 
der Inhalationsnarkose scheinen da ja grosse Schwierigkeiten 
nicht zu bestehen, während für das Ansinnen, irgendwelche 
Eingriffe in lumbaler oder lokaler Anästhesie ohne Ver¬ 
schleierung des Bewusstseins zu vollziehen, die Bezeichnung 
der „Gefühlsrohheit“ kaum zu drastisch ist. Klaussner 
schreibt in seinem prächtigen Büchlein über das psychische 
Verhalten der Patienten vor und während der Operation, dass 
die Anzahl derer, die Operationen unter Infiltrationsanästhesie 
ii herstanden und mit Entzücken von dieser Methode sprechen, 
(loch eine recht geringe sein dürfte. Er zitiert Aeusserungen 


von auf diese Weise Operierten „Willensstärken Leuten“, da¬ 
hingehend, dass „schon die äussersten Zumutungen an ihre 
Energie gestellt worden seien, und dass sie eine Operation in 
der Art um keinen Preis mehr durchmachen möchten“. Die 
Kombination der Lumbalanästhesie mit irgend einem Be¬ 
ruhigungsmittel erscheint also von vornherein selbstverständ¬ 
lich. Die modernen Bestrebungen setzen in dieser Hinsicht 
meist schon am Vortage ein, indem den Patienten durch 
Veronal o. ä. wenigstens eine ruhige Nacht verschafft wird. 
Für die unbestreitbaren Vorzüge der Darreichung von Skopo¬ 
lamin-Morphium, sowohl vor Inhalations- wie örtlichen Anä¬ 
sthesien hier ehrzutreten, dürfte sich erübrigen. Ich verweise 
darüber auf das Referat von Roith. Ich selbst habe die 
Skopolamin-Morphium-Unterstützung der Narkose etc. seit 
dem Jahre 1904 bei tausenden von Fällen gesehen, und zwar 
bei der Dosierung, an der wir auch hier im allgemeinen fest- 
halten, ohne Schaden (2 mal 1 cg Morphin und 2 mal 3 dmg 
Skopolamin.) Es muss natürlich je nach der Individualität des 
Kranken etwas ab- und zugegeben, und bei sehr aufgeregten, 
sehr korpulenten oder an Nervina schon stark gewöhnten 
Kranken dreist mehr verabfolgt werden. Das Klagen der Pa¬ 
tienten, „dass sie noch nicht schlafen, alles hören“ usw. kann 
sonst trotz eindringlichsten Zuredens den Effekt der besten 
Anästhesie vereiteln. Die Möglichkeit, völlige Amnesie auch 
für Operationen in Lumbalanästhesie zu erzielen, besteht auf 
diese Weise zweifellos, fraglich ist nur, ob es nötig ist, den 
Dämmerschlaf so weit zu treiben. In den allermeisten Fällen 
genügen unsere kleinen Dosen völlig, um den Patienten in ein 
einigermassen gleichgültiges, schläferiges Stadium zu ver¬ 
setzen, und bleibt der Schmerz wirklich aus, so erleben wir in 
fast V* aller Fälle alsbald tiefen Schlaf, dessen Schnarchlaute 
eine direkte Quelle der Befriedigung für den die Anästhesie 
Ausführenden darstellen. W i tze 1 sagt in der Vorrede zu der 
kleinen Monographie über die Schmerzverhütung in der 
Chirurgie: „Immer wird es der Wunsch des vor Schmerz 
bangenden Menschen bleiben, für die Zeit des unabwendbaren 
Ereignisses in tiefen Schlaf versenkt zu werden und aus dem 
künstlichen Schlafe erst dann zu erwachen, wenn alles vor¬ 
über ist“. Wir werden diesem Wunsche mit der geschilderten 
Art der kombinierten Lumbalanästhesie, wie sie von Roith - 
Heidelberg ziemlich gleichzeitig mit K r ö n i g - Freiburg als 
ersten angewandt wurde, durchaus gerecht, der Schlaf ist so¬ 
gar dem physiologischen ungleich ähnlicher als der Aether- 
schlaf und hat den Vorteil, dass er durch Anrufen jederzeit 
unterbrochen werden kann. 

Unterlässt man dagegen bei Inhalationsnarkosen die vor¬ 
herige Verabfolgung von Sedativa, so scheint mir die kom¬ 
binierte Lumbalanästhesie bezüglich unserer obigen Forderung 
der Allgemeinnarkose weit überlegen. Das furchtbare Würg¬ 
gefühl im Initialstadium der Narkose, die Sticknot und die 
verzweifelten Anstrengungen, der Bändigung von Willen und 
Bewusstsein zu entrinnen, bleiben vielen Patienten noch jahre¬ 
lang in schauderhaftester Erinnerung, und nicht weniger unan¬ 
genehme Sensationen empfindet der Narkotiseur selbst, der 
trotz aller Versuche des „Einschleichens“ etc. doch gehörige 
Exzitationsstadien seiner Patienten zu erleben hat. 

Ad V. Eine gewaltige Ueberlegenheit der Lumbal¬ 
anästhesie vor der Inhalationsnarkose zeigt sich zweifellos be¬ 
züglich der Erscheinungen im Gefolge der Ope¬ 
ration. Niemand wird leugnen wollen, dass selbst die vor- 
züglichst geleitete Narkose das Resultat speziell schw erer und 
lange dauernder Eingriffe unbedingt verschlechtert. Bei 
kachektischen Individuen, die sich einer Krebsoperation unter¬ 
ziehen müssen, stellt die Narkose direkt einen zweiten Ein¬ 
griff dar, und ich bin manchmal das Gefühl nicht los geworden, 
— R 0 j t h spricht sich ganz in gleichem Sinne aus —, dass 
Patientinnen nicht so sehr der Grösse der Operation, als der 
Dauer der Narkose erlegen sind. Bei dem ungleich leichteren 
Verlauf des Operationstages und der kritischen Tage post 
operationem für die in Lumbalanästhesie operierten Karzinom- 
kranken bin ich der Ueberzeugung, dass sich die primären 
Mortalitätsresultate der Freund-Wertheim sehen Ope¬ 
ration bei gleicher Technik künftig bessern werden. .Aber aueh 
bei weniger eingreifenden Köliotomien fällt der Vergleich un¬ 
bedingt zu Gunsten der Lumbalanästhesie aus. Durch sie 

2 * 


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1484 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


erst lassen sich die Massnahmen, die uns in 
der Leitung des postoperativen Verlaufs 
heute notwendig erscheinen, wirklich durch¬ 
führen. Wenn auch bei den neuen kombinierten Inhalations¬ 
narkosen das quälende Erbrechen seltener ist, als früher, so 
verweigert doch der Magen 24 Stunden lang alles, und ebenso¬ 
wenig wird man den schwer narkosekranken Frauen vor Ab¬ 
lauf von mindestens 2 mal 24 Stunden das Aufstehen zumuten 
können. Der grosse Vorteil in' der Prophylaxe der post¬ 
operativen Thrombose und vor allem in der Verhütung der 
Lungenkcmplikationen geht damit verloren. Und nicht zuletzt 
scheint mir das psychische Moment betonenswert: Das blosse 
Wort „Aufstehen“ wirkt Wunder im postoperativen Befinden 
und regt die Lebensgeister und den Willen zum Qesundwerden 
mächtig an; den Narkotisierten aber in ihrem Elend fehlt 
Wollen sowohl wie Können. 

Jetzt Einiges über die Technik. D ö n i t z schreibt, dass 
man denen, die viel über Misserfolge zu klagen haben, nicht 
dringend genug empfehlen kann, sich genau an die Technik 
derer zu halten, die gute Resultate aufzuweisen haben. Das 
mag recht selbstverständlich klingen. Und doch bin ich der 
Ueberzeugung, dass die höchst diffizile Technik auch heute 
noch allenthalben unterschätzt und nicht erst richtig gelernt 
wird. Wenn R o i t h sein Referat „Ueber die Narkose im all¬ 
gemeinen etc.“ mit den Worten einleitet: Der englische 
Chirurg hat geschulte Narkotiseure von Beruf und ist zu¬ 
frieden, der Deutsche hat das nicht und ist meist unzufrieden“, 
so gilt das vice versa genau auch für die Lumbalanästhesie. 
Ich wundere mich deshalb nicht, wenn aus der Heidelberger 
chirurgischen Klinik eine Statistik über Lumbalanästhesie ver¬ 
öffentlicht wird, die nicht viel besser ist, wie seinerzeit die 
von Bosse (cf. Dönitz), und wenn in dieser Konsequenz 
für eine Einschränkung der lumbalen Anästhesien plädiert wird. 
R o i t h schreibt nämlich, „um den Wert seiner Statistik zu er¬ 
höhen“, „dass die verschiedenen Anästhesien von vielen und 
nicht nur von einigen ausgeführt wurden, dass also die Re¬ 
sultate nicht etwa.als individuelle aufzufassen sind“. 

Dementgegen herrscht bei uns das Prinzip: die Aus¬ 
führung der Lumbalanästhesie liege mög¬ 
lichst lange in der gleichen Hand. Nur so kann 
eine einwandfreie Innehaltung der einmal erprobten Technik 
erzielt werden.s Mit dieser Anschauung ist es uns zweimal 
gelungen, Serien von fast 100 Anästhesien — darunter 2 /a 
Laparotomien — ohne Versager auszuführen. Abweichungen 
von dieser Regel, die freilich im klinischen Betrieb nicht zu um¬ 
gehen sind, rächen sich stets, wie auch unsere Statistik zeigt. 

Wie ich die Technik handhabe, habe ich 1. c. schon be¬ 
schrieben. Ich lehne mich dabei an D ö n i t z und K r ö n i g an. 
Die Zwischenschaltung eines feinen Gummi- 
schlauchs zwischen Nadel und Spritze empfehle ich auch 
heute aufs Wärmste, da nur so ein absolutes Ruhigliegen der 
Nadel gesichert wird. Und noch einen 2. Vorteil hat der 
Qummischlauch: Er zeigt uns an, ob die Nadelspitze während 
der Injektion auch wirklich tadellos in die Zysterne eintaucht 
und nicht etwa in Spalten zwischen. Kaudafasern usw. liegt. 
Ehe das Injektionsgemisch eingespritzt wird, ziehe ich den 
Spritzenstempel rasch noch einmal um etwa 1 cm zurück. 
Liegt die Nadelspitze richtig, so ändert sich an dem Kautschuck 
nichts. Bei verlegtem Wege oder nur geringer Liquormasse 

— langsames Abtropfen des Liquors aus den Spalträumen! 

— kollabiert er dagegen sofort, und ich weiss, dass ich in der 
Lage der Nadel eine Korrektur anzubringen habe, wenn ich 
auf ein Gelingen der Anästhesie rechnen hill. Durch diese 
Kontrolle werden partielle Versager ausserordentlich selten, 
und doch besteht gegenüber dem K r ö n i g sehen Besteck eine 
wesentliche Vereinfachung. 

Auch an das, was ich einspritze, stelle ich heute etwas 
präzisere Anforderungen. Die Anschauung, dass wir 
durch spezifische Gewichtsunterschiede 
zwischen Liquor und Injektionsgemisch die 
Höhe der Anästhesie beeinflussen können, 
teileichnichtmehr. Die Krönig-Gauss sehen Ver¬ 
suche und die daraus abgeleiteten Prinzipien bestehen wohl im 
Reagenzglas zu Recht, nicht aber im Tierkörper. Das Prinzip 
basiert auf einer falschen Voraussetzung. Nicht mit einer 

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ruhenden, sondern mit einer durch lebhafte Pulsationen und 
fortwährende Atemexkursionen in ständiger Bewegung befind¬ 
lichen Flüssigkeitssäule haben wir es zu tun. 

Aus folgendem Versuch wird das leicht ersichtlich: Punktiert 
man einem in tiefer Aethernarkose befindlichen, vertikal am Kopf 
suspendierten, völlig ruhig hängenden Kaninchen den Duralsack 
dicht oberhalb des Kreuzbeins und injiziert unter geringstem Druck 
0,02—0,03 g durch Kochsalzzusatz spezifisch schwer gemachten und 
mit Methylgrün gefärbten Stovains, eine Dosis, die, wie Vorversuche 
ergaben, für das Tier nicht unbedingt tödlich ist. so geht Atmung und 
Herztätigkeit ungefähr 2 Minuten lang ungestört weiter. Dann wird 
plötzlich die Atmung auffallend langsam, vertieft, und setzt nach 
einigen sehr tiefen Inspirationen schliesslich völlig aus; alsbald steht 
auch das Herz stilL Lässt man das Kaninchen ruhig in seiner Su¬ 
spension und eröffnet den Duralsack an den obersten Zervikalseg¬ 
menten, so sieht man den Liquor hier intensiv gefärbt die Rücken¬ 
markssubstanz umspülen. Es ist also kein Zweifel, dass das Stovain. 
trotzdem es spezifisch schwerer war, sich durch die Bewegungen der 
Flüssigkeitssäule mit dem Liquor gemischt hat ins Halsmark aufge¬ 
stiegen ist und den Tod des Tieres herbeigeführt hat. Umgekehrt 
geht ein in gleicher Weise behandeltes Kaninchen, dem die gleiche 
Menge eines spezifisch sehr leichten, aber stark suprareninhaltigen 
Stovains eingespritzt wird, nicht in dieser Weise zu Grunde. Die 
ersten 7 Minuten nach der Injektion schläft das Tier wie vorher, dann 
machen sich leichte allgemeine Vergiftungserscheinungen, lebhaftes 
Kauen usw. bemerkbar, jedoch keinerlei Beeinträchtigung der At¬ 
mung. Tötet man das Tier nach 15 Minuten durch einige Tropfen 
Chloroform, so findet man die grüne Flüssigkeit zwar auch oberhalb 
der Injektionsstelle, aber lange nicht bis zum Halsmark aufge¬ 
stiegen: Abgesehen von der „entgiftenden“ Wirkung des Adrenalins 
durch Verlangsamung der Resorption scheint durch den Zusatz dieses 
Extraktes auch eine Art Lokalisation zu Stande zu kommen. Wie 
sich das erklärt, weiss ich nicht. Möglich wäre ja immerhin* dass 
die Wirkung des Suprarenins auf die Gefässwandmuskulatur den 
Arachnoidealsack partiell verengt und so das Aufsteigen des Giftes 
etwas erschwert. 

Ich komme durch diesen Versuch wieder auf die alte 
Bier-Dönitzsehe Forderung zurück, dem Anästhetikum 
Suprarenin zuzusetzen, abgesehen ganz von der Annehmlich¬ 
keit der Verlängerung der Anästhesiedauer und der Möglich¬ 
keit, mit der Stovaindosis durch diesen Zusatz herunterzugehen. 
Mit 0,04—0,06 Stovain komme ich meist aus, 0,08 wurde nie 
überschritten. Die Dosis Suprarenin, die ich jeweils beifüge, 
ist 2—3 dmg des Suprareninum hydrochloricum (nicht syntheti- 
cum) Höchst. Seit der Verabreichung dieser grossen Mengen 
fürchte ich ein unliebsames Hochsteigen des Stovains nicht 
mehr und führe unbedenklich und ohne Schaden zu sehen auch 
Beckenhochlagerung aus. Weder Augenmuskellähmungen 
noch stärkere Atembeschwerden oder ähnl. habe ich seitdem 
beobachtet. Doch wiederhole ich, was ich 1. c. schon zu be¬ 
denken gab, dass ich alle durch brüske Lageveränderungen 
bewirkten Niveauschwankungen fürchte, weil dadurch das 
Gift direkt zu den lebenswichtigen Zentren hingeschwemmt 
werden kann. Alle Bewegungen mit dem Operationstisch 
müssen deswegen so langsam wie möglich ausgeführt werden. 

Liebl hat auf die schlechte Haltbarkeit der Gemische 
mit Adrenalinzusatz hingewiesen; den klinischen Beweis für 
die Bedenklichkeit der zersetzten Lösungen glaube ich in 
meiner ersten Publikation ebenfalls erbracht zu haben. Ich 
habe deshalb gebrauchsfertige Ampullen herstellen lassen, die 
die beiden Injektionsflüssigkeiten getrennt enthalten*). Der 
wasserklare Inhalt der Phiolen wird erst in der Injektions¬ 
spritze gemischt und dann injiziert. Die letzten 150 An¬ 
ästhesien habe ich mit diesem Präparat ausgeführt und aus¬ 
gezeichnete Erfolge damit erzielt. Da ich glaube, dass Novo¬ 
kain oder Tropakokain ähnliche Dienste leisten, wie das Sto¬ 
vain — grosse eigene Erfahrung besitze ich darüber freilich 
nicht—, so habe ich diese Anästhetika in der gleichen Kom¬ 
bination anfertigen lassen. Seit der Verwendung unserer reinen 
Präparate sind auch die Nacherscheinungen nach Lumbal¬ 
anästhesie verschwunden. Immer wieder zu betonen, dass nur 
tadellos reine, mit physiologischer Kochsalzlösung durch¬ 
gespülte Nadeln etc. verwendet werden dürfen, erscheint dann 
nicht überflüssig, wenn man gelegentlich sieht, welch ein Satz 
sich schon nach kurzer Zeit in der Nadel bildet; dem Lumbal¬ 
sack wird dadurch Unglaubliches zur Verarbeitung zugemutet. 

Dass nicht etwa individuelle Veranlagung an den postoperativen 
Kopfschmerzen. Erbrechen usw. die Schuld trage, lässt sich leicht 
an solchen Fällen zeigen, die sich wiederholt der Lumbalinjektion unter- 

•) Zu beziehen von der Firma G. Pohl. Schönbaum bei Danzig: 
auch B i 11 o n, Paris hat mir solche Phiolen angefertigt. 

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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1485 


ziehen mussten. Während die Patienten, mit verfärbten, nicht ein¬ 
wandfreien Lösungen anästhesiert, über rasende Beschwerden 
i'Iagten. sind sie bei wiederholter Iniektion mit dem neuen Präparat 
völlig davon verschont geblieben. 

Bei der Verwendung des Adrenalin in der Lokalanästhesie 
sind mehrfach grössere und kleinere Nekrosen beobachtet 
worden, die man der Wirkung des Nebennierenextraktes zu¬ 
schreibt. Ob auch die trophischen Störungen, die ich häufiger 
beobachtete, seit ich grosse Dosen Suprarenin verwende, so 
zu erklären sind, kann ich natürlich nicht entscheiden. 

Kurz zusammengefasst empfehle ich folgende Aenderungen 
an der gebräuchlichen Technik: 

Die Punktionsspritze ist mit einem Qummi- 
schlauch zu armieren, damit jede Verschiebung der 
Nadel während der Injektion vermieden werde. 

Dem Präparat ist Suprarenin erst im Mo¬ 
ment der Benützung zuzusetzen. Am besten be¬ 
dient man sich dazu der beschriebenen gebrauchsfertigen Am¬ 
pullen. 

Nach beendeter Injektion ist jeder Lage¬ 
wechsel der Patientin langsam vorzunehmen: 
Brüske Herstellung der Beckenhoch- oder Tieflagerung ist zu 
unterlassen. 

Es geht aus dem Gesagten klar hervor, dass die Lumbal¬ 
anästhesie in ihrer heutigen Gestalt noch unzulänglich und weit 
davon entfernt ist, als die souveräne Form der Schmerz¬ 
befreiung empfohlen zu werden. Unsere Erfahrungen zeigen 
aber, dass wir in ihr eine bei aufmerksamer Handhabung 
ausserst dankbare Methode besitzen, die der Inhalations¬ 
narkose in vielen Punkten so wesentlich überlegen ist, dass wir 
die Unannehmlichkeiten, die ihr jetzt noch anhaften, gerne da¬ 
für in Kauf nehmen. Der grosse Vorzug, dass strikte Kontra¬ 
indikationen gegen ihre Anwendung momentan nicht auf¬ 
zustellen sind, sichert ihr heute schon einen bedeutenden 
Vorsprung vor der Allgemeinnarkose, und es ist nicht 
zweifelhaft, dass sich bei der fleissigen Arbeit, die von 
allen Seiten auf die Ausgestaltung der Methode verwendet 
wird, auch die Resultate weiter bessern werden. Von uns 
kann ich versichern, dass wir speziell in der gynäko¬ 
logischen Bauchchirurgie, wenn uns nicht nachträgliche Er¬ 
fahrungen eines Besseren belehren, auf die Verwendung der 
Lumbalanästhesie nicht mehr verzichten werden. 

Literatur. 

Birnbaum: Münch, med. Wochenschr. 1908, No. 9. — 
Döderlein-Krönig: Operative Qynäkologie. 2. Aufl. — 

D ö n i t z: Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 28. — Ellerbrock: 
Therapeut. Monatshefte 1908, H. 5. — Holzbach: Münch, med. 
Wochenschr. 1908. No. 3. — Hosemann: Zentralbl. f. Chirurgie. 
19« iS. No. 3. — Klaussner: Ueber das psychische Verhalten des 
Arztes und Patienten etc. Bergmann. 1905. — K r ö n i g und Q a u s s: 
Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 40—41. — Lindenstein: Bei¬ 
träge zur klin. Chirurgie. Bd. 56, H. 3. — Roith: Beiträge zur klin. 
Chirurgie. Bd. 57, H. 2. — Roith: Münch, med. Wochenschr. 1907. 
Nn. 17 . — Roith: Monatsschr. f. Geburtsh. und Gyn., 1907. — 
Schwarz: Zentralbl. f. Chirurgie 1907, No. 13 und 23. — W i t z e 1 - 
Wenzel-Hackenbruch: Die Schmerzverhütung in der Chi¬ 
rurgie. Lehmann 1906. 

lieber periodische Azetonämie bei grösseren Kindern.«* 

Von Privatdozent Dr. Hecker. 

Die Ausscheidung von Azetonkörpern durch den Urin als 
Zeichen bestehender Azetonämie im Kindesalter wird heute 
nicht mehr als etwas Aussergewöhnliches betrachtet. Man 
findet sie ausser bei Diabetes häufig bei den akuten Magen- 
darmerkrankungen der Kinder, besonders dem Enterokatarrh 
der Säuglinge und bei den meisten mit Fieber einhergehenden 
akuten Infekten. Fr. v. Müller machte schon (im Handbuch 
der Ernährungstherapie) auf die dem Kinde offenbar eigen¬ 
tümliche Neigung zur Azidosis aufmerksam, indem er betonte, 
dass die febrile Azetonurie bei Kindern offenbar viel stärker 
liervortrete als bei Erwachsenen, so dass man schon bei kurz¬ 
dauernden fieberhaften Affektionen den charakteristischen Aze¬ 
tongeruch der Ausatmungsluft erkennen könne. 

*) jsjach einem in der Münch. Gcsellsch. i. Kinderheilkunde ge¬ 
haltenen Vortrag. 


I 


Diese Neigung der Kinder zur Azidosis wurde von Lang¬ 
stein und Ludwig F. Meyer und später von A. H ti s s y 
experimentell bestätigt, indem unter gewissen Bedingungen 
(Kohlehydratkarenz) künstlich Azetonkörperausscheidung er¬ 
zeugt und dabei gefunden werden konnte, dass sowohl die 
relative Menge des Azetons beim Kin^I eine grössere ist als 
beim Erwachsenen, wie auch der Zeitpunkt des Auftretens von 
Azeton im Urin ein früherer. 

Unter den verschiedenen Erkrankungen der Kinder, die mit 
Azetonausscheidung einhergehen, hebt sich ein Krankheitsbild 
besonders ab durch seinen fast typischen Verlauf: das re¬ 
kurrierende (periodische, zyklische) Erbrechen mit 
Azetonämie. Die Kinder, meist Knaben jenseits der Säug¬ 
lingsperiode, erkranken in periodischen Zwischenräumen je¬ 
weils ganz plötzjich mit heftigem, unstillbaren, jeder diäteti¬ 
schen und medikamentösen Behandlung trotzenden Erbrechen, 
das anfangs alimentär, später schleimig, gallig, selbst blutig 
wird. In kürzester Zeit tritt starker Kräfteverfall auf, die Kin¬ 
der machen einen elenden, schwer kranken, oft recht be¬ 
ängstigenden Eindruck mit ihren eingefallenen umränderten 
Augen, der spitzen Nase, der auffallenden Blässe des Gesichtes, 
der allgemeinen Schwäche. Sie können nichts, auch nicht das 
kleinste Schlückchen Wasser bei sich behalten und leiden in¬ 
folgedessen an quälendem Durst. Der Stuhl ist angehalten oder 
diarrhoisch; das Abdomen eingesunken oder tympanitisch. 
Nachdem dieser Zustand einen halben bis drei Tage gedauert 
hat, hört das Erbrechen meist ebenso plötzlich, wie es ge¬ 
kommen ist, ohne erkennbare Ursache auf und nach einer kur¬ 
zen, oft kaum bemerkbaren Rekonvaleszenz erfreuen sich die 
Kinder wieder besten Wohlseins. Charakteristisch ist nun, dass 
während der ganzen Dauer der Attacke und oft schon vor Be¬ 
ginn derselben die Exspirationsluft den charakteristischen 
säuerlich-obstartigen Geruch nach Azeton hat, während im Urin 
reichlich Azeton, Azetessigsäure und Oxybuttersäure nachzu¬ 
weisen sind; Körper, welche entweder zugleich mit dem Er¬ 
brechen wieder schwinden oder noch kurze Zeit nachher nach¬ 
weisbar bleiben können. 

Die Affektion ist in Deutschland im ganzen wenig beob¬ 
achtet. Die Schilderungen des Krankheitsbildes stammen zu¬ 
meist aus Amerika und Frankreich, wo S n o w, Whitney, 
Comby, Marfan, Morichaut-Beauchant u. a. sich 
eingehender damit beschäftigt haben. Durch H e u b n e r (sein 
Lehrbuch) und Fischl (in Pfaundler-Schloss mann) 
ist sie zuerst in deutsche Lehrbücher aufgenommen worden. 

Misch veröffentlichte 4 Fälle aus der H e u b n e r scheu 
Klinik, von denen aber keiner das klassische Bild des periodi¬ 
schen Erbrechens bietet. Bei allen handelt es sich um akute, 
rekurrierende hochfebrile Anginen, in deren Verlauf Aze¬ 
tonurie beobachtet wird. Das Erbrechen ist nicht konstant, 
sondern tritt nur bei einigen der Anfälle auf, während allerdings 
gewisse Magenerscheinungen, wie starker Zungenbelag und 
Anorexie sich durchgehends zeigten. Bemerkenswert ist der 
4. Fall, bei dem die als „Magenkatarrh“ angesehenen Anfälle 
von Uebelkeit, Fieber (und Angina?) laut Anamnese bis in das 
früheste Lebensalter zurückgehen. Man wird die Fälle als 
rudimentäre auffassen müssen. 

Im Folgenden gebe ich kurz die Krankheitsgeschichten 
einiger von mir beobachteter Fälle. 

Die Untersuchung auf Azeton geschah teils mit der Legal- 
schen, teils mit der von Lange modifizierten Le Nobel sehen 
Probe, bei welcher zur Vermeidung der störenden Kreatininreaktion 
statt Natronlauge Ammoniak verwendet wird. Der zu untersuchende 
Harn wird im Reagenzglas mit einem Schuss Eisessig versetzt; nach 
Zusatz einiger Tropfen einer frisch bereiteten Natriumnitroprussid- 
lösung lässt man einige Kubikzentimeter Ammoniak vorsichtig zu- 
fliessen. Dieser bleibt wegen seines geringeren spezifischen Ge¬ 
wichts ohne weiteres über dem Urinsäuregemisch stehen. Bei An¬ 
wesenheit von Azeton in dem untersuchten Urin erscheint an der 
Berührungsstelle der beiden Flüssigkeiten ein intensiv vio¬ 
letter Ring, der bei geringen Azetonmengen erst allmählich 
sichtbar wird. 

Azetessigsäure wurde durch die Gerhardt sehe Eisen¬ 
chloridreaktion nachgewiesen. Auf Oxybuttersäure wurde 
nicht geprüft. 

1 . Fall. Fritz H., 6 Jahre, erkrankt plötzlich mit mehrfachem 
Erbrechen jeglicher Speise und zeitweiligen Leibschmerzen. Nach 


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1486 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHKIBT. 


wenigen Stunden schon starker Kräfte verfall: der Knabe beut 
schwerkrank im Bett mit halonierten Augen, eingesunkenem 
Abdomen, spitzer Nase. Stuhl obstipiert. Die ungeordnete Diät: eis¬ 
kalter Pfeffermünzthec kaffecloftelweise, Kalomel, TinKtura Veratn. 
bleibt ohne jeden Einfluss auf das Erbrechen, ebenso eine rektale 
Infusion von U,85 proz. Kochsalzlosung. Temperatur zw iselien 37.5 
und 37,2, Puls um I1U. Das Erbrechen dauert 2 1 •; Tage; dann hört 
es mit einemmale auf und kehrt nicht wieder. 

Mit Beginn und während der ganzen Dauer dieses Anfalles 
roch die Ausatemluft des Knaben so stark nach A z e t o n. dass 
der Vater, ein Chemiker, der von einer Azetonbildung im Korner 
nichts wusste, den (ieruch sofort identifizierte. Im Irin fand sich 
reichlich Azeton, ebenso Azetessigsäuie. kein Eiwims«. kein 
Zucker. Der Befund blieb der gleiche bis zum Nachmittage des 

3. Tages, wo, nachdem das Erbrechen aut'gehbrt hatte, eine deut¬ 
liche Abnahme des Urinazetons konstatiert werden konnte. Am 

4. Tage zeigte sich Azeton nur mehr in Spuren und war am 5. lag 
vollkommen aus dem Urin verschwunden. 

Der weitere Verlauf gestaltete sich so, dass einige 'läge nach 
Aufhören des Erbrechens noch starke Schwäche bestand, nach 
-1 Tagen aber alles wieder in Ordnung war. 

Der Eall stellt sich als ein typischer Eall von rekur¬ 
rierendem Erbrechen mit A z t t o n ä m i e dar. w enn mau 
die frühere (jeschichte des Knaben erfährt: das Kind hatte drei 
Tage Brust, dann aber sogleich Soxleth mit W c i b c / a h n s Hafer¬ 
mehl erhalten. M i t 4 Wochen trat nach einer Dosis Magnesia 
usta zum e r s t e n m a I e Erbrechen auf. In den nächsten 
Wochen darauf zeitweises Erbrechen; dabei niemals Diarrhoe sondern 
immer Verstopfung. 

Zwischen der 7. und 8. Woche nach Zusatz von etwas Milch¬ 
zucker zur Nahrung starkes Erbrechen mit e r li e b I i c h e m 
Verfall des Körpers. Es bestand Verdacht auf Meningitis. Der 
Zustand, der 2—3 Wochen gedauert haben soll, führte zu einem 
Gewichtsverlust von P4 Kilo. 

Mit IV» Jahren „Krampfanfall* nach Konservenspargel, nähete 
Daten nicht erinnerlich. 

Vom 3. oder 4. Jahre ab häufig, etwa 2 3 mal im Jahr, „f i e b er¬ 
halte Magenstörungen mit Erbreche n“. w de he nach 
Bericht der Eltern auf Kalomel stets prompt zurückgmgen. Bei 
einem dieser Anfälle ein halbes Jahr vor dem oben beschlichenen 
wurde vom Vater deutlicher (ieruch nach Azeton aus dem 
Mund bemerkt. 

Seit der Geburt besteht Neigung zur Obstipation, so dass der 
Stuhl in der Regel nur künstlich erzielt werden konnte. 

Diese Angaben sind in doppelter Hinsicht interessant. Sie 
zeigen einmal das Vorhandensein einer konstitutionellen Ver¬ 
dauungsschwäche, die sich in periodisch wiederkehrenden, zum 
Teil sehr schweren Brechkriscn üussern. Weiter lehren sie 
aber auch den kontinuierlichen Z u s a tu in e n h a n g 
des a z e t o n i^m i s c h e n Erbrechens in diesem Balle 
mit gastrischen Krisen d e r e r s t e n Säuglings- 
periode. Diese Kontinuität wurde von Heubner be¬ 
stritten. 

Zur weiteren Illustration des Balles mögen noch fol¬ 
gende anamncstischc Angaben dienen: Der Vater bezeichnet 
sich selbst als nervös. Die 2 (irossmiitter seien ner\os. 

die eine hysterisch, die andere leide an Gicht. Der mütter¬ 
liche Grossvatcr war fettleibig; der väterliche Gn>ss\atcr 
an Gehirntuberkulose gestorben. Die Mutter ist gesund, hatte 
keine Brühgeburt; die Schwangerschaft war ihm mal bis auf einen 
im 9. Monat erlittenen starken Schreck (Nachricht von einem Mord¬ 
anfall auf ihre Mutter). Die Geburt dauerte etwas laug. Kind war 
scheintot, normal in Gewicht und Länge. 

In der Aszendcnz sind ncuropathische und arthritische Momente 
jedenfalls nicht zu verkennen. 

Patient selbst ist ein blasser, lebhafter, frühreifer, ungewöhnlich 
intelligenter, im ganzen also sicher „nervöser“ Knabe. Ueber die 
Veranlassung zu dieser Attacke konnte nicht \icl eruiert werden, 
ausser dass der Knabe 5 Tage vorher Schlagrahm. eine ihm 1 ms 
dahin ungewohnte Speise, genossen hatte. 

Diesem typischen Ball von rekurrierendem Erbrechen 
mit Azetonömie setze ich mm eine Anzahl weiterer Bälle bei, 
bei denen die Erscheinungen einen weniger ausgesprochenen, 
mehr r ud i m e n t ä r e n Charakter tragen. 

2. Ball. Erika M., 5 Jahre, erkrankt mit mehrfachem, jedoch 
nicht nach jeder Nahrungsaufnahme eintretendem Erbrechen, auf¬ 
fallender Appetitlosigkeit und massigem Ei eher (urn 3N,2). Das 
Erbrechen hört nach wenigen Jagen auf, während der allgemeine Zu¬ 
stand sich verschlimmert: Die grosse Mattigkeit und Schlaffheit des 
Kindes, sein blasses Aussehen mul seine vollständige Appetitlosigkeit 
ängstigen die Mutter. Stuhl obstipiert und nur durch Khsma zu er¬ 
halten, da Abführmittel gebrochen werden. Das Bieber steigt h l äge 
nach Beginn der Erkrankung auf 39" und darüber. Es tritt Husten 
auf, die Milz erscheint etw as vergrössert. Verdacht auf dvplius ab¬ 
dominalis. Die am 12. Krankheitstage im Hygienischen Institut sor¬ 
genommene Untersuchung des Blutes ergibt jedoch ein negatives 


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Resultat ijuo.ul Isplms und Par ats plius. In egen: mm ,h t-aa 
ranziger (ieruch der H.iutausdutiMung macht s.^h bcmeima’ K e n 
chat akteristiSv her iictucli aus dem Munde. Im l rm \/cJ< n > t 
sani emtretende ReaktU'M», keine 

Der ganze, ziemlich tatve Halte /. u ^ I -t r i J w r .1 ed't aal \ ' c t n. • c 
bezogen und eler l.rt<>lg der e mg«. ie iteteii A ►. a :? l - .e - a pie t-gsd«? 
ehe Diagnose. Natrium hu.ar b<unc ein iihnwim' t/\u w in d K .» 
bader Wasser bewirkten eine (G":nt ! .tue IU »w’ii g m’J !'.id; 

2 I age n s «»läge He muh g. 

I isachhch war ke n best mmte r D.die' et zu e'iie'en D 
bekam das kuul lange Ze it zu s.ei I .c.'cti. \--r t tu m Ln u :• v m 
eins Kind nach re; Ji.ic hem (itnuss s >n Jeden und gei.na' e’Vi 
f ischen ( I liuniis^ h l eine a K p t e M a g e n a J T e k t . n d:;m . 
Wahrend wiüiei it.idi Angabe des \ ate' $ ‘V/J> uc.iJ «.'.er «ic- 
ruch nach Azeton bcmc’khar w.ir. 

3. Ball. Sih\ Me s. /.. 3 Iahte. Im \c* ante euer In.i'*? c 
(Kind u ml Muhic mdit gesellen > t' tt h ei: ges w «. ‘V -tc« 1 ’ - 
brechen \mi 2 tägiger Dauer auf. De Darri.-e s-ririt d*'*. K e v * 
zeitig mit e'e m Beg.nn des I d"eJu ,: s zum >! g i"J \ ^e : e 

betiiidcn se in gestor t. a'uita ! ende li .i'H - . gr >s\e M.it: , m !. Im ■ : e 'e 

Augen. Abmagerung, kein lieber. Den \ n a n< • f • n J.i t vier *** <*:■« 

aitige (icnich eiet Aterniutt auf. 

Im l rm reichlich Azeton und \/c!c«s. gvrate, ke n I ^e 'g 
kein Zucker. 

Das Lrbrtd.cn halt 2 I a.e an und kdut da' u : m. : ! w .e e - 
Die Xzetonune dauerte 5 läge, und zu.n sj de Re ist ’ I s ^d.« .e ’i 
naeh ilem letzten l ibtevheli m>ch stark pst\. c c \ 'de" K \'Ve- 
aussc lleldun g geilt Illlt der lUsseMl"; eie s V ge U e e ' "de : s M.o I 
in Hand. 5 laze iludi Begum der I * ki.inkiii.g \ ►••ninenes W 
beim.viel). 

Das Kind batte mii I anJe .k s kt/teii Lik es Md ec ^ v v 
leichte Alila. c \<m Irb’cdiel n. t cr.ien.v'iv n. (i.n.vii aus • 

Munde. I ine Prutung aut Azct-ni w unle ie d d: d.-Umi t; d:t s 

genommen. 

3. Ball. W ill\ H.. 3 laloed Bilde’ de s 1.!’ H. ck'aikt m-d 
vorausgegangeiie in Katarrh -der oberen I uduege p-dz mi at I r - 

b r e c h e n mit stark e m Geruch nach V z e t - n Re* ' 
seilige Bronchiolitis; m.iss ges I.eKr um v :.i>e B .ow. gr> ec 

Mattigkeit. Iian-ne'te \ugeu. 

Im l rm reich uh Azeton, '■» -men \-n \ / e t e "> u.nne: Ja'-i 
auffailig. dass m.t I seriell m» ! k>. n \ i lru" ag e’Jsd. t. w as w 
aut ein Beh-eti %--n l*liovp.(j.ite n h-n.le utv t ‘ > 

Das I i IM c c 1 1 e 1 1 tritt W«.hi mei.rdiv'i a,U. '.at a.‘c* I c.'it v!t ” 
Stiübareri Chaiakter. Is !n>it n .ich 1 I agv»' au? \.u U 3 l.n; 

bessern sich ehe I .uugeuvv mpb Me. p.u ’\ w e JeeM 2 s e f* - 

einen fiel. De A zet< .nauss^ Im düng ,m l • n ! ■ t m .m/pi s I.i.v 

\'-n etwaigen tr Pieren \iidi en gemr \ t u 's t M de l ’e 

IMclltS. 

5. Ball. Heilert |d. II Jahre. Am 2 l.ue e e : 
f'Äkiiiar en A mg Mia tritt l.rhreulieii ft. d „ e *' • .* e ! *. sdi ■ • m 

Ger u c h el es A I e ms nach \ / e t «. n an: Im l ‘ ff - e c ’ - 

lieh Azeton. \/e tess-gs.uire zwete mm* ke e \iu'du.' , •• 

Aussehen tlcs mi ubr i-geu sehr kuitr gen Lu 1 a '■m - e se -e \‘ • 

nähme- el e s guten \ppcdts. 1‘1'cvlen ut:.J \ d .tii'M'e . 

ehiuern nur einen lag. elu-ns,. u -e e! e \-i K n . 2 l.-.e • .u’i de n 

Bi brechen \ i*i!es W . >li lem.de m Mass. N «.\ l eler • ' s . o w ,r n.. 

am ersten l äge eler ang imse n I nk’ai's ;: -g \ ■ •• ’i.m. \ - 

Aus der \ or ge»c luchte ei es ka-un .s? zu er w .• e", el.iss er 

Alter \ on 3 s lalren e • e n se ’rr e ’r.p’ ••.. v i.e :i M.i^eir ’uitte. d.e * 

gegen irgend welche K "Sjiu ue r im ge n. be s. r.u-s .s'u ' Jede >;u m h 

lutlM lg mit rneliM.iggem l'l'euben re.i^c'Je \/e : " p • ■. *e 
w dreien iI.iiii.iN nicht \. m gern mi me ii. IbM-e ste ts \c guug zu v r.. 

\ er stopiung. Mit 7 Iah:ui i.ig er »< W -di.eii ,ni e^v .” 

I irol akipur ii r ti ri i m t • k' \- >s(.ri l'-te'üis Mrt s l.ihm" *\p' 

ähnliche I i kiunkimg 1 M'/ediwi urig, k p’m 1 • e •/c u. (> st 
Husten) \on 3 W O^ Ile üt iu he r D.omr. lei eler a'-e’ !"• v -i 

v. eeler l \ plius noch Parat\ plius rui v ;, v ew oiii in-Ai! k • ' :e N t : 

3 lahren ist die Magern mpnnd db.i \ d sd. i „ \ e s v ' w ..e; .!,: 
Knabe hat sich Kriheml entw ui !. 

Die gcii.miiten BaHc hahen iir'lms^lia.lt t s.m-sdg.r \.r- 
scluiulciiliciteii das (icmcmsimed J iss es guiJiz. : g za NX ucn 
erselu iniimgcii und .‘\/ctr>nknrpera:iss v be. J-iug ge k- ••tuden m 1 ; 
lind zwar snwrlil von A/ebm wie vimi A/e‘ess’^,rred Ii 
allen Ballen war die Ausscheidung des A/ed -'s d.irji die V.;s- 
atniungsliitt an dem cliarak tenstisglw n (je rruh aus den Mir J 
kenntlich. Bieber bestand nur bei eurem I e :! der 1 .ZV. 

Ausgesprochen period: selbes \ erhaben l.pss vji nur ’d : 
dem ia audi im übrigen t> pivjiea fifdl \ o M eu* w m ke'*-. n B.Z'e 
„Britz II.“ sicher konstatieren. Iki Je*) ;;* >c s e'i me hr r :j - 
mentären Ballen i»t das \ odiusgdie u ahr:',die’' At* t.keu nt 
\\ ahrsclieinlmhkeit an/ufu huren. 

') II e li b n e | er w aii* t m s^ r.cI «. f 1 _ • .. ..ex de - l * i 

meist rem h an K a'k ph. .sp-had n ,, n- , vv ^ - c \ ■ gi ge - 

sforter K it'kauss^ lie-.dimg dun i; de r- t t d „c: 

Belutul \o:!,(. gt. w age ich m : e • n*d-e . c v 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1487 


Bemerkenswert ist die familiäre Neigung zur Azeton- 
ämie bei den beiden Brüdern Fritz und Willy H. 

Erbrechen und Azetonkörperausscheidung — Azetonämie 
— treten entweder als selbständige Erkrankungen wie im I. 
Fall auf oder gesellen sich als selbständige Komplikation einer 
bestehenden fieberhaften Erkrankung zu, welcher sie dann ein 
eigenes Qepräge geben. 

Ohne Zweifel stehen die beiden Erscheinungen: Azeton- 
ämie und Erbrechen in einem gewissen Zusammenhang mit¬ 
einander. Nach Heubner ist die Azetonausscheidung 
nicht die Ursache, sondern die Folge der mit der Brech¬ 
attacke verbundenen Inanition. Heubner stützt sich dabei 
auf die Untersuchungen von L a n g s t e i n und Meyer, denen 
zufolge Azeton nach Inanition, speziell nach Kohlehydratina- 
nition auftritt. Nach Marfan sind beide Symptome als Folge¬ 
erscheinung einer und derselben vorläufig unbekannten Ur¬ 
sache aufzufassen. Mir scheint es keinem Zweifel 
zu unterliegen, dass das Primäre in dem Zu¬ 
stand nicht das Erbrechen, sondern die Bil¬ 
dung der Azetonkörper ist. Das Erbrechen 
muss als ein Folgezustand dieser Störung im 
Chemismus, wahrscheinlich als ein Ausschei¬ 
dungssymptombetrachtetwerden. Es gibt Fälle, 
wo trotz des Vorhandenseins von Erbrechen und Azetonämie 
jegliche Inanition fehlt. Dies zeigt am besten der Fall Her¬ 
bert F. und auch ein von Fischl mitgeteilter Fall eines drei¬ 
jährigen Mädchens, bei welchem der gute Allgemeinzustand 
mit dem schweren Erbrechen kontrastierte. Ferner gibt es 
Fälle von Azetonausscheidung ohne Erbrechen, wie die von 
Misch mitgeteilten Krankengeschichten lehren und wie auch 
folgender Fall zeigt: 

Fall 6. Fritz U., 4 Jahre alt, erkrankt an akuter Pharyngo- 
Tracheitis mit massigem Fieber (um 38,5°). Im Urin Azeton. Spur 
Azetessigsäure. Kein Erbrechen, geringer Appetit, leichtbelegte 
Zunge. Laut telephonischer Mitteilung der Mutter ist der Bub am 
nächsten Tag wieder ganz gesund. 

Auch D i c k i n s o n hält die Azetonämie für das Primäre 
und die übrigen Symptome Auslösende, da das Azeton schon 
beim Beginn der Erkrankung oft reichlich im Urin vorhan¬ 
den sei. 

Das Wesentliche ist eine Störung im intermediären Stofr- 
vuechsel, welche vorderhand nur durch übermässige Bildung 
von Azetonkörpern nachweisbar zu tage tritt. Welche Um¬ 
stände bewirken aber nun eine solche Störung, bezw. unter 
welchen Bedingungen kommt es zur Ausscheidung von Azeton¬ 
körpern? Hirschfeld und Rosenfeld haben gezeigt, 
dass beim schweren Diabetiker ebenso wie beim Gesunden 
der Ausfall der Kohlehydrate in der Nahrung die Entstehung 
von gewissen Fettsäuren und deren Derivaten verursacht. 
Diese sind Azeton, Azetessigsäure und Oxybuttersäure. Die 
Untersuchungen erfuhren durch L an g s t e i n und L. F. 
M eyer ihre Bestätigung, welche am Erwachsenen und am 
grösseren Kind die Entstehung einer solchen Azidosis bei 
Kohlehydratkarenz nachwiesen. Auch beim Säugling führt der 
Hunger oder, strikter gesagt, der Kohlehydratmangel zu einer 
intermediären Azidose. Während die Atrophie an sich nichts 
mit der Entstehung der Azidosis zu tun hat, fand sich beim En- 
terokatarrh der Säuglinge in der Regel starke Azetonkörper¬ 
bildung und zwar aus dreifacher Ursache: infolge des Hungers, 
einer Störung des Kohlehydratstoffwechsels und einer Ver¬ 
mehrung der flüchtigen Fettsäuren im Stuhl (S a 1 g e) 

Ueber die Q -u e 11 e d e s Azetons ist man heute schon 
etwas besser informiert. Seine Entstehung aus E i w e i ss 
muss als möglich zugegeben werden, nachdem N b e r g und 



Or- 


5? Beim AM», de. Fefee ,m 

Kaiiismus entsteht zuerst Oxybuttersäure, aus ihr durch 
Oxydation die — unbeständige — Azetessigsäure und daraus 
durch COs-Abspaltung das Azeton. 

Der Ortder Azetonbildung ist vorläufig noch nicht 
auf gefunden. Die heute gültigen Anschauungen gehen dahin, 
dass die Azetonkörper jedenfalls nicht im Darm, sondern in 


den Geweben der Organe entstehen, wenngleich die Möglich¬ 
keit einer solchen enteralen Bildung nach den Untersuchungen 
von Mau ban, Bagi n sky u. a. nicht ganz von der Hand 
zu weisen ist. Ein neues Licht auf diese Frage haben die 
Untersuchungen von Emden und K a 1 b e r 1 a h und von 
Emden, Salomon und Schmidt geworfen. Sie fanden, 
dass bei künstlicher Durchströmung d^r lebensfrischen Leber 
mit normalem Blut eine flüchtige jodbformbildende Substanz 
entsteht, die sie weiterhin als Azeton identifizieren konnten. 
Die Menge des gebildeten Azetons war nicht unbeträchtlich und 
betrug 13—27 mg in einem Liter Blut. Bei Durchblutung der 
Muskulatur, der Lunge und Nieren konnte kein Azeton gefunden 
werden. Bei der Suche nach der Quelle dieser Azetonkörper 
wurde beobachtet, dass gewisse Ei weissderivate wie z. B. 
Aminosäuren keine Azetonbildung veranlassen, während Leu¬ 
zin, besonders aber Oxybuttersäure und andere aromatische 
Substanzen sich als starke Azetonbildner erwiesen. Dadurch 
gewinnt die Ansicht aufs neue an Wahrscheinlichkeit, dass 
Azeton nicht aus Eiweissubstanzen, sondern aus Fett entsteht. 

Die Lehre von der Pathogenese der periodi¬ 
schen Azetonämie ist ebenso unklar wie reich an Theo¬ 
rien. Morichaut-Beauchant, der sich hierüber ein¬ 
gehend verbreitet, führt sie der Reihe nach an. Ich erwähne 
nur, dass E d s a 11 das Wesen der Affektion in einer echten 
Azidosis, ähnlich wie beim Coma diabeticum sieht. Den Be¬ 
weis gibt ihm vornehmlich der Erfolg der Alkalotherapie; dass 
Rachford, Holt, Valagussa, Comby eine arthritische 
Diathese annehmen, da die Azetonämie öfters alterniere mit 
anderen arthritischen Zufällen“ wie Asthma, Migräne etc.: 
dass Whitney von einer Ansammlung giftiger (imaginärer) 
Stoffe spricht. Marfan nimmt einen hepatogenen Ursprung 
der Affektion an im Hinblick auf die nicht selten beobachteten 
klinischen Leberveränderungen, Schwellung, Ikterus etc. R i - 
chardiere spricht von einer Insuffizienz der Leber, welche 
das im Organismus gebildete Azeton nicht zurückhalte und 
transformiere. Nach B r o c a ist das zyklische Erbrechen in 
den meisten Fällen der Ausdruck einer chronischen Appen¬ 
dizitis, eine übrigens durch C r a n d a 1 e, Townsend u. a. 
bald widerlegte Anschauung, die in solchen Fällen entweder 
den Appendix intakt fanden oder auch nach Entfernung des 
Appendix Anfälle auf treten sahen. Morichaut-Beau¬ 
chant selbst nimmt eine bakterielle Infektion mit primärer 
Lokalisation im Darm an. Auch Misch sieht in dem Zu¬ 
stand eine „tiefergehende gastrische Störung bei nervösen 
Kindern“. 

Gegen die primäre Kausalität gastrointestinaler Störungen 
spricht, wie Marfan hervorhebt, schon das Fehlen anderer 
intestinaler Symptome als Erbrechen, die schnelle Beendigung 
der Anfälle und die Wirkungslosigkeit diätetischer Mass¬ 
nahmen. 

Fischl hält das azetonämisohe Erbrechen in einer ge¬ 
wissen Anzahl von Fällen für hysterischer Natur. Die 
Azetonurie spreche nicht dagegen, da sich bei Hysterischen 
nicht seiten Azeton im Harn finde ohne gastrische Symptome. 
Fischl gründet seine Meinung auf 3 selbstbeobachtete Fälle, 
von denen mir allerdings nur einer als zweifellos hysterisch 
erscheint: Ein 12 jähriger, auch im übrigen stark hysterischer 
und neuropathisch belasteter Knabe bekommt im Verlauf einer 
Angina heftige Anfälle von Erbrechen mit Azetonurie, die zu 
schwerem Allgemeinzustand führen. Eine brüske Manipulation 
an der Tonsille mit gleichzeitiger Verbalsuggestion (Heraus¬ 
nahme eines Propfes wird das Erbrechen beseitigen) bringt 
sofort den Anfall zum Verschwinden und bewirkt ruhigen 
Schlaf. 

Auch Heubner neigt der Meinung zu, dass nervöse Ein¬ 
flüsse bei diesen Attacken eine entscheidende Rolle spielen. 
Zweifellos ist der allgemeine Zustand des Nervensystems nicht 
ohne Bedeutung. Dafür sprechen die Fälle von Fischl, zum 
Teil auch die von Misch und auch in meinem Fall I ist 
die nervöse Veranlagung des Patienten nicht abzuleugnen. 
Eine genügende Erklärung gibt diese Annahme aber nicht. 

Jedenfalls liegt eine Insuffizienz im intermedi¬ 
ären Stoffwechsel gegenüber dem Fettabbau 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1488 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. >. 


vor. Diese kann durch eine Kohlehydratinanition, sehr 
wahrscheinlich aber auch durch andere Momente verursacht 
sein. In meinen Fällen war eine Kohlehydratinanition nicht 
ersichtlich. tEine Beschränkung oder Entziehung von Kohle¬ 
hydraten war nirgends vorausgegangen und die allgemeine Er¬ 
nährung war bei allen Kindern eher eine kohlehydratreiche 
gewesen. Bezüglich der Hysterie scheint es mir vorläufig 
wünschenswerter, angesichts einer so tiefgreifenden Storung 
im Chemismus sich nicht in die allzeit offenen Arme dieser 
Diagnose zu flüchten, sondern, so lange es geht, nach organi¬ 
schen Ursachen zu fahnden. 

Vielleicht ist der primäre Sitz der Erkrankung wirklich 
die Leber und beruht der Prozess auf einer temporär ver¬ 
minderten Oxydationskraft dieses Organs im Sinne Pfau n d- 
1 e r s. 

Vielleicht ist die Aetiologie aber auch nicht so lokalisiert 
und spielen ganz andere Organsysteme mit herein. Mög¬ 
licherweise gibt der e i g e n a r t i g e B1 u t b e f u n d im Falle I 
einen Fingerzeig. 

Fritz H., 8 Tage vor dem beschriebenen Anfall untersucht, er¬ 
gibt 80—90 Proz. Hämoglobin nach T a 1 q u i s t, 5 000 0ui rote Blut¬ 
körperchen und n u r 2 700 weisse Blutkörperchen, also eine 
ausgesprochene Leukopenie. Die Zahlen stellen das Mittel 
aus zwei an verschiedenen Tagen vorgenommenen Zählungen dar. 
Das Verhältnis der einkernigen zu den polymorphkernigen Leuko¬ 
zyten betrug 78:22, war also ebenfalls abnorm. Im 2. Lebensjahre 
ist das Ueberwiegen der Lymphozyten noch physiologisch (55 Pro/.); 
von da ab tritt ein Ausgleich ein bis zum Ueberwiegen der Poly¬ 
nukleären. Ausser der Leukopenie sehen wir also noch eine deut¬ 
liche Verschiebung des Blutbildes zu Gunsten der Lymphozyten, in 
gewissem Sinne also eine Entwicklungshemmung des Blutes. 

Bindende Schlüsse möchte ich vorläufig aus diesem 
Befunde noch nicht ziehen. Es erscheint mir aber sehr 
wohl denkbar, dass die zweifellos vorliegende Insuffizienz beim 
Fettabbau der Kinder mit azetonämischem Erbrechen ihre Ur¬ 
sache in einer konstitutionellen Anomalie hat und 
dass diese als eine Entwicklungshemmung der 
Fettabbaufunktion aufzufassen ist. Die Lcistungs- 
schwelle ist hier offenbar individuell schon in den Grenzen des 
Normalen sehr verschieden, so dass diese Fettabbauinsuffizienz 
in allen Abstufungen, vom einfach empfindlichen Magen 
bis zur schweren Attacke des rekurrierenden Erbrechens mit 
Azetonämie sowie in akuten und mehr chronischen Formen 
beobachtet werden kann. 

Es besteht ein Weg, die Störung im System der weissen 
Blutkörperchen und die der Fettabbaufunktion in einen ge¬ 
wissen Zusammenhang zu bringen. Der Ursprung der Lym¬ 
phozyten ist nach Ehrlich u. a. in den Lymphdriiscn zu 
suchen. Diese haben aber nach Po u 1 a i n grosse Bedeutung 
für die Absorption und Resorption des Fettes, welches sie durch 
ein fettlösendes Ferment beeinflussen. Die konstitutionell 
periodischeAzetonämie wäre demnach als eine Ent¬ 
wicklungshemmung, vornehmlich im Lymph- 
körpersystem, aufzufassen. 

Es wird jedenfalls von Interesse sein, in zukünftigen Fällen 
das Blut der Kinder während einer Attacke und in der anfalls¬ 
freien Zeit zu untersuchen. 

Zur Therapie des akuten Stadiums mag man. dem 
Vorschlag Fischls folgend, immerhin eine Suggestiv¬ 
therapie versuchen (Verkündigung eventuell Vorbereitung 
einer Kochsalzinfusion u. ähnl.). Einer absoluten Nahrungs¬ 
entziehung in den ersten 2 Tagen kann sich vorsichtige Dar¬ 
reichung einer kompendiösen fett- und eiweissarmen Nahrung 
anschliessen. Nützlich haben sich mir als Trockenkost kleine 
Stücke Schokolade und gebähtes, trocken ge¬ 
kautes Weissbrot erwiesen. Alkalien in Form von 
Natrium bicarbonicum messerspitzweisc und Karlsbader Was¬ 
ser haben sich bei dem mehr chronisch verlaufenden Fall II 
entschieden wirksam gezeigt. In der anfallsfreien Zeit 
empfiehlt sich systematische Behandlung des Gesamtorganis¬ 
mus durch Hydrotherapie, Luftbäder, Gymnastik; im Hinblick 
auf den Blutbefund speziell heisse Wickel, heisse Abreibungen. 
Ferner fleischarmes Regime mit Ausschluss bildender und allzu 
vnhPuinöser Speisen. Zeitweiliger Gebrauch \on Salzsäure- 


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Literatur: 

Heubner: Lehrbuch der Kmderheiikur k\ l eu'.’.c 1'*"» 
Längste in und Me vor: Die A/uPse im k :r .!e-s.t n r, ?.■.*• -1 i 
Kinderheilk., 61. Bd., Ivos. Dieselben: Die \/; :■ s >e C<.s - 

lings, Ja lirli. f. Kinder henk., 6v B.J.. !'**>. 1 f. Mt \ er / ;■ 

Kenntnis der A/et-nmne bei den Inieko ::uO n dm kui.e*. 

•lahrb. f. Kinderheilk., 6l. IUI. 1 >"5. Musst: W.m'e Bc f.i^e / ’ 
Kenntnis der A/uPsis im Kinde maller, Antm'» ; t. d gts I': \ s n: 
Patli. d. Stoffw., pMM*. I ~ M o I I c h a u t - B c a lu !i j n t: i 
gerne des vomissernents ä rt Julies a\ec .u<. t- :k v.e J.e/ ie/ e'”a* >. 
(Ja/., des h"P., -47. - - 1 i s e h I: I es \ • musst mc-*US Je i : ■ e .v. .ie s 

et l'hystene infantile. Re\. mens, des W.ide . et.:..me. b. i 1 ■**> 
Misch: Zur Kenntnis des periodischen I r breche ns im h .eci tc m 
.lahrb. f. Kinderheilk.. 61. Bd. l‘>oS f . I :i iu t 1 •<. \<■ : e .« 
Azeton, Munch, med. \\ ochensJir.. So Du D-'o.i: l.c 

f. Kinderh., 6.4. Bd.. S. 65.4. 11 i r s c h I e 1 J ur d R s e n ! e 1 

Zeitschr. f. klm. Med., Bd 2s und M. - >n<-ve. \\ h i t n c t. 

C o rn b y, Marfan, L d s a I 1. R a c h i < r d. M «»i t. \ a . .t g u * s .*. 

R i c h a r d uD c, B r o c a. I ra n d a ! e. I < > w nse n d. V. a u b a 

zitiert bei .Muri i haut. (i c e 1 m u \ de n. > c h w a r /. V, a c u s. 

L e v i. /liiert bei I. a n g s t e i n - V e \ e r. H a g i t v k \ 1 % - •. * 

A/etomine bei Kindern. Arcli f. e*\p l’ath . l ss l 1 n* e r w 
K a 1 b e r 1 a h; E rn d e n. S a 1 << m <> n urul "■ c li in i d leer \.m : - 

biidung in der Leber, Beitr. / d em. Ph\sud. urul P.i'h. “ B : . S 4 M 
- M. A. Puiilam: Pc lacU-u des e uu : ns «\ ;t.e \ v;* 

1‘al'snr ptimi et la res»»rpto»n vle s gra.ssis, U\ v. nc.s ces V.. 
de l enfance t<»nie. Jo, lvuj. 


Aus dem chemischen Laboratorium des ak K eme.:.eu K:.« k.u- 
hauses Hamburg-EpiKmJorf. 

Untersuchungen über den Nachweis von Blut im Harn mit 
Hilfe des spektroskopischen und einiger spektroskopisch' 
chemischer Vorfahren. 

Von O. Schu m m. 

Das Interesse für d e Spektroskop.sdien Prohc-n auf Pk.it a: 
im Laufe der letzten Jahre etwa in dem Masse ger.r.ger ge¬ 
worden, als die Zuverlass.gkeit eitbger dum’sdier B i*p r < «bem 
namentlich der Guainkblutprohe (1 ]. durdi befere \::nnJ 
timg ihrer Fehlerquellen zugeriommen hat. 

Trotzdem ist die spektroskopische M e - 
t h o d e für den Kliniker a u c h h e u t e n o c h u n ent¬ 
behrlich. Sie ermöglicht e >. d e n N a c h w e . s 
e i n e r B I u t b e i m e n g u n g ? u m Harn in viele n I* a ! - 
len mit g e r i n g s t e m Zeit a u t w ;i :i J / u f a !i reo. 
ferner gibt sie Aufschluss u b e r d : e F <» r m . 
der der B 1 u t f a r b s t o i i i;n Harn vorhanden ist. 

F ü r d e n j e n i g e n, der in der Aus t ;i h r u n g u :t J 
Beurteilung der üblichen Farbreaktionen a u : 
Blut nicht ganz sicher ist. bildet d : e spektro¬ 
skopische M c t h o d e d i e geeignetste Kontrolle, 
z u m a 1 s i e a u f ganz anderen Prinzipien b e ruht 

Ich habe daher \ ersuche ul'er J e Z:;\ e’d.ss.gke;: u:ul 
Empfindlichkeit verschiedener Austdirung *j. *rme n der spektro¬ 
skopischen Probe auvgeiiihrt. Pa idt be-'!\id|%: li.i'te. dass 
die Zuverlässigkeit und Emptm.!'. d:ke:t in gyw >hii Gretveu 
abhängig ist von der Art des 1 u nutzten Spektr.fslo#*. v.> hum 
ich gleicli/eitig untersucht. mit wddum Ke-vtr-id <u v’\p :v 
des Spektroskops man die besten Ergebu ss C e:/e't. P.P'l 
hat sich nun gezeigt, dass nun. um d e ier d.is P.lut cb 
teristische Ahsorptionserscbe.mmg ::u Spektrum .euli bei ge» 
ringeln Blutgehalt in relativ dur.k’eu »• .1 e r ge Pnbte n 1 ...vs 
keiten möglichst deutlich w a^'rue’mie:: /i k• n. .:'M P. ^*e . 
ein Spektroskop anw endet, das c.ue s ( ur gm. ge iPi'i’c ■ 
(Ausdehnung des Spektrum) u’d g’e^n g ns Jmt ge* r*gc 
Eigenabsorption besitzt. Ibescr \::;«nde*u: g e:“spr:dit u: de*n 
zur Zeit erreichbaren Masse das \ nu nur k i’v'.dl 

Ilandspcktroskop |J], Nadtstdem !:at s.Jj m/ mi N.i.hw e s 

geringer Bliitbeimengimgen das emtadte gerade.d'* ge 11.*.’ d- 
spektroskop (mit dreiiadietli \mic : pr '»um) b*. w a!rt. See 
Eigenabsorption ist aber sdi n merk' di g:<*ss C r. s.» dass t > 
bei der Untersuchung s.-Uier 1 ' .s^.gk. w \ d c fe !at!v dm kd 
und getrübt sind, die* Ee.stung d s ucc. ■ •• • *. *: S”>ck*d#^k- 
nicht erreicht. Per B u n s e n - K Ju’d-s. b. \[' 
in der allgemein iibi.dien Am:’ .:. r :uu;d *•:•. !.* •* !• ” i *•- 

wähnten Pallen imdi Wecker g :te P. s-/\.v. t s ; .* .! 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 









14. Juli 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1489 


der starken Vergrösserung, für die der Bunsen- 
Mrctihoff^he Apparat allgemein eingerichtet wird, ein sehr 
ausgedehntes und lichtschwaches Spektrum entsteht. Infolge¬ 
dessen sind die auftretenden Absorptionsstreifen breit und ver- 
scnu ommen. Bewirkt die zu untersuchende Flüssigkeit zufolge 
ihrer Beschaffenheit auch noch einen starken allgemeinen Licht- 
' erlust, dann wird das Spektrum bei diesem Apparat so dunkel, 
dass die Untersuchung unmöglich wird. Daher habe ich für 
meine Untersuchungen einen Bunsen-Kirchhoffsehen 
Apparat v °n etwas abweichender Ausführungsform hergestellt 
. ne Objektive haben einen Durchmesser von 30 mm 
und eine AeQuivalentbrennweite von nur 16 cm. Da die Brenn- 
wejte des Okulars 80 mm ist, so ist die Vergrösserung nur 
^ ,ne “ lache. Dadurch wird ein helles kurzes Spektrum erzielt. 
Selbst s eh r schwache Blutlösungen geben mit 
einem derartigen Apparate noch scharfe, 
leicht identifizierbare Absorptionsstreifen, 
zu deren genauer Ortsbestimmungdie am Ap¬ 
parat angebrachten Messvorrichtungen die¬ 
nen. 

Da es für die praktische Verwendung der spektroskopi¬ 
schen Methode wünschenswert ist, ihre Empfindlichkeit zu 
kennen, so habe ich darüber eingehende Untersuchungen aus¬ 
geführt. Zunächst prüfte ich die Methode an wässerigen Lö¬ 
sungen defibrinierten menschlichen Aderlässblutes 1 ), dessen 
Hämoglobingehalt 93 Proz. betrug, und erhielt dabei folgende 
Werte. 


Tabelle I. 


Ver¬ 

dünnung 

Schicht¬ 

dicke 

Bunsen-Kirchhoffscher Apparat, 
Vergrösserung 2 fach, 
Spaltbreite 0,01-0,02 mm. 

Geradsichtiges Hand¬ 
spektroskop von Zeiss 

1:4000 

4 cm 

Positiv. 

Positiv. 

1:5000 

4 cm 

Noch identifizierbar, positiv. 

Absorptionserscheinung 
äusserst schwach, eben noch 
zu identifizieren. Positiv. 

1:6000 

4 cm 

Noch identifizierbar; die Lage 
des ersten Absorptionsstreifens 
lässt sich noch annähernd be¬ 
stimmen. Positiv. 

Absorptionserscheinung eben 
angedeutet, nicht mehr in- 
dentifizierbar, negativ. 

1:7000 

4 cm 

Absorptionserscheinung äusserst 
schwach, eben noch zu identi¬ 
fizieren. Positiv. 


1:8000 

4 cm 

Absorptionserscheinung eben an¬ 
gedeutet, nicht mehr identi¬ 
fizierbar. 


1:15000 

10 cm 

Eben noch zu identifizieren. 
Positiv. 

Noch identifizierbar. Positiv. 


1:25000 

20 cm 

Eben noch zu identifizieren. 

1 :30000 

20 cm 

Eben noch identifizierbar. 
Positiv. 

Negativ. 


Vorstehende Beobachtungen erlauben die Annahme, dass 
Harne, deren Farbe den Verdacht einer Beimengung von Blut 
nicht auf kommen lässt, doch solche Mengen Blut enthalten 
können, die sich durch das Oxyhämoglobinspektrum nach- 
weisen lassen. 

Daraufhin Angestellte Versuche bestätigten die Annahme. 
Die erhaltenen Werte sind in nachfolgender Tabelle zusammen- 
gestelH: 

Tabelle II. 


Frisches menschliches Aderlassblut (Hämoglobingehalt 93 Proz.) mit 
normalem Harn vermischt. 


Mischungs¬ 

verhältnis 

Schicht¬ 

dicke 

Bunsen-Kirchhoff¬ 
scher Apparat, Ver¬ 
grösserung 2 fach, 
Spaltbreite 0,02 mm. 

Geradsichtiges 

Handspektroskop 

Handspektroskop 
nach Schümm 

l:GOOO 

4 cm 

Eben noch zu 
identifizieren. 

Kaum mehr zu 
identifizieren. 

Eben noch zu 
identifizieren 

1:15000 

10 cm 

dto. 

dto. 

dto. 

1:25000 

20 cm 

Noch zu identi¬ 
fizieren, beide 
Streifen ziemlich 
deutlich. 

Noch zu identifi¬ 
zieren. Der zweite 
Streifen aber 
äusserst schwach. 

Positiv. Beide 
Streifen deutlich 
vorhanden. 

1 : 30000 

20 cm 

Absorptions¬ 
erscheinung kaum 
angedeutet, negativ. 

Negativ. 

Absorptions¬ 
erscheinung äusserst 
schwach. Kaum mehr 
zu Identifizieren. 


Die Lage der beiden A'bsorptionsstreifen des Oxyhämo¬ 
globins fand ich bei Beobachtung einer 1 proz. Lösung von Blut 


*) Das erforderliche Blut erhielt ich frisch von der I. Chirurg. 
Abteilurvg unseres Krankenhauses; es war zum Zwecke der Gefrier- 
punktbestimrnung entnommen worden. Den Herren. Sekundärarzt 
Dr. Kotzenberg und Dr. Goldammer danke ich auch an dieser 
Stelle für die oftmalige Ueberlassung des wertvollen Materials. 

No. 28. 


in Waser oder Harn bei 2 cm Schichtdicke zu: m L 589—567 
(für den ersten Streifen, auf der Grenze von Rot zu Gelb be¬ 
ginnend!; 555—523 (für den zweiten Streifen). Es ist also 
möglich, mit Hilfe der direkten spektroskopischen Beobachtung 
noch recht kleine Beimengungen von Blutfarbstoff zum Harn 
nachzuweisen. Füllt man den Harn in ein Reagenzglas, dann 
gelingt der Nachweis freilich nur noch in einer Verdünnung von 
etwa 1:2000. Die Empfindlichkeit wird aber 
ausserordentlich gesteigert, wenn man den 
Harn in eine Polarisationsröhre von. 10 oder 
20 cm Länge, wie sie für Zuckerbestimmungen 
gebräuchlichsind, einfülltunddanndieRöhre 
in Längsrichtung vor den Spalt des Spektro¬ 
skops bringt. Der Nachweis gelingt dann noch 
ineinerVerdünnungvon 1:25 000 (= ca. 1 T r o p f e n 
Blut auf die Tagesmenge Harn). 

Ich habe weiter Versuche darüber ausgeführt, ob sich die 
Empfindlichkeit der spektroskopischen Methode noch steigern 
lässt. Formänek [5] gibt an, dass eine gegebene Menge 
Blutfarbstoff dann das intensivste Spektrum liefert, wenn man 
ihn in Hämochromogen überführt, oder, kürzer ausgedrückt, 
dass das Hämochromogenspektrum das intensivste aller Blut¬ 
farbstoffspektra ist. Ich habe wiederholt dieselbe Beobachtung 
machen können. Es schien mir daher wünschenswert, unter 
Benutzung des gleichen Blutes, das zu den oben beschriebenen 
Versuchen verwandt worden war, auch die Empfindlichkeit 
der Hämochromogenprobe festzustellen. Ich verfuhr folgen- 
dermassen: 

30 ccm der betreffenden Blutlösung wurden mit 2 ccm starker 
(40 proz.) Natronlauge in einem planparallelen Glase gemischt, mit 
einigen Kubikzentimeter Aether überschichtet und 1 ccm Schwefel¬ 
ammonium zugetropft. — Die durch den Zusatz der Reagentien be¬ 
wirkte Verdünnung wurde mit in Rechnung gezogen. 


Tabelle III. 

Auflösung defibrinierten Blutes in Wasser. 


Ver- 

Schicht- 

Bunsen-Kirchhoffscher 

Handspektroskop nach 

dünnung 

dicke 

Apparat Vergrösserung 2 fach. 

Schümm. 

1:6600 

4 cm 

Hauptstreifen des Hämochro- 

Hauptstreifen des Hämochro- 

mogenspektrums noch deutlich, 
erkennbar. Positiv. 

mogenspektrums noch deutl. 
erkennbar. Positiv. 

1:6600 

8 cm 

Absorptionserscheinung die 
gleiche, der Streifen aber sehr 

Absorationserscheinung eben 
noch identifizierbar. Positiv. 



schwach. Eben noch identifi¬ 




zierbar. Positiv. 


1:8800 

4 cm 

dto. 

dto. 


Auf Grund dieser Beobachtungen liegt es nahe, für den 
Nachweis kleiner Mengen Blut im Harn die Ueberführung des 
Oxyhämoglobins in Hämochromogen vorzuschlagen. Versucht 
man aber, den Gedanken in die Tat umzusetzen, so zeigt sich, 
dass dies auf eine sehr einfache Weise nicht gut ausführbar ist. 
Setzt man nämlich dem Harn die erforderlichen Reagentien 
hinzu, so entsteht ein bei manchen Harnen sehr starker Phos¬ 
phatniederschlag, der den Blutfarbstoff mit niederreisst. Die 
Flüssigkeit ist dann oft so stark getrübt, dass sie sich ohne 
weiteres zur spektroskopischen Untersuchung nicht gut eignet. 
Filtriert man nun den Niederschlag ab, so wird damit ein 
grosser Teil des vorhandenen Blutfarbstoffs entfernt. Dieser 
lässt sich dem Niederschlag zwar durch Eisessig entziehen; 
durch die noch erforderliche weitere Verarbeitung wird das 
ganze Verfahren aber recht kompliziert. 

Ich habe deshalb Versuche über die Empfindlichkeit einiger 
anderer spektroskopisch-chemischer Verfahren ausgeführt, bei 
denen der vorhandene Blutfarbstoff ebenfalls als Hämochromo¬ 
gen nachgewiesen wird. Sie mögen im folgenden kurz als 
Tanninmethode, Zinkazetatmethode, Eisessigäthermethode be¬ 
zeichnet werden. 

Tanninmethode. Die Ausfüllung des Blutfarbstoffs aus 
dem alkalisierten Harn mit Hilfe von Tannin und Essigsäure ist 
schon früher von Struve [6] angewandt worden* um aus dem im 
Harn enthaltenen Blutfarbstoff die Häminkrystalle darzustellen. Ich 
•habe, in Anlehnung an die Struvesche Vorschrift folgendes Ver¬ 
fahren ausgearbeitet und durchgeprüft. 

100 ccm Harn werden mit 1 ccm Salmiakgeist alkalisch gemacht, 
unter Umrühren mit 5 ccm frischer 10 proz. Tanninlösung versetzt 
und dann mit Essigsäure schwach angesäuert (etwa 3 ccm ver¬ 
dünnte [30 proz.] Essigsäure). Die Flüssigkeit wird durch ein kleM • 

3 


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MUENCHeNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. J'v 


Filter filtriert, das Filtrat fortgegossen. Den Niederschlag cxtraliicrt 
man auf dem Filter durch Aufgiessen von etwa b ccm Salmiakgeist, 
die ablaufende ammoniakalische Lösung fängt man in einem Glas 
von etwa VA ccm Durchmesser auf (Reagenzglas, besser ein plan¬ 
paralleles Glas) überschichtet sie mit etwas Aether und setzt etwa 
5 Tropfen gutes Schwefelammonium hinzu. Nach ein bis zwei Mi¬ 
nuten zeigt die Flüssigkeit das Spektrum des Hümochromogens. 

Diese Probe habe ich deutlich positiv erhalten noch bei 
einem Mischungsverhältnis von ITeilBlutauf 50ou Teil e 
Harn. Sie übertrifft die Hellersche Blut¬ 
probe bedeutend. Es sei bemerkt, dass die 
Verarbeitung grösserer Mengen Harn als 
100 ccm sich nicht empfiehlt. 

Die „Z i n k a z e t a t m e t h o d c“ wurde von C. Wulff 
vorgeschlagen. Die Vorschrift lautet [7]: 

„50 bis 100 ccm Harn werden mit */io Vol. Zinkazetatlosung von 
3 Proz. versetzt, die Mischung wird dann im Wasserbade erwärmt, 
bis sich der Niederschlag zusammenballt und letzterer, nach dem 
Absetzen, auf einen kleinen Filter gesammelt. Fm kleiner Teil des 
Niederschlags ist hieraui auf dem Objektglasc vorsichtig zu trocknen 
und dann zur Häminprobe zu verwenden. Der Rest des Xinknicdcr- 
schiags wird in Ammoniak gelöst, die Lösung filtriert, durch Nach¬ 
waschen des Filters auf 4—5 ccm gebracht und im Reagen/glase mit 
einigen Kubikzentimetern Petroleumbenzin geschichtet. Nachdem der 
Blutfarbstoff dieser Lösung durch Zusatz einiger Tropfen weinsaure- 
haltiger Fcrrosulfatlösung (je 1 Teil Weinsäure und Ferrosuliat. I<> 
Teile Wasser) reduziert ist, wird dieselbe spektroskopisch geptuit“. 

Nach dieser Vorschrift habe ich recht günstige Resultate 
erzielt; nur ist ihre Ausführung etwas zeitraubend, weil die 
Mischung aus Harn und Zinkazetatlosung im Wasserbade er¬ 
wärmt werden soll, bis der Niederschlag sich zusammenballt. 
Ich habe nun versucht, die Methode dadurch einfacher und 
schneller ausführbar zu gestalten, dass ich das Erwärmen über 
freier Flamme (bezw. Drahtnetz) vornahm, und zwar, bis die 
Temperatur der Flüssigkeit etwa 70 80° betrug. Im übrigen 
verfuhr ich nach W o 1 f f s Vorschrift. Bei dieser Ausführungs- 
form waren die Resultate gleichfalls recht befriedigend, wie 
nachfolgende Beispiele zeigen. 

1. Mischung aus defibriniertem menschlichen Blute und altem 
Ham, Verhältnis 1: 10 not). Verarbeitet werden 50 ccm. Zur Fxtrak- 
tion des Filterrückstandes werden 4 ccm Salmiakgeist benutzt, das 
Filtrat mit etwas Aether überschichtet und mit einigen Tropfen der 
frisch bereiteten weinsäurehaltigen Ferrosulfatlösung versetzt. 


Untersuchung mit: 



a) Handspektroskop nach Hauptstreifen des Hämochromogen sehr 

Schümm 1 deutlich. Positiv. 

b) GeradsichtigemHand- Hauptstreifen des Hämochromogen deut- 

spektroskop nach lieh, aber nicht so scharf wie mit ,a.“ 

Browning 

2. Mischung aus defibriniertem menschlichen Blut und Harn. 
Verhältnis 1:20 000. Verarbeitet loo ccm. Zur Extraktion des Filter¬ 
rückstandes werden 3 ccm Salmiakgeist benutzt. Weitere Behand¬ 
lung wie bei „1.“ — Hauptstreifen des Hämochromogen recht 
schwach, aber noch identifizierbar. Positiv. 

3. Mischung aus defibriniertem Blute und Harn, Verhältnis 
1:20 000. Verarbeitet 50 ccm. Weitere Behandlung wie bei „2". 
— Hauptstreifen des Hämochromogen äusserst schwach, aber noch 
identifizierbar. 

Bei dieser vereinfachten A u s f ü h r u n g s - 
form der Z i n k a z c t a t in c t h o d c liegt die Emp¬ 
findlichkeitsgrenze demnach bei etwa 1: 20 000 . 

Die Essigsäurcäthcrmethndc führe ich bei Harn 
seit einigen Jahren folgcndcrmassen aus: 

50 ccm Harn *) werden mit 5 ccm Eisessig und 4u 50 ccm 
Aether im Scheidetrichter stark geschüttelt. Nach erfolgter Tren¬ 
nung 3 ) der beiden Eliissigkeitsschichten lässt man die untere (Harn¬ 
schicht) abfliessen. Sie wird nicht benutzt. Zu der im Scheide¬ 
trichter verbliebenen Aethcrlösung setzt man etwa 5 ccm Wasser, 
schüttelt tüchtig durch und läst die nach dem Aufhören mit dem 
Schütteln sich abscheidende untere wässerige Flüssigkeit abfliessen.*) 
Sie würd nicht benutzt. Zu der im Scheidetrichter befindlichen 
Aetherlösung gibt man mehrere Kubikzentimeter Salmiakgeist, ver- 

*) Man kann natürlich auch grössere oder kleinere Mengen ver¬ 
wenden. 

3 ) Scheidet sich die Harnschicht nicht gut ab, so gibt man etwas 
Alkohol zu und schüttelt einmal sanft um. Bisweilen ist auch ein 
nochmaliger Zusatz von etw r as Aether notwendig. 

*) In einzelnen Fällen kann es vorteilhaft sein, die Aetlicr- 
lösung nochmals durch Schütteln mit einigen Kubikzentimeter Wasser 
zu waschen. Darüber entscheidet die Erfahrung. 


schliesst den Scheidetrichter und schütte.t unter kahmig t 
DarüberflicSNCiilassen des Mrahis der Wa^sta c tung» etwa . V n-.t« 
Man prnit jetzt mit Fackmtispap.cr. I>;e Reust;' u s *.! M.rk a ► 
sein; ist sie es mellt, s > setzt man rmJi s-kiei M •a , i. 

Ins nach dem Schlitteln die Reaktion stark a ka s.h b i •>:. V.n 
nun die mehr oder weniger stark -getu'hte untere w .«ssi ’ ge t. 

die mmmelir den etwa \or!:a:ukneii B, Utkr bst. it as II.n .•.* n t 
halt, nebst einem kleinen li.i der Aethe r.. ''■arrg aus dem R 
Seheidetricliters m ein «am besten p uöp.ru. e es» «las'i \ :i 2 r 
4 ccm DurJmieser ibessen. set/t etwa 5 1* Tr-pten givifgtw" 

Schwelefammoimim liu./u und »mterviuMt spektmsk »p.s w h. >*<g e - " 
oder nach einigen M. nuten tr.tt die A pt. • ; ».e * smie -:g * 

Mamochromogens auf, ta. s B.utlar! st- ti m neune : sw er !i: NV:\e 
vorhanden war. - 

Die E m p t i n el 1 i c b k c i t n g r c ii / c dieser M c - 
t h o d e liegt na c li m e inen \ i r v iu lt e n b e i et \x 
1: 2tI (mhi. Sie ist bei einiger L e b u n g / i i tu f| v h 
s c li null a n s f n b r h a r und hat den Vorzug, dass 
sie zuverlässige R e s u 1 t a t e a u c li bei stark ge¬ 
färbten und bei stark a I k a I i s c b e n. i n Zer¬ 
setzung b c f i n d I i c h m II a r n e n g i b t. h e i d e n e r. 

der Blutfarbstoff schon in Humatin u ber¬ 
ge g a n g e n und daher d ii r Ji direkte spektro¬ 
skopische Besichtigung nicht sicher n a c h - 
w e i s b a r ist. 

Die AbsnrplinnsersJiciming des Manu Jiroun.gLii> 
alkalischer Losung (I: im, Schichtdicke- 1 ein) ist i< ’gcr.dc: 

Der Schart begrenzte M.oiptMretin nnttin /w de” 

!'r a li ii h o f c r sdu n Limen D mul 1. vmi /<</ n. 7 
Der /weite, sdiwai(ii-ie lind wefiger sJiaM bi grenz te >t'e n * c- 

gmnt etwa hn /'// 53>. Seme dunkelste Partie riuht \<>u ; '*» l 

etwa 51<i. I r M.uiptM r i ik n ist audi unter u>’g mst^e n \i-' 
nissen seiner günstigen läge w egen it.di! zu er kt men. 

Im Zusammenhang mit vorstehenden l ntcrvi Jnngcn habe 
ich nun noch vergleichende Versudie über d e Ftöfm: d'.JAed 
der Spektroskop.s Ji-Jicmis Jr-ii Eisessig.tthcmk th* wie u::J 
der exakten Ansiiihruirgsfurm der < iaauikM üpr.'l'e ’) r.isgc- 
fuhrt. Dabei stellte sidi heraus, dass die Emp’mdN Jtke ;t be.der 
Proben für Harn etwa die gleiche ist. 

I >a nun die vorbereitende Bdiandkfeug des Hirns : :.r J e 
Spektroskopisdi-dieimsclie Essigs.,nrea:!iern:d!p de und lar d e 
(Jiiajakblutprobe. sowie ei.JIidi aikh inr die i-euerdnigs m -V.;:- 
nähme gekommene Benz: Jmb'utpn»he M m gäaJk-r \V e sc e r - 
frlgt, für die Ausfuhrting der genannten FarbpmKn a''er n :r 
w enige Kubikzentimeter des Aetlu rextraktes erf *r.ie r, \ll sod. 
so lässt sich die spektroskop;sdi-du m sdie Pr. dk- mit d.n 
chemischen Farbproben in beijuctnskr W e s v - \ ereei gen. 

F li r d i e j e n i g e n F a Ile. in d e n e n m a n m t t e : s 
einer anderen Methode als der mikroskopi¬ 
schen im Harn in exakter Weise auf d : e \n - 
w e s e n heit v o n B I u t I a r h s t o i f p r n t e n w i ] |. u n d 
in denen die direkte spektroskopische P r u * 

I li n g d e s u n v o r b e r e i t e t e :i 11 a r n s \ e r s a g t. e m p - 
fehle i c h daher ein kombiniertes V e r f a h reu, 
für d a s mir die kurze B e z e i c h n u n g ,.F xtrak- 
t i o n s m e t h o d e“ a n g e m essen e r s v. li e int. 1 n d e ni 
i c li b e t r e f I s der E i u z e ! h e i t e n auf die \ o r - 
steh e n de Bes c h r e i I' u n g der ,.E i m s m m t lu r - 
m e t h o d e‘* und die Literatur über die < i u tiak- 
b I u t p r o b e und B e n z i d i n b 1 u t p r«» b e zur u ck- 
verweise, skizziere ich kurz den < j a n g der 
„E x t ra k t i o n s m e t h o d e": 

..5«* ccm Marn ; ), 5 ccm I scssg. 4'* U 'ii \i* ir. >\rk 
schütteln. Wässerige Schicht en;?e r nen. Aet' i' -‘Sir g ir • 5 ut 
W asser schütteln, wassingc Scli.cltt entteruvu. i - i - : si reu D 
der Aetherlösung mit den 1 arbreakt.i'ikii p:;;k-i.‘) 

Ä ) Im Notfall genügt auch ein weiteres Reagcu/g'.is. 

") Von der urspriing.iclien. e-niacheti Au'* . •' ."gsi -r-n vier 
Guajakblutprobe ist an dieser Stcl.e abgesehen, e.i s e bekam::' wh 
l*ei Ham nicht eindeutig ist. 

Nimmt man mehr Harn, dann ist enSp'ck' c n.! Ti 1 :: bis. 
essig und Aether zu nehmen. 

“) a) (iuaiakpr.-be: Fange Kub.kzenbmi te r Vi em-sung. 3 b.s 
10 Tropfen frischer (iuaia.staiktur t/u le e teil entw eüi r .ms 
1 kleinen Messers;», tzc v.’.l «in . ; ak • .Pzpu c- u* j e n seilt kn- s- 
zentimetcr Alkohol durch Matiui :m Re.iger.-g .is u*-.i „s.arcs 
Abgiessen“ oder Af'ti.tr ie reu. oder aus ei’kai 1 1 .1 < j .. .• . - ms.mrc 
und l'.ti Teilen Alkohol» und etwa 2.' ir ::Tn \e-;:.r/:en 1 e’pcn:.;i- 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1491 


Hauptmenge der Aetherlösung unter sorgfältiger Kühlung mit 
Salmiakgeist im Ueberschuss tüchtig schütteln. Ammoniakalisohe 
(untere) Schicht nebst einem Teil der ätherischen in ein Glas ab- 
^essen lassen, Schwefelammonium zusetzen und (in möglichst dicker 
Schicht) spektroskopisch untersuchen. 

Wenig befriedigende Resultate habe ich bei der Nach¬ 
prüfung der von Lecanu [9] angegebenen „Koagulations¬ 
methode“ erhalten. Sie beruht darauf, dass bluthaltiger Harn, 
dem man eventuell noch Eiweisslösung zusetzen soll, beim 
Kochen ein gefärbtes hämatinhaltiges Koagulum liefert, dem 
man das Hämatin mit schwefelsäurehaltigem Alkohol entziehen 
und darin spektroskopisch nachweisen kann. Auch einige 
Modifikationen dieser Methode hatten kein zufriedenstellendes 
Ergebnis. 

Ueber die zum gesonderten Nachweis der einzelnen Um¬ 
wandlungsprodukte des Oxyhämoglobins dienenden spektro¬ 
skopischen Proben soll demnächst an anderer Stelle berichtet 
werden. 

Zusammenfassung. 

1. Zu den spektroskopischen Proben auf Blut im Harn 
eignen sich besonders die nachfolgenden Arten von Spektro¬ 
skopen : a) diejenigen Bunsen-Kirchhoffsehen Appa¬ 
rate, die eine geringe Dispersion, also ein schwach zerstreuen¬ 
des Prisma und ein schwaches Vergrösserungssystem haben; 
b)die mit einem dreifachen Amiciprisma ausgestatteten ge- 
radsichtigen Handspektroskope; c)das vom Verf. beschriebene 
Handspektroskop, das vermöge seiner grossen Lichtstärke 
auch zur direkten spektroskopischen Untersuchung relativ 
dunkler Harne in grösserer Schichtdicke geeignet ist. 

2. Unverändertes Oxyhämoglobin lässt sich im Harn noch 
bei einem Gehalt an Blut von 0,004 Proz. (= etwa 1 Tropfen 
auf die Tagesmenge Harn) ohne weitere Vorbehandlung durch 
direkte spektroskopische Prüfung flachweisen, wenn man den 
Ham in einer Schichtdicke von etwa 20 cm untersucht. Man 
füllt ihn z*u dem Zweck in eine Polarisationsröhre ein. 

3. Die „Tanninmethode“ eignet sich für solche Fälle, in 
denen man, abgesehen vom Spektroskop, nur über die ein¬ 
fachsten Laboratoriumshilfsmittel verfügt. Ihre Empfindlich¬ 
keitsgrenze liegt bei etwa 1:5000 = 0,02 Proz. t 

4. Die „Koagulationsmethode“ ist umständlich und bei ge¬ 
ringem Blutgehalt unsicher. 

5. Die „Zinkazetatmethode“ lässt sich dadurch verein¬ 
fachen, dass man das erforderliche Erhitzen über freier Flamme 
(bezw. Drahtnetz) ausführt. Ihre Handhabung ist ziemlich ein¬ 
fach. Bei Verarbeitung von 50—100 ccm Harn liegt ihre Emp¬ 
findlichkeitsgrenze bei etwa 1:20 000 (= 0,005 Proz. Blut). 

6. Ist der dem Harn beigemengte Blutfarbstoff nicht mehr 
in unveränderter Form vorhanden, sondern in Oestalt von 
Methämoglobin oder Hämatin, und ist deren Menge nur gering, 
so muss man, um die spektroskopische Prüfung mit Erfolg aus¬ 
führen zu können, dem Harn den Blutfarbstoff in geeigneter 
Weise entziehen. 

Dazu bedient man sich mit Vorteil der „Extraktions¬ 
methode“. Sie bietet den Vorzug, dass sie zugleich eine für 
die exakte Ausführung der Guajak- oder Benzidin probe ge¬ 
eignete Lösung des Blutfarbstoffes liefert. Die „Extraktions¬ 
methode“ erlaubt den spektroskopischen Nachweis durch das 
Hämochromogenspektrum noch bei einer Verdünnung von 
1:20 000 (= 0,005 Proz. Blut), wenn man etwa 50 ccm Harn in 
Arbeit nimmt. Durch Verwendung grösserer Mengen Harn 
lässt sich ihre Empfindlichkeit noch etwas erhöhen. 

7. Bei der Anwendung der verschiedenen spektroskopisch- 
chemischen Verfahren beachte man, dass die Absorptions¬ 


öls vom spez. Gewicht etwa 0,95, dessen Brauchbarkeit durch Kon- 
trollversuch festzustellen ist (s. Literatur). 

b) Benzidinprobe: Einige Kubikzentimeter Aetherlösung, 10 bis 
20 Tropfen Benzidineisessiglösung (frisch aus einer Messerspitze 
voll Benzidin und einigen Kubikzentimeter Eisessig durch Auflösen in 
Reagenzglas herzustellen) und 2 ccm Wasserstoffsuperoxyd (von 
3 Gewichtsprozenten); _ 

oder: Einige Kubikzentimeter Aetherlösung, 2 ccm alkoholischer 
Benzidinlösung (frisch aus 1 Teil Benzidin und etwa 15—20 Teilen 
Alkohol absohitus zu bereiten) mehrere Tropfen Eisessig und 2 ccm 
Wasserstoffsuperoxyd (von 3 Gewichtsprozenten). 


erscheinung des (durch Reduktion mit Schwefelammonium) 
aus dem Hämatin gebildeten Hämochromogen nicht beständig 
i$t. Die Absorptionsstreifen entstehen (je nach der Menge des 
vorhandenen Blutfarbstoffs schneller oder langsamer) inner¬ 
halb einiger Minuten nach Zusatz des Reduktionsmittels. Die 
über der wässrigen ammoniakalischen Flüssigkeit stehende 
Aetherschicht ist notwendig, um eine zu schnelle Reoxydation 
des gebildeten Hämochromogen durch den Sauerstoff der Luft 
zu verhindern. Zur Identifizierung des Hämochromogenspek¬ 
trum genügt der Hauptstreifen. ! 

Literatur. 

1. O. Schümm: Die Untersuchung der Fäzes auf Blut. Jena 
1906 bei Gustav Fischer. Dort Verzeichnis der älteren Literatur über 
die Guajakblutprobe — O. Sc'humm und H. Remstedt: Ueber 
den Nachweis voni Blut mit Hilfe der Paraphenylendiaminreaktion. 
Zentralbl. f. innere Medizin. 1906, No. 40. — C. E. C a r 1 s o n: Die 
Guajakblutprobe und die Ursachen der Blaufärbung der Guajak- 
tinktur. Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 48, 1906, S. 69. — O. 
Schümm: Zur Kenntnis der Guajakblutprobe und einiger ähnlicher 
Reaktionen. Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 50, 1907, S. 374. — 
O. Schümm: Zur Frage nach dem Vorkommen von Blutfarbstoff 
oder Hämatin in menschlicher Galle. Münch, med. Wochenschr. 1907, 
No. 32. — J. Rothschild: Untersuchungen über die Guajakblut¬ 
probe. Berliner klinische Wochenschrift, 1908, No. 18. — 2. O. 
Schümm: Ein neues Spektroskop. Münchener medizinische Wo¬ 
chenschrift 1907, No. 47. — O. Schümm: Blutspektroskop. Med. 
Klinik 1908, No. 15. — 3. M ü 11 e r - P o u i 11 e t: Lehrbuch der 
Physik. — 4. 1. c.: Med. Klinik. — 5. Formänek: Die qualitative 
Spektralanalyse anorganischer und organischer Körper. Berlin, 1905 
bei R. Mückenberger. — 6. Zitiert nach Späth: Chemische und 
mikroskopische Untersuchung des Harns. II. Aufl., 1903 bei J. A. 
Barth. — 7. Zitiert nach E. Schmidt: Lehrbuch der pharmaz. 
Chemie. Bei Fr. Vieweg und Sohn. Braunschweig. 1901, Bd. II, 
S. 1833. — 8. O. und R. Adler: Ueber das Verhalten gewisser 
organischer Verbindungen gegenüber Blut mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Nachweises von Blut. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 
Bd. 41, S. 59, 1904. — O. Schümm und C. Westphal: Ueber den 
Nachweis von Blutfarbstoff mit Hilfe der Adler sehen Benzidin¬ 
probe. Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 46, S. 510. — O. Schümm: 
Untersuchung der Fäzes etc. 1. c. S. 13. — E. Schlesinger und 
F. Holst: Vergleichende Untersuchungen über den Nachweis von 
Minimalblutupgen in den Fäzes nebst einer neuen Modifikation der 
Benzidinprobe. Deutsche ^med. Wochenschr. 1906, No. 36. — 

O. Schümm: Ueber den Nachweis von Blut in den Fäzes. Münch, 
med. Wochenschr. 1907, No. 6. — E. Schlesinger und F. Holst: 
Ueber den Wert der Benzidinprobe für den Nachweis von Minimal¬ 
blutungen aus den Verdauungs- und Harnorganen. Münch, med. 
Wochenschr. No. 10, 1907. — O. Schümm: Benzidin als Reagens 
auf Blutfarbstoff. Pharm. Zeitung 1907. — 9. Zitiert nach Späth: 
1. .c. S. 349. 

Ueber die Rückwirkung des Lungenemphysems auf den 
Verlauf des Asthmas. 

Von Dr. M. Saenger in Magdeburg. 

Dass das Asthma eine bleibende, mehr oder weniger er¬ 
hebliche Vergrösserung der Lungen durch Erweiterung der 
Lungenalveolen zur Folge zu haben pflegt, ist bekannt. Es 
fragt sich nun, ob und wie weit diese Folgeerscheinungen des 
Asthmas, das Lungenemphysem, ihrerseits auf den Fort¬ 
bestand und den Verlauf dieses Leidens von Einfluss ist. 

Rein theoretisch betrachtet erscheint es zunächst selbst¬ 
verständlich, dass ein solcher Einfluss nicht nur vorhanden, 
sondern auch ein sehr erheblicher sein muss. Hiermit stimmt 
auch die allgemeine Anschauung in Fachkreisen so sehr über¬ 
ein, dass vielfach Lungenemphysem schlechtweg als Bezeich¬ 
nung für Asthma gebraucht wird. 

Das Lungenemphysem bedingt eine Erschwerung der Aus¬ 
atmung. Die aus den Lungenkapillaren in die Alveolen diffun¬ 
dierende Kohlensäure kann daher nur unvollkommen entleert 
werden. Ist dies schon an sich geeignet, Atemnot hervor¬ 
zurufen, so ist dies in um so höherem Grade der Fall, je höhere 
Ansprüche an unsere Atmung gestellt werden, z. B. bei körper¬ 
licher Tätigkeit, oder je mehr unsere Atmung durch äussere 
Ursachen oder durch krankhafte Zustände behindert ist. Diese 
durch Lungenemphysem bedingte Neigung zur Kurzatmigkeit 
müsste nun allem Anschein nach um so grösser seit*, je grösser 
jenes ist. Und man müsste dementsprechend auch annehmen, 
dass das Lungenemphysem eine seiner Ausdehnung ent- 

3* 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sn. >. 


sprechende Neigung zu Asthmaanfällen, d. h. zu paroxysmalen, 
auf Erschwerung der Ausatmung beruhenden Anfällen von 
Atemnot zur Folge habe. 

Allein Theorie und Erfahrung stimmen gar manchmal nicht 
iiberein. Natürlich liegt dies an der Theorie und nicht an der 
Erfahrung. 

Wer Gelegenheit gehabt hat, eine grössere Anzahl von 
Asthmakranken zu beobachten, wird zu der Einsicht gelangt 
sein, dass Neigung zur Kurzatmigkeit, Häufig¬ 
keit und Schwere der Anfälle keineswegs in 
einem konstanten Verhältnis zur Ausdeh¬ 
nung des vorhandenen Lunten e m p h y s e m s zu 
stehen pflegen. 

In besonders prägnanter Weise ergibt sich dies aus den 
nachstehend mitgeteilten Fällen aus meiner Praxis. 

1. Ingenieur T. aus Ofen-Pest, 2U Jahre alt, seit seiner ersten 
Schulzeit asthniakrank. Die Anfälle waren sehr schwer, wenn sie 
auch zuweilen längere Zeit hindurch tortblieben. Patient hatte der 
Dauer der Krankheit entsprechend ein sehr ausgedehntes Emphysem. 
Trotzdem zeigte er in der anfallfreien Zeit keine Spur von Kurz¬ 
atmigkeit. Er konnte turnen, Rad fahren und flott tanzen. Trot/dem 
das Emphysem bei Beendigung der Behandlung — im März 19ik» — 
keine Abnahme zeigte, so sind doch seitdem, wie mir aniangs vom 
Patienten, später von seinen Angehörigen mitgeteilt wurde, die 
Asthmaanfälle in der Hauptsache verschwunden. 

Als ganz besonders für diesen Fall charakteristisch sei noch 
der Umstand erwähnt, dass der 1 m 70 cm grosse Pa¬ 
tient nach etwa e i n w ö c h e n 11 i c h e r U e b ii n g 
trotz seines so erheblichen Emphysems ohne 
allzugrosse Anstrengung 3000 bis zu dboo ccm 
Luft auf einmal a u s z u a t m e n v e r m o c h t e. 

2. Rittergutsbesitzer H. aus M. in Westpreussen. 37 Jahre alt. 
seit 27 Jahren asthmakrank. Das Emphysem war m diesem Fall 
ganz ungewöhnlich gross. So war die oberen Lebergrenze fast bis zum 
untersten Rand des Brustkorbes nach unten verschoben. Patient w ar 
ebenso wie der in der vorstehenden Krankengeschichte erwähnte 
Patient T. in der anfallsfreien Zeit vollkommen frei von jeder Kurz¬ 
atmigkeit. Auch vermochte er nach einiger llebung. obgleich nur 
w enig mehr als mittelgross, ebenfalls bei e i n e r Ausatmung 
3000—3600 ccm Luft zu entleeren. Durch die Behandlung - Fe¬ 
bruar 1907 — verschwanden die Krankheitserscheinungen in dem 
Masse, dass, während vorher alle M Tage sehr schwere Anfälle 
von mehrtägiger Dauer einzutreten pflegten, seitdem, d. h. seit 
einem Jahre nur 3 leichtere Anfälle sich eingestellt haben, die ubu- 
gens dadurch zustande kamen, dass Patient ein sehr schwer zu 
bändigendes Pferd ritt. 

Trotzdem besteht das Emphysem in unveränderter Ausdehnung 
fort. Dadurch ist Patient indes so wenig geniert, dass er jungst, 
ohne auszuruhen und in schnellem Tempo den Kölner Dom zu be¬ 
steigen vermochte. 

Im Gegensatz hierzu lehren die folgenden Kranken¬ 
geschichten, dass trotz mangelnden oder sehr geringfügigen 
Emphysems die asthmatischen Beschwerden - häufige und 
schwere Anfälle, erhebliche Kurzatmigkeit in der anfallfreien 
Zeit —- ungemein heftige sein können. 

3. Fabrikleiter B. aus Magdeburg, Jo Jahre alt, war. als er 
Anfang Dezember 1907 in meine Behandlung kam. erst seit April des¬ 
selben Jahres an Asthma erkrankt. Die Anialle waren sehr häufig 
und äusserst heftig. Patient war auch in der anfallfreien Zeit hoch¬ 
gradig kurzatmig. Eine Volumvergrosserung der Lungen war in 
sehr mässigem Umfang vorhanden. Nach etwa dreiwöchentlicher Be¬ 
handlung verschwanden die Beschwerden des Patienten vollständig. 
Als er einige Zeit später untersucht wurde, war von einer Volum- 
vergrösserung der Lungen nichts mehr nachweisbar. 

4. Frau T., TS Jahre alt, welche seit kurzem in meiner Behand¬ 
lung ist, leidet seit September 1907 an Asthma. Sie hat allnächtlich 
schwere Anfälle und leidet tagsüber an hocligi adiger Kurzatmigkeit, 
durch welche jede körperliche Tätigkeit in hohem (irade erschwert 
wird. Trotzdem ist in der relativ anfallsfreien Zeit keine Spur einer 
Lungenvcrgrösscrung nachweisbar. 

Wie im Anschluss an diese vier Fälle ausdrücklich liervor- 
gchoben werden mag, bilden dieselben keineswegs eine sel¬ 
tene Ausnahme, sondern kommen, wenn sie auch nicht immer 
von so ausgeprägter Art sind, doch wenigstens nach meiner 
Erfahrung - - verhältnismässig häufig vor. 

Dass das Lungenemphysem eine seiner Ausdehnung ent¬ 
sprechende Kurzatmigkeit, sowie eine entsprechende Neigung 
zu schweren Anfällen nicht regelmässig, ja auch nicht einmal 
besonders häufig zur Folge hat, ist zunächst durch etwas zu 
erklären, was bisher wenig beachtet worden ist, nämlich 
d ti r c h den U m s t a n d, d a s s, wie ich in einer in der 


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D. Aerzteztg. (15. Juli PXK») veröffentlichten Arbeit dargeLgt 
habe, das o b j e k t i v e und das s u b j e k t i v c L u t t - 
b e d ii r f n i s keineswegs in ein e m u n v e r a n J er¬ 
lichen S t a r k e v e r h a I t n t s zueinander st c h t n. 

Das s ti b i e k t i v e L n f t b e d u r f n i s k a n n n ü :n - 
lieh durch Umstande mancherlei Art, die te.Ls m uns. Je s 
ausser uns hegen, s o w o hi über die Nur m e r h o h t. 
als auch unter die Norm erniedrigt sein. 
kann cs de n n vurk o m men. dass der d ii r Ji Sto¬ 
rungen des respiratorischen liasw iJio’l s. 
durch k ö r p e r 1 i c Ii e A n s t r e n g u n g e n usw, be¬ 
dingte L u i t h u n g e r weit geringer a u s f a 1 1 t. 
als er sonst unter solchen U m s t a n d e :i z u sein 
pflegt. Dies ist aber, wenn wir von der Wirk-.mg v.a: ke¬ 
uscher Mittel und von der Jutch Krankheit beJ.ngten Storung 
des Empfindungsvermögens abseheii. eine Folge von tc.N i;;i- 
bew iisster, teils bew usder Gew o h n u n g. So vermag nun 
durch l ebung beim UntertanJieti die Fähigkeit zu erlangen, 
eine dem Ungeübten un-Vgre ilidi lange Zeit unter W.i^ir zu 
verweilen. So vermag ein in einer Grossst.ult hesdi. ” gter 
Briefträger unvergleichlich besser, ohne ersidrlidie Atinmo*. 
Treppen zu steigen, als derjenige, der mir w eiligem.il des 1 rge' 
zum Treppensteigen gezwungen ist. So kann s v h. .yss'.,c p. 
ähnlich wie bei der Lirigentuherk u’oee namentlich m de i 
langsam verlaufenden Fallen nuht immer c.ue dem i *rt 
schreitenden Zerstnrimgspro/ess entsprechende K urzatniigke * 
emtritt, auch bei der allmählichen Entwicklung e,ne> aus¬ 
gedehnten Lungenemphysems eine alinuh’.che Gewöhnung au 
das durch dasselbe bedingte Atmimgslimdern.s statüm Jen ). 

Neben der nervösen Anpassung an dis Lengenentpbv- 
sem müssen wir aber auJi eine m e c h ;i n i s c h e AiipiNsung 
an dasselbe amiehmeii. Sonst Ware es mdit zu v erstellen, wie 
in den oben mitgeteilten Fallen 1 und 2 trotz der ungewöhn¬ 
lichen Ausdehnung des Emphysems e ile so grosse Lutmunge 
(.Ime besondere Anstrengung bei e l u e r Ausatmung entleert 
werden konnte. Fis musste eben durdi Uibuug ob bewusst 
(»der unbewusst mag dahingestellt sein - d.e Krait der Ans* 
atmungsmuskiilatiir m dem Masse erhöht sein, dass s:e Jas 
durch da> Fmph\sem gesetzte Aiisutmuiigshinderms \«■!:- 
kommen zu uberwinden vermochte. Dies ist aber keineswegs 
als ein beispielloses \erkoimmus zu betrachten. Denn, dass die 
mailgelhatte und, soweit es sich nicht um lebenswichtige Or¬ 
gane handelt, selbst fehlende Funktion einzelner 1 e:ie unseres 
Körpers durch die gesteigerte Funktion anderer körperte ,: e 
ergänzt und ersetzt werden kann, weiss jeder Arzt und audi 
jeder gebildete Laie. 

Es versteht sich von selbst, dass durdi bew usste Ge¬ 
wöhnung. durch Ueb u ng. wie des bei der von nur emp¬ 
fohlenen Mclln de der Asthmabehundlung : ) der E.iil ist. J e 
nervöse und mechanische Anpassung an die durdi das l\mph\- 
sem und auch durch den Brondu dlkaturrh bedingte Ersdiwe- 
rung der Atmung noch sicherer und ausgiebiger erreicht wird, 
als dies durch unbewusste Gewöhnung der Fall mt. 

Die durch Uebung erzielte nervöse Anpassung wird, 
kurz ausgedrückt, dadurch erreicht, J.*ss d e Kranken allmäh¬ 
lich daran gewohnt werden, immer hdn re Grade einer w ill- 
k ii r 1 i c li herbeigefnlirten Erschwerung der A*mu:ig olme er¬ 
hebliche Kurzatmigkeit zu ertragen. Wird he'hei gew isser- 
masseii das Atmungs/entrum trainiert, so wirJ d.e mecha¬ 
nische l’eberw indiuig der durdi das Emph\se:n bewirkten 


M Es versteht s;di v.-n st Ibst, J a ss. f.Us de ! ' s du v ruti g der 
Blutbew egung im kleinen Kreis.auf durdi d.is 1 tu. nt durdi 

eine vermehrte Mer/.arbeit .mnadidiiii w o!, .nun eme <iew..iiming 
an die ungünstigen median.s,. heil •\liiim nm' .1 I" 'h zitruic hst n.cht 
viel nutzen kann. Indessen ge-mu-t it'u'i e e •.«•rnmemc K<*mpen- 
sieruug der ersdiw e rteil /1 rLui.1 1 1 • >n fwd.t. um die elurdi die be¬ 
hinderte Atmung bedingte* Kur/atm.gke t /0 d-M t gen. Im 11 m.gen 
lasst sieh Ins zum gew :ss t n \ irade aiuii e durc.”. 1 r k:a’.Mmg des 
Zirkiilatiuiisapparates bedingte Kur/.i'". o.e t d odi b \u>ei < u- 
w uliriimg — T; auiienmg — (verg'i. we :<.* irte - ’'» zirn Xesi’w ndeu 
bringen. 

•) Yergl. meine Arbeiten in der M "du n ed. \Y .domsd: r . l’*»!. 
No. S u«*d der D. Aerzte-ztg. Im Ju 1 I * 0 . s -w^e men e setzt itl 
3. Auflage bei All'. R .1 t h k c. M.ic ie ; ::g t '^c lue neue Br 'sdinrc. 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1493 


Erschwerung der Atmung durch Uebung und die dadurch her¬ 
beigeführte Kräftigung der Aus atmungsmuskulatur erreicht. 

Sehr wesentlich gefördert wird das Erreichen des hier an¬ 
gestrebten Ziels, wenn man die Kranken durch Uebung die 
rähigkeit erlangen lässt, nach Bedarf ausschliesslich oder doch 
vorwiegend unter Zuhilfenahme der abdominalen Atmungs¬ 
muskeln zu atmen. Durch eine ausschliesslich oder doch vor¬ 
wiegend abdominale Atmung wird nämlich nicht nur eine re¬ 
lative Ruhigstellung der Lungen bewirkt, es 
wird dadurch ausserdem noch — was höchst 
wichtig ist — eine ventilartige Verschlres- 
sung der kleinen Bronchien während der Aus¬ 
atmung, d. h. eine wesentliche Erschwerung 
der letzteren und damit — nach den massge¬ 
benden Autoren — auch die Entstehung einer 
akuten Lungen blähungverhütet. Dass dieses von 
sehr grossem Vorteil für die Bekämpfung und Verhütung von 
Asthmaanfällen sein muss, ist — zunächst theoretisch — klar. 
Dass solches aber auch in Wirklichkeit der Fall iist, habe ich 
durch Erfahrung in einer sehr grossen Zahl von Fällen bestätigt 
gefunden. 

Die nachteiligen Wirkungen des Lungenemphysems auf den 
Verlauf des Asthmas können also, wie im Vorstehenden dar¬ 
gelegt worden ist, teils durch die Selbsthilfe des Organismus, 
teils durch zweckentsprechende therapeutische Massnahmen 
mehr oder weniger vollkommen zum Verschwinden gebracht 
werden, was nach meinen Erfahrungen auch in sehr veralteten 
Fällen von 18, 20, 22, 27, 30 Jahren Dauer noch möglich ist. 

kn Gegensatz zu seinen Wirkungen kann das Lungen¬ 
emphysem selbst bekanntlich weder spontan noch infolge thera¬ 
peutischer Massnahmen verschwinden. Wenn trotzdem Asthma¬ 
kranke, welche infolge irgend einer Behandlung oder auch ohne 
Behandlung von ihren Beschwerden: der Kurzatmigkeit, den 
Anfällen von paroxysmaler Atemnot, dem Bronchialkatarrh be¬ 
ireit sind und für die Dauer befreit bleiben, sich für vollkommen 
geheilt halten, so haben sie recht, denn das zurückbleibende 
Lungenemphysem ist doch sozusagen nur ein verborgener 
Schönheitsfehler, wie etwa eine schiefstehende Nasenscheide¬ 
wand bei vollkommener Durchgängigkeit der Nasenhöhlen. 

Was dürfen wir von der heutigen Skoliosenbehandlung 
erwarten?*) 

Von Dr. Karl Wahl in München. 

M. H.! Wenn wir die ausgedehnte Literatur betrachten, 
die sich mit der Skoliosenfrage beschäftigt, so finden wir ver¬ 
hältnismässig spärliche detaillierte Angaben über die Resultate 
der Behandlung. 

Und doch ist dieser Teil der Frage sowohl für den Patien¬ 
ten, wie den Arzt von grösster Wichtigkeit. 

Erlauben Sie mir deshalb, dass ich Ihnen über die Er¬ 
fahrungen berichte, die ich mit der Skoliosenbehandlung in den 
5 letzten Jahren gemacht habe. 

Es handelt sich im ganzen um 321 Fälle, die ich selbst 
untersucht und deren Behandlung ich selbst geleitet habe. Von 
diesen 321 Skoliosen waren die grössere Hälfte fixierte, die 
kleinere bewegliche Skoliosen. 

Was die Behandlung der Skoliosen anbelangt, so muss es 
als ein grosser Fortschritt angesehen werden, dass heute 
wenigstens über die Qrundzüge unter den ärztlichen Ortho¬ 
päden annähernde Uebereinstimmung der Meinungen herrscht; 
massgebend für die Therapie und den Erfolg der Behandlung 
ist die Beweglichkeit oder die Versteifung der skoliotischen 
Wirbelsäule. 

Die Behandlungsresultate bei der beweglichen Wirbelsäule 
sind durchgehends sehr erfreuliche. Hat man es mit nur eini- 
germassen vernünftigen und gewissenhaften Patienten zu tun, 
so darf man nach meinen Erfahrungen bei dieser Form der Sko¬ 
liose mit Sicherheit auf eine vollkommene Heilung rechnen. 

Die dazu nötige Zeitdauer ist allerdings sehr verschieden. 
Nach meinen Aufzeichnungen schwankt die Behandlungsdauer 
bei beweglicher Skoliose in meiner Anstalt zwischen 3 Monaten 

*) Vortrag, gehalten im Aerztl. Verein München. 


und 2 Jahren. Unter 2—3 Monaten darf man sich selbst bei 
leichten Fällen einen Erfolg nicht versprechen und nicht selten 
zeigen anscheinend leichte Fälle im Laufe der Behandlung eine 
unerwartete Hartnäckigkeit. 

Selbstverständlich spielt bei der Behandlung neben ande¬ 
ren Faktoren der grössere oder geringere Eifer der Patienten 
eine giosse Rolle; gerade bei den leichten Fällen ist es oft 
schwer, die meist iugendlichen Patienten, aber auch deren 
Eltern vom Ernst der Situation zu überzeugen. 

W»e bei der Skoliosenbehandlung überhaupt, so bildet 
heute insbesondere bei der beweglichen Skoliose die ortho¬ 
pädische Gymnastik den Angelpunkt der Therapie. 

Die orthopädische Gymnastik hat aber eine wesentliche 
Modifikation erfahren: sie ist intensiver und lokalisierter ge¬ 
worden. Man hat erkannt, dass die Gymnastik nicht in homöo¬ 
pathischen Dosen verordnet werden darf, sondern dass sie 
möglichst intensiv betrieben werden muss, nicht nur täglich, 
sondern sogar mehrmals im Tage. 

Diese Erkenntnis hat ferner dazu geführt, dass man daran 
ging, neben den meist vorzüglichen, aber kostspieligen Appa¬ 
raten in den orthopädischen Instituten einfache Turngeräte zu 
konstruieren, die den Patienten mit nach Hause gegeben wer¬ 
den können und an denen diese zu Hause die erlernten 
Uebungen fortsetzen können. 

Die beliebtesten Hausturngeräte, Trapez und Ringe, eignen 
sich nur in seltenen Fällen für diesen Zweck. Eine unerlässliche 
Forderung, die man an ein modernes orthopädisches Haus- 
.turngerät stellen muss, ist namentlich die Möglichkeit, auf ein¬ 
zelne Segmente der Wirbelsäule und des Rumpfes speziell ein¬ 
wirken, andere dagegen ausschalten zu können. Die Verord¬ 
nung entsprechender Gymnastikrezepte ist namentlich bei kom¬ 
binierter Skoliose oft recht schwer und erfordert viel Er¬ 
fahrung. 

Bei der Konstruktion moderner orthopädischer Hausturn¬ 
geräte ist der technischen Geschicklichkeit des Arztes ein 
grosser Spielraum gegeben. Eine grössere Anzahl derartiger 
Turngeräte ist in der Abhandlung von Prof. F.Lange über die 
Behandlung der habituellen Skoliose beschrieben und ab¬ 
gebildet . 

Ich selbst verwende für diesen Zweck einen kombinierten 
Apparat, bei dem der Widerstand durch kräftige Gummikabel 
gegeben ist, und der wegen des Fehlens von Gewichten leicht 
zu transportieren und überall anzubringen ist. 

Mit dieser Art orthopädischer Gymnastik, unterstützt durch 
Massage, gelangte ich in den meisten Fällen von beweglicher 
Skoliose zum Ziele. 

Nur bei einzelnen ganz besonders hartnäckigen Formen, 
war ich gezwungen, ausserdem noch andere Heilmittel, wie 
Lagerungsvorriohtungen und Stützapparate zu Hilfe zu nehmen. 

Von dem Bilde, welches die Behandlung und deren Resul¬ 
tate bei der beweglichen Skoliose gibt, unterscheidet sich das 
bei der fixierten Skoliose in vielen Punkten. Bei der fixierten 
Skoliose modifizierte ich im Laufe der Jahre meine Behand¬ 
lungsart einige Male. 

Angeregt durch die bestechenden, fast augenblicklichen 
Besserungen, wie sie durch das forcierte Redressement mit 
nachfolgendem Dauergipsverband erzielt werden können, 
wandte ich mich zuerst dieser Behandlungsform zu. Ich bin 
aber sehr bald zu der Ueberzeugung gelangt, dass die Nach¬ 
teile der langen Immobilisierung der Wirbelsäule für die 
Rückenmuskulatur grösser sind, als der Nutzen des Redresse¬ 
ments der Wirbelsäule. Die anatomischen und funktionellen 
Eigenschaften der Wirbelsäule sind eben doch grundverschie¬ 
den von denen einer Extremität. 

Ich ging deshalb sehr bald dazu über, die adressierenden 
Gipsverbände immer nur eine Nacht liegen zu lassen, sie am 
Morgen wieder abzunehmen und tagsüber ausgiebig turnen zu 
lassen. 

Leider konnte ich diese Methode, von der ich mir heute 
noch sehr viel verspreche, nicht lange durchführen, da sie für 
die Patienten zu grosse Kosten und für mich eine nicht zu be¬ 
wältigende Arbeitslast mit sich brachte. 


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1494 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2S. 


Mein Streben ging deshalb dahin, ein Reklinationsbett zu 
bauen, mit dem man eine ähnlich stark redressierende Wir¬ 
kung ausüben könnte, wie mit dem üipsverband. 

M. H.! Ich erlaube mir, Ihnen ein Reklinationsbett hier zu 
zeigen, wie ich es seit mehreren Jahren bei allen fixierten Sko¬ 
liosen verwende. 



Eig. 1. 


Wie Eig. 1 zeigt, besteht dieses Reklinationsbett aus einem 
gepolsterten Brett mit eingebauten Schiebern. In dem abgebildetcn 
Falle handelte cs sich um eine S förmige Skoliose, thorakal nach 
rechts, lumbal nach links. Das seitliche Redressement wird durch 
2 federnde Schieber a und b bewirkt. Vermittels kräftiger l edern c 
lässt sich der seitliche Druck bis auf 5U kg steigern. Die Detor- 
quierung der Wirbelsäule wird dadurch erreicht, dass die Polsterung 
unter der eingesunkenen Rückenhälfte ausgespart ist. Auf diese 
Weise wird erreicht, dass die ganze Körperlast auf den Rippenbuckel 
drückt, während die eingesunkene Thoraxhälfte frei in der Luft 
schwebt und das Bestreben hat, eine Dehnung nach rückwärts in 
den ungepolstertcn Teil des Bettes auszuführen'). Eig. 2 zeigt die 
genaue Kopie des Röntgenbildes derselben Patientin a in gewöhn¬ 
licher liegender Stellung, b im Reklinationsbett. \\ le die Zeichnung 
erkennen lässt, ist sowohl das seitliche Redressement, als auch die 
Detorquierung eine ausgezeichnete. 

In diesem Reklinationsbett verbringen die Patienten die 
ganze Nacht. Sie gewöhnen sich meist sehr bald daran und 
viele davon erklärten mir schon, ohne das Reklinationsbett gar 
nicht mehr schlafen zu können. 

Auf den Gebrauch derartiger Reklinationsbetten lege ich 
bei der Behandlung der fixierten Skoliose grossen Wert. Ganz 
unersetzlich sind sie namentlich für Patienten, denen der Beruf 
tagsüber keine Zeit für Anwendung anderer Heilfaktoren lässt. 
Das vorliegende Reklinationsbett lässt sich ohne fremde Hilfe 
an und ablegen, ist ausgiebig verstellbar und seine Anschaf¬ 
fungskosten sind gering. 

Selbstverständlich kommen bei der fixierten Skoliose auch 
noch die Heilmittel zur Anwendung, wie ich sic bei der bew eg¬ 
lichen Skoliose erwähnt habe. 

Ausserdem bediene ich mich bei der Behandlung der 
fixierten Skoliose noch eines ganz besonders kräftig adres¬ 
sierenden Turngerätes, das ich den Patienten ebenfalls mit 
nach Hause gebe. Wie Eig. 3 zeigt, bestellt dasselbe aus einer 
seitlich angebrachten Glisson sehen Schwebe und einer 
am Scheitel der Abbiegung der Wirbelsäule seitlich angreifen¬ 
den Gabel. Fig. 3 stellt die Anwendungw eise des Gerätes bei 
einer Totalskoliose nach rechts dar. Bei S-förmiger Skoliose 
ändert sich die Arnvcndungswcise etwas, wie ich ebenfalls 
an anderer Stelle eingehender schildern werde. Auch bei Be¬ 
nützung dieses Gerätes ist der Patient von fremder Hilfe un¬ 
abhängig. Das sehr kräftige Redressement wird durch die 
Schw ere des eigenen Körpers bew irkt. 

Bei sehr starken fixierten Skoliosen wende ich ausserdem 
noch leichte orthopädische Stoffkorsette mit Verstärkungs- 

*) Die genaue Beschreibung des Reklinationsbettes erfolgt in der 
Zeitsclir. für orthopäd. Chirurgie. 


schienen an. Wenn ich mir auch von der adressierenden Wir¬ 
kung der an den orthopädischen Korsetten in der besten Absicht 
meist angebrachten Gurte so gut wie nichts verspreche, so 



Eig. JL 


j kommt doch dem Korsett selbst eine zentrierende Wirkung 
! auf die exzentrisch gelegenen Partien des Rumpfes, ähnlich der 
Wirkung einer Röhre, zu. Dass die redressierende Wirkung, 
namentlich auf den Lenden- und unteren Brustteil der W irbel- 
säule, durchaus nicht zu verachten ist, beweist Eig. 4 a und b. 



Eig. 4 a. Eig. 4 b. 

die dieselbe Wirbelsäule ohne und mit Korsett darsteüt. Das 
Gewicht des von mir verwendeten orthopädischen Korsettes 
beträgt durchschnittlich nur 250 g. 

M. H.l Nachdem ich Ihnen einen t’eberblkk über das 
Rüstzeug gegeben, w ie ich es bei der Behandlung der fixierten 
Skoliose gebrauche, erübrigt mir noch. Ihnen nähere Angaben 
über die Resultate meiner Behandlung zu machen. 

Wenn sich auch die Behandlungsresultate bei der fixierten 
Skoliose mit denen bei der beweglichen nicht vergleichen lassen 
- es ist mir bisher in keinem Falle von fixierter bkoliose ge¬ 
lungen, eine vollkommene Heilung zu erzielen — so sind doch 
die Besserungen, die ich auch bei der Behandlung der fixierten 
Skoliose erzielte, recht beachtenswert. 

Ich möchte hier nur einige Beispiele anfuhren: Bei einem 
1 13 jährigen Knaben J. H. ging d:e Hohe des Biegungsscheitels 
' im Laufe von 2 Jahren von 3.3 cm auf 1> cm zuriwk; bei 
einem M jährigen Präparandenschuler S. im Laufe eines Jahres 
von 5,3 cm auf 3.« cm; bei einem b jährigen MaJJicn im Laufe 
eines Jahres von 1.9 cm auf 0.f» cm; bei einem löchrigen 
Mädchen im Laufe von 4 Monaten von 1> cm auf o.s cm. 

Grössere oder geringere Besserungen lassen sich auch bei 
der fixierten Skoliose bei entsprechend langer Behandlungs- 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1495 


dauer mit ziemlicher Sicherheit erzielen. Ich bin auch über¬ 
zeugt, dass die oben herausgegriffenen Resultate noch weiter 
verbessert und verallgemeinert werden können. 

Ein starker Hemmschuh für die moderne Skoliosenbehand¬ 
lung sind die geringe Ausdauer und die Vorurteile des grossen 
Publikums, namentlich in bezug auf die einseitige Wert¬ 
schätzung des orthopädischen Korsettes. Immerhin beginnt 
sich auch hierin schon ein Umschwung in den festgewurzelten 
Anschauungen des Publikums zu vollziehen. 

Gewiss lassen die Erfolge bei der Behandlung der fixierten 
Skoliose noch manches zu wünschen übrig; aber auch die Sko¬ 
liosentherapie hat ganz bedeutende Forschritte gemacht und es 
ist nicht mehr ganz am Platze, sie als Stieftochter der Ortho¬ 
pädie zu bezeichnen. 


Aus der medizinischen Poliklinik zu Marburg. 

Ueber Mentholvergiftung des Menschen. 

Von Prof. A. Schwenkenbecher. 

Vergiftungen des Menschen mit Menthol sind nicht be¬ 
kannt. Wenigstens habe ich weder in den neueren Lehr- und 
Handbüchern der Toxikologie und Pharmakologie, noch sonst¬ 
wo, eine einschlägige Beobachtung auffinden können. 

An Tieren, Kaltblütern und Kaninchen, hat man die Wir¬ 
kung des Menthols studiert: Bei Fröschen wirkt es lähmend 
auf Grosshirn und Willkürbewegungen; 1 ) Kaulquappen werden 
in einer wässerigen Lösung von 1:60 000 langsam, aber noch 
vollständig narkotisiert. a ) Auch beim Warmblüter tritt bei 
höheren Gaben Narkose ein. Zuerst wird der Gang unsicher, 
die Sensibilität nimmt ab; vollständige motorische und sen¬ 
sible Lähmung schliessen sich an. Die Reflexe erlöschen. Bei 
kleineren Mentholmengen werden Erregungszustände, aber 
keine Krämpfe beobachtet. Herz und Gefässe bleiben sehr 
lange intakt. 

Die Minimaldosen, welche bei Kaninchen die erste Wir¬ 
kung erkennen lassen, sind schon recht gross. 10 g Menthol 
verursachen nach den Angaben Lindemanns 3 ) noch keine 
Erscheinung, erst 15 g erzeugen leichte Lähmung, 20 g töten 
das Tier. In den Versuchen Pellacanis*) starb dagegen 
ein Kaninchen bereits nach 4 g per os. Die Gesamtzahl der 
hierüber angestellten Experimente ist wohl kaum genügend- 
gross. 

Einem Zufall verdanke ich die Erfahrung, dass Menthol auch in 
nicht sehr grossen Dosen bei einzelnen Menschen leichte Vergiftungs¬ 
erscheinungen hervorzurufen vermag: Ich beabsichtigte aus hier 
nicht zu erörternden Gründen, an zwei Kollegen und mir eine sog. 
„Oelkur“ auszuführen, wie sie bei Cholelithiasis besonders von Kur¬ 
pfuschern vielfach vorgenommen wird 5 ). Zu diesem Zwecke wählte 
ich folgende von Ebstein 6 ) mitgeteilte Mischung: „Rp. Ol. olivar. 
200 ,0, Menthol 10,5, Kognak 30,0, Vitell. ovi II. MDS. Umschütteln 
und nach demselben binnen 1—3 und mehr Stunden in 4—8 Portionen 
zu verbrauchen." 

Eines Vormittags nahm ich zwischen 10 und 12 Uhr vier Fünftel 
dieser Arznei, mithin ca. 8 g Menthol. Die beiden anderen Herren 
tranken etwas mehr, sie führten etwa 9 g Menthol in der gleichen 
Zeit ein. Schon während der mit starkem Widerwillen schluck¬ 
weise erfolgten Einnahme trat lebhaft brennende Kälte in Mund 
und Rachen auf, die bei jedem Ruktus sich in gesteigertem Grade 
wiederholte. Dies Brenngefühl reichte nur bis in den Oesophagus 
herab; in der Magengegend und auch sonst war im Leib Kälte nicht 
zu spüren, erst viel später bei Entleerung der mentholhaltigen Fäzes 
wurde wieder in der Analgegend die charakteristische „brennende 
Kälte" wahrgenommen. Diese Beobachtung stimmt aufs beste mit 
der Tatsache überein, dass Magen- und Darmschleimhaut keine 
Kältenerven enthalten 7 ). 


*) Kunkel: Handbuch der Toxikologie, II. Hälfte, Jena, Fischer, 
1901, S. 959. 

*) Overton: Studien über die Narkose. Jena, Fischer, 1901, 
S. 140. 

a ) Lindemann: Ueber die Wirkungen des Oleum Pulegii. 
Archiv f. exp. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 42, 1899, S. 374. 

*) P e 11 a c a n i: Zur Pharmakologie der Kamphergruppe. Arch. 
f. exp. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 17, 1883, S. 377. 

9 ) Kehr: Die interne und chirurgische Behandlung der Gallen¬ 
steinkrankheit. Vortrag. München, J. F. Lehmann, 1906, S. 83. 

•) Ebstein: Erkrankungen der Leber etc. In Ebstein-Schwal- 
bes Handb. d. prakt. Medizin, Stuttgart, Enke, 1905, II. Auflage, 
II. Band. S. 455. 

7 ) E. H. Weber zit. nach v. Frey: Vorlesungen über Phy¬ 
siologie. Berlin, Springer, 1904, S. 310. 


Bald nach Einfuhr der Mixtur hatte ich auch auf der Nasen¬ 
schleimhaut die „Mentholempfindung". Es war mir, als ob die Nase 
weiter geworden wäre, und die eingeatmete und durchgehauchte Luft 
erschien mir sehr kühl. 

Als ich 1 2Vz Uhr, da es mir im leichten Grade übel war, einen 
Schluck Wein trank, hatte ich im Mund und Rachen die Empfindung, 
als ob das Getränk ganz intensiv gekühlt wäre, obwohl dies nicht der 
Fall war. Etwas später wurde heisser Kaffee genossen, der mir als 
lauwarm erschien. 

Bis gegen V /2 Uhr hatte sich bei mir langsam ein Zustand ent¬ 
wickelt, der mit einem leichten Rausch die grösste Aehnlichkeit hatte. 
Der Kopf war eingenommen, ich fühlte mich müde. Gleichzeitig 
machten sich ganz sonderbare Parästhesien in der ganzen Haut¬ 
oberfläche bemerkbar, namentlich in den Händen und Füssen, die ich 
sofort als die „Mentholempfindung“ erkannte. Dabei verursachte 
jeder mit der Hand berührte Gegenstand, wie die Serviette, ein Stück 
Brot etc., eine ganz intensive Kältempfindung; es war als ob alles auf 
Eis gelegen habe. Dieses Kältegefühl wurde immer unangenehmer, 
obwohl mir die Blutfülle der Haut nicht verändert vorkam, und 
Gänsehaut sicher nicht bestand. 

Als ich mich zu Bett legte, verschwanden die Parästhesien und 
ebenso die Rauscherscheinungen nach Verlauf von etwa 20—30 Minu¬ 
ten. Nach einigen Stunden fühlte ich mich wieder vollkommen wohl. 
Das kratzende Kältegefühl im Halse verschwand jedoch erst nach 
20 Stunden; die Nasenschleimhaut verspürte auch dann noch Kühle. 
(Wahrscheinlich enthielt die Exspirationsluft noch Menthol.) Der 
Urin roch 3 Tage lang deutlich nach Pfefferminz. Er sah normal 
aus; eine chemische Untersuchung wurde nicht vorgenommen. Bei 
den ersten Miktionen bestand leichtes Brennen. 

Von den beschriebenen Rauscherscheinungen und Parästhesien 
beobachteten meine Versuchsgefährten an sich selber nichts. Beide 
hatten den Nachmittag über nur leichtes Uebelsein, an dem wohl 
ebenso das genossene Oel wie das Menthol die Schuld trug. Sie 
wurden dadurch nicht wesentlich belästigt. Der eine von ihnen 
musste 18 Stunden nach Aufnahme der Arznei einmal stark er¬ 
brechen. Das Erbrochene enthielt keine Reste des eingenommenen 
Medikamentes mehr. 

Meines Erachtens bietet die mitgeteilte leichte Menthol¬ 
intoxikation auch ein gewisses Interesse für den Sinnes¬ 
physiologen. Bekanntlich erregt der in Rede stehende che¬ 
mische Körper bei äusserlicher Anwendung vorwiegend die 
Kälte empfindenden Nerven. Wie aus unserem Experimente 
ersichtlich, geschieht diese selektive Reizung auch vom Blute 
aus, nach Einfuhr der Substanz in den Verdauungskanal. Die 
Kältenerven der gesamten Haut und der Schleimhaut von 
Mund, Rachen, Nase geraten in einen Zustand gesteigerter Er¬ 
regbarkeit, so dass jeder neu hinzutretende geringe Kältereiz 
sehr intensiv empfunden wird. 

Die Beobachtung, dass ein heisses Getränk im Mund und 
RacTien nur als warm imponierte, ist wohl nicht ganz leicht 
erklärbar: Bei Hitzereizen werden, wie wir wissen, Kälte- 
und Wärmepunkte gleichzeitig erregt, und nach unserer heu¬ 
tigen Anschauung gibt gerade die gemeinsame Erregung beider 
Nervengruppen die als „heiss“ charakterisierte Empfindung. 
Vielleicht wirkt also Menthol auf die Enden der Kältenerven 
derartig ein, dass diese bei höheren Temperaturen nicht mehr 
ansprechen »während sie für niedrige Temperaturen abnorm 
stark empfindlich werden. Oder man könnte auch dem Men¬ 
thol einen lähmenden Einfluss auf die Wärmeenden zu¬ 
schreiben, wie ja infolge dieses Medikaments auch die 
Schmerzempfindlichkeit sinkt. Daneben kommt vielleicht noch 
eine veränderte Durchblutung d$r Haut zur Geltung, wie sie 
von Binz 8 ) beobachtet worden ist. 

Nach kräftiger Einreibung einer Hautstelle meines linken 
Unterarms mit 3proz. Mentholspiritus konnte ich das oben 
beschriebene Verhalten gegenüber Hitzereizen nicht be¬ 
stätigen: Ein mit heissem Wasser gefülltes Reagenzglas rief 
ganz die gleiche Empfindung an der eingeriebenen Stelle her¬ 
vor, wie an einer anderen nicht vorbehandelten Hautpartie. 
Wahrscheinlich bedingt also die verschiedene Applikations¬ 
weise gewisse, wohl nur quantitative Unterschiede in der 
Mentholwirkung. 

Ueber den Einfluss der Linimenta auf die Hautnerven 
wissen wir noch relativ sehr wenig. Man hat in den letzten 
Jahren unter dem Eindruck der glänzenden Bier sehen For¬ 
schungen die Veränderungen des Blutstroms und der Gefässe 
häufig etwas zu sehr in den Vordergrund geschoben und dabei 
fast übersehen, dass bei der epidermatischen Behandlung noch 
andere wesentliche Faktoren mit im Spiele sind. So ist z. B 


8 ) Binz: Ueber einige Wirkungen ätherischer Oele. Arch. r. 
exp. Pathol. u. Pharmakologie. Bd. V, 1876, S. 109. 


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1496 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2 *. 


bei Einreibung oder Umschlägen mit Alkohol von der grössten 
Bedeutung die Tatsache, dass Alkohol von der intakten Haut 
absorbiert wird, in die Zellen der Haut cindringt; 9 ) ferner 
kommt in Betracht sein Einfluss auf die peripheren Sinnes¬ 
nerven, speziell die Wärmepunkte, und drittens erst seine üe- 
fässwirkung. 

Diese Verhältnisse sind sicherlich sehr viel komplizierter 
als gewöhnlich angenommen wird und bedürfen noch ein¬ 
gehender Studien. 

Nach der hier wieder gegebenen Erfahrung dürfte es wohl 
angezeigt sein, bei der innerlichen Darreichung des im All¬ 
gemeinen recht harmlosen Menthols doch nicht zu grosse 
Dosen (10 g) zu wählen. Zur Geschmacksverbesserung der 
oben angegebenen, in jedem Falle abscheulich schmeckenden 
Oelmixtur dürften z. B. 2 g Menthol vollständig genügen. Die 
individuelle Empfindlichkeit gegenüber der besprochenen Sub¬ 
stanz ist anscheinend recht beträchtlichen Schwankungen 
unterworfen, wie das auch für das Thymol 10 ) und im Allge¬ 
meinen ja für sämtliche Narkotika gilt. 


Aus dem Sanatorium für innere und Nervenkrankheiten 
Schloss Hornegg a. N. 

Milchtage bei Entfettungskuren. 

Von Dr. med. L. R o e m h e 1 d. 

Aus der Lenhartz sehen Abteilung des Eppcndorfer 
Krankenhauses hat vor Kurzem Jacob (Münch, med. Wo¬ 
chenschrift, No. 16, 17, 1908) über die günstigen Resultate be¬ 
richtet, die dort mit der Karellkur in Fällen von schweren 
Zirkulationsstörungen erzielt worden sind. 

Das Wesentliche der Kur besteht darin, dass der Patient 
bei absoluter Bettruhe viermal im Tag je 200 g Milch erhält, 
so dass das Herz bei dieser Entlastungs- und Schonungskur 
nur ein Mindestmass von Arbeit zu leisten hat. Gewöhnlich, 
d. h. wenn das Herz noch genügend Reservekraft hat, kommt 
es dabei zu einermächtigen Diurese, zu Gewichtsabnahme und 
zu langsamem Ansteigen der Herzkraft. 

Lenhartz wendet diese Kur auch in Fällen von Ueber- 
ernährung an zur Einleitung und Unterstützung einer Ent¬ 
fettungskur. 

Ohne die Karelische Kur dem Namen nach zu kennen, 
habe ich bereits seit 3 Jahren in meiner An¬ 
stalteinähnliches Verfahren bei zahlreichen 
Entfettungskuren zur Anwendung gebracht 
und im vorigen Jahr im Württembergischcn medizinischen 
Korrespondenzblatt kurz auf diese Methode hingewiesen. 

Jeder, der sich viel mit Entfettungskuren beschäftigt hat, 
weiss, wie schwer es in manchen, besonders refraktären Fällen 
ist, selbst durch hochgradige Unterernährung unter sacli- 
gemässer Schonung des Ei Weissbestandes eine Gewichts¬ 
abnahme zu erzielen. Oft gelingt es weder durch mittlere Re¬ 
duktion (bis zu */» der gewohnten Kost bezw. der nötigen Ka¬ 
lorienmenge).noch durch starke Reduktion auf unter gleich¬ 
zeitiger Zuhilfenahme von Trinkkur oder physikalischen Heil¬ 
methoden die erwünschte Abnahme zu erreichen. Die Diu¬ 
rese bleibt trotz genügender Flüssigkeitszufuhr — extreme 
Durstkuren wendet wohl niemand mehr zur Entfettung an — 
gering, selbst Herztonika und Diuretika versagen, ohne dass 
es zu eigentlichem Oedem kommt. In solchen Fällen haben 
wir nun seit 3 Jahren, und zwar s o w o hl z u r E i n 1 e i t u n g 
der Kur, wie es Jacob empfiehlt, als auch w ä h r e n d 
der ganzen Entfettungskur jede Woche 1 bis 
2 Milchtage verordnet. Bei völliger Ruhe, meistens 
sogar bei Bettruhe, erhalten die Patienten an diesen 'l agen 
1000 ccm Milch, dazu höchstens etwas Obst. Schon ältere 
Autoren, L i c b e r m e i s t e r, T a r n i e r (zit. nach S t r a s - 
s e r, Physikalische Therapie der Fettsucht, W6, p. 41) haben 
ähnliche Kuren empfohlen. Milch wirkt in solchen Fällen ent¬ 
fettend, einmal alsUnterernährung, sodann aber auch als Diureti¬ 
kum infolge des geringen Na-Cl-Gchaltcs. Dazu kommt die 


ö ) Schwenken hoch er: Das Absorptionsvermögen der Haut. 
Habilitationsschrift, Tübingen. 1904, S. 10—12, 

10 ) E. ßaelz: Ueber Salizylsäure und Thymol. Arcli. d. Heil¬ 
kunde, 17. Jahrgg., 1876, S. 379. 


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Entlastung des Herzens durch den Fortfall der Bewegung. I > e 
Urinmenge nach einem solchen M.Lhtag betragt oft das zw ci- 
und dreifache der eingeführten MiLlmienge. 

Besonders bewährt hat sich uns diese Mcdmde: 

1. in Fällen von Fettleibigkeit. d:e mit Zirkulations¬ 
störungen einhergellen. Hier durfte muh dem Vorgang \ tm 
Lenhartz die K a r e I I sJic Kur besonders zur E i n - 

1 e i t u n g der Entfettung, manchmal mit glcah/cit.ge r 
Digitülismedikatinn. geeignet sein: aber muh für die weitere 
Kur empfehlen wir regelmässige Milchtage. 

2. d a n n. w e n n e s n a c h a n f ä n g ! u h c r regel¬ 

rechter (i e w i c h t s r e d u k t i o n bei ei c h g e m a s - 
scr E n t f e 11 u n g s d i ä t p 1 o t z 1 i c h zu einem Still¬ 
stand in der Ab n a h m e k o m m t. I >;e*es \ erjagen K: 
gleiclihleibender Kost erlebt man bekanntlich nuht selten. 
Erst neuerdings bat Boas (Archiv f. \ crJammgsk mmkIi.. 
Bd. XIV, 2) auf diese Falle hingewiesen und empfohlen, ähnlich 
wie es Naunyn zur Unterdrückung der bei strenger Di.it 
noch Testierenden Glykosune geraten hat. eine 24 stund.ge 
Hungerpermdc em/usjialten. Achnluh wie der B o a s s Jr- 
Karenztag fiir Fettleibige, die muh kurzem günstigen Anlauf 
plötzlich stellen bleiben, muh dem Mungertag aber wieder 
regelrecht abnehmen, wirken unsere Milchtage. de ja a:uh 
Karenztage sind, von denen wir in der Rege! nullt mehr a’s 

2 in der Woche, und zwar gew - .hufuli direkt hintere, nar.de r 

geben. 

3. Eine besondere Indikation zur A n w e n - 

düng der Milchtage sc h eint mir g e g e h e n z u 
s e i n, w e n n es s i c h dar u m h a n d e 1 t. das d u r c li 

e i n e E n t f e t t u n g s k u r erzielt c R e s u 1 t a t zu er¬ 

halten. Man denke nur daran, wie sJiwer es tats.uhluh 
fiir die meisten zu Fettsucht lie genden MeiisJun ist, ausser¬ 
halb einer geregelten Kur hmsuhtl.Ji der k<>st und Bewegung 
so zu leben, ÜU'S das Gewühl konstant hiebt. Ihiuh k<»n- 
sequente Einschiebung von Milchtagen ist es suchen Pat.etilen 
möglich gemacht, Jahre lang auf ihrem (iewuht s\!ieii zu 
bleiben, selbst wenn sie in der Zwischenzeit kleine d atet sjie 
Exzesse begeben. Ich \ erlüge über eine Re.he von Pmb.uh- 
tungen, nach denen Patientinnen, de früher i.ihrluh e.ue 
Marienhader Kur notig hatten und immer wieder mit Herz- 
insuffi/ieuz kämpften, suh jetzt aber durch w.uheutlube Ein¬ 
schiebung von Milchtagen auf ihrem Ncriiialgewnht erhaben 
konnten. 

Gerade für Fettleibige, deren Herz zu sekundärer Herz¬ 
schwäche neigt, ferner aber aiuh für fettlmbge Guhtkr.mke 
und Nephritiker durfte sich unsere Methode empühlen. li.b: 
man an den iibrigen Tagen gelingend EieisJi. (iemuse. Sa'ate. 
so ist die Gefahr der Eiw eissunterernahrurg be/w. der ge¬ 
ringen Eiseu/utuhr wohl iiiJk ernstluh zu furchten. 

In Fällen, in denen die Milch nullt vertragen wurde, habe t 
wir sie vielfach mit Kalkwasser \erdumit gtgiben. ieult%li da¬ 
bei darauf geachtet, dass d e gesamte Flässigke.ts/up.!ir an 
diesem Jag lono bis höchstens IJ ni c um nullt ubeuu gl. 

H o r n c g g, 7. \ I. os. 


Hochgradige Narbenkontraktur sämtlicher Finger der 
rechten Hand in Beugestellung. 

Von Geheimen Sanitätsrat Dr. R c i s m a n u in Haufe. 

Am 1. Mai wurde die P> .dinge l’.iüi'ni H. H’ in das 

hiesige evangelische Krankenhaus auigui-■rinnen. ikmi ffD te H.md 
eine hochgradige NarbenD .nt: aktur darb-U. s*. dass vr: ! .Die l:"ar 
mit Ausnahme des Daumens eine sn starke Dt iualir ziigun. 
dass die Pulpa der langer last aui dir P.t m.i: 1 .ul.e »U r Hand s.Ji 
emdruekten Ins /ur Pahmer /iialtigkcit. Nur dm k< "e I irar lass 
sieh etwas al die heil, so dass man die Virla::.* ue fv iv r ui d'f.t* ein¬ 
zelnen lungergliedern sehen Dumte, die tdiuan I • aa r e'sDe’ari 
wie eingemauert in den Nar betr/ugi n. Die Hand war \* ..M.tüd.g 
imhrauehbar. 

Diese Narbenk<>ntraktur war entstanden aus ei’a-r i.laumi \i r - 
hremiimg. die suh die H. Hl d.ivimJi zngi/ umt hatte. da^s s e mit 
der Hand Hilter die Pl.ittwal/e geraten war. n isrne P auk 
bis fast zur Rotglut erint/t war. Durch usöns \ iss haben vier 
Maschine gelang es ihr, die Hand aus ch r W a e zu Kfca u. aber 
die ganzen inneren I iiulaii dir lunar hs m die H*-b 'taml I Pein 
w aren unter Xin luklassung \ ■ .n l p: am is .tut der la ^hii P.atte arg 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1497 


verbrannt Die ärztliche Hilfe bestand lediglich in Anwendung von 
Salbenverbänden, die das Mädchen grösstenteils auch selbst besorgte. 
Die Finger blieben dabei wegen der Schmerzhaftigkeit monatelang, 
da die Heilung nur sehr langsam vonstatten ging, in gebeugter Stel¬ 
lung. So bildete sich eine Kontraktur sämtlicher Finger, die dann 
durch die Narbenkontraktur allmählich den geschilderten Grad er¬ 
reichte und das Mädchen vollständig arbeitsunfähig machte. 

Es waren mir früher wohl Fälle von Handflächen und Finger¬ 
verbrennungen vorgekommen, die in ganz ähnlicher Weise entstanden 
waren, und zwar bei Kindern, die entweder an glühende eiserne 
Oefen gefallen waren bei vorgestreckten Händen oder auf heisse 
Herdplatten, die unverständige Mütter abgenommen und auf den 
Fussboden gelegt hatten, wo Kinder in dem engen Raume sich auf¬ 
hielten. Auch hierbei waren Epidermisfetzen an den heissen Flächen 
kleben geblieben. Ich hatte es mir dann zur Regel gemacht, solche 
verbrannte Hände gleich auf mit Watte und Guttapercha belegte 
Schienen zu lagern, so dass die Finger bis zur völligen Vernarbung 
der Brandwunden und noch lange darüber hinaus in ganz gestreckter 
Lage gehalten wurden. Bei diesem Verfahren habe ich dann nie¬ 
mals eine Kontraktur der Finger erhalten und wenn die so gestreckten 
Finger auch anfänglich etwas versteift blieben, so liess sich dies durch 
Hebung und das natürliche Streben, die Finger zu gebrauchen, bei 
den Kleinen bald beseitigen. 

Schliesslich erfolgte dann eine ganz glatte Vernarbung, der man 
nach Jahren kaum noch die erlittene schwere Verbrennung ansehen 
konnte. 

Von diesen Erfahrungen heraus liess ich mich bei dem 
Heilplane des trostlosen Zustandes der Hand des Mädchens 
leiten. Ich dachte mir, wenn man den Zustand an der Hand 
wieder herstellt in der Verfassung, in welcher sie sich nach 
Abstossung des Brandschorfes befand und nun ein ähnliches 
Heilverfahren unter konsequenter Bandagierung auf gepol¬ 
sterten mit Guttapercha überzogenen Schienen zur Anwendung 
brächte, so müsste sich ein ähnliches Resultat erzielen lassen, 
wie bei den Kindern. 

Mit diesem Plane war mein Sohn, der die Operation ausführte, 
einverstanden. Unter Chloroformnarkose und Blutleere, letztere mit 
Umschnürung am Oberarm, da doch auch die muskuläre Kontraktur 
der Fingerbeuger zu beseitigen war, um genau die Tiefe der Schnitte 
übersehen zu können, wurden nun zunächst die Fingerkuppen von 
der Volarfläche der Hand abgelöst und darauf, von den Fingerspitzen 
beginnend, eine ganze Reihe von queren Einschnitten durch das 
dicke Narbengewebe gemacht. Die Schnitte wurden genau bis auf 
die Flexorensehnen geführt und nach beiden Seiten bis an die Grenze 
von Narbe und Haut. Das Verfahren ist nicht so einfach, wie es 
scheint, man muss nämlich genau darauf halten, dass die Schnitte 
ganz senkrecht auf die Sehne fallen. Durch diese vielfachen, regel¬ 
mässig fortschreitenden Einkerbungen von der Spitze der Finger bis 
zu den Grundgelenken gelang es nun, die Finger einzeln wieder ge¬ 
rade zu strecken unter deutlichem Nachgeben der Muskelbäuche am 
Vorderarme. Ein brüskes Vorgehen bei diesen Streckungen musste 
sorgfältig vermieden werden, denn sonst riskierte man, eine Sub¬ 
luxation zwischen den einzelnen Fingergliedern herbeizuführen. Auf 
diese Weise wurde also derselbe Zustand an den Fingern hergestellt, 
wie er vorher nach der Verbrennung bestanden hatte, nur mit dem 
Unterschiede, dass statt der Brandwunde eine Reihe von glatten 
Schnittwunden vorhanden war. Diese nun so gestreckten Finger 
wurden einzeln mit schmalen Mullbinden verbunden, diese mit Blei¬ 
wasser getränkt und die aneinander gelegten Finger mit Guttapercha¬ 
umhüllung versehen und nunmehr auf ein mit einem entsprechend 
breiten, gepolsterten Brettchen geschient und die Hand hochgelagert. 

Als nach einigen Wochen unter diesem feuchten Verbände, der 
später, als die Granulationsbildung üppig vor sich ging, mit Salben¬ 
verband (Ichthyol 5, Vaselin ad 100 und 2,00 Acet. plumbi) vertauscht 
wurde, blieben die Finger gestreckt und wurde das Mädchen vor¬ 
läufig, um den weiteren Verlauf abzuwarten, aus dem Krankenhause 
entlassen mit der Anweisung, die bereits ausgeführten Uebungen in 
Bewegung der Finger zu Hause fortzusetzen und ebenso die Banda¬ 
gierung der Finger. Das Mädchen stellte sich nach etwa 6 Wochen 
wieder vor. Sei es, dass die Bandagierungen nicht ordnungsgemäss 
ausgeführt waren (die Patientin war Rentenempfängerin), sei es in¬ 
folge wieder eingetretener Narbenkontraktur, es stellte sich heraus, 
dass das errungene Resultat zum Teil wieder verloren war, die Finger 
standen etwa in halber Beugung. 

Das also somit definitiv erhaltene Resultat gab uns Veranlassung, 
dasselbe Verfahren noch einmal in ganz gleicher Weise zu wieder¬ 
holen, mit dem Ergebnisse, dass die Finger wieder in einem höheren 
Grade der Streckung verharrten. Machte man nun nach eingetrete¬ 
ner völliger Vernarbung dieser zweiten Prozedur passiv eine voll¬ 
kommene Geradestreckung der Finger, so zeigte es sich, dass die 
Narbe in der Hohlhand Sich noch erheblich spannte, und war zu er¬ 
warten, dass von hier aus, wieder mehr oder weniger ein Rezidiv 
der Kontraktur sich einstellen würde. Es handelte sich also darum, 
diese Narbenzüge unschädlich zu machen. Zu dem Ende wurde das 
ganze Narbengebiet in der Hohlhand zentralwärts an der gesunden 


Haut beginnend und von beiden Seiten, so tief als möglich, bis auf 
die Beugesehnen Umschnitten und der so entstandene Lappen noch 
distalwärts unterminiert mit flachen Messerzügen. Brachten wir nun 
die Finger in starke Streckung, sogar etwas Ueberstreckung, was 
mühelos gelang ohne Spannung der an der Palmarfläche der Finger 
befindlichen Narben, so bildete sich in der Hohlhand eine freie, 3 bis 
4 cm lange und ebenso breite Wundfläche. Diese bedeckten wir nun 
mit aus dem Oberschenkel des Mädchens entnommenen Thiersch- 
schen Lappen. Verband und Lagerung der Hand wie früher. Die 
Einpflanzung heilte zum weitaus grössten Teile an. Das weitere Ver¬ 
fahren richtete sich nun auf die Mobilisierung der Finger, immer 
unter Innehaltung der gestreckten Lage der Finger. Zu diesem 
Zwecke wandten wir einen selbstverfertigten Apparat an nach Art 
der H e u s n e r sehen Vorrichtung zur Streckung der Finger. Eine 
mit Schellacklösung infiltrierte 'Kapsel von dickem Filz umschloss 
den Vorderarm, von ihr aus gingen Gummizüge zu den Fingerspitzen, 
die mit aus demselben Material angefertigten Fingerhütchen be¬ 
deckt waren. Dieser sehr zweckmässige Apparat gestattet unter 
vollständiger Streckung der Finger, was für die Nacht besonders 
bedeutsam ist, eine Vornahme der Beugungsübungen in unbehinderter 
bequemer Weise. Mit diesem Apparate wurde die Geheilte aus dem 
Krankenhause entlassen mit der Anweisung, ihn noch lange zu ge¬ 
brauchen. 

Gegenwärtig, also nach 2 Jahren, zeigt die so arg verkrüppelt 
gewesene Hand ein sehr befriedigendes Resultat. Die sämtlichen 
Finger können fast völlig gerade gestreckt und bis zur Faustbildung 
geschlossen werden. In der Handfläche befindet sich eine flache, 
kaum 2 mm breite Narbe, die früheren wulstigen Narbenzüge an den 
Fingern haben ganz flachen, sogar etwas verschieblichen Narben 
Platz gemacht, die Finger haben eine solche Gelenkigkeit und Be¬ 
weglichkeit, dass die Hand ganz gut zum Klaviersoielen benutzt 
werden könnte, wenn das Mädchen diese Kunst ausübte. 

Fast zur selben Zeit hat V o g e I - Dortmund einen ganz 
ähnlichen Fall von narbiger Fingerkontraktur nach Ver¬ 
brennung zur Heilung gebracht. Er hat zur Erreichung der 
Hebung der Kontraktur, wie er in einer Zeitschrift, die ich 
augenblicklich nicht angeben kann, ausführt, einen der Finger 
der Hand geopfert, um aus dessen Hautmaterial Ersatz für das 
Narbengewebe zu gewinnen. Wir sehen also, dass man auch 
ohne ein solches Opfer, zu dem sich mancher Patient und Arzt 
wohl nicht leicht entschliessen wird, ein befriedigendes Resul¬ 
tat erzielen kann. In unserem Falle wäre die Opferung des 
Kleinfingers auch um so misslicher gewesen, als gerade dieser 
Finger noch einigermassen weniger geschädigt aus der Brand¬ 
verletzung weggekommen war und noch etwas Bewegung 
gestattete. Das von uns eingeschlagene Verfahren ist zwar 
sehr mühevoll, erfordert von Seiten des Verletzten und des 
Arztes Hingabe und grosse Geduld. Aber was wollen einige 
Monate einer solchen Mühewaltung bedeuten für einen jungen 
Menschen gegen die Wiedererlangung der Gebrauchsfähigkeit 
einer für das ganze Leben sonst verlorenen Hand. Auch für 
die Berufsgenossenschaft ist der Vorteil nicht zu unterschätzen, 
der in der erlangten Wiederarbeitsfähigkeit liegt ohne Opferung 
eines Fingers, die doch auch ihrerseits wieder eine Entschä¬ 
digung begründen dürfte. 

Ein Doppelscheidenspiegel’) gleichzeitig zum Saugen 
und Spillen. 

Von Dr. Heinrich Fischer in Karlsbad. 

Auf Grund mehrfacher Versuche kam ich zur Ueberzcugung, dass 
die bisher für die Bier sehe Stauung in der Gynäkologie verwende¬ 
ten Apparate nur auf die Portio, nicht aber auf die Parametrien einen 
Einfluss haben. Infolgedessen liess ich nach meiner Angabe einen 
Doppelscheidenspiegel aus Porzellan anfertigen, bei dem die Saug¬ 
wirkung rings um die Portio erfolgt, während die Portio selbst und 
der Muttermund frei bleiben. Derselbe ist aus einem breiten und 
schmalen Röhrenspekulum zusammengesetzt, die konzentrisch in- 
einandergefiigt sind und nur auf einer Seite in Verbindung stehen. 
Auf diese Weise erhalte ich zwischen den beiden Spiegeln einen 
zylindrischen Hohlraum, dessen Oeffnung ringförmig um die Portio 
zu liegen kommt, während er nach aussen durch das Verbindungs¬ 
stück der Röhrenspekula bis auf eine kleine, runde, zur Aufnahme 
des saugenden Ballons bestimmte Oeffnung abgeschlossen ist. Der 
Apparat ist geschützt und wird in der Porzellanfabrik von B. Bloch 
in Eiclnvald i. B. hergestellt. 

Die bisher verwendeten, einer breiten Eprouvette gleichkommen¬ 
den Saugapparate haben, wie schon oben erwähnt, den Nachteil, 
dass sie lediglich die Portio ansaugen, dagegen auf die Parametrien 


*) Demonstriert in der Sitzung der Sektion „Karlsbad“ des Zen¬ 
tralvereins deutscher Aerztc in Böhmen am 2. Mai 1908. 


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1498 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N(». >*. 


resp. die parametrancn Exsudate keinen besonderen Einfluss aus¬ 
üben können und dass bei Erosionen und aufgelockerter Zervix¬ 
schleimhaut auch Blutungen auftreten. Ein Nachteil der alten 
Methode des direkten Ansaugens der Portio muss aber vor allem 
betont werden und ist schon für sich allein ein Orund. dass die alte 
Methode nicht oft wiederholt werden darf oder, besser gesagt, 


Innerer 

Röhren*piegcl. 


Aeimerer 

Röhrcntpirgfl. 


Oummib^llon zum Saugen. 

kontraindiziert ist. Er besteht darin, dass sich beim Saugen die 
Portio schon nach wenigen Sekunden tief ins Saugglas einzieht und 
bei häufiger Wiederholung gewiss eine künstliche hyper¬ 
trophische Elongation der Portio zur Folge hat. Hier 
will ich auch erwähnen, dass die Suktion bei Erosionen der Portio 
und bei Endometritis des Uteruskavums nicht empfehlenswert ist. 
letzteres schon aus der blossen Erwägung, dass durch die Sukkulenz 
der Portio der Zervikalkanal eher verschlossen als erweitert wird. 

Die Vorzüge meines Doppelspiegels sind nun folgende: 

1. Die Portio und der Muttermund liegen während des Saugaktes 
frei und sind für Heisswasserspülungen und Instrumente zugänglich. 

2. findet die Saugwirkung auf die der Gebärmutter angrenzen¬ 
den Gewebe statt, also wahrscheinlich auch auf die von und zu der 
(jebärmutter verlaufenden Gefässc. 

3. Wird auch die Zirkulation in den Hämorrhoidalgctässen be¬ 
einflusst. 

4. Die Sekrete aus der Gebärmutter können während des Sau¬ 
gens frei abfliessen oder abgcspiilt werden. 

5. kann die Methode oft wiederholt werden und auch länger 
dauern; und 

6. ist eine künstliche hypertrophische Elongation der Portio bei 
Anwendung des Doppclspicgels mit Sicherheit auszuschliessen. 

Die Erfolge, die ich mit meinem Apparat erzielt habe, will ich 
kurz zusammenfassen: 

a) Entspannung der Bauchdecken schon nach 10 Minuten und 
Erleichterung der bimanucllcn Untersuchung; 

b) leichtere Defäkation; 

c) Besserung von dysmenorrhoischcn Schmerzen; und 

d) günstige Beeinflussung parametraner Exsudate. 

Zu Punkt d zitiere ich 2 Fälle, die w ochenlang in der gew issen- 
haftesten Weise mit fast allen konservativen Methoden behandelt 
wmrden sind und bei denen sich erst nach Anwendung meines Doppel¬ 
scheidenspiegels eine merkliche Besserung zeigte. Bei der einen 
Patientin schwand das in den Nachmittagsstunden noch bis 3N.K be¬ 
stehende Eieber schon nach der 3. Suktion. 

Die Handhabung mit dem Doppelscheidenspiegel erfolgt derart, 
dass er wie jeder andere in die Scheide cingefiihrt wird, worauf man 
den zum Saugen bestimmten Ballon komprimiert, das Spekulum etwas 
fester an die Portio andrückt und durch Auslassen des Ballons mit 
dem Saugakt beginnt. 

Zum Schluss erwähne ich noch die ringförmigen Sa u g - 
näpfe für allgemein chirurgische Zw ecke, welche ich 
nach demselben Prinzipe herstellen liess und die viel niedriger sind. 
Sie haben den Vorteil, dass sie Furunkel etc. ringförmig saugen, 
während man zentral mit Tupfern, Skalpellen und Spülungen mani¬ 
pulieren kann. 


Historische Notiz über die Behandlung der durch den 
Biss wutkranker Tiere entstandenen Wunden mit Saug¬ 
behandlung. 

Von Prof. Dr. Egbert Braatz in Königsberg i. Pr. 

Als ich vor einigen Tagen zu meiner Vorlesung „Aus der Ge¬ 
schichte der Chirurgie“ in dem Lehrbuch von Lorenz freister 
(2. Auflage 1724) nachsah, um meinen Zuhörern eine Stelle aus ihm 
als Beispiel besonders vorzuführen, wählte ich als gewissermassen 
aktuelles’) Thema das XVI. Kapitel über vergiftete Wunden, speziell 
Tollwut. 

Heister gibt hier zunächst eine knappe aber zutreffende 
Schilderung der Erscheinungen bei einem wutkranken Hunde und 
dann eine ungeheuere Menge der zum Teil auch höchst absonderlichen 


’) Wir haben zurzeit in Königsberg gerade leider die Hunde¬ 
sperre wegen vorgekommener Fälle von Tollwut bei Hunden. 



Heilverfahren seiner Zeit, von deren Aufzahlung wir ahsihen. Das 
Non ihm angeführte Auswaschen solcher Wunden m.t Esvg wird ganz 
neuerdings wieder als gutes Mittel empfohlen. Heister sact ui*cr 
die Saugtiehandlung (7): „Andere pflegen in \ergiftteten Wunden, 
sonderlich der watenden Hunde oder anderen Thier, gleich Vn’angs 
die Adern über dem verletzten Ort erst lest zu un.binden, und d.c 
Wunde mit Salzwasser oder mit Essig. ITicriak und >a!tz w<M aus¬ 
zuwaschen, oder. wenn sie tieft, auszuspritzen: hernach auf die W urde 
öffters s t a r c k z i e h c n d e S c h r o p f f - h o p f f e *) zu setzen, um 
dadurch das Gift wieder heraus zu ziehen. I nd damit dieses desto 
besser geschehen möge, Schneiden sie die Wunden was weiter, aul 
dass die Schropff-Kopff das Geblut und Gült desto leichter aus* 
ziehen mögen. Endlich aber, zu desto mehrerer Sicherheit, brennen 
sie die Wunde 1 weil sonsten die Leut leicht rasend werden und 
elendiglich sterben müssen *. I nd ganz am Schlüsse des Kapitels 
heist es noch: „Die Alten haben die xcrgültui Wunden, sonderlich 
nach dem Biss einer \ergdtten Schlange mit dem Munde cnes an¬ 
deren Menschen (welche Ps\ lli genannt worden) g'eidi lassen aus- 
ziehen, ohne dass solches demenigen. die es ausgezogen. was ge¬ 
schadet hatte; wie Cclsus hiervon kan gelesen werden. Lib. V 
Cap. 27“. 

Der Zweck der Veröffentlichung dieser N< tiz ist nun weniger, 
zu zeigen, dass das Aussaugen xon Wunden cm altes \ erfahren ist. 
Das ist ja schon zur Genüge bekannt, l'nd ebenso ist cs k.ar. dass 
die jener Prozedur zu gründe hegenden \ orsteEinigen wenig zu tun 
haben mit dem Gedankeiigangc Biers. Mir lag es xit'mchr daran, 
bei der m der Jetztzeit vorhandenen .Möglichkeit einer sicheren 
experimentellen Entscheidung, der Frage zu dienen, ob und in welcher 
Weise die Saughehatullung das Recht hat. bei Wutbisswunden a's 
Heilmittel (zur Vorbeuge) auch heute angewandt zu werden. 


Versuch einer neuen klinischen Methode der Opsonin¬ 
bestimmung. 

Eigene Bemerkungen zu der in Nn. .Ai, pJiis erschienenen vor¬ 
läufigen Mitteilung. 

Von Dr. M ti g o K ä m m c r c r. 

Für die Gruppe der Txphus- und Par.ttx phusbazi.’tn hat sivh 
meine Versiichsanordiiung in nunmehr über w» l ntersuchungen sehr 
gut bewahrt, bei Kranken- und Rekonsaleszentensirum ist messt 
eine sehr deutliche, oft enorme Erhöhung der Phagozxtose gegenüber 
dem Normalserum wahrnehmbar. 

Leider nicht als richtig erwiesen hat sich indes die \*»n mir 
vermutete Komplementwirkling des frischen Blutes, wodurch dann 
der phagozxtäre Unterschied /wischen Immun- ur.d Normalserum 
noch grosser wurde. Genau angestellte Nerg'eiche zwischen der 
W r i g h t sehen und meiner T echnik mit der gleichen Üaktericn- 
cmtilsion unter denselben Mochuncsxerhaltmssen vier Bestau Jtei.e 
haben keinen wesentlichen l ntervhicd in der Grosse der Phago¬ 
zytose bei beiden ergeben. 

Hat sich meine Modifikation somit als eine wesentliche \ e r - 
besserung der Methode nicht erwiesen, so darf min sic d«-s ; i t--r 
viele Falle als Vereinfachung und Erleichterung ansehen. 


Referate und Bücheranzeigen. 

A. v. K o r ä n y I - Ofen-Pest und P. F. Richter- Berlin: 
Physikalische Chemie und Medizin. Ein Handbuch. Erster 
Band. 575 Seiten mit 27 Abbildungen. Verlag von (I. 1 h i c ni c. 
Leipzig l‘X)7. Preis 1(> M. 

Das vorliegende, von Spc/ialforschem bearbeitete Hand¬ 
buch soll nach der Absicht der Herausgeber une l’ebersidit 
über die Beziehungen zwischen phxsikahscher Chemie und 
Oesanitmedizin geben, und zwar soll in diesem ersten Bande 
die Beziehung zu den theoretischen mcJi/inisJien Wissen¬ 
schaften, in einem zweiten die Beziehung zu den praktischen 
medizinischen Wissenschaften zur Darstellung gelangen. 

Im ersten von M. Rol off-Halle bearbeiteten Abschnitt, 
betitelt P h y s i k a I i s c h-c h e m i s c h e E i n ! e i t u n g u n d 
Methodik, werden in sieben Unterabschnitten nacheinander 
behandelt Materie und Energie - Atom- und Mnlcka'artheorie 

— Die Aggregatzustände der Materie - Theorie der Losungen 

— Chemische Reaktionen — Theorie der elektmlx tisjien Dis¬ 
soziation — Elektrochemie. 

Im zweiten Abschnitt, betitelt Physikalische 
Che m i e u nd P h y s i o I o g i e. hat A. L o e \x v - Berlin I »:e 
Respiration, M. Oker-Blo m - He’.s-.ngfors I );is l ” :t m physi¬ 
kalisch-chemischer Beziehung, R. H u b e r - Zürich I je ph>si- 


*) Im Original ebenfalls gesperrt geJruckt. 


□ igitizedbr 


dQo ogle 


Original frorri 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 



14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1499 


kalische Chemie in der Physiologie der Resorption, der Lymph¬ 
bildung und der Sekretion, H. Boruttau-Berlin Muskel- 
und Nervenphysiologie, F. Botazzi -Neapel Die Regulation 
des osmotischen Druckes im tierischen Organismus bearbeitet. 

In dem allein 230 Seiten umfassenden ersten Abschnitt 
werden die Lehren der physikalischen Chemie und der zu¬ 
gehörigen Methodik in eingehender Weise klar und anschau¬ 
lich entwickelt und durch zahlreiche Literaturangaben ein wei¬ 
teres Eindringen in den schon reichlich angehäuften Stoff er¬ 
möglicht. Welch ausgedehnte Anwendung die Lehren der 
physikalischen Chemie zur Erklärung der Lebenserscheinungen 
bis jetzt schon gefunden haben, geht aus dem zweiten Abschnitt 
hervor, wenn auch in ihm die Verfasser nicht verschweigen, 
dass hier der neuen Wissenschaft noch ein grosses Feld zur 
Betätigung übrig bleibt. So kommt A. L 9 e w y in dem von 
ihm bearbeiteten Unterabschnitte „Respiration“ zu dem Resul¬ 
tate, dass die bisher erforschten, von ihm erörterten physi¬ 
kalisch-chemischen Vorgänge genügen, um alle bei dem Gas- 
wechsel ablaufenden Vorgänge zu erklären und M. Oker- 
B1 o m schreibt den behandelten osmotischen bezw. Diffusions¬ 
erscheinungen eine grosse Bedeutung im physiologischen 
Leben der Blutkörperchen zu, aber R. Höher, der die Re¬ 
sorption, Lymphbildung und Sekretion vom Standpunkte der 
physikalischen Chemie aus sehr eingehend untersucht, muss 
zugestehen, dass hier noch vieles dunkel bleibt, weil so viele 
Variable, wie Filtration, Diffusion, Osmose und wohl auch rein 
zelluläre Einflüsse zu berücksichtigen sind. Mit „Ausblicken“ 
auf die physikalische Chemie der Muskeln und Nerven muss 
sich auch H. Boruttau begnügen, F. B 011 a z z i zeigt aber 
mit Nachdruck, welch grosse Rolle der osmotische Druck im 
tierischen Organismus spielt. Zahlreiche Literaturangaben in 
diesem mehr der Physiologie gewidmeten interessanten Ab¬ 
schnitte ermöglichen es dem Leser, auf die Quellen zurück¬ 
zugehen. 

Die grosse Bedeutung der physikalischen Chemie für die 
medizinischen Wissenschaften ist den Praktikern schon längst 
zum Bewusstsein gelangt; in dem vorliegenden Handbuch 
bietet sich ihnen aber besonders günstige Gelegenheit zur 
eingehenden Orientierung über das, was die physikalische 
Chemie bisher schon der Medizin gewesen ist und was sie ihr 
in künftigen Zeiten noch sein kann. 

K. B ü r k e r - Tübingen. 

Handbuch der Biochemie des Menschen und der Tiere, 
herausgegeben von Dr. Carl Oppenheimer. Jena, 
Fischer, 1908. 1. Lieferung. Preis 5 Mk. 

Das in 20 Lieferungen zum Preise von ie 5 Mark er¬ 
scheinende Werk zählt zu seinen Mitarbeitern eine grosse Zahl 
namhafter Forscher. Die erste Lieferung enthält „allgemeine 
Methodik der Analyse organischer Stoffe“ von A. Strigel, 
„einige physikalisch-chemische Methoden in biochemischer 
Anwendung“ von Aristides K a n i t z, die „anorganischen Be¬ 
standteile des Tierkörpers“ von Hans Aron, Fette und Lipoide 
von W. Glikin, und den Anfang einer Zusammenstellung 
„Kohlehydrate“ von C. N e u b e r g. Nach der ersten Lieferung 
zu schliessen, wird es sich im wesentlichen um eine Zusammen¬ 
stellung von Tatsachen und um ausführliche Literaturangaben 
handeln. Das Werk wird daher für chemische und physio¬ 
logische Laboratorien den Wert eines Nachschlagebuches ge¬ 
winnen und vielen unentbehrlich sein, die selbst wissenschaft¬ 
lich chemisch arbeiten. Erich Meyer- München. 

A x e n f e 1 d: Rapport sur le Catarrhe printanler. (Con¬ 
gas de SociSte Francaise d’Ophthalmologie 1907.) Paris 
1907. G. S t e i n h e i 1. 

In dieser hochinteressanten Monographie hat Verf. mit 
Bienenfleiss alles zusammengetragen, was über den Früh- 
iahrskatarrh der Augen geschrieben und zufolge Aufforderung 
brieflich gegen ihn geäussert wurde. Hieraus, wie aus seinen 
eigenen Beobachtungen und Untersuchungen kommt er zu dem 
Schlüsse, dass die Erkrankung als eine chronische Entzündung 
der Bindehaut mit Anhäufung von Plasmazellen aufzufassen 
sei. Da häufig, wenn auch nicht immer, zwar keine Ver¬ 
mehrung der Leukozyten, wohl aber eine Zunahme der 
Lymphozyten und eosinophilen Zellen bei Abnahme der 


Neutrophilen im Blute bei Frühjahrskatarrh von Axenfeld 
festgestellt wurde, seien diese Veränderungen des Blutes bei 
der Behandlung zu berücksichtigen. Dass der , Frühjahrs¬ 
katarrh eine ausschliessliche Lichtkrankheit — verursacht 
durch Einwirkung der ultravioletten Strahlen — sei, bezweifelt 

A. wie er auch der Anschauung widerspricht, dass der Früh¬ 
jahrskatarrh mit dem Heufieber gleiche Ursache habe. Gleich¬ 
wohl empfiehlt A. für die Behandlung in erster Linie Abschluss 
des Lichtes durch Okklusionsverband. Seggel. 

Sudholf: Deutsche medizinische Inkunabeln. Biblio¬ 
graphisch-literarische Untersuchungen. Lex. 8°. 278 S. 

40 Abbild. Heft 2 bis 3 der „Studien“ (Puschmannstiftung). 
Leipzig 1908. Joh. Ambrosius Barth. (M. 18.—.) 

Wieder erhalten wir eine reiche volle Garbe aus dem 
Arbeitsfeld des schaffensfrohen Forschers. 

Dass in den Büchereien, besonders der süddeutschen 
Städte, auch der kleineren, noch manche Perle verborgen liegen 
muss, ist zweifellos. Sogar ein bescheidenes Gemeinwesen, 
wie unser Memmingen, hatte schon 1480 einen bedeutenden 
Drucker in Albrecht >K u n e. 

Der Inhalt des Werkes wird in folgenden Abschnitten dar¬ 
gestellt: 

A. Aerztliche Volksbücher, No. 1—53; 

B. Hieronymus Brunschwig, Chirurgisches, No. 54 
bis 59; 

C. Naturwissenschaftliche Volksbücher, No. 60—116; 

D. Zur Diätetik und Körperpflege, No. 117—187; 

E. Pest und Syphilis, No. 188—222; 

F. Monstra, Gespenster und Hexen, No. 223—229; 

G. Sterben, Tod, „Versehen“, Totentänzer, No. 230—260; 

H. Kalender, Aderlasskalender, No. 261—454 f. 

Nicht nur bisher wenig bekannte Drucke, auch Schriften, 
die selbst den neuesten Historikern verborgen geblieben sind, 
hat S u d h o f f an das Licht gezogen. 

Zunächst sei O r t o 1 f f u s erwähnt, dessen Hebammen¬ 
büchlein von Ed. v. Sieb 0 1 d und Fasbender nicht auf¬ 
geführt wird. Es kann als die erste deutsche Arbeit über Ge¬ 
burtshilfe bezeichnet werden. S u d h o f f gibt als älteste Aus¬ 
gabe Ulm 1495 und vermutet ganz richtig, dass das Schrift- 
chen noch weitere Auflagen erlebt haben dürfte. Ich besitze 
eine solche, die 1534 zu Hagenau von Valatinus R o b i a n ge¬ 
druckt wurde. Es besteht aus 11 Blättern mit dem Titel: Eyn 
Neuw büchlin wie sich die schwangeren frawen, auch die Heb¬ 
ammen mit denseltyigen, vor der Geburt, in der Geburt / unn 
nach der Geburt halten sollen. Durch den Hochgelerten 
Ortolffum Doctorem beschrieben, und auf bit etlicher erbaren 
frawen, uffs kürtz begriffen in truck geben MDXXXIIII. — 
Der Verfasser nennt sich zwar nicht „aus Beyerland“, doch 
kann man aus gewissen Ausdrücken, wie „bürdlin“ (Dimin. von 
burt, gebürt) = Nachgeburt auf bayerische Heimkunft schliessen. 

Wichtiger ist der Augsburger Barthol. Metlinger, 
dessen „Regiment der jungen Kinder“ von Ludwig Unger 
neuhochdeutsch herausgegeben wurde (1904). Ich habe schon 
vor 20 Jahren bei dem gelehrten Augsburger Dr. R o b. H o f f - 
mann über diesen Autor Aufschlüsse erbeten. Kollege Hoff- 
mann schrieb mir (Jan. 1888): „In meinen Notizen finde ich 
den betreffenden Arzt in gleichzeitigen Schriftstücken immer 
»Mettlinger* geschrieben (in den Steuerregistern der da¬ 
maligen Zeit). Bis zum Jahre 1483 kommt daselbst ein M ei¬ 
st e r P e t e r vor, welcher in einer Rezeptsammlung des Dom- 
vicars Scherl von Gailendorf aus den ersten Jahren des 
16. Jahrhunderts Magister Petrus Mettlinger genannt 
ist. Ferner steht in den Steuerregistern von 1472 sein Sohn 
Meister Barthelme, welcher von 1474 an bis 1491 als Mei¬ 
ster, ein paarmal auch Dr. Barthelme Mettlinger ge¬ 
nannt ist. Von 1492 ab seine Witwe und später seine Kinder. 
Erst bei B r u c k e r in dessen ,Vita Occonum* heisst er ,M er¬ 
lin g e r 4 und Brücker sagt, dass von diesem Barth. 
Merlinger bei Egenolf in Frankfurt mit Alberti Magni 
mulierum secretis 1531 ein Tractat de infantum morbis er¬ 
schienen sei“ (= 39 b bei S u d h 0 f f, wo kein Drucker ge¬ 
nannt ist). 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1500 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sn, 2* 


Der älteste deutsche Kinderarzt, dessen Wert L 11 d w i n 
U n ge r nicht zu schätzen versteht, verdiente gewiss eine kor¬ 
rekte Textausgabe mit Glossarium, das zum Verständnis der 
Krankheits- und Heilmittelnamen unentbehrlich ist. 

Die unter No. 35, 36, 37 von S ti d h c> f f beschriebenen Aus¬ 
gaben (1473, 1474, 1476) finden sich auch in (ieo. Willi. 
Zapfs Augsburgs Bnchdruckergeschichte 17KN. 

Auch mit Konrad von Mcgenberg (Huch der Natur) 
befasst sich Sud hoff gründlich. Sehr dankenswert ist liier 
der beigefügte lehrreiche Exkurs. Weitere Hinweise finde ich 
in W. Wackernagels Geschichte der deutschen Literatur, 
I, 436. 

Das prächtig ausgestattete, reich illustrierte Werk wird 
nicht nur den Aerzten, sondern auch den Kulturhistorikern und 
Kunstfreunden grosse Freude bereiten. 

Huber- Memmingen. 

Neueste Jounuüliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medizin. 93. Hand, 
1 . u. 2. Heft.’ 

1) Aufrecht: Die Genese der Arteriosklerose (Arteriitis). 

Die Untersuchung von Sklerosen der Aorta thoracica, hei denen 
Lues auszusehliesscn war, ergab, dass der ganze Vorgang als eine 
Entzündung der vasa vasorum anzusehen ist, welche zu tr»»phischcn 
Störungen in der Media und Intima fuhrt, so dass als»» der Prozess 
als „Arteriitis“ zu bezeichnen ist. ebenso w ie man die von den klein¬ 
sten Gefüsscn der Nieren ausgehende chronische Erkrankung ..Nephri¬ 
tis“ nennt. Bei der Arteriitis mit ihrem Ausgang in Ai termskleiose 
kommt es infolge der Entzündung der Vasa nutrienta je muh »1er 
Art der in ihrer Ernährung beeinträchtigten Elemente zur b i w eicliimg 
in der Media oder zur Zellschwellung mit nachfolgendem Schwund 
auf dem Wege des Kernzerfalls in der Intima. 

2) G. R i e b o I d: lieber periodische Fleberbewegungen mit 
rheumatischen Erscheinungen bei Jungen Mädchen (rekurrierendes 
rheumatoides Ovulationsfieber). (Mit 6 Kurven.) 

Neben jenen Fällen von Ovulationsfieber (prämenstruellem Lie¬ 
ber), die mühelos auf einen nachweisbaren Infektionsherd zuriuk- 
gefiihrt werden können (entzündliche Prozesse in den Genitalien, 
Pyelitis, tuberkulöse Herde in den Lungen etc.), kommen nicht selten 
Fälle vor, in denen sich ein Krankheitsherd im Körper weder nach- 
W'eisen, noch mit Wahrscheinlichkeit vermuten hisst. Düse Fälle, 
die sich hinsichtlich der Art und Weise ihres Auftretens den erst¬ 
erwähnten Fällen durchaus an die Seite stellen lassen (häufiges Re/i- 
divieren der Anfälle in zeitlichen Perioden, die den Mcnstniatioiis- 
intervallen des betreffenden Individuums entsprechen. Einsetzen des 
Fiebers in den Tagen vor Eintritt der Menstruation), sind namentlich 
dadurch charakterisiert, dass sie mit rheumatischen Erscheinungen 
einhergehen. Die Aetiologie ist vorläufig dunkel, die Prognose ernst, 
quoad restitutionem, insofern als auch bei leichten Anfällen das Merz 
regelmässig in Mitleidenschaft gezogen wird und bei schweren An¬ 
fällen auch quoad vitarn, die Therapie machtlos und rem svmpto- 
matisch: Salizyl bezw. Ovarialtablettcn brachten keinen Nutzen. 

3) C. Haeberlin: Ueber das Vorkommen präkapillarer 
Phlebektasien auf der vorderen und lateralen Thorax wand bei Er¬ 
krankungen der Zirkulations- und Atmungsorgane. 

Die über dem untersten Thoraxabsclinitt median und lateral sich 
findenden Ektasien präkapillarer Venen sind eine Stauungserschei¬ 
nung, die lokale Ursachen (z. B. Pulsation eines hypertrophischen 
linken Ventrikels gegen die Thoraxwand und konsekutive Kompres¬ 
sion venöser Bahnen) lind allgemeine, dvnauiische Ursachen haben 
kann. Als solche sind Schw äche/iiständc des rechten Heizens und 
konsekutive Erschwerungen und Storungen im Abfluss des venösen 
Blutes anzusehen. Es muss aber noch eine weitere, mechanische Ur¬ 
sache vorhanden sein, damit gerade über der unteren Thoraxapertur 
sich charakteristische Ektasien bilden können; diese ist in der Kom¬ 
pression der über den Rippenbogenrand nach abwärts verlaufenden 
subkutanen Venen bei den Thoraxexkursionen der abdominalen At¬ 
mung zu suchen. 

4) K. A. Hasselbach: Ueber die Einwirkung der Tem¬ 
peratur auf die vitale Mittellage der Lungen. (Aus dem Labora¬ 
torium des Einsensehen medizinischen Liehtiustitutes Kopen¬ 
hagen.) 

Bei 3 gegen Temperatureinwirkungen auf die nackte Haut nicht 
abgehärteten Versuchspersonen bewirkten niedrige äussere Tempe¬ 
raturen eine hohe Mittellage und umgekehrt. Bei einer durch tägliche 
kalte Bäder abgehärteten Person kamen diese Veränderungen nur 
ganz rudimentär und zum Teil vorübergehend zum Ausdruck. Ueber 
die Art und Zweckmässigkeit des reflektorischen Zusammenhanges 
zwischen der Wärmcempfindtmg der Haut und dem Grade der Aus¬ 
spannung der Lungen während der Atmung lässt sich eine bestimmte 
Erklärung noch nicht geben. 


5) K. A. H a s s e I b a c h: Leber die Totalkapazität der Lungen. 

( Aus dem Laboratorium des i' i n sc 11 sjiui meäi/imscheil I.*». 
Milutes Kopenhagen.) 

Die Totalkapazität der Lungen ist keine tm\ct an k Tu Le G* ^c . 
sie nimmt bei liegender Mellung ab und nimmt \ or gehend ri.s, i 
anstrengendem Laufe, andauernd bei l ebung zu. I ’ie \ ita kap.i.' : 
der Lungen nimmt bei liegend», r stclkmg ab. hauptvu hlu h. \x» d ei c 
Grenze »ler tatst» n luspit atmn eingeengt wird: sie nimmt ummMe .*' 
muh einem Laute ab. weil »!ic Gteii/e »Tr lutsten I xsp.iaü- n t 
geengt wird, w ährend die Grenze der tielstiii Inspiration suh g\.c‘:- 
Zeilrg in geringem Misse erweitert; und s<c nimmt bei leimig z;i. 
Weil suh »lie Gtcu/c »ler ticlst» n Inspiratr«11 erweitert. 

f») R. Pietschv und II Mossii: Beitrage zur Bt'tjrldUing 
der Kreislaulvcrhältnissc bei Infektionskrankheiten mit Hilfe der Blut» 
dr5? kheStimmung. ( Xus »ler in» di/ims*hen kmuk in Base! » iV.t 
6 Kurven.) 

Bei T\ plins sinkt w ahrend der I >e ter \ es/enz nullt mir der M.tvi- 
maldruck. sondern auch »kr Ibuk!* iu kuinDient ".»» und «!.is Xmp •- 
tuileiifreiiuen/prodiikt (Ab). »1. h d e Mer/cnefgie ta !t bei g'iuli- 
bleibeml» n XX nler staiulen. Pas Merz hat w.th'üul »ler Pe'ude IndicM 
I lebeis trotz niedrigem Ma ximaidr iu k eine Me i» tstung getan. \ er- 
umtlich um die ein r v h die Bakterient<-\me er /» ugte \ crtmndiv ung d»s 
t ietassti iiius zu k- unpe nsieieit. und dadurch den geste sgerti n Xu- 
spt liehen »ler t »r gatte an »lie Biutx etsm gun g n.u h/uka'' ojhii. M»t de ”i 
Muken ei» r lemperatur reduziert su| die Mer/.n beit aut em geringeres 
Mass. Gleuh muh der Lullte berung und im X er laute der Rckmfn.i »s- 
zeiiz leistet »las Her/ w ie»ler \ »•riiu lirti- X’Kit. ehe bedm.’t ist dur*.:» 
»lie \ crmchrte I atigkcit eie r Muske'n u: 1 d» r \ er »..inmus.-'i-sci: !*e i 
den der t letiesung etttgegengi h. ;m» u i *at,« nten. ln der kt/ten Pe¬ 
riode mamlestiert suli eine ’*e» mu.\i Xtnde’u-g d» r /; » u ata m. 
itnlein die \ et mehr UWg der \\ .de fSim.!» dur.h eme /uu.ih*-. c »le' 
Merzeiiergie ausg»gacheii wirdeu mims. I s »:.*i:c di» se s Xciat^.i 
ais Auselt Uek für die XX lede rhe r ste, .ung ks ii..rm.i\u X .is. m c n- 
toiuis anzusehen sein. Pie B’utdriu k \ e : )n fasse ge s:t: e n .» s.. e n» u 
Einblick II) »lie dtiull die St 4f;w eJis» prif-^akte eie r B.ikte'ieil L.cr\«*r- 
g»*r ti teile K t» Kfäutsti <r uug. die zum I ewnudnis du», h ein p- s 

\ ei sagen »ler ll»i zt.ttigkeit, zum k\ liieren 1 e il w < ■!. i .null durP: 
eine S^ h.|.T«giing »kr X .»s. >m< k > r e n bedingt ist 

7) Ih tirocdcl iirm Ir. Groedel: Leber die Form der 
Herzsllhouettc bei den verschiedenen Klappenfelilcrn. <M,t 7 X’ 1 d 
ilimg'-ii.) 

Pie* l'oim der Herzsiffn■uet!e </. B liegende im-rrn lei X<nten- 
msiinizieii/. liegende, mehr i um! a he I d * m bei rni*» r X' •' t» ’M» u. .s, . 
st»* In* ti di* lilorm b» i Mitiaistiiu.se'. Kng» l'tn bei Mtra.usi.a e n • 
lliul »lie* KolingiU ation der R.mdb-.ge n ks 11 ; ,*sj..in» ns. »bc bei e ri- 
/»•Iru n K lappi-nfehle r n und Le i k <mrfin.i;i m lu-me r \ e rn ,e .k n 
sind, können »Iu* Piagm-sg der k . 11 * i * e tu 1 kr .id unge n «esc: idi nr- 
dern. In matuhen laben kamt »!i»se*s X »«%»t*. ♦ e n a'iss v ,» v g t bem! 
s»-m, insbesonde re ist es w u bkg lar *be l *;*k ?e nka..!.ag::ose* /»usdiui 
Klai»p» fi!» hier mul V itium e'>r dis w *mge n.tum. 

M M. A r n s p »• r g e r; l eher t \cntratio diaphragmatica. < Xus 
der nu'di/imsJicn k !unk zu lk:d»'b»'g> < M,t 1 .:*» I< 

Pie Piagriose wu'»!e bei einem d"'.dingen M.d.lun in! , .i \ it.ni 
durch »las Rmitg» Ipnid g» su li< r t. 

01 11. bischer: Zur Kenntnis des kar/innmatösen Magen¬ 
inhaltes. (Xus eler II. nitili/iiiis. In n k .mk zu V.*a!.enl 

Per k.u / 1 tu uiiatose- Magensaft eun .i t i:• j i u g» “’s.itz /um in r- 
malen reuhluh I udpr<*dukfe »kr Im d* ■ \ i'V ' » u 1 .w •. ;sssp., tung : 

T> ihmii, I » ii/in, Xremm mul I \ sin. P..s X!.::•» t» :i .! » s» r >;m tun^s. 
pioiluktc ist w all r se ll.t in u ll aut »he 1 11 » v» nw .»* t »"’»» r'deddisdnil 
b’einniits /unu k/u! dir e n Pa.*i.:«M t» ä t n kan* m- muit s» n M.igin- 
sait »he Xrgmase*. P.is >ai/s.nn e d» ti/it b» i !,u l "!,ss.!u'»r Re akj|»*n 
ist eine böige der XX ir kling des pr • -t e'--1 \ t >•., ,, lerm. ms 

HD C. b* t a u b I i: Beitrage zur Pathologie und Iherapie des 
Diabetes mellitus. ( Xus »1er I! me di/sms. In »» k **’k /u Mu-Jun und 
der nn-di/imschcn Kinuk /u Basel.» « NX 1 1 l.ik. II * 

2 lalle* Voll Piabetesnu li'us/ei^'.mi. wie r.«s v b n” ! iP'.eiivs »las 
Ziukerumset/uiigsx erm« >ge n mit» r d» r ''Jvaumg. »hv 1 r den (»rg.i- 
msmus »In* b mschr ankiing »kr k ■ T » ! \ »i* at» bedeutet. un!**r l m- 
stamk'ii w a eil seil kann; sie* /ernten d e* atrs^t s;»'.. J*»*fs!e letnkn/. 
sich »ler tio-rniaien I unkti'Uisi.ilugke it /u r »;*•. • n. s b.i »! »,.e P;.»t i nt- 
sp i eclierkl g»ng»lt vur»k. Xiuh d.s ^e'.'u.c l » ' » r s :te n »!e r 
momentanen I »der an/gr en/e \»nn.,g »1« r < »• gamsmus miter l m- 

stail»l»*n Noch /il nbe r w unk n Ire ati.e I ■ -le u»** u. * e n / e •. Pie kdie- 
h\»fratmeiige. »lie aiuli Pur lange re /» .1 -'.»s M.ixmum des /;uker- 
verbr eil Mutig sx'eruiov’e ns bildet * abs u; e* I »'.-*’.• g: en/e■) kann »‘a- 
bei um em Mehrfacb.es hoher lugen. Pc »: e I I» um/ iT» ’sjre;- 
teiule Mehr/iifiihr x mi k-dikdix draten Iu/w !•»• »l.i lurvh K dingte 
ilaiu-rinle* fuiiktn uielle l vlu r lasjung »ks /t;m » ' m: '-e t/ungs\em* ...» ns 
hat grossen Anteil an »kr Pr<.gre dmn ' d» s Pnb * •< s | .» \ u’-'se kann, 
ohne momentan »lie < u\koMpu* iiiiil':» h /u s; t ; v » rn* »me »!.iu»rn.!e 
Schädigung »ler Toictan/ beW rkcti. X’*-g» '•»kn \ »!» n »!>;'Ji »!•»* 

Nalirimgs.uifiialim» be»lingt» ii > Jiw .mUm . .. n de - /*.u ke MtjssJie idimg 
koinieii sid» li» 1 p» r i"dise her und gesetzt: ,:ss-ge c Natur de ni dia¬ 
betischen (l"igamsmus an s^li zik ■ am ; < n. p:e k .. ’’*•?•• <; #rrser 
Tatsachen kann im I *n/e!ta!le zur 1 k sp-nn ung e *'» ** />.:t i hren. 

Zit der der Piabctiker am x orte! haftest» ti d.e N.d"tr*g emmmtiit. 


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UNtVERSITY OF MINNESOTA 











II Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1501 


Zwischen Eiweiss- und Kohlehydratstofiwechsel kann in schweren 
rillen von Diabetes insofern eine Beziehung bestehen, als bei 
hoher Eiweisszufuhr und einseitiger Kohlenhydratentziehung mehr 
auf Eiweiss beziehbarer Zucker ausgeschieden wird. In solchen 
Fällen kann die Einschränkung der Eiweisszufuhr von günstigerem 
Einfluss auf die Glykosurie sein, als die Kohlehydratentziehung. In 
schweren Diabetesfällen mit Azidose kann energische Kohlehydrat¬ 
entziehung günstig wirken, indem unter dieser Schonung das Zucker¬ 
umsetzungsvermögen des Organismus erstarkt, und damit die Azi¬ 
dose sich bessert. Während im allgemeinen bei Fettzufuhr eine 
Vermehrung der Azidosekörper im Urin nicht auftritt, zeigte 1 Fall 
eine auffällige Abhängigkeit der Grosse der Azetonurie von der ein- 
geiührten Fettmenge. Grosse Alkoholgaben verringerten diese 
Azetonurie, schienen aber die Toleranz zu schädigen. Während der 
Alkalizufuhr (Natr. bicarb.) wurde in 3 Fällen in Relation zur N-Ein- 
iuhr weniger, bei Aussetzen jener mehr Gesamt-N ausgeschieden, 
ln 4 Fällen Hessen sich auffallende Schwankungen des Körpergewichts 
infolge Wasserretention feststellen; binnen wenigen Tagen können 
infolge vermehrter Wasseraufnahme durch die Gewebe mehrere Liter 
Wasser ohne sichtbare Oedeme oder Ergüsse aufgenommen werden; 
dabei bekommen die Patienten ein volleres Aussehen; umgekehrt zur 
Zeit der Körpergewichtsabnahme. 

11) E. Grafe und W. Röhmer: Ueber das Vorkommen hämo¬ 
lytisch wirkender Substanzen im Mageninhalt und ihre Bedeutung 
iir die Diagnose des Magenkarzinoms. I. Mitteilung. (Aus der medi¬ 
zinischen Klinik zu Heidelberg.) 

Der Aetherextrakt des deutlich alkalisch gemachten Magen¬ 
inhalts nach Probefrühstück enthält unter gewissen Bedingungen 
hämolytisch wirksame Substanzen. Sie fanden sich in allen unter¬ 
suchten sicheren Fällen von Magenkarzinom, bei anderen Magen¬ 
leiden sehr selten. Diese Substanzen sind alkohol- und ätherlöslich, 
sowie koktostabil und hämolysieren in kleinsten Mengen Menschen- 
und Tierblut. Der Stoff ist ein Lipoid und die wirksame Substanz 
darin wahrscheinlich die Oelsäure, die vermutlich aus der karzinoma- 
tös veränderten, ulzerierten Magenwand stammt. 

12) A. W e i 1: Lieber die hereditäre Form des Diabetes insipidus. 
(Mit Tafel III.) 

Die Arbeit bespricht den Stammbaum und die weiteren 5 Gene¬ 
rationen einer Familie, deren Mitglieder in überraschend grosser An¬ 
zahl an Diabetes insipidus erkrankt waren. Diese hereditäre Form 
des Diabetes insipidus zeichnet sich aus durch die besonders grosse 
Intensität der charakteristischen Erscheinungen, namentlich die starke 
Ausdehnung der Blase, die enorme Grösse der Einzelentleerung, das 
ungewöhnlich niedrige spezifische Gewicht des Harns, den gleich- 
massigen Verlauf, die unbegrenzte, von der Wiege bis zum Grabe sich 
erstreckende Dauer, sowie die absolute Unschädlichkeit für das All¬ 
gemeinbefinden und das Leben der damit Behafteten. In den 
meisten Fällen liegt eine direkte Vererbung vor, gelegentlich wird 
eine Generation übersprungen. Der Ernährungszustand der Diabeti¬ 
ker war ein befriedigender, der Appetit gut; abnorm grosser Hunger 
wurde nie gespürt, die Verdauung war durchweg gut. Periode, 
Schwangerschaft und Geburt waren normal, nur die Gravidität stei¬ 
gerte die Symptome. In 3 Fällen verschwand der Diabetes während 
fieberhafter Erkrankungen, um nach der Entfieberung wiederzukehren. 
Das Herz war bei keinem Diabetiker hypertrophisch, die Gefässe 
auch bei den ältesten Patienten nicht sklerotisch. 

13) Joh. PI esch: Einiges über Perkussion. (Aus der II. medi¬ 
zinischen Universitätsklinik Berlin.) (Mit 5 Abbildungen.) 

Nach Analyse der bei der Perkussion entstehenden Wellen be¬ 
spricht der Verfasser seine „Gefühlsperkussion", deren Ergebnisse 
orthodiagraphisch kontrolliert und bestätigt wurden, und verwirft die 
von Goldscheider empfohlene Griffelperkussion. 

14) Besprechungen. Bamberger-Kronach. 

Zeitschrift für Tuberkulose. 12. Bd., 5. Heft. 

Prof. Dr. Kümmer; Tuberkuloseschutzimpfung der Rinder mit 
nichtinlektiösen Impfstoffen. (Schluss folgt.) 

Sophus Bang: Vorschlag einer Erweiterung der Turban- 
schen Stadieneinteilung. 

Die Turban sehe Einteilung legt ein zu einseitiges Gewicht auf 
das sthetoskopische Bild, die der Extensität der Erkrankung beige¬ 
messene Bedeutung ist nicht einwandfrei, abgelaufene und frische 
Prozesse werden nicht unterschieden, dem subjektiven Ermessen 
ist zu grosse Freiheit gelassen. Unschätzbar ist an der Einteilung 
die Einfachheit. Diese wurde durch den Wiener Kongress mit seiner 
Turban-Gerhardt sehen Einteilung zerstört, weshalb diese 
keine Aussicht auf allgemeine Anerkennung hat. Verf. will die alte 
Einfachheit wieder herstellen und die Einteilung dadurch verbessern, 
dass er den ganz unbrauchbaren Begriff des Lungenlappens be¬ 
seitigt (was links auf zwei Lappen kommt, verteilt sich rechts auf 
drei) und Lungenfelder einführt. Feld 1—9 liegt vorn, 1 die Supra- 
klavikulargrube, 2—6 der 1.—5. Interkostalraum, 7—9 Spitze, Mitte 
und Basis der Axillargegend. Feld 10—18 ist hinten entsprechend 
verteilt. Jedes Feld gilt bei leichter Erkrankung 1 Point, bei 
schwerer 2 Point. Daraus ergibt sich eine ganz genaue Bezeich¬ 
nungsart bei der völligen Beibehaltung der Einfachheit der Turban- 
schen Einteilung, und es ist auch der Widersinn vermieden, dass man 


neuerdings jede Lunge für sich behandelt und dadurch zu ganz 
falschen Schlüssen kommt. Durch Points ausgedrückt gehören jetzt 
z. B. 10 Points der rechten Lunge allein zum 3. Stadium, während 
9 Points der rechten und 9 der linken, also zusammen 18 noch zum 
2. Stadium gehören. Verf. wünscht die Frage auf einem der nächsten 
Kongresse besprochen. 

Derselbe: Das Einträgen der Lungenbefunde In Schemata. 

Wieder ein neuer Vorschlag zu 3 Dutzend alten. Es sind die 
Zeichen, die in Dänemark üblich geworden sind und in gewiss er¬ 
freulicher Weise Anerkennung gefunden haben. Die Hauptsache bei 
jeder Zeichensprache ist, dass sie auf einem vernünftigen System auf¬ 
gebaut ist. (Der Verein süddeutscher Heilstättenärzte hat jetzt eine 
gleich logische Zeichensprache ausgearbeitet, über die noch die Ver¬ 
handlungen schweben.) 

Dr. Kaufmann und cand. med. M i e t z s c h - Schömberg: 
Experimentelle Prüfung des Desinfektionswertes von Rohlysoform für 
die Wäsche und des Autans für die Wohnräume Tuberkulöser. 

Die Untersuchungen der Verf. ergeben, dass weder Rohlysoform 
die Wäsche, noch Autan die Zimmer desinfiziert. 

Dr. med. M. Rothschild -Soden: Ueber Autotuberkuline. 

„Unter Opsoninen verstehen wir mit W r i g h t diejenigen Be¬ 
standteile des Serums, welche dazu dienen, die phagozytische Kraft 
der weissen Blutkörperchen zu fördern. Bringt man in einer Pipette 
Leukozyten von einem Kranken, eine Emulsion der Mikroben, die 
seine Krankheit hervorrufen, und eine gewisse Menge seines Serums 
zusammen, lässt dann im Brutschrank dieses Gemisch bei 37 0 C eine 
Viertelstunde verweilen, so können wir die Zahl der in dieser Zeit 
phagozytierten Keime unter dem Mikroskope zählen. Zur Kontrolle 
stellt man denselben Versuch mit dem Serum eines Gesunden an. 
Das Verhältnis der gefressenen Bakterien zu den fressenden Phago¬ 
zyten nennt W r i g h t die „phagozytische Zahl" — das Verhältnis 
der phagozytischen Zahl des Kranken zu der des Gesunden den 
„opsonischen Index“. Den Opsoninen fällt die Aufgabe zu, ins Blut 
gelangte Bakterien so zu verändern, dass sie von den Phagozyten 
aufgenommen und unschädlich gemacht werden können. Die An¬ 
wesenheit der Bakterien im Blut gibt den Reiz zur Bildung der 
Opsonine ab; allerdings enthält auch das normale Blut für eine Reihe 
von Mikroorganismen spezifische Opsonine.“ 

Es dürfte nicht überflüssig sein, diese Grundlage hier nochmals 
zu wiederholen, denn es lässt sich nunmehr mit kurzen Worten sagen, 
dass R. als günstigstes Serum das betrachtet, das mit Bazillen von 
dem zu behandelnden Kranken selbst emulsioniert wurde. Er nennt 
dies eben Autotuberkulin und nimmt an, dass dort, wo bisher Erfolg 
erzielt wurde, zufällig die günstigen Verhältnisse des Autotuberkulins 
gegeben waren. Für Fälle mit geschlossener Tuberkulose, die also 
keine verwendungsfähigen Tubcrkelbazillen produzieren, hat er ein 
Universaltuberkulin konstruiert, das' nach dem Worte „Wer yieles 
brhgt, wird manchem etwas bringen" aus verschiedenen Arten zu¬ 
sammengesetzt wird und dann doch etwas Auto enthalten mag. 

Höchst interessant ist die von englischen Forschern aus der gan¬ 
zen ’iheorie abgeleitete praktische Anwendung, über die R. sagt: 
„Es g. ang den englischen Forschern zu zeigen, dass infolge körper¬ 
licher bewegung aus der Umgebung tuberkulöser Erkrankungsherde 
spezifische Giftstoffe ins Blut gelangen, die einen deutlichen Einfluss 
auf den Verlauf der Opsoninkurve gegenüber den Tuberkelbazillen 
ausüben. Zunächst senkt sich die Kurve, um in einer der Arbeit fol¬ 
genden Ruheperiode sich über die Ursprungshöhe zu erheben. Dar¬ 
aus folgt, dass die an der Peripherie tuberkulöser Herde in den 
Lymphspalten und Saftkanälchen deponierten Tuberkuline — infolge 
der Arbeit ins Blut gelangt — einen identischen Effekt auslosen, wie 
künstliche, von aussen dem Erkrankten zugeführte Tuberkulindosen. 

Unter Kontrolle des opsonischen Index gelingt es, die durch 
entsprechende Ruhepausen unterbrochene Arbeit so zu dosieren, dass 
eine erhebliche Anreicherung des Blutes mit Opsoninen resultiert, 
welche dann der Ausheilung der erkrankten Organe förderlich ist. 

Wir erfahren nichts Genaueres über die Prinzipien, nach wel¬ 
chen die Auswahl unter den Tuberkulösen getroffen werden soll, die 
mit dem „Graduate-Labour"-System behandelt werden können. Nur 
so viel hören wir, dass sich nicht alle Erkrankten für die Methode 
eignen. 

Zwei Punkte schienen mir die wichtigsten in diesem originellen 
Heilverfahren zu sein — einmal der erfolgreiche Versuch der Ver¬ 
wertung des vom Kranken selbst gebildeten Tuberkulins zur künst¬ 
lichen Förderung von Immunisierungsvorgängen, zweitens die Be¬ 
obachtung des opsonischen Index zur Bestimmung des zweck- 
mässigsten Zeitpunktes der Autotuberkulinisation." 

Dr. Schröder -Schömberg: Ueber neuere Medikamente und 
Nährmittel für die Behandlung der Tuberkulose. 

Ein diesmal ziemlich ausführlicher Bericht in der üblichen Weise 
und Vollständigkeit. 

Die Beilage für Heilstätten- und Wohlfahrtseinrichtungen ent¬ 
hält einen referierenden Aufsatz von Köhler: Im Kampfe um 
die T u b e r'k u lose frage, und einen solchen von Schellen¬ 
berg: Die Behandlung des Hauptthemas-.„Der Wert 
der Röntgenuntersuchung für die Frühdiagnose 
der Lungentuberkulose" auf dem Röntgenkongress 
1908 in Berlin. L i e b e - Waldhof Elgershausen. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1502 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. J*. 


Deutsche Zeitschriit Mir Chirurgie. 93. Bd., 3. Heft. Leipzig, 
Vogel, Mai 1908. 

Nekrolog Lennander. 

13) Fritz König-Altona: Weitere Erfahrungen über Kiefer¬ 
ersatz bei Exartikulation des Unterkiefers. 

Ankniipfend an eine frühere Arbeit (D. Z. f. Ch.. 88. Bd.. 1.—3. H. 
Ref. d. Wochenschr. 1907, No. 28, pag. 1392) teilt K. weitere Er- 
fahrungen über Unterkieferprothetik mit. 

Im ersten Falle wurde eine Schröder sehe Hartgummiprothese 
benutzt, die durch eine an den Nachbarzähnen fixierte Goklgabel mit 
Draht befestigt wird; dadurch wird lückenlose Schleimhautnaht er¬ 
möglicht. Der Gelenkknorpel der Cavitas glenoidalis wurde zur Ver¬ 
meidung von Knorpeldrucknekrosen mit Muskulatur überdeckt. 

Bei der 2. vollkommen zahnlosen Patientin wurde eine nach 
der Röntgenplatte angefertigte Hlfenbeinprothese mit Dorn fiir die 
Markhöhle des Ramus horizontalis benutzt; die Prothese wurde nach 
völliger Schlcimhautnaht eingesetzt, die Weichteile über ihr ver¬ 
näht mit ausgezeichnetem kosmetischen Resultate. 

14) Julius Malis-Basel: Die Kutandiagnose der Tuberkulose 
bei chirurgischen Leiden. (Klinische Studie.) 

Nach guter zusammenfassender Uebersicht über Geschichte. 
Technik und Deutung der Resultate bei der P i r q u e t sehen Reak¬ 
tion teilt M. seine an 105 Fällen chirurgischer Tuberkulose gemachten 
Erfahrungen mit. 

Der klinische Wert der Methode darf noch nicht als gesichert 
betrachtet werden, bevor nicht durch ausgedehnte Untersuchungen 
speziell ausgewählter Fälle die Art des Auftretens der Reaktion. 
Differenzen im Reaktionsverlauf bei verschiedenen Tuberkulosen, 
event. Zusammenhang zwischen der Intensität der Reaktion und der 
Grösse oder Akuität der tuberkulösen Infektionen festgestellt ist. 

«Die chirurgischen Tuberkulösen reagieren im allgemeinen viel 
heftiger als die Lungentuberkulosen; sie zeigen sogar regelmässig 
eine Reaktionsform, die bei Lungertuberkulosen als eine seltene und 
ungewöhnlich starke beschrieben wird. Die bei Lungentuberkulosen 
als stark bezeichnete Reaktionsform wird bei den chirurgischen nur 
als eine mittlere bezeichnet usw. Es kommt daher den chirurgischen 
Tuberkulösen eine relativ günstigere Prognose zu. als den Lungen¬ 
tuberkulosen, was auch in der Tat der Fall ist". 

15) Roderich S i e v e r s - Leipzig: Ein Fall von Embolie der 
Lungenarterle nach der Methode von Trendefenburg operiert. 

Der Fall, der ca. 20 Minuten nach der Embolie zur Operation 
kam, blieb noch 15 Stunden post operationem am Leben. S. konnte 
aus der Art. pulmonalis 2 grosse Emboli extrahieren, die Atmung 
setzte unmittelbar nach der Extraktion des 2. Embolus wieder ein. 

Die Durchführbarkeit der T r e n d e I e n b u r g sehen Operation 
ist damit am Menschen erwiesen, auch das Instrumentarium erweist 
sich als absolut brauchbar. 

Bei genügender Zeit würde T. mit B r a u e r - D r ä g e r schein 
Apparat operieren, der aber nicht Conditio sine Qua non ist. wie der 
vorliegende Fall zeigt. 

16) F. Weber-St. Petersburg: Appendizitis und Gravidität. 

Die Appendizitis während der Gravidität ist enorm selten. Die 

Gravidität prädisponiert nicht zu Appendizitis; schwere Formen wäh¬ 
rend der Schwangerschaft sind relativ selten. 

Trotz schwerer Appendizitis braucht der Abort nicht einzutreten. 

In diagnostisch zweifelhaften Fällen ist F r ä n k e I s Vorschlag, 
die Gravida in linker Seitenlage zu untersuchen, brauchbar. . In 
leichteren Fällen wartet man ab; der 3.-4. Monat ist für die Appen¬ 
dektomie ä froid am günstigsten. 

5 eigene Fälle, die sämtlich operiert wurden (2 mal Abortus). 

17) H. F1 ö r c k e n - Wiirzburg; Das Fadenrezldlv nach Gallen- 
stelnoperatlonen. 

Das echte Gallensteinrezidiv nach Operationen ist de facto 
enorm selten: meistens handelt es sich bei erneuten Kolikanfällen 
um mit oder ohne Absicht zurückgelassene Steine, um Adhäsionen. 
Katarrhe des Magens und Duodenums, Verstopfung der Gallenwege 
durch Gerinnsel oder Schleimpfröpfe. Die theoretische Möglichkeit 
der erneuten Steinbildung wird praktisch bestätigt durch das sogen. 
Fadenrezidiv, d. h. Konkrementbildung um Seidenfäden nach der 
ersten Operation. 

An der Hand eines derartigen Falles stellt Verf. die Literatur des 
Fadenrezidivs zusammen (7 Fälle). 

Chemisch besteht der Fadenstein aus Cholesterinpigmentkalk, 
in 6 Fällen bildeten sich die Fadensteine nach der Zystostoipie aus: 
durch Benutzung von Katgut zur Gallcnsteinnaht oder Langlassen 
der Seidenfäden nach Kehrs Vorschlag lässt sich das Fadenrezidiv 
vermeiden. 

18) Kurze Mitteilung: 

Wilms-ßasel: Zur Technik der Beckenkompression bei 
Operation der Blasenektople nach Trendelenburg. 

Nach Durchmeisselung der Beckenknochen rechts und links vom 
Os sacruin legt W. 8 Tage später über dem Leib des Kindes einen 
Eisenbogen an. Dieser trägt an beiden Enden durch Schrauben ver¬ 
stellbare Holzklötze, die je 3 Nägel aufnehmen, die auf der äusseren 
Beckenschaufel etwas hinter der Spina a. sup. angreifen und das 
Becken komprimieren. Der Hautdruck und damit der Dekubitus wird 
dadurch vermieden. (Abbildung und nähere Beschreibung im Ori¬ 
ginal.) Flörckcn - Wiirzburg. 


Belirig« zur kllutecliM Cfcirurstet red. von P. v. 13 r u n s. 

57. Band, 3. Heft. Tübingen, Lau pp. 19 un. 

Aus der Heidelberger Klinik gibt I*. Paneel einen Ikitrag 
zur Anwendung des Murph> knöpfet bei der Magendarmanasiocnote 

und berichtet dann über die l rlahrüngtii der hetrc’iemleii K .:r\rk-. m 
der der Knopi seit Ins Mptc :t.bcr l‘X'7 kofiM. »juv nt bei der 

Gastroenterostomie angewandt wurde. I >. bespricht die \<-rte. c des¬ 
selben (Abkürzung der Operation. \ cr\ wt.u luing der Iccümk. un¬ 
mittelbarer postoperativ er Erfolg) n.ilur und erkennt SH/ie! eine Be¬ 
deutung betr. \ ei Mutung des Circulus vitn-sus dem km-pte zu. auch 
Seme eventuellen Nachteile t1 inkeiiung. Re len tum durdi pt: it« -jü¬ 
tische Mrange, Knnpidi kubitus und I ’ e r! • ■ r .i 1 1 ■ > n. Par me ir;k \ v .« ” g 
und Verschlingung) werden besprochen und wurde in der Heidel¬ 
berger Klinik m der Mailte der halte der Km-ptabgang k-ms%*:.e rt. 
Nach P. ist der Knopi besonders zu empfehlen. wo es aut ei’ e /e t- 
ersparms bei der Operation aiik<unmt: I. bei der Gastr«'enter- st--v .e 
kachektischer lind herunter geM-mme ner Patienten (ka'/.nm ttw.». 
2. bei der Resektion muh Biiif-th II; dagegen ist d;e Naht zu \er- 
wenden: 1. wo es bei der Operation Weniger aui e.ne r.isd.e Vns- 
fiilirung ankomml (besonders bei gutartigen fa. en»: 2. bei a en K*e- 
sektionen (ausgenommen Buir-Uh II». 3. bei a-eii aiuh nur unter ge¬ 
ringer >paimmig Mellenden Anast. -m.-sen, namentlich der hast'-,, 
stomia anterior. 

Willi. Mack besprüht die Cholez)»tottomlen der Heidelberger 
chirurgischen Klinik 1901—1906. 

Wenn die Clndez* sb-sp-ip e ancli etwas an die Ekt-mnc \cr!->rcu 
hat. glaubt M. doch, dass sie wieder weiter Anwendung laude, wenn 
es gelange, ehe N.ulil'ile iler selben, M.tut.g# t il vier Bf.u he, Vdt.a- 
S i • »neu lind Rezidive elanach zu reduzieren. W .ihre rd Kehr s<j Pr--/, 
seiner C iallensteiiiopenef teil als vo,:g geheilt k-nst.»!ie r tc. und bei 
II Pro/. noch Grund zu Klagen i.uul. er*.»)’ suli bei vle n N.u nu-te , - 
suchungeii Ms. bei Sh. 1 lV-z. gebessertes, gutes und sehr gutes Ibe¬ 
finden. Pie primäre Mortaiital beieul.net sich aut vl Pr -/ bei g t.ch- 
Zeitigen Cln>|ed<>elius..pi rati-uie n iii'eeMim \1 Pr--/., die Art t ts- 

falngkeit war nur in hT.'J Pi*»z. \ -.big er lulle II oder g« t e sse 't. lei 
lö Pro/. Iiess suh Völlige Gesundheit < Be s v hw erde beihed > konsta¬ 
tieren. Bruche (bas/ieniru ke nl waren m 2".4 Pr«*/, a er la..e Uei:*i 
riiamilk Men GesJikcht 3i'.s Pr--/., beim \u! kheii IW.4 Pr--/ I v. r- 
lianden, n.ieh k h"kd'‘clnisi.perati<-nen 2»*.7 Pr--z. Wie K. kann M. 
der Nahtmethode* keine bes--ndere Bede utung be/. \ e * b. *; t u ** g der 
Bruche beimessen (muh durc hgr eilt n-ler Nabt 2' , .s Pr--/., n.u h 
Etagermaht Jo.S Pr«-/.). Rezidive wurden Bei I2d Pr«-/, an ge u -r n.e :i. 
bei Chole/x stitis «-Ime Beteiligung der luteren Wege bei 4 M pr-z. 
bei Eminem in I7.h Pr««/., bei Mepatikusdraimige m 2»‘.'s Pr--/. M 
fuhrt Operatu-nsbeiund und N.u buntersiu liungser ge bms v--n 1 
Chole/ystostomien naher an. Pie f i\ati--n der Uu'knba'm* am Pe::- 
toneiim hat hantig zu Knukungs- und Adhasi- nsste m -seil get !.rt. Me¬ 
ist überall da zu verwerten. w<» stärkere Re ;//ustam!e bevtcf^iti 
Per K e h r sehe W ebenso hmtt lasst h'-tten, euren Ied der B r iu be 
hintaii/uhaltem Kombinat)'<n der l tagennaht mit emigen viu'ch- 
greifenden Nahten siuht die >cbw;ulien beider Mette-vle n aiis;u. 
gleichem Per Verbau Jmethode sprüht M. grosse pr.-ph'v lak: s k 
Bedeutung zu. der Mt ftptlaster verband dient am besten zur I nt - 
Spannung der Narbengegend wahrend der W imdheilumg »am besten 
der Verband Kumme lls aus wenig sterben k--n:p'essen rat per¬ 
foriertem Heftpflaster befestigt, wenn möglich 7 1" läge belasse*»'#. 

Pie clironisclie k lu-le/v stitis. die l i/erati-m.n der ( i.-. enK.ise. die 
vielen kleinen und bröckligen Meine geb«' r en der l sb-me. Pie 
Zystostomie wende man bei unveränderter Gadenb'usetiw and. >--'iiar- 
stem oder weniger testen Steinen an. 

Aus der Strassburger chirurgistheu Klinik besprüht !'. Krae- 
m e r die Verwendbarkeit der Konfunktivalreaktion zur Diagnose chi¬ 
rurgischer Tuberkulosen. 

Seit Nov ember I'xi7 hat Altsc huler und K. spe/u.i du lk deutnng 
der Reaktion für die Diagnose chirurgis». her I über ku.- -s«. n /\\ ermitte'fi 
gesucht und zwar iur sichere Tubei kul.-s«. n und tu*« r k ul--se v er !.u li- 
tige balle. Von 2 pro/. Losung K'*chs •Vttu'u f ku..n in ph\ si-.logi¬ 
scher Kochsalzlösung wurde ein ’I ropteit aut »be birien'i.ube des 
Unterlids (nicht den inneren Augenwinkel) eingebaute'!, die K'eakti--n 
trat meist nach 5 h Stumlen. mauv.hm.il erst später <2o Mumleni ein. 
93 Proz. der sicher tuberkulösen lalle /e:gt«.n p-^:ive K’e.ikti-.n. 
bei Tuberkuloseverdäelitigen zeigte vkIi Mmi! positive. 5 mal negative 
Reaktion, 97 Pro/., der sicher mchttuherku.osen | , t c boten keine 
Reaktion, das Vorhandensein irgeiivl einer tuberku • seti I'rkr.nrkung 
im Körper ist bei positivem Ausfall ilaiia-.li fast viJ.er. bei negativem 
Ausfall sehr unw alirschemlk h. \ «ui lls v,liiMirgis^be*i I .»‘len smd 14. 
in denen die etwa als vollgültiges Piagn-.sukuni a* gewandte K-*n- 
junktivalreaktiori die ohne dieses unsuliere l'iagn- se ri^bt.g zu stellen 
erlaubt hatte, wahrend sie m 1 lall /ur beii'di.sguove v e:\itet b.itte. 
Kr. hält es für wahrscheinlich, ilavs die neue n ihren Patz 

behaupten wird, wenn vlie ArisprnJie an sie nicht b :;er giM» 1t wer¬ 
den als die. denen eben Tuberkuiinreaktioneti überhaupt entsprecht n 
können. 

los. Mensik teilt aus der Prager K '"uk einen Fall von an¬ 
geborenem Genu valgum bei I'# ulregem Mann rr:t. vier mit Keii- 
osteotonne operiert wurde. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 




14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1503 


K. He n sehen bespricht aus der Züricher chirurgischen Klinik 
cfie Extensionsbehandlung der Ober- und Unterschenkelbrüche auf 
physiologisch-mechanischer Grundlage und gibt darin einen histori¬ 
schen Rückblick über die Frakturbehandlung, zeigt speziell die Be¬ 
deutung der Massage und Mobilisation der Gelenke, gibt u. a. in 
physiologisch-mechanischen und biologischen Bemerkungen zur Kno¬ 
chenbruchlehre spez. eine Analyse der dabei mitspielenden Kräfte 
(elastische Zugkraft der Muskeln, Bedeutung der Gelenkstellung bei 
der Erschlaffung derselben etc.) und konstatiert, dass es eine ge¬ 
wisse mittlere neutrale Stellung eines Gliedes gibt, in der sich die 
Spannungen aller in ihm gruppierten Muskeln das Gleichgewicht 
halten, dass sich somit eine Mittel- und Gleichgewichtslage herbei- 
hihren und eine bestimmte Winkelstellung der Gelenke ermitteln 
lässt, in der die elastische Tension aller Muskeln das Minimum er¬ 
reicht. H. bespricht die Nachteile der langen Zwangsruhe in immo¬ 
bilisierenden Verbänden und die Schädigung der aktiven Teile, spez. 
des „Arbeitsgewebes“, auch die Bedeutung des elastischen und 
fibrösen Gewebes und gibt dabei einen kurzen Abriss einer „Binde- 
gewebsmechanik“ und zeigt u. a. wie durch Massage und Gymnastik, 
frühzeitige aktive Bewegung, die traumatische Entzündung auf das 
notwendigste einzuschränken sei. In einem technischen Abschnitt 
bespricht H. sodann die Aequilibrialmethode M o j s i s o v i c s, die 
Balancier- und Hebelschwebe von Middeldorpf, den L o r i n - 
ser-Hennequin sehen Zugverband und speziell den Z u p p i n - 
g e r sehen automatischen Apparat zur Permanentextension für Unter¬ 
schenkel- und Oberschenkeifraktur und seine Hängemattenextension; 
er vindiziert besonders den beiden letzteren gegenüber dem relativ 
starren Extensionssystem der V o 1 k m a n n sehen Technik grosse 
Vorzüge, zunächst einen gewissen Grad von Aktionsfreiheit, so dass 
sie als mehr mobiles Extensionssystem anzusehen, das zu jeder Lager¬ 
stätte passt, für die Kranken bequem ist, dem Körper alle mögliche 
Freiheit gestattet. Doch betont H., dass die Extension an der frischen 
Fraktur möglichst bald einsetzen muss, dass auch starke Schwellung, 
Wunden, Exkoriationen keine Kontraindikation bilden. Alle Brüche 
sollen von den ersten Tagen ab (zunächst in Form der Einleitungs¬ 
massage) massiert werden. H. ist überzeugt, dass jeder durch die 
viel besseren Resultate der Extensionsbehandlung gegenüber der an 
Misserfolgen und Kurjstsünden reichen schabionisierenden Gipsver¬ 
bandbehandlung seinen grösseren Aufwand an Zeit und technischer 
Mühe reich belohnt finden wird. 

O. Förster schildert aus dem Allerheiligenhospital zu Breslau 
3 Fälle von isolierten Sehnenverletzungen (ein weiterer Beitrag zur 
Physiologie und Pathologie der Fingerbewegungen). 

W. N o e t z e 1 gibt aus dem städt. Krankenhause zu Frank¬ 
furt a. M. einen Beitrag zur Therapie der Pankreatitis und teilt unter 
Hinweis auf die Arbeiten von Ebner, Mayo Robson etc., von 
denen letzterer 59 Fälle mit 23 völligem Erfolg der Operation zu¬ 
sammenstellen konnte, einzelne Fälle aus dem Frankfurter Kranken¬ 
bause mit, von denen besonders ein Fall von Frühoperation hervor¬ 
gehoben werden muss. Nach N.s Ausführungen muss die akute 
Pankreatitis prinzipiell chirurgisch behandelt werden mittelst einer 
sobald als möglich auszuführenden Laparotomie und Tamponade des 
Pankreasherdes nach Bunge, wobei die freie Bauchhöhle nach 
R e h n auszuspülen und zu drainieren ist. Bei dieser so rasch und 
schonend als möglich auszuführenden Operation muss die Beschaffen¬ 
heit der Gallenwege in jedem Falle genau festgestellt werden, bei 
gleichzeitig bestehender Cholelithiasis ist (bei entsprechendem Kräfte¬ 
zustand) der dringendsten, durch den Befund an den Gallenwegen 
gegebenen Indikation zu genügen (event. die Cholezystostomie aus¬ 
zuführen). Bei Operation wegen längere Zeit bestehender Chole¬ 
lithiasis soll man, auch wenn gar keine Symptome von Pankreatitis 
bestanden haben, doch eine sichere Orientierung über den Zustand 
des Pankreas ermöglichen. Sehr. 

Zentralblatt für Gynäkologie, No. 26. 

L. Knapp- Prag: Ein Vorschlag zur Erleichterung der Ent¬ 
fernung von Quellstiften aus dem Zervikalkanale. 

K. schlägt vor, den intrauterin liegenden Abschnitt des Laminar¬ 
stiftes durch eine Metallhülse aus Neusilber zu decken, wodurch der¬ 
selbe am Aufquellen verhindert wird. Der Faden des Stiftes wird 
durch eine zentrale Oeffnung der Hülse geleitet. (Zu haben bei 
C. Fischer in Prag.) 

Ferd. Kleinertz -Stuttgart: Zwei Fälle von Nlerendekapsu- 
lation bei Eklampsie. 

Zwei Fälle schwerer Eklampsie, die erst post partum auftrat. 
Beide Frauen (27 jährige II. Para und 24 jähr. I. Para) hatten vor 
der Geburt Skopolamin und Morphium bekommen. Im 1. Fall blieb 
die Operation erfolglos; Pat. starb 3 Tage nachher. Im 2. Falle 
traten zwar auch nach der Operation noch Anfälle auf und Pat. 
musste wegen Angstzuständen ins Irrenhaus gebracht werden; doch 
trat schliesslich völlige Heilung ein. 

Fr. Thomä -Lüdenscheid: Bemerkungen zu dem Artikel Ham* 
Derschlags: „Die Anwendung der Abortzange* 4 . 

Im Anschluss an einen Fall, wo nach Anwendung der Abort¬ 
zange Perforation des Uterus und Verletzung einer Darmschlinge 
beobachtet wurde, die erst durch Laparotomie und Uterusamputation 


zur Ausheilung kamen, warnt Th. vor der Winter sehen 
Abortzange als einem gefährlichen Instrument. Das Normalverfahren 
soll die manuelle Ausräumung sein. Gelingt die Ausräumung damit 
nicht, so empfiehlt Th. die Winter sehe Abortkürette (Abortlöffel) 
als ein wesentlich ungefährlicheres Instrument, als die Abortzange 
ist. J a f f £ - Hamburg. 

Archiv ffir experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 

58. Bd. 3.-6. Heft. 1908. 

8) 0. Adler- Prag: Die Wirkung und das Schicksal des 
Benzidins Im Tierkörper. 

9) T. I s h i z a k a - Japan: Ueber künstliche Melanine und das 
natürliche, im Organismus des Maikäfers vorkommende Melanin. 

Chemische Studie über Melanine, welche durch Einwirkung von 
Salzsäure aus verschiedenen Eiweissstoffen dargestellt wurden, und 
über ein im Maikäfer vorkommendes natürliches Melanin. Melanine 
lösen sich in Alkalien, sind durch Säuren fällbar und wechseln bei 
geringem H-Gehalt und verhältnismässig hohem O-Gehalt beträchtlich 
in ihrer Zusammensetzung. 

10) A. Landau- Warschau: Experimentelle Untersuchungen 
über Blutalkaleszenz und Azidose. II. Mitteilung. Ueber den Einfluss 
von Alkalien auf die Alkaleszenz des normalen Blutes und desienlgen 
bei endogener Azidose. 

Landau bemühte sich, auf experimentellem Wege die Frage 
zu lösen, ob eine Hebung der Blutalkaleszenz, welche bei der Azidose 
des Coma diabeticum durch Verabreichung von Alkalien angestrebt 
wird, überhaupt zu erreichen ist und warum diese Therapie beim 
Coma diabeticum gewöhnlich versagt. Seine Versuche erstrecken 
sich auf normale Kaninchen und solche, welche durch Hungern oder 
durch Phosphorvergiftung an Azidose litten. Es zeigte sich, dass 
Einführung von Natriumkarbonat bei gesunden Tieren die Alkaleszenz 
des Plasmas hebt, an der Alkaleszenz des Gesamtblutes braucht 
sich diese Steigerung aber nicht zu zeigen, wenn in den Blutkörper¬ 
chen Veränderungen stattfinden, welche im entgegengesetzten Sinne 
wirken. Auch bei hungernden Kaninchen gelingt eine Bekämpfung 
der Azidose, dagegen versagt sie bei der durch Phosphorvergiftung 
erzeugten Azidose. Landau führt dies auf den Charakter der 
Azidose bei der Vergiftung zurück, bei welcher auch nach Absättigung 
der Säuren im Blut stets weiter grössere Säuremengen in den Zellen 
gebildet werden. Aehnlich verhält es sich bei dem auf toxischen 
Einflüssen beruhenden Coma diabeticum. 

11) L. Lichtwitz-Freiburg: Ueber Wanderung des Adre¬ 
nalins im Nerven. 

Klinische Beobachtungen hatten L. zur Vermutung geführt, dass 
das Adrenalin gleich dem Tetanus- und Diphtherietoxin im Nerven 
wandere. Die Richtigkeit dieser Ansicht konnte er an Fröschen 
erweisen, denen er Adrenalin in ein Bein gespritzt hatte, das mit dem 
übrigen Körper nur noch durch den freipräparierten Ischiadikus zu¬ 
sammenhing. Es trat jedesmal die charakteristische Pupillenerweite¬ 
rung ein, es musste also Adrenalin durch den Nerven in den Körper 
des Frosches eingedrungen sein. Es handelt sich allem Anschein nach 
um einen vitalen Vorgang, um Leitung in der Nervensubstanz, da 
andere Gifte (Atropin, Strychnin, Kurare) auf diesem Wege nicht 
zur Wirksamkeit gelangen, ein Vorgang, der wohl von grosser phy¬ 
siologischer Bedeutung ist. 

12) J. B o c k - Kopenhagen: Untersuchungen über die Nieren¬ 
funktion. 

In erneuten Versuchen geht Bock der Frage, ob die harn¬ 
fähigen Stoffe durch Filtration oder Sekretioq der Niere ausge¬ 
schieden werden und widmet in dieser Abhandlung seine Auf¬ 
merksamkeit der Phosphorsäure, von der Loewi behauptet hatte, 
dass sie sich in kolloidaler Bindung im Blut fände und deshalb nur 
durch echte Sekretion ausgeschieden werden könne. Bock fand 
nun in seinen Kaninchenversuchen bei Wasserdiurese keine 
Vermehrung der Phosphorsäure, dagegen konstante Vermehrung bei 
Zucker- und Salszdiurese und Diurese nach Purinderivaten. Er 
sieht auch in diesen Resultaten eine Bestätigung seiner Anschauung, 
dass die Nierenfunktion nicht durch Filtration und Rückresorption 
erklärt werden müsse, sondern durch echte Sekretion. Da Wasser 
und Phosphorsäure bei den einzelnen Diuresearten nicht parallel 
gehen, so vermutet Bock, dass Wasser oder eine schwache Salz¬ 
lösung durch die Glomeruli, Phosphorsäure durch die Tubuli contorti 
ausgeschieden werden und dass diese verschiedenen Nierenapparate 
durch die einzelnen diuretisch wirkenden Faktoren in ungleicher 
Stärke beeinflusst werden. 

13) G. B u r k h a r d t - Dresden: Ueber die Leistungen ver¬ 
lagerter Pankreasstücke für die Ausnutzung der Nahrung Im Darm. 

Nachdem von Abelmann und Lombroso festgestellt wor¬ 
den war, dass auch unter die Haut verlagerte Pankreasstücke noch 
einen Einfluss auf die Ausnutzung der Nahrung ausüben, ging Burk¬ 
hardt unter Minkowskis Leitung dieser interessanten Frage 
von neuem nach. Er stellte zunächst an dem Hunde, der nur 
noch ein unter die Haut verlagertes Pankreasstück besass, fest, dass 
das Fistelsekret alle Pankreasfermente besass, dass es auf Nahrungs¬ 
zufuhr an Menge und Trockensubstanz zunahm, dass das tryptische 
Ferment durch Darmpressaft aktiviert und in seiner Wirkung ver- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1504 


MUENCliENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N*«’. 




stärkt wurde. Zusatz von Magensaft hob die verdauende Wirkung 
der Fermente nicht auf. Die Resorption der f ette wie der Liwciss- 
stoffe war nur sehr wenig beeinträchtigt, so lange der Hund das 
Sekret der Fistel nach Belieben auflecken konnte, stark gestört, wenn 
der Saft aufgefangen und so dem Organismus ganz ent/ogeii wurde; 
weniger gestört, wenn man den Abfluss durch Kotupressiv\ ei band 
erschwerte. Letzterer Umstand legt den (iedanken nahe, dass die 
Stauung zu einer teilweisen Resorption des Sekretes führte, welches 
dann doch noch irgendwie für den Organismus verwertet wurde. 
Die Leistung des Pankreas fiir die Resorption der Nahrung be¬ 
ruht demnach allein auf der Produktion des äusseren Sekretes, mag 
dieses direkt oder indirekt dem Darm zugeführt werden; eine in¬ 
nere Funktion, durch welche etw a die Tätigkeit der resorbiei enden 
Elemente beeinflusst wird, ist nach diesen Versuchen nicht au/ii- 
nehmen. 

14) R. B o e h m - Leipzig; lieber Wirkungen von Ammonium* 
basen und Alkaloiden auf den Skelettmuskel. 

15) O. Minkowski- Greifswald: Die Totalexstirpation des 
Duodenums. 

Pflüger hatte auf Grund von Versuchen am Frosch behauptet, 
dass in dem Duodenum ein antidiabetisches nervöses Zentral«»! ran 
liege, durch welches die antidiabetische Kraft des Pankreas be¬ 
herrscht werde. Minkowski führt nun an Mumien v«»n neuem 
den Nachweis, dass nur die Pankreasentternuug. nicht aber die L\- 
stirpation des Duodenums Diabetes herbeifuhrt und erklärt die ab¬ 
weichenden Ergebnisse Pflügers durch die kurze I ebensdauer der 
Frösche nach der Operation, bei denen es aus diesem Grunde gar 
nicht mehr zur Entwicklung des Pankreasdiabetes kommen kann. 

16) G. B. G r u b e r - München: lieber die Beziehungen von Milz 
und Knochenmark zu einander, ein Beitrag zur Bedeutung der Milz 
bei Leukämie. 

Der Verfasser wendet sich gegen die Ansicht K. Zieglers, 
der nach Röntgenbestrahlung bei Kaninchen eine leukämische Ulut- 
beschaffenheit und eine Degeneration der Milz festgestellt hatte. 
Diese Degeneration der Milzfollikel soll nach Ziegler das primäre 
Moment in der Entwicklung der Leukämie darstellen und sekundär 
zu einer Wucherung der Knochenmarkselementc führen. Gr über 
weist auf Grund von Versuchen au Kaninchen, die nach Milzexstir¬ 
pation bestrahlt wurden, diese Erklärung der Leukämie als eine 
gestörte Beziehung zwischen Milz- und Knochenmarksfunktion zu¬ 
rück. Die Markzellen Zieglers erkennt er als solche nicht an. 
hält sie vielmehr für grosse mononukleäre Leukozyten und erklärt 
die Leukozytenvermehrung als eine Reaktion der Ivmphatischen 
Apparate auf eine vorausgegangene Schädigung durch die Be¬ 
strahlung. 

17) A. v. Do m a r u s - München: lieber Blutblldung In Milz und 
Leber bei experimentellen Anämien. 

Es gelang v. Domarus durch protrahierte Vergiftung mit 
Phenylhydrazin, Pyrogallol usw. bei Kaninchen Organveramleruiigeii 
hervorzurufen, die mit denen menschlicher, perniziös anämischer 
Organe weitgehendste Aehnlichkeit besitzen: lymphoide Umwandlung 
des Knochenmarks, myeloide Umwandlung der Milz mit Erythro- und 
Leukopoesc, Auftreten von Knochenmarkselementen in der Leber. 
Diese Veränderungen sind als Ausgleichsbestrebungen des Organis¬ 
mus anzusehen, sic fehlen bei der akuten Vergiftung. 

18) A. Q r ö b c r - Güttingen: lieber den Einfluss des Lichtes auf 
die Bildung von Kohlenoxydmethämoglobln. 

Aus den Versuchen geht hervor, dass die Bildung des Methamn- 
globin aus CO-Hämoglobin durch Ferrizyankaliurn bedeutend schnel¬ 
ler unter dem Einfluss des Lichtes, insbesondere der chemisch wirk¬ 
samen violetten und ultravioletten Strahlen, als im Dunklen vor sich 
geht. Die Methämoglobinbildung durch Kal. chloric. wird durch 
Kochsalzzusatz beschleunigt, und zwar entsprechend dem Dissozia-’ 
tionsgrad des NaCl. 

19) C. Lhotäk von Lhota-Prag: Untersuchungen über 
die vaguslähmende Wirkung der Digitallskörper. 

Bei stärkerer Vergiftung durch Digitaliskörper werden die 
Vagusenden gelähmt. Es stellt sich eine Blockierung der Hemmungs¬ 
funktion ein, die immer stärkerer und längerer Summation der Reize 
bedarf, um durchbrochen zu werden. Die Blockierung wird durch 
Physostigmin verstärkt und durch Apomorphin vermindert. 

20) E. K e h r e r - Heidelberg: Der überlebende Uterus als Test- 
oblekt für die Tätigkeit der Mutterkornpräparate. 

Kehrer benutzt das in Ringerlösung auigehängte überlebende 
Uterushorn der Katze als Testobjekt für die Wertbestimimmg der 
Mutterkornpräparate und nimmt die minimale wirksame Dosis von 
0,01 g Secale cornut. auf 200 ccm Ringerfliissigkeit als Einheit der 
Wirksamkeit des betreffenden Präparates. Pas Uterushorn verzeich¬ 
net seine Kontraktionen auf der Trommel. Nach dieser Methode 
untersucht, unterscheiden sich die verschiedenen Sekalepräparate des 
Handels sehr bedeutend. Zu den wirksamsten zählen das Ergotm 
dialys. Wernickc. E. Bonjean, E. Denzel, Secacornin Roche, während 
mehrere völlig unwirksam blieben. 

21) A. v. S i e w e r t - Strassburg: Untersuchungen über das 
Hämin. 

Von rein physiologisch-chemischem Interesse. 


D igitized ^GOO^lß- 


JJ l .1. Lew i u s k i - < n uisw .iid : l ober die (ircn/cn der Mippur- 
säurebildung beim Menschen. 

l.ewinski konnte durdi P.n u i«. hung \ hui/« «<. sau* «. ::i Na¬ 
tron beim Menvheii sehr bedeutende he n \ »-n 11 i n* - 

saure im Harn erzielen. wurden Ki c»w i-issar nu r K -st \»-n C 
emgefiihrter Benzocs.iurc nur n.s Pr-./ . \ ■ -m g dr« !»»••/. ir\i 
ausgeschieden. Bei lel/tcur I> sc /e i„te n Vcfi iv erteil G.ttvx ir- 
k uiigeil. die auf < ii\ k«»k-.»\ erarmmig iks K ::vs Fi: u!a :i. de: n 1 •„ : 
I >ai rcichmig einer eiw eiss-, spe/itä g ’d • -k• ■oJiui k • -st « l** 
Winden 5(1 g Beii/ocs.iu: c ansfandM«-s x.rtr.uen und los aal Jo l’r- * 
freie Beii/oes. hm e m llippir vaire ukfege w an.U t 2 N.ercukr.;: * e 
waren cln.nl , ms imstamle rcid; tdie* Moi .iii n.*m M.ppm m«u*c zu t 
den. Bei beulen war .der die Au^sdie «einig der >u.'-st.ii:/ 
samt. 

2 'l K. H u I d s c h i n s k i - Nr .issbur g: Leber die herz hem men de 

Dlgltallnwlrkung. 

Die beschriebenen \ersudic Zeigen, d.iss euic \d.M;--n der T 
talmw ir kimg bei äusserer App.ik.alnm aul das Merz d vier U r ►. .. ^ 

der F.rrcgung eler her/hytf.nieiuk n ne r\*-se n 1 drehte (\.ioist t e - 
stellt. Daraus zieht \ert. eien Sli.ius. dass diese I • .gda.mu ; r -.;;: g 
gleichfalls ehe he r/hemmende n \ • -rric i:tö*lgen erregt, rar d.us es 
sieh hierbei nullt um nervöse fkmeutc. s< -Mvlc r n um v!;e ;iawn‘i 
Schichten des Mer/muskeds handelt. 

24» A. flli n g e r - Königsberg: Weitere Studien über Canthart* 
dln und Cantharidln-Immunifac, nebst Bemerkungen zur Wirkung des 
Mutterkorns auf den Hahnenkamm. 

25> V. Seo - I okio: Leber die Hlppnrsaurespaltung durch Bak¬ 
terien und Ihre Bedeutung für den Nachweis von Benzoesäure und 
(ilykokoll Im Harn. 

Naell elieseii m Minkowskis Klinik auvgelihrteR t oU-- 
siicliungen wirvl die Ilippiirs.mre des Marrs sehr le-dit durdi B.-.- - 
teilen m Benz« »e s.mre mul < i. \ k < >k«.»il gi sp.i teil, mul zwar pw hm .« 
sich die Staphx I« >k< >k ke n urul Ni e pP-k. -k V«. n a s wirksam, . 

Bacterium coli, I \ phtis- mul Parat\plud a/: e n. s»>wic B j-e • >- 
c\alleus nullt imstande* snul. liippms.iure zu /ersetzen. Die I . -. - 
keit der Mippurs.iure/er legung kann demnadr zur DiVe rcn/ief i:*-g 
\ er Sclneuleiier Baktei leitar teil Verwertet Werden; .iikIl u'm :!s »st I e: 
l ntiTsuchmige n auf Mippurs mre mul Gi\k--k-d. i;n Man aul etwa K c 
Bakterie uw ir klingen zu achten. 

2i») \\ . \\ o I f f mul \. M a r t i n e 1 i i - Be r im leber einige Be¬ 
ziehungen zwischen Nieren* und Magenkrankheiten. 

Wahrend beim Niet e nge smuk n n.u h den l nte-Mu hm* gen eie- 
\ erf. eler Lliior gehalt der Nahrung »-fme 1 •ntkiss aul den gh .'ge 1 .» f 
des Magensaltes ist und atich beim Nie r e iik * .mm n eine \ e t m.ru.e * t. _ 
des Chlors im Magensatt l»ei SaLl-arnur K- M md't s-p-rt e;r*:*.::. 
Steigert eine NaCl-/.uiagc de u Ci-Geiiait eles M.. gensaltes bei Nieren¬ 
kranken. Ausserdem wirkt NaCl bei Nie r e r.k * ai:ke n dmre lisgh. 

27) E. I ii I J - Be rIm: Die Wirksamkeit des Tr>psins und ein 
einfaches Mittel zu Ihrer Bestimmung. 

Prioritätsanspruch hinsichtlich der genannten MetVk* ge gen- 
über G ross. J. M u I I e r - N :rrd e'g 

Vierteljahrschrlff für gerichtliche Medizin und öffentliches 
Sanitätswesen. XXXV. Band. 2. fielt. Jahrgang P> ^ 2. Me tt 

1. Gerichtliche Medizin. 

7) Raimund Keller, Meuli/maiprakiikant: Zur Kenntnis der kon¬ 
genitalen Hautdefekte am Kopie des Neugeborenen, i \us den pa: , - 

logischen Institut m Mi.issl-uig i 

Nadi einer auspihitidien geschuht idieii I miutung. m we.d.cr 
die verschiedenen bisher von einer Kkifie \«-n Aut-Teil tu Scf;Lebe:'e*i 
Falle nutgeteilt werden und m Weicher daraul l:;:;gLw lesen wird, da^s 
die erste biologische l ntersudumg eines s--kF.cn k'-ngetnta.en Haut- 
defektes von Hans v. Ilebra hcrndirt, gmt der \ er lasser eine ein¬ 
gehende Darsteliüng seiner eigenen Be«-bac.htm g. 

F.s handelte sich um einen f» m<-nat.-vhen I «dus. w e.l äJ’.cn tjc- 
Schlcchts, von ziemuch guter l ntw ickimig. I'.c >esti--n der inneren 
Organe ergab voilk««mmen normalen Betund. an den F.vtremdate 
war eine hochgradige \ aigo-Caicaneus-Me.,Lit|| au**ai end — d e 
l usse schmiegten sich bei an den Leib emp- rges^:;.ager.tn Be.rc'i 
der vorderen Bauchwand dicht an. Aut dem s.kild. muten ube r 
der Mit irr a sagittaiis, n«>ch in die hintere l.cke der g'.ssen 1 . •utar.e de 
limeiiireiclieiul, beland sidi ein im akgtmcmcn rm d..c!ier, 1 g v m 
grosser Jlautdeiekt, dessen Niveau unter cIl*h der m-rmaclt Baut 
leicht eingesunken erschien, die Ränder waren sdiar :<vaik-g. \-:i 
einem ca. 1 2 cm breiten, weise«, n >amn im. s ebt::. vier der dl eire 
scharfe Rinne X"ii der umgebenden Baut getrennt war. i ».e ganze 
Stelle* des Hautde I«. kies war bei mal,;«-sk -p«e w e r B-. t'ad.tung \. ■ i ,- 
k«»mmen haaiins. Die kiMd,eii erwitM.ii s, s m 

Lälter dem Mikr«»sk<-pc Zeigte sidi der I *«.k*.t d-.r Hat;ptsdvi:e 
nach aus einem Biutsch-nle btst^rnd. der Lei : \ er gro>s t rur.g 

allenthalben Zeüde ti 1 1us im Ker nreste. Fier u*-c v.a tt d; gut e'iia tt ne 
Blutkor |>eidieii erkenne n liess. P;e Mrbkut.v ! ans «. ::«.*n gr-.b- 

W eiiigeii, dicktase: .gen l'».:.a ; a w e be, n s w e : t Ar.deutm-g 

von FettZcKeu \«»rliai den. Im rtn I- .e /e s ten sidi 

auch gut entwickeite Maare im Iktente, 


Original frem 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 








14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1505 


Was die Aetiologie dieser kongenitalen Hautdefekte anlangt, hebt 
Yen. hervor, dass dieselben nicht durchwegs eine einheitliche Entsteh¬ 
ungsursache haben, dass vielmehr wahrscheinlich recht verschiedene 
Momente ein und dasselbe Resultat hervorzubringen imstande sind; 
sie können auf ein Trauma zurückgeführt werden — namentlich durch 
kriminelle Fruchtabtreibung verursacht —, sie können aber, und 
zwar jedenfalls häufiger, auf Vorgängen in der Uterushöhle selbst, 
auf der Einwirkung von Amnion und Amnionsträngen beruhen. 

Diese Tatsache ist bei der gerichtsärztlichen Beurteilung der¬ 
artiger Fälle stets zu berücksichtigen. 

Der Abhandlung sind zur Erläuterung eine Reihe von Ab¬ 
bildungen beigegeben, sowie ein reiches Literaturverzeichnis. 

8) Ernst Giese-Jena: Zwei Gutachten, als Beitrag zu der 
Frage: Selbstmord oder Unfall? 

Der Verfasser stellt zwei Gutachten einander gegenüber, von 
denen das eine vom Fachmann in Schiessangelegenheiten (Ober¬ 
förster), das andere vom Gerichtsarzt (Verfasser) erstattet ist, welche 
zu voneinander abweichenden Ergebnissen bei der Beurteilung des 
Falles kommen: es handelte sich um eine Schussverletzung am Kopf, 
mit der ein Mann in seinem Jagdgebiete tot aufgefunden wurde. 

Der Oberförster nahm in der Prozessache gegen eine Lebensver¬ 
sicherungsbank den Tod als Unfallfolge an, während der Verfasser 
Selbstmord annahm, namentlich in Erwägung des Umstandes, dass 
bei gewöhnlicher Tragweise des Gewehres, sowohl über dem Rücken, 
wie über der Schulter ein zufälliges Losgehen niemals die Schläfen¬ 
gegend in der Weise, wie es hier der Fall war, hätte treffen können, 
sondern dass dazu immer eine stärkere seitliche Hebung des Ge¬ 
wehres notwendig sei. 

Spätere Erhebungen ergaben, dass auch Umstände Vorlagen, 
welche die Veranlassung zum Selbstmord abgegeben haben können. 

9) Beintker, I. Assistent: Zur Wirkung verschiedener Re¬ 
duktionsmittel auf Verbindungen des Hämoglobins. (Aus dem bak¬ 
teriologischen Laboratorium der Stadt Köln.) 

Verf. hat, um einen Ersatz des Schwefelammonium, welchem bei 
Untersuchung des Blutes, namentlich in forensischen Fällen, Mängel 
anhaften, zu finden, verschiedene, in der Chemie gebräuchliche Re¬ 
duktionsmittel in ihrer Wirkung auf verschiedene Verbindungen des 
Hämoglobins untersucht, nämlich Schwefelammonium, Na¬ 
trium hypophorosum, hydroschwefligsaures Na¬ 
trium, salzsaures Hydroxylamin, Schwefelwasser¬ 
stoffwasser, weinsaures Eisenoxydul in ammonia- 
k a 1 i scher Lösung, Zinnchlorür. 

Das Ergebnis der Versuche mit Oxyhämoglobin, mit Kohlenoxyd¬ 
blut ergab nach Anschauung des Verfassers, dass in dem hyd ro- 
schwefligsauren Natrium ein in seiner Wirkung dem 
Schwefelammonium und dem weinsauren Eisenoxydul in ammonia- 
kalischer Lösung gleichwertiges Reduktionsmittel gefunden sei, das 
aber die Vorzüge voraus hat, dass es die Blutmenge nicht be¬ 
deutend vermehrt, d. i. verdünnt, was bei ganz geringen Mengen 
wohl in Frage kommen könnte, und dass es eine klare, farblose 
Lösung gibt, was namentlich bei Schwefelammonium nicht der Fall 
ist, welch letzteres deshalb eine Verdunklung des Spektrums in Blau 
bedingt. 

10) Baller, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt Owinsk: 
Zur Lehre der Gehirnerschütterung. 

An der Hand eines selbst beobachteten, zur Sektion gelangten 
Falles — ein Geisteskranker erhielt von einem anderen einen heftigen 
Schlag gegen den Unterkiefer mittels eines Spatens, stürzte bewusst¬ 
los auf den locker aufgegrabenen Erdboden und war sofort tot — be¬ 
spricht Verf. die einzelnen Theorien, welche zur Erklärung der töd¬ 
lichen Wirkung der Gehirnerschütterung ohne besonderen Befund auf¬ 
gestellt wurden, unter welchen die eine die Gehirnerschütterung in 
einer Reflexparalyse, eine andere in einem Schock des Gehirns, ent¬ 
weder hervorgerufen durch eine Funktionsstörung der Gefässe und 
damit einer mangelhaften Ernährung des Gehirns oder in einer mecha¬ 
nischen Beeinträchtigung, welche das Gehirn gleichmässig trifft im 
Sinne einer molekulären Schädigung der Zellenelemente, erblickt. 
Baller verweist dagegen auf die experimentellen Untersuchungen 
von Kocher und Ferrari und tritt für jene Auffassung ein, nach 
welcher die Gehirnerschütterung in einer Quet¬ 
schung des Gehirns besteht, hervorgerufen durch eine gewisse 
Bewegung desselben in toto. Auch die leichtesten Fälle von Com- 
motio. die nach kurzen Erschütterungserscheinungen ad integrum 
zurückkehren, sind hierauf zurückzuführen und nicht auf den sog. 
Schock des Gehirns. 

11) Attilio C e r i d a 1 i, Privatdozent: Beitrag zur Kenntnis der 
spontanen Heilung der Herzwunden. (Aus dem Institut für gericht¬ 
liche Medizin in Florenz.) 

C e i i d a 1 i beschreibt einen Fall von einer Herzverletzung, die 
ein junger Mann gelegentlich einer Rauferei erhielt und die nach 
s Tagen zum Tode führte. Bei der Sektion zeigte sich, dass der 
Messerstich die rechte Kammer völlig durchsetzte, was Hämoperi- 
kard und Kollaps verursachte. 

Auf Grund der histologischen Untersuchung der Wunde und 
des bereits vorhandenen Narbengewebes kommt er zur Anschau¬ 
ung, dass die Herzwunde durch Bindegewebsbildung, und zwar ver¬ 
möge des interstitiellen und subepikardialen Bindegewebs vernarbe, 


ähnlich wie es bereits bei Experimenten an Tieren festgestellt wurde. 

12 ) Camillo Toro: Ueber den Tod durch Sturz aus der Höhe. 
(Aus dem Institut für gerichtliche Medizin zu Turin.) 

Der Umstand, dass der Tod durch Sturz aus der Höhe in den 
Handbüchern für gerichtliche Medizin und auch sonst recht kurz 
bisher behandelt wurde, veranlasst den Verfasser, diese Frage näher 
zu erörtern. 

Dabei berücksichtigt er vor allem die Fragen, ob es sich wirk¬ 
lich um einen Sturz aus der Höhe handelt, ob der Sturz vor oder nach 
dem Tode erfolgte, ob Mord, Selbstmord oder Unfall vorliegt. 

Auf Grund eingehender Erörterungen all der bei den verschie¬ 
denen Fällen zu beobachtenden Befunde kommt Verfasser zu dem 
Schlüsse, dass der Sturz aus der Höhe gegenüber den anderen grossen 
Traumen durch stumpfe Gewalt sich durch grössere Häufigkeit von 
Knochenverletzungen auszeichnet, so dass man kaum einem Todes¬ 
fall durch Sturz aus der Höhe begegnet, der nicht von Knochenver¬ 
letzungen begleitet wäre. Dagegen sind die vereinzelten Ver¬ 
letzungen selten. Sind die Verletzungen auf bestimmte Organe be¬ 
schränkt, so schliesst dies den Tod durch Sturz aus oder macht ihn 
doch sehr unwahrscheinlich. 

Zur Differentialdiagnose, ob der Sturz vor oder nach dem Tode 
geschah, können ausser den allgemeinen Kennzeichen vitaler oder 
postmortaler Verletzungen auch einige Erfahrungen über die relative 
Häufigkeit, Form und Lokalisation der Knochen und Organver¬ 
letzungen beim Sturze des Lebenden einer- und der Leiche ander¬ 
seits herangezogen werden. 

Die Unterscheidung von Selbstmord und Unfall kann sich, abge¬ 
sehen von den allgemeinen Unterschieden zwischen diesen Todesarten 
und den äusseren Umständen, zunächst auch auf einige statistische An¬ 
gaben, wie Alter, Geschlecht, Beruf usw. stützen. Ferner überwiegt 
beim Selbstmord gegenüber dem Unfall die Wirkung auf die unteren 
Gliedmassen in charakteristischer Weise derart, dass das Gesamtbild 
der hiebei entstehenden Knochen- und Organverletzungen mit hoher 
Wahrscheinlichkeit die Erkennung der Todesart ermöglicht. Weiter 
ist bei dem Selbstmörder eine erhöhte Muskelwirkung vorhanden, 
deren Folgen sich in indirekten Verletzungen der Knochen und Weich¬ 
teile zeigen. Schliesslich finden sich bei Selbstmördern im allge- 
' meinen durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren ausge¬ 
dehntere und schwerere Verletzungen als bei Unglücksfällen. 

Oeffentliches Sanitätswesen. 

6 . G. M.-R. Prot Dr. Rubner und G. M.-R. Dr. Abel: Ver¬ 
wendung von Salizylsäure oder ihrer Verbindungen für Konserven¬ 
zwecke. (Gutachten der Kgl. wissenschaftlichen Deputation für das 
Medizinalwesen.) 

Bereits in einem Gutachten dieser Deputation vom 17. II. 04 ist 
ausgesprochen worden, dass mit Salizylsäure versetzte Fruchtsäfte als 
verfälschte anzusehen seien, weil die Ware durch Zusetzen eines 
fremden Stoffes eine äusserlich nicht erkennbare Verschlechterung er¬ 
fahren habe und da auf Grund der damals nachgewiesenen nachteiligen 
Wirkungen der Salizylsäure bis herab zu Dosen von 1,5 g pro Tag an¬ 
genommen werden musste, dass auch noch kleinere Mengen sich bei 
Leuten mit kranken oder empfindlichen Nieren als schädlich erweisen 
könnten und dass bei kleinen aber regelmässig wiederholten Dosen 
nicht mit Sicherheit krankmachende Folgen auszuschliessen seien, 
wurde die Verwendung von Salizylsäure als unzulässig bezeichnet. 

Zu gleichem Ergebnis kommt auch das neue Gutachten und 
weist namentlich die Angriffe, die G.-R. Franz Hofmann in Leipzig 
unter dem 30. August 1905 gelegentlich einer Strafsache, betr. Salizyl¬ 
säurezusatz zu Zitronensaft auf das erste Gutachten gemacht hatte, 
in ausführlicher Begründung zurück, in erster Linie auf die verschie¬ 
denen Prüfungen bezugnehmend, welchen die Frage der Zulässigkeit 
der Verwendung der Salizylsäure in den letzten Jahren unterzogen 
wurde, unter welchen die zuverlässigeren eine schädliche Wirkung 
der Salizylsäure für erwiesen halten. 

Da die Salizylsäure keineswegs unentbehrlich sei zur Konser¬ 
vierung des Fruchtsaftes, diese sich vielmehr, wie es ja auch früher 
geschah, durch andere Mittel erreichen lässt (Zuckerzusatz) und 
da anderseits sich in salizylisierten Säften immer Veränderungen 
vollziehen, so wird für den Salizylzusatz neuerdings der Begriff 
„Verfälschung“ als berechtigt erklärt, so dass keine Veranlassung 
bestehe, die in rfiiheren Gutachten ausgesprochenen Anschauungen 
zu ändern. 

7) G. O.-M.-R.' Prof. Dr. Schmidtmann -Berlin: Bericht über 
die Erfolge der mechanischen, chemischen und histologischen Ab¬ 
wässerklärung. 

Verf. weist zunächst daraufhin, dass man dem vielgestal¬ 
tigen Bedürfnis der Klärung der Abwässer durch ein allgemein 
anwendbares Verfahren nicht gerecht werden könne, ein für alle 
Fälle passendes und allgemein anwendbares Verfahren der Abwässer¬ 
klärung gibt es nicht, der einzelne Fall fordert ein den Verhältnissen 
angepasstes Verfahren, das unter sachverständiger Kontrolle in weit¬ 
aus den meisten Fällen einen praktisch ausreichenden Erfolg erzielen 
lässt. 

Schmidtmann bespricht dann die verschiedenen, z. Z. ge¬ 
übten Reinigungsarten, die Reinigung durch Bodenbcriese- 
I 1 u n g, dann das diesem natürlichen biologischen Reinigungszwecke 


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Original frorn 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



MUENCFILNKR MEDIZINISCHE W< »CHENSCMRMFT. 


1506 

in seinem Erfolg am nächsten stellende künstliche biologi¬ 
sche Verfahren, die R o t h e - D e g c n e r - Anlage (Kohle- 
iTorf-Jbrei-Verfahren), die chemische Aln\ässerreinigung lind das 
mechanische Reinigungsverfahren hinsichtlich ihres 
Reinigungseriolges und ihrer Anlage- und Betriebskosten. 

Was die Kosten der einzelnen Abw ässerrcinigungsveriahrcn 
anlangt, so stehen diese im allgemeinen annähernd im direkten Ver¬ 
hältnisse zu der jeweils dadurch zu erreichenden Reinigung. 

Vom praktischen Standpunkte wird ein billiger Ausgleich er¬ 
strebt werden müssen und man wird unterscheiden zwischen dem 
hygienisch Notwendigen und hygienisch VV unschensw erten. anderer¬ 
seits muss aber eine unangebrachte Sparsamkeit vermieden werden, 
weil sonst Misserfolge gezeitigt werden, deren Ausgleich später noch 
weit höhere Kosten verursacht. 

Die ständige Verbindung der Desinfektion mit 
dem Betriebe zentraler Kläranlage empfiehlt sich nach Schmidt¬ 
mann nicht, sic ist auf Ausnahmefälle (Epidemien) zu beschranken. 

Mine regelmässige sachverständige l utei suclmng 
der Abflüsse der Kläranlage und des Vorfluters muss Aufschluss aber 
die Wirkung der Anlage geben, dagegen kann in der Regel die bak¬ 
teriologische Untersuchung der Abwässer unterbleiben, 
sie kommt nur in Betracht, wenn es sich um die Untersuchung des¬ 
infizierter Abwässer handelt. 

8) Reg.- u. Med.-R. Dr. D e n c k e - Magdeburg: Der Einfluss der 
Zuleitung der Salze und Endlaugen der Kallindustrie zur Elbe aul das 
Magdeburger Trinkwasser. 

Aus Anlass einer Klage der Stadtgememde Magdeburg gegen die 
Mansfelder Kupferschiefer bauende < iewerkschaft hatte Dr. Druck e 
ein Obergutachten in obengenannter brave zu erstatten. Er kam auf 
ürund wiederholter Untersuchungen zu dem Schlüsse, dass die be¬ 
klagten Betriebe das Elbewasser in ausserordentlichem Masse dm Ji 
mittelbare Zuführung von aussergewohnlichen Mengen \on Salzen 
und Endlaugen (namentlich starken Chlorgehalt) vei um einigen und 
dadurch eine genussstörendc Beschaffenheit des Magdeburger 
Leitungswassers hervorrufen, eine g e s u n d h e i t s s c h a d I i c h e 
Beschaffenheit desselben jedoch nicht sicher nachgewiesen weiden 
kann. 

9) M a n n - Charlottenburg: Fleischvergiftung durch das Fleisch 
kranker Tiere und Ihre Verhütung. 

Mann bespricht die Aetiologie de r verschiedenen Arten von 
Fleischvergiftung, die Lebenseigenschaften von deren Erregern 
beim Menschen kommen bekanntlich zwei klinisch verschiedene 
Krankheitsbilder vor, am häufigsten akuter fieberhafter Darmkatarrh 
mit schwersten Allgemeinerscheinungen und der sog. Raratvphus 
und verlangt, dass zur Verhütung von Fleischvergiftungen die Tier¬ 
ärzte die Fleischbeschau ausüben sollen; bei scptisch-pvnmise heil 
Erkrankungsformen hätte, sowie bei allen akuten Injektionen, die 
kein klares anatomisches Bild liefern, die bakteriologische Unter¬ 
suchung stattzufinden. 

10) 0 e r I a c h - Mildesheim: Die Beschäftigung jugendlicher Ar¬ 
beiter In Fabriken. (Schluss aus I. Heft.) 

Verfasser erörtert die verschiedenen gesundheitswidrigen Ver¬ 
hältnisse, wie sie sich vielfach bei Beschäftigung jugendlicher Ar¬ 
beiter in Fabriken fänden; er erwähnt den ungünstigen Einfluss auf 
die körperliche Entwicklung, die Störung der Zirkulation iVan/eii. 
Hämorrhoiden, Leber- und Milzanschwellung), Erkrankungen der Ver¬ 
dauungsorgane (chronischer Magendarmkatarrh, chronische Obstipa¬ 
tion mit den nervösen Folgeerscheinungen), bei Mädchen Chlorose 
usw. und führt in kritischer Darstellung die einzelnen gesetzlichen 
Bestimmungen an, die zum Schutze der jugendlichen Arbeitet bis jetzt 
erlassen sind und knüpft daran noch einzelne weitere Forderungen, 
die in dieser Beziehung zu stellen wären, so verlangt er z. B.. dass 
die jüngeren Mädchen möglichst spät, jedenfalls nicht vor ihm 
1b. Lebensjahr zur Fabrikarbeit zugelassen werden und namentlich, 
dass auch die ärztliche Mitwirkung bei der Fabrikauiskht zweck¬ 
entsprechend geregelt wird. Dr. Spaet - Furth. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 27. 19<)8. 

1) A. B a g i n s k y - Berlin: Die Jüngste Dlphtherleeplderale und 
die Serumtherapie. (Schluss folgt.) 

2 ) C. T. N o e g g e r a t h - Berlin; Fln Fall von Elephantiasis con¬ 
genita. 

Beschreibung dieser Veränderung bei einem etwas untergew icli- 
tigen, W'enig ernährungsgestorten. leicht rachitischen. ps\ chisdi nor¬ 
malen Kinde von 7 Monaten, w elches neben einer Mikmpoh adei’ic. 
einer leichten Anämie und einem Milztumor eine clephantiaMstisJie 
Verdickung beider Unterschenkel und Fusse aufweist, wekhe. wie 
das Röntgenbild zeigt, im wesentlichen die Weichtcilc betrifft. Verl 
berichtet noch über einige ähnliche Fälle aus der Literatur. 

3) H. L a c h in u u d - Minister i. VV.: Untersuchungen über die 
Konvergenzreaktion bei reflektorischer Pupillenstarre. 

Verf. fand bei einem psychisch erkrankten 2S iährigcu Dienst¬ 
mädchen. dass dir eine Pupille bei 'Tageslicht weiter ist als die 
andere: während die engere direkt und konsensuell prompt auf Licht- 
eiiifall reagiert, ist beides bei der weiteren nicht der Fall; auf beiden 
Augen erfolgt Verengerung der Pupillen bei Konvergenz. Nach der 


V *. 2v 


näheren Auakse des Falles handelt es suh dabei um oikm vier w - 
teilen Falle Non einseitiger reUvkl<<r isv. her Pup;, -eiistar ? e. \ut diese 
Beobachtung lim iintcrsu Jite Verl, das genauere Verba.teil de' 
Pupillen \on 21 Paialx tikeni und stelle lest, wie weit die K-o- 
Vergetizreaktiou erhalten war. ob sn Sv.hiuH und ausgiebig er:«- -:*e. 
ob beide Pupillen muh der V ereiigrrung g.eun gross und ob u:c- 
sefbeii nach der Verengerung rund • • -1 e r ur/op« waren. V < i 
KiPiipillenpaareii. m weklien is.diertc re tu kppis Ju POp unstarre be¬ 
stand, zeigten sieh bei 1 2 am >cli.ussc der k->n\e r ge i /rea\?f •>» o:> 
gleulic I hi pd len. ferner waren am >vh uss vier V e' e ngeuirg n • v 
den 3J Pupillen 2 { ) entrmnlet. Verl nimmt an. vl.iss diese I rs^r e nu: 
Ille.) 11 aut kosten der k < *ll \ er ge 1 1 / r e akti"li zu setzen ist. s-nJe'O l.is^t 
elieses mpioin ais Ausdriuk e ine r me Irr zmt'al gelegenen 
auf. welche mit dem bei Par .o\tikern T oPig gestörten T na vie' 
Muskulatur, aiuh der glatten, /iis.imnutitniigt. 

4 ) . 1 . Karelier und < i. b e h a t 1 ti e r - Base !: I in Fall >on 
Adams-Stokes scher Krankheit mit Schw leie Im H I s »eben 
Bündel. 

KrankengesJiiehtc und t i:iv*.hendv r k!i-*usl <. mrd res c "' ■. ! r 
K.mtmaims, bei weiehem die gew ••l’iudieri 1 • s, he n'imgrti der ce- 
na nuten Krankheit bestände n und das \ t r u •% e ■ ö u a' b •; m m r e 
ganzen Verlaute Niel dünner war ,i<v an einem murmie ti Merze m ik 
aut vlem t.Jiiei sdirntt /nr Madte ui’d mein ans Bn.kgeWe’e I 
Ausser vier l.pikrise v!es la e s get'e-ri die Ve’t .ou ii e.ne /us.m.r'e u- 
Siedlung \ II il 1 2 1 a lell aus vier I ile r at UT. bei Niedietl bei vU ’ "es;. Ir 
eine Veränderung des II i s sJuh B mdv s gclumUii wn’.'.e De: n. •*- 
liegende- Fall svlieilit ebcnla -;s v)e n k.ois.nen /us.pT.me m an g /wa.'ei 
patln dogisv her V e r.Uidv • uug vl« s II issj;eii B n !e s um* vä ' 

A d a m s - > t o k e s Sv h er >\rnptome nkmupAx zu besiegen 

3) L. n . lieber m a n u und B B. n 1 e ii e n e s s n • * *’e 
Pest: l eher seifenartige Verbindungen als Komplemente. 

Die Veit, »muhen m ihren Vusi hr imge u. be ziu.k h w e vhe r w r 
auf elas thiginal n er weisen runsse-n. vl» n \ i 'sti v n. auf »rund, n r 
neueren Veisiulun die I fffw amle zu uüm iit.gi n. We . v .ke .ue r i .. v 
M\P"these. vlass suil an der Bildung Nmi k "rup e me nte n m.’ü'P! .e 
V er bmdiingen beteiligen. elhwÖen w<ndvU sind. Die k n.pfe 'e 
Sind n.ull dieser M\pothese den >e ile-l IW e iss\e r ge n ,b * r 

gebaute Körper. 

n) L ti I> 1 i n s k i - Berlin: Angina und Miliartuberkulose. 

In dem tmtge lebte n lade :.ihrige r Lhcmö e f » batte s J. »r 
Vnsclihiss an eine n er schleppte Angina bei dem leuht tm e *k u se • 
Manne eine Miliar tubei knlosc, wekhe niiuh den Belum! e.ms \.!e *- 
hauttubei ke's sulier ge stedt ist. e ntwukelt. 

7) > l ii r m a n u - Bei Im: Die Intranasale 1 röflnung der Kiefer¬ 
höhle. 

Die AngaL'eii über vl i c n«.mi Verf erpolue < hu ' atn ns!-, u. 
wekhe hautUs.ulilu Ii aut eine nm. k-.miiieni l e bi i\. v pt vier M •; e .n •- 
Zielt, snivl irn ()iigmal zu Nei skullen I t« l r tei; dp Ce I ru!- 
ergebmsse will n <>m \ e* r I. inch nullt abgi-gcbe n werden 

s) B. P i / e w a I s k i • chaih-.u : l eher das grosse Net/. 

/.lisammeiiste tfung vl*. r Menningen /.ihbeuher \ ut* •'». n ai.s dv • 
l.ileiatur n!'er vliesen »icgeiistand VeM fi.t n< *v h v.in; ki.z v 
I h > tt< »k"l le N«>n 4 an Munde n ge m.ubte n V cmk tu tr an. lu: wek'un 
ei eine Net/i esektmn n i >r gemmmie ii und zum I eil Ihr märe :n;u..eM 
beobachtet hat. 

ö) A. Pa p t> e n h e i m : Zur Baktcrlen-l.euko/> tcn-Di>ppellar- 
bung bei Studien über Phago/>tose (Baktcriotropismiis und Ops<inl- 
satlon). 

Nicht zu kurzem Auszug geeignet. 

HO F. R u n g e - Be rlui Appendizitis wahrend der Schwanger¬ 
schaft. (icburt und Wochenbett. 

Die Appelidi/itis Svhemt W ali'end der > v 1 w ,inge ' %la!t e i'U )e- 
soinlers seltene I rkrankuug zu mhi, eil m-g "stige r I • uss r ira- 

Nivht.it auf ile n Verlaut einer n > <r li.m.'e m n \ ptu f n‘: .* t s ist nn a ’ge • 

meinen nie ht zu brnb.u litt n. Du f'agc. "P K \ :i - äuge f s v »;at| 

zu Rlicklailell elei VV ut mf* .t ts.it/e nt z-o-..in g p-.: sp. ”:e ' t. kam ti"C; 

nicht beantwortet weidcm .sulier ist u »lass eme -e 

Appendizitis ungünstig auf die >e hw äuge r Sv c.itt enwp'M. im.v m letz¬ 
tere sehr hantig truh/eitig unter Im in n w ■ V da) u i m* ,!e -se¬ 
in r Mutter und kmd eine wenig gute V\ . 1 ' g ist »■.»»■' h .r.n’i 

liier eine exakte Diagnose, w i khe u d*u!i lei v)e n Nhi.ru'eii ?• •! 
besonderen Schw terigki-iteii n ei Immi.Iv« ist. .po ,! ; v \ pf m k 
emgeht. Wenn muh antangs e \ sprk t.eti \ e r Bekam’ m-g e » e Ver- 
sclilee htermig des allgemenen / usi.pi. !v s *r:{ v - tu s* ( -t. ne't- 

tointischeii I r Sv heimmgen etv. emtntt, s.. ist s. >n pi- 

diziert. Bestellt eme Appeinb/rtis beim I mf tt - r w. ■ • ml g-ncr 

< iebm t. so ist elunta' s sop-rtige < »tu ' atu n n- • v \ppe •• ‘ • t s w di- 

rend de-s VV o t In nfu 1 r< s kann ietg’Iit zum V,o eteii N-n Pi-e^uur* 
fn-ber Veranlassung ge'eii. < j : a s s ,m n - V m 1 u n 

Deutsohe medizinische Wochenschrift. No. 27, 1908. 

1) M. B e r n h a r el t - Be i in Die Behandlung der Basedow- 
sehen Krankheit. 

K limsv lu r V o;; • , g 

2) T. I r e n d e ! e n i u r g - I e ; v . /ur Operation der f mbolie 
der Lungenarterie. 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1507 


T. hat einen weiteren Fall nach seiner auf dem heurigen Chi- 
rurgenkongress mitgeteilten Methode operiert: 45jähr. Mann mit 
tabischer Spontanfraktur des Collum femor. sin.; aus der freigelegten 
A. pulm. wurden mehrere grosse Thromben extrahiert, einer war 
34 cm lang; sie stammten, wie die Sektion bewies, aus der Vena 
femoral. dext. Der Tod war 37 Stunden post oper. eingetreten. Zur 
Technik macht T. ergänzende Bemerkungen. 

3) Rinne-Berlin: Ueber die Differentialdiagnose von Typhlitis 
und Adoexerkrankung. 

Die diagnostische Unterscheidung der Appendizitis gegenüber 
pelveoperitonitischen Entzündungen, Perisalpingitis, Oophoritis. Tu¬ 
bengravidität mit liämatocele retrouterina, Tumoren und Zysten des 
Ovariums (Stieldrehung) und Lig. latum ist manchmal schwierig. In 
zweifelhaften Fällen soll man so verfahren, als wenn Typhlitis Vor¬ 
lage, um nicht eine gefährliche Verzögerung eines notwendigen Ein¬ 
griffes zu riskieren. Rechtsseitige gynäkologische Leiden rät R. von 
oben anzugreifen, um die etwa mitbeteiligte Appendix regelrecht 
versorgen zu können. 

4) W. Kölle- Bern und P. Schatiloff - Charkow: Unter¬ 
suchungen über Komplementblndung bei Rekurrenserkrankungen des 
Menschen mit experimenteller Rekurrensspirochätose der Mäuse und 
Ratten. 

Die Untersuchung auf Komplementbindung war mit Mäuse- und 
Rattenspirochätenimmunserum negativ. Beim Menschen dagegen 
wurde ausgesprochene Komplementbindung beobachtet, aber nur mit 
Blut von Rekonvaleszenten, welche schon zwei Anfälle überstanden 
hatten. Die Komplementbindung war streng spezifisch, sie blieb aus 
gegenüber anderen Spirochätenstämmen. Die Komplementbindungs¬ 
methode eignet sich also zur Differenzierung der verschiedenen Re- 
kurrensspirochätentypen mittels menschlichen Immunserums, ausser¬ 
dem für die nachträgliche Diagnose beim Menschen. Das Fehlen der 
komplementbindenden Antikörper im Serum von Ratten, das aber 
Schutzwirkung gegenüber der experimentellen Rekurrens entfaltet, 
spricht dafür, dass die komplementbindenden Stoffe Antikörper sin 
generis sind. 

5) R. Kraus und R. Doerr-Wien: Die Wertbemessung des 
Dysenterieserums. 

Verf. begründen, namentlich K o 11 e gegenüber, warum sie ihre 
Wertbestimmungsmethode für die einzig richtige halten. Das beim 
Menschen therapeutisch anzuwendende Dysenterieserum müsse des¬ 
halb im Tierversuch (Kaninchen) kurativ ausgewertet werden, da 
dessen Neutralisationsvermögen, wie es bei Prüfung in vitro ge¬ 
funden wird, kein Mass für dessen Heilwert ausmache. Die prin¬ 
zipielle Bedeutung der Avidität der Antitoxine sei auch bei Di¬ 
phtherieantitoxin zu berücksichtigen. 

6) A. B r e i n 1 und M. Nierenstein - Liverpool: Weitere 
Beobachtungen über Atoxylfestigkelt der Trypanosomen. 

Aus ihren Experimenten schliessen Verf., dass die erworbene 
Atoxylfestigkeit nur für die betreffende Tierspezies gut hält, in wel¬ 
cher sie erworben wurde, und dass sie sich sogar während einer 
längeren Passage durch Tiere verschiedener Spezies (7 Monate) für 
diese eine Spezies erhält, ln diesen Tatsachen erblicken Verf. ein 
schönes Beispiel von Vererbung erworbener Eigenschaften. Sie 
machen ferner auf die bestehende Gefahr aufmerksam, durch un¬ 
zureichende Behandlung von Schlafkranken atoxylfeste Stämme von 
Trypanosoma gambiense künstlich zu züchten; denn es gelang be¬ 
reits. in Meerschweinchen Trypanosoma gamb. arsenikfest zu machen. 

7) A. v. H i p p e 1 - Göttingen: Ein Beitrag zur Serumtherapie 
bei Erkrankungen des Auges. 

Verf. hat das Deutschmann sehe Serum bei 40 Kranken an¬ 
gewandt. Es bewährte sich bei schwerer Iritis plastica und bei 
Ulcus serpens, auch bei nichttuberkulöser Iritis serosa, war dagegen 
unwirksam bei schwereren Infektionen des Glaskörpers. Das Serum 
(gewonnen von Tieren, welche mit lebenden Hefezellen nach be¬ 
stimmter Methode gefüttert wurden) erwies sich als absolut unge¬ 
fährlich. 

8) E. Hoffman n, H. Löhe und P. M u 1 z e r - Berlin: Syphi¬ 
litischer Initialeffekt der Bauchhaut an der Einstichstelle nach Imp¬ 
fung in die Hoden von Affen und Kaninchen. 

Bei Versuchen, die Generalisierung der Syphilis durch Injektion 
reichlicher Virusmengen direkt in die Hodensubstanz deutlich in Er¬ 
scheinung treten zu lassen, wurde bei einem Affen und bei einem 
Kaninchen neben Anschwellung des geimpften Hodens an der Ein¬ 
stichstelle ein kutanes Infiltrat erhalten, welches ausser einer zen¬ 
tralen Erosion einen peripherischen Wall hatte und im ausgepressten 
Serum zahlreiche Spirochaetae pallidae enthielt. 

9) F. J a m i n - Erlangen: Fortschritte in der Diagnostik der 
Lungenkrankheiten. 

Uebersichtsreferat. 

10) Dietrich- Charlottenburg: Ueber granulomartiges Sarkom 
der Lymphdrüsen. 

Verf. beschreibt 2 Fälle, welche makroskopisch und mikro¬ 
skopisch zur Hodgkin sehen Krankheit zu rechnen waren (ohne 
Spur von Tuberkulose), und 2 andere, welche mikroskopisch völlig 
den beiden ersten glichen, makroskopisch dagegen Sarkome waren; 
die Zusammengehörigkeit der Fälle wurde auch durch Feststellung 
von Einbruch des Gewebes in die Venen bei den ersten beiden Fällen 


erwiesen. D. fasst alle diese Fälle zusammen unter dem Namen 
„granulomartige Form der Lymphdriisensarkomatose“; die beschrie¬ 
benen Befunde von Tuberkulose hält er für kombiniert, d. h. in solchen 
erkrankten Lymphdrüsen siedeln sich Bakterien leichter an. Bei 
der klinischen Diagnose der Pseudoleukämie, bei Probeexzision von 
Drüsen muss man stets an solche Sarkome denken. 

11) Jul. Gnedza-Berlin: Ein Fall von Melanurie bei Darm¬ 
tuberkulose. 

Durch den beschriebenen Fall erleidet die These, dass bei Me¬ 
lanurie oder Melanogenurie nur durch einen melanotischen Tumor 
bedingt sein könne, eine Ausnahme. Das chemische Verhalten des 
Urins wird genauer beschrieben. Es bestand auch Nephritis, welche 
vielleicht der Melanogenurie Vorschub leistete. 

12) Bodo Spiethoff-Jena: Erfahrungen mit der Finkei¬ 
stein sehen salzarmen Kost beim Säuglingsekzem, beim Strophulus 
und Pruritus infantum. 

Erfahrungen an 5 Fällen. Direkter Einfluss auf das Ekzem war 
nicht ersichtlich; ein gewisser Wert der F.schen Kost liegt aber nach 
Verf. darin, dass durch Ausschaltung sekundärer Einflüsse das Ekzem 
ungestörter abheilen kann und in milder Form rezidiviert. Strophulus 
und Pruritus wurde günstig beeinflusst. Besonders indiziert ist die 
F.sche Kost bei Kindern, welche mit chronischer Dyspepsie neben den 
genannten Dermatosen behaftet sind. 

13) K. B 1 ü m e I und H. U 1 r i c i - Görbersdorf: Zur Behandlung 
der chronischen habituellen Obstipation. 

Neben der nicht immer möglichen kausalen Therapie empfehlen 
Verf. ein Z e 11 u 1 o s e b r o t, das etwa 10 Proz. Rohfaser, und zwar 
gereinigte und gesiebte Buchenspäne enthält. 

14) Fr. L e h n e r d t - Halle: Ueber die Endresultate der Tra¬ 
cheotomie. 

Bemerkungen zur Frage, ob Intubation oder Tracheotomie bei 
diphtheritischer Larynxstenose vorzuziehen sei; es sei schwer, aus 
dem nachuntersuchten Material bindende Schlüsse abzuleiten. 

15) H. F i s c h e r - Berlin: Das Deutsche Rote Kreuz Im russisch- 
lapanischen Kriege. 

Kritische Bemerkungen über die prinzipielle Berechtigung solcher 
Auslandsexpeditionen im Anschluss an den erschienenen offiziellen 
Bericht. R. Grashey - München. 

Oesteireichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 27. L. v. S c h r o e 11 e r - Wien: Zur Kenntnis der im Ge¬ 
biete der Lungenarterie entstehenden Geräusche. 

Bei einer an rechtsseitiger Pneumonie erkrankten Frau wurde 
RHU. in der Höhe der 8. Rippe nahe der Wirbelsäule ein konstantes 
und umschriebenes systolisches Geräusch festgestellt. Die Obduktion 
ergab eine Kompression der beiden Hauptäste der Pulmonalarterie, 
besonders des rechten, welcher durch ein vom Lungenhilus aus vor¬ 
dringendes Schwielengewebe verengt und dessen Wandung von 
anthrakotischen Massen durchsetzt war. Wahrscheinlich hat die 
Hepatisation des Lungengewebes durch besondere Resonanzverhält¬ 
nisse das Geräusch verstärkt. Eine bronchoskopische Untersuchung, 
die aber nicht veranlasst war, würde jedenfalls über die Verengerung 
der Bronchialäste Aufklärung gegeben haben. 

H. Königstein-Wien; Ueber das Schicksal der Spcrma- 
tozoen, welche nicht zur Befruchtung gelangen. 

Exner hat die Vermutung ausgesprochen, dass das überflüssige 
Hodensekret in der Samenblase zur Resorption gelangt. In der Tat 
hat R. in dem Inhalt der Samenblase verschiedene, hier näher be¬ 
schriebene Elemente gefunden, die als regressive Formen der Sper- 
matozoen aufzufassen sind und schliesslich als kugelförmige Gebilde 
einen charakteristischen Teil des Samenblaseninhaltes bei geschlechts- 
reifen Männern bilden. An diesen Kugeln findet sich weiterhin noch 
Körnchen- und Vakuolenbildung, welche der Resorption vorherzu¬ 
gehen scheinen. Aehnliche Zerfallserscheinungen finden sich an den 
in der Vagina zurückbleibenden Spermatozoen; ausserdem findet aber 
nach K.s Untersuchungen im Uterus von Maus. Katze, Hund und 
Meerschweinchen eine ausgiebige Aufnahme und Resorption der 
Spermatozoen durch Leukozyten statt. 

R. P o 11 a k - Brünn: Bakteriologischer Befund bei eitrigen Bron¬ 
chitiden. 

Verf. hat in einer Zeit, wo Bronchitiden in gehäufter Zahl unter 
dem klinischen Bild der Influenza auftreten, bei 73 Fällen das Bron¬ 
chialsekret bakteriologisch untersucht. Es wurde häufig der Diplo- 
coccus lanceolatus, Staphvlococcus aureus. Streptococcus pyogenus 
usw., aber nur 8 mal der Influenzabazillus gefunden, in ähnlicher Weise 
fehlte derselbe auch fast ganz bei einer influenzaartigen Epidemie in 
der Brünner Garnison. Jedenfalls sind solche Epidemien nicht 
eigentliche Influenzaepidemien und sollten auch nicht als solche, son¬ 
dern etwa als Grippe bezeichnet werden. 

W. Reis- Lemberg: Das R o e m e r sehe Immunlsierungsver- 
fahren (Injektionen von Pneumokokkenkultur und Pneumokokken¬ 
serum) in Fällen von Ulcus serpens corneae. 

Ausser der Injektion von 1 ccm abgetöteter Pneumokokkenkultur 
in die Armmuskeln nach Römer wurden am folgenden Tage, später 
event. wiederholt 10 ccm des Pneumokokkenserums (gleichfalls von 


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1508 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


V». 


E. Merck in Darmstadt bezogen) in die untere Bauchgegend ein- j 
gespritzt, in späteren Fällen wurde von der letzteren Seruminjcktion 
abgesehen. Die Resultate dieser aktiven Immunisierung waren, wie 
an einer Krankengeschichte besonders illustriert wird, günstig, ob- j 
wohl die Fälle in der Regel schon sich im vorgeschrittenen Madmm j 
befanden. Der Erfolg bestand hauptsächlich in einem MilNt.nul des ' 
Prozesses und einer Verbesserung der Sehschärfe. daneben wurde ! 
allerdings auch die (lalvaiiokauterisation angewandt. Gehandelt wur¬ 
den nur solche Fälle, welche eine reine oder ganz überwiegende 
Pneumokokkeninfektion aufwiesen. 

E. Miesowicz- Krakau: (Jeber spate Rachitis (Rachitis 
tarda). 

Krankengeschichte eines 17 jährigen Mädchens (mit Rontgenbild). 
Die Diagnose wird begründet durch den erstmaligen Heg um der 
Krankheit nach dem 10. Jahre, die charakteristische Kiiochenveiaaade- 
rung, zumal bei der Durchleuchtung, und den günstigen \ erlauf naJi 
entsprechender Behandlung. 

O. Grüner-Wien: Die kutane Tuberkulinreaktion Im Kindes¬ 
alter. 

G. legt für die Feststellung einer positiven Reaktion Wert auf 
die Betrachtung aus einiger Entfernung (ca. 1 m) und auch aui das 
lange Bestehenbleiben der Reaktion. Seine Fm/clei iaht ungen ver¬ 
zeichnen eine auffallend häufige Reaktion auch bei Meningitis tuber- 
culosa und akuter Miliartuberkulose. Von klinisch sicher I uber- 
kulösen reagierten 97, von Verdächtigen 7b, von klinisch 1 uberkulosc- 
freien 21 Proz., bei den über 5 Jahre alten hindern dieser letzten | 
Kategorie aber über 50 Proz. positiv, von äs bei Obduktion tuber- i 
kulosefrei Befundenen hatte keiner positiv reagiert. \mi lär» >atig- i 
lingen reagierten nur lb, davon 14 sicher Tubei kulose positiv. Die 
Kutanreaktion im Säuglingsalter und den zwei ersten l.eber.Mulntn im , 
ein äusserst wertvolles, oit ausschlaggebendes I >iagn<istikum, ienseits 
des 3.—4. Jahres ist sie nur zur Unterstützung der Diagnose zu ver- | 
werten. Die Prognose ist bei positiv reagierenden Säuglingen selbst 
bei geringem klinischen Befund schlecht, /um Schlüsse macht P. , 
noch Angaben über die verschiedene Grosse und das Aussehen und ! 
die Zeit des Auftretens der Reaktion bei den \ erscluedeiien Formen 1 
der Tuberkulose. 1 

L. Po llak-Wien: Ueber den Farbstoff des pneumonischen l 

Sputums. 

Im typischen Sputum crocctim findet sich regelmässig in nicht 
geringen Mengen Bilirubin. Das Sputum wird mit doppelter Menge 
Chloroform extrahiert, letzteres abgedampft, der Rückstand mit 
einigen Tropfen Fssigsätire aufgenommen und mit einem Tropfen 
0,5 proz. Lösung von Natr. nitrosum versetzt. Bew eisend ist der 
Farbenübergang von Grün, Grünblau, Violett ins Rötliche. Am besten 
gelingt die Probe mit dem typischen rostbraunen Sputum, das schon 
dem Chloroform eine üriingelbfürbung gibt. Ob das Bilirubin auf 
gallenfarbstoffhaltiges Blut zuriickzufiihren ist oder auf die Tätigkeit 
von Bakterien, ist noch ungewiss. 

A. Neumann: Ueber die Ultratellchcn des Blutplasmas. 

Bemerkungen zu der Mitteilung von Dr. E. \V i e n c r über Sper- 
makonien in No. 25. N. hält daran fest, dass der Fettgehalt Ger ' 
Nahrung von wesentlichstem Einfluss auf die Menge der llamo- ! 
konien ist und dass die Ultratcilchcn des Blutes wenigstens zum 
überwiegenden Teile Fett sind. Sie finden sich nach reichlicher Fett- j 
aufnahmc und bei manchen Kranken mit Magendarmstoningen. Von | 
ihnen nach Form und Grösse zu unterscheiden sind gewisse andere 
kleinste Körperchen, welche sich angeliäuft in den RnndpartieM von 
Blutpräparaten nüchterner Personen finden, und andere Teilchen, 
welche nach 24 — 4k Stunden im Präparat, w aln schemlic h gleich- 1 
falls durch Niederschläge aus dem Plasma, entstehen. 

Wiener medizinische Wochenschrift. 

No. 16. O. C h i a r i - Wien: Ueberslcht über 82 Fälle von Thy- 
reotomlen, partiellen und totalen Exstirpationen des Larynx wegen 
Karzinom. 

Kurze Krankengeschichten von 12 neuen Fällen. 

M. Grassmann: Beitrag zur Lehre von den reflektorischen 
vasomotorischen Störungen nasalen Ursprunges. 

G. hat die der genannten Lehre zugrunde liegenden, in der 
Literatur allgemein akzeptierten Vu suche Francois • r an e k s 
nachgeprüft und in keinem Punkte bestätigt geinndeii;, so dass cs 
unaufgeklärt ist, w ie F r a n c o i s - F r a n c k /u seinen Resultaten 
gelangt ist; speziell das von ihm behauptete verschiedene \ erhalten 
des Arteriendruckes in den einzelnen (ietässbezirken kommt weder 
auf Nasenreizung noch auf irgend einen Reiz, je vor. 

P i e n i a z e k - Krakau : Ein Blick auf die Entw icklung der Me¬ 
thoden der okulären Untersuchung der Atmungswege. 

Geschichte der Laryngoskopie und Bronchoskopie. 

M. H a j e k - Wien: Meine Erfahrungen mit der Trepanation und 
mit den Radikaloperationen der Stirnhöhle. 

lleberblick über die nach der K u b n t scheu Methode mit der ! 
osteoplastischen Resektion, nach der R i e d e I sehen, der K i I h a n - 
sehen und K i 1 I i a n - U a i e k sehen Methode opetieiten Falle mit 
den einschlägigen Krankengeschichten. 

.1. Fein-Wien: Der Nervus laryngeus inferior und die svplii- 
litischen Erkrankungen der Aorta. 


Krurikengesehk hte eines aifgen M.rmcv >'■ : 1 t.st I: ’ t 
Nach "i lallten Xplu-me. Imssxe.r.ge Re K er rc i s .c auc ... V. 
klai»| , enaUekti"U. ,tiu ur \ sma.iia: :c :.e \ e ii : e Oe r g de r X "a. .« .M 
im R' intgcnluld ii.k Iiw cisbar. \:*1 1 .i.t-s, tie I k '..c . !•’ - ■ . . 

der RefcJp reus..ilnnuug und du \ i t.i \ e •; r v flc t U’: g. 1s •. •• x . 

hier jedeiitaiis nicht um uu m ■ s* ... x. • .• • a w .< 'c'm 
eine pei uortit Mce W ik he : nag :ai >ua.e 11 t n s v u. a n :■ s i ' . • 

eine Ke !il/i its^e antiäu tis^ i.e km ..ixM x v ;, u s „ .g n 1 m. 

^ 11 n i rn I > a i ’.! i. i. i r i; 11 n b»'se d gi-a* im.l n,< ; D,u s t .r,.ch e.aef X"c 

r\ suieiil’iidung \ in be u..eti. 

I . < i I a s - W teil: Die Sensibilität des l ar\ nxeinganges bei Re¬ 
kurrenslähmungen. 

Die Non Massel iingoti !e ik ha g. davs i t.iM V. •- 

Maut es Ik Je its \ mpt<>tti imä jk.ük c . n | -.i" i. t ' C ^ " : ’ - 

der Rcktiri ens.ahmimg une Xa.iM'.e s.t de s l.u’v: v-.. ...e .. •, s xe.. 
dass bei linksseitiger Re k ik 'U’s a.hmtr.g r e .M v . - .. * • 

reslitssc itigei n n. ist 11 v paxt :;esie be st; t.i. Mit M. la . t : c r .>.. u .e 
NaJip: iifung nu ht K st.i’.g: getunde" D.e '• • i. >. 

Aditus laiMigis beMiäeu aut einer \"> u. m d> s N .,r.:;a ;v ' 

No. 17. k . Untig-Wn.n; P .iraltmproihes.cn in der f usM>hte. 
Als Dr s.iCbv Icbh.ittt sti r sd.ra i.mi i « » u. m :i \v ä ' t. < • ». • 

Kranken cm k ii-m. in. n.\ r sp* ij>;g u!s'ia ■ 1 V s.*.:/ dm I 

plantaris am kakam. i; s getimd-, m. Dumü 1 • % •« v . - 

l’araimi in ibe l r: ^ei ur.g ik f I \ s*. w .• m e k s 'a e 

dauernd f iitu:t. ie ' g t .i t - m • 

Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

R i c li e ! o :: H\gienKche (irimd/uge der Ventilation und Heizung 
auf Krieg*- lind Handelsschiffen. < \\ . t 'm i 

h\g:u;e. Bd. XII. 11 D 

Ref.: >. d e se W mJh-pv J. ; m )o 7, v 2J *■> 

Neisser: Sind Syphilis und I ramhocMe \ er^shiedene Krank¬ 
heiten? «Dasedst. Ik!. XII. M »• » 

S\ ph ,s und l:a||ä"e-s.e ze.e:i k : * ^ ; • ü se ; r .d •; % . 

I < ‘Htuii. SM e!.,vs erie s v ; .e'e D "cot .i ..c 'e : . t 

l ade UiMg ,Ji .st, >.e Werden vl.iMti e • t:: v , e' Mi d.'M . 

(if tippe äuge ''"'eil. len. I’aast.n e’.'e.rgt. v e 'dm MM de ...Me 
spez üssjfcn Me :r.ttel; das \ t: 1 a teil der V'er: a.P I" • ■ \ e • v m e st 

bei Te den Kraus!,e teil ur.ge Jin. .n adM’i; s c * .. . , • ^t'.ä . w; v, 

eine nai’.e Hcz ehur g zw s. neu din be !c:n k'.r- . tin rm.'Wi v, • 

I r o t z d c m sind il ; c K r a u k ii e . t t n a t ■ . - • g * ^ d . - 

aus verschieden und de l'.rdvoe ke • e X'.rt d«-' >*m» 
denn Bestehen \nii Iran! >e s.e ! e m \"c s.: t. : . : g t u ». 

bell e ngeanpüe >\ ph ns ic'iar i"ti si io ' Ifi • , Cn: \ i v 

Schätzt r: c ht gegen I r.i’id .e s.e 1 •' \ ■ ! '.M m e Ne s s •. • u m 

erneute h; ptuug ni;t T t arm—e' e !e: tra-‘ o P ce’i f v v 

B I ii m ! und Melz-k"it.i K’a a: Schi/ogonie und Makro- 
Kamelen, i Daselbst, tkl. XII. 11. s » 

Xe!, saivl nach ihren lk--‘\:M *••• g e n 1! • Mk.-b g ; - 

neigt, de Gesc li edlts-,n:t ;,i der M.i.t* .i a • .:s k ,i s . f Rm - 

tauten der X r t aujzntassen. w i*d *e v m • •• -i de X' ..x- . x. 

formen s.rul. tintig und rt dz ch. duich :'*:'e tue . %v ’Mi I , • - 

Sc hallen den Körper iles neue n. u!.; r-e’-.h mm; VX ,• ü s * • s-.c • 
zu svliw .iw i:en, elas er e:ne gute Ikn'sv-fe «r.V • » d e i n x . m' s. 
jor m de s I h.ism, idiimi \ i \ a \ . >:e- : .> te u .i •• • d« m- •. *• m < r - 

eine Trage der \ e»er !<:mg und g'a f e». v . *. d..xv v . • e* '.m .*• 

In,dam t.it v!e s Wirtes old aal v ./ m . v. ■ . ! • a •- - v 

W e Lb ü n w a’ 'eil muss. | » e'-i a I . m .’ • ■> . ' : , - k • . . 

k«. M • a x de 1-« '.uldiiM / u < j ,. a. , gss 1 . . . • X*. - 

galt» ti u aut!* Ü% w a e ■ d d e du 11 de K - 1 . v . . 

ZMl'g s ch da: v h "po r;; a ! o;i i -dp . e 

K ii 1 z - Du.i'a : Malaria ohne P.ir.iMtenhciurul und fkira^iten- 
bcfuiid ohne Malaria, il'av 1. X iI ! - ".11 * » 

In Jo k.liusc tl als X\ i (r ia s■. s\ t •> 1 > • ; 

i Vo|| | 'ur opaet ll gi a:g t:o’/ ,i;:x Lv , • , • l ;, x., v • . ^ ; •. V.. . . 

| riapai asiti mi.i.i; w eis im per :pi’> • :v’ < •• j; •• W , • 1 . • ;• m: m 

j du negative Ikti; ad tu du Ma o a u \ .m V •• a.M n . . 

Tilgt de ! I hr ax k • ".u 1 \\ e .s um' I v . • - t ^ t . 

VV ,ic hsedU I I 1 11 ge bi, r e :: e I. die \ ■ ’.-. ' i e ' ’ t. v u < ’ t ' s 
W ohusitz 11 h 1 1 1 \ 11 ah:' ar'M’Müle 1 . •. * •. X* . . 

de^dl kommt. I * de Z\U 1 1 ' II a: pi ; a - a - * ■ . . • X’ 

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mat;.,e ! .i::i l 1 • ,• ’ • •. e ■ • 1 

w assed t:e Iki k»a'n • * i, ■ ,■ | '.• a v ‘. M t x x 

l’aiitig zw ai am e: sten I t m *. . • I ‘m .m k u • ' 

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Maiar ia'u aiike ii a .! e ■ • 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1509 


erkrankte, mit. Er beobachtete, dass in dem Blutserum des Malaria¬ 
kranken 19 Stunden nach der wirksamen Verabfolgung von 1 g 
Chinin noch lebensfähige periphere extraglobuläre Jugendformen vor¬ 
handen waren, und dass sie sich 14 Stunden ausserhalb des zirku¬ 
lierenden Blutes lebensfähig erhielten. 

Ziemann -Duala: lieber Malariaprophylaxe ln unkultivierten 
Gegenden. (Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 1908, H. 5.) 

Die allgemeine Chininprophylaxe kann geübt werden: 

1. Durch Ausrottung der Malariaparasiten im Menschen 

a) durch Chininbehandlung der Malariakranken, 

b) durch Abtötung der Parasiten im menschlichen Körper vor 
Hervorrufung eines Fieberanfalles. 

2 . Durch Ausrottung der malariaübertragenden Mücken. 

3. Durch Schutz der Menschen gegen den Mückenstich. 

4. Durch Hebung der Widerstandskraft der Bevölkerung. 

1 a) ist nur unter best-immten Voraussetzungen unter Zuhilfe¬ 
nahme eines grossen Apparates von Beamten möglich; 

1 b) jeden 4. Tag 1 g Chinin ist die beste Methode. 

2. Ziel bei der mechanischen Assanierung muss die endgültige 
Beseitigung von Sümpfen sein. Ist sie nicht durchführbar, so sollte 
eine grössere europäische Ansiedlung überhaupt nicht angelegt 
werden. Versuche, durch Verbreitung von Pflanzen die Mücken¬ 
brut abzutöten, sind fortzusetzen. 

3. Europäer sollen 750—1000 m entfernt von den Eingeborenen 
wohnen. Bei ständigen Wohnsitzen soll das Moskitonetz durch 
mückensichere Häuser ersetzt werden. 

4. Die Malariabekämpfung ist auch eine soziale Frage. Diejenige 
Bevölkerung:, welche sich am besten nährt und kleidet, die besten 
Hütten baut, ist gegen die Malaria am meisten geschützt. 

Nur -durch die Kombination aller Methoden lässt sich das Ziel er¬ 
reichen: Die wahre Eroberung Afrikas für die weisse Rasse. 

Hüllmann: Ueber die Lüftung von Kriegsschiffen. (Gesund¬ 
heits-Ingenieur, 1908, H. 7, S. 101.) 

Bei den Forderungen, die von allen Seiten an den Entwurf und 
den Ausbau eines Kriegsschiffes gestellt werden, ist die nach Lüf¬ 
tungseinrichtungen nur eine und nicht die wichtigste. Der Zweck 
der Lüftung ist nicht nur, frische Atmungsluft zuzuführen, sondern 
auch Schutz der Vorräte und Materialien vor dem Verderben. Be¬ 
seitigung von Wärme und Entfernung schädlicher, ferner zu trockener 
oder zu feuchter Gase. Der notwendige Schutz gegen überkom¬ 
mende Seen, die Scheu vor Durchbrechung des Panzerschutzes und 
der wasserdichten Abteilungen, die Möglichkeit, dass bei Explo¬ 
sionen dem Dampf Wege gewiesen werden in neue Abteilungen, die 
Notwendigkeit freier Umsicht von den Geschützen und Kommando¬ 
brücken, endlich die Einteilung desSchiffes in viele meist kleine Räume 
erschweren die Anbringung von Lüftungseinrichtungen. Es folgen 
technische Darlegungen über Art, Anordnung und Verteilung der 
Maschinen, des Kanalnetzes und seiner Verschlüsse, Berechnung der 
Widerstände u. a. m. 

Low: Ueber die ungleiche Häufigkeit der FUarlasis In den 
Tropen. (Journal of tropical Medicine, Bd. XI, 1908, H. 4.) 

Filaria Bankrofti wird vom Culex fatigans übertragen. Unter¬ 
suchungen, besonders auf den westindischen Inseln ergaben dem 
Verf., dass die Verbreitung der Filariasis auch auf Inseln, die gleich- 
massig von Culex fatigans bewohnt wurden, völlig verschieden war. 

Bei der Filaria demarquaii und perstans, für die der Ueberträger 
mit Sicherheit noch nicht feststeht, könnte die ungleiche Verbreitung 
des letzteren, vielleicht Ornithodorus moulata, für die ungleichmässige 
Verteilung angeschuldigt werden. Doch fand Verfasser auf mehreren 
Inseln die Filaria demarquaii auf ein kleines Dorf oder eine Vorstadt 
beschränkt, ohne dass irgend ein Grund vorlag, die Beschränkung 
e;nes Zwischenwirtes nur auf diesen Punkt anzunehmen. 

Prout: Ueber die Rolle der Filaria als Krankheitserreger. 
(Daselbst, H. 7, 1908.) 

Pathologische Folgen der Infektion mit Filaria demarquaii, 
ozzarardii und perstans wurden bis dahin nicht beobachtet. Von 
Eüariae medinensis soll hier nicht die Rede sein. Zum Nachweis 
des Zusammenhangs der Calabarbeulen mit Filaria loa werden drei 
neue Fälle mitgeteilt. Der Nachweis des Zusammenhanges der Ele- 
iantiasis mit der Filaria loa und ihrer Larve, der Filaria Bankrofti. 
wurde meist geführt durch die Behauptung, dass die Elefantiasis 
mit dieser Filaria gleiches Verbreitungsgebiet zeige und dass die 
Filaria' das lymphatische System bewohne, durch dessen Verlegung 
die Elefantiasis entstehe. Doch irgend ein Parallelgehen der Filaria- 
verbreitung und der Elefantiasishäufigkeit ist bis jetzt nicht ge¬ 
funden. Ferner, nicht bei jeder Elefantiasis ist die Filaria nachweisbar 
und nur ein ganz geringer und wechselnder Prozentsatz der Filaria 
Bankrofti-Infizierten zeigt Elefantiasis. Weiterhin, warum bewirken 
die übrigen ähnlichen Filariaarten keine Krankheitserscheinungen? 
Zur Erklärung nimmt man an, dass nur der tote erwachsene Wurm 
Lymphangitis und Chylurie verursache, oder dass beide Krankheiten 
Folge der Einkapselung des erwachsenen Wurmes seien, oder dass 
Elefantiasis die Folge der Verlegung der Lymphwege durch unreife 
Eier eines abortierenden Weibchens sei. Die Unwahrscheinlichkeit 
a v er drei Erklärungsmethoden wird nachgewiesen und angenommen, 
dass Elefantiasis auch in die Tropen die Folge peripherer Lymph¬ 
angitis nach bakterieller Infektion sei und mit Filariainfektion nicht 
Zusammenhänge. Chylurie ist in den Tropen und in gemässigten I 


Breiten gleich selten und kommt vor, ohne dass überhaupt der 
Ductus thoracicus verlegt ist. Jedenfalls liegt irgend ein Beweis 
des Zusammenhangs der Chylurie mit Filariainfektion nicht vor. 

Z a m m i t: Ueber mittelmeerfieberkranke Ziegen und von Ihnen 
geborene Junge. (Journal of the Royal Army Medical Corps, Bd. X, 
H. 3, März 1908.) 

Mittelmeerfieberkranke Ziegen überwinden, wenn überhaupt, 
sehr selten ihre Infektion; da sie unerwartet infektiöse Milch aus- 
scheiden können, bilden sie daher eine ständige Gefahr. Junge von 
infizierten Ziegen scheinen einen gewissen Grad von Immunität gegen 
Mittelmeerfieber zu besitzen. 

Lawson: Röntgenstrahlen als Hillsmittel zur Diagnose und 
Lokalisation von Leberabszessen. (Daselbst, Bd. X, H. 3, März 1908.) 

Röntgendurchleuchtung erwies sich in drei Fällen geeignet zu 
den in der Ueberschrift angedeuteten Zwecken. 

Middleton Stuart Elliot: Hitzerschöpiung aui Kriegsschiffen. 
(The Military Surgeon 1908, Bd. XXII, H. 3.) 

Verf. beschreibt das in Deutschland unter dem Namen Heizer¬ 
krämpfe bekannte Bild. Es kommen mehr Erkrankungen in Heiz¬ 
räumen vor, als in Maschinenräumen. Neger werden öfters er¬ 
griffen als Weisse. Krämpfe beherrschen im Gegensatz zu den Er¬ 
scheinungen beim Hitzschlag und Sonnenstich an Land das Krank- 
heitsbild; dabei bestehen starke Schmerzen in den Gliedern. Keiner 
seiner Kranken war bewusstlos, kein Erbrechen, kein Durchfall. Puls 
klein, schnell, Atmung flach; Stimme aphonisch; Temperatur zunächst 
oft wenig gesteigert; Pupillen weit; ruheloses Hin- und Herwälzen: 
starke Gewebsaustrocknung. 

Therapeutisch empfiehlt Verf. besonders Kochsalzlösungein¬ 
giessungen in den Mastdarm. zur Verth -Berlin. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Berlin. Juni 1908. 

Heilig Gerhard: Fabrikarbeit und Nervenleiden. Beitrag zur Aetio- 
logie der Arbeiterneurosen. 

Schmidt Walter: Aetiologische Betrachtungen bei nervösen Er¬ 
krankungen von Militäranwärtern im späteren Zivilberul. 
Brandes Viktor: Ueber die Behandlung der Kompressionsfrakturen 
des Kalkaneus. 

Goldblum-Abramowicz Rosa: Die Versorgung der unheil¬ 
baren Krebskranken. 

Feldstein Georg: Prostatatuberkulose und ihre chirurgische Be¬ 
handlung. 

Wessel Albrecht: Ueber Pankreaszysten. 

Universität Glessen. Juni 1908. 

Klein Julius: Ueber Pseudoeklampsie. 

Vorbrodt Friedr.: Zur Kasuistik der Sarkome des vorderen Media¬ 
stinum. 

Gasse Rieh.: Untersuchungen über das Verhalten der Blutkörper¬ 
chen bei chirurgischen Krankheiten des Pferdes, besonders bei 
eitrigen Entzündungen.*) 

Neddersen Alwin: Ueber einen Fall von umfangreicher Throm¬ 
bose der Pulmonalarterie. 

Leonhardt Viktor: Ueber den Zyankaliumnachweis in Organen. 
Kok enge Ferd.: Weitere Erfolge des suprasymphysären Faszien¬ 
querschnittes nach Pfannenstiel. 

Busch Felix: Zur Statistik der Placenta praevia an der Giessener 
Universitätsklinik vom Jahre 1892—1907. 

Eichacker Fritz: Ueber die Bestimmung des Chloroformöles.*) 
Müller Franz: Klinische Untersuchungen über Wert und Wirkung 
des Kalomeis.*) 

Bast gen Franz Josef: Ueber die behaarten Rachenpolypen. 
Wolff Alexander: Vergleichende Untersuchungen über die Wirkung 
einiger Digitalisglykoside an Hunden mit Hilfe eines eigens hier¬ 
zu konstruierten Sphygmographen.*) 

Universität Greifswald. Juni 1908. 

Markmann Alwin: Stapesankylose ohne Spongiosierung. 
Schliebs Albert: Neuere Behandlungsmethoden der Geschwülste 
v des Nasenrachenraums. 

Moeller Paul: Die Bedeutung des Pneumothorax bei Herzver- 
letzungen. 

Universität Leipzig. 

April 1908: Nichts erschienen. 

% Mai 1908. 

Bodenstein Wilhelm: Kasuistischer Beitrag zur Injektionsbe¬ 
handlung der Ischias. 

B e n d i x Kurt: Die tödlichen Intoxikationen bei Quecksilberkuren. 
Falt in Walter: Ueber den klinischen Wert der Konjunktivalreaktion 
auf Tuberkulin. 

Lorenz Marie: Ueber den Keratokonus. 

Marenholtz Moritz, Frhr. v.: Ueber die korijunktivale Tuber¬ 
kulinreaktion. (Ein Beitrag aus dem Garnisonlazarett 2, Berlin.) 
Natzler Adolf: Ueber Aktinomykose des Kehlkopfes. 


*) Veterinär-medizinische Dissertation. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1510 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Wctzkc Paul: Pin hall von suprasymphysärer Entbindung muh 
Frau k. 

Anhalt Georg: Ueher trauniatiselie Riechlähmimgcii. 

G ii r t n e r Georg: Fin Beitrag /ur Kasuistik des diffusen infiltrieren¬ 
den Karzinoms des Gesichtes und Halses. 

Mer res Friedrich: Ueber Meriiskiisverletziiiigen. 

S t ii m p k e Gustav: Arteriitis cerebralis im hriihstadium der >\ - 
philis. 

Wehner Fritz: Zur Kasuistik der Pneumokokkenseptikiimie ohne 
Pneumonie. 

Juni Iöön. 

(j u d z e n t Johann Friedrich: Physikalisch-chemische Unter¬ 
suchungen über das Verhalten harnsaurer Salze in Losungen. 

Henoch Oskar: Fin Fall von Diabetes mclitus nach Meningitis. 

Kühn Hans: lieber Resultate der Operationen spinaler und zere¬ 
braler Kinderlähmungen. 

Meyer Krnst: lieber den heutigen Stand der Behandlung der Pro¬ 
statahypertrophie. 

Zucker mann Fritz: Zur Diagnose der Pankreaserkrankungen. 

Dann Richard: Ueber spezifische Lungenerkrankungen wahrend der 
Frühperiode der Sy philis. 

Dornheim Friedrich: Beitrag zur pathologischen Anatomie der 
T a y - S a c h s scheu familiären amaurotischen Idiotie. 

Kias Bruno: Fin Beitrag zur Lehre von der Frbhchkeit der Ka¬ 
tarakt 

Simonstein Hugo: lieber Hohlenbildungen im Rückenmark nebst 
Beifügung neuer Gesichtspunkte in der Pathogenese und Mit¬ 
teilung zweier atypischer Fälle. 

Joseph Alfred: lieber Gastroptose und ihre Behandlung durch 
Gastroenterostomie. 

König Hermann: Zur Kenntnis der Augensymptome bei multipler 
Sklerose. 

Kantorowicz Alfons: Zur Prognose der Schädelbasisbrüche. 

Oehme Kurt: Ueber die Beziehungen des Knochenmarks zum neu- 
gebildeten. kalklosen Knochengewebe bei Rachitis. 

Wenske Alfred: Beitrag zur typhösen Frkrankung der Gallen- 
wege. 

Crohn Max: Vorkommen und Ursachen der Frühgeburt bei Zwil¬ 
lingsschwangerschaft. 

Universität München. Juni löns. 

Kodama Todomu: Fin Fall von Streptokokkensepsis. 

Neusseil Ludwig: Das Verhalten der Pupillen bei Alkoholismus. 

Sakuragi Jukichi: Gewichtsverhältnisse von Säuglingen prole¬ 
tarischer Bevölkerung bei natürlicher und künstlicher Frnährung 
nebst einigen Bemerkungen über Säuglingsberatungsstellen und 
Milchküchen. (Mit einem Anhang über die Gewichtsverhältnisse 
japanischer Säuglinge.) 

Ackermann Karl: Ueber das Vorkommen von Muskelhvpertonien 
bei Frnährungsstörungen im Säuglingsalter. 

Doerr Robert: Ueber den Chemismus der Azetonkörperbildung im 
Kindesalter. 

P reger Willy: Ueber einen Fall von „Fcchondrosis ph\sahf<»ra 
spheno-occipitalis“ s. „Chordom des Tiirkensattels“. (Mit einer 
Tafel.) 

Lee de William Hermann: Fin Fall von isolierter Fraktur des Tro¬ 
chanter major beim Frwachsenen. (Mit 1 Abbildung.) 

(j r i e b 1 i n g Otto: Ueber Stenose der Lungenartei ie mit unvoll¬ 
ständigem Verschluss des Forumen ovale. 

Harzbecker Otto: Ueber den zeitlichen Ablauf der Hänml\sc bei 
Einwirkung fluoreszierender Substanzen im Lichte. 

Henop Otto: Ueber Lupus der Mundschleimhaut mit einem kasuisti¬ 
schen Beitrag. 

Sega II Walter: Ueber einen Fall von multiplen Dcrmoidzysten des 
Ovarium und des grossen Netzes bei Torsion der Tube. Gleich¬ 
zeitig ein Beitrag zur Lehre von der Entstehung der Netz¬ 
dermoide. 

Im nachstehenden werden die n i c h t m e d i z i n i s e h e n Dis¬ 
sertationen des letzten Universitätsjahrcs, soweit sie für den Me¬ 
diziner Wissenswertes behandeln, zusammengestellt. 

B c r I i n. 

Well mann Erich: Abstammung. Beruf und Heeresersatz in ihren 
gesetzlichen Zusammenhängen. Fine theoretische und praktische 
Untersuchung. 

Gossen .Johannes: De Galeni libro qui airo^st norpvyuwf in- 
scribitur. 

K ii h I Wilhelm: Der jährliche Gang der Bodentemperatur in ver¬ 
schiedenen Klimatcn. 

B o n n. 

.1 o w a n o w i t s c h Kosta: Neuere Bestrebungen in der Heinistätten¬ 
bewegung. 

B r e s I a u. 

Gerhardt Ferdinand v.: Was lehrt uns die Aushebungsstatistik 
deutscher Länder in bezug auf die physische Entwicklung ihrer 
nhner? 


D igitize^fc^Xj 011^1 C 


Auswärtige Briefe. 

Breslauer Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

F n J e J u n i. 

Neisser. -- Geh. San.-Rat Lange t. — San.-Rat 
S t e r n t. — Hermann C o h n in memorlam. — Die hygienische 
Sektion. — Die Infektionswege bei Tuberkulose. — Säuglings¬ 
fürsorge. — Universität. 

Dass Neisser wieder der unsere geworden d, b. do^s 
er die Statte* seines Wirkens aus der I re ibhausiutt Javas 
wieder in sein scheitmgfmht s r ) Breslau \ erlegt hat. ist ua^h 
mannigfacher. Begrussiiugsehrimgen höheren Stiis m»Ji se.ter.s. 
des Breslauer Aer/te\ erems durch 'ein heiteres und gemüt¬ 
liches Festmahl m Gegenwart \on fast Joo Aer/te n am 2. M.i. 
endgültig festgestellt worden. In bewegten Worten und not 
der von dem wahren Gelehrten un/ert reuniuhe n Bescheid», tt- 
heit stellte er sich auf den kollegialen Standpunkt des emia Jie i» 
praktischen Arztes, für dessen Kample und Sorgen er sich stets 
vollstes \ eistandms bewahrt. Umgekehrt bat ainh de Bres¬ 
lauer AerztesJiaft ihm immer vollstes \ erst.mdms lur seine* 
w issenscliaftlichen Forschungen entgegengebradu und ihre 
praktische Tätigkeit immer w imsdrgemass in den Dienst smur 
Wissenschaft gestellt. Sein neuestes rosafarbenes Bnie:d«»u\. 
in dem er um die Liebesdienste der Prakt.ker wirbt. 1 h /h ht 
sich auf die Serodiagnose der S\ plm.s n.ub W a s s c r m a n n - 
A. N e* i s s e r - B r ii c k und weist auf de r.c :ie;u. K e r n hu tc 
serndiagnostisclie Abteilung seiner klink Inn. t >bw ohl d.c"e 
neueste Errungenschaft medizinischen Wissens nut der nidit 
gerade jedem Luetiker w ilik>•mmeiien \ e in npunktion und 
Blutabzapfuiig verbunden ist, so genügt doJi der Name 
N e i s s e r s. um seine neue Abteilung r.iJit etwa an B!ut- 
armnt eingehen zu lassen. 

I)er angenehmen Aufgabe des Chronisten, neues Leben, 
w ie es mit der Rückkehr Ncissers mu h Breslau \ erbm.den. 
angemessen zu begrusseii. stellt die traurige des Absdr eds- 
iiehmens gegenüber, zumal wenn es siJi um AbsdueJ für 
immer handelt. Und es sind nidit immer nur die Hinge n, deren 
Umgang durch Wiedergabe eies Brustbildes und durdi 
Origmaliiekrolog gefeiert wud. wekhe der Nennung be¬ 
sonders wert sind; uns drangt es aiuh. denemgen Er¬ 
wähnung zu tun. welclie m den bescheidenen i ire u/eii der 
schlesischen Aer/tesdiaft durdi vie luhr/e lir.telarges prak¬ 
tisches Wirken sidi einen Namen gemacht. Im Ns. Lebens¬ 
jahre starb der Senior de r Breslauer Aer/te, < ieD. Samtatsrat 
I)r. Hein rieh Lange; im Sepumber dieses Jahres hatte er 
sein Mi jähriges I loktnriubilaum feiern können. wurde er 

Anstaltsarzt im hiesigen K rank e n h a u s e d e r E Ii s a - 
b e t h i n e r i n n e n. Invs dessen Chefarzt. In du sir Anstalt, 
in welcher in den Jahren Nrf> und l s 7" 71 ein K in gsla/arett 
errichtet war. tat er sich damals m der K rugskranke nprkge 
besonders als Chirurg lier\or. Dem Maiisarmen-Medi/mal- 
iustitut gellorte er seit l'öj als Ar/t. seit l»o ,,i s f» i r ek?«• r an. 
Nachdem er bereits bei elem E u r s t b i sc h o f Rob». rt 
Herzog Hausarzt gewesen, hatte er die gienhe Stelle beim 
Kardinal Kopp mne. In weiten Kreisen genoss er Ansehen 
und Be I ieDtli e i t. Ausser dein 1 Lpfsdie ule n Langes haben wir 
dasjenige von San.-Rat Dr. Heinrich Stern zu erwähnen, 
welcher am X Mai im 75. Lebeiisiafire gestorben. Er war Wit- 
begrimder des Vereins der Aer/te des Reg.-Be/. Breslau und 
gehörte über du Jahre dessen \ orstar.de an. em Muster eJiter 
Kollegialität. 

Wenn wir heute aut den uns un\erge s-d:die n im Sep¬ 
tember 1 ( >U) verstorbenen Hermann Cohn rmdi einmal /u- 
riiekkommen. so ist es nidit. weil er m diesem M-iut (-1. Jam) 
Seinen 7U. (iebnrtstag gefeiert hatte, sondern die \ erauiassuug 
gibt ein zu diesem läge in Breslau (bei F. W ob! fahrt) er¬ 
schienenes Buch; Hermann Cohn in mermmam“. D.is- 
selbe bestellt aus A "I eilen, von denen besi.j Je rs de r erste 
,.\ ita und l’ersonlislikeit'' von Dr. Ernst LuJw ig unser 
Interesse in hollem (irade erwecken iiimv Ls ist eine* 
Charakterstudie ersten Ranges; ans enier Ende kleiner Zuge 
setzt sich vor liieren Augen nnJi und nadi m durch¬ 
sichtigster Klarhe it das Charakter!';.J des \ e rst<«rb-ctKn zu- 


’) Nahe elem piadit*. '-ben Sduito.», r P.e». in .. n ,be [ i:i\e?s ; . 
tätskliiiiken, im Parke Selbst die \ h i ivbiii ne \ ; .i S e i s s t r s. 

. Original frorri _ 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



11 Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1511 


sammen. Auf die wahrhaften Freunde Cohns muss diese 
Nudie Ludwigs wie eine erlösende Tat wirken; mit rück¬ 
haltsloser Objektivität werden neben den grossen Vorzügen 
iie Schwächen, auch die kleinsten, wiedergegeben, immer 
aber findet der Biograph eine versöhnende Erklärung, welche 
ede etwa aufkeimende Missstimmung in Sympathien auflöst. 
Man gestatte mir nur einige Proben: „Die Hälfte seines Lebens 
hat Hermann Cohn am Schreibtisch zugebracht, . . . dort 
sass er, nicht wie ein Bücherwurm, eher wie ein Journalist, 
dessen elementarer Trieb zur Mitteilung sich zur Gewohn¬ 
heit geglättet. Schrieb er nicht Bücher, so schrieb er Auf¬ 
sätze; schrieb er nicht Aufsätze, so schrieb er Streitschriften; 
schrieb er nicht diese, dann schrieb er populäre Artikel, schrieb 
Fragebogen, schrieb Korrekturen, schrieb Briefe, schrieb 
Karten, schrieb eigentlich immer etwas, und da er das meiste 
stenographierte, so ging es doppelt leicht von der Hand.“ — 
„Hört man, dass von der ausserordentlichen Anzahl seiner 
Schriften (306) noch nicht vierzig ... in Buchform erschienen, 
... . alle übrigen aber in Journalen .... herauskamen, so 
wird sogleich der Charakter dieser Arbeit klar: eine Flut, die 
alles ans Land trägt, was ihre Wasser bergen“. Wie treffend 
charakterisiert Ludwig den Dahingegangenen als Do¬ 
zenten! „Er trug ganz unprofessoral vor, in jedem Sinne: 
nicht systematisch, doch übersichtlich; nicht mit gleichver¬ 
teilten Gewichten, sondern leidenschaftlich; nicht periodisch, 
sondern dithyrambisch; nicht in Distanz zum Studenten, son¬ 
dern persönlich, okkasionell, anekdotisch, humorvoll; nicht 
klassisch, aber wie ein Jüngling“. Bekannt sind ja Cohns 
wissenschaftliche Gelegenheitsforschungen; mit liebenswür¬ 
digstem Humor schildert der Biograph wie Cohn bei solcher 
Gelegenheit oft seine ganze Persönlichkeit in die Wage warf, 
„wobei es ihm denn z. B. gelang, einen Dorfschullehrer zu be¬ 
wegen, seine ganze Schule — 240 Kinder — unter Atropin 
setzen zu lassen; oder auch hundert Greise zur Untersuchung 
zu versammeln, indem er im nämlichen Dorfe einen Bierabend 
für die ältesten Männer, einen Kaffee für die runzligsten Mütter¬ 
lein abhielt“. Dieser „Vita“ schliesst sich als zweiter Teil eine 
Abhandlung von Prof. Dr. Ludwig Laqueur - Strassburg über 
Hermann Cohns „Verdienste um die Ophthalmologie und die 
Hygiene des Auges an“. Laqueur war durch 50jährige 
Freundschaft mit Cohn verbunden. Der dritte Teil hat Prof. 
Dr. Leonhard W e b er - Kiel zum Verfasser und behandelt 
Cohns optische und schulhygienische Arbeiten. Mit dem 
Verzeichnis sämtlicher Publikationen Cohns schliesst das 
„in memoriam“ geschriebene Buch; — eine Ehrung für den 
Dahingegangenen, eine Ehrung für die Verfasser. 

Die hygienische Sektion der Schles. Gesellschaft 
für vaterländische Kultur, welche jahrzehnte fang ihr be¬ 
sonderes, auf Einführung von Schulärzten, auf Schulhygiene 
und Credeisierung der Neugeborenen gerichtetes Gepräge 
durch Hermann Cohn erhielt, hat einige Zeit gebraucht, um 
sich sozusagen auf sich selbst zu besinnen und trotz des ver¬ 
führerisch wirkenden neuen Gelehrtenheims auf der Oder¬ 
insel den Schwerpunkt nach dem natürlichen Boden im 
hygienischen Institut zu verlegen. Am 4. Dezember vorigen 
Jahres wurde dort die Sektion mit einem Nachruf Flügges 
auf den mittlerweile Cohn in den Tod gefolgten letzten 
Sekretär derselben, Geheimrat Prof. Dr. J a c o b y wieder er¬ 
öffnet. Die Wahl zu neuen Sekretären fiel auf Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. F 1 ü g g e und Geh. Med.-Rat Kreisarzt Dr. Wolff- 
berg; zum Delegierten ins Präsidium der Schles. Ges. 
f- vaterl. Kultur, ein Ehrenposten, welchen zu bekleiden Her¬ 
mann Cohn stets mit besonderer Genugtuung erfüllte, wurde, 
da Flügge ablehnte, W o 1 f f b e r g gewählt. Diese erste 
Sitzung sowie die beiden folgenden im Januar ds. Jrs. wurden 
roit der leider immer noch aktuellen Breslauer Grundwasser- 
Ir age ausgefüllt. Der Assistent am hygienischen Institut, Dr. 
Dettinger, hielt einen Vortrag über die Grundwasser¬ 
verschlechterung, über welche eingehend diskutiert wurde. 
Vortrag und Diskussion werden in einer vom Magistrat vor¬ 
bereiteten Druckschrift zur Veröffentlichung gelangen. — Dass 
z ur Aufklärung solcher Fragen die verschiedensten Fächer, 
w ‘e Chemie, Hygiene, Geologie usw., Theoretiker wie Prak- 
Jiker, Zusammenwirken müssen, liegt auf der Hand; traurig 
berührt es nur, dass Flügge selbst auch einen auswärtigen 
Hygieniker heranzuziehen empfehlen musste, da er, der „bisher 


seine Sachkenntnis gern in den Dienst der Stadt gestellt habe, 
mehrfach auf Misstrauen gestossen sei und insbesondere jede 
Beziehung zur städtischen Wasserwerksverwaltung habe ab¬ 
brechen müssen“. 

Ein Gegenstand von medizinisch wichtigerem Interesse 
und grosser allgemeiner Bedeutung kam am 20. Mai in der 
Sektion zur Sprache. Professor Dr. Reichenbach be¬ 
richtete über „Versuche über die Infektionswege bei Tuber¬ 
kulose“. Bekanntlich ist von verschiedenen Seiten nachge¬ 
wiesen, dass es bei vielen Versuchstieren gelingt, durch 
Fütterung Tuberkulose und zwar auch Lungentuberkulose zu 
erzeugen. Es ist aber unlogisch, daraus auf den intestinalen 
Ursprung der Menschentuberkulose zu schliessen. Dazu ge¬ 
hört der Vergleich mit dem Inhalationswege. Solche quan¬ 
titativen vergleichenden Versuche können auch allein über die 
Frage Aufschluss geben, ob, wie häufig behauptet wird, die 
durch Inhalation- erzeugte Tuberkulose nicht den wirklich mit 
dem Luftstrom in die Lungen gelangten, sondern den unver¬ 
meidlich verschluckten Bazillen ihre Enstehung verdankt. Im 
hygienischen Institut sind nun von Findel mit Hilfe eines 
vom Vortragenden konstruierten Apparates (Demonstration) 
solche Versuche an Meerschweinchen angestellt, bei denen die 
Dosis der inhalierten Bazillen sich genau bestimmen liess. Es 
zeigte sich, dass zur Infektion auf dem Luftwege etwa 20 Ba¬ 
zillen genügten, während zur sicheren Infektion vpm Darm aus 
10 mg, d. h. etwa 400 Millionen Bazillen nötig sind. Aehnliche 
Versuche sind vom Vortragenden mit einfacherer Methodik an 
Meerschweinchen und Ziegen, von Alexander an Kanin¬ 
chen angestellt; überall zeigte sich die ungeheuere Ueber- 
legenhe.it des Inhalationsweges. Es ist also auch ganz, aus¬ 
geschlossen, dass bei Inhalationsversuchen die unabsichtlich 
verschluckten Bazillen irgend eine Rolle spielen. Wenn man 
also überhaupt aus diesen Tierversuchen einen Schluss auf 
das Verhalten des Menschen ziehen darf, so ist es gerade der 
umgekehrte: der Inhalationsweg ist der bei weitem gefähr¬ 
lichere. Wie häufig aber dieser Weg in Wirklichkeit beim 
Menschen eingeschlagen wird, lässt sich durch Tierversuche 
allein überhaupt nicht entscheiden: dazu gehört die Berück¬ 
sichtigung der Infektionsgelegenheiten auf den ein¬ 
zelnen Wegen. Der an interessanten Einzelheiten reiche Vor¬ 
trag fand vielen Beifall und wurde rege diskutiert. 

In der öffentlichen Gesundheitspflege unserer Stadt spielt 
natürlich die Bekämpfung der Lungentuberkulose wie allent¬ 
halben die grösste Rolle; mit Unterstützung des Zentral¬ 
komitees in Berlin und der Landesversicherungsanstalt 
Schlesien ist es gelungen, dem schlesischen Provinzialverein 
zur Bekämpfung der Lungentuberkulose nicht nur eine Aus¬ 
dehnung über die ganze Provinz zu geben, sondern die Für¬ 
sorge auch auf die lungenkranken Kinder Schlesiens aus¬ 
zudehnen. Es wird beabsichtigt, u. a. regelmässige Kinder¬ 
transporte nach Nordenney in das Seehospiz „Kaiser Fried¬ 
rich“ einzuführen. Ueberhaupt fängt die öffentliche Fürsorge 
an, sich mehr und mehr für die Kinder zu interessieren. Be¬ 
züglich der Säuglingsfürsorge steht uns ja ein be¬ 
deutender Fortschritt durch die von Magistrat und Stadtver¬ 
ordneten anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares be¬ 
schlossene grosse Säuglings-Heil- und Pflegeanstalt bevor. 
Für die sogen, geschlossene Säuglingsfürsorge, welche bei 
weitem energischer die Säuglingssterblichkeit herabdrückt als 
die offene, haben wir ausser der kaum in Betracht kommenden 
Universitäts-Kinderklinik bis jetzt nur den städtischen Kinder¬ 
hort der Armenverwaltung. Aber gerade die Herabsetzung 
der Sterblichkeit der Stadtwaisensäuglinge von ca. 60 Proz. 
auf 15—20 Proz., die sich vor allem durch die Einschaltung 
dieser Säuglings-Kranken- und Pflegeabteilung in das städtische 
Waisenpflegewesen binnen wenigen Jahren erzielen liess, weist 
sehr deutlich den Weg, auf dem mit Erfolg vorgegangen werden 
kann und muss. 

Eine Berliner Zeitung hat kürzlich Breslau eine „zu¬ 
rückgebliebene Grossstadt“ genannt; dass diese 
Bezeichnung nicht zutrifft, ist von der Breslauer Presse zur 
Genüge klargelegt worden; am wenigsten wäre es am Platze, 
etwa unsere hygienischen Verhältnisse zurückgebliebene zu 
nennen. Wir stehen rücksichtlich der Prophylaxe und der 
Krankenversorgung in kräftigster Vorwärtsentwicklung. Wer 
das heutige Breslau z. B. mit dem aus Gustav Freitags 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1512 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


„Söll und Haben“ bekannten Ohle-Breslau vergleicht, wird zu¬ 
geben müssen, dass unsere Stadt sich aus einem Augiasstall 
zu einem modernen Prachtpalast entwickelt hat. Der Ruf 
Breslaus als Universitätsstadt ist sicher ein hervor¬ 
ragender und das Klinikenviertel an der Maxstrasse 
könnte vorbildlich genannt werden. Dass die Zahl der Stu¬ 
dierenden sich auf geringer Höhe hält, ist durch die un¬ 
günstige geographische Lage zur Genüge erklärt. Im vorigen 
Wintersemester waren hier 2033 Studenten immatrikuliert, von 
denen am Schlüsse des Semesters 559 die Universität verliessen. 
Zu Anfang des laufenden Sommersemesters hob sich die Zahl 
durch Neuimmatrikulationen wieder auf 2052, von denen 
leider (?) nur 276 der medizinischen Fakultät angehören. Da 
wir im vorigen Sommersemester 2051 immatrikulierte Stu¬ 
denten zählten, so sind wir „numerisch“ zwar nicht gerade 
fortgeschritten; dennoch ist es unter den gegebenen Verhält¬ 
nissen schon tröstlich, sich auf der Höhe gehalten zu haben. 

Wo. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Jahresversammlung des Vereins bayerischer Psychiater 
in Erlangen 

am 9. und 10. Juni 1908. 

Im Vordergrund der diesjährigen Verhandlungen stand das von 
R e h m - München und K o I b - Kutzenberg erstattete Referat über 
„die künftige Ausgestaltung der Irrenfürsorge in Bayern“, dessen 
eingehende Erörterung den grössten Teil der Tagungszeit in An¬ 
spruch nahm. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes sei etwas ein¬ 
gehender über die Referate, die in knappen Leitsätzen ihre Zu¬ 
sammenfassung fanden, berichtet. Rehm behandelte „die Er¬ 
fordernisse der Irrenfürsorge“. Nach seinen Mitteilungen sind zur Zeit 
in den öffentlichen und privaten Irren - und Pflegeanstalten 
Bayerns etwa 9000 Geisteskranke und ca. 4700 Idioten und Epi¬ 
leptiker untergebracht, in Summa 13 700, d. h. auf 100 000 Einwohner 
etwa 200 Kranke. Nach den Erfahrungen bei uns und in anderen 
Ländern wird das Bedürfnis noch weiter steigen; es müssen in den 
nächsten 10 Jahren auf 100 000 Einwohner 300 Plätze für Geistes¬ 
kranke im weiteren Sinne bereitgestellt werden. Zur Ermöglichung 
rascher Unterbringung und vorübergehender Behandlung der Kran¬ 
ken sind in den grossen Städten mit über 40 000 Einwohnern Ab¬ 
teilungen an den Krankenhäusern unter psychia¬ 
trischer Leitung einzurichten. Auch die Aufnahme in die 
Kreisirrenanstalt muss ohne Verzögerung allein auf Grund ärztlichen 
Zeugnisses und Antrag der nächsten Angehörigen erfolgen. An¬ 
dererseits ist dem gegen seinen Willen aufgenommenen oder fest¬ 
gehaltenen Kranken das unbedingte Recht der Beschwerde einzu¬ 
räumen. Zur Prüfung und Erledigung solcher Beschwerden ist eine 
aus einem Richter, einem Verwaltungsbeamten und einem Amts¬ 
arzt bestehende Kommission einzusetzen. 

Die Sorge für die Unterbringung der Idioten und 
Epileptiker muss den Kreisgemeinden auferlegt werden. Den 
Kreisirrenanstalten sind für diese Kranken besondere Abteilungen 
anzugliedern. Alle Privatanstalten für Idioten, Epileptiker, Unheil¬ 
bare sind der ständigen Aufsicht der nächsten Kreisirrenanstalt zu 
unterstellen. An die Stelle der Laienpflege muss die ärztliche Be¬ 
handlung treten, für diese ist in geeigneter Weise zu sorgen. 

Die Prophylaxe der Geisteskrankheiten erfordert, dass die gei¬ 
stig abnormen Kinder und Jugendlichen unter psy¬ 
chiatrische Beobachtung gestellt werden. Dafür ist zu sorgen durch 
Organisation der Hilfsschulen, psychiatrisch gebildete Schulärzte, 
zweckentsprechende Kontrolle der Zwangserziehungsanstalten und 
Rettungshäuser, staatliche Erziehungsanstalten für Schwachsinnige 
mit gleichberechtigter psychiatrischer und pädagogischer Leitung, 
endlich durch an Kliniken und Anstalten einzurichtende Beobachtungs¬ 
stationen für Jugendliche. 

Die Fürsorge für die H e i 1 u n g d e r T r i n k e r, die in Bayern 
noch vollständig fehlt, ist eine eminent wichtige öffentliche Angelegen¬ 
heit. Notwendig sind offene Heilanstalten für freiwillig eintretende 
Trinker, am besten in organisatorischem Zusammenhang mit den 
Kreisirrenanstalten. Die zwangsweise unterzubringenden, ent¬ 
mündigten Trinker gehören in die Irrenanstalten eventuell in beson¬ 
dere Abteilungen dieser. 

Ein unaufschiebbares Bedürfnis ist in Bayern die Errichtung von 
Volksnervenheilanstalten. Bei der grossen Zahl dieser 
Kranken wird für jeden Kreis eine Anstalt nötig werden. An allen 
Kreisirrenanstalten sind poliklinische Sprechstunden für Nerven¬ 
kranke abzuhalten. 

Die geisteskranken Verbrecher und verbrecherischen Irren so¬ 
wie die zur Untersuchung eingewiesenen Untersuchungsgefangenen 
sind in besonderen, unter psychiatrischer Leitung stehenden Anstalten 
oder Strafanstaltsadnexen unterzubringen. Die kriminellen psycho¬ 


pathisch Minderwertigen würden vielleicht in Anstalten, welche an 
die Korrektionshäuser anzuschliessen wären, für die Dauer ihrer Ge¬ 
fährlichkeit unterzubringen sein. — Zum Schluss empfiehlt der Re¬ 
ferent die Einführung der Eamilienpflege im Anschluss an die 
Irrenanstalten und untör Gründung besonderer Zentralen, ferner die 
Gründung und den Ausbau von Hilfsvereinen für Geisteskranke, 
endlich die Führung einer genauen Statistik der Geisteskranken. 

Ueber die Organisation des Irrenwesens berichtete dann Kolb. 
Von seinen sehr genau durchgearbeiteten Vorschlägen sei besonders 
das Projekt der Einführung eines externen ärztlichen Dien¬ 
stes an den Kreisirrenanstalten erwähnt. Dieser externe Dienst soll 
den Tätigkeitskreis der Anstaltsärzte über den engen Rahmen der 
Anstalt hinaus auf den Bereich des ganzen Aufnahmebezirks er¬ 
weitern und die Feststellung, Behandlung und Kontrolle aller 
psychisch Kranken (im weitesten Sinne des Wortes) im Bereiche des 
ganzen Aufnahmebezirks ermöglichen. Demgemäss soll der externe 
ärztliche Dienst umfassen die Konsiliartätigkeit bezw. hausärztliche 
Tätigkeit an den regionären Pflegeanstalten, Trinkerheilstätten, Ner- 
venheilstätten; die ärztliche Fürsorge für die familiär verpflegten, 
beurlaubten, entlassenen und nie in die Anstaltsbehandlung gelangten 
Geisteskranken, Schwachsinnigen, Epileptiker, Minderwertigen des 
ganzen Aufnahmebezirks. Der externe Dienst wäre unter einem 
Oberarzt dem internen (unter dem Direktor stehenden) nebenzu¬ 
ordnen. Seine Einführung würde den Kreisen nicht nur keine Mehr¬ 
kosten auferlegen, sondern nachweislich Ersparungen ermöglichen 
und würde ausserdem für die Kranken selbst, für die Pflegeanstalten, 
für die Trinkerfürsorge, für die Irrenfürsorge im allgemeinen, für 
die Militärverwaltung, für die Justiz, für die Irrenanstalten und 
deren Aerzte Vorteile bringen. Referent bringt dann ferner Vor¬ 
schläge für Organisation des Anstaltsdienstes, zur Besserung der 
materiellen und ideellen Stellung der Anstaltsärzte, zur Einrichtung 
von Direktorenkonferenzen und Kommissionen, denen die Visitation 
der Anstalten obliegt, endlich zum Bau von neuen Anstalten. 

An beide Referate schloss sich eine sehr lebhafte Diskussion an, 
in der die einzelnen von den Referenten aufgestellten Thesen durch¬ 
gesprochen wurden. Im allgemeinen fanden die Vorschläge allseitige 
Zustimmung; es wurde die Einsetzung von Kommissionen be¬ 
schlossen, welche weitere Vorarbeiten für die Neugestaltung des 
bayerischen Irrenwesens übernehmen sollen. 

Es folgten dann die wissenschaftlichen Vorträge. 

Relchardt- Würzburg sprach Ueber umschriebene Defekte 
bei Idioten und Normalen. Er schildert Gruppen Schwachsinniger, 
welche durch die verschiedene Ausbildung des Vermögens zu lesen 
und zu schreiben interessant sind. Neben einer ersten Gruppe, welche 
nur mit „optischer Stütze“ schreiben, d. h. nur abschreiben und nicht 
auf Diktat schreiben kann, gibt es eine zweite, welche wohl zu lesen, 
aber nicht zu schreiben, und eine dritte, welche zu schreiben, aber 
nicht zu lesen vermag. Vortr. erörtert diese Störungen genauer an 
einer Anzahl von ihm beobachteter Fälle, um dann theoretische Be¬ 
trachtungen anzuschliessen. Er zieht den Vergleich mit aphasischen, 
agraphischen, apraktischen Zuständen, indem er sich an die Aus¬ 
führungen R i e g e r s über die zerlegende und zusammenfassende 
Tätigkeit unseres Gehirns (das „staccato“ und „legato“) anlehnt. Es 
gibt offenbar partielle Defekte der synthetischen Funktionen, auch im 
Bereich der Norm. R. weist im Anschluss hieran auf Aehnlichkeiten 
in musikalischem Gebiet hin. Hinsichtlich der Abhängigkeit der 
Fähigkeit zu lesen von der optischen Stütze, verweist er auf Aehn¬ 
lichkeiten auf anderen Gebieten. Es gibt z. B. hochmusikalische 
Leute, welche nur nach Noten spielen können, selbst eigene Kom¬ 
positionen. Andererseits verweist R. auf die Dozenten, die, ohne zu 
lesen, nicht sprechen können. Endlich erwähnt R. die interessanten 
Erscheinungen des absoluten musikalischen Gehörs; im Vergleich mit 
diesem sind die meisten Menschen „tonblind“. Zum Schluss werden 
die grossen individuellen Differenzen auf motorischem Gebiet und die 
hier bestehenden partiellen Defekte behandelt. 

Specht- München: Zur Theorie der Ideenflucht. 

Kritisches Referat über die letzten Arbeiten über die Theorie 
der Ideenflucht, besonders die Abhandlung Liepmanns. Sp. sieht 
das Wesen der Ideenflucht in einer elementaren Störung der „Ein¬ 
stellung“; sie ist letzten Endes eine Willensstörung. 

K r ä p e 11 n - München: Ueber die Entartungsfrage. 

Vortragender erörtert zunächst die Frage der Zunahme der 
Geisteskrankheiten, die er durch verschiedene statistische Zusammen¬ 
stellungen nachweist. Er behandelt sodann als erste Ursachen der 
Degeneration den Alkohol und die Syphilis, deren grosse Be¬ 
deutung für die psychische Morbidität er in graphischen. Darstellungen 
aufzeigt. Kr. geht weiterhin auf die übrigen Ursachen der psychi¬ 
schen Entartung ein, von denen er als zweite Gruppe die mit der 
sozialen Gebundenheit zusammenhängenden Schädigungen 
bezeichnet. Der Verlust der Freiheit, die übergrosse Häufung der 
Pflichten, die allgemeine Hetze, Unrast und Ueberarbeitung erzeugen 
ein Heer von Krankheitserscheinungen, die nicht die Arbeit an* sich, 
wohl aber das Missverhältnis zwischen Verpflichtung und Zulänglich- 
keit des Einzelnen verschuldet. Es sind ganz bestimmte Krankheits¬ 
erscheinungen, die wir aus diesem Konflikt entspringen sehen; wir 
finden entweder völlige Resignation, die pathologischen Aboulien, die 
Kranken fangen gar nicht mit der Arbeit an; oder es kommt zu 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1513 


verzweifelten Anstrengungen, die Kranken können nicht mehr auf¬ 
hören; die Phobien, die Erwartungsangst, die Zweifel- und Grübel- 
sucht sind Erscheinungen, die diesem letzteren psychologischen 
Mechanismus ihre Entstehung verdanken. All diese Leiden sind 
Naturvölkern unbekannt, sie sind ein Charakteristikum unserer Ge¬ 
bildeten und wir sehen sie zum Teil aus ganz bestimmten Momen¬ 
ten in unserer Gesellschaftsordnung entstehen, wie wir ja auch die 
traumatischen Neurosen unter unseren Augen werden sehen. Eine 
weitere Reihe von Schädigungen fasst der Vortragende endlich unter 
demTitel der „Domestikation" zusammen. Er versteht darunter die 
mannigfachen Erscheinungen, die wir durch die Verkünstelung unse¬ 
rer Lebensbedingungen, die Verweichlichung, die Loslösung von der 
Natur entspringen sehen. Bei Tieren finden wir unter solchen Be¬ 
dingungen deutliche Zeichen der Abnahme der Widerstandsfähigkeit 
und ein Nachlassen der Fruchtbarkeit. Aehnlich steht es auch beim 
Menschen, wie das Aussterben der städtischen Bevölkerung beweist. 
Auch die Verkümmerung des städtischen Proletariats wegen Mangels 
an Licht, Luft und Bewegungsfreiheit ist hier zu nennen, ferner die 
einseitige Züchtung geistiger Eigenschaften und der Mangel an Wil¬ 
lensbildung. Die gemeinsame Wirkung all dieser Faktoren ist das 
Verkümmern der Triebe. Der gesunde Egoismus, der Trieb zur 
Selbsterhaltung schwindet, Selbstaufopferung, ja Selbstvernichtung 
— der Selbstmord — ist an der Tagesordnung. Die Ueppigkeit der 
Lebensbedingungen stört die Regulation der elementarsten Bedürf¬ 
nisse, die sonst ganz mechanisch erfolgt. Wirklicher Hunger ist 
eine uns fast unbekannte Erscheinung, wir bedürfen aller möglichen 
Appetitreizungen, ähnlich steht es mit dem Schlaf, der Trieb zur 
Arterhaltung nimmt dauernd ab, ebenso wie die geschlechtlichen 
Perversitäten dauernd zunehmen. So können wir also nicht ver¬ 
kennen, dass im Kulturleben Schädigungen liegen, welche zur De¬ 
generation führen. Wir sollen aber auch nicht übersehen, dass es 
Gegenströmungen gibt, auffrischende Faktoren, welche eine Re¬ 
generation bedingen. Es fragt sich nur, welche Reihe überwiegt. 
Diese Frage ist für uns ungemein wichtig, sie muss auch unser 
Handeln beeinflussen. Vortr. schlägt die Einleitung genauerer Unter¬ 
suchungen vor, die in abgeschlossenen Bezirken des Deutschen 
Reiches von Reichs wegen eingeleitet und'Jahrzehnte hindurch fort¬ 
gesetzt werden müssten. Sie würden dann die Frage der Entschei¬ 
dung näher bringen, ob die degenerierenden oder regenerierenden 
Kräfte in unserer Kultur die Oberhand behalten. 

J a m I n - Erlangen demonstriert einige Fälle zu der Frage der 
traumatischen Neurosen. 


Weygandt -Würzburg: Organische und funktionelle Sym¬ 
ptome nach Schädelverletzung. 

W. schliesst seine Ausführungen an den Bericht über die Nach¬ 
untersuchung des bekannten Falles von Hirnverletzung, den R i e - 
ger 1889 beschrieben hat. Damals waren mannigfache sehr schwere 
Störungen konstatiert worden, die auf organische Veränderungen be¬ 
zogen wmrden, und eine sehr schlechte Prognose auf Erblindung, 
Irrsinn und Tod war gestellt worden. Als W. den Kranken wieder¬ 
sah. war von all den schweren Erscheinungen, die der Patient dar¬ 
geboten hatte, fast nichts mehr wahrzunehmen. Was er von Krank¬ 
heitszeichen zeigte, war fast durchweg offensichtlich funktionell und 
psychogen und offenbar mit der hohen Rente, die er bezog, in 
suggestivem Zusammenhang stehend. W. schliesst an die Schil¬ 
derung dieses Falles die Mahnung, bei der Untersuchung von Stö¬ 
rungen nach Schädelverletzungen vorsichtig zu sein in der Be¬ 
ziehung der einzelnen Ausfallssymptome auf lokalisierte Herde. 
Man müsste auch an die Allgemeinsymptome denken, an die all¬ 
gemeine funktionelle Hemmung, die sich an schwere Traumata an- 
schliesse. 


Sp e c h t - Erlangen: Ueber die klinische Stellung der Paranoia. 

Sp. beginnt mit einem Hinweis auf die Entwicklung der klini¬ 
schen Stellung der Paranoda im Sinne Kraepelins, ihre Abgren¬ 
zung nach der Dementia praecox und dem manisch-depressiven 
Irresein. Zu ihrem Typ erhob Kraepelin die Fälle des Querulanten¬ 
wahnsinns. Aber gerade diese zeigten eindringlich, dass eine solche 
Absonderung der Paranoia auf die Dauer nicht haltbar sei. Sehe 
man sich die Querulanten genauer an, so werde man alle wichtigen 
Zeichen chronisch manischer Zustände nicht vermissen; man solle 
daher nicht von einer Querulantenparanoia sprechen, sondern von 
einer Querulantenmanie. Sei aber der Typus der Paranoia als 
Manie erkannt, so falle es auch nicht schwer, die übrigen „Paranoia“- 
iälle zu rubrizieren. Auch sie erweisen sich als Fälle des manisch¬ 
melancholischen Irreseins. Sp. bemüht sich besonders, die Bedeu¬ 
tung der melancholischen Komponente für die Gestaltung des para¬ 
noiden Gepräges der Bilder hervorzuheben. Es sind Mischzustände 
mit depressivem Einschlag, welche die Verfolgungswahnvorstellungen 
ausbilden, und oft kann man das periodische Auftreten von'paranoiden 
Schüben als angedeutete depressive Phasen erklären. Vortr. schliesst 
mit der Zurückweisung jener Vorwürfe, welche behaupten, dass durch 
die Erweiterung der Rubrik des manisch-depressiven Irreseins eine 
Verflachung der Auffassung eintrete. Eine Vertiefung vielmehr der 
Betrachtungsweise sei der Erfolg. Vortr. verwaist zur Unter¬ 
stützung dieser Behauptung auf das Beispiel der Nachbardisziplin 
der Neurologie, die ähnliche Entwicklungsstadien durchlaufen habe. 


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Es folgt dann noch der Vortrag von Ritterhaus-Erlangen: 
Ueber psychologische Tatbestandsdiagnostik. Die übrigen Vorträge 
müssen der vorgerückten Zeit wegen ausfallen. Die nächste Ver¬ 
sammlung wird Pfingsten 1909 in München tagen. 

Isserlin. 


Berliner medizinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 8. Juli 1908. 

Herr Senator hält einen Nachruf auf Liebreich. 

Herr J. Citron: Versuche, die das Fettspattungsver- 
mögen luetischer Sera betreffen. 

Vortr. prüfte das fettspaltende Vermögen von Luesseris, 
die positive Wassermann sehe Reaktion gaben. Es zeigte 
sich, dass fast in allen Fällen ein hohes Fettspaltungsvermögen 
der positiven Wassermann sehen Reaktion parallel geht. 

Diskussion über die Demonstration des Herrn 
G. v. Bergmann: Zur Briegersehen Karzinomreaktion, 
über die Vorträge der Herren Sticker, Hofbauer und 
Falk: Ueber Beeinflussung und Behandlung der bösartigen 
Geschwülste etc. 

Herr B r i e g e r wendet sich gegen die Verwendung der F u 1 d - 
sehen Methode. Mit seiner Methode hat er von 100 Fällen nur 
4 mal fehlende Hemmung gefunden. Bei der Benützung von art¬ 
fremden Serum zur Krebsbehandlung handelt es sich nicht um Anti¬ 
fermente, sondern um lytische Stoffe, dieselben, welche die Ana¬ 
phylaxie bedingen. 

Herr Edel geht auf seine vor 5 Jahren vertretene Krebstheorie 
ein und sieht in den neuen Befunden eine Bestätigung seiner An¬ 
schauungen. Speziell wird jetzt, wie er vorgeschlagen, Blut der 
gleichen Spezies Krebskranken eingespritzt. 

Herr P i n k u s hat mit Trypsininjektionen bei Krebskranken voll¬ 
kommen negative Resultate erzielt. 

Herr Orth protestiert, als Zeuge angerufen zu werden, dass 
bösartige Geschwülste zur Heilung kommen. 

Herr Lazarus: Die Operation stellt die souveräne Methode 
der Krebsbehandlung vor. 

Herr F u J d verweist auf die Fermentuntersuchungen von 
Ascher. 

Herr L i e p m a n n berichtet über seine zytolvtischen Versuche 
bei Krebs, die negativen Erfolg gehabt haben. Auch Versuche mit 
fermentreichem Plazentarsaft führten zu keinem Erfolge. 

Herr Uhlenhuth berichtet über Versuche mit Atoxvl bei 
krebsinfizierten Mäusen. Durch Atoxylbehand|ung wird das Haften 
des übertragenen Tumors nicht verhindert. Die Tumoren wuchsen 
stets schneller als bei Kontrollieren. Auch Vorbehandlung mit he- 
terologem Serum ergaben die gleichen Resultate. 

Herr Bier: Eine günstige Beeinflussung der Karzinomfälle durch 
die Behandlung sei unzweifelhaft, ja er habe bei einem Mamma¬ 
karzinomrezidiv eine Rückbildung gesehen, wie nie zuvor. Ob die 
Hundesarkome den menschlichen Tumoren vergleichbar seien, stehe 
noch dahin; von Heilung von Karzinom habe keiner der Vortragenden 
überhaupt gesprochen, nur von Beeinflussung. 

Herr Hofbauer (Schlusswort): Die Differenz der Uhlen¬ 
huth sehen Resultate bei Mäusetumoren zeige eben, dass zwischen 
Mensch und Tier Differenzen bestehen. 

Herr C. Posner: Die Verwendbarkeit der Dunkelfeldbeleuch¬ 
tung für die klinische Mikroskopie. 

Vortr. zeigt in einer Reihe von Projektionsbildern ausserordent¬ 
lich interessante Befunde, die mit der Dunkelfeldbeleuchtungsmethode 
gewonnen sind. Die Demonstrationen erstrecken sich auf urologische 
Untersuchungsobjekte. Er demonstriert erst verschiedene Sedimente 
bei Dunkelfeldbeleuchtung. Leukozyten und Epithelien lassen sich 
unterscheiden, auch Farbendifferenzen treten hervor. Speziell sind 
die Kernfiguren und Granula im lebenden Zustand der Zelle gut zu 
erkennen. Vortr. glaubt, dass die Untersuchung bei Dunkelfeldbe¬ 
leuchtung sich einen Platz neben den anderen Untersuchungsmethoden 
erobern wird. Wolff-Eisner. 


Verein für innere Medizin zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 6. Juli 1908. 

Herr v. Leyden hält einen Nachruf auf Liebreich. 

Demonstration: 

Herr Reicher: Ueber einige ultramikroskopische Beob¬ 
achtungen. 

Vortr. nimmt auf den Vortrag von Pick und P i n k u s (s. No. 23, 
S. 1262) Bezug. 

Auch nach der Narkose kommt es im Blute zur Ansammlung von 
Lipoiden und Cholestearinesthern; ob es zu Xanthombildung 
kommt, ist bisher nicht bekannt. Da es gelungen war durch Chole- 

Qriginal from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1514 


MIJENCHENER MEDIZINISCHE \\ ()CMENSCMRIET. 


Nn. J 


Stearin /Kaninchen gegen das Lezithin des Kobragiftes und dessen 
anäniisierende Wirkung zu schützen, wurde Cholestearin in öliger 
Emulsion bei perniziöser Anämie angewendet und zum Teil ein Er¬ 
folg erzielt. Er demonstriert bei Dunkclfcklbcleuchtung 2 Präparate: 
Blut vor und nach der Narkose. Vor der Narkose sind normaler¬ 
weise nur einzelne Ultrateilchen vorhanden; nach der Narkose sehr 
zahlreiche. Es handelt sich um Eetteilchen. Sie finden sieh aiieh bei 
Diabetikern und nach Eettmahlzeiten, nach denen sie jedoch wieder 
verschwänden. Das dauernde Vorhandensein be/eiclmete man i 
schon früher als Lipümie. Beim Basedow verbrennt das l ett : 
schneller als normal und erklärt dies vielleicht das (ietnlil innerer j 
Hitze. Es lassen sich bei diesen Beobachtungen Uebergange zw i- j 
sehen normalem und pathologischem Gehalt des Blutes an ultra- , 
mikroskopischen Eetteilchen auffinden. I 

Herr Klebs: Blindschleichentuberkelbazilien und Ihre An wen- j 
düng bei der Behandlung menschlicher und Warmblütertuberkulose. ; 

Redner hat nach dem Möller scheu Selbstversuch mit B I i n d- . 
schleiche ntubcrkcl ha zillen derartige Versuche auige- j 
nommen und hat bei Meerschw einchen und Kaninchen günstigen \ er- j 
lauf der Tuberkulose beobachtet. Er stellt auch ein Kind vor, das 
Drüsenschwellungen und Eieber aufgewiesen hatte und unter (> In- | 
jektionen von Blindschleichentuberkelbazillen aufgehlnht ist. Der j 
Blindschlcichenbazillus als kräftigere Urform besiegt den dir'eren- i 
zierten menschlichen Tuberkelbazillus, wo er mit ihm zusammentrint. j 

Tagesordnung: i 

Herr Bauer a. OL: Ueber alimentäre Oialaktosurle bei 
Ikterus. j 

Vortr. hat bei Leberzirrhose eine auffallende In- ; 
toleranz gegen Galaktose beobachtet. Hei 4(» g Galaktose- j 

darreichung scheiden die meisten Menschen schon etwas ( 

Zucker aus, die Lebcrzirrhotiker schon bei 20 g. Eälle von , 
Icterus Simplex zeigen ebenfalls eine gesteigerte Galak- j 
tosuric, die am höchsten ist, wenn die Acholie des Stuhles zu | 
schwinden beginnt. Die Intoleranz gegen Galaktose bleibt noch ! 
lange Zeit, wenn auch in vermindertem Masse, nach scheinbar 
vollkommenem Ueberstehen der Krankheit zurück. Hei Cliole- 
lithiasis wird eine Intoleranz gegen Galaktose nicht beobachtet. 
Die Versuche lassen keine andere Deutung zu, als dass bei den 
betreffenden Kranken eine Schädigung der Leber eint ritt: wahr¬ 
scheinlich handelt es sich beim Icterus simplex also n i c h t um 
einen einfachen mechanischen Verschluss durch Schwellung 
der Duodcnalschlcimhaut. 

Diskussion des Vortrages von Herrn Zuclzer: 
Neuere Untersuchungen über den experimentellen Diabetes. 

Herr Magnus-Lev y gibt Ratschläge, w ie die Präparate (aus 
Pankreas) dauerhaft gemacht werden können. 

Herr Ehr m a n n hat sich mit dem Einfluss der inneren Se¬ 
kretion auf das Nervensystem beschäftigt (Neurochemismus). Nach 
Muskarininjektion wird die (ilykosurie nach Adrcnafminiektion ver¬ 
hindert; neuerdings sind noch andere Stoffe mit gleicher Wirkung 
gefunden worden. Die Inhibierung einer Adrenalinglx kosurie iM also 
kein Beweis für die Isolierung wirksamer Stoffe aus dem Pankreas. 

Herr Zuclzer (Schlusswort): Mit A I e x a u d e r untersuchte er 
das Pankreasvenenblut hinsichtlich eines inneren Sekretes. Das Pan- 
kreasvynenblut zeigte keine Wirkung auf die emikleierte belichtete 
Eroschpuoilk. noch auf den Vagus, noch auf den Blutdruck. I 

Die Infusion von Blut aus der Vena nancreatica m die Bliitbalm j 
' on pankreasdiabetischen Hunden war fast stets wirkungslos. Manch- ' 
rnal allerdings schwand der Zucker aus dem Urin, was aber auch ' 
snontan bei pankreasexstirpierten Hunden eiingeinale in einzelnen ' 
Urinportionen beobachtet wurde. ! 

Die Vorschläge von Magn us-I.ev v haben sich sclmn als 
nicht erfolgreich erwiesen, da er natürlich diese Versuche sclmn an- ' 
gestellt habe. Die Adremdinglyknsurie habe den Vorzug, dass sie 
eine Titrierung der benützten Pankreaspräparate, wenigstens an- 1 
nähernd, in Bezug auf ihre Wirksamkeit gestatte. 

\V o I f t - E i s n e r. 

Aus Ärztlichen Standesvereinen. 

36. Deutscher Aerztetag j 

zu Danzig vom 26.-27. Juni 1908. 1 

(Eigener Bericht.) 

(Schluss.) ; 

Nach der Mittagspause wird in die Beratung der Schularzttrage 
eiiigetreteri. zu welcher folgende Leitsätze des Referenten Gast- ! 
p a r - Stuttgart vorhegen: | 

L Es erscheint wünschenswert, dass überall dort, wo die Ver¬ 
hältnisse es zulassen, also namentlich in den grossen Städten, den ' 
vollamtlich allgestellten Schulärzten der Vorzug gegeben wird. I 

2. Line Verbindung von Schularzt- und Be/irksar/tstellen ist 
nur ^dässig. wonn . dum Inhaber einer solchen • Stelle die Privat- i 
Praxis untersagt ist. 


d. Ist aus irgend einem Grunde die Durvbl.hr iüü§ des unter 1. 
und 2. be/eiclmeten Modus, \u\';e r als >!i r idt.de . T e 1 \\ e* dt 

muss, undiirv limbf bar. so sind Pr i\atadZtc tu den r‘mcr Praxis r. t 
tler Ausübung der >chular/ttaligke it /u Iw I* aiu n. .d er nur üe ’i. 
wenn vertragsmäßig testgelegt wird, dass t:n iDi'g'dt m . c 
Prixatpraxis tler Kolitgen nullt statt’, n.dt n kann. 

4 . Im allgemeinen hangt die I eistung aal »It m GDuti dm 
Schulln giene nullt X'»m s, hmar/ts\su m. s-mdirn dt r IVrs v ! » •„ t 
tles >chiiiar/tcs sowie \om Ausbau dt r tur das k-#|w r lu he W ’ e- 
finileii der bwhuikindcr get r orte iu n Massiiahmiu aU 

G a s t p a r - Mutig.irt erläuterte die ltits.it/i dt s nDurtu aus. 
gehend \ on tler /mulmumit n I mbut ger uug und \ ns.w Dsung »It r 
vhul.ir/thDicil Eiligkeit. Ict'tmc imäusst die lü gutaD tm g * 
Sc h lügt ball de und tles >v hu; bt f r ie Iw s, die l i’!t"siu img und l t ‘ e * * 
waehung tler Minder nn»l die m.u bring »Im * ft r t u.'wü W • f - 

fahr tsemr u htungeri tur die tr.der r I utw'Mi.« m t 'XHa"- 

stallen. W aldsv huletl. I or dt rs v hult n usu I. s.wu d.c Imdmimg »!m 
< iesuritlheitsptlege. /. B. tlurvli \*<rtr.igi. 

Zu unter St heulen ist der Mbu.a’/t im \ - Dm t '!■ d"tr niu m 
.Mannheim) \ «m dem pi atar/lu ht n Mbuar/t im Nt ••f am! W as 
die Motm'ierung betntt:. s-- ist kt uu s d-.r bt : 'mi >\stt”e b ge' 

als i!as a »ule re. Bei dem M fiii’ar/t tui V beamt w ' ► t de Pnxn! 

inaxis sitlu r anregend, s e muss v,D) aber in gi xx ißt n <i'm.'t” 
halten, ilannt keine l cberiaMung dt s V/ks n> I kt nie MD- 1 mm ^ 
der Mhnlc entsttht. Der Mhular/t nn \ ••.'amt tu Jet s\(i w u tu s 
mit tler Mhreibar beit leuhter ab. Dmc »lass er e"i P.-.meaek'at ; i, 
werden braut ht, aiiv.lt tlas v./ialc \ ers'.mdms ist D i it m ken g« . 

rmgeres. In u dt m I ali ermrdmt die sjn!,,i* 7 tidif I mD-mt g-- -s%- s 

W issen und Ir fahr urig mul ein gt \\ ißt s I m.rD ’ti n. De l Mm- 

sut Innig der Minder ist in u dt in laii g't uh rv. :i;s.nn. »de l mm* 

w.uhung tle’si Iben ist in k'imi'cii tu )w j^m: u bt n Bi/'Dm \% t . t 

tles häufigen W tu hseis der >thu\r w t nige r it \ "t lbt \ t' • g 

tler ar/tiuhen B t Ir a n d I u n g ist f ifu r % .tu s v »-.\v^'ige >.»De. 
aber I elurgrine in die Praxis dir k-du gt n s.m{ u dt * Zt | zu X '- 
meiden, the K'iibungeti fade« ums.,*r.t h>r b ’t. u‘ f u ’ r »! e s w 
ar/tiuhe latigkeit ausgt baut wob Ibi dir Nut/b.r •v.is b ;mg d- ' 
W o) 1 11 ,1 1 1 r t s e 111 r u 1 1 f 111 ’ g t n ist es r:u ht bubt, a’ts /w i 1 rVei, d . 

Rechte anderer Bt lm-r den n i v fit / :r sfe.n in ! dtii \e f huü dm 

persoidu hefi Mreberei /u xernuul-n dt *t s Xt-'a-gf die >!*. 
hing nn \"l!amt, um iurrudigtnd zu si im und diu \ t ’ bist dir Pm> s 
und der K r ankt nlu haiullung .iiis/ii.m »v I t n. unt lieb t m der lü - 

wegung mul tu ih r w ism ns , 1 -..ut i Ja n Ib s ir g. I s «vt h V--\: s 

nullt rimgiuli eines der bt idt i >\ -sn me /u unuiltii. u 'u 
seine \"f/uge. aber aiuh stme ! a’!t riSyitt tt 
Es lugen bdgttnlc Vntuige x<-r: 

a) l owenstein und M u g d a n ■ \n Midi vier I t .ts.-f e , 
best lihessen: Du frage, «d* >v!:t;.a:/t i in ftaufae,: <d,tr i::i Ni'v- 
amt, ist zur/eit n«*th nullt enudm Jet»; sie ist a* ' .e gg \ *-r d. : 
gelo.rtl.er teil \r beitsie■istung. smuic x < u; dsatn und ptr*».: .Dun \t - - 

haltnjssen. 

b) M a n / e I - I Iber It Id I t a?it r a n.it nüNfidu n 'in Vl.o.b- 

runeeii des lextes in dt u Ltits.,t/vri ur:..:t kt Vt an t^xr e 

the I *r ix atar/te im St ''iii.uiit as !;u..i»'|;ie /u ert.pfi ‘ t« 

e) K o r m a n n - I eip/ig beatüi.ivt d;e M’t ivbung dt r W . '»t 

..weither" bis ..muss" m | ei’s.itz d. 

tl) R e m b o | d - W ahlsee bt an’ragt ^tnulumg du s I t ts.tf/es 2 
C o h ri - Lharlotteiiburg Inurusst u, »lass dar k\ im nt n. v '"t 
allzu exklusiv fnr tleii x • m amt u lu u sJiudirzt gt s; 1 » • ^ } a n bat. In 
Lharlotteiiburg haben sich die 1) Mhubo/ti nn VÜtn.if t X'dst.o-d.g 
bewalnt. >ie h.ibtri ie ui. D"o SDm.m uni v »li . t f .i"u n. ur-!t r - 
Mit Iren the Mliulrekruten. k < • n t r»> ’u »tu du e, besiu m u /t t- 

x\ eise den \ älter r ulit. halten nn-natuh ei"e >p f t, bs!-.m It. trt'Un 4% 
Auswahl iur die I t r ienk< .buiu u usw . Du s »i n. a ■' » t bt 

bereitwillig die I ihrer k am n aus dir \t */*-s v ' m” u gi 'n n;m : 

\or. i in (legeiiteil er ha tt n »he Maiis.o/tt Xi'mi 'tt nduedef /u- 
Behaiullung. Die k "fitnnut :t d- i he 1 ac It dt ! f’ubt. »!a f%: 

einer ex ent. lüisvliiiiung tler Otsunddu dsb-u« n dt s •• de's de-, 

t tagen w ird. Sri tler liegen gti.bn Jdmi Pu ' a - ‘uug tM d t 

Iiuloltn/ tler Eltern am meistt n s v dmu . -sst v» h d.iuh »' .. 

Aufstellung und Mitarbeit \ *.n .'»' dsdnugf:: a‘ 1 t tt n. du »Dp eir- 

zeliien Svhulern und I item iin I e'*u ’mu t: ;t dt »r s du .r/to 
n.uhgeheii und die ar/tiuhe l’thau l'uug V* ‘/''.ism n Da.-. ..<• 
kommt tler prakfisvhe Ar/t ahy 1 *’ \u ! n t br a s d t - x ■ 

>v huhir/t in I »t i uhr ung tut <!t m \"'U h-nt t t r im 4 lD"t r 

besser kennen. Aiuh \-mi w >■ r v 4 bat* Du. n v t.m • s ; -- ! dut :••• •- 

impeiisier tt ri ^vhu!.ir/te nu bf /u vi' n. r - \ D< k . ^ - ” mt ;•< 

I.innalime von b" MI 1 *• 'H M rtnbt t-w ,■ u'd. ^u' / mu.u k 

eignen su h aller »!iugs w t mger. D< r 1 , >*/: m A • .e n *• D ’ 

sn befr rvdigt sein. Die Ir. meu-sD - •• f •.<.<•' s • d t ,. , ' t \ ‘ 

Dntci siu Illingen sind s^bb sv'D’ d .. D' • • •• .g. l'.-s >x stt - 

der nebeiiamtu lu n b» !m ' ' t - - hu* ^D: u Do d *! D- b •• 

vnll.imtiu hen ist es m-Dr nu bt dt - ! a- Es <>’••• • s ., 

I. eits.it/ 4 an/tm iuru u. 

I o w e n s t e i ri - 1 ! t r f.. ' • \ uD m f ‘ r 

Sehul.ir/te im NDunimt s t =t I. I: r t n zur a >. : .. !'■■, . •_ g- _ 

ohne k'o!lisi - - n. Es ist u null x - - u b t t V r/ ‘w a'"’ ” g u '>%.■> • ■ :• ” 


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14. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1515 


aber doch viele (18) Aerzte Verwendung Wir sollen uns auf kein 
System festlegen, das Wünschenswerte sind Schulärzte im Nebenamt. 

S c h u 1 1 e - Köln: Jeder tritt für das System ein, das sich in 
seiner Heimat bewährt hat, ich bin für die Schulärzte im Nebenamt. 
Viel schlimmer als die bei diesen besprochene Schreibfaulheit ist eine 
Schreibmanie. Den kleineren Schularztbezirken ist der Vorzug vor 
den grossen zu geben, auch bei den vollamtlichen Schulärzten sind 
Lebergriffe in die Privatpraxis nicht ausgeschlossen. Da wir kein 
bestimmtes System fordern wollen, fallen die Leitsätze 1—3 am 
besten ganz fort. 

M a n z e 1 - Elberfeld spricht entschieden für das System der 
Schulärzte im Nebenamt; es soll kein Monopol geschaffen, sondern 
die Mehrheit der Aerzte, welche mitarbeiten will, zur Mitarbeit zu- 
gelassen werden. 

Peyser -Berlin hält es wünschenswert, die eigentlich schul¬ 
ärztliche Tätigkeit von der wissenschaftlichen Verarbeitung des 
Materials zu trennen. Letztere, die wissenschaftlichen Schulhygieniker, 
würden dann sozusagen Schulärzte im Hauptamt werden. 

Reich- Breslau spricht sich für Streichung des Leitsatzes 1 aus. 

Landsberg -Posen ist für die Schulärzte im Nebenamte, die 
sich auch in Posen bewährt haben. Es ist nicht würdig, so viel 
von angeblichen Uebergriffen in die Privatpraxis zu sprechen.^ 

K o r m a n n - Leipzig: Wir können die Juristen um ihr Selbst¬ 
bewusstsein beneiden. Wir unterschätzen unsere Befähigung zur 
hygienischen und schulärztlichen Tätigkeit, und doch werden sich 
überall geeignete Aerzte finden. Am besten bewähren sich vielleicht 
Schulärzte im Nebenamt unter der einheitlichen Leitung eines Stadt¬ 
arztes. 

Ein Schlussantrag wird auf Einspruch Königshöfers ab¬ 
gelehnt. 

S t e p h a n i - Mannheim: Ich bin 3VL» Jahre als Schularzt im 
Hauptamt tätig und habe manches mit der Schulbehörde durchzu¬ 
fechten gehabt. Ich habe weder den Konnex mit dem sozialen 
„Milieu“ noch den Konnex mit der Praxis verloren, ich komme mit 
den Eltern selbst viel in Berührung und finde Gelegenheit, ihnen die 
Fürsorge für ihre Kinder ans Herz zu legen. Ich bin völlig befriedigt 
von meiner Stellung, w r eil sie viele grosse Probleme bietet. Ich habe 
Sitz und Stimme in der Schulkommission, wie sie im Nebenamt nicht 
gewährt wird. Wenn es heisst, die Schulärzte im Nebenamt haben 
sich bewährt, so will ich das nicht angreifen, aber es gibt doch Orte, 
wo die Behörden sich gegenteilig äussern. 

S t e r n f e 1 d - München ist ein Freund der Schulärzte im Voll¬ 
amt und des Leitsatzes 1. Der ärztliche Bezirksverein München 
teilte einstimmig seine Ansicht, obwohl in München die Schulärzte 
im Nebenamt wirken. Der Leitsatz 1 spricht ja nur einen Wunsch 
aus. wo die Verhältnisse es zulassen, wogegen niemand etwas ein¬ 
wenden könne. 50 Zitate aus Tagesblättern, medizinischen und schul¬ 
hygienischen Schriften liegen vor, wonach die Schulärzte im Neben¬ 
amt, sich nicht bewähren. Wo der Schularzt im Hauptamt wirkt, 
kann keine Schädigung der Privatpraxis eintreten, bei den im Neben¬ 
amt wirkenden lässt sie sich nicht vermeiden. 

C o h n - Frankfurt a. M.: In Frankfurt wirken seit 10 Jahren 
20 Schulärzte im Nebenamt zur vollsten Zufriedenheit; der ärztliche 
Verein hat auch für die höheren Schulen die Anstellung von Schul¬ 
ärzten angeregt. 

Nunmehr wird ein Schlussantrag angenommen. 

Der Antrag Löwenstein-Mugdan wird angenommen, 
ebenso der Leitsatz 4. Damit entfallen alle anderen Leitsätze 
und Anträge. 

V. Bericht der Lebensversicherungskommission über die Rege¬ 
lung der zwischen dem deutschen Aerztevereinsbund und dem Ver¬ 
band deutscher Lebensversicherungsgesellschaften bestehenden Ver¬ 
einbarungen. 

Anträge des Geschäftsausschusses: 

1. Der Aerztetag wolle beschliessen, einer Staffelung der 
Honorare, und zwar sowohl für vertrauensärztliche als auch für 
hausärztliche Zeugnisse nach der vom Verbände der deutschen 
Lebensversicherungsgesellschaften vorgeschlagenen Staffelungsart 
zuzustimmen (s. den Entwurf des Vertrages, abgedruckt in 
No. 654 des ärztlichen Vereinsblattes). 

2. Der Aerztetag wolle dem Geschäftsausschuss Indemnität er¬ 
teilen wegen der nicht erfolgten Kündigung der zwischen dem 
Deutschen Aerztevereinsbund und dem Lebensversicherungsverbande 
zurzeit noch bestehenden bisherigen Vereinbarungen. 

3. Für den Fall der Annahme von 1: 

Der Aerztetag wolle dem Entwürfe eines neuen Vertrages mit 
dem Lebensversicherungsverbande in der aus Beilage B (Aerztliches 
Vereinsblatt No. 654) ersichtlichen Fassung mit folgenden, dem Ver¬ 
bände vorzuschlagenden Abänderungen, seine Zustimmung erteilen. 

Zu § 1, Abs. 3 möge zwischen den Worten „auf“ und „Ver¬ 
anlassung“ eingesetzt werden „schriftliche“. 

In § 2, Abs. 1 möge es heissen statt nach der Untersuchung „im 
Anschluss an die Üntersuchung“. 

In § 3 soll bei den Worten „und für das kurze Zeugnis 5 M.“ 
hiazugeiügt, werden, dass das Formular für das kurze Zeugnis, (wie 
es ht\ sogen. Volks- und kleinen Versicherungen in Anwendung ge¬ 


langt), nicht mehr Fragen enthalten darf, als in Anlage B II von der 
gemeinsamen Kommission festgesetzt ist . 

K r a f t - Görbersdorf als Referent: In Münster waren Wir der 
Meinung, die Lebensversicherungen seien reich genug, um für das 
hausärztliche Attest 10, für das vertrauensärztliche Attest 15 M. zu 
bezahlen, und wir glaubten, sie würden auch unseren Wünschen ent- 
gegenkommen. Zur gleichen Zeit tagten die Lebensversicherungs¬ 
gesellschaften in Düsesldorf und dachten, wir Aerzte wollten nur 
ein vereinfachtes Formular und dafür die bisherigen Hono¬ 
rarsätze erhalten, während wir eine Vereinfachung des Formulars 
und Erhöhung der Honorare wollten. Unter den Aerzten waren 
zwei Tendenzen. Diejenigen der grossen Städte wünschten eine er¬ 
höhte Bezahlung für das hausärztliche, diejenigen der kleinen Städte 
eine solche für das vertrauensärztliche Zeugnis, und schliesslich er¬ 
gab sich die Erhöhung für beide. Die Besprechung mit den Ver¬ 
sicherungsgesellschaften war fruchtlos; nun wäre der Fall der Kündi¬ 
gung gegeben gewesen, aber um den Bruch zu vermeiden, haben 
wir weitere unverbindliche Verhandlungen geführt. Nun ergab sich, 
dass es leistungsfähige und weniger leistungsfähige Gesellschaften 
gibt. Sollten wir letzteren entgegenkommen? Es will aber keine 
Gesellschaft als weniger leistungsfähig klassifiziert werden. Da trat 
man an die Staffelung nach der Versicherungssumme heran, da der 
eigentlich Bezahlende doch der Versicherungsnehmende ist; der 
Durchschnitt der Versicherungssummen ist 4400—4500 M. Wir sind 
nach wie vor der Meinung, dass die Gesellschaften die Honorar¬ 
erhöhung sehr wohl ertragen können; die grossen Gesellschaften 
zahlen ja zusammen ca. 2 Millionen Mark an Tantiemen, ebenso sind 
ja die Reinerträgnisse der Gesellschaften zum Teil ganz glänzend. 
Warum sind wir doch zu dem Mittelweg bereit? Da fragten wir, 
brauchen die Gesellschaften unsere Leistung? Die amerikanischen 
Gesellschaften verzichten seit Jahren auf ärztliche Atteste, nach der 
Statistik reicht der Schutz durch die Atteste nur etwa auf 5 Jahre, 
später gleicht sich der Unterschied ganz aus. Die Gesellschaften 
sichern sich durch eine genauere Anamnese, für deren Richtigkeit 
der Versicherungsnehmer einstehen muss. Ein Teil der Bevölkerung, 
zumal der weiblichen, würde sich bei Wegfall der ärztlichen Unter¬ 
suchung in wesentlich grösserem Umfang versichern lassen. Daher 
haben wir doch Bedenken, ob die Aerzte bei einem vertraglosen Zu¬ 
stand auf jährlich 2— 2Vs Millionen Mark verzichten können und sollen. 
Bei der vorgeschlagenen Staffelung ist der Gewinn für uns noch 
immer recht beträchtlich, im ganzen etwa 20 Proz. der bisherigen 
Einnahme. Die Verantwortung, nur aus Prinzipienreiterei auf dem 
früheren Beschluss zu beharren, wäre zu gross. Die Gesellschaften 
könnten auf die ärztliche Untersuchung verzichten oder zur Anstel¬ 
lung von Distriktsärzten mit 10—15 000 M. und mehr Gehalt über¬ 
gehen; wer möchte einem Familienvater diese sehr anständige Stel¬ 
lung verbieten und damit zweifelhaften Elementen zu fetten Pfrün¬ 
den verhelfen? Wir hätten Ihnen gern 1 100 000 M. Mehreinnahme 
verschafft, nehmen Sie vorlieb mit 400 000. 

S c h ü c k - Berlin: Das Verhalten des Geschäftsausschusses hat 
unser Kopfschütteln erregt. Wir hatten die Staffelung auch ganz 
anders aufgefasst, als Kraft sie darstellt, es wäre noch angegangen, 
nach der Grösse und finanziellen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft 
zu staffeln, so aber nach der Versicherungssumme bei gleicher ärzt¬ 
licher Leistung zu staffeln, bedeutet eine Provision, welche unwürdig 
unseres Standes ist. Was das amerikanische System betrifft, so sind 
die amerikanischen Gesellschaften nicht so sicher und verlangen 
von den Antragstellern eidliche Angaben. Diese geben die Antrag¬ 
steller bei uns nicht. Kraft hat auch vergessen auf die hohen 
Agentenprovisionen und die gute Geschäftskonjunktur hinzuweisen. 

L ö w e n s t e i n - Elberfeld: Ich habe 1907 die Anträge auf 10 
und 15 M. gestellt, wurde in die Kommission vorgeschlagen, aber 
nicht gewählt. Wenn die Gesellschaften das amerikanische System 
einführen wollten, würden wir sie nicht hindern können. Unsere 
Forderungen sind nicht masslos. Trotzdem beantrage ich die In¬ 
demnität für den Geschäftsausschuss und auch die Annahme des 
Staffeltarifs. Denn die Hauptsache ist die Einigkeit der Aerzte, wie 
sie beim Tarifvertrag sich gezeigt hat. Im Rheinland ist die Organi¬ 
sation wohl stark genug, um unsere Forderung durchzusetzen, wo 
anders ist das vielleicht weniger der Fall. 

D r e i b h o 1 z - Wilsnack: Es ist zu verwundern, wie man nach 
der Einmütigkeit und frischen Kampfstimmung des vorigen Jahres 
nun so die Segel streichen kann. Bleiben Sie fest und einig bei Ihren 
Beschlüssen! Die Gründe sind im vorigen Jahr genügend besprochen. 
Von der Staffelung hat das Gros der Aerzte keinen Vorteil, denn 
Anträge über 5000 M. sind sehr selten. Vorteil haben die Vertrauens¬ 
ärzte der grossen Städte. Wenn die Gesellschaften so schwach sind, 
dass sie diese Honorarerhöhung nicht leisten können, sollen sie ver¬ 
schwinden. Mir kommt es nicht auf die Beträge an, aber Verträge, 
die an und unter die Minimaltaxe gehen, sind unwürdig. Eines der 
Schreiben der Gesellschaften an den Aerztevereinsbund hat mich 
durch seinen Ton mit Zorn und Entrüstung erfüllt. Die jetzigen Sätze 
gelten seit 1874. Seitdem ist der Geldwert gesunken und sind doch 
auch die Beamten der Gesellschaften aufgebessert worden. Wenn 
wir den Gesellschaftern nachgeben, können wir auch beL den Kran¬ 
kenkassen keine Forderungen erheben. 


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1516 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N'n. ’S 


Der Vorsitzende Loebker verliest mit bezug auf die Be¬ 
merkung des Redners das einzige in Betracht kommende Schreiben 
des VeEsicherungsvcrbandes und verneint jeden beleidigenden Cha¬ 
rakter desselben, der Oeschäftsausschuss würde andernfalls nicht 
weniger-empfindlich gewesen sein . 

P f a 1 z - Düsseldorf: Die Kommission hat ihren Entschluss 
schweren Herzens gefasst, weil der Erfolg nicht sicher ist. Es war 
ein Fehler, die Honorarsätze im vorigen Jahre festzulegen. Die 
Solidarität der deutschen Aerzte ist gewachsen, aber doch vielleicht 
nicht überall genügend. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei einem 
Bruch ein Teil der Vertrauensärzte doch weiterarbeitet, w ir Konnten 
dann nicht so schroff sein, sie deshalb auszuschlicssen. Die Haupt¬ 
sache ist unsere Einigkeit. 

M ü 11 e r - Zittau stellt den Antrag, die Anträge des (iescliafts- 
ausschuses abzulehnen und die weiteren Verhandlungen dem Leip¬ 
ziger Verband zu übertragen. 

Die Staffelung ist unannehmbar, weil ja jede Untersuchung die 
gleiche Leistung darstellt, früher bestand schon eine Staffelung und 
es wurde gerade die Vereinheitlichung hegriisst. Wenn das ameri¬ 
kanische System besser ist, führen es die (iesellschalten schon ein. 
sie sind ja nicht verpflichtet die Untersuchungen vornehmen zu lassen. 
Die bisherige Kommission ist nicht routiniert genug, an ihre Stelle 
soll der L. V. treten. 

M a r k i e 1 - Hamburg beantragt, die Summen für die Staffelung 
auf 4999 M., 5000—19 999 abzuändern und die Dauer des Vertrags vor¬ 
läufig auf 3 Jahre festzusetzen. 

Um 4 Uhr 40 Min. Nachmittags wird die Beratung vertagt. 

Sitzung vom 27. J u u i, 9 U h r v o r in i 11 a g s. 

Zu Beginn der Sitzung verliest der Vorsitzende einen tele¬ 
graphischen Oruss Oeheimrat W a 11 i c h s’, welcher den Arbeiten 
des Aerztetages den besten Erfolg wünscht. 

W i n k c 1 m a n n - Barmen: Auch ich gehöre zu den Mitschul¬ 
digen. Es ist nicht angenehm, um Indemnität zu bitten, weil mau einen 
schlechten Auftrag nicht ausführen konnte. Der Ueschaftsausschuss 
hatte schon vor der Aktion Bedenken und hat die Verhandlungen erst 
auf Wunsch des Aerztetages unternommen. Die Aufgabe war zu 
schwer. Ich scheue mich nicht vor einem fröhlichen Krieg, aber 
hier sind wir machtlos, wir haben keinen (iegner. Der Kleinkampf 
spielt im Sprechzimmer des Arztes. Nicht alle 3nnm Aerzte können 
die Sache aushalten. Müllers Vorschlag ist unmöglich. \\ ir 
können das Ansehen des L. V. nicht für diese Sache emsetzen. es 
uüre das auch ein Misstrauen zur bisherigen Leitung (Zuruf: Nein'). 
Wir brauchen jetzt eine Zeitlang Frieden und Ruhe und Einigkeit. 
Es sind ernste Zeiten. Zeigt sich doch eine Bewegung, die Amts¬ 
ärzte aus dem Aerztevereinsbund herauszunehmeu. Darum wollen 
wir ohne Not keinen Zwist. Die in Betracht kommenden Summen 
sind zu gering. Wir wollen keine Scharte in unsere scharfe Wafie 
bekommen. Wir sind nicht stolz auf unser Kind. Sie brauchen auch 
nicht stolz zu sein, es hat Schönheitsfehler, die sich vielleicht mit 
der Zeit gut machen lassen, aber der Wurm ist da und muss erhalten 
werden. 

H e n i u s - Berlin: Die Beschlüsse der Kommission enttäuschen, 
nachdem kraftvolle Männer im vorigen Jahr so feurig gesprochen 
haben. Es ist zu verwundern, dass die Versicherungsgesellschaften 
nur an das Formular gedacht haben sollen. W enn die kleinen (iesell- 
schaften nicht auskommen, sollen sie wo anders sparen. Das ameri¬ 
kanische System ist nicht zu befürchten, die Distriktsärzte wurden 
zu viel überlastet werden. Seien Sie einig in der Zurückweisung 
dieser Anträge, das wird Eindruck machen! 

M a n z e I - Elberfeld empfiehlt die Annahme der Anträge mit 
Rücksicht auf die allgemeine Lage. 

D a v i d s o h n - Berlin: ln Münster kannte man keine Furcht. 
Die blasse Furcht hat aber alle diese Verhandlungen geleitet, sie ist 
ein schlechter Vermittler. Kraft hat im vorigen Jahr die Ver¬ 
sammlung begeistert hingerissen, diesmal vertritt er mit geringer Be¬ 
geisterung eine schlechte Sache. Die vertragslose Zeit ist nicht so 
schlimm. w r ir bekommen dann nur höhere Honorare. Die Staffelung 
als solche verwerfe ich nicht, aber durch zu grosse Konnivenz ist 
unser Prinzip verletzt. Wer wird künftig vor den Beschlüssen des 
Aerztetages Respekt haben, wenn man sich über mit solcher Majori¬ 
tät gefasste Beschlüsse hinwegsetzt? 

Müller-Hagen beantragt, den Vertrag nur auf 3 Jahre ab- 
zuschliessen. Wenn die ersten Vorkämpfer für die Sache uns die 
Anträge unterbreiten, müssen schwerwiegende (inindc vorliegen. 
Das Prinzip des Staffeltarifs haben auch Juristen, Anw älte usw. Der 
Antrag M ii I I e r - Zittau w äre ein Misstrauensvotum gegen den Oe- 
schäftsausschuss. Im ganzen ist der (iegenstand zu minderwertig, 
der Erfolg zu zweifelhaft. 

K r a f t - (iörbersdorf: Wir haben nichts zu entschuldigen, wir 
wollen Sie nur nicht in einen vertragslosen Zustand fuhren, der alle 
möglichen Schwierigkeiten und für den einzelnen schwere Konflikte 
bringt, wenn die Agenten kommen mit ihren Anerbietungen und die 
dira necessitas des Lebens. Wir können die Stellen nicht sperren 
und haben viele Kollegen, die durch die Verhältnisse bezwungen wer¬ 
den. Alles das wollen wir Ihnen ersparen. Der Vergleich mit den 

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Krankenkassen trifft nicht zu. wir haben hier keine Kranken, dre !k- 
handlung brauchen. Man Sehiagt den L. \. \<>r. Im < ies v h.i'tcms- 
Schuss sind die Euhrer des L. \. Sie spielen via nur die I •lirer m ! M 
aus. Die 2 Jon lim M. sind sicher, wir können sie gut branden. 
Nehmen sie den Vertrag ais Zw isdienx ert» ag an L h stimme fpr dt n 
Antrag M u I I e r - Hagen, m den 3 Jahren kennen sidi die k,einen 

< iesellschaften emrie Ilten. 

S. A I e x a n d e r - Berlin erklärt pers.-nliJi, dass der Btsd 'pss 
der Kommission nicht einstimmig war und er selbst dagegen und !..r 
die Kündigung gestimmt habe. 

Nach einer < icschaftsor dnungsdvbatte wnd die g” umk.t{7h v 1 
Erage der Staffelung des Ibunuars zui Abstimmung ge) rächt. und 
zwar auf Antrag Koriigshoters durch Stimmzettel. 

Wahrend der fur die l'eststeilung des Resultates tu tuen Zeit 
werden die Beruhte der khmmusM-.iu n tuitgv genge ru-mme n. 

VI. Bericht der Kommfosion für dat ärztliche Unterstützung«- 
und Versicherungswesen. 

Referent Das i vl s o h n - Bei im : Die Arbeit der Kummssi-n war 
eine stille. Der allgemeine deutsche Baders erband hat die \m 
gnnstigungen dahin erweitert, dass Angehörige vier Aer/tc Be - 
freinng \on der Kurtaxe und .null ohne dessen g.euh/eitue An¬ 
wesenheit im Kurort erhalten, ferner dass «he Witwen und Waisen 
von Aer/teii eine Er niassigung vier Kurtaxe und B ider preise e'- 
halteii, wenn eine Bestätigung der Ik durpigkcit durch die Aer/te- 
kamriier xmliegt. Die \ v r liami’imgeii mit dv n Behörden wegen d*. r 
Statistischen f'eststefUwig der I aimheux er h.i'tmsse der Aer/tc. A *#§* 
Witwen mul Waisen nehmen diten guten loftgang. sie werden d;e 
tiruiullage lur lahre'an-ge Arbeiter! hekin. um zu einer W ,tw en- und 
W arsenx ersiv lierung zu gv ’an. i ri. 

Dem Antrag des Rvtereute u gemäss wird v!ie K • missi« n zu 
we'teren Schritten rin l.mx er nehmen mit dem < icu f;.i!ts.mss, hi;\s 
crimu htigt. 

VII. Bericht über die Versfcherungskassc fur die Aerzte Deutsch¬ 
lands. 

Referent M n il t e r - lkr !in beruhtet uber die weitere einstig; 
Entwicklung vier Kasse niivl L h usst mit dem W misdie'. es rm-ge dv r 
Aei zte\er emsbuiivl mul vier I e p/.ger \e'KinJ nadi «Ivin \ >r'-. .:e dis 
Herausgeber koilegiiifns vie r M.i:•«. t.e ne r tr.i d / ScMe n W ■ -che 'ihV :t 
eler Kasse albahrliche /.uxx e ndunge n machen 

S t e i n b r u c k - Stolzenhagen ta«le :t die I ngher z igkeit vie r Kasse 
bei vier Aiiinahme xoii K > dir ge n. >ie gehe nur aut die a er su *n r- 
steil lalle muh l ntersuc Innig ilulvh zwei Vcrzte nn. datier ist es 
in 25 I.ihren nur zu | 5 m Aurilahmen gekofnm t -ü >oe \ v an. t am h 
Rexerse gegen \x eitere Aiim'ihJh muh fr kenn I r k ' amim gv n >. 
Werden ehe Kollegen zu k-mkur re rt/gese's«, hatten get.hrt 

S c h o n ll e I m e r - lk r hu bezeichnet demgegen her < ! .ts \ -jf- 

ualmisx er fahren als vltir e haus weitherzig. Der \ er zu ht auJ Ce 1 
scliavligung muh früheren 1 ; kraukim^e n ist eine I i.i:d'!virg 
Sehlechte Risiken dart eine- gute K.iss c nullt ul-v "H 'ran E s w.se 
Sogar ehe Anstellung x on \ e r traue ns.r /teil zu k: nw« den 

H e ll l ll s - lkr im bestätigt, dass das \cr!nh’tn durDaus k>’- 
legial ist. das Risiko muss allerdings genau gt pr itt wvr.hu Der 
„Anker“ nimmt freiluh alles auf. hat aber \ ie! Indure P’am.e ns.^ze 

D a \ I d s o h n - I kr hu empfiehlt vbe \uUsurg a'hr k e me n 
Sterbekassen zu emisten der \ ersiehe f rrngskasse. deren Sidark,; 
llllei Leistungsfähigkeit damit gesteigert xxird 

Fortsetzung der Beratung uber Punkt V. 

Die Abstimmung ergibt H 15 s Stimmen lur. 4'«o gegen die Staf¬ 
felung ehr Honorare. 

Vertreten sind auf dem Ae’/tetage \ er eine diodi 517 De¬ 
legierte mit 22 31‘> Minimen. 

Die liivlemmt.it wird dem < ie sc hafts.uissc huss m;t aen gegen 
1 Stimme erteilt. 

Eis xxird nun x mi I* f e i f 1 e r - ILimbor g cm \nttag emge b’.u ht. 
eien Vertrag en bloc an/unehrnen und a«t 5 Iah re a ,< /us > lewen unter 
Ueberw eisung aller x or hegende-n Anträge ari de u i leschailsaussvhtiss 
als Mater ial zu xxelte'en \ er iianditm ge u. 

Inzwischen ist muh eine l-'eihe* Xoii \r*.t ragen auf Vaudcr urrge n 
m dem Vertrag eiligere n ht xx ordern 

W i n k e I m a n n - Ba r me n ist g* g--»i ihn \n**ag IMe «ft er 
und wünscht auch vlie Erot xoii 5 l.«hren nur ...’s M.ite’ial" an den 

< ieschäftsanssv.Iitlss zu uber xx eise i'. 

M a r k i e I - Ilambprg xx :ms v r;t. d iss a.i^!: d.e letzten Anträge 
noch nach Möglichkeit her’uks. Jmgt werden. 

Der \ ol sit/rmir sagt via s zu 

H a r t Mi a it i>- Leipzig ist mit d* m Antra g Pt elfter eirnvr- 
St.invleil. E'me Erist x<«n 3 lahreii ist genug, liehen d.e \ ers.J v- 
rungsgesellschalten Muht ilaiaut cm. so soll der Kampf c'ohm t 
w er den. 

K r a i t - (iothei s,|oi f t ri ! • c I ‘ t n Vnt-ag Pfeiffer m : t 
vlem Zusatz : s, Lite ssi n die 1 u v s v , .r:.n t-u ’ t s : 't aut 3 fahre 
ab. so w ird die \rrge t ..e W.cit de*n |. p/^er \ t d-.r;d u'-eTgt^'e n. 

Abstimmung: lkr Anf.ig W .. e r - /kau w'd a! ge ■. h.rr*. 

Der Antrag Pfeiffer wird a n g v n- ri n v n 

Der Ziisat/antr ag K raff \r • .! ge ge n 2 v !:”nn.n ange M(«mmen. 

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M. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1517 


Der Vorsitzende fasst das Resultat dahin zusammen, dass der 
Vertrag mit möglichster Berücksichtigung aller Vorschläge auf 3 Jahre 
abzuschliessen ist. Wird diese Frist nicht angenommen, so wird die 
Sache dem Leipziger Verband überwiesen. 

„Diesen Befehl wird der Qeschäftsausschuss nicht nur ausführen 
müssen, sondern er wird es auch tun!" (Grosse Heiterkeit.) 

VIII. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Leipzig-Land. 

Der 36. Deutsche Aerztetag in Danzig erklärt es für Standes- 
pilicht der deutschen Aerzte, mit allen erlaubten Mitteln die Aus¬ 
dehnung des Versicherungszwanges über die 2000 M.-Grenze hinaus 
zu bekämpfen. 

Hierzu: Antrag des ärztlichen Vereins zu Danzig: 

Der 36. Deutsche Aerztetag in Danzig erklärt für dringend er¬ 
forderlich, bei einer Aenderung des Krankenversicherungsgesetzes 
im § 27 Abs. 1 dem ersten Satz: 

„Kassenmitglieder, welche aus der die Mitgliedschaft begründen¬ 
den Beschäftigung ausscheiden und nicht zu einer Beschäftigung über¬ 
gehen, vermöge welcher sie Mitglieder einer anderen der in den 
§§ 16, 59, 69, 73, 74 bezeichneten Krankenkassen werden, bleiben 
solange Mitglieder als sie sich im Gebiete des Deutschen Reiches 
aufhalten, sofern sie ihre dahingehende Absicht binnen einer Woche 
dem Kassenvorstande anzeigen“, 

,die Worte hinzuzufügen: 

„jedoch nur solange ihr Einkommen 2000 M. nicht übersteigt." 

Ferner Zusatzantrag zum Antrag des ärztlichen Bezirksvereins 
Leipzig gestellt vom Aerzteverein an der Unterweser: 

Der 36. Deutsche Aerztetag erklärt es ferner für Standespflicht 
der deutschen Aerzte, zu erstreben, dass die Kassenmitglieder mit 
Erreichen eines Gesamteinkommens von 2000 M. von den kassen¬ 
ärztlichen Vergünstigungen ausgeschlossen werden. Solche in 
ihrem Einkommen über die 2000 M.-Grenze hinauswachsenden Kran¬ 
kenkassenmitglieder sind nach der für Privatpatienten ortsüb¬ 
lichen Taxe zu behandeln, wobei die Kasse für die Bezahlung 
haftet. 

G o e t z-Leipzig als Referent: In jedem Jahre zeigt es sich 
mehr, dass die einzelnen Parteien im Reichstag sich nicht genug in 
Volksfreundlichkeit tun können. Zahlenmässig könnte die Gefahr als 
nicht so gross erscheinen. Nicht alle Leute unter 2000 M. Einkommen 
sind versichert, sondern nur die Hälfte, nicht versichert sind alle 
kleinen Landwirte usw. Die Reichsregierung wird auf die allgemeine 
Versicherung, welche den sozialdemokratischen Zielen dient, auch 
kaum eingehen. Doch ist die Sache wichtig. Schon jetzt befinden 
sich viele Wohlhabende freiwillig innerhalb der Zwangsversicherung, 
z. B. bessere Buchhalter, junge Söhne reicher Leute in Anfangs¬ 
stellungen, die von ihren Eltern glänzend gehalten werden, gelbe 
Stiefel tragen und ein festes Verhältnis haben. (Heiterkeit.) Bei der 
Erhöhung der Grenze von 2000 auf 3000 M. wird die Sache noch 
schlimmer, da handelt es sich um das Gros der Privatpraxis, dagegen 
müssen wir uns mit allen Mitteln wehren, nicht nur mit Protesten und 
Resolutionen, die wir möglichst hoch hinaufschicken. Beschliessen 
Sie vielmehr, dass wir von Angehörigen des Mittelstandes keine 
Pauschalzahlung annehmen und die Minimaltaxe um 50— 1Q0 Proz. 
zu erhöhen haben. Das wird dazu dienen, diese Elemente von den 
Kassen fernzuhalten. Es kommt nur auf den Willen der Aerzte an, 
den Krankenkassen für diese freiwilligen Mitglieder mit höherem Ein¬ 
kommen höhere Beträge aufzuerlegen. Wie diese höheren Einkommen 
iestzustellen sind, ist nicht unsere Sache. Diese Direktive muss der 
Aerztetag geben, wenn auch die Fassung unseres Antrages vielleicht 
eine Aenderung erleidet. 

Antrag M u n t e r - Berlin: Für den Fall der Ausdehnung der 
Versicherung auf Personen mit einem Gesamteinkommen von über 
2000 M. ist jeder Versuch eines Pauschalhonorars zurückzuweisen 
und für die neuhinzukommenden besser situierten Kategorien von 
Kassenmitgliedern das ortsübliche Honorar der Privatpraxis zu 
fordern. 

Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Nürnberg: Die Einführung 
einer Karenzzeit ist untersagt und wo eine solche besteht, ist sie 
baldigst aufzuheben. 

Francke -Danzig und Braun-Bremerhaven begründen kurz 
die Anträge der Vereine Danzig und Unterweser. 

M u n t e r - Berlin: In dieser Frage können wir alle einig sein, 
aber wir sollen nicht immer sagen „es ist eine Standespflicht“. Bei 
der Zunahme aller Bedürfnisse der Lebensführung kann man nicht 
unseren Stand, der vor allem wirtschaftlich unabhängig sein soll, 
immer weiter hinabstossen. Wird die Versicherung ausgedehnt, wo¬ 
gegen wir nichts einwenden, so soll es nicht auf unsere Kosten ge¬ 
schehen. Einer weiteren Begründung bedarf mein Antrag nicht. 

M a g e n - Leipzig: Die Anträge sind begriissenswert, treffen 
aber das Wichtigste nicht. Wir wollen überhaupt die Ausdehnung 
des Versicherungszwanges nicht, trotz der Anhängerschaft für die 
freie Arztwahl. Das verderbliche ist das Dazwischenschieben einer 
anderen Instanz zwischen Arzt und Patienten, die Veränderung der 
allgemeinen Stellung des Arztes zum Kranken. Schon ist von einer 
,Arbeiter“versicherung nicht mehr zu reden, sondern die Neigung der 
Mittelstandsversicherung nimmt überhand wegen der Mittelstands¬ 


politik der Parlamente. Am besten wäre es alle Anträge abzulehnen 
und nur an dem Königsberger Programm festzuhalten. 

Müller-Hagen: Man kann beiden Anträgen zustimmen. Der 
Danziger Antrag musste auch die § 11, 19, 63 des Gesetzes be¬ 
treffen. 

G u ttst ad t-Berlin: Die Bestrebungen zur Erhöhung der Ver¬ 
sicherungsgrenze geht von einer Petition des Verbandes kaufmänni¬ 
scher Krankenkassen aus, dass auch Handlungsgehilfen von mehr 
als 3000 M. Jahres- und 10 M. Tageseinkommen zur Versicherung 
zugelassen werden sollen. Die Kommission des Reichstages hat sich 
für die Berücksichtigung der Petition ausgesprochen. Daneben gehen 
die Bestrebungen im Falle der Krankheit den Handlungsgehilfen den 
Gehalt fortzugewähren und Krankengeld zu geben. Die deutschen 
Krankenkassen haben ein Vermögen von 200 Millionen Mark, bei 
ca. 11 Millionen Mitgliedern betragen die Verwaltungskosten schon 
2 Mk. pro Kopf. Würde die Versicherung weiter auf 3000 M. aus¬ 
gedehnt, so würde die freie Praxis ganz verschwinden und z. B. 
in Berlin nur 3 Proz. der Besteuerten übrig bleiben. 

Magen- Leipzig stellt den Antrag: 

Der 36. Aerztetag hält an dem Programm des Königsberger 
Aerztetages auch in dem Punkte fest, dass Personen mit mehr als 
2000 M. Einkommen Mitglieder der Krankenkassen weder werden 
noch bleiben dürfen und geht über die eingegangenen Anträge zur 
Tagesordnung über. 

Nach Annahme eines Schlussantrages spricht 

G o e t z - Leipzig gegen den Antrag Magen, w r eil er nur einen 
Schlag ins Wasser bedeute. Wir wollen mehr, wir wollen uns für 
den Fall des Krieges vorbereiten. 

Die Anträge M un t e r und Goetz werden dem Sinne nach 
vereinigt. 

Nach dem Vorschlag S. Alexanders -Berlin wird der An¬ 
trag Magen geteilt. Die erste Hälite desselben 
wird angenommen, der Uebergang zur Tagesord¬ 
nung abgelehnt, der Antrag Goetz-Munter einstim¬ 
mig angenommen. Die übrigen Anträge gelten als 
erledigt. 

IX. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Leipzig-Land. 

Der 36. Deutsche Aerztetag bittet diejenigen hohen Bundes¬ 
regierungen, die auf Grund des § 80 der Gewerbeordnung Medizinal¬ 
taxen erlassen haben, durch gegenseitiges Uebereinkommen diesen 
Taxen gleichlautenden Wortlaut zu geben und dadurch, ebenso wie 
vor einigen Jahren die Arzneitaxen, nunmehr auch die Medizinal¬ 
taxen zu vereinheitlichen. 

H a r t m a n n - Leipzig als Referent: Der befriedigende Erfolg 
des Aerztetages von Köln bezüglich der einheitlichen Arzneitaxe er¬ 
weckt den Wunsch nach einer einheitlichen Gebührenordnung. In 
dem Kalender des Leipziger Verbandes hat Goetz eine Zusammen¬ 
stellung der verschiedenen Taxen gegeben. In manchen Staaten 
besteht überhaupt noch keine Gebührenordnung, in den übrigen weist 
sie sehr grosse Unterschiede auf, das haben wir bei dem Abschluss 
des Tarifvertrages erfahren. Die preussischen Aerztekammern mit 
Ausnahme der Berliner haben sich bereits im Sinne unseres Antrages 
ausgesprochen. Der Aerztekammerausschuss ist noch mit der Sache 
befasst. Eines Gesetz entwurfes bedarf es nicht. 

Der Antrag wird ohne Diskussion angenommen. 

X. Bericht der Kommission zur Bekämpfung der Kurpfuscherei. 

Antrag des Geschäftsausschusses: Der Aerztetag 
wolle dem vorläufigen Gesetzentwurf mit den von der Kommission be¬ 
antragten Aenderunger. als einer interimistischen Mass- 
r e g e 1 seine Zustimmung erteilen, aber nach wie vor sich für die 
Notwendigkeit der Wiedereinführung des Kur¬ 
pfuschereiverbotes aussprechen. 

Lind mann - Mannheim als Referent verweist auf die im Druck 
vorliegenden ausgezeichneten Berichte der Kommissionsmitglieder 
Becker- München und Reissig- Hamburg und spricht den Dank 
für die an die Kommission eingesandten Arbeiten aus. Schon seit 
Jahren erstreben wir das Kurpfuschereiverbot nicht im eigenen, 
sondern im Interesse der öffentlichen Gesundheit und Moral. Unter 
allen Umständen bedeutet der Gesetzentwurf einen Fortschritt, er 
ordnet die Materie einheitlich und erhöht die Strafen. Eigentlich 
müsste die Kurierfreiheit aufgehoben werden, — die vor¬ 
gebrachten Gegengründe sind nicht stichhaltig, zwei von 
ihnen, die Befürchtung, dass die von der Schulmedizin nicht 
anerkannten Heilmethoden unterdrückt werden würden und 
der Hinweis, dass auch von Nichtfachmännern gute Heil¬ 
methoden ausgeübt werden, müssen als bedauerlich bezeichnet 
und zurückgewiesen werden. Eine Schulmedizin existiert nur in den 
Köpfen der Gegner, es gibt kein Dogma und kein Verbot einer Me¬ 
thode, zum Gegenbeweis ist nur an die Aufnahme zu erinnern, die 
der Kehlkopfspiegel und die Röntgenstrahlen in die Medizin gefunden 
haben. Wo sind die Methoden und Fortschritte durch die Kur¬ 
pfuscher: Gesundbeten, Diagnose aus den Haaren und Reibebäder! 
Notwendig ist die Mitwirkung der Medizinalbehörden und der Justiz 
bei der Ausführung des Gesetzes, an dem wir nur die notwendigsten 
Aenderungen vorgeschlagen haben. 


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1518 


MUFNCHFNFR MFIMZINISCHF WOCHENSCHRIFT. 


Nn. .?>. 


Guttstadt-Berlin beantragt, über die Bestimmungen, welche 
sich auf die nichtapprobierten Personen als Krankenbehandkr be¬ 
ziehen, zur Tagesordnung iiberzugehen. 

Alle Medizinalgesetze kranken an ihrer Ausführung und die 
Schwierigkeiten liegen schon bei den nächstbeteiligten Beamten. \\ ic 
soll man die Wohnung und Geschäftsräume des Kurpfuschers be¬ 
aufsichtigen, wie sollen die Geschäftsbücher ausschcn, kann man 
denn eine ordentliche Buchführung erwarten? Ls werden viele Ver¬ 
schleierungen Vorkommen. Wie kann man den Pfuschern die Mel¬ 
lurig einer Diagnose Zutrauen? Wie soll das Verbot der Behandlung 
gewissen Krankheiten und die Anwendung von Behandlungsmethoden 
kontrolliert werden? Dazu bedarf es eines erfahrenen, selbständigen, 
gut bezahlten ärztlichen Personals. Bür den erlaubten Teil der 
Krankenbehandlung werden die Annoncen der Pfuscher fortbestehen. 
Wie steht es mit dem Recht, Totenscheine und Atteste aus/ustellen, 
w ie mit dem Berufsgeheimnis, wie mit der Zulassung zur Behandlung 
der Krankenkassen? Im allgemeinen wird die Stellung der Kur¬ 
pfuscher besonders durch die Meldepflicht nur noch mehr gefestigt 
und anerkannt werden. 

Alexander - Breslau beantragt auszusprechen: Der .Aerztetag 
hält unbeschadet des grundsätzlichen Standpunktes, dass ein völliges 
Kurpfuschereiverbot mit einem Verbot der kurpiuscherischen Re¬ 
klame das erstrebenswerte Ziel sei, mit Hinblick auf die l nwalif- 
scheinlichkeit, unter den obwaltenden Umständen dieses Ziel zu 
erreichen, den vom Reichsamt des Innern vorgelegten Entwurf eines 
Kurpfuscherbekämpfungsgesetzes für zweckmassig und geeignet zur 
Einengung des Heilschwindels unter der Voraussetzung, dass die von 
ärztlicher Seite vorgeschlagenen Ergänzungen und Abänderungen in 
das Gesetz Aufnahme finden. 

Der Antrag Üuttstadts ist ganz verkehrt. Wir müssen uns 
mit dem Erreichbaren begnügen und das Gesetz als zweckmässig 
anerkennen, nicht ablehnen. Der Cieschäftsaussclmss bringt unsere 
Zufriedenheit zu w-enig zum Ausdruck. Das Verbot allem reicht, wie 
die Verhältnisse in Oesterreich. Erankreich. Italien zeigen, nicht aus. 
Dass der Entwurf gut ist, zeigt die Wut der Gegner. Die Melde¬ 
pflicht ist zu begriissen. Redner schlägt eine grosse Zahl von Aende- 
rungen an den einzelnen Paragraphen des Gesetzes vor. 

S i e f a r t - Charlottenburg: Was Guttstadt sagt, passt nur 
auf die jetzigen Zustände, alle seine Befürchtungen sind gegenstands¬ 
los. Der Entwurf ist freudig zu begriissen, das beweist schon die 
stattliche Anzahl von Protesten durch die Kurpfuscher. Legalisiert 
ist der Pfuscher nur durch die Gewerbeordnung und Kuricrircihcit, 
w'ie sie jetzt besteht. Alle Aenderungsvorschläge können wir der 
Kommission überlassen. 

E r a n z - Schleiz: Mit dem Verbot allein ist nichts getan, das 
erreichen wir auch nicht. Die Einführung der Geschäftsbücher ist 
ausgezeichnet. Die Kurpfuscherei gehört vor die Polizei, unter Po¬ 
lizeiaufsicht, nicht vor den Amtsarzt, wenn dieser auch selbstver¬ 
ständlich hinter der Polizei stehen muss. Die Polizei muss die 
persönlichen Verhältnisse überwachen und zwar durch vorgescltrie- 
benc Fragebogen. Die Nichtanfertigung von Pfuscherrezepten in 
Apotheken gehört in eine Apothekerordnung. Ich habe eine Reihe 
von in den Apotheken nach Pfuscherrezepten angefertigten Arzneien 
mitgebracht und ausgestellt, desgl. zahlreiche in der thuringsclien 
Hausindustrie fabrizierte, von den Hausierern überall vertriebene 
Geheimmittel. Die Kommission des Reichsgesundheitsamtes muss 
permanent sein, die Mittel müssen durch sie genehmigt werden. Die 
Behandlung aller ansteckenden Krankheiten und der Frauenkrank¬ 
heiten ist zu verbieten. Schwierig ist nur die Diagnose. Zweck- 
mäsig ist da, nicht auf die Krankheiten, sondern auf gewisse Krank¬ 
heitssymptome Wert zu legen. Viel schärfer muss jedenfalls noch der 
Geheimrnittelschwindel getroffen werden. Sehr zu empfehlen ist allen 
Kollegen der trefflich geschriebene „Gesundheitslehrer" Dr. Kan¬ 
tors. 

H e n i u s - Berlin beantragt, dass die in § 5 des Entw urfes ge¬ 
nannte Kommission als Zentralstelle für die Prüfung von Geheim- 
und Arzneimitteln zu.dienen habe, welche erst dann in den Handel 
gelangen dürfen, wenn die Kommission über ihre Zusammensetzung 
ein Gutachten abgegeben hat. 

Winkelmann - Barmen beantragt, den Antrag des Geschäfts¬ 
ausschusses anzunchmen und die vorliegenden Anträge der Kommis¬ 
sion als wertvolles Material zwecks Abfassung einer Denkschrift an 
das Reichsamt des Innern zu überweisen. 

Nach einem kurzen Schlusswort des Referenten wird der An¬ 
trag Guttstadt mit allen gegen 2 Stimmen ab¬ 
gelehnt. 

Der Antrag des Gcschäftsaussch usscs w' i r d zu¬ 
sammen mit demjenigen A 1 e x a n d c r s - B r c s I a u an¬ 
genommen . 

Der Antrag W i n k e 1 m a n n wird a n g e n o m m e n. 

Ebenso ein Antrag H e s s e 1 b a r t h - B e r I i n. der 
Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kur¬ 
pfuschertums für 1909 wieder einen Beitrag von 
500—1000 M. zu leisten. 

XI. Dringlichkeitsantrag Jaks-Thüngen auf Einführung der 
Krrnkenverslcherung für die Arbeiter der landwlrtfchaftlichen Be¬ 


triebe mit ausdrücklichem Ausschluss der kleineren selbständigen 
Landwirte. 

Nachdem der Vorsitzende seine grundsätzlichen Bedenken gegen 
solche wichtige, in letzter Stunde angebrachte Anträge a 
gespiodien, wird der Antrag abgeuhnt. 

Dagegen sti llt der \ orsitzeiidc den I »nnduhkeits.int'.vg. 
Aerztetag möge der Kölner Aerztevhatt seine >\ mpatlue »luun am- 
ilruckluhe debatteiose Annahme der \i*n dun (iivti.iüsu.'.v: .."i 
erlassenen >\ mpathiekuridgi billig erw i ui n. 

Die \ er Sammlung erhebt suh zum Au hm der Aistimmimg r : 
Beifall Von den Sitzen. 

Schulte- Köln dankt im Namen dir k • •i’i r Aiiztc. m ■ i :i u .s 
allen < legenden I >eutsc hlaiids >\ nipatiiu kn: d.u bimgi n /ngi :ii :i. t T ...c 
treue l riter Stützung durch di n \ir/tv\i lemM'im.!. .teil I cip/ut. r \ i r - 
band mul deren I um er. 1 s ist gut, dass Cu \iigt ,i gi ;::.i:t n.d.t auf bi *, 
Tagesordnung stand; denn es gut nullt zu redm. s. n.urn zu 0. ” 
Der Kampf geht nadl a I roOlvn, gegen die ab*r: nm^i n \i'/ir, „ 

w eie lie die Kasse keinen Mt eg haben konnte. gegen d-, n \ 'st.r i 
der Kasse, und gegen die Miss\ erstau#nssc bei tin/e len \erw.t- 
tungs .rgancn. Aber wir sind nullt aiein. zu uusstiheu c..e \k.idc*v e. 
der Assistente ri\er band, vier Aer /1 1 \ er i msl und. bi r M p-igcr \i r - 
band. Wenn der Deutsche daun am lüsten k.p wenn er \ - r, 
allen beiten angegi lile n wird, dann rule uh: M.t Mut zum Su ^c 
Noian! 

Der Vorsitzende wberbbekt zum SJ:'iiss t - den Gang bi r 
Ver fiandiungcn. ln ruhiger, s,u hiuher Bi n.iud ung ist d.ts ganze 
gramm erlevligt w >. r el e r i; zun. uhst die ge s;m ,:hi ,t , (V f. t | r/u i.ui-.g e.e r 
>e huliiigeinl und vlie >mu.a»/tv\ st eine. V- i uu .ruh lo’-.t i.ic'.i . 
Lel'e l ellistimmung e. Zielt wurde. ludiütit die Bi ’.bmg vl Ji i. ei: 
lortselirilt und d’e g«. Jassttfi Beschlüsse sind Muht s-> \u.\d:e::ä 
um schaden zu koiiien. 

Was die Miiiting zu eli n I i bens\er su Iler urg^i *>e .Schattm u - 
geht, sn ist nullt das starre t istha teil ai.ewi ein Auiim der t . 

was als uriruht'g ei Kaimt wird. s< li "lue /-gi rn gi.rdi't w e * n 
den Mmorit.iti u. die nullt mit aiem zuradm sind, l e bt du Aus- 
sulit aut eine Besserung n.uli einigen l.drm. 

ln vier Kurplusvhi r trage ist kein /w e de i n uh: au der N !\n::„ *. - 
keit tler Aiüiubung der Kunutolu it. v'.a mi nicht zu erwarten ist. 
nehmen wir die Ui! s i Sc :..a K e ne Besserung n.. t einem giw.ss«. 
Dank in. 

Zur Kassi-riar ztfrage habv :i wir kioz und p-.t/is >u dag a ■ 
nominell lind ge/iigt. diss i:n luten vH dir \ v rate lad de : \ - 
g etilem heit tl.r die /w augsv e r su hcrung (mrum irgiiatm w e . - 
den müssen. Mit bis. aide rer f rinde situn wo. v...s\ V s i v h: N i- 
luugeii ist. einen Keil in die I min it di r di uts. M n \e uti i m e .'u i 
I s war ein schwerer Kamp! in Munster, w ,r l.a.'uu .d er gv : diss 
auch die Mirinrit.it zu uns gehören und r.uht ai:ssd:i..;ai wc.\. 
Diese IMmiuiig bat suh er tn..t. In dir K asseritr.ige sa d w i; i a 
die einzige uni r imligte frage gibt dt n (iigumri kirne « ii 'pe'u 
einen Keil zwisclun uns zu treibt n. Das «ut.hi di r I m.gk. .1 lad 
Snlid.Hitat ist gist.nkt Wnrdm. Das ist d.e gu.sstv t r; u ' v:t 
des Aerztetages m Dau/ig. 

Mit lierziuhem Dank au ade Beted.gtiii sd.-ss dir \ *: sit.u 
den Aerztetag um d » Dhr. 

Dem unerimnbuhi n luter der Versäum. ’uug h’ad te jl e n i u s . 
Berlin ein dreifaches H-nh. in das du \ i rs.,u,u: arg m iu;. .a 
Dankbarkeit einstimmte. B e r g e a l - M au !u . 1 . 


Verschiedenes. 

Ehrengerichtliche Entscheidungen. 

N a c h t r ä g I i c h e I r h o li u n g a r z t 1 i c li e r I i vju i d a t ■ • * n i u 
Die kürzlich ui der Mark h. mul. W .u!u nsc !; r . 'N-. s . ls«*st ,d - 
gedruckte Editsclliivlung vles (»Mi Muuhtii Sc'u.ut dv u i.v.tad dv r 
Aerzte hinsichtlich der Möglichkeit, eine gesti te I n;u ..b.n nad;- 
träghcll erhöhen zu kniiriin. it< h"’u m Masse gitur u u i. l .dmi 
Unterzeichneter ei hu !t pers.-nadi \-r.uin. 'b :■ .<ai du »u- 

biihren m einem bestimmten I a"e crh-b'en k a 'u- < di: rud 

Es durfte di shaib nadistilunde I i > ;.ug di s « »I < i i . 

die im letzten Heft der ButscInidungen c!t r (»Mi .a .ud-iud ist. tku 
Leserkreis interessieren. 

Dieses Geruht Khnte jede iiadit' d e M‘ t\ ' 

Rahmen einer (iebuliren"rdnung gistidin I ..;ii u m: a;!ai 
Gründen ab. Ls stutzt suh dabei auf fr n: er t • ga*u.i ne lüsdiii- 
(Ilingeti verschiedener Geruhte und fuhrt m G f '-cmdis aus. 

Der Arzt kann innerhalb des ihm in m ' » n. 1 » ^ ^ . 

stellten Spielraums muh seinem b ;gin I upsvai ge”..iss 55 .d, 
dl(i BGB. die lustung. d. i. die H du di s \. » -• M .u :■ M.t di h Be¬ 
trages, bestimmen. Diese B< s-,- •• m g ris.au: dn'di eau e.n- 

Seitige, ernpfangstu- ! 11 rfr = gt Wi, aapi .r tmg. Kt .. e s C M - -'i.-g 

jedoch nach $ Mo B< iB. als zugec.m. * n zu e r ach!en. s.. ist de- V :: 
daran gebunden, er kam sie nu ht •• e ‘.r w t :e: r lift u. D e Mi .amg 
nachtragiu h ist ausgeSv Ib- .ssen. se’’ st w i mi vier P.i'un! nj» Cegiu 
die Annahme der Lunndap m stuiid-t. d.a m d- r l i ‘u • s t -u;ia’g d« r 
Rechnung eine Bestimtmr g der I eu'ia g r.uh £'■ ^ \bs. J P« dk 
liegt. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 






14 . Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1519 


Nur dann ist eine nachträgliche Aenderung und Erhöhung zu¬ 
lässig:. wenn sich der Arzt das Recht hierzu auf der Rech- 
nung selbst vorbehält. 

Das OLG. München nahm im Gegensätze hierzu an, auch durch 
Jas Verhalten der beiden Parteien vor der Uebersendung könne 
ein derartiges Widerrufsrecht begründet werden. 

Die Entscheidung des OLG. Celle scheint besser begründet zu 
sein wie die früher mitgeteilte. 

Es ist deshalb auf alle Fälle zur Vermeidung zweifelhafter Pro¬ 
zesse zu empfehlen, das Widerrufsrecht durch einen geeigneten Ver¬ 
merk auf der Rechnung sich zu wahren, falls der Arzt aus irgend¬ 
welchen Gründen eine nachträgliche Aenderung für eventuell 
u ünschenswert erachtet. Dr. Th. Erlanger - München. 


Penslons verein für Witwen und Waisen bayerischer Acrzte. 

Gegenwärtig gelangt der Bericht für das Geschäftsjahr 1907 
zur Versendung. Leider war der Berichterstatter längere Zeit schwer 
krank und wurde dadurch die Zustellung unliebsamerweise verzögert. 
Der Bericht wird an alle Bezirksärzte und ärztlichen Bezirksvereine 
gesandt mit dem Ersuchen, die Kollegen auf unseren in vorzüglichster 
Entwicklung begriffenen Pensionsverein aufmerksam zu machen. 

Das Gesamtvermögen des Vereins betrug am Ende des Berichts¬ 
jahres 1 407 121 M. 01 Pf., das Gesamtzinsenerträgnis 50 201 M. 46 Pf. 
An Pensionen wurden ausbezahlt 51824 M. 96 Pf., an Dividenden 
7758 M. 73 Pf. Als sehr erfreulichen Zuwachs des Vermögens des 
Stockfnnds sind ausser den jährlichen regelmässigen Beiträgen der 
Ehrenmitglieder zahlreiche Schenkungen von Kollegen zu erwähnen. 
Auch die Herausgeber der Münch, med. Wochenschr. haben wie all¬ 
jährlich den Verein mit einer Zuwendung von 2000 M. bedacht. 
Ausserdem erhält der Verein einen jährlichen Staatszuschuss von 
M3f> M. 

Die günstige Entwicklung der Finanzlage und die steten mit 
grösstem Danke anzuerkennenden Schenkungen ermöglichten es, aus 
den Zinsen des Stockfonds an jede Pension eine Dividende von 
15 Proz. zu gewähren. Es besteht die grösste Zuversicht, dass die 
von der letzten Generalversammlung in Aussicht genommene weitere 
Erhöhung der Dividende auf 20 Proz. im Jahre 1910 erfolgen kann. 
Dann beträgt die Pension einer Witwe der nach den neuen Berech¬ 
nungen Eingetretenen 360 M., bei beispielsweise 4 minderjährigen 
Kindern 648 M. — eine gewiss nicht mehr zu unterschätzende Vereins- 
Ostung gegenüber den möglichst niedrig gehaltenen Mitglieder- 
ähresbeiträgen. . 

Bei dieser andauernden vorzüglichen Entwicklung des Vereins 
'aden wir alle Kollegen zu recht zahlreichen Beitritten dringlichst ein. 

Noch ist der ausserordentlichen Tätigkeit der Herren Hofrat 
Dr W Beckh und Dr. J. Neuberger in Nürnberg Erwähnung 
zu tun welche unermüdlich an dem Ausbau der Zentenarstiftung sich 
beteiligen. Die Stiftung, welche bekanntlich dazu dienen soll, un¬ 
bemittelten, jungen Aerzten durch teilweise Zahlung der Jahres¬ 
beiträge den Eintritt in unseren Pensionsverein zu erleichtern, hat 
„eeenwürtig bereits ein Vermögen von 12 600 M. Im Jahre 1909 soll 
■itselbe in Wirksamkeit treten. 

Wir laden auch hierzu die Herren Kollegen und ärztlichen Be¬ 
zirksvereine die noch keine Beiträge für diese kollegiale Stiftung 
Geleistet haben, ein, durch recht zahlreiche Zuwendungen das Kapital 
"er Stiftung vergrössern zu helfen, um damit gerade denjenigen baye- 
Vdien Aerzten, welche sich in nicht zu günstigen Lebenslagen be- 
fnden und für welche unser Pensionsverein in erster Linie gegründet 
v jrde die Sorge um die Zukunft ihrer Hinterbliebenen zu erleichtern. 


Therapeutische Notizen. 

i iphr*r Airurin, ein neues Diuretikum, 
tV.. «. „ i, ippct. med.-chir. Presse). Er bezeichnet das 

Diuretikum, dessen Wirkung sehr rasch zu- 


ta/e rrkt und welches man am zweckmässigsten in Dosen von 3.0 
* r r' verabreicht. Das Mittel ist nicht ganz frei von unangenehmen 
'.hriwirktfnJIn auf den Magen, doch vertragen es die meisten 
enxvirku g . a j s Antistenokardiakum fand es Verf. 

bewahrt" sowohl in der Kupierung der entwickelten Anfälle als in 
* * »•—F. L. 


prophy 


faktischer Hinsicht. 


hat an der chirurgischen Privatklinik von 



Poi, neIrn **V{* - eekommen, dass als harndesinfizierende Mittel 
ft zu dem Erge den Vorzug verdienen, welche Formaldehyd im 
oejemgen Prapa unter diesen hauptsächlich dns Hetralin, 

L.nn abspalten u g 0 rovertin. (Urotropin ist Hexa- 
Irotropin u Kondensationsprodukt von Formaldehyd und 

itiethylentetramln, j s t Dioxybenzolhexamethylentetramin und 

Anmömak: “ e l t T _ r . troD j n und 44Proz. Resorzin: Borovertin ist 

HnatetoylenEetramintr^or^und^besteht aus Urotropin und Bor- 

scure.) ' (Med. Klinik 1908 , No. .) 


Tagesgeschichtliche Notizen,. 

München, 13. Juli 1906. 

— Die Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie zu» Berlin 
hat der Aerztekammer für Brandenburg-Berlin Abänderungs¬ 
vorschläge zum gynäkologisch-geburtshilflichen 
Teile der ärztlichen Gebührenordnung vom Jahre 
1 89 6 unterbreitet, in denen eine Erhöhung derjenigen Gebühren er¬ 
strebt wird, die in einem offenbaren Missverhältnis mit der geforder¬ 
ten Leistung stehen, ferner einige durch die Einführung neuerer opera¬ 
tiver Massnahmen gebotene Zusätze gemacht werden. Im all¬ 
gemeinen wird eine Heraufsetzung der Höchstsätze verlangt, da die 
Spannung zwischen diesen und den Mindestsätzen (bei dem einfachen 
Besuch und der einfachen Beratung 1:10) häufig sehr zu Unrecht 
eine viel zu geringe ist und gelegentlich sogar ohne ersichtlichen 
Grund auf 1:2 herabgeht. Im einzelnen ist hervorzuheben die sehr 
ausführlich motivierte Forderung der Erhöhung des Ansatzes für 
Beistand bei einer natürlichen Entbindung (§ 140) von 10—40 M. auf 
15—150 M.; für instrumenteile oder blutige Erweiterung des Gebär¬ 
mutterhalses zum Zwecke der künstlichen Entbindung werden (ausser 
der Gebühr für den sonstigen operativen Eingriff) 10—100 M., für 
Operationen zur Erweiterung des knöchernen Beckens ebenso 30 bis 
300 M. neu beantragt. Für Beistand bei einer Fehlgeburt wird Er¬ 
höhung (von 6—50 M.) auf 10—100 M., für Operation eines frischen 
Dammrisses (5—20 M.) a) eines unvollständigen 5—40 M., b) eines 
vollständigen 10—100 M. in Ansatz gebracht. Die Eingriffe zur Lage¬ 
verbesserung der Gebärmutter (2—20 M.) werden spezifiziert und 
nach ihrer Schwierigkeit höher (10—50 bezw. 50—300 M.) eingesetzt; 
für die Operation des Scheiden- oder Gebärmuttervorfalles 50—300 M. 
neu verlangt. Für die Ansätze für Assistenz (5—20 M.) und Narkose 
(5—15 M.) wird Erhöhung auf 5—50 M. beantragt. 

— Am 9. ds. tagte in Brüssel die internationale Heil¬ 
stättenkommission. Nachdem kürzlich im Reichsgesundheits¬ 
amte in Berlin Vorberatungen stattgefunden hatten, sollte diese Kom¬ 
mission hygienische Mindestforderungen aufstellen, damit über¬ 
triebene Kosten beim Bau von Volksheilstätten vermieden würden. 
Diese Forderungen werden der nach Philadelphia einberufenen 
internationalen Tuberkulosekonferenz unterbreitet werden. Deutsch¬ 
land war in Brüssel vertreten durch den Vorsitzenden der Landes¬ 
versicherungsanstalt Berlin, Dr. Freund, Geheimrat Liebrecht, 
Direktor der Landesversicherungsanstalt Hannover, und Professor 
Dr. Pan n witz, Generalsekretär der internationalen Vereinigung 
zur Bekämpfung der Tuberkulose. Ausserdem hatten Frankreich, 
Oesterreich, England, Schweden, Dänemark und Belgien Vertreter 
entsandt. (Voss. Ztg. ) 

— Der Staatssekretär des Innern hat gegenüber dem Deutschen 
Apothekervereine eine Besprechung wegen der Regelung des 
Verhältnisses zwischen den Krankenkassen und 
den Apotheken für den Monat September in Aussicht gestellt. 
Er hat sich dabei Vorbehalten, auch die Frage der Arzneiversorgung 
der Krankenkassenmitglieder zum Gegenstände der Erörterung zu 
machen. 

— Laut § 7 Abs. 4 der Satzungen des „Verbandes der 
Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt¬ 
schaftlichen Interessen“ hat sich der auf der Hauptver¬ 
sammlung in Danzig vom 25. Juni d. J. gewählte Vorstand konstituiert. 
Nach Zuwahl weiterer 4 Beisitzer gehören ihm z. Z. an die Herren: 
Dr. H a r t m a n n, Dr. Max G ö t z, Dr. H i r s c h f e 1 d, S.-R. Dr. 
Dippe, Dr. Streffer, Dr. Mejer, Prof. Dr. Schwanz, Dr. 
Dumas, Dr. V o 11 e r t, Dr. G ö h 1 e r. 

— Die diesjährige Plenarversammlung des K. &ä c h s. 
Landesmedizinalkollegiums findet am 23. November 
statt. 

— Wie uns aus Hamburg gemeldet wird, ist Prof. Wilh. Wey- 
g a n d t, bisher Leiter der Poliklinik für psychisch-nervöse Krank¬ 
heiten an der Universität Würzburg, zum Direktor der Staatsirren¬ 
anstalt Friedrichsberg bei Hamburg ernannt worden. 

— Dem prakt. Arzt Dr. med. Deppe, dem Begründer 
der Walderholungsstätte in Wilder Mann bei Dresden, wurde die sil¬ 
berne Lebensrettungsmedaille am Bande verliehen. 

— In England wurde, wie alljährlich anlässlich des Geburtstags 
des Königs, auch in diesem Jahre eine Anzahl von Aerzten mit 
Auszeichnungen bedacht. Wir nennen u. a. den Kliniker Sir Lau- 
der Brunton und den Chirurgen Prof. Watson Che y ne, 
denen die Würde eines Baronet, ferner den Tropenhygieniker 
Colonel David Bruce, dem die Ritterschaft verliehen wurde. 

— Die von der Augsburger Vereinigung für ärzt¬ 
liche Fortbildung in den Monaten Februar bis Mai 1. J. 
veranstalteten Vorträge haben sich einer ausserordentlich regen Teil¬ 
nahme seitens der Kollegen, namentlich vom Lande, zu erfreuen 
gehabt. Es haben sich 125 Mitglieder der Vereinigung angeschlossen. 
Folgende Vorträge wurden gehalten: Prof. D ö d e r 1 e i n - München: 
Verhütung und Behandlung des Puerperalfiebers. Obermedizinalrat 
v. G r u b e r - München: Ueber natürliche Immunität (mit Projek¬ 
tionen). Oberstabsarzt Prof. Dr. D i e u d o n n 6 - München: Ueber 
Aetiologie der Nahrungsmittelvergiftungen mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Fleischvergiftungen (mit Demonstrationen). Qeheimrat 
Prof. Dr. v. A n g e r e r - München: Die chirurgische Behandlung von 


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1520 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


inneren Erkrankungen. Obermedizinalrat Prof. Dr. v. Bauer- 
München: Ueber die Bedeutung der Blutuntersuchung für die ärztliche 
Tätigkeit. Prof. Dr. P f a u n d 1 e r - München: Ueber den sogen. 
Därmkatarrh der Säuglinge und seine Behandlung. Der Wieder¬ 
beginn der Vorlesungen ist für Ende September geplant. 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 14. bis 20. Juni 8 Per¬ 
sonen an der Pest erkrankt (und 4 gestorben). — Britisch-Ostindien. 
Während der beiden Wochen vom 17. bis 30. Mai sind in ganz Indien 
5310 (2577 + 2733) Erkrankungen und 4360 (1990 + 2370) Todesfälle 
an der Pest zur Anzeige gelangt. In Kalkutta starben vom 24. bis 
30. Mai 60 Personen an der Pest, in Moulmein vom 10. bis 30. Mai 52. 

— In der 26. Jahreswoche, vom 21.—27. Juni 1908, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Wiirzburg mit 29,5, die geringste Deutsch Wilmersdorf mit 5,2 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlach in Beuthen, Zabrze, an Masern und 
Röteln in Kassel, Flensburg, Heilbronn, an Unterleibstyphus in 
Koblenz, an Keuchhusten in Elberfeld. V. d. K. G.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Zum Direktor der Universitäts-Poliklinik für ortho¬ 
pädische Chirurgie an der Berliner Universität ist der Privatdozent 
Prof. Dr. Joachimsthal ernannt worden. — Wie wir hören, hat 
der Privatdozent und erste Assistent am pharmakologischen Institut 
Dr. med. Wolfgang H e u b n e r einen Ruf als a. o. Professor und 
Direktor des pharmakologischen Instituts in Göttingen erhalten und 
angenommen. Er tritt dort an Stelle des nach Tübingen berufenen 
Geh. Med.-Rats Prof. K. J a c o b j. (hc.) 

Göttin gen. Der Privatdozent für Neurologie und Psych¬ 
iatrie und Oberarzt an der psychiatrischen Klinik zu Göttingen 
Dr. med. Albert Knapp, der erst vor einigen Tagen als Nachfolger 
von Direktor Dr. Görlitz zum Direktor der Heilanstalt zu Wald- 
broel (Rheinland) berufen wurde, hat einen von sämtlichen Aerzten 
und Vorstandsmitgliedern der Pastor v. Bodelschwinghsehen 
Anstalten ausgehenden Ruf erhalten, die ärztliche Oberleitung der 
annähernd 3000 Kranke beherbergenden Krankenanstalten in Bethel 
bei Bielefeld zu übernehmen, (hc.) 

H a 11 e a. S. Als Privatdozent in der medizinischen Fakultät hat 
sich eingeführt der Stadtarzt Prof. Dr. v. D r i g a 1 s k i mit einer 
Antrittsvorlesung über „Krankheit und Infektion“. 

Kiel. Der Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Viktor H e n s e n, Di¬ 
rektor des physiologischen Instituts der Universität wurde zum Vor- 
standsmitgliede der Fachsektion für Physiologie der Kaiserl. Leopold.- 
Karolin. deutschen Akademie der Naturforscher in Halle a. S. mit 
einer Amtsdauer bis zum 11. VI. 1918 gewählt. 

Tü b i n g e n. Dr. med. Hermann D o 1 d, Assistent bei Prof, 
v. Baumgarten am pathologisch-anatomischen Institut, siedelt 
am 1. August an das Royal Institute of Public Health in London 
als Demonstrator of Bacteriology and Comparative Pathologie 
über, (hc.) 

Würzburg. Am Mittwoch den 15. Juli habilitiert sich in der 
medizinischen Fakultät der hiesigen Universität der Spezialarzt für 
innere Krankheiten, Dr. Melchior F a u 1 h a b e r, auf Grund einer 
umfassenden Arbeit: „Die Röntgenuntersuchung des Magens“. Die 
Probevorlesung betitelt sich: „Die Heilerfolge und Gefahren bei der 
therapeutischen Anwendung der Röntgenstrahlen“. 

Basel. Dr. B. B 1 o c h habilitierte sich als Privatdozent für 
Dermatologie. — Der Professor der Pathologie an der hiesigen Uni¬ 
versität, Ernst H e d i n g e r, erhielt einen Ruf an das Sencken- 
b e r g isebe medizinische Institut in Frankfurt a. M. an Stelle des 
jüngst verstorbenen Professors A 1 b r e c h t. 

Bologna. Dr. G. F a s o I i habilitierte sich als Privatdozent 
für Zahnheilkunde. 

(Todesfälle.) 

Dr. G. Caruso-Pecoraro, Privatdozent für interne Pa¬ 
thologie an der medizinischen Fakultät zu Palermo. 

Berichtigung. In der Arbeit von L ü d k e: Ueber die Chy- 
lurie (No. 26) muss es auf Seite 1372, Zeile 11, heissen: Aber in 
diesem Chyluriefall war die Fettmenge des Blutes nicht er¬ 
höht; . 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung. Dr. Max Franz iss, approb. 1904, in 
München. 

Ernannt. Der prakt. Arzt Dr. Joseph D e t z e 1 in Dahn, 
seiner Bitte entsprechend, zum Bezirksarzte I. Klasse in Rocken¬ 
hausen. 

Militärsanltfitswesen. 

Der Abschied mit der gesetzlichen Pension be¬ 
willigt: dem Oberstabsarzt Dr. Schmitt, Regimentsarzt des 
5. Chev.-Reg., mit der Erlaubnis zum Forttragen der bisherigen Uni¬ 
form mit den für Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen. 

Der Abschied aus dem aktiven Heere mit der 
gesetzlichen Pension bewilligt: dem Stabsarzt 


P f a n n e n m ii 11 e r, Bataillonsarzt im 18. Inf.-Reg., unter Ueber- 
führung zu den Sanitätsoffizieren der Landwehr 2. Aufgebotes. 

Ernannt: zum Regimentsarzt des 6. Inf.-Reg. der Stabsarzt 
Dr. Müller, Bataillonsarzt im 20. Inf.-Reg., unter Beförderung zum 
Oberstabsarzt; zu Bataillonsärzten die Oberärzte Dr. Scheuerer 
des 9. Inf.-Reg. im 18. Inf.-Reg. und Dupre des 2. Feld-Art.-Reg. 
im 19. Inf.-Reg., beide unter Beförderung zu Stabsärzten. 

Versetzt: der Oberstabsarzt Dr. Ott, Regimentsarzt des 
6. Inf.-Reg., in gleicher Eigenschaft zum 5. Chev.-Reg.; die Stabs¬ 
ärzte Dr. Buhler, Chefarzt des Garnisonlazaretts Lechfeld, als 
Bataillonsarzt zum 20. Inf.-Reg. und Dr. H e i t z, Bataillonsarzt im 
19. Inf.-Reg., als Chefarzt zum Garnisonlazarett Lechfeld; die Ober¬ 
ärzte Dr. Miller vom 7. Feld-Art.-Reg. zum Sanitätsamt I. Armee¬ 
korps, Meier vom Sanitätsamt I. Armeekorps zum 1. Inf.-Reg., 
Dr. Mayer vom 10. Feld-Art.-Reg. zum 18. Inf.-Reg. und Peters 
vom 2. Fuss-Art.-Reg. zum 10. Feld-Art.-Reg.; dann den Oberarzt 
Dr. Karl Dix der Reserve (I. München) in den Friedensstand des 
17. Inf.-Reg. als überzählig mit dem Range nach dem Oberarzt 
Dr. Eber des 16. Inf.-Reg. 

Befördert: zu Oberärzten (überzählig) die Assistenzärzte 
Dr. Eber des 16. Inf.-Reg., Dr. Bärthlein des 18. Inf.-Reg., 
Dr. Dietrich des 20. Inf.-Reg. und Dr. Vahle des 2. Jäger-Bat. 

Im Beurlaubtenstande Abschied bewilligt: den 
Stabsärzten Dr. Alois Schwaiger der Reserve (I. München) und 
Dr. August Kesseler der Landwehr 1. Aufgebots (Kaiserslautern) 
und dem Oberarzt Dr. Adolf W i m m e r der Reserve (Aschaffenburg), 
sämtlichen mit der Erlaubnis zum Forttragen der bisherigen Uniform 
mit den für Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen, ferner den 
Oberärzten Dr. Robert Neudörffer (Hof) und Dr. Otto S e i t z 
(J. München) von der Reserve, Dr. Gustav Zimmermann (Hof) 
von der Landwehr 1. Aufgebots, Dr. Richard Palm (I. München), 
Dr. Franz Blersch (Mindelheim), Dr. Karl Zais und Dr. Anton 
Utschneider (Weilheim), Oskar Friede (Hof), Dr. Gustav 
Wagner (Bayreuth) und Dr. Gustav Deutsch (Hof) von der 
Landwehr 2. Aufgebots. 

Befördert: zu Assistenzärzten in der Reserve die Unterärzte 
Bernhard Hilter mann und Dr. Oskar May (I. München), Maxi¬ 
milian Kienningers (Mindelheim), Dr. Maximilan Roth (Nürn¬ 
berg), Dr. Salomon Krämer und Dr. Erich Spiegelberg (I. 
München) und Adolf Dietz (Kissingen), in der Landwehr 1. Auf¬ 
gebots die Unterärzte Dr. Karl Linnich (I. München) und Julius 
Gundermann (Würzburg). 


Korrespondenz. 

Zur Frage der Idiosynkrasie gegen Hühnereiweiss. 

Im Anschluss an die von Dr. Landmann, Horwitz und 
Lederer mitgeteilten Fälle möchte ich berichten, dass über dieselbe 
Idiosynkrasie bei einem einjährigen Kinde eine Notiz im Buche von 
Prof. A. Baginsky über Diphtherie (Wien 1898) existiert. Im 
Kapitel über die Serumtherapie (S. 322, Anm.) schreibt er, dass 
„bei einem einjährigen Kinde die erstmalige Fütterung mit einem, 
halben Eigelb von einem eben frisch gelegten Hühnerei in noch 
nicht vollen 10 Minuten eine Urtikaria erzeugte, so schwer, dass das 
Kind krebsrot mit völlig blasenartig verschwollenen Augen, dick und 
derb sich infiltrierender Kutis am ganzen Körper erschien . . .“ „Das 
von mir beobachtete Kind war... ein kräftiger, frischer, prächtig er¬ 
nährter Knabe“. 

Diese interessante Beobachtung glaube ich nicht unerwähnt 
lassen sollen. 

Dr. med. Wl. Woltke. prakt. Arzt in Moskau. 

Ueberslcht der Sterbefälle In München 

während der 26. Jahreswoche vom 21. bis 27. Juni 1908. 

Bevölkerungszahl 556 000. 

Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 12 (16), 
Altersschw. (üb. 60 J.) 3 ( 2 \ Kindbettfieber — \ and. Folgen der 

Geburt 1 (—), Scharlach — (—), Masern u. Röteln 2 (3), Diphth. u. 
Krupp — (—). Keuchhusten 1 (1), Typhus — (lkübertragb. Tierkrankh. 
— (—), Rose (Ervsipel) 1 (1), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut- 
u. Eitervergift) 4 (1), Tuberkul. d. Lungen 29 (25), Tuberkul. and. 
Org. 10(4), Miliartuberkul. — (1), Lungenentzünd. (Pneumon.) 15 (10), 
Influenza — (—), and. übertragb. Krankh. 5 (11, Entzünd, d. Atmungs¬ 
organe 4 ( 2 ), sonst Krankh. derselb. 1 (1), organ. Herzleid. 18 (12), 
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 4 (2), Gehirnschlag 
6 (4), Geisteskrank!!» — (2), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 3 (6), and. 
Krankh. d. Nervensystems 4 (3), Magen- u. Darm.-Kat„ Brechdurchfall 
(einschl. Abzehrung) 29 (46), Krankh. d. Leber 2 (3), Krankh. des 
Bauchfells 1 (—), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 4 (1), Krankh. d. 
Ham- u. Geschlechtsorg. 3(6), Krebs (Karzinom, Kankroid) 10 (15), 
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 3 (5), Selbstmord 5 (4), Tod durch 
fremde Hand — (1), Unglücksfälle 2 (7), alle übrig. Krankh. 2 (1). 

Die Gesamtzahl der Sterbefälle 184 (187). Verhältniszahl auf das 
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 17,2 (17,5), für die über 
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,1 (10,3). 


> ine eingeKiammerten Wahlen hedeuten die raue der Vorwoche 


Verlag von J. F. Lehmann in Manchen. — Druck von E. MOhlthaler* Bach- and Kunitdruckcrci A O., München. 


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Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Anraft« 
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 8*/ f —1 Uhr. • Für 
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6.—. * Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. 

Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 


Herausgegeben von 

l.Ungtrtr, ».Monier, I.r.BeUiager, ICinäun, LHelferich, ff.r.Leobe,S. t.I srkel,J. v. lichel, F.PiDziIdf, 0. Mauke, B. Spatz, F.r.llsskil, 

Freiburg LE München. Leipzig. Eisenach. Würzburg. Nürnberg. 


Berlin. 


Erlangen. München. München. München. 


No. 29. 21. Juli 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet) 


Originalien. 

Ueber eine wesentliche Verbesserung meines Serums. 

Von Professor R. Deutschmann in Hamburg. 

In der Sitzung der freien Vereinigung der Chirurgen 
Berlins vom 9. März 1908 berichtete S c h w a 1 b a c h, wie ich 
einem Referate in der Deutsch, med. Wochenschr. No. 22 vom 
28. Mai 1908, p. 989 entnehme, über einen schweren Fall von 
entzündlichem Exophthalmus, der ohne operativen Eingriff, nur 
durch Injektionen meines Serums in ziemlich kurzer Zeit zur 
Norm zurückgeführt wurde. Der mit dem Serum erzielte Er¬ 
folg war um so wertvoller, als das andere Auge des 50 jährigen 
Patienten wenige Monate vorher durch das gleiche Leiden, 
trotz operativer Eingriffe, unter Zurückbleiben von Sehnerven¬ 
atrophie erblindet war. Auch für das jetzt erkrankte zweite 
Auge war bereits ein operativer Eingriff in Aussicht genommen, 
da höchste Gefahr für den Sehnerven bestand, und nur, um 
kein anderes Mittel unversucht zu lassen, erhielt Patient eine 
Injektion meines Serums. Schon nach 12 Stunden' konnte das 
obere Lid gehoben werden, der Bulbus war ziemlich beweg¬ 
lich, während als Befund vor der Injektion angegeben ist: 
„Hochgradige Hervortreibung des Auges (etwa 1 cm weiter 
als das andere), vollkommene Unbeweglichkeit des Bulbus, 
starke Chemose und Rötung der Konjunktiva, Herabhängen des 
oberen Lides und damit Unmöglichkeit, zu sehen.“ „Von einer 
Operation wurde nun Abstand genommen und weitere Serum¬ 
injektionen gemacht, auf die in ziemlich kurzer Zeit der nor¬ 
male Zustand des Auges wiederkehrte. Dass das Serum auf 
die Krankheit eingewirkt hatte, dafür lieferte der Patient den 
Beweis erstens anfangs Februar dadurch, dass ein 2 Tage altes 
Rezidiv auf 3 Injektionen innerhalb 48 Stunden zurückging, 
und zweitens anfangs März durch ein einen Tag bestehendes 
Rezidiv, das auf eine einmalige Einspritzung von 2 ccm am 
nächsten Tage verschwunden war.“ Der Bericht schliesst: 
„Sowohl bei geeigneten Fällen auf der Augenstation wie 
chirurgischen Abteilung des Josephskrankenhauses haben wir 
das Deutschmann sehe Serum seit Anfang dieses Jahres 
angewendet (etwa 14 Fälle) und neben negativem überwiegend 
positiven Erfolg beobachtet.“ — Es sind mir inzwischen eine 
grosse Reihe zum Teil ganz ausserordentlich günstiger Er¬ 
fahrungen mit meinem Serum von seiten der Kollegen privatim 
brieflich mitgeteilt worden, die freilich im Interesse der Sache 
besser publiziert worden wären, und ich kann nur immer 
wieder den Wunsch aussprechen, dass die Versuche in grossem 
Massstabe fortgesetzt und die Resultate, ob gut oder schlecht, 
möglichst ausführlich bekanntgegeben werden möchten. Man 
möge sich nicht irremachen lassen durch ironische Hinweise 
auf die Polyvalenz meines Serums, wie dies z. B. in einem 
Referat über meine Arbeit (Heft 69 der Beiträge zur Augenheil¬ 
kunde) in No. 31 der Wochenschrift für Therapie und Hygiene 
des Auges für 1908 geschehen ist. Derartige Angriffe werden 
am besten durch Mitteilung von Tatsachen, die den Beweis 
für diese Eigenschaft des Serums erbringen, zurückgewiesen. 
Abgesehen von einer Fülle von eigenen und fremden klinischen 
Beobachtungen, -mit denen ich diesen Beweis antreten kann, 
ist derselbe aber auch inzwischen experimentell, und zwar in 
den „Arbeiten aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie 
zu Frankfurt a. M.“ erbracht worden. In dem neuesten von 
Ehrlich herausgegebenen Heft 4 von 1908 findet sich ein 
Aufsatz von M. N e i s s e r und Prof. G u e r r i n i über Op- 

No. 29 


sonine und Leukostimulantien. Ich entnehme der Arbeit dieser 
Forscher den folgenden hier interessierenden Passus: „Aus 
dem Sensibilisierungsversuch ergibt sich, dass keine direkte 
Beziehung zwischen Staphylokokken- und dem Deutschmann¬ 
serum besteht; das Deutschmannserum vermag Staphylo¬ 
kokken nicht zu opsonieren. Aus dem 1. Versuch mit Deutsch¬ 
mannserum folgt aber, dass es gleichwohl die Phagozytose zu 
verstärken vermag; eine andere Versuchsanordnung liess diese 
verstärkende Wirkung des Deutschmannserums deutlich er¬ 
kennen.“ Es folgt nun der experimentelle ziffernmässige Be¬ 
weis; ich führe hier an unter B. „Sensibilisierung bei 5000 fach 
verdünntem Immunserum“. Phagozytäre Zahl nach Zusatz 
von aktivem Normalpferdeserum (1:100) 7,9, Deutschmann¬ 
serum (1: 100) 13,0, Deutschmannserum (1: 1000) 9,9. 

Die Autoren N e i s s e r und G u e r r i n i rechnen danach 
mein Serum zu den Leukostimulantien, d. h. zu denjenigen 
Stoffen, welche die phagozytäre Kraft der Leukozyten zu 
stimulieren vermögen und meinen, dass es auf Grund ihrer 
Versuche naheliege, die Wirkung meines Serums auf Nukleine 
zu beziehen. — Wie dem nun auch sei, welcher Natur das auch 
von mir bisher supponierte Agens sein möge, welches, in 
meinem Serum enthalten, den Zellen im Kampfe mit den Mikro¬ 
organismen, wie ich mich in meinen früheren Arbeiten aus¬ 
drückte, frische Energie zuführt — der ziffermässige experi¬ 
mentelle Beweis dafür liegt nun vor und auch die Polyvalenz 
dürfte damit erklärt sein. — Ich gehe nun auf eine Bemerkung 
ein, die Sch wa Ibach in seiner obenerwähnten Mitteilung 
über die Wirkung meines Serums zum Sthluss macht: „Nicht 
unterlassen will ich zu bemerken, dass der Kranke nach jeder 
Serumeinspritzung eine Zeitlang fieberte und trotz reichlicher 
Nahrungszufuhr stark abmagerte und um die Injektionsstelle 
ein Exanthem und Rötung auftrat, das sich in einiger Zeit 
zurückbildete. Bei weiteren Kranken, die wir aus Anlass dieses 
Falles mit dem Serum behandelten, beobachteten wir diese 
Erscheinungen nicht.“ Es handelte sich also jedenfalls bei 
diesem Patienten um eine Serumaffektion, wie sie nicht nur 
meinem Serum, sondern jedem Serum als solchen unter ge¬ 
wissen Umständen nachfolgcn kann. Ich selbst habe unter der 
ganz ausserordentlich grossen Menge von Kranken, die ich 
mit Injektionen meines Serums behandelt habe, nur zweimal 
Erscheinungen von „Serumkrankheit“ auftreten sehen, dagegen 
öfter leichte Erytheme, auch Quaddelbildung mit starkem 
Juckreiz an der Injektionsstelle, die nur selten so intensiv 
werden konnte, dass ich vorübergehend die Einspritzungen 
auszusetzen genötigt war. Um diese Unannehmlichkeit zu ver¬ 
meiden, war Herr Dr. Enoch schon seit längerer Zeit be¬ 
müht, aus dem Serum den wirksamen Stoff abzuscheiden, um 
ihn dann in wässriger Lösung wieder injektionsfähig zu machen. 
Dies ist ihm nun auch gelungen. In einem Vortrage, den 
Enoch im Vereine deutscher Chemiker in Hamburg am 
25. März 1908 gehalten hat, hat er seine diesbezüglichen Ver¬ 
suche mitgeteilt. Es glückte ihm nach unendlich mühseligen 
Vorarbeiten, die Bedingungen festzustellen, unter denen Zusatz 
kalten Wassers zu meinem Serum eine Abscheidung einer 
weissen Trübung erzeugte, die dann als Niederschlag gereinigt, 
ein leichte Löslichkeit in Wasser durch Beifügung von Aetz- 
natron oder von Neutralsalzen, sogar schwefelsaurem Am¬ 
moniak und Kochsalz zeigte. Es handelt sich da natürlich um 
ein Globulin, das zur Ausfüllung gelangt. Die wichtige Frage 
war: Zeigt die Lösung dieses Globulins die gleichen Eigen¬ 
schaften als Heilmittel wie das Serum, aus dem es gewonnen 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1522 


No. 20. 


warde? Das konnte nur die Prüfung am Krankenbette er¬ 
geben. Ich nehme vorweg, dass meine zahlreichen Versuche 
zu dein Resultat führten^ dass in der Tat dieser durch Aus¬ 
füllung gewonnene Körper die volle Wirkung entfaltete, wie 
das Serum selbst. Zwecks Injektion w urde der aus meinem 
Serum niedergeschlagene, gereinigte Körper mit Wasser auf- 
geschwemmt und durch eine minimale Spur Alkali gelost. 
Dabei zeigte sich als erster Vorteil vor dem Serum, dass diese 
Lösung doppelt so konzentriert hergestellt werden konnte 
wie dieses, so dass 1 ccm derselben 2 ccm Serum entsprach. 
Als Haupteigenschaft dieser Losung aber ergab sich, dass 
Personen, welche gegen jede Serumeinspritzung empfindlich 
waren und mit Erythem und heftigem Juckreiz, eventuell 
Urtikaria, darauf reagierten, die Lösung des w irksamen Prinzips 
anstandslos, und zwar wochenlang vertrugen. Damit ist, 
wenigstens soweit meine bisherigen reichlichen Erfahrungen 
massgebend sind, die Gefahr einer Serumerkrankung zu ver¬ 
meiden und der Therapie mit diesem Heilmittel, weil es in 
erheblich höheren Dosen bei geringerer (Quantität von Flüssig¬ 
keit verabreicht werden kann, ein noch grösserer Wirkungs¬ 
kreis eröffnet wie bisher. Eine rein theoretische Trage bleibt 
dabei, ob das aus dem Serum niedergeschlagene Globulin 
selbst das wirksame Prinzip ist oder ob es nur der Träger des¬ 
selben in dem Sinne ist, dass es dasselbe mitreisst; für die 
therapeutische Verwendung der Lösung ist diese Erwägung 
gleichgültig. Wir bezeichnen diese wirksame Injektions¬ 
flüssigkeit mit Deutschmannserum E. Sie wird von der Serum¬ 
fabrik Ruete-Enoch in Hamburg vorrätig gehalten. 

Ich habe mit diesem Serum E. eine Reihe schwerer und 
schwerster Fälle von Iritis und Hypopyon-Keratitis mit ganz 
ausgezeichnetem Resultate behandelt, verzichte aber auf die 
Wiedergabe der Krankengeschichten, die nur ermüdend wirken 
könnte. Dagegen kann ich es nicht unterlassen, einen Fall 
schwerster Erkrankung mitzuteilen, der wohl bezüglich des 
durch mein Serum E. dabei erreichten Heilerfolges einzig da¬ 
steht. Dem behandelnden Kollegen, Herrn Dr. F. Man n- 
hardt, verdanke ich die Erlaubnis zur Publikation sowie 
die Krankengeschichte bis zur Zeit meiner Konsultation, ebenso 
dem Hausarzte Herrn Dr. Brandt die Angabe und Uclur- 
lassung des Aligemeiubetundes; beiden Herren Kollegen bin 
ich dadurch aufs lebhafteste verpflichtet. 

Herr Kollege M a n n h a r d t schreibt: 

„Herr ().. 53 Jahre alt. in H.. erblindete nach wiederholten Re¬ 
zidiven von Iritis gonorrhoica durch Pupillciiversdiluss und konseku¬ 
tives Glaukom auf dem rechten Auge im Jahre lönu. 1 me ln- 
dektornie, die erst im Jahre Will ausgeiuhrt werden konnte, scünt/te 
das Auge vor der sonst eventuell notigen Enukleation. Am 11 . IV. n.s 
zeigte sich Patient mit der Befürchtung, dass sein linkes Auge 
von einer gleichen Entzündung befallen sein könne, wie früher das 
rechte. 


Befund: Rechts: Amaurose; links: Mvopie 2 IX, V I; objektiv 
nichts Pathologisches zu finden. 

12. IV. Starkes Lidödem; Bulbus intakt. 

13. IV. Zunahme des Lidödems bei noch immer freiem Bulbus 

14. IV. Chemosis; Gedern der T e n o n sehen Kapsel. 

, . ^ f 4 * Protrusio bulbi; erkennt nur grobe Schrift; intraokular 
Kein Befund. Abends: in Vorderkammer eitriges Exsudat, vom 
äusseren Kammcrwinkel her in Ausläufern ausstrahlend; hat einige 
/eit nichts sehen können. 

16. IV. Hypopyon; daneben, ohne Zusammenhang mit dem¬ 
selben, eitriges Exsudat auf der Iris, das die untere Hälfte der Pupille 
deckt. 

i ,L. I Y\ I ^ ntere Hälfte der Kornea völlig getrübt. Epithel ge¬ 
ackert, stellenweiss abgehoben. Hvpopvon hat zngeiiommen. 

IK. IV. Durch den oberen Teil der Pupille, durch welchen bis 
dahm noch schwachroter Reflex aus dem Etindus kam. sieht man 
jetzt gelbliches Exsudat im Glaskörper.“ 

Am Abend dieses Tages, also arn IN. IV.. wurde ich konsultiert; 
ich tand links: hochgradige Protrusion des Bulbus mit Bew eglichkeits- 
hemrmiiig, Lidödem, starke Chemosis der Koniunktiva, lebhafte Mirn- 
kopfschmcrzen. Hornhaut zu fast *trüb, st.ppig, nur oberes Drittel 
etwas klarer; Hypopyon bis über *.i Pupilleiiliolie. durch das obere 
Dnttel der, wie es scheint, weiten, runden Pupille, rein gelbes Eicht 
aus der liefe Lichtschein nur mittlere bis hohe Lampe. Projektion 
ungenau. I uls sehr schwach, unregelmässig, aussetzeml. Patient 
hochgradig deprimiert. — Seit 8-Hl Jahren bestand häufig rezidi¬ 
vierender Gelenkrheumatismus, der nach Herrn Koll. B r a n d t jeden¬ 
falls gonorrhoischen Ursprungs war. Am Herzen hatte letzterer Ge¬ 
räusche wechselnder Art feststellen können, sowohl an der Mitralis 
Anf-öi' 1 r ^ l,anddt cs sidl «m einen endokard,tischen 

fri. ) V( . ,r . ai,ss 'cht ich auf gonorrhoischer Basis beruht wie 
frühere desgleichen auch. - Ich stellte mit Herrn Kollctten Mann- 


1 hardt gemeinschaftlich die Diagnose aut nictaM.itis^ he Huhtlwd.-ie. 
von tlc*r Her/altcktmn ausgegangen; die Prognose nmsstui wir. jeder 
Erfahrung nach, als absolut sdiicdu bezeichnen l m aber eitun 
therapeutischen V ersuch /u »muhen. sdihig ich Inn »,turnen nunus 
Serums vor und mu/ierte n;uh Imwii.igung v-ii Herrn K- legiu 
M a n n h a r d t s<üurt ca. 3 ccm. Am nächsten Vormittag war zwei¬ 
fellos ein Stillstand des Pto/esses w ahr iu lin.bar. D.e Inu staun n 
wurden nun täglich fortgesetzt, und zwar, da nadi der 2 . >er umm tö - 
tioil Erythem an der I msp: it/imgsstc de autti at. mir iu*c h mer, 
' Serum E m der Dosis von 2 Ccin doppelter k< m/entr.m m. a s.» eut- 
1 sprechend 4 ccm Serutix Am 23. IV. trat eine (tu «•!:.!•• ms. he An- 
: Schwellung in der linken Sdidteuge geiul auf. I nter der fort¬ 
gesetzten Ser umhehanduing besserte sidi nun der Zustand des im- 
keu Auges rapul; die Hornhaut wurde Kar. d.«s grosse llvp i'\-n 
verschwand, aus dem I iindus kam t.igadi besseres rotes l ickt, so 
dass am 7. V. bei gut sichtbarem Augeuhmte? gr und Veden I ge eun 
wurde. Ich reduzierte deshalb ehe Se*umd- vis ,im s \ uru « <j \ a ,,j 
j 1 ccm mul setzte am !<•. V. ganz damit aus. Die ! ■ K c war. dass 
I ain II. V. ein Rezidiv sieh zeigte: leidite Chemosis um] iritis.iie I r- 
; se lief billig eil mit Neigung zur >\ik\ hieul'i.dul'g. Idi ihm' e'tc s.-mrt 
I wieder Serum E, mul zwar 4 ccm m doppeder km/i i.n.»! m. ent- 
j sprechend N ccm "w-rum. Sdioti am folgenden lagt wieder R.^k- 
i gang der bedrohlichen Ir s v heinuu gen. V ,>u ela an. bei w. ti*er In¬ 
jektion \on täglich 2 cetn >erum f, tadem-ser Ile:.muss er .o.t. Aas 
Vorsicht setzte idi die täglichen luuktiouen bis 22. V. t<-:; c<n da 
| au n«o h je ein** am 2t*. V.. 3n. V.. 2. VI., 5. VI.. Ik \ I.. 21. VI. 
i Schon am l‘X VI. war das Auge fast \ol,ig imekti. mstrei. *t;z s. b s 
auf einige leichte S\nechuu normal. > * *. Sieden So. 1. 

Wenn es noch eines Beweises bedurft hatte, dass d.cscf 1ml- 
ausgang nur ti< n >erimiiniekti< men zu \ er danke n war. v. war er 
durdi den Eintritt des leichten Re/u!i\s der ent/md „heil 1 *s v }.ei- 
iiuugen bei oitmbar zu vorzeitigem Ausse tzer; der l .pspo-t/i:* ge n 
und das sofortige VV ieder \ er s v tiw urde n derse.ben bei VViedeuiut- 
nalmie der letzteren iinumst,, ss!k fi erbracht. 

In mancher Beziehung ähnelt dieser K rurkhe.tsfall dtrn 
von S c b \s a I b a c b beschriebenen; in tu ult n handelt is v„h 
tun schwerste Eiterprozesse bei Einäugigen; bei Inuitn war d.e 
Prognose schlecht, als die Serumtherapie entsetzte. bt i be detl 
war sch*m nach der ersten liuektum die Hesstrnrg /u kon¬ 
statieren: Dei beiden resultierte eine miss*, rorde ntm M gaust.ge 
Wiederherstellung; bei beiden ist dir Ikwus dir Wirksamkeit 
der Sernmbebandliing durch den sofortigen gimst. K en Emtlasx 
bei Auftreten eines Rezidivs erbracht. Mein Eall ist, nieias 
Erachtens, aber durch seine Schwere fnr die Wirkung niemes 
Serums noch bedeutungsvoller als derjenige vi*n Sc bw al- 
buch; er liefert ferner den Beweis, dass die neue Serurn- 
modifikatmn E. gtuaii so leistungsfähig ist wie das Serum 
selbst, und dass dieselbe da anstandslos Wochen hindurch ver¬ 
tragen wird, wo das ursprunglulle Serum schon muh der 
zweiten Injektion Frühem erzeugte und voraiissubfluh bei 
Zunahme desselben batte ausgesetzt werden müssen - gewiss 
zum grössten Nachteil des erkrankten Auges. 

So mochte ich dum. im Hinblick auf alle nur nun bekannten. 
Erfahrungen mit meinem Serum, aufs neue zu ausgiebiger Ver¬ 
wendung desselben, und zwar nullt nur m dir Äugt nlu ilkundc. 
Mindern auch iu allen anderen niedi/iutsJien Ihszipbiien aat- 
iordern. Mit der Herstellung der Modmkation F. ist aiuh du* 
geringe Gefahr, die elurdi eine eventuelle Senntikrar.khe.t 
drohte, beseitigt und es ist erniogl.cht, in genüge r Fluss. K ki ;ts- 
meiige hoher konzentrierte Dosen zu v e ubttic)u n. n*1Jjc 
hohe Dosen sind aber, niemer Ar.su bt muh. m>t g. um m:tl r 
Umständen einen Schweren k rankbt p\pr« ./e ss ir.kkti.*ser 
Natur wirksam zu bekämpfen. Auf ReJmnrg enter zu kieuen 
Dosis kommt w all rvc bemlu ll der grösste Ie,! der negativer; 
Erfolge, und da mit dein Serum, speziell der MoJmkat.on F.* 
nicht der geringste Schaden augeridttet werden kann, so ist 
ein dreistes Vorgellen damit mdit nur erlaubt, s.»r de rn ge¬ 
radezu geboten. 4 Ccm der doppelt k«*r:ze r.tr'erte n Losung 
sind (iffenbar fnr einen Erwachsenen mdit u* m.il e:; e hohe' 
Dosis und eine hoch genug gewühlte enudiedtt vnrmissidit- 
hdi, wie* fiher d.is Schicksal mies Aiues. so unter l trist,imlett 
über das Schicksal des ganzen OfgaHismus. 

Wiihfeiul des Druckes ilieses \ti?s.it/e s e*s^» ^ rj m \ '7 r 

Deutschen uirili/ims dien VV <*dj’ensc iiritt e -o \". r \ . r i p'f \. 
v * Hippel ans iler f rii\ ■ersn.its.nigi nk U:- k m >i *: -n.n;r f |> lt / 
trag zur Seriniitfierapie bei I rkrankungen .',s \ r 

iisser Seme uherw legend gimstigeii I -r.ili'in ^ n mit rvivn 


V ei l. 


Serum mitteiit. \\ eim es ihm bei einigen k 
Verletzung und (ii.iskm pi r mle kti, m \e'\,! k 
er auch bei s ,ldiea I 'r,,/i ss C n gute I o 
des neuen E->erums m h'.hen D sut, inu;,:i 
lieh, bedient. 


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Ji. Wird 
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ent. t.;g- 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENEt? MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1523 


Aus der Kgl. bakteriologischen Untersuchungsanstalt Neun¬ 
kirchen. 

Ein Verfahren zum Nachweis spärlicher Typhusbazillen. 

Von Dr. H. C o n r a d i, Leiter der Anstalt. 

- Die Züchtung spärlicher Typhusbazillen aus keimreichen 
Substraten setzt die Beseitigung der Wachstumswiderstände 
voraus, die sich den Typhuskeimen innerhalb des Ausgangs¬ 
materials entgegengestellt haben. Bei der relativ langsamen 
Vermehrung und geringen Widerstandskraft der Typhuskeime 
kommt* vor allem ihre Ueberwucherung durch rascher wach¬ 
sende antagonistische Bakterienarten in Betracht. Der Weg 
zum Nachweis spärlicher Typhusbazillen führt somit über drei 
Hindernisse: Ausschaltung der Konkurrenzbakterien, Be¬ 
günstigung der Typhuskeime und Markierung der Typhus¬ 
kolonien. Ein Teil dieser Schwierigkeiten wurde bereits im 
Laufe d-er letzten Jahre überwunden. Der Drigalski- 
C o n r a d i sehe Nährboden und seine Modifikation, die E n d o - 
platte, schufen zuerst die Möglichkeit, den Typhusbazillus in 
Bakteriengemischen von nahestehenden Arten zu unter¬ 
scheiden. Der Löffler sehe Malachitagar brachte zwar den 
Vorteil, dass ein grosser Teil der Qärungsorganismen, ins¬ 
besondere der Kolibazillen, unterdrückt wurde. Mit dieser 
Auslese ging indes stets eine Schädigung der Typhuskeime 
einher, die ihre Agglutinationsfähigkeit herabsetzte oder gar ihre 
Entwicklung hemmte. Das Malachitgrün schloss die Sero¬ 
diagnostik der Typhuskolonien aus. Bei Typhus fand daher der 
Löf fl ersehe Malachitagar als Nachweisverfahren geringen 
Anklang, hier gilt gegenwärtig der Drigalski-Con- 
radische Nährboden als der empfindlichste Typhusbazillen¬ 
nachweis. Allein auch bei diesem Verfahren lässt die Sicher¬ 
heit nach, sobald das Mischungsverhältnis zwischen Typhus¬ 
bazillen und Begleitbakterien sich sehr zu Ungunsten der 
Typhuskeime verschiebt. In Würdigung dieser quantitativen 
Verhältnisse ging man dazu über, durch eine vorherige An¬ 
reicherung der Typhusbazillen das erprobte Nachweisver- 
rahren zu vervollkommnen. Zusätze von Koffein, Kristall¬ 
violett oder Malachitgrün sollen eine elektive Vermehrung der 
Typhusbazillen bewirken. Hierher gehören die Versuche von 
Ficker-Hoffman n, Lentz-Tietz, Peabody und 
Pratt. Alle diese Verfahren hemmen nicht nur bestimmte 
Darmkeime, sondern sie schwächen den Typhusbazillus. Wir 
sehen also, dass n.oeh stets eine intensive Vernichtung der 
Saprophyten nur auf Kosten der Typhuskeime zu erzielen war. 

Meine eigenen Versuche stellten sich die Aufgabe, die 
Ausschaltung der Konkurremzbakterien ohne jede Schädigung 
der Typhuskeime durchzuführen. Die Grundlage der Methode 
bildet die Tatsache, dass bestimmte Anilinfarbstoffe zum Vorteil 
der Typhusbazillen eine elektive antiseptische Wirkung aus¬ 
üben. Bereits im Jahre 1901 konnte ich dartun *), dass vor 
allem Malachitgrün und Brillantgrün, wenigstens in hohen Ver¬ 
dünnungen eine Vermehrung von Typhusbazillen begünstigen, 
gewisse Darmkeime aber unterdrücken. In der Zwischenzeit 
habe ich^Iiese Studien über antiseptische Wirkung der Farb¬ 
stoffe fortgesetzt. Unter ca. 400 Farbstoffen, die ich in den 
letzten 3 Jahren systematisch durchgeprüft habe, bewährte 
sich schliesslich Pikrinsäure sowie Brillantgrün krystall. extra 
rein der Höchster Farbwerke. Beide sind saure Farbstoffe, 
Pikrinsäure ein Nitrofarbstoff ist Trinitrophenol, während 
Brillantgrün krystall. extra rein (Höchst) in die Gruppe der 
DiamidÖtriphenylmethanfarbstoffe gehört und als Tetraätyl- 
damidotriphenylkarbinolsulfat aufzufassen ist. Pikrinsäure 
uird in einer Verdünnung von Visoo«, Brillantgrün krystall. extra 
rein in einer Verdünnung von Visoooo bei einem Säuregehalt des 
Nähragars von 3 Proz. verwandt. Die Herstellung des Nähr¬ 
bodens ist einfach und wenig kostspielig. Ein Liter Agar be¬ 
steht aus 900 ccm Wasser, 30 g Fadenagar, 20 g Liebigs 
F’eischextrakt und 100 ccm einer 10 proz. wässerigen Witte- 
schen Peptonlösung. Der Zusatz der filtrierten und sterili¬ 
sierten Peptonlösung erfolgt erst, nachdem die Sterilisation des 
Agars und seine Filtration durch Watte beendet ist. Dann 
wird, die Reaktion des Peptonfleischextraktagars hergestellt 
i nd soviel Normalnatronlauge bezw. Normalphosphorsäure zu¬ 
gefügt, dass vom Phenolphtaleinneutralpunkt ab der Säuregrad 

*) Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh., Bd. 39, S. 289. 


3 Proz. beträgt d. h. zur Neutralisierung von 100 ccm Agar 
gegen Phenolphtalein 3 ccm Normalnatronlauge erforderlich 
sind *)• Hierauf werden von einer 1 prom. wässerigen Lösung 
von Brillantgrün krystall. extra rein und einer 1 proz. wäs¬ 
serigen Lösung von Pikrinsäure (von Dr. G. Grübler- 
Leipzig) je 10 ccm zu 1J4 Liter Agar gegeben. Nach Durch¬ 
mischung wird ohne nochmalige Sterilisierung der klare 
hellgrüne Agar in grosse Doppelschalen ausgegossen. Nun 
streicht man auf einer, höchstens auf zwei Platten 
mittels Glasspatel soviel Material aus, als ob 3 grosse 
D r i g a 1 k i - C o n r a d i platten zur Verfügung stünden. Die 
Grünplatten werden alsdann 18—20 Stunden bei 37° ge¬ 
halten. Es zeigen danach die Typhus- und Paratyphus¬ 
kolonien ein charakteristisches Wachstum: die 2—3 mm grosse, 
glattrandige Typhuskolonie ist hellgrün und durchsichtig, rund¬ 
lich und flach, in der Mitte allerdings etwas dicker als am 
Rande. Bei schräg auffallendem Licht hat die Kolonie ein 
mattes Aussehen. Mit Hilfe einer ca. 10 fachen Lupenver- 
grösserung gewahrt man dann die charakteristische, hell¬ 
glänzende, körnige Struktur der Typhuskolonien und zwar be¬ 
sonders deutlich, wenn die Platte von einem dunklen Hinter¬ 
grund sich abhebt. Aehnlich sieht auch die Paratyphuskolonie 
aus, nur ist sie etwas grösser und üppiger, als die Typhus¬ 
kolonie und ihr Farbenton geht ins Gelbgrün über. Besonders 
charakteristisch für die Paratyphusbazillen ist die Bildung von 
Riesenkolonien und Rasen, die sich durch ihre relative Durch¬ 
sichtigkeit, die spiegelnde Oberfläche, Randbuchten und das 
Fehlen feingezackter Ränder auszeichnen. Ist auch diese 
Wuchsform der Typhus- und- Paratyphuskolonien eine cha¬ 
rakteristische, so darf sie doch nicht als spezifisch gelten. 
Denn es gibt Bakterienarten aus der Heubazillen-, Alkaligenes-, 
bezw, Proteusgruppe, deren Kolonien keine oder nur geringe 
Unterschiede darbieten. Eine spezifische Differenzierung in¬ 
des ermöglicht hier die Agglutiinationsprüfung der Kolonien, 
wofern gewisse Fehlerquellen ausgeschaltet werden. Bisher 
wurde nämlich bei jeder Kolonie, die mit hochwertigem 
Typhusimmunserum auf dem Deckglas agglutinierte, ihr Ver¬ 
halten in physiologischer Kochsalzlösung geprüft. Diese Kon¬ 
trolle reicht aber nicht aus. Denn es zeigte sich, dass bei 
Kolonien, die sich völlig in Kochsalzlösung auflösten, eine 
prompte Ausflockerung in einem Tropfen sterilisierter Rinder¬ 
galle eintrat. Da nun Typhus- und Paratyphusbazillen in dem 
Gallentropfen lebhaft beweglich bleiben, zur Verklebung nei¬ 
gende Bakterienarten aber von Galle agglutiniert werden, so 
bietet der hängende Tropfen von Galle die Möglichkeit, jede 
Pseudoagglutination zu erkennen. Es ist daher notwendig, 
bei positivem Ausfall der Agglutination mit Immunserum auch 
das Verhalten der Bakterien in Galle, nicht mehr in Kochsalz¬ 
lösung zu prüfen. So wird durch die Gallenkontrolle die 
Agglutinationsprüfung der Kolonien mit einwandfreien Kautelen 
umgeben und ihre vorläufige Identifizierung sicherer gestaltet. 
Noch möchte ich hervorheben, dass der Ausfall der Deckglas¬ 
agglutination mit der Oelimmersion zu betrachten ist. Eine 
sehr wesentliche Erleichterung und Vereinfachung der Unter¬ 
suchung bedeutet die Tatsache, dass relativ wenige Arten von 
Organismen auf den Grünplatten wachsen. Abgesehen von 
den Typhus- und Paratyphuskeimen sind es im wesentlichen 
nur gewisse Angehörige der Fäulnisflora, wie der Bac. pyo- 
cyaneus, bestimmte Proteus- und Alkaligenesarten. Diese 
Fäulniskeime machen sich breit, weil der Kolibazillus und seine 
fäulniswidrige Wirkung auf den Grünplattcn nahezu ausge¬ 
schaltet wird. In der Regel gelingt es jedoch leicht, die Fäul¬ 
niskeime durch makro- und mikroskopische Betrachtung sowie 
durch die Agglutinationsprobe von den Typhusbazillen zu 
unterscheiden. Zum Schlüsse noch einige Worte über die bis¬ 
herigen praktischen' Ergebnisse der Methode. In der Neun- 
kircher Anstalt wurden seit 1. Oktober vor. Jrs. über 5000 
Untersuchungen des laufenden Typhusmaterials mit den Grün¬ 
platten vorgenommen. Unter 2850Fäzesuntersuchungen wurden 
325 mal Typhus-, 35 mal Paratyphusbazillen, von 2515 Harn¬ 
untersuchungen 105 mal Typhus- und 26 mal Paratyphus¬ 
bazillen nachgewiesen. Ebenso hat sich auch die Kombination 


‘) Ein 2 proz. Fleischextraktagar ist in der Regel 2,5—2,8 Proz. 
natürlich sauer. Wurden z. B. zur Neutralisierung von 100 ccm Agar 
2,5 ccm Normalnatronlauge verbraucht, so sind 1 Liter Agar 5 ccm 
Normalphosphorsäure zuzufügen. 

V 


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MUENCHENFR MEDIZINISCHE \VOCHFNSCHPfFT. 


Ko. 24 . 


15 24 


meiner Gallenkultiir mit der Grünplatte bei der Züchtung der 
Typhuserreger aus dem Blut bewahrt. Die angeführten Zittern 
erbringen wohl den Beweis, dass der Nährboden im Gross¬ 
betrieb der staatlichen Seuchenbekämpfung sich als brauchbar 
gezeigt hat. Denn erstens ist es jetzt möglich, aus 
bakterienreichen Substraten innerhalb 2() 
Stunden spärliche Typhus- und Paratyphus- 
b a z i 11 e n herauszuzüchten. Zweitens wird 
dieser kulturelle Nachweis durch die Aus¬ 
schaltung v o ir Konkurrenzbakterien, die 
charakteristische W u c h s f o r m der Typhus- 
und Paratyphuskolonien und ihre tm v c r m i n - 
d e r t e Agglutination sfähigkeit wesentlich 
vereinfacht. Das neue Nachweisverfahren empfiehlt sich 
dadurch, dass es die Arbeit verringert und die Sicherheit 
erhöht. 


Aus dem Institut fiir Schiffs- und Tropenkrankheiten in Ham¬ 
burg (Leiter: Medizinalrat Prof. Dr. Noch t). 

Weitere Untersuchungen über sog. ultramikroskopische 
Infektionserreger. 

Zur Filtration des Hiihnerpestvirus. 

Von ( j. G i e m s a und S. P r o w a z e k. 

Im Verlaufe der weiteren Untersuchungen über die sogen, 
ultramikroskopischen Frreger beschäftigten wir uns ein¬ 
gehender mit Filtrationsversuchen des H ii h nerpest- 
virus, das bekanntlich die meisten gebräuchlichen Bakterien¬ 
filter, wie nach Centanni Chamberland- und Berkefeldfilter, 
sow ie nach eigenen Untersuchungen Pukalfilter passiert. 

Es ist bereits früher in dieser Zeitschrift berichtet worden, j 
dass in den wiederholt stark zentrifugierten, klaren Filtraten 1 
aus vorher zentrifugiertem Gehirn-, Blut- und Leberbrei in I 
nach Löffler gefärbten Ausstrichen kleinste, korpuskulare | 
Elemente nachgew iesen werden konnten, von denen vermutet 
wurde, dass sie die Träger des Virus in einer bestimmten 
Modifikation sind. Durch eingehende Kontrolluntersuchurgen 
konnten sie von den etwas grosseren, zumeist gehäuft vor¬ 
kommenden Hämoglobinausfällungen differenziert werden. 

Wir gingen nun daran, die Pukalfilter an der äusseren 
Oberfläche mit Agar-Agar, Zelloidin oder Gelatine zu iiber- 
schicntcn und das Virus dann gleichsam durch diese Kolloid¬ 
gallerte hindurch zu filtrieren. Die Versuchsanordnung war 
ziemlich einfach und geht aus der beiliegenden Abbildung her¬ 



vor. Der angewandte Apparat bestand aus einer Pukal¬ 
filter, welche durch einen Gummistopfen und eine zweimal 
rechtwinkelig gebogene, starkw andige Kapillare mit einem 
gleichfalls durch einen Gummistopfen abgedichteten Sauggefäss 
verbunden war. Vor dem Ueberziehen des Pukalfilters mit 
der Kolloidgallerte wurde der ganze Apparat im Dampftopf 
sterilisiert und gut abgekühlt. Das Ueberschichten mit dem 
Agar geschah in der Weise, dass man das Filter bis über den 
Gummistopfen w iederholt in eine ö proz. Agarlosung ein¬ 
tauchte und abkühlen liess. Die Filtration erfolgte derart, dass 
zunächst 6 Stunden unter Benutzung eines K ö r t i n g sehen 
Wasscrstrahlgebläses bei einem Vakuum von ca. 20 mm ge¬ 


arbeitet wurde: sodann wurde der Saugtlaschenlialm a zuge- 
dreht und das Gebläse abgestellt. Das Vakuum hielt sich auch 
in der Folgezeit gut und es gingen auch spater in der Pegel 
noch beträchtliehe Mengen dev Filtrates über. Dass diese Filter 
sehr dicht sind, beweist der Umstand, dass bei einer Filtration 
von Methylenblau in der ersten Zeit ein farbloses Filtrat 
erzielt wurde, das sich erst spater nach einer intensiven 
Durchfärbung der Agarschicht blaute. Bei einer Filtration 
von Leberbrei, der mit physiologischer Kochsalzlösung her- 
gestellt und von den groben Partikeln durch Zentrifugieren be¬ 
freit wurde, konnte anfangs ein nahezu farbloses Filtrat ge¬ 
wonnen werden; erst spater ging wohl etwas von dem Blut¬ 
farbstoff durch das Ultrafilter hindurch ur.J die Flüssigkeit 
nahm eine leicht rotgelbliche Färbung an. 

Nach der Methode von Martin, der Pasteur-Chamber- 
landkerzen, Membranen von Gelatine und gelatinöser Kiesel¬ 
säure eingelagert, und bei einem Drucke von T<» 50 Atmo¬ 
sphären filtriert hatte, gingen durch das Filter folgende Sub¬ 
stanzen durch: Proto-, Pcutero-, Mctensilbumoscn, t ’rochrom, 
Azid- und Alkalialbummat. Karamel, Bihserdin und Dextrin, 
ferner in verschiedenem Umfange einige KnstalloiJe. Audi 
hier spielte nach Pcid die allmahhJie Imbibition der Kolloid- 
membran mit der Substanz der zu filtrierenden Losungen c.r.e 
Polle. 

Das Hühnerpest virus ging nicht durch 
diese Agarultrafilter hindurch; Mahner, d.e 
wiederholt mit diesen Filtraten subkutan behandelt wurden, 
gingen nicht ein, wahrend die unfiltnertc Losung sie innerhalb 
•Fs Stunden unter den für die Hühnerpest charakteristischen 
Erscheinungen tötete. Die avmilcnten Huhiicrpestliitrute 
wurden mit dem Ultramikroskop untersucht und es konnten in 
ihnen zahlreiche, stark lichtbrediende Körperchen in oszil¬ 
lierender Bewegung nachgewiesen werden ein Beweis, 
dass nur in der Forschung nach den ultraxisiblen Erregern 
dieser Krankheit, auch das Ultramikroskop nicht weiter bringen 
kann. Dagegen konnten in der vorsichtig abgetragenen, mit 
destilliertem Wasser verdünnten Agarschidit des Pukabilters 
] in nach Löffler wiederholt gefärbten Präparaten die oben 
I erwähnten korpuskularen GebilJe wiederum nadigew lesen 
j werden. In der Folge durfte es für diese morphologischen 
| Untersuchungen zweckmässig se.n, d*e \on Uhlenbut 
j empfohlenen Bakterienfilter in ihrem grössten 'I eil mit Paraffin 
zu imprägnieren und bloss ein kleines terminales Territorium 
f ii r die Filtration durch die Gallerte auszuspuren. N.uh der 
! Filtratirn kann man die kleine terminale Agar-(Zelloidm-) 
Schicht wie e*in De*ckglasblattchen ablosen und nach ver¬ 
schiedenen Methoden zur Färbung benutzen. Zur Gewinnung 
von l Itraiiltraten können die (lallerttilter in zw eckmassige r 
Weise derart abgeandert werden, das ein engerer, die Kapillare 
tragender Filter/ylmder in einen weiteren, etwas niedrigeren 
eingesenkt wird, worauf der Zwischenraum zwischen beiden 
durch die betreffende Zelloidgallerte ausgetiillt werden kann; 
damit allseitig ein gleichmnssig gr< sser Zwischenraum zwi¬ 
schen den ineinander geschobenen Filtern entsteht, muss der 
kleinere Z\linder an vier Stellen seines oberen t mfanges mit 
glasierten Buckeln \ersehen werden. Der Abstand zwischen 
den beiden Filterbasen wird durch eine Glaskugel \c»n be¬ 
stimmter Grosse reguliert. 

Bereits früher wurde über erfolglose Immumsierur.gx er- 
sudie mit durch Wärme und Saponin ahgetotetem Muhnerpcst- 
Mrns berichtet. Das im Fjssdirank m ,*i -in pro/. GKzerm 
Altbewährte Virus busst nadi einiger Zeit (5 Monate ♦ ) seine 
\ irulenz ein; doch konnte audi mit diesem abgeschw achten 
oder avirulenten \irns eine Immunität m keiner Weise erzielt 
w.erden. Nachdem aber einmal die Tatsache testgestellt wurde 
dass m Glyzerin längere Zeit auibewahrtes \irus seine 
N tu lenz embusst. wurden in der Folge für alle hier mitgeteilten 
\ ersuche ein durch mehrere Passagen geprüftes und als h«*vh- 
Mrulent erkanntes \ inis verwendet, das die Hühner in 
ring steil Dosen maximal nach Ts Stunden tötete. 

Wir haben ferner Hühner mit dem nicht infektiösen Ultra¬ 
filtrat mindestens bmal in entsprechenden Zeitabständen \ «>V- 
behandelt und konnten feststclk-i. dass mi \ergleich zu den 
Koritrolltiereii die Inkiibath n der Krankheit eine Verlängerung 
erfährt, dagegen wird die Hühnerpest durch gleich¬ 
zeitiges Emspritzen von dem L'ltraftltrat und von geringen 


n i jit i inn h t . Q ()( )^1 c 


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UNIVERSTTY OT MINNESOTA 




21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1525 


Mengen des Virus — das bekanntlich noch in Verdünnungen 
von 1 : 1 000 000 000 infektiös ist — nicht beeinflusst. Die 
Versuche sollen weiter fortgesetzt werden. 

Kurzsichtigkeit und ihre Verhütung. 

Von Prof. Dr. Best in Dresden. 

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit der 
Theorie der Kurzsichtigkeitsentstefoung, insofern sie zu prak¬ 
tischen Folgen führt; also mit der Frage, welche Ursachen sind 
daran schuld, dass eine grosse Zahl von uns im Leben Kurz¬ 
sichtigkeit erwirbt, während wir fast alle mit nicht kurzsichti¬ 
gen Augen geboren werden, und welche Massnahmen legt uns 
die gewonnene Einsicht in die Ursachen der Kurzsichtigkeit für 
deren Verhütung nahe, insbesondere also auch für die Schul¬ 
hygiene. 

Denn die bisherigen Erfolge in der Bekämpfung der Myopie 
sind, darüber können wir uns nicht hinwegtäuschen, recht ge¬ 
ringe. In den 70 er und 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts 
begannen die Bestrebungen, vor allem durch Verbesserung der 
Beleuchtung, der Schulbänke und andere hygienische Forde¬ 
rungen den Prozentsatz der kurzsichtigen Schüler herab¬ 
zusetzen. Gerade auf dem Gebiete der Schulhygiene ist durch 
Entgegenkommen der Behörden und durch die allgemeine Ver¬ 
besserung der Lebenshaltung seit jener Zeit viel erreicht — und 
die Resultate für die Schulkurzsichtigkeit? Keine Verminde¬ 
rung. 

Auch auf theoretischem Gebiet wogt noch der Kampf. 
Weder die Theorie S t -i 11 i n g s noch irgend eine andere hat 
bisher den zur Anerkennung nötigen Grad von Wahrscheinlich¬ 
keit errungen. Es soll nachher der Versuch gemacht werden, 
hierüber, soweit es zurzeit möglich ist, eine klare Kritik zu 
liefern. 

Vorläufig erst einige Zahlen, die diebisherige Er¬ 
folglosigkeit, des Kampfes gegen die Schul¬ 
kurzsichtigkeit beleuchten und uns andererseits 
einen statistischen Einblick in ihre Ursachen tun lassen. Im Jahre 
1866 fand Cohn, der um die praktische Förderung der Schul¬ 
hygiene am meisten verdiente Forscher, unter den Studenten 
Breslaus 60 Proz. Myopie; 1880 unter den Medizinern Breslaus 
59 Proz.; 1902 unter den Medizinern derselben Universität 
wieder 60 Proz. — fast die gleichen Zahlen. Gärtner fand 
unter den Tübinger Theologen 1861—1882 78 Proz. Kurz¬ 
sichtige ; unter denselben 1905 S p e i d e 1 62 Proz. Man kann 
wohl sagen, dass mehr als die Hälfte unserer deutschen Stu¬ 
denten. kurzsichtig ist! Die Aussicht kurzsichtig zu werden 
wächst mit dem Grade der Bildung. Ich führe wieder zu¬ 
nächst die klassischen Zahlen von C o h n an. Derselbe fand in 
der obersten Klasse einer Dorfschule 1866 2,6 Proz., der städti¬ 
schen Volksschulen 9,8 Proz., der Prima des Gymnasiums 
55,8 Proz. Kurzsichtige. 

Eine Statistik von Schleich in Tübingen ergibt 1905: 



1.-2. | 

3.-7. | 

1 8.—10. 1 

1 11.—12. 

Schuljahr 

Qvmnasium. 

l 23 

16,8 

45,2 

38,5 

Realschule. 


10,7 

25,6 

— 

Höhere Mädchenschule . . 

1,6 

5,2 

15,8 

— 

Volksschule. 

1,3 

6,2 




Eine Zusammenstellung von Roth (1905) weist in Krefeld 
für das letzte Schuljahr in den Volksschulen 5,1 Proz. nach, 
ebendaselbst für 20 jährige Militärpflichtige 5,6 Proz. Also man 
kann für die unteren Volksschichten mit Volksschulbildung in 
Deutschland 5—6 Proz. Myopie annehmen, während die Ge¬ 
bildeten von Klasse zu Klasse mehr aufweisen, in Latein- 
Thülen mehr als in lateinlosen, in Kadettenanstalten weniger 
als im Gymnasium, Offiziere weniger als Studenten, die letz¬ 
teren mit den eben erwähnten Höchstzahlen. 

Wir Deutsche gelten im Ausland als kurzsichtige Nation, 
als das Volk der Brillenträger. Aber wir haben auch als erstes 
Volk allgemeine Schulpflicht durchgeführt. Und die neueren 


Statistiken des Auslandes ergeben, wenn auch nicht ganz so 
hohe Zahlen wie bei uns, so doch dem Prinzipe nach ähnliche. 

Wie ist die Schulkurzsichtigkeit zu erklären? Man kann 
die Sache scherzhaft auffassen, wie der Niederländer Straub 
und sagen, das Schulgeld ist schuld daran; je mehr die Eltern 
für die Erziehung ihrer Kinder aufwenden, um so sicherer sind 
sie, dass ihre Kinder kurzsichtig werden. Auch ist die Kurz¬ 
sichtigkeit eine Prämie, die das Schicksal für recht brave 
Kinder aufspart; je höher der Fleiss, um so grösser die Wahr¬ 
scheinlichkeit der Myopie. In Wirklichkeit ist natürlich die 
Nahearbeit in und für die Schule der schädi¬ 
gende Faktor; je grösser der zu verarbeitende Bildungs¬ 
stoff, um so schädlicher für die Augen. Uebrigens ist die 
Kenntnis dieser Tatsache schon Jahrhunderte alt; bereits K e p- 
1 e r hat die Beobachtung ausgesprochen. Eine andere Erklä¬ 
rung der Schulkurzsichtigkeit als durch Nahearbeit kommt 
nicht in Frage; denn wir sehen ja, dass die Kinder derselben 
Rasse nur in 5—6 Proz. kurzsichtig werden, wenn sie nicht in 
die höheren Schulen kommen. Aber auch diese unteren Be¬ 
völkerungsschichten können bei geeigneter — Versuchsan¬ 
ordnung hätte ich beinahe gesagt — Beschäftigung in höherem 
Grade Myopie erwerben; von den Tuchstopferinnen z. B. nach 
C r a m e r 69 Proz., ebensoviel wie die Studenten. 

Nun ist die Sache aber mit diesem einen Faktor, der Nahe¬ 
arbeit, nicht völlig erklärt. Denn warum werden die 69 Proz. 
Tuchstopferinnen kurzsichtig, der Rest aber nicht? Ein Kind 
mit, sagen wir einmal 5 D Hyperopie, können wir beliebig mit 
Nahearbeit beschäftigen; Kopfschmerzen wirds kriegen infolge 
der Augenanstrengung, aber keine Kurzsichtigkeit. Ich habe 
dieses Beispiel einer optischen Anomalie mit Rücksicht auf 
spätere Ausführungen gewählt; allgemein genommen liegt die 
Sache so, warum bleiben eine grosse Reihe von Augen trotz 
Nahearbeit bei ihrer alten Refraktion (Emmetropie, schwache 
Hypermetropie oder gröbere optische Anomalien)? Während 
andere bei gleicher Inanspruchnahme kurzsichtig werden. 
Zweifellos müssen wir verschiedene Disposition, vermut¬ 
lich begründet im angeborenen (und damit er¬ 
erbten und eventuell vererb baren) Bau des 
Augesannehmen. 

G r u n e r t ist einer der wenigen Autoren, die eine der¬ 
artige Disposition leugnen; nur die Jugend sei die Disposition. 
Ich weiss nicht, wie man damit erklären kann, dass von gleich¬ 
jungen Kindern trotz gleicher Nahearbeit ein Teil kurzsichtig 
wird und dies in verschiedenem Grade, der andere aber nicht. 
Um die mehr weniger grosse Neigung (= Disposition) zur Er¬ 
werbung eines je nach Disposition verschieden hohen Grades 
von Myopie kommen wir eben nicht herum. Und es ist mir 
auch kein Grund denkbar, w r arum man den Einfluss ererbter 
Faktoren (= Disposition) auf das Wachstum und den Bau des 
Auges leugnen sollte. 

Ausserdem ist die Sachlage so, dass die Erblichkeit 
durch statistische Angaben bewiesen wird. 
Diese Angaben schwanken allerdings erheblich, zwischen 30 
und 80 Proz.; vielleicht am genauesten ist die Zahl von 
M o t a i s: 65 Proz. Die Ermittlungen über die Erblichkeit der 
Myopie sind nämlich dadurch recht ungenau, dass sie viel¬ 
fach nur auf den Aussagen der Patienten beruhen, nur selten 
auf direkten Untersuchungen der Angehörigen. Für etwas 
sicherer als die vorigen Zahlen halte ich das Resultat der Unter¬ 
suchungen von Kirchner und von G r e e f f, die ergeben 
haben, dass Kinder kurzsichtiger Eltern 2 mal mehr der Gefahr 
der Kurzsichtigkeit ausgesetzt sind als Kinder normaler Eltern. 
Allerdings ist auch hier die Erblichkeit nicht voll zu fassen; 
denn die Eltern können ja, trotzdem sie bei der Untersuchung 
normale Augen haben, gleichwohl die Disposition zur Myopie 
in sich tragen; kurzsichtig sind sie vielleicht nur deshalb nicht 
geworden, weil ausgiebige Nahearbeit in ihrer Kindheit fehlte. 
Wegen der latenten Disposition müssen die Prozent¬ 
sätze der Erblichkeit schwanken. Zum Beispiel: Evangelische 
und katholische Theologen in Tübingen werden nach Speidel 
in gleichem Prozentsatz kurzsichtig; die evangelischen haben 
54 Proz. Heredität, die katholischen nur 21 Proz. in ihrer As- 
zendenz. Die evangelischen stammen mehr aus Pfarrer- un. 1 


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1526 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


No. 29. 


Lehrerkreisen, also von Vätern mit Nahearbeit; die katholischen I 
mehr von Bauern, also aus einer Bevölkerungsschicht, in der 
die Myopiedisposition nur schlummert, wegen fehlenden in¬ 
tensiven Lesens und Schreibens aber nicht zur wirklichen 
Myopie wird. 

Die Latenz der Disposition hat vielfach zu Trugschlüssen 
geführt. Durch die Schule wird ein grosser Teil der Kinder, 
deren Eltern noch normale Augen hatten, kurzsichtig; und da 
nun deren Kinder später eine scheinbar neue erbliche Be¬ 
lastung in sich tragen, muss ja, wie z. iB. E r i s m a n annimmt, 
nach einigen Generationen die Mehrzahl aller Europäer, we¬ 
nigstens der Städtebewohner, kurzsichtig werden. Auch bei 
Cohn findet sich der Gedanke, dass bei der erwiesenen Erb¬ 
lichkeit der Myopie und der Hineinbeziehung immer neuer 
Kreise durch die Nahearbeit die Kurzsichtigkeit der Bevölke¬ 
rung zunehmen müsse. Allen diesen Gedanken liegt der Fehler 
zu gründe, dass sie nicht damit rechnen, dass auch normale 
Augen die Disposition zu Myopie in sich tragen können, ohne 
dass wir es ihnen anmerken. Nach meiner Auffassung liegt 
die Sache so, dass ein Kurzsichtiger auch bei absolut normaler 
Aszendenz sein kurzsichtigkeitsdisponiertes Auge ererbt hat; 
bei gleicher Belastung des Auges mit Nahearbeit würde die 
Statistik 100 Proz. Erblichkeit ergeben; bei den ungleichen An¬ 
forderungen in den verschiedenen Generationen bezw. Indi¬ 
viduen kann man nur erwarten, dass bei Kurzsichtigen gegen¬ 
über Normalen ein gewisses Plus von Myopie in der Aszendenz 
gefunden wird, wie dies tatsächlich der Fall ist. 

Die Disposition zur Myopie ist anscheinend bei allen Men¬ 
schenrassen in gleicher Weise verbreitet; wenigstens lassen 
die grossen Unterschiede in der faktischen Verbreitung der 
Myopie sich recht gut auf die grossen Bildungsunterschiede, 
d. h. auf die mehr weniger grosse Anstrengung der Augen 
während der Jugend mit Nahearbeit zurückführen. 

Aber schon bei dieser Frage sehen wir eine gewisse Un¬ 
sicherheit in der Entscheidung. Wer von den beiden Fak¬ 
toren im gegebenen Fall anzuschuldigen ist, Nahearbeit oder 
ererbter Bau, das macht nun für die Theorie der Ent¬ 
stehung der Kurzsichtigkeit noch viel grössere 
Schwierigkeiten. Eine Gleichung mit 2 Unbekannten ist nicht 
so ganz einfach aufzulösen. 

Wollen wir die Entstehung der Kurzsichtigkeit erklären, 
so ist es wenig zw r eckmässig von der „Disposition“ auszugehen. 
Mit der lässt sich nicht experimentieren. Sie bildet gleichw ohl 
den Hauptbestandteil einiger Theorien. Einige von ihnen 
tragen sofort den Stempel der Unwahrscheinlichkeit an sich, 
weil sie allgemein biologischen Grundsätzen widersprechen. 
So sollte nach Lange das Fehlen von elastischen Fasern in 
der Sklera an der Myopie schuld sein, was unterdessen wider¬ 
legt ist. Die Theorien von S t i 11 i n g und von Gallus 
nehmen ihren Ausgang vom Bau der knöchernen Augenhöhle; 
auch sie sind insofern w'enig wahrscheinlich, als im allge¬ 
meinen die Anlage der Organe bestimmend ist für ihre Um¬ 
hüllung. Also das Wachstum des Auges ist massgebend für 
die Orbita, nicht umgekehrt, dass sich das Auge nach der Kon¬ 
figuration der knöchernen Wandungen richten müsste wie denn 
auch z. B. nach Enukleation des Auges die kindliche Orbita 
gegenüber der normalen im Wachstum zurückbleibt. 

Wollen wir die Myopiegenese aufklären, so ist es am 
besten, von dem Faktor auszugehen, der im Individualleben 
experimentell veränderlich ist, vonderNahearbeit. For¬ 
schen wir also zunächst nach den Bedingungen, unter denen 
die Nahearbeit kurzsichtig macht. Da ist am wichtigsten, 
dassdies nur während der Wachstumszeit ge¬ 
schieht. In diesem Punkte ist S t i 11 i n g unbedingt recht 
zu geben, der die Bedeutung des Wachstums klar erkannt hat. 
A s k hat nachgewiesen, dass der Prozentsatz der Myopen 
unter den Kindern durchaus parallel dem Wachstum zunimmt, 
und auch dass die Höhe der Kurzsichtigkeit im einzelnen Fall 
entsprechet«! der Körpergrösse wächst. Jenseits 25 Jahren 
kann man im allgemeinen sicher sein, keine Myopie mehr zu 
erwerben; direkt beobachtet, ohne auf subjektive Angaben des 
Patienten angewiesen zu sein, habe ich unter den zahlreichen 
Myopen keinen, der im erwachsenen Alter seine Rfeffaktions- 
anomalie envorben hätte. Aber es ist zuzugeben, dass ge¬ 


legentlich auch in mittleren Jahren die Erwerbung einer Nahe- 
arbeilskurzsichtigkeit vorkommt. Solche Ausnahmen, die übri¬ 
gens sehr selten sind, erklären sich wohl ungezwungen da¬ 
durch, dass eine gewisse langsame, dem Wachstum verwandte 
Regeneration der Gewebe auch später im entwickelten Organ 
stattfindet. Sehr viel eindeutiger ist es, dass eine Zunahme der 
Myopie trotz dauernder weiterer Nahearbeit, ja vielleicht trotz 
vermehrten Schreibens und Lesens im Lebensberufe, nach dem 
20. Jahre selten, nach dem 25. so gut wie nie eintritt. Die in 
der Jugend einmal erworbene Myopie bleibt, wie wohl die 
Mehrzahl der Leser aus eigener Erfahrung oder derjenigen 
ihres Bekanntenkreises weiss, durch das ganze Leben durch 
konstant; nimmt manchmal sogar um kleine Beträge ab; sehr 
selten zu — und diese Ausnahmen können bei ihrer verschwin¬ 
denden Zahl an der Allgemembedeutung des Wachstums für 
die Entstehung der Kurzsichtigkeit nichts ändern. 

Also die Nahearbeitskurzsichtigkeit ist eine Wachstums¬ 
erscheinung; und die Frage spitzt sich somit dahin zu: wel¬ 
che Faktoren regulieren das Wachstum des 
Auges? Damit, mit dieser neuen Feststellung ist zugleich 
gesagt, dass wir wohl vorläufig die Ursachen der Myopie¬ 
genese nicht ganz vollständig überschauen werden. Denn wir 
können bei keinem Organ die Wachstumserscheinungen me¬ 
chanisch auflösen, wenigstens mit unseren vorläufigen Kennt¬ 
nissen darüber. Aber wir können versuchen, wie weit wir 
kommen. Auf das Wachstum eines Gliedes muss zunächst von 
Einfluss sein seine Erbmasse (= Disposition), worüber wir 
zunächst hinweggehen wollen. Sodann bei gegebener Dispo¬ 
sition die Art seiner funktionellen Inanspruchnahme; ferner 
können eventuell äussere mechanische Faktoren eine Deformi¬ 
tät hervorrufen. Muskeln, als das bekannteste Beispiel, werden 
stärker durch individuelle Anpassung an vermehrte Leistung; 
andererseits entstehen durch zu starke Belastung statische De¬ 
formitäten, wie Plattfuss u. a. Worum handelt es sich am 
Auge ? 

Unser Auge muss von Geburt an bis zur völligen Aus¬ 
bildung etwa 6 mm im Durchschnitt in der Längsachse wach¬ 
sen; aber dieser Betrag ist nicht etwa für jedes Auge kon¬ 
stant, sondern je nach Hornhautradius individuell verschieden. 
Damit normale Refraktion erreicht wird (Emmetropie oder 
schwache Hypermetropie; Kriterium S 1 ohne Glas; nach R o t h 
78,5 Proz.), muss eine Wachstumsbeziehung zwischen Hom- 
hautradius, Linse und Augenlänge vorhanden sein. Diese Be¬ 
ziehung ist sicher grossenteils erblich reguliert, aber da eine 
immerhin recht grosse Zahl ( 4 /s) aller Menschen bei normaler 
Refraktion anlangt und Bruchteile von Millimetern schon eine 
erhebliche Refraktionsänderung machen, so ist doch wohl der 
Schluss berechtigt, dass eine geringe individuelle An- 
passungsmöglichkeitandieOptikderAussen- 
w e 11 vorliegt. Vielleicht hat diese individuelle optische An¬ 
passungsmöglichkeit auch mit Schuld an der phylogenetischen 
Erwerbung der Emmetropie. Ob nun dies letztere richtig ist 
oder nicht, jedenfalls spricht für das Bestehen einer individu¬ 
ellen optischen Anpassung die Nahearbeitskurzsichtigkeit. 
Wenn jemand dauernd sein Auge auf kurze Entfernung ein¬ 
stellt, als „Bücherwurm“ während seiner Jugend eine Nahe¬ 
distanz und nicht die Ferne zu der physiologisch am meisten 
benutzten optischen Einstellung macht, so stellt sich, wie die 
Erfahrung zeigt, die Augenachse hinsichtlich ihrer Länge auch 
auf Nahdistanz automatisch ein. Dieser Vorgang legt es doch 
wirklich nahe, dass wir es da mit einer individuellen Anpas¬ 
sung zu tun haben. Dass gelegentlich ganz unzw^eckmässige 
hohe Grade dieses Vorganges sich entwickeln, kann nicht wun- 
dernehmen, denn die Natur arbeitet nicht so exakt, dass Fehler 
vermieden würden. Vielfach ist gegen diese Auffassung der 
Myopie als zweckmässige Anpassung Wider¬ 
stand laut geworden. Myopie sei keineswegs etwas zweck¬ 
mässiges. Ist sie auch nicht, aber wenn jemand in seiner 
Jugend seine Augen zu viel in der Nähe braucht, so liegt die 
primäre Unzweckmässigkeit eben hierin. Zum anderen ist 
an diesem Widerstand eine Verwechslung schuld. Nur von 
individueller Anpassung fct 1 »die Rede. In ph y 1 o g e n e ti¬ 
sch e in Sinnist die Myopie keine Anpassung; 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1527 


wir könnten uns ruhig noch. Jahrtausende mit Nahearbeit be¬ 
schäftigen und demgemäss 50 Proz. und mehr Myopie er¬ 
werben; und die erste Generation, die wieder in der Kindheit 
ihre Augen mehr für Ferne einstellte, würde sofort wieder nor¬ 
male Refraktion haben. Zum mindesten gibt es keinen Be¬ 
weis für die Vererbung einer erworbenen Eigenschaft auf 
unserem Gebiet; den Schein einer solchen täuscht nur die 
Latenz der Disposition vor. 

Dass man die Nahearbeitsmyopie als eine Druckde¬ 
formität ansähe, wäre die zweite oben erwähnte Möglich¬ 
keit. >' Indessen ist das Wachstum der Organe im allgemeinen 
so unabhängig von äusseren Faktoren, dass Deformitäten nur 
bei schwerer Belastung Vorkommen. Trotzdem nimmt die 
weitest verbreitete Theorie eine solche beim Auge an, durch 
Druck der äusseren Augenmuskeln. Das ist mir bei der zarten 
Ausbildung dieser Muskelchen und der sorgfältigen Ausglei¬ 
chung des minimalen Druckes durch ihre Anordnung und Be¬ 
ziehung zur T e n o n sehen Kapsel von vorneherein sehr un¬ 
wahrscheinlich. Wir wollen diese Möglichkeit darum nicht 
verfolgen, weil vermutlich Irrwege dabei herauskommen. 

Also wenn die Kurzsichtigkeit eine Anpassung an optische 
Dinge ist, so kann diese Anpassung wohl nur mit denjenigen 
Vorrichtungen Zusammenhängen, die uns schon normalerweise 
gestatten unser Auge für fern und nah einzustellen, mit der 
Akkommodation. Die Artde r Benutzung der Akom- 
modation reguliert das Wachstum des Auges, 
soweit es da einen angeborenen Spielraum gibt. Wie man sich 
diesen Einfluss der Akkommodation vorstellen kann, ist von mir 
in einem Vortrag in der Heidelberger Ophthalmologischen Ge¬ 
sellschaft 1907 ausführlicher erörtert. Ich gehe davon aus, dass 
die Akkommodation die Aderhaut nach vorne zieht, was durch 
eingespiesste Nadeln am Tierauge bis zum Aequator des Auges 
nachgewiesen werden kann. Dem Akkomodationsvorgang ent¬ 
gegen wirkt die der Aderhaut und ihrer Lamina elastica inne¬ 
wohnende Elastizität; diese Elastizität ist nach meiner Auffas¬ 
sung mit dem Wachstum des Auges am hinteren Pol verknüpft. 
Wenn man sich die Sache mechanisch vorstellt, so kann man 
von Ueberdehnung der Aderhautelastizität sprechen. Nun ist 
nachge wiesen, dass das kurzsichtige Auge speziell am hinteren 
Pol ektatisch wird; z. B. ist nach Sattler das hintere Ende 
der Obliquus(sup.)sehne beim normalen Auge ca. 3 mm, beim 
kurzsichtigen bis zu 10 mm vom Sehnerven entfernt. Dass 
gerade der hintere Pol derart wächst, ist wohl in erster Linie 
auf angeborene Faktoren zurückzuführen, d. h. das Wachstum 
findet eben nur hier hauptsächlich statt, während der übrige 
Teil relativ w r enig wachstumsfähig ist. Man kann sich die 
Sache auch mechanisch vorstellen, wenn man annimmt, dass 
entsprechend dem Defekt in der Aderhaut am Sehnerven und 
ihrer mangelhaften Anlage in seiner Umgebung (Konus!) hier 
die Elastizität am ehesten nachgibt. 

Folgt man dieser Theorie, die einen Zusammenhang zwi¬ 
schen Akkommodation und Wachstum annimmt, so sind zugleich 
gewisse Folgerungen für die Art der Disposition ge¬ 
geben. So wird zur Myopie disponieren eine mangelhafte 
Elastizität der Aderhaut am hinteren Pol, wie 
sie sich in ausgesprochenen Fällen durch Risse in der Lamina 
elastica, Aderhautatrophie, Dünne der Sklera am hinteren Pol 
des Auges dokumentiert. Die Dünne d e r S k 1 e r a, die von 
Heiyeu. a. besonders betont wird, ist in vielen Fällen kor¬ 
relativ zu der mangelhaften Ausbildung der 
Aderhaut von Geburt an angelegt, in anderen vielleicht 
sekundär nach vorherigen Elastizitätsverlust der Aderhaut. 
Mangelhafte Anlage der Aderhautelastizität bezw. der elasti¬ 
schen Sehne des Ziliarmuskels ist oft korrelativ mit unge¬ 
nügender Akkommodations-undKonvergenz- 
kraft verknüpft; und wenn wir in vielen Fällen von Myopie 
und zwar gerade in den fortschreitenden finden, dass die Akkom¬ 
modation eine geringe ist—von Pfalz besonders betont—oder 
die bekannte „Insuffizienz der Interni“ beziehungsweise sogar 
Divergenzschielen, so sind diese Symptome nur ererbte Korre¬ 
late zu der mangelhaften Anlage der elastischen Kraft der Ader¬ 
haut. Auch das U e b e r Yf g n (}• e r jL^ä n g s p,a r t i e d e s 
Z i 1 i a f m u s k e 1 s gegenüber der ringförmigen gehört zu den 
disponierenden Momenten. Wenn endlich bei Myopie sich 


häufiger Astigmatismus findet, als sonst, so ist auch 
dieser wie die Myopie (besonders die höhere) nur ein weiteres 
Zeichen der angeborenen Verbildung des Auges; seltener liegt 
die Sache so, dass der Astigmatismus zu grösserer Annäherung 
der Arbeit ans Auge veranlasst und zu den direkten Ursachen 
der Myopie gezählt werden muss. 

In welchem Verhältnis die beiden ursäch- 
lichenFaktorenderKurzsichtigkeitbeieinem 
gegebenen Fall mitwirken, ist nicht immer klar zu 
erkennen. Natürlich gibt es Fälle, bei denen die Nahearbeit 
gar keine Rolle spielt. Wenn einer auf einem Auge beispiels¬ 
weise normal ist, auf dem anderen 10 oder 20 D Myopie hat, 
so wird das niemand der Nahearbeit zur Last legen. Die hohen 
Grade der Myopie und manche niederen mit auffallend gros¬ 
sem Konus gehören wohl grösstenteils hieher; aber wieder bei 
anderen klinisch durchaus gleichen müssen wir doch gelegent¬ 
lich Nahearbeit mit anschuldigen. Die hohen Grade kommen 
unter der ungebildeten Landbevölkerung Russlands ebensogut 
vor wie bei Gebildeten, vielleicht bei letzteren um etwas häu¬ 
figer (nach Sattler doppelt so häufig, w'omit sich ein gewisser 
Einfluss der Nahearbeit auch hierbei zeigt). Es ist zuzugeben, 
dass diese „deletäre“ Form ätiologisch different 
ist von der typischen „Schulkurzsichtigkeit“ 
von 1—5D, aber nur dem Verhältnis nach, in dem der ererbte 
Bau und die Nahearbeit ursächlich beteiligt sind; eine scharfe 
Trennung ist unmöglich. Andererseits gibt es natürlich zahl¬ 
reiche Fälle, in denen der ererbte Bau des Auges vor den 
Schäden übermässiger Nahearbeit bezw\ dauernd gleichmäs- 
siger Naheakkommodation schützt, besonders bei typisch hyper- 
opischem Bau des Auges, mit seinem in der Regel sehr kräf¬ 
tigen Akkommodationsmechanismus (wozu auch eine gut aus¬ 
gebildete elastische Sehne des Ziliarmuskels gehört). 

(Schluss folct.) 

Der Hermaphroditismus beim Menschen. 

Von Alfred Hegar. 

In dem unter obigem Titel erschienenen Werk von Franz 
Ludwig v. Neugebauer sind, so weit so etwas überhaupt 
möglich ist, alle veröffentlichten Beobachtungen dieser Miss¬ 
bildung gesammelt worden. Die überaus mühsame und 
fleissige Arbeit steht so einzig in der Weltliteratur da. Die 
einzelnen Fälle werden nach den Anfangsbuchstaben der 
Autoren, also in alphabetischer Ordnung, aufgeführt. Die bei¬ 
gegebenen Inhaltsverzeichnisse sind nach den Formen der 
Anomalie, nach den Komplikationen mit körperlichen Krank¬ 
heiten, Psychosen und bösartigen Geschwülsten, nach den 
Lebensschicksalen, den Zusammenstössen mit der Justiz 
u. a. m. angeordnet. So kann man leicht finden, was man sucht. 

Der Gegenstand hat für die Vertreter der verschiedensten 
Fächer ein grosses Interesse. Die Aufmerksamkeit des 
Psychologen und Psychiaters wird sich auf den seelischen Zu¬ 
stand, die Triebe und Affekte des missratenen Geschöpfes 
richten. Der Chirurg und Gynäkologe muss seine körper¬ 
liche Beschaffenheit kennen, um diagnostische Irrtümer und 
ungerechtfertigte Operationen zu vermeiden. 

Die Juristen und Aerzte, welche mit gerichtlicher Medizin 
zu tun haben, werden durch Reklamationen wegen falscher 
Einträge in das Buch des Standesbeamten, wegen Eheschei¬ 
dungsprozessen, Fragen über Zurechnungsfähigkeit bei Homo¬ 
sexualität in Anspruch genommen. 

Die grösste Bedeutung hat das Thema für den Biologen. 
Es verschafft uns Auskunft über die Korrelationen der Keim¬ 
drüse und sein Studium gab den ersten Anstoss zur Ver¬ 
werfung der, unter, andern auch von Vi rchow vertretenen 
Lehre von der Omnipotenz des Hodens und des Eierstocks, 
deren Gegenwart als notwendige Voraussetzung für die Ent¬ 
stehung und weitere Entwicklung der männlichen oder weib¬ 
lichen Sexualcharaktere galt. Geoffroy St. H i 1 a i r e, durch 
seine Untersuchungen über Hermaphroditismus veranlasst, 
sprach sich zuerst für einen von der Keimdrüse unabhängigen 
Ursprung und weitere Ausbildung der übrigen Abschnitte des 
Genitalsy$tems aus. K I e b,$ ,schljesst sich diesem 1 Autor an 
und sagt, in seiner bekannten Arbeit über Hermaphroditismus, 
ausdrücklich, „dass das Geschlecht der Keimdrüse die typische 


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15-8 


MUENCMENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N. 


*). 


Entwicklung der übrigen Abschnitte des Sexualapparaies nicht 
bestimme, und wenn sich diese meist dennoch in der gleichen 
Richtung mit der Geschlechtsdrüse ausbilden, dies offenbar 
von einer gleichnuissig der ganzen Keimanlage mitgeteiltcu 
Bewegung herrühre". 

Puech erklärte sich aus Gründen, welche er den Er- 
gebnisen seiner Forschungen über angeborenen Defekt und 
über rudimentäre Zustände der Ovarien entnahm, gegen das 
Dogma von dem übergrossen Einfluss dieser Organe. Ich habe 
in meiner Schritt über „Kastration der brauen ) die über den 
Hermaphroditismus, die Folgen der Kastration, sowie die an¬ 
geborenen Mängel und Verkümmerungen der Keimdrüsen bis 
dahin bekannten Tatsachen zusammenzustellen gesucht. Ich 
beabsichtigte dadurch, einen Aufschluss über die Beziehungen 
jener Organe zu den übrigen Abschnitten des Genitalapparates 
und anderw eitigen Organen zu erhalten. Dabei bin ich zu ähn¬ 
lichen Schlüssen gelangt, wie meine genannten Vorgänger. So 
hob ich hervor, dass bei angeborenem Defekt beider Eierstocke 
der Uterus bis zu intontiler Beschaffenheit und bei Pseudo- 
liermaphroditismus mascul. noch weiter ausgebildet sein 
könne*’). Jedes Organ besitzt eben eine eigentümliche, von 
der Umgebung und anderen Organen unabhängige Entwick¬ 
lungsenergie, wie Born durch seine genialen Experimente be¬ 
wiesen hat. 

Doch habe ich dem Eierstock eine die Ausbildung be¬ 
günstigende Einwirkung zugeschrieben, wenn auch ohne ihn 
ein Individuum seinen geschlechtlichen 1 ypus erhalten könne/) 

Dabei habe ich ausdrücklich auf den innigen Zusammen¬ 
hang des Ovariums mit dem Uterus und seinen bunktimien 
hingewiesen, wie er zwischen ienem und den anderen >e\ual- 
charakteren in so hohem Grade nicht besteht. Das Experiment 
bewies, dass nach Kastration junger I iere der Fru Jithalter 
nicht mehr wuchs, während er nach der wegen Erkrankung 
ausgeführter Kastration erwachsener Frauen zusammen¬ 
schrumpfte. Darauf gründete ich meine Empfehlung dieser 
Operation bei Fibromen, welche sich nach dieser gewöhnlich 
rasch verkleinern. 

Meine Schüler, Becker 1 ), A 11 e r t h ti m. L i n g e I “), 
S e 11 h e i in *) haben in ihren Arbeiten später nicht bloss durch 
Aufräumen und Beseitigung alten Schuttes Negatives geleistet, 
sondern auch positiv wichtige, bis dahin unbekannte I atsachen 
festgestellt, so das Erscheinen eines reichen Federschmuckes 
beim Kapaunen*), während man diesen bis dahin der Henne 
gleich werden liess, das späte Eintreten der knöchernen Aer- 
einigung der Diaphyse mit der Epiphyse und das da¬ 
durch bedingte stärkere Längenwachstum der Knochen, bei 
Kastration a ). Von grossem Interesse ist auch das Ver¬ 
halten der Brustdrüse, welche nach Exstirpation der Ovarien 
beim jugendlichen Tier verkümmert, während sie bei einem 
kastrierten Mädchen oder Frau gut ausgebildet bleibt und 
selbst sezerniert, sogar bei Nulliparen "). 

Ich habe die Resultate meiner Studien in einem Auf¬ 
satz über „die Korrelationen der Keimdrüse und die Ge- 
schlechtsbestimmung" kurz zusammen gefasst. 

Alle diese Arbeiten sind vor der Schrift M a I b a n s r ) „Die 
Entstehung der Geschlechtscharaktere" erschienen, teilweise 
sehr viel früher. Die Anschauungen Malbans stimmen im 
w esentlichen mit den mehligen überein. Er bezeichnet den Ein¬ 
fluss des Ovariums auf die übrigen Sexualcharaktere als einen 
protektiven, während ich ihn als einen begünstigenden 
darstellte. Die Unterlagen, auf welche sich Mal bau hei 
seinen Schlüssen stützte, angeborene und erworbene Defekte 


') Volkuumiis Samml. kliu. Vnrtr. 1N7N, pag. M<> Us. 

-) IhkL pag. X 1 2. 

") Ibid., pag, SU. 

’) Seil he im: Beiträge zur Geburtshilfe und (h Jiakolngic, 
Bd. I. pag. id.s. 

’) Becker: Der männliche Kastrat. luaug.-Piss.. I'reiburvr 
is% und Seil heim: Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie., 
Bd. II, pag. 23(} 

') l.ingel: Zur hrage nach dem l.inilusse der Kastration auf 
die b.ntw icklmig der Milchdrüse. Inaug.-Diss., f’icibuig l'*HU 
\lterthum: Die h’olge/ustande nach Kastration mul die sekun¬ 
dären (ieseliieditscharakteie. Beitr. z. Geburtsh. u. G\ nakol., Bd. II, 
pag. Id. 

: ) Archiv f. Gy’äknL Bd 7(1 p. ’nä. 


der Keimdrüse und Merm ipliroditismus. sw:d dieselben. wi/Jie 
ich bereits 1S7S in iir liier „Kastration der D.miu" hi nutzte. 

Der Mermaphroditismus liefert, wie aus dem Aorfurgihea- 
deii erhellt, einen wertvollen Beitrag zu unserem Urte:! uhe r 
die Korrelationen der Keimdrüse. Er wirft muh in I uh: aal 
die Sumimesge^chiehte des Muis,iieu und auf die (ie s JileJits, 
bestimmiiug. wenn freilich das Du: kel. weklus dar.Zur 
schwebt, nicht vollständig versjiuuht wird. 

Wir müssen anuelimeu. dass früher zweierlei Ke uiJuih u 
vorhanden waren, wie wir es muh muh heutzutage bei d-. n 
wahren Zwittern sehen, w eklig zwar beim ALmsJun sehr 
selten, bei anderen Säugetieren, wie bum k\ li ui J dem 
Schwein, häufiger mi/ntrelk u cikI. Du h i un IU o 

Ti ms ist die eine Keimdrüse ohne Ausnahme u: i:mn sehr 
reduzierten Zustand, was darauf h ; deutet, dass s e bei dun 
Genus bald vollständig \ i r 'Jiw u de n werde. In einem Indi¬ 
viduum von normalem Ges v h1eJi!s!\pijs ist es bereis so Weit 
gekommen, wahrend dir I eiPmgs. ippur.it. wiUur mit dir 
verschw undi neu Keimd'use m \ i rbu dang s'uvd. durch s t je 
Aerkimmierimg dartut, dass er desuii Be.spUe f Igett wude. 

Bei dem sog. ScIiemzw 11!c r ist i ' t.i'k die er e V: 
der Keimdrüse in Wegfail gek< imrin. Bude I e.nmgs.ipp.o ;*e 
halten sich erhalten; der eine fast immer xul weniger g .!. 
als der andere. Merkwürdigerweise ist ,1er gut aiisgebi!di\ 
der. welcher beim normalen Mensjtui n..t der Kemidruse ur- 
buiukii ist, welche luim Zwitter nicht nu.hr existiert. ENns.» 
verhält es srIi mP den übrigen Sexual Jia r uktert n. welche 
ebenfalls, wie man sich ausdnickt, lu te r oa ger Natur sind. 

Das ist jedoch selten ganz dur J 1 .. 1 1 ' t. < iew . •hidu.li be¬ 

gegnet man einem MisJimaseh lu tc roh .ger und homologer 
(iesclilechsmerkmale und die Zahl dieser k <>niI' natu mui ist sehr 
gross. Man mag siJi aber irgend eine ausdu kut. Mits w:rd 
man in dem N e u g e b a u e r sehen W e rk e :n aus der I iteratnr 
entnommenes Beispiel auffiuden. Der von nur sdn n Dafü r 
gemachte Vergleich mit einer grossen Ar/..hl vmi M<s,k- 
stiic keilen, welche man bebt big zu diesem <>.k r ienem Bdd 
zusammenfügt, liegt nahe. 

Der mit Beteiligung dir pr im.r i n Sexual ch.rukUre ver¬ 
bundene Mermapliroditismns ist ruht gerade h.e:?:g. iVJi 
scheinen Unterschiede zwischen Rusm u rud N-ituun zu be¬ 
stehen. Ich glaube nicht, dass ein linziln.ir in I k utschl.md 
so viel eigene Beobachtungen machen k«»rre. wie v. N e u g e - 
bauer in Dolen. Eingehende EorsJmt g< n m zivilisierter: 
Eändern vermögen allem über die Müdigkeit dir M:ssh:'duug 
Auskunft zu geben. Aon grossem Interesse wäre is ;\\ wissen, 
wie es bei wilden \ nlke rschafte u und bei den Mu'sJr raffen 
damit bestellt ist. 

Wenn man muh die sekundären Sexua 1 . ha-akte^e h.-r.m- 
zieht, wozu die Bert. Jrignng votlugt. sn wird nur: d e / ih! 
der Hermaphrodi Vn ho, h einschätzen m:iss t brululi hat 
man sich vor falscher Bugm -e zu hiitefb N-. gativ e F.gen- 
schaften. wie eine verkümmerte Brustdrüse b«.\\ t H ein 
im Wachstum zurückgebliebener Kih'k. ;ü er! t . , \ 

stimme hum Mar ne Rönnen sehr wohl b tm • .äs«*-, •; s, mi und 
einer in der Kmderziit m.tge! rebren I‘ i:tw u k 'n- -gss*,»: mg. 
ibfolge Sc lile'e fiter Ernahrimg und Rot per |d\ ge. ihnn IVsprmg 
verdanken. Selbst M\pospadi.e massigen (r.idrs i s: v a’buht 
zuweilen als ein hotalismus auf/ufussi n und 1 -. : * in i o r sjod- 
1 ich eil Einwirkung auf die Brüht Joe «äii "e. B« sr u < k _ 
schli chtsnu rkmale. wie eine \o|V Brnyd’iise bi ”, \\.r, r e. 
cif’ Backenbart heim Web. sind w u » \ ..’b re Ird.u-n 

Selbst bei A ermudung ailt r dragnostis n Du-u-.r be¬ 
gegnen uns v ielfach I Yrs-u:i p. w i k he. r.e!\u nopri.skm ( iu i- 
; talapparat mannlijier odi r weihlulu r A't sekundäre Sev:.:!- 
I Charaktere dt s amli reu ('us/D J,:s an s.Jj t r .i e; e n . ik 

i Mann fallt eine I istelsimime auf. w/Jn -::Jp en I: s. 

J Ullis auf/iilassen isi t eine gut ausgehikfi !e I bns:drase, Mvts.- 
, spadie höheren (irades, Minuugtirg zu we i; .Jur D.es^h.;::i- 
, K r m:g. wuhlkhe S.miesart und Denkweise. Vuh de Ikun. 
Sexualität soll naJi Angal'e umger Anäur « ;• v < Ta 
woran ich zweifle. A|tr s Ji, um, a’s oh J t r \ :g ir: guii 
Verkehr mit Individuen des , eeruu \ vo 

zu l irunde liugui. w eiche mü dun Mermap!ood.:.s;-.js pc Vv b.. 
uis nichts zu »im haben. I k .uf \\ . ibe K-.rkr w : r k 

So'mme. Dartw uJu, s.i,.. t \ \] .. v .. , A j u, L . ri _ 


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21 . Juti 1908. 


MUENCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1§29 


schäftigungen, welche dem Manne ^ukommen. Perverser 
Sexualtrieb scheint seltener zu sein. 

So schieben sich in die Zusammenstellung der Geschlechts¬ 
merkmale, welche wir die männlichen nennen, weibliche Merk¬ 
male ein und umgekehrt Meist sind es leichtere Abweichungen 
vom Typus, bei denen wir von konträren Sexualcharakteren, 
Feminismus und Maskulinismus sprechen, Erscheinungen rück¬ 
ständiger Natur, aus der Vergangenheit zurückgebliebene 
Reste. Es ist zu wünschen, dass die Individuen, an welchen 
sie zum Ausdruck kommen, insbesondere die Homosexuellen, 
mit der Zeit ganz verschwinden werden. Bis jetzt ist aber die 
Herstellung der zwei reinen Geschlechtstypen in der Mensch¬ 
heit noch nicht ganz gelungen. Auch der Gärtner sehe 
Kanal und der Uterus masculinus sind noch da. 

Der männliche und der weibliche Geschlechtstypus ver¬ 
danken ihre Vorherrschaft einer Auslese. Zwitter und Schein¬ 
zwitter sind fast ohne Ausnahme unfruchtbar, oft mit anderen 
Missbildungen behaftet, Erkrankungen, Geschwulstbildungen 
ausgesetzt, dem Kampf ums Dasein nicht gewachsen. Per¬ 
sonen mit ungewöhnlicher Kombination der Sexualcharaktere 
leichterer Art unterliegen diesen Schicksalen weniger, kommen 
jedoch bei der Zuchtwahl zu kurz. Ein Mann mit voller Brust¬ 
drüse oder ein Weib mit Backenbart werden zum Ehestand 
nicht gerade leicht begehrt. 

Die Aetiologie des Hermaphroditismus ist zwar vielfach 
dunkel, gewährt aber doch einen Einblick in das Wesen der 
Anomalie, v. Neugebauer teilt uns Fälle davon bei Ge¬ 
schwistern mit. Bei Hypospadiaen geringeren Grades und 
Gynäkomasten ist Vererbung beobachtet worden. Gleich¬ 
zeitige Bildungsfehler an anderen Körperteilen werden bei den 
Zwittern nicht selten angetroffen, aber auch bei deren Vor¬ 
fahren und Angehörigen. Ferner kamen bei diesen Hysterie, 
Psychosen, Epilepsie vor. 

Es scheint, als ob der Keim durch irgend etwas in Unord¬ 
nung geriete und dies nun in abnormen Zuständen und Er¬ 
scheinungen zum Ausdruck gelange, welche verschiedener Art 
sein können. Epilepsie und Syndaktylie, Hysterie und Herma¬ 
phroditismus sind äquivalent, wie man sich ausdrückte, und 
können sich vertreten. 

Jenes irgend etwas, das Primum movens, ist uns freilich 
meist nicht bekannt. Doch wissen wir, dass Alkohol, Blei und 
die Toxine der Infektionskrankheiten, vor allem die der Lues, 
vielleicht auch deren Mikroorganismen Keimvergiftungen 
und dadurch Missbildungen verschiedener Art hervorzurufen 
vermögen, v. Neugebauer erwähnt insbesondere Lues als 
ursächlichen Faktor des Hermaphroditismus und auch K1 e b s 
teilt ein Beispiel mit. 

Die Selektion bietet uns eine Erklärung für das Ueber- 
wiegen des männlichen und weiblichen Geschlechtstypus, 
gegenüber hermaphroditischen Bildungen. Deswegen wissen 
wir aber noch nicht, warum in dem einzelnen Fall das ent¬ 
stehende Wesen* zum Mann oder zum Weib wird. Ueber diese 
Geschlechtsbestimmung im engeren Sinne sind so zahlreiche 
Hypothesen aufgestellt worden, dass ihre Erörterung hier viel 
zu weit führte. Ich möchte nur das hervorheben, was uns für 
dieses Problem aus dem Studium des Hermaphroditismus her¬ 
vorzugehen scheint. 

Unser jetziges Wissen berechtigt zu der Annahme, dass 
kleinste Teilchen des Keimes den Aufbau der Organe und, was 
für unsere Frage von Bedeutung ist, ihre Anordnung leiten. Die 
chemisch-physikalische Konstitution jener Determinanten ist 
durch jahrtausendjährige Selektion so festgestellt, dass aus dem 
Zusammentreffen beider Keime für gewöhnlich nur der männ¬ 
liche oder der weibliche Typus hervorgehen. Diese Regel wird 
aber zuweilen durchbrochen und es erscheinen Körperbildungen, 
deren Wiederauftauchen nicht zu erwarten war. Das ge¬ 
schieht, wie bereits erwähnt wurde, bei den Keimvergiftungen. 
Die Folgen dieser freilich sehr grossen Schädlichkeiten liefern 
den Beweis, dass die grosse Zähigkeit und Elastizität, mit 
welcher der Keim seine Beschaffenheit beibehält oder wieder 
gewinnt, doch ihre Grenzen hat und man kann daher wohl an¬ 
nehmen, dass auch weniger intensive, aber lange Zeit dauernde 
Einflüsse Schwankungen und Variationen in der Beschaffenheit 
des Keimes hervorrufen, deren Folgen sich innerhalb der 
physiologischen* Grenzen halten. So entstehen zwar keine 

No. 29 


Hermaphroditen, aber über den männlichen oder weiblichen 
Typus wird entschieden. 

Der Aufenthaltsort, das Klima, die Ernährung, der Gesund¬ 
heitszustand, das Lebensalter, der Altersunterschied der Eltern, 
geschlechtliche Ueberanstrengung, Inzucht mögen auf die 
Eigenschaften des Keims einwirken. Die Werte eines dieser 
ursächlichen Faktoren abzuwägen wird schwer sein, da sie 
nicht vereinzelt, sondern fast stets in- Verbindung auftreten 
und sich weder für die Beobachtung, wie für das Experiment 
leicht isolieren lassen. 


Aus der kgl. Universitätsklinik und Poliklinik für psychische 
und Nervenkrankheiten in Göttingen. 

Psychiatrische Wünsche zur Strafrechtsreform.*) 

Von A. Cramer in Göttingen. 

Meine Herren! Es erscheint fast überflüssig noch Worte darüber 
zu verlieren, dass ein Arzt — und das bleibt ein Psychiater immer, 
selbst wenn er sich noch so viel mit forensischer Psychiatrie be¬ 
schäftigt —, nicht imstande ist, alle die juristischen Relationen zu 
übersehen, welche die einzelnen Worte des von ihm formulierten 
Paragraphen als Rechtsbegriffe nach sich ziehen. Der Psychiater tritt 
wie jeder Arzt mit der gesamten Straf- und Zivilrechtspflege nur als 
Sachverständiger in Beziehung. Als Sachverständiger ist er 
ein unmassgeblicher Gehilfe des Richters. Dasselbe kann er 
auch nur sein bei dem Gesetzgeber. Er ist verpflichtet, 
bei jeder neuen Gesetzgebung seine Wünsche an massgebender Stelle 
geltend zu machen, er wird umsomehr Erfolg mit diesen Wünschen 
haben, je mehr er sich auf das Gebiet stützt, für das er allein 
zuständig ist, auf das Feld des ärztlichen Wissens und Könnens, in 
vorliegendem Falle auf die Lehren der psychiatrischen 
Wissenschaft. In dem Momente, wo der ärztliche Sachver¬ 
ständige juristische Paragraphen zu bauen versucht, ist er ein dilet- 
tierender Laie und allen den Gefahren ausgesetzt, die jedem Kur¬ 
pfuscher auf juristischem Gebiete drohen. Dieser Tatsache ent¬ 
sprechend hat der Gesetzgeber sich auch niemals an den Arzt als 
Sachverständigen gewandt, wenn es sich um die Formulierung han¬ 
delte, sondern nur dann, was ja viel wichtiger ist, wenn es sich 
darum handelt, eine Grundlage für die Formulierung in diesen 
Grenzgebieten zwischen Jurisprudenz und Medizin zu finden. Ganz 
anders liegt natürlich die Sache, wenn dem Arzte ein sach¬ 
kundiger Jurist beigegeben ist. Alsdann ist eine Formu¬ 
lierung unbedenklich und nützlich. Das ist zum Beispiel in den 
Referaten geschehen, welche Aschaffenburg und Strass- 
mann in Verbindung mit dem Juristen Heimburger für die Me¬ 
dizinalbeamtenversammlung geliefert haben. Gerade dieses Referat 
erleichtert mir ausserordentlich meine heutige Arbeit, wie Sie sehen 
werden. Ich würde auf alle diese selbstverständlichen Verhältnisse 
nicht eingegangen sein, wenn nicht unsere psychiatrische Literatur 
fast täglich neue formulierte Gesetzesvorschläge brächte. Oft ge¬ 
nügt die Mitteilung einer einzigen für den Sachkundigen alltäglichen 
Beobachtung, um eine Reihe von neuen Paragraphen zum Leben zu 
erwecken. Wie es häufig damit bestellt ist, mag eine Beobachtung 
ergeben, die ich kürzlich machte. Ein Kollege, der sich noch recht 
wenig mit Psychiatrie und fast gar nicht mit forensischer Psychiatrie 
beschäftigt hat, kommt zu mir mit der Bitte, ihm ein Gutachten in 
einer Mordsache zur Publikation zu überlassen, er habe die Absicht 
einige gesetzgeberische Vorschläge daran zu knüpfen, das mache 
einen guten Eindruck. 

Wer die gerichtlich-psychiatrische Literatur kennt, wird mir 
zugeben, dass wir neben ernsten und ausgezeichneten Studien auf 
diesem Gebiete auch nicht wenige Publikationen besitzen, welche 
ähnlichen Motiven entsprungen sein mögen. Ich bin also überzeugt, 
dass unser Vorstand lediglich wünschte, dass in diesem Referate 
der psychiatrische Sachverständige zur Strafgesetz¬ 
gebung zum Wort kommen soll und nicht der psychiatrische Gesetz¬ 
geber. 

Ein Wunsch, der oft dem Psychiater in foro entgegentritt, ist 
der, dass der Jurist, dem er helfen soll, die Wahrheit 
zu finden, auch die zum Verständnis der psychiatrischen 
Ausführungen notwendige Vorbildung besitzen möge. 

Wenn man sich die Sache oberflächlich ansieht, dann könnte 
man zu der Ueberzeugung kommen, dass dieser Wunsch gar nichts 
mit der Strafgesetzreform zu tun hat. In Wirklichkeit liegt aber 
die Sache gerade umgekehrt, namentlich wenn in der neuen Straf¬ 
gesetzgebung auf die psychischen Grenzzustände mehr 
Rücksicht genommen werden und dem Richter das Recht der freien 
Beweiswürdigung erhalten bleiben soll. Es liegt durchaus nicht im 
Wesen unserer gesamten Rechtsprechung, dass der Richter einfach 
als Tatsache hinnimmt, was der Sachverständige in seinem Gut¬ 
achten erklärt, der Richter soll vielmehr auf Grund eigener Er- 


*) Nach einem im Deutschen Verein für Psychiatrie (April 1908) 
erstatteten Referat. 


2 


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1530 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. *>. 


wägungen, bei denen ihn das Gutachten des Sachverständigen unter¬ 
stützt, zu seinem Urteil kommen, sonst spricht nicht der Richter, 
sondern der Sachverständige Recht. Wie soll aber der Richter in 
die Lage kommen, sich eitt eigenes Urteil zu bilden, seihst wenn 
der Sachverständige noch so klar und einfach spricht, wenn er von 
der Materie, die der Sachverständige behandelt, nicht die leiseste 
Vorstellung hat? Dabei wird diese Materie, weil in Zukunft die 
(irenzzustände berücksichtigt werden müssen, viel komplizierter sein 
und bei einer mangelnder. Vorbildung der Juristen gerade auf diesem 
Gebiete zu sehr schwierigen Situationen führen. Der Jurist soll kein 
Psychiater sein, ebensowenig wie wir Juristen sein wollen. Aber 
ich sehe nicht ein, weshalb der Mediziner gerichtliche Medizin hören 
muss, wenn der Jurist in keiner Weise verpflichtet ist. sich wenigstens 
mit den grundlegenden Anschauungen bekannt zu machen, auf tiruiul 
deren er nicht selten über Leben und Tod entscheiden wird. Wenn 
der Jurist ein Semester forensische Psychiatrie hört, dann ist we¬ 
nigstens das gewonnen, dass er die l'ehcrzeugmig mit nach Hause 
nimmt, dass es wirklich solche Zustände gibt, von denen der Sach¬ 
verständige spricht. Auch wird der Jurist, der forensische Psvclnutric 
gehört hat, bei V e r n e h m u n g e n in Sachen, w o zw eitelluite 
Geisteszustände in Betracht kommen, viel sachkundiger piotokolherei.i 
können. Auch bleibt wohl immer 'das eine oder das andere aus diesen 
Vorlesungen haften, weil der Jurist im allgemeinen Vorlesungen, in 
denen Kranke demonstriert werden, nicht zu besuchen pilegt und 
deshalb der Lindruck dieser Vorlesung ein viel nachhaltigerer ist. Audi 
bekommt der Jurist einen ungefähren Hinblick in das, was die ge¬ 
richtliche Psychiatrie will, er lernt tinsehen, dass unsere Disopiiri 
eine W issenschaft ist, welche nach den strengen Regeln der klinischen 
Erkenntnis und nicht nach Sentiments und nach dem Geluhl arbeitet, 
wie das der Laie immer wieder annimmt und unbeschadet in dir 
Oetfentlichkeit breit tritt; wir können uns davon ja ieden Augenblick 
überzeugen, wenn wir nur eine Zeitung in die Hand nehmen. 

Dem Juristen wird immer die Wahl der zu/uzicheiidcn Sachver¬ 
ständigen überlassen bleiben müssen. Hat er aber auch nur einmal 
in seinem Leben geholt, was gerichtliche Psychiatrie ist und was 
sie will, dann wird ihm ein Missgriff in der Auswahl der Sachver¬ 
ständigen, wie er in der letzteren Zeit mehrfach vor gekommen ist. 
so leicht nicht passieren können. Er wird den Sachverständigen, der 
in teuilletonistischer Weise in der Tagespresse auf Sensation lim- 
arbeitet, den Sachverständigen, der in der Zeitung bereits sein Gut¬ 
achten abgibt, fast bevor ein Verbrechen passiert ist. den Sach¬ 
verständigen, der ohne Beobachtung und gründliche Untersuchung 
lediglich auf eine Zeugenaussage gestützt ein zum mindesten vor¬ 
eiliges Gutachten erstattet, von dem gut ausgebildeten Sachverstän¬ 
digen, der nur auf Grund längerer Beobachtung und eingehender 
mehrmaliger Untersuchung ein Gutachten abgibt, unter sc heulen lernen 
und als Grundlage fiir sein Urteil sich nur auf deiartige Gutachten, die 
sich streng an die Grenzen der Wissenschaft halten, stutzen. Ist das 
erreicht, dann ist nicht nur Mir die ganze Sache, für die Sicherheit 
und das Ansehen der Rechtspflege viel erreicht, sondern es wird auch 
der Laie die IJeberzeugung gewinnen, dass das psychiatrische Gut¬ 
achten eine ebenso ernste, streng wissenschaftliche Leistung ist wie 
die Forschung auf «allen anderen Gebieten menschlichen l ikcimtms- 
vermögens. 

Ich wende mich jetzt nach diesen mehr allgemeinen Aus¬ 
führungen zur Strafprozessordnung, l'eber die Auswahl 
der Sachverständigen sind kaum noch Worte zu v er hei en. nach¬ 
dem die Praxis gezeigt hat, dass trotz des Institutes der Gei ichtsarzte 
und trotz der bekannten Justizministerialverfiigungen der Irrenarzt 
von Beruf in ausreichender Weise zu Wort kommt. 

Damit, dass jemand ein ausgezeichneter Kr eis- oder < iei ichtsar zt 
oder ein ausgezeichneter Irrenarzt ist. ist noch nicht gesagt, dass er 
zugleich auch ein vor Gericht namentlich zur Erstattung mmullichcr 
Gutachten besonders brauchbarer Sachverständiger ist. 1 s ist des¬ 
halb eine generelle Regelung dieser Frage, wie sie der .iiistizministcr 
in seinen früheren Verfügungen, versucht hat, iihci huupt ein Unding, 
weil das persönliche Moment eine zu grosse Rolle dabei spielt. Die 
Aktion des deutschen Vereins für Psychiatrie hat aber insofern Erfolg 
gehabt, als der Justizminister unter dem 2 1. III. U4 erklärt hat. dass 
es sich in seinen in dieser Frage vorausgegangciien Verfügungen nicht 
um einen Ausschluss der Anstaltsärzte handelt, sondern dass viel¬ 
mehr die besonderen Umstände, von denen der S Jot ZPO. spricht, 
bei den Leitern und Aerztcn der Anstalt ganz besonders in Betracht 
kommen. Sie können sowohl in der besonderen psvchiatrisclieii Aus¬ 
bildung, die namentlich bei den öffentlichen Anstalten mit Rücksicht 
auf die sorgfältige, bei ihrer Auswahl geübte Sorgfalt voraiis/usehcii 
ist. als in der durch ihre Tätigkeit erlangten grossen Erfahrung be¬ 
ruhen, vor allem aber darin bestellen, dass die in Rede stehenden 
Aerzte, bei der Behandlung der Kranken viel eingehendere Wahr¬ 
nehmungen zu machen in der Lage sind, als ein anderer, nur auf Be¬ 
suche beschränkter Sachverständiger. Es wird sich empfehlen, die 
Amtsgerichte darauf hinzuweisen, dass sie diese Erwägungen bei 
der Auswahl der Sachverständigen in Betracht ziehen. 

Wenn auch diese Justizministerialverfügimg hauptsächlich in 
bezug auf das Entmündigungsverfahren ergangen ist. also den Zivil¬ 
prozess berührt, so wird sie doch auch, soweit der Strafprozess in 
Betracht kommt, ihre günstige Wirkung nicht verfehlen. 


Von einigen Seiten ist der Wunsch auf getane ht. J.»ss auU; Ki um, 
wie zum I eil im Auslande, eine prinzipielle Bestimmung dahin ge¬ 
troffen werden mochte, dass in jedem 1 alle, wo cm Nu üv c t ständiger 

vernommen wird, auch ein < i e g c n s,i *h \ e r st a n d i g c r zu Worte 

kommt. Dass es dem Geruhte in allen la.len unbenommen ist. so viel 
Sachverständige zu hören, als es will, ist bekannt u n sehe aber 
nicht ein, weshalb unter eint.Dum \ er ha Hussen. wenn das Geruht 
dem Sachverständigen unbedingtes \ et trauen schenkt und schen¬ 
ken kann, jedesmal noch ein anderer >.uhv erstaiidiger gehört wer¬ 
den soll. I las kommt nur m Betr.uh't, wenn aut Grund des 
Gutachtens eines einzig e n S a c h v e r s t a n d i g e ri 

eine A n k I a g c er h o b c n w e r d e u s «• I I. Di kann muli hier 

dem Vorschlag von Strassmann m.r aus», h Messt n. dass es er¬ 
wünscht erscheint, wenn in so Dien I .dien die Vernehmung eines 
zweiten Nu hv er ständigen zur Phisfit gemacht wird. A ..e rdings 
kommt die ganze ITagc für den psv chratr isdien Nufiv crstandui ri 
nur selten in Befracht. /. B. wenn aut i irund des jj 224 oder .».'s 
StGB, der v orge lundciie Zustand v ««n Nechtum oder 1 ahmimg o.u r 
Geisteskrankheit aut eine Missliandumg zuriuk/u: .hielt ist. Di 
habe diese ganze I u.c muh nur hcr.dirt. um zu /eigen, »hiss wir 
uns nullt für ömmp-■teilte mm h.bare Nuhv erstand., e ha.tin, son¬ 
dern dass es uns mir erwünscht ist, wenn uns n.>Ji »emaiid lii.M. 
die schwere Verantwortung m »Iksui laben lur unser Gutachten zu 
tragen. 

.leiler. der gezwungen ist, ».Her an hi ' u hts», e r hand'-.mgen als 
Saehverstaruliger tt il/uiu tmu n. hat den M a n g e I e ■: {sprechen¬ 
der B e s t i m m u n g e u. welche es e r rn o g I i c h e n, c i n e n 
Zeugen körperlich oder auf seinen <ic i s t es / u s t a n d 
untersuchen zu lassen. cmpnm.Un. \ s c h a I t e n b u r g 
hat diesen PcsidcMcn einen sehr p:i/is«.m innl s v i..«rjen \is;r:uk 
gegeben. Eli gelle lll em/etiin PimMell Vielleicht iiodi etwas Wei¬ 
ter als dieser Autor. Denn uh bin m e r/engt, dass wir n.u't »Je -ti 
heutigen Na fiele eier lorsdiung zur I 'sv c•■.■ -gie der Ze u s e nausv, : 
gar nullt Meller (u itsmassre gcln genug ve: .r'geri komu n. 

I >ie B e u r t i i I ii n g d e r /. c u g n i s i , t h i g k e t t eines Me ri¬ 
schen ist aber ott eine de r s e h w i e r i g s t e n A u t g a b e n J..r »L. o 
psv e h i a t r i s e Ii e n > a c h v e r s t a n d i g c n. nanu nt uh w e !> ri 
t irenzzustände in Bet ras hl kommen. Di Me ,c dest;ab mit 
A schaff e n b u r n muh die I or der uug aut. dass zur genauen lest- 
Stellung eit r ZcllgniMahigkeit m Ausnahme:.! eti eventueii auji An¬ 
stalt s b e o h a e h t u n g Piogiufi s« in yd Wie \ s » tu i i c n - 
bürg Inn uh überzeugt, dass hie gegen eine starke < ippov: i-.p s;di 
gelt eitel m.u lien wir»l. denn eie r I aie Örndmi Schon im .»gemeinen 
alles was lrren.msi.dt heisst, mul n-uh \ ie mehr kranken an 1 1 .»m::i 
V orurteil nullt wenige unter den < ir e i://ust.uide n. I \ Ware vui- 
leulit ein Ausweg, wenn diese BcoKu httmg um auf d.» n \:.s:. t M 
und Kliniken pirchge tulut w ur de. vu.da am h über Abut’ir'g nur 
fm Ne r v e nk i unke unter \ussji ins \ ■ m I nole skui:ke;j verlegen. 
Ein Reu ht zur Besc Ii« er de ge gen d;e se ALissrege! de r B» • -L.ic fiti.n g 
Wird immer gegeben sein müssen. >.i» he des tie’uhts wiru »s sein, 
die < ii tuid-lage eler Beschwerde zu pumri. amh ist es a.isscr ., i n 
Zweifel, elass diese V\.issugel nur aut »lie a i , c r w i c n I'i g s t e ri 
Lalle w ir»l beschrankt werden tu .vven. weil i.i »!» i Aiue aus seinem 
Erwerbsleben herausgerissen Wird mul e utsp-edu a.! emtsdiad 
werden muss. 

I s w ur »le zu w eit ge he n. Wenn uh hier genauer aut die Zeug - 
n i s f a h i g k e i t il e r Geisteskranker» und d e r Grenz- 
zustande e mg eilen wollte, es sind muh diese V e r h., tmsse tri 
psv c luati isc heut Kreisen zur < u niue bekannt, amh b *be uh selbst 
die m Bet i,Kht kommenden V et ha luose in Jet he tum Vuhuge tiunur 
ger u htiu In n Psvdirnlrie wieder ziisumnu m; »ste t » le m, < i. I isc\>, 
loosi. V\ iinsc lie nsw er I w.ue es mr. dass .nu h » 1 er ln*ist m grosse¬ 
rem l mfarige suh mit eite seit I rage n be s„ hatiigeit rm-c ute. er wurde 
ilaim ehe W u htigkeit der gemachten Re t-nmv ..rs v ii age eusehen. 

Da d i e I i a g e. ob ein / e u g e vereidigt w e r d e ri 
soll, abgesehen von der \ItersgreüZe v-n In I.ihren, ganz abein 
eler Heien I >e w cisw ur »ligimg des Ruhters id’e T bissen «st, der unter 
l mstamleu muh Geisteskranke Vereidigen kam. gewinnen a c diese 
Fragen noch eine ganz besondere W ublüht it. Denn is» tri so,Jn - T 
Fall mit im psv eluatr isJu u Mwu* z w i ite .iiatter Zeugnis!.,: ^keut erM 
verenligt, dann bekommen seine Aussagen eine gewisse «f/ie 
Sanktionierung. Es ist eleshu'h besonde rs wichtig, dass bei s.-Ulur» 
Zeugen, w e I c Ii e f r n h e r einmal g e i s t e s k r a ri k g e w e s e u 
sind, zur Zeit der Vernehmung aber als ge sund he /euhiu! w erden 
müssen, wenn nmgluh. vo|i einem S »Jiv e?M mdigeii gt pmtt werden, 
um zu entscheiden, ob nicht em Re sidu.ijs.i' u aus »ier Zeit der 
Geisteskrankheit ehe Zeugemmissam beeil'.’ i;sst i \ s c h a f 1 e n - 
bürg). Dasselbe gilt .null iur Sachverständige. weDic s !w 
in dieser Enge heimden, 

Wer \ iei forensisch beschäftigt ist. w er f:.r:"g Vkte'i zu äseri 
gezwungen ist. vermisst . ,jt schttier/luh. »lass t - ,!.,s i mLuhtcn 

w i e h t i g e A u s s a g e n v o n fiuculii: 1‘rJi n u n d 
Z e u g cn nicht wörtlich, s .. n »I e r u n u r »! e m Sinn e 
nach angegeben sin ! Wenn man h gde ge ,,,: u il gut 
psv'ebiatrisc!i v orgebtlde te l ntersiuhuu-.s:' p. r ?■•: iet. vv e ehe ohrt y* 
weiteres dem Wunsche des >u erst.md ge *i' üiisguLn und. w . , 
es eriprdenuh erscheint. \ve»rt.:ch p r - t sobie'c:; lassen. 5 .. sinj 


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2 1. Juli 1008. 


MUENCHeNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1531 


das doch Ausnahmen; wir müssen es deshalb, wie Aschaffen¬ 
burg, als ein dringendes Desiderium bezeichnen, dass in der 
Novelle zur Strafprozessordnung eine Bestimmung aufgenommen 
wird, welche eine solche Protokollierung, womöglich stenographisch, 
dem begründeten Wunsche des Sachverständigen entsprechend, vor¬ 
sieht. Die stenographische Protokollierung hat den Vorzug der 
grösseren Exaktheit und der Zeitersparnis. 

Schon vor langen Jahren hat Leppmann darauf aufmerksam 
gemacht, dass, wenn irgend möglich, gegen einen Angeklagten, dessen 
Geisteszustand in Zweifel gezogen wird, verhandelt werden soll, 
weil immer die Möglichkeit vorliege, dass der Angeklagte gar nicht 
der Täter sei, oder dass aus einem anderen Grunde seine Frei¬ 
sprechung erfolge. Auch wenn der Angeschuldigte nach der ihm zur 
Last gelegten strafbaren Handlung in Geisteskrankheit verfällt, ist 
sehr zu wünschen, wenn verhandelt und nicht das Verfahren, wie das 
meist geschieht, zunächst eingestellt wird. Denn nichts hindert die 
Genesung eines Menschen so, als die sichere Erwartung, dass sofort 
nach der Genesung das Strafverfahren und die Hauptverhandlung 
ihren Fortgang nehmen. 

Auch in diesen Fällen kann ja das Gericht zu einer Freisprechung 
kommen, so dass der Kranke während der Rekonvaleszenz keine 
Sorgen vor dem Strafrichter zu haben braucht Aber auch wenn 
er nicht gesund wird, ist wie im ersten Falle es von ausserordent¬ 
licher Wichtigkeit, dass gegen ihn verhandelt wird. Denn ist die 
Anklage irrtümlich erhoben worden, so bleibt das Odium nicht auf 
dem Angeschuldigten sitzen, ein geisteskranker Verbrecher oder ein 
verbrecherischer Geisteskranker zu‘sein. 'Wenn er sich so bessert, 
dass man ihm einen Aufenthalt ausserhalb der Anstalt gestatten kann, 
macht seine Entlassung viel weniger Schwierigkeiten. Auch die 
Angehörigen werden stets aus naheliegenden Gründen damit einver¬ 
standen sein, dass nach Möglichkeit verhandelt wird. 


Die Verhandlungsfähigkeit ist streng genommen ein Begriff, 
mit dem sich der psychiatrische Sachverständige nicht befassen kann. 
Auch steht ja die Entscheidung immer bei dem Richter. Wird aber 
der Sachverständige gefragt, so wird er nach Möglichkeit immer 
dafür eintreten müssen, dass verhandelt wird. Selbstverständlich 
kann gegen einen Kranken mit schwerer Bewusstseinsstörung oder 
gegen einen Kranken im Zustande der Verwirrtheit und Desorientiert¬ 
heit nicht verhandelt werden, es muss immer noch eine gewisse 
Möglichkeit, der Verhandlung zu folgen, auf einfache Fragen sach- 
gemäss zu antworten, vorliegen. Wird natürlich das Gericht durch 
die aus krankhafter Ursache entspringenden Antworten des An¬ 
geklagten ungünstig beeinflusst, dann wird der Sachverständige am 
besten darauf dringen, dass die Verhandlung abgebrochen wird. 
Selbstverständlich muss in allen Fällen, wo ein Grenzzustand 
in Frage kommt, verhandelt werden. 

Die Verlesung des Protokolls über die Ver¬ 
nehmung eines Zeugen oder Sachverständigen, 
der nach der Vernehmung in Geisteskrankheit 
verfallen ist, ist nach § 250 StPO, möglich. 

In der forensischen Praxis geschieht das auch anstandslos, wenn 
nicht die Verteidigung aus irgend einem Grunde eingreift; und doch 
muss ein derartiges Vorgehen, wie Aschaffenburg mit Recht 
betont, von psychiatrischer Seite als sehr gefährlich bezeichnet 
werden. Wir wissen sehr genau, dass nicht wenige Formen von 
Seelenstörungen in ihrem Beginn viel weiter zurückreichen, als der 
Laie das anzunehmen pflegt, sehen wir doch öfter z. B. einen Unfall 
als Ursache einer Geisteskrankheit angeben, während wir bei ge¬ 
nauerer Prüfung feststellen können, dass der Unfall bereits Folge 
der Geisteskrankheit gewesen ist. Nehmen wir dazu, dass es auch 
vorkommt, dass dem Ausbruch der Psychose für längere Zeit ein 
Grenzzustand vorausgeht, und dass gerade in diesen Grenzzuständen 
nicht selten eine mangelnde Reproduktionstreue oder geradezu Re¬ 
siduen aus Dämmerungszuständen bei den Aussagen eine grosse 
Rolle spielen, ganz abgesehen von anderen krankhaften Erschei¬ 
nungen, welche die Zeugnisfähigkeit beeinflussen können, dann wer¬ 
den wir verstehen können, dass bei der Verlesung derartiger Proto¬ 
kolle ganz besondere Vorsicht am Platze ist. Was speziell 
die Sachverständigen betrifft, so spielt offenbar die progressive Para¬ 
lyse hierbei eine sehr wichtige Rolle. Ich habe es wenigstens zwei¬ 
mal erlebt, dass Aerzte, bei' denen ich in der Sprechstunde pro¬ 
gressive Paralyse mit starker Urteilsschwäche und starker Ein¬ 
busse der Merkfähigkeit feststellen konnte, nachher vor Gericht in 
der Voruntersuchung als Gutachter vernommen wurden. Als es zur 
Hauptverhandlung kam, befanden sie sich bereits in Anstaltsbehand¬ 
lung, ihr früher erstattetes Gutachten wurde aber anstandslos ver¬ 
lesen. 

Aehnliche Beobachtungen macht man sowohl bei Zeugen als bei 
Sachverständigen, wenn sich langsam und schleichend eine senile 
Seelenstörung oder eine arteriosklerotische Atrophie der Grosshirns 


entwickelt. _ . . , 

Es wird also im Interesse der Rechtssicherheit 
eine unumgängliche Forderung bleiben müssen, 
dass in derartigen Fällen ganz generell Sach¬ 
verständigegehörtwerden. 

Trotz dem klaren Wortlaut des § 493 wird einem 
Geisteskranken, der im Strafvollzug geistig er¬ 


krankt ist, die in einer Irrenanstalt zugebrachte 
Zeit nicht auf die Strafhaft angerechnet. Die Gründe 
die dafür bestimmend sind, scheinen hauptsächlich fiskalische zu 
sein. Denn wenn ein im Strafvollzug geistig Erkrankter in eine 
Irrenanstalt kommt, wird die Strafvollstreckung unterbrochen. Mit 
dem Moment, wo das geschieht, trägt die Kosten nicht 
mehr der Fiskus, sondern die unterstützungspflichtigen Kommunen 
und Provinzen. Es scheint das zu geschehen" auf Grund einer alten 
Kabinetsordre. Bresler zitiert eine solche aus dem Jahre 1825. 
Aber die Frage, wer die Kosten bezahlt, könnte uns schliesslich gleich¬ 
gültig sein, viel wichtiger ist, dass unsere Kranken durch 
dieses Verfahren nicht selten grossen Schaden 
nehmen. Sie kennen meistens, sckpn infolge ihres längeren Auf¬ 
enthaltes in Gefängnissen und Zuchthäusern, die Bestimmungen der 
§ 493 St.P.O. und rechnen sich aus, nachdem sie von ihrer Psychose 
in der Irrenanstalt genesen sind, oder nachdem die Symptome der 
psychischen Störung mehr zurückgetreten sind, dass nunmehr die Zeit 
ihrer Strafhaft abgelaufen sei, oder dass sie wenigstens nur noch so 
und so lange zu sitzen brauchen, wenn sie ins Gefängnis zurück¬ 
kommen, weil die in der Irrenanstalt verbrachten Monate und Jahre 
nach ihrer Meinung nach der klaren reichsgesetzlichen Bestimmung 
auf die Strafhaft angerechnet werden sollen. Sie verlassen infolge¬ 
dessen guten Mutes die Irrenanstalt, um dann zu ihrer grossen Ent¬ 
täuschung zu erfahren, dass es mit allen ihren Berechnungen nichts 
ist, dass die ganze in der Anstalt zugebrachte Zeit „vergeblich“ war, 
dass sich ihre Strafhaft also eigentlich, ohne dass sie etwas 
daf*ür können, verlängert hat. Denn dass sie während der Be¬ 
handlung in der Irrenanstalt aus der Strafhaft entlassen waren, ist 
ihnen nicht bekannt und auch, wenn man ihnen die Sachlage klar 
zu machen versucht, findet man aus leicht begreiflichen Gründen 
wenig Verständnis. Die Folge dieser oft grossen Enttäuschung ist, 
dass diese Individuen bei ihrem meist sehr labilen und leicht vul¬ 
nerablen Zentralnervensystem, sobald sie wieder in Haft sind, wieder 
erkranken und wieder unter Unterbrechung der Strafhaft einer Irren¬ 
anstalt überwiesen werden müssen. Dieses Spiel kann sich sogar 
öfters wiederholen. Das ganze Verfahren ist des Fiskus nicht würdig 
und ein Luxus auf Kosten der Steuerzahler der Provinzen und Kom¬ 
munen, welche die Kosten zu tragen haben. Ganz abgesehen davon, 
dass man immer wieder Fälle sieht, welche durch dieses Verfahren 
so geschädigt werden, dass es später unmöglich ist, eine derartige 
Besserung zu erzielen, dass sie ohne Unterstützung sich draussen 
ihren Lebensunterhalt selbst erwerben können. Dazu kommt noch, 
dass in den Fällen, wo eine längere, dauernde, aber nicht gerade 
unheilbare Psychose während der Strafhaft zur Entwicklung kommt, 
von der man nicht gerade sagen kann, dass sie unheilbar ist, die 
Möglichkeit einer Beendigung der Strafhaft eigentlich nie beseitigt 
werden kann und immer drohend über dem Horizont des nach langen 
Jahren endlich sich bessernden Kranken schwebt. Ich werde keinem 
Widerspruch begegnen, wenn ich erkläre, dass es dringend not¬ 
wendig ist, dass hier endlich Abhilfe geschaffen wird. 
Ganz besonders ungünstig gestalten sich die Fälle, wenn wir einen 
gegen Ende der Strafhaft geistig Erkrankten mit sehr labilem psychi¬ 
schen Gleichgewicht vor uns haben, der wegen eines Restes von ein 
paar Tagen oder Wochen wieder in die Strafhaft zurück muss, dort 
aber mit Sicherheit wieder krank wird, wie bereits praktische Er¬ 
fahrungen gelehrt haben, während seinem ganzen Zustande nach bei 
einer Entlassung in die Freiheit mit einiger Sicherheit zu erwarten 
ist, dass nichts Vorkommen wird und der Mann sich selbst wird 
weiter helfen können. Wenn es sich zum Beispiel um ein Affekt- 
verbrechen in der Trunkenheit unter ganz ungewöhnlichen Umstän¬ 
den, wie sie wohl niemals wieder Vorkommen, handelt, das mit einer 
längeren Zuchthausstrafe belegt ist. 

Ich habe es hier öfter versucht, Begnadigung für den kurzen 
Rest der Strafhaft zu erlangen, um dem Kranken die Rückkehr ins 
Leben zu erleichtern. Dies ist mir aber bis jetzt nur einmal unter 
grossen Schwierigkeiten gelungen. Eswäre erwünscht, wenn 
eseine gesetzgeberische Möglichkeit gäbe, in ähn¬ 
lichen geeigneten Fällen leicht und rasch eine Be¬ 
gnadigung zu erzielen. 

(Vergleiche auch Rixen, Psychiatr.-neurolog. Wochenschrift 
1907.) 

Die Notwendigkeit bei wichtigeren Fällen die Möglichkeit der 
Anstaltsbeobachtung nach § 81 StPO, über 6 Wochen aus¬ 
zudehnen, namentlich wenn mehrere Gutachter in Betracht kommen, 
ist so allgemein anerkannt, dass ich darüber kaum noch Worte zu 
verlieren brauche. 

(Schluss folgt.) 


Zur Behandlung des akuten Schnupfens. 

Von Dr. Hugo L ö w y, Spezialarzt für Hals-, Nasen- und 
Ohrenkrankheiten in Karlsbad. 

Die Frage, ob man die K o r y z a behandeln soll und kann, 
wird vielfach mit einem Lächeln abgetan, dessen Kommentar 
die Annahme ist, dass einerseits die Affektion nicht der Rede 

2 * 


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1532 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


wert sei, andererseits die ärztlichen therapeutischen Be¬ 
mühungen keinen deutlichen Wert besässen und gerne zitiert 
man die im Moritz Schmidt sehen Lehrbuch als trefflicher 
Ausdruck der Volksstimmc verzeichneten Spriichwörtcr, „dass 
der Schnupfen drei Wochen dauere und wenn man ihn be¬ 
handle 21 Tage“ oder gar „una buon infreddatura trenta nove 
giorni dura e quarant a qui la cura". 

Indessen ergibt sich aus dem oft hohen (irade der direkten 
Schnupfenbeschwerden, insbesondere aber auch aus der Häu¬ 
figkeit von daraus hervorgehenden und oft mit gefährlichen 
Komplikationen verbundenen Affektionen der Nasenneben¬ 
höhlen, des Mittclohres und der tieferen (im Sinne Hollän¬ 
ders „höheren“) Luftwege, dass eine wirksame Therapie sehr 
wünschenswert ist. 

Alles hängt also von der zweiten Frage ab, kann man die 
Koryza erfolgversprechend behandeln? 

Wenn ich diese Frage bejahe, so geschieht es auf Grund 
einer Behandluugsweise, welche mir so häufig den gewünschten 
Erfolg gezeitigt hat, den Schnupfen zu coupieren, dass sie der 
Allgemeinheit nicht vorenthalten werden darf. 

Auf der Suche nach einem Ersatzmittel für das in der Nase 
allzustarke Reizwirkung entfaltende Argentum nitricum, habe 
ich schon seit Jahren das Protargol erprobt und bin nach ver¬ 
schiedenen anderen, weniger effektvollen Applizierungsweisen 
(mittels Pinselung, Tropfen, Spray) dazu übergegangen, einen 
kleinen Wattetampon mit der Lösung -- 1U proz. - voll zu 
imbibieren und mittels Pinzette so in die Gegend des vorderen 
l eiles der mittleren Muschel einzulegen, dass auf dem Wege 
dahin ein Teil der Lösung über die ganze untere Muschel 
sowie in den mittleren Nasengang und nach Möglichkeit in 
den Sulcus olfactorius gelangt; hier zwischen Septum und mitt¬ 
lerer Muschel oder auch im mittleren Nasengang bleibt der 
kleine Tampon hierauf einige Minuten liegen und wird dann 
wieder mittels Pinzette entfernt. Dies gewöhnlich beiderseits 
und einige Tage wiederholt, auch mehrmals im Tage. Der 
Erfolg ist bei ganz frischen Fällen von Koryza gewöhnlich 
eklatant, etwas weniger bei bereits mehrere Tage alten, ganz 
prompt wieder bei länger, mehrere Wochen verschleppten, 
mit reichlicher Sekretion einhergehenden Fällen, bei welchen 
übrigens auch Lapislösungen am Platze sind. Bei unzugäng¬ 
licher Verschwellung kann der Tampon durch Abdrängen 
immerhin oft ohne Vorbereitung plaziert werden, oder cs wird 
Kokainisierung vorausgeschickt, was auch sonst geschehen 
kann. 

Von der unterstützenden Verwendung der Nebennieren- 
präparate bei Koryza bin ich abgekommen, nachdem gelegent¬ 
liche Rcizwirkungen nachgefolgt waren, welche gerade hier 
nicht erwünscht sind. 

Um Reizwirkungen, wenn auch rasch vorübergehender 
Natur, zu vermeiden, ist auch bei der Verwendung des Pro- 
targols eine gewisse Vorsicht angezeigt, indem die erste Appli¬ 
kation nicht allzulange ausgedehnt wird und eventuell eine 
schwächere Lösung zur Anwendung kommt. 

Obwohl das Protargol bereits seine rhino-laryngologische 
Geschichte hat und es, wie mir nachträglich zur Kenntnis kam, 
von Skillmann 1901 im „Journal of eye, ear and throat 
diseases“ für akute Rhinitis als 2 proz. Spray (0,1 -1 proz. fiir 
Kinder) empfohlen wurde, hat es doch bis jetzt keine Popu¬ 
larität bei dieser Affektion erworben, vielleicht darum, weil die 
Anwendungsform des Sprays an Wirksamkeit keineswegs der 
oben beschriebenen gleichkommt*). Freilich kann das Verfahren 
der Tamponeinführung nur von der Hand des Arztes ausgeführt 
werden und es empfiehlt sich daher vielfach, daneben, zumal 
bei wiederholter Applikation oder Ortsentfernung des Pa¬ 
tienten, eine 2- 5 proz. Lösung zu instillieren oder mittels Spray 
zu applizieren; bei Kindern wird man sich gewöhnlich darauf 
beschränken müssen. 


*) Anmerkung hei der Korrektur: In No. Id dieser 
Wochenschrift, 190s, teilt Sanitätsrat Berliner „Line Behandlung 
der Angina auf dem Wege durch die Nase mittels Protargnl- 
. 1 he“ mit und bemerkt: „auch bei Schnupfen habe ich die Salbe an- 
endet und die Patienten über die Verordnung sich dankbar 
ern hören“. 


No. >9 


Diese Instillationen, fur w eiche ein Augentr* «piglas oder 
ähnliches gelingt bei vollständig naJi rückwärts gene.gtcr 
Kopfhaltung, um eine wirksame Bespulung der Imheren Jede 
der lateralen Nasenwand zu erm« »glichen lasse idi a.iJi in 
allen Fällen von akuter Otitis vornehmen und gebe d.e \cr- 
ordnung den Patienten mit chronischen und rezidivierendut 
Mittelohrentzündungen aus proph\laktischen Granden mit aal 
den Weg zur Anwendung bei akiit-rhimt s v hen ErsjRun::::gi$b 

Dass Jullien (Revue int. de Mid. et de Jur. 3 

bis 3 proz. Protargnlspulungen bei eJiter Nasenhlemn'»r:tn>e 
empfiehlt und diese in vielen Fallen von Korwa der Neuge¬ 
borenen vermutet, verdient hier angeführt zu werden, obwohl 
es sich ihm nicht um die gewöhnliche Kory/a handelt. 

Erwähnt sei ferner, dass ich bei sicherer Rhinitis vaso- 
motoria einen auffallenden Erfolg mit Protargol nicht zu si!r:i 
in der Lage war, obwohl gegenteilige Beobachtungen von 
Baum garten (Ofen-Pest) und Alexander ilierl.i.) vor¬ 
liegen. Bei verschleppter katarrhalischer Rhinitis können ähn¬ 
liche Symptome erfolgreich mit Protargol behandelt werden; 
Verwechslungen auf diesem Gebiet sind nicht immer so leicht 
zu vermeiden. 

Die dem „tuto" und „cito“ fnr sich allem Genüge lei¬ 
stende Protargoltherapie wird nach der Seite des ,.uictiuJe’* 
in vorteilhafter Weise ergänzt durch eine e.uiUvhc I'orm der 
Inhalation von Menthol und Kampher 4:3 (oder ;n anderem 
Mischungsverhältnis), welche ich gleicht.» 's seit mehreren 
Jahren zu verordnen pflege. 

Menthol unJ Kampher vermengen vJi zu e.ner nl.gcu 
Flüssigkeit, von welcher aus der I ropftias Jie einige TropLn 
in das zum Sieden erwärmte, einige Zentimeter hoch m emem 
Reagenzglaschen stehende Wasser zugeingt werden. Die s\h 
entw ickelnden feuchten Menthol-Kampher-I >amp?e, w eiche bei 
der allmähligen Abkühlung erst durch Anfschatteln, dann durch 
neuerliches vorsichtiges (wegen der Neigung /um \ erpuffet:) 
Wiedererwärmen - wozu eine stets d:s;>,>n.b'e Kerze ge¬ 
nügt - - wieder angeregt werden, inhaliert der Patient 3 3 mal 

täglich 5 ln Minuten lang durch die Nase in alle Jede des 
Respiratirnsiraktes. au deren Wanden sie subl imeren werden. 
Besonders kommt auch hier der Nustnradieuruum in Betracht, 
die prophylaktische Fürsorge fur d.e Iubeng.gcnJ sowohl he: 
akuten als auch chronischen Katarrhen, m welch letzteren Lal¬ 
len die Anwendung zw eckmassiger Weise durdi einen län¬ 
geren Zeitraum in einem gewissen Turnus geschieht. 7 . B. e.n 
Jahr lang in jedem Monat eine oder zwei Wochen laug. 

Neben dem Rezept 

Rp. Menthol 4." 

Latnplior. ' 

M. U r. I iqtieM.u tum da ad lag. c. ej' st. 

glitt, nunnm-rant. 

I»S. Zns.it/ zur Inhalation 


erhält der Patient luigefugtes Diagramm a’s ( 
Weisung mit, die viele Worte sparen hält. 

Dass die Nase nicht darüber gehalten werde, 
während die darunter gesetzte Flamme d e M - 
scliung ms Sieden versetzt, muss erfali rurgsge- 
muss besonders emgescharit werden, dam,: keine 
Verbrühung infolge Aufpuffe ns resultiere. L u 
wenig Vorsicht in diesem Sinne lasst das s:d;„r 
verhüten. Statt des Reagenzglases mag e it < i i>- 
kolbchen oder ein Formauglas ohne -Xiifsat/ \e r - 
wendung finden. 

Diese ungemein einfaJie und sparsame \u- 
ordmmg scheint mir dem MassenK .1 irm s .im 
meisten zu entsprechen und fur geu . >hu , Ji G»m- 
pliziertere und kostspieligere, w um audt /\v%>k- 
massige \ orrichtimgen wie zu tri iLsp.J di#. 

S a e n g e r sehen „Arzneiv erda::;;'t:mgsa;-; ar.t:“ 

((i e n t s c h in Magdeburg) zu ersetzen. 

Neuerlich hat M a d e r in V*. 37 der M mJi. 
med. W ochcnschr. 1 »7 eine M O :::g von Men¬ 
thol Ol. pin. pumil aa. auf Z'e We.se v er¬ 

dampft, zu Kathetenilsim’at. • - uu M ttc '• d;r eui; 
faclier sind wohl Dämpie Mc oder Ka:i;;3 


L braiulis i;;- 


‘“i r 







m'hieu. K lit¬ 
te r in Ae: hu r 


□ riginBl frorri 

UNIVERSITY OF MINNEN 


Üigitized Dy Go gle 




21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1533 


sulf. (1 : 10)» wovon einige Tropfen in den Politzerballon ein¬ 
geführt werden (U r b a n t s c h i t s c h). 

In No. 9 der „Russischen medizinischen Rundschau“ von 
L i p I i a w s k y 1907 finde ich eine Mitteilung von Prof. H. 
Krause, dass sich ihm das Oleum menth. pip. in einer Mi¬ 
schung von 2,0 zu 18,0 Alkohol absol. und 80,0 Wasser in 
ähnlicher Verwendung bei akutem Schnupfen gut bewährte. 
Er hat wegen des gelegentlichen Verpuffens beim Erhitzen dem 
Reagenzglas eine besondere Form geben lassen (bei Pfau, 
Berlin). 

Man wird immerhin auch Gelegenheit haben, durch An¬ 
wendung von Kokain, Adrenalinpräparate, Anästhesin u. ähnl. 
enthaltenden Lösungen, Pulvern und Salben einzelnen sym¬ 
ptomatischen Indikationen zu genügen — eine detaillierte Dar¬ 
stellung aller diesbezüglichen Möglichkeit ist hier nicht be¬ 
absichtigt. 

Dagegen muss noch der Algemeinbehandlung vor allem 
durch Diaphorese Erwähnung geschehen, welche als be¬ 
sonderes itn Anfang oft wirksam mit Recht populär ist. An¬ 
gesichts des empfindlichen Zustandes, in welchem der Patient, 
ohnehin von Komplikationen bedroht, sich besonders nach 
reichlichem Schwitzen befindet, empfehlen sich hiezu aus¬ 
schliesslich häusliche Schwitzprozeduren, am einfachsten mit 
Hilfe von 1,0—1,5 Aspirin in reichlich warmem Thee mit 
folgender trockenwarmer Einpackung, wo Schwitzkastenvor¬ 
richtungen — Dampf oder Heissluft — im Hause verfügbar 
sind, auch diese. 

Bei starken Allgemeinbeschwerden und Kopfschmerzen 
sind Antipyretika darzureiohen. Die Kopfschmerzen, be¬ 
sonders im Ablauf, werden häufig günstig beeinflusst und zum 
Schwinden gebracht durch einige „negative Politzer“ resp. 
Ansaugungen nach Sondermann. 

Last not least möchte ich eine mir für die Koryza sonst 
nirgends begegnete diätetische Vorschrift hervorheben, welche 
wesentlichen Vorteil zu bieten vermag. Es ist die Anordnung, 
jederzeit von der Nasenattnung Gebrauch zu machen, 
ganz besonders aber imZustandakutenSchnupfens, 
wenn die Durchgängigkeit der Nase nur irgend dazu ausreicht; 
dies ist ja häufig genug der Fall, oft aber stellt sich die Passage 
rasch ein sobald nur erst einige unter geringem Druck (in einen 
vorgehaltenen, leicht überwindbaren Widerstand wie Watte 
oder das Taschentuch) stattgehabte nasale Exspirationen Ab- 
schwellung herbeigeführt haben. Die Nasenschleimhaut kehrt 
bei aufrecht erhaltener Lüftung rascher zur Norm zurück als 
ohne dieselbe; die Ausschaltung der Nase, vom Respirations¬ 
akt stellt eine direkte Schädigung für sie dar. 

Im Uebrigen muss dieser Vorschrift hier auch wegen ihrer 
eminenten prophylaktischen Bedeutung gedacht werden, denn 
bei Befolgung derselben im gesunden Zustand sind Erkältungs¬ 
katarrhe und selbst tiefergreifende Entzündungen der Luft¬ 
wege sicherlich gar häufig, vielleicht in der Mehrzahl der Fälle, 
zu verhüten. 

Bedingung dazu ist freilich neben der vorhandenen, einiger- 
massen ausreichenden, eventuell in allen Fällen herzustellen- 
dt*n, aber auch nicht übermässigen Nasendurchgängigkeit auch 
noch Berücksichtigung eines zweiten hygienischen Gebotes: 
Eile mit Weile . . . d. h. tunlichst nicht über die Grenze 
hinaus, welche durch die für die Befriedigung des Luftbedürf- 
n:>ses ausreichende Nasenatmung gegeben ist; — auf dass Du 
iange lebest! könnte hinzugefügt werden. 

Dies gilt natürlich besonders für körperliche Tätigkeit im 
Freien bei ungünstigen Witterungszuständen, insbesonders 
Kalte, und unter denselben Umständen auch für das Sprechen, 
ius ja zur Mundatmung zwingt. 

Soweit nasale Prophylaxe mehr weniger benachbarter 
Direktionen ; für die Koryza selbst dürfte übrigens das Moment 
kr „Erkältung“ durch plötzliche Abkühlung perspirierender 
feutbezirke u. ähnl. tatsächlich die erste Rolle spielen, wovon 
i er nur andeutungsweise gesprochen werden kann. So vulgär 
ciese Tatsachen auch seien, sie können gerade darum nicht 
genug nahegelegt werden, wenn wir vor der Therapie der 
Prophylaxe dienen wollen; für die Therapie der Koryza aber 
<j as protargol nicht ungenützt bleiben. 


Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Giessen (Prof. 
Dr. P o p p e r t). 

Volare, mit typischer Radiusfraktur komplizierte Ulna¬ 
luxation. — Ulnarislähmung. 

Von Dr. T h o n, Assistenzarzt der Klinik. 

Am 19. III. 08 kam der 22 jährige Schreinergeselle C. L. in unsere 
poliklinische Behandlung. Während er einen Türflügel auf dem 
rechten Arme trug und denselben über seinem Kopfe mit der linken 
Hand stützte, war er zu Fall gekommen, indem er auf glattem 
Terrazzoboden mit beiden Füssen gleichzeitig nach vorn rutschte und 
nach hinten auf die rückwärts ausgestreckte linke Hand nel Die 
Hand wurde dabei stark dorsal flektiert. Nachdem er schon zu Boden 
lag, rutschte er infolge des Schwunges noch ein wenig weiter nach 
vorwärts, so dass die linke Hand, wie er genau angibt, zum zweiten 
Mal noch stärker dorsalflektiert wurde. 

Als der Verletzte in unsere Behandlung kam, war die Gegend des 
linken Handgelenkes schon so ausserordentlich stark geschwollen und 
dabei so schmerzhaft, dass der Patient schon bei leisem Drucke und 
bei den geringsten Bewegungsversuchen laut aufschrie, und die Dia¬ 
gnose ohne Narkose nur noch durch Röntgenaufnahme ermöglicht 
wurde. Die Hand stand ohne seitliche Abweichung in der Verlänge¬ 
rung der Vorderarmachse, dagegen in sehr starker dorsaler Verschie¬ 
bung, so dass fast eine Luxation der Hand nach dem Handrücken 
vorgetäuscht wurde. Nebenstehende Umrisszeichnung (No. 1) lässt 
die erhebliche Abknickung nach dem Dorsum deutlich erkennen und 
zugleich auch die starke Verkürzung der Handgelenksgegend. 



No. 1. No. 2. No. 3. 


Das dorso-volare Röntgenbild (No. 2) zeigte nun, dass ein typi¬ 
scher Radiusbruch mit mehrfacher Frakturierung des distalen Frag¬ 
mentes vorlag; ferner dass dieses Fragment und mit ihm die Hand¬ 
wurzel so weit proximalwärts verschoben war, dass das proximale 
Radiusfragment und das unverletzte Ulnaköpfchen zum Teil durch 
die Schatten der proximalen Handwurzclknochen gedeckt wurden. 

Auf dem seitlich aufgenommenen Röntgenbild (No. 3) sah man 
das ca. 2Vz cm lange, distale Fragment der Radiusfraktur um die 
ganze Dicke des Knochens dorsal und auf der Radiusdiaphyse weit 
proximalwärts verschoben, so dass das Fragment auf der Diaphysc 
reitet. Das Köpfchen der Ulna dagegen stand volar unter den Hand¬ 
wurzelknochen, und zwar so erheblich verschoben, dass sein Pro¬ 
cessus styloideus fast das Os pisiforme erreichte. 

Es handelte sich also um eine mit typischer Radiusfraktur kom¬ 
plizierte, volare Luxation im unteren Radioulnargelenk. 

Durch sofortigen, geringen Zug liess sich das stark proximal 
dislozierte Radiusfragment leicht so weit herunterziehen, dass die 
Ulna wieder an ihre normale Stelle rückte. Die Reposition der 
Radiusfraktur wurde am folgenden Tage (20. III. 08) in Narkose vor¬ 
genommen. Sie gelang auch fast vollkommen, doch hatte das mehr¬ 
fach frakturierte, distale Fragment grosse Neigung, in seine fehlerhafte 
Stellung zurückzukehren, so dass ein Gipsverband, der gut gepolstert 
war, angelegt werden musste. 

Der Gipsverband wurde nach ca. 2 Wochen entfernt und mit 
Handbädern, Massage, leichten aktiven und passiven Bewegungen 
begonnen. Die Fraktur war konsolidiert mit geringer Dislokation. 
Schon damals fiel die eigentümliche Fingerstellung der linken Hand 
auf. 

Bei der Untersuchung am 23. IV. 08 wurde folgender Befund auf¬ 
genommen: 

Handrücken und Handgelenksgegend noch etwas geschwollen. 
Radiusfraktur mit geringer Dorsal- und Radialverschiebung fest kon¬ 
solidiert. Dorsalflexion ist beiderseits nahezu gleich. Volarflexion 
noch etwa zur Hälfte behindert. Pronation frei, Supination ca. V« be- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


schränkt. Auf die seitlichen Bewegungen (Radialad- und -ahduktion) 
sind noch etwas beeinträchtigt. 

Die Beugung der Finger ist gut. Der Faustschluss vollkommen. 
Bei dem Versuch, die Einger zu strecken, w ird der 4. und 5. Eiliger 
im ürundgelenk um ca. 30° resp. 5(1° überstreckt, wahrend die 
Mittelgelenke dieser Eiliger leicht gebeugt gehalten werden, w ie dies 
das gewöhnliche Bild der U I n a r i s I ä h m ung ist. Streckung der 
übrigen Einger ist frei. Auch kann der etwas abgespreizt stehende 
Kleinfingcr an die übrigen Einger nicht angelegt werden. 

Auf dem Dorsum der ulnaren Seite des 4 . Fingerendgliedes ist 
die Sensibilität für Berührung etwas abgeschwächt, ebenso aut der 
Dosalseite des Endgliedes des 5. Eingcrs. hier aber etwas weniger 
deutlich wie am 4. Einger. Auf der Beugeseite ist die Sensibilität 
für Berührung am Kleinfinger, der Kleinfingerseite der Hand nebst 
KIcinfingerballen erloschen. Ebenso ist an den gleichen Stellen das 
Gefühl für spitz und stumpf und die Schmerzempfindung deutlich 
herabgesetzt. Am Mittel- und Endglied des Kleinfingers kann auf 
der Beugeseite und dem Kleinfingerballen warm und kalt nicht unter¬ 
schieden werden, während dasselbe Gefühl auf dem Dorsum des 
Mittel- und Endgliedes etwas verlangsamt ist. 

Während an der Vorderarmmuskulatur keine Veränderung der 
elektrischen Erregbarkeit nachzuweisen ist. zeigt die Inten.ssei- 
muskulatur komplette Entartungsreaktion; sie ist faradisch nicht er¬ 
regbar; galvanisch ist die Erregbarkeit stark herabgesetzt, die 
Zuckung selbst ist träge. K. S. Z. < An. S. Z. 

Eine Atrophie der Zwischenknochenmuskulatur ist wegen der 
noch bestehenden Weichteilschwellung nicht nachweisbar. 

Es bandelt sich also um ein Bild, wie wir cs bei einer 
Ulnarislähmung zu sehen gewohnt sind. Die Schädigung des 
Nerven ist wohl auf eine Zerrung und Quetschung seines di¬ 
stalen Abschnittes durch das weit nach unten herausgetretene 
Ulnaköpfchen zurückzuführen und obgleich die Luxation schon 
spätestens 2 Stunden nach der Verletzung reponiert wurde, 
war die Läsion des Nerven schon so stark, dass er sich bis 
jetzt noch nicht erholt hat. 

Was nun den Entstehungsmechanismus betrifft, so sind die 
genauen Angaben des Mannes von W ichtigkeit. Lr rutschte 
mit beiden Füssen gleichzeitig aus und fiel rückwärts auf die 
vorgestreckte Hand, die dabei stark dorsalflektiert wurdiG also 
der typische Entstehungsmechanismus der dorsalverschobenen 
Radiusfraktur. Weiter gibt er aber noch an. er sei nach dem 
Fall noch eine kurze Strecke weitergerutscht und dabei sei 
die Hand nochmals stärker dorsalflektiert worden. Man kann 
nun zwanglos annehmen, dass in dem Moment, in dein die 
stark dorsalflektierte Hand den Hoden erreichte, die typische 
Radiusfraktur entstanden ist und erst bei der nochmaligen 
stärkeren Dorsalflexion die hochgradige Dorsal- und Proximal- 
verschiebung des distalen Radiusfragmentes eintrat. Diese 
war aber nur dadurch ermöglicht, dass die Ulna volarwärts 
auswich, also in diesem Falle luxiertc. Die Luxation im unteren 
Radioulnargelenk kommt also bei der typischen Radiusfraktur 
nur dann zustande, wenn nach Eintritt der Radiusfraktur die 
Gewalteinwirkung noch nicht erschöpft ist, sondern noch 
weiter geht. 

Luxationen im unteren Radioulnargelenk, auch die mit 
typischen Radiusfrakturen komplizierten, sind bis jetzt nur sehr 
selten im Röntgenbild dargestellt worden. Ja. es dürfte sogar 
eine einschränkende Korrektur der vor der Röntgenkontrolle 
veröffentlichten Fälle wohl am Platze sein, da die Luxationen, 
wie H ö n i g s ch m i d t ‘), B a u m *) und ich 5 ) bei Leichenver¬ 
suchen gefunden haben und auch M a r d e n h e u e r *) angibt, 
meist inkomplett bleiben. Allerdings können bei typischen 
Radiusfrakturen so hochgradige Verschiebungen eintreten, 
dass Fragmente und Vorderarmknochen in drei verschiedenen 
Ebenen liegen und dadurch eine Luxationsstellung der Ulna 
zustande kommt — eine Deformität, die mit Sicherheit nur 
durch stereoskopisches Röntgenbild nachzuweisen ist. und auf 
die schon Oberst 5 ) in seinem Atlas der Frakturen und Luxa¬ 
tionen Hinweisen konnte. Immerhin dürften derartig schwere 
Verschiebungen, w ie in unserem Falle, sehr selten sein und in 
der Tat habe ich in der mir zugänglichen Literatur einen ähn- 

4 ) H ö n i g s c h m i d t: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. X. 

1878. 


liehen nicht finden können. Ausserdem aber bietet er noch 
ein ganz besonderes Interesse deswegen, weil sich irn An¬ 
schluss an diese Verletzung eine U I n a r i s 1 ä h m u n g ent¬ 
wickelte. 

Durch Leichenversuche gelang cs mir. in einer früheren 
Arbeit 3 ) nachzuweisen, dass die einfachen, nullt mit anderen 
Verletzungen komplizierten Luxationen, wenigstens die nach 
der Beugeseite durch forcierte Supination und l eberstreckung 
der Hand hervorgerufen werden können. Den Entstehuugs- 
mechanismus der mit typischer Radiusfraktur komplizierten 
volaren Luxation im unteren Radioulnargelenk glaubte uh 
an der Hand unseres Falles zeigen zu können. 


*) Baum; Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 67. m»i’. 

3 ) Thon: Zum Entstehungsmechanismus der Luxationen im 
unteren Radioulnargelenk. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, s4. 1 *x»o. 

4 ) Bar den heuer; Verletzungen der oberen Extremitäten. 
Deutsche Chirurgie, Bd. 63. 1886. 

“) Oberst: At’as der Frakturen und Luxationen. 1901. 


Aus dem gcrichthch-mediziiiixJicu Institut zu \\ icn. 

Beitrag zur Kasuistik des Selbstmordes während der 
Geburt. 

Von Pr. Kurt v. Sur y. Assistent an dem Institut. 

Der Versuch und auch die Ausführung eines Selbstmordes 
während der Geburt sind sehr selten. Fs ist deshalb wohl an¬ 
gebracht. über einschlägige Falle zu berichten. Abgesehen 
vom psychologischen Interesse, das man solchen Vorkomm¬ 
nissen stets entgegenbringt, kann auch im speziellen der 
Suizidversuch forensische Bedeutung erlangen. 

In der Literatur sind über Mnzidx ersiiv.be uahrenJ der titDurt 
nur wenige Falle /u finden. Ms erster hat Ustandcr 1 ) eine t rau 
beobachtet, die, sonst schon von sehr heiligem Naturell, mto.gc der 
starken Wehen aus dem lenster springen wollte. 

M u c k I c n b r o i c h *) berichtet uber einen Fall, in dem sich 
| eine Mehrgebarende nach dreitägiger W ehentatigkcit aus JsJnr.e'/ 
und Angst mit einem Rockbunde zu strangulieren \ersuchte. Neuer¬ 
dings verfugt > i e g w a r t ) über eine ahn'uhc Beobachtung. Jv s.« hr. 
Frau. 7. Gebärende, seit 2 Tagen Wehen. B'asensprung v>r lr* Mun¬ 
den. Temperatur 3\n •; sehr starke l n r u h c. Rechte «ie- 
sichtslagc. Kinn nach hinten. In einem unbewachten Moment begab 
sich die Frau auf den Abort und knuntte sich auf. wurde aber ir.cu.ti 
abgeschnitten und wiederbekht. Darauf in tiefer N.rkosc Gehurt 
durch Wendung sofort beendigt. Die M mptomc. die Patientin rach 
dem Mrangulationsxersuch In.t, sind sehr interessant und stimmtn rn 
allgemeinen mit denjenigen, die man Sonst an w it Jcrbcicbtcn t r- 
hangten erheben kann, ubcrcin. t.s bestand tiefes K *ma. schwere, 
röchelnde Atmung; Pupillen starr, weit. reakti*»ns|..s; starke m< to¬ 
rische l nrulic. Nehon im Laufe des ersten lages he'lte sich das >cn- 
sorium auf und Patientin erinnerte sich sogar ihres >c!bstni*»r d- 
versuchs. es bestand also für diese Zeitperu.de keine retn.grade 
Amnesie. In den nachsttolgenden 'lagen unter Schüttelfrösten und 
hohem Lieber beidseitige Paramctritis. ohne Sinnens er w irrung ; Aus¬ 
heilung. 

Während cs sich in diesen 3 Mittelungen nur um ver¬ 
suchten Selbstmord in der Geburt handelte, kann uh im 
folgenden über zw ei F ä Ile v <> n voll c n d c t c m S u i z i J 
i in der Geburt berichten. 

I. Fall. 22 i a h r i g c ledige Zcitungstragcrin; ihre 
\ngehorigcn haben von einer Schwangerschaft nichts beme-kt und 
es soll die Verstorbene sonst, auch psychisch, stets e e s u n d 
Gewesen sein. In den letzten Monaten hat sie \«*n Zeit zu Zeit nbir 
Bauchkrampfe geklagt. Das Mädchen 
ging mit der Angabe, etwas besorgen zu 
müssen, von zu Mause fort in ein in der 
Nahe befindliches Magazin, wo sic der 
I Verkäuferin wiederum sagte, dass sic 
noch weitere Kommissionen zu machen 
habe. Kurz darauf wurde sie im elter¬ 
lichen Mause am Boden eines 1 ichthofes 
in einer gr »ssen Blutlache lugend tot auf- 
gefunden. Ihr Logis war imi 2 . Sto v ke. 
daselbst stand das m den I uhtbof 
führende Fenster offen. so dass mit Recht 
angenommen w ird, dass sich das M «d- 
chen von hier heruntergest'irzt hat. Die 
Person soll früher, vor der utzt bestan- 
denetien Schwangerschaft, suh d ihm gc- 
iiiis.se rt haben, dass sie sich etwas an- 
tue. wenn sie einmal schwanger wurde. 

Die Leich e. zu einer Lebungs- 
sektion verwendet, war mittc’go.ss. von 



') Osi ander: Neue Denkwürdigkeiten. 17u7. 

J ) M li c k I e n b r o i c h: lo'schott zur f eicr des 5o iTiltr igei 
Jubiläums der Aerzte des Reg-Bez. D sse-Jo'-f, 

i : • * W ". i l*s% *>:.«!'ie u. Vrxenkrankh. 1 »7 


*) J 
Bd. 4?. 5 2 


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Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1535 


ziemlich gutem Ernährungszustand. Haut im ganzen blass, 
mit wenig blassrötlichen Totenflecken rückwärts. Linker Ober¬ 
arm in der Mitte deutlich difform, abnorm beweglich; auf Einschnitt 
zeigt sich der Humerus ungefähr der Mitte entsprechend quer frak- 
turiert. Auf der Aussenseite des unteren Femurdrittels rechts eine 
10 cm lange Rissquetschwunde, aus welcher spitze Knochensplitter 
herausragen; der Femur ist in dieser Höhe ausgedehnt zertrümmert. 
Abdomen nicht besonders aufgetrieben, sein Umfang entspricht auf 
alle Fälle nicht dem einer Hochschwangeren. Brüste grösser, ent¬ 
leeren auf Druck mässig viel wässrige Flüssigkeit. 

Zwischen den grossen Labien ragt ca. 4 cm weit 
eine mit 1%—2 cm langen Haaren besetzte Hautfalte 
hervor, die, wie die nähere Besichtigung ergibt, aus der Va¬ 
gina kommt. Der Hymen ist schmal, Introitus vaginae zweikronen¬ 
stückgross; der touchierende Finger stösst in der Vagina auf 
Knochenfragmente. 

Beim Auseinanderhalten der grossen Labien wird eine aus¬ 
gedehnte Verletzung der vorderen Schamspalte 
sichtbar. In ihrer oberen Hälfte sind die kleinen Labien nebst der 
Klitoris von ihrer Verbindung mit den grossen Labien abgerissen, 
so dass ein weit klaffender, ungefähr dreieckiger Defekt entstanden 
ist, dessen rechter Schenkel 4 cm, der linke 4,5 cm lang ist. In 
dieser Wunde sieht man eröffnete Gefässlumina und stark blutig 
suffundiertes Fettgewebe. An der oberen Kommissur der grossen 
Schamlippen findet sich eine zweite nur oberflächliche, 2 cm lange, 
nach oben rechtskonvexe Kontinuitätstrennung. Im übrigen keine 
anderen äusseren Verletzungen. 

Schädeldach unverletzt, Gehirn etwas blass, o. B. Halsorgane 
o. B. Rechte Lunge mässig gedunsen, linke klein und schlaff, beide 
Lungen sowie das Herz unverletzt. Links hinten vom Ansatz des 
Herzbeutels an das Zwerchfell, entsprechend auch dem linksseitigen 
Ende des Lig. coronarium hepatis ist das Zwerchfell in einem 
Umfang von 7 cm Länge und 5 cm Höhe eingerissen. Durch 
diesen Defekt ist der mit mässig reichem Inhalt gefüllte Magen 
bis über den Pylorus hinaus in die linke Pleurahöhle ein¬ 
getreten. Daselbst ca. 100 cm flüssigen Blutes. Das präverte¬ 
brale Oewebe besonders auf der linken Seite der Brustwirbelsäule 
von einer ziemlich grossen Menge teils geronnenen, teils noch flüssi¬ 
gen Blutes durchsetzt. Es ist der 4. Brustwirbelkörper 
schräg von oben rechts nach links unten frakturiert und die 
Aorta descendens zeigt in dieser Höhe eine quere, 
leicht spiralige Ruptur, deren Enden am vorderen Umfang 
des 4 cm breiten Gefässes Vz cm übereinander stehen. 

In der Bauchhöhle finden sich 200 ccm flüssigen Blutes. Leber¬ 
oberfläche mit zahlreichen kleinen Einrissen; im Mesenterium stellen¬ 
weise geringe Mengen geronnenen Blutes. 

Der Uterus ist stark vergrössert, sein Fundus steht in Nabel¬ 
höhe. Ueber den Fundus verläuft 2 Querfinger rechts von der 
Mittellinie von vorn nach hinten eine 10 cm lange, schlitz- 
artige O e f f n u n g, die das Cavum uteri eröffnet. Das Peritoneum 
ist an beiden Rissenden noch 1 cm weiter eingerissen wie die Mus¬ 
kulatur. Aus dem Uterusinnern sind durch diesen Riss 
im vorderen Anteil die beiden unteren Ex¬ 
tremitäten und der Beckenring des Kindes, 
sowie hinten ein kleinhandtellergrosses Stück 
Plazenta in die freie Bauchhöhle ausgetreten. Das p r ä - 
vesikale Gewebe ist zerfetzt und blutig suffundiert, 
man sieht daselbst ein grösseres, freibewegliches 
Knochenfragment, das offenbar dem linken Schambein an¬ 
gehört. Nach vorn gelangt man anstandslos in die oben erwähnte 
grosse Wunde der Klitorisgegend. Die Verletzung setzt sich nach 
links hinten fort. Die Untersuchung des kleinen Beckens ergibt, dass 
der kindliche Schädel tief im Becken steht und die 
Vagina weit gedehnt ist. Letztere ist auf ihrer linken Seite durch 
einen 7 cm langen Riss, der sich als direkte Fortsetzung der 
Klitoriswunde nach hinten links darstellt, eröffnet. 

Die übrigen Bauchorgane, namentlich Harnblase mit Urethra 
und das Rektum unverletzt, nur sind alle ausgesprochen anämisch. 

Die untere Korpushälfte, die Zervix und der obere Teil der 
Vagina wurden in der vorderen Mittellinie sorgfältig eröffnet. Das 
wohlgebildete, ca. 50 cm lange Kind ist in 1. Hinterhauptslage 
eingetreten und findet sich der Kopf im rechten schrägen Durch¬ 
messer. Das aus der Vagina herausragende Hautstück entspricht , 
einem 10 cm langen und 9 cm breiten Teil der kindlichen Kopf- 1 
schwarte; der Schädel erscheint über der Sagittalnaht skalpiert, der 
Laopen ist nur vorn in der Gegend über der grossen Fontanelle mit , 
einer breiten Basis der übrigen Kopfhaut noch anhaftend. Das Schä¬ 
deldach ist in ausgedehntem Masse zertrümmert und das Gehirn 
in grosser Ausdehnung zerquetscht. Zervix ist entfaltet, der ' 
äussere Muttermund vollständig verstrichen, die j 
Eihäute zerrissen. j 

Das Becken ist abnorm beweglich. Nach der Mazeration er- | 
gibt sich rechts ein doppelter, links ein einfacher j 
Verti kalbruch; auch die Symphysenverbindung ist 

gesprengt. 


Die rechte vordere Bruchlinie beginnt oben an der 
Eminentia ileopectinea, schneidet den vordersten Pfannenteil, den 
Ramus sup. oss. ischii und geht unten durch den Tuber oss. ischii. 

Die rechte hintere Bruchlinie verläuft durch den 
äussersten rechtsseitigen Teil des 1. Sakralwirbels und dann durch 
den 2. bis 5. Processus lateralis nach unten. 

Durch die linke B r u c h 1 i n i e ist das Schambein ab¬ 
gesprengt; sie durchtrennt oben das Corpus ossis pubis, mündet in 
das Foramen obturatum und verläuft unten durch die Grenze des 
Ramus inf. oss. ischii und des Ramus inf. oss. pubis. Daneben besteht 
noch eine zur Facies symphyseos parallel gehende I n f r a k t i o n 
auf der Innenseite des Schambeins an der Verbindung zwischen 
Ramus sup. und inf. 

Sämtliche beschriebenen Weichteil- und Knochenver¬ 
letzungen zeigen vitale Reaktion. Als Todesursache ist 
einmal der gewaltige Schock durch den Sturz mit den in¬ 
folge davon bedingten schweren Peritoneal-, Uterus- und 
Zwerchfellrupturen, dann auch die Anaemia gravis anzu¬ 
sehen. Die Blutung nach innen war gering, dagegen muss die 
nach aussen sehr beträchtlich gewesen sein. 

Einen 2. Fall erwähnt in einem anderen Zusammenhänge 
H a b e r d a kurz in der Abhandlung über „Streitige ge¬ 
schlechtliche Verhältnisse“ in Schmidtmanns 
Handbuch S. 374, 1905. Ich lasse denselben hier ausführlicher 
folgen. Aus dem Gmundenersee wurde die ziemlich frische Leiche 
eines jungen Mädchens gezogen. Da an der Annahme eines 
Selbstmordes nicht zu zweifeln war, wurde die Leiche, ohne die 
Kleider geöffnet zu haben, beerdigt. Erst nachher tauchten Gerüchte 
auf, dass die Frauensperson schwanger gewesen und vielleicht eines 
gewaltsamen, nicht selbst verschuldeten Todes gestorben sei. Daher 
Exhumation der Leiche nach 18 Tagen und gerichtliche Obduktion. 
Es fand sich ein vergrösserter, leerer Uterus, in der Vulva lag die 
Plazenta, von dieser ging die Nabelschnur in der rechten Genito- 
cruralfalte nach hinten, wo unter den Nates die Frucht gefunden 
wurde. 

Es handelt sich hier um eine Leichengeburt; 
tatsächlich muss aber die Geburt im Momente des 
Todes schon begonnen haben, denn die Eihäute waren 
zerrissen und der Uterus kaum invertiert. Die polizeilichen 
Erhebungen führten in Betreff der Umstände zu keinem posi¬ 
tiven Resultat, so dass eine andere Möglichkeit als Selbst¬ 
mord in der Geburt nicht in Betracht kommt. 

Während wir in unseren beiden Fällen über die 
letzten Motive des Suizids im Unklaren sind, geben O s i - 
ander, Hucklenbroich und S i e g w a r t an, dass ihre 
Frauen aus Schmerz und Angst den Tod suchten. Diese 
Faktoren können, besonders bei sensiblen Naturen, sicherlich 
bis zur Selbstvernichtung führen; die Annahme einer ver¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit ist aber dazu gewiss nicht 
notwendig. 

Fritsch 4 ) gibt speziell für Gebärende infolge der Angst, 
Schmerzen, Blutverlust. Erschöpfung etc. eine Herabsetzung 
der Besonnenheit und Widerstandskraft zu, wodurch die freie 
Willensbestimmung eingeschränkt, bei psychopathi¬ 
scher Veranlagung sogar schwer beeinträchtigt und 
aufgehoben werden kann. v. S ö I d e r 5 ) drückt sich viel 
zurückhaltender aus, da er meint, es sei nicht sicher erwiesen, 
„ob der Zustand von Gebärenden ohne krankhafte Momente 
die Bedeutung einer Sinnesverwirrung erlangen könne“. 

Diese Frage ist forensisch ausserordentlich wichtig; denn 
wenn für den Geburtsakt selbst eine Sinnesverwirrung anzu¬ 
nehmen wäre, so würde eine solche auch für die Zeit kurz 
nach der Geburt — Kindsmord — wohl erklärlich sein. Auf 
Grund der reichlichen Erfahrungen am hie¬ 
sigen Institut ist aber in der grossen Mehr¬ 
zahl der Fälle von Kindsmord eine Sinnes- 
verwirrung durch den erschöpfenden Ein¬ 
fluss der Geburt auf das Gehirn oder durch 
gesteigerte Affekte bei starken Wehen bei 
psychisch gesunden Frauen nicht zuzugeben. 

Ganz ähnlich lauten auch die Resultate in Bischoffs 6 ) 
zusammenfassender Arbeit über den Geisteszustand der 
Schwangeren und Gebärenden. In seinen vergleichenden 


4 ) J. Fritsch: Willensfreiheit und Zurechnungsfähigkeit. 
Dittrich sches Handbuch der ärztlichen Sachverständigentätigkeit. 
VIII. Band, 1. Lieferung, S. 26. 

5 ) F. v. S ö 1 d e r: Strafrecht und Strafprozessrecht. Ibid.. S. 11\ 
*) E. Bi sch off: Archiv f. Kriminal-Anthropologie (Gross). 

Bd. 29, 1908, Heft 21 3, S. 109. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1536 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


So. 29. 


Studien über die Geburten in Wien (ca. 55 000 pro Jahr) 
kommt er zu dem wichtigen Schlüsse, dass Geisteskrankheiten 
und vorübergehend abnorme Geisteszustände bei Entbindenden 
selten sind und vorwiegend bei Disponierten auftreten. Die 
durch den Geburtsakt bedingte Erregbarkeit wird also im all¬ 
gemeinen noch innerhalb der physiologischen Grenzen fallen. 

Wien, im März 1908. 


Aus dem evangelischen Diakonissenkrankenhausc in Witten. 

Durch Trauma hervorgerufene Stenose des Pulmo- 
nalostiums. 

Von Dr. Bruno Le ick, Chefarzt der inneren Abteilung. 

Am 29. Februar 1904 wurde der 20 Jahre alte Arbeiter Rudolf A. 
wegen rechtsseitiger Lungenentzündung auf die innere Abteilung des 
hiesigen evangelischen Krankenhauses aufgenomnicn. Die Pneumonie 
nahm einen normalen Verlauf und gelangte in kurzer Zeit zur Aus¬ 
heilung. Bei der Untersuchung des Kranken hatte sich nun gezeigt, 
dass ausser der Lungenentzündung, die zur Aufnahme in das Kranken¬ 
haus die Veranlassung gegeben hatte, bei dem p. A. ein Herzleiden, 
und zwar eine Pulmonalstenose bestand. Der Patient fiel schon hei 
dem ersten Blick durch eine hochgradige Zyanose auf; besonders 
stark war dieselbe an den Lippen. Ohren, den Finger- und Zehen¬ 
spitzen ausgesprochen. In der Kälte und bei schnellen Bewegungen 
wurde die zyanotische Färbung stärker und war nach den Angaben 
des Patienten oft so intensiv, dass er sich scheute, sich auf der Strasse 
zu zeigen. Die Endphalangen der Finger waren kolhig verdickt und 
zeigten die bekannte Veränderung, die man passend mit dem Namen 
„Trommelschlegelfinger“ belegt hat. Bei der Untersuchung des 
.Herzens fand sich der Hcrzspitzcnstoss im 5. Interkostalraum, ver¬ 
breitert, nicht ganz bis zur Mammillarlinie reichend. Die rechte 
Grenze der absoluten Herzdämpfung erstreckte sich bis zur Mitte 
des Sternums. Leichte Pulsatio cpigastrica. lieber dem ganzen 
Herzen hörte man ein deutliches systolisches Geräusch, am lautesten 
an der Auskultationsstelle der Pulmonalis im zweiten Interkostalraum 
links. Der zweite Pulmonalton war nicht wahrnehmbar. 

Wir hatten also den für Pulmonalstenose typischen Befund. 
Patient ist im Laufe der nächsten 2 Jahre des öfteren von mir 
untersucht und auch in ärztlichen Kursen demonstriert worden. Der 
Befund war im wesentlichen stets derselbe, nur wurde die Zvanose 
immer ausgesprochener, und es entwickelte sich allmählich eine 
Tuberkulose der Lungen, die durch den Nachweis der Tuberkel¬ 
bazillen im Sputum einwandfrei festgestellt werden konnte. Diesem 
Leiden ist Patient im April 1906 im Alter von 22 ' i Jahren erlegen. 

Die Autopsie bestätigte die klinische Diagnose. Neben tuber¬ 
kulösen Herden in beiden Lungen fand sich eine hochgradige Stenose 
der Pulmonalklappen. Dieselben waren zu einem nach aussen vor¬ 
gewölbten Diaphragma verwachsen, welches im Zentrum eine kreis¬ 
förmige Ocffnung von ca. 4 mm Durchmesser zeigte. Im übrigen 
konnten, abgesehen von einer deutlichen Hypertrophie des rechten 
Ventrikels, Veränderungen am Herzen nicht aufgefunden werden. 

Das besondere Interesse des Falles liegt nun darin, dass 
diese Pulmonalstenose, die doch für gewöhnlich ein ange¬ 
borenes Leiden darstellt, bei unserem Patienten mit aller¬ 
grösster Wahrscheinlichkeit auf ein Trauma, von dem er im 
Alter von ca. 15 Jahren betroffen wurde, zuriickzuiiihren ist. 
Die Gründe, die für diese Annahme sprechen, sind folgende. 

Als Kind hat Patient nie zyanotisch ausgeschcii. Ich habe mich 
genau bei seinen Eltern erkundigt; dieselben gaben mit Bestimmt¬ 
heit an, nie eine derartige Färbung bei ihm in den Kinderialiren be¬ 
merkt zu haben. Er konnte laufen und springen wie andere Kinder 
und ist in der Schule ein guter Turner gewesen, ln seinem 15. Lebens¬ 
jahre erlitt er einen schweren Unfall. Er wurde von einem guss¬ 
eisernen Rahmen, der von einer Polierscheibe absprang, mit voller 
Wucht gegen die Brust getroffen, so dass er zu Boden stürzte und 
längere Zeit bewusstlos war. Genaueres, namentlich über den Be¬ 
fund bald nach dem Unfall, konnte ich leider nicht in Erfahrung 
bringen. Eine Unfallanzeige ist nicht erstattet worden, wie auch 
der p. A. nie Rcntcnanspriichc geltend gemacht hat. Ungefähr 
V : -'—Jahr nach diesem Unfälle wurde zum ersten Male eine Herz¬ 
störung bei dem Kranken festgestellt. Er musste sich einer Augen¬ 
operation unterziehen, und bei dieser Gelegenheit teilte ihm der be¬ 
treffende Augenarzt mit, dass sein Herz nicht in Ordnung sei. 
Zyanose und Trommelschlegelfiuger bestanden damals noch nicht, 
sondern haben sich erst allmählich im Laufe der nächsten Jahre ent¬ 
wickelt. Erst ungefähr 5 Jahre nach dem Unfälle wurde ärztlicher¬ 
seits das Bestehen einer Pulnionalstcnosc konstatiert, als der Kranke, 
wie schon gesagt, wegen eines anderweitigen Leidens Aufnahme im 
hiesigen Krankenhausc fand. 

'Tatsache ist also, dass der Kranke im Alter von ca. 
15 Jahren von einem Unfälle betroffen wurde, der sehr wohl 
geeignet erscheint, eine Erkrankung der Herzklappen zu ver¬ 


ursachen. Durch den plötzlichen, heftigen Schlag gegen d,e 
Brust muss es zu einer starken Druckstugeru: g mi 'lhorav 
kommen, und durch die Frtahrur gui bei l rfa'.lverlet/kn 
wissen wir ja, dass eine derartige Druckst«, igertmg mJit ganz 
selten zu Zerreissungen, Einrissen oJcr d<>Ji Blutungen an 
den Herzklappen fuhrt. Derartige K lapp«, nv erletzimgen geben 
dann einen günstigen Boden für die Ausladung erdokard.tisJicr 
Prozesse ab, als deren Endresultat in urwrun Falle d.e Stemme 
der Pulmonalklappen an/usehen ist. Weshalb hier gerade die 
Pulmonalklappen geschädigt wurden, wage ich nicht zu ent¬ 
scheiden. 

Bis zu diesem Unfälle war der Patient durchaus gesund 
und leistungsfähig gewesen. Dass von den Eltern des Kranken 
in seiner Kindheit eine zyanotische Färbung nullt wahr¬ 
genommen wurde, wurde ja nicht so sehr gegen d e \nn.thiiie 
eines angeborenen Herzfehlers sprechen, da ja hinlänglich be¬ 
kannt ist, dass die Zvanose bei angeborener Pulnu uaistenose 
bisweilen erst spater deutlich zum Ausdruck kommt, ta sogar 
völlig fehlen kann. Sehr auffällig muss es dagegen bei der 
Annahme eines angeborenen Leidens erscheinen, dass d.e 
Leistungsfähigkeit des Patienten eine durchaus normale ge¬ 
wesen ist, so dass er als Fabrikarbeiter Aerweikhmg irden 
konnte. Die Angaben des kranken sind in dieser M.t'suht a'.s 
ganz einwandsfrei zu betrachten. Da er ne l ufallrenten- 
anspriiclie geltend gemacht bat. lag für ihn gar kein tirur.d vor. 
seine Leistungsfähigkeit vor dem Unfälle in besonders gaum 
Licht erscheinen zu lassen. 

Auch schon das von unserem Kranken erre.Jite Lebens¬ 
alter spricht in gewisser Hn.suht gegen die Annahme e.res 
kongenitalen Herzfehlers. Ereduli ist mir bekannt, dass man 
mit angeborener Pulmonalsfennse roJi aller als nu:n Pat ent 
(22 Jahre) werden kann, aber es ist das d*uh jedem.F s n.Jit 
das gewöhnliche. Yierordt*) gibt als durchschnittliche 
Lebensdauer Jahre au. 

Schliesslich ist aiuh das Fehlen aller sonstigen B.ldui gs- 
anomalieti am Herzen gegen da 1 Annahme eines angeborenen 
Leidens ins Feld zu fuhren. Denn wenn a.afi re me Stenosen 
des Pulmona lost nims als angeborenes Lei den beobachte t w erde n. 
so sind doch in den meisten Fallen muh andere* Storungen, 
wie Septumdefekte, ollencs lü.r.imeit ovale. (Mknbailan des 
Ductus arteriosus und dergleichen, nuchzuw eisen, \er.iu- 
derungen, ehe. wie ehe Sektion ergab, bei unserem Patamun. 
eben nicht bestanden. 

Fassen wir noch einmal kurz alles zusammen: Fm 15 i.thr. 
Mensch, der bis dahin völlig gesund m d arhutM.tfcg gewesen 
ist, erleidet ein schweres Trauma, welche den Ilmrav tr.a;t. 
Nach '« Jahren werden zum ernten Male Her/veian- 

derimgen testgestellt, die sah im Laufe der r.uhsteu Jahre zu 
dem typischen Bilde der Pulmonalstetit-ue ausb.ldeii. Im Alter 
von 22 Jahren gellt der Kranke an einer hm/utre terdett Lungen¬ 
tuberkulose zu Grunde. Bei der Sektion findet suh eme hoch¬ 
gradige Stenose des Piilmonalostmms ohne sonstige Bi'.dargs. 
anomalieii am Herzen. Bei dieser Sachlage Kami man meines 
Erachtens nicht umhin, den Her/klappeuiehier mit grösster 
Wahrscheinlichkeit als durch den Unfall bvd.r gl an/usdten. 
Bei der Seltenheit des Falles Schien nur nankt.t.uh in Hmbl.ck 
auf Unsere Uniullgeset/gebiing eme kurze Mitteilung an¬ 
gebracht. 


Ueber Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen in 
absoluten Einheiten. Röntgenolyse. 

Von Er. K I i n g e 1 f u s s in Base!. 

Die Di-siciung tJe r RvitFge i'spai n wurde Iwh«. r di;Ji \<.r- 
vrleic lisr e.ik ti* >n. eieren t rtvpen ehe l'smukr \ . n II • ■ ; / k n e c h 
Saboiirauel und N o i r e. Kien hock. > chwur/ u. j sa !. 
ausgefuhrt. Die go-sse /.i!i] \..n Xolosrtiua '' V [ , a „ a ,, 

diesen Standards zeigt altem, wie go.es das \ gen r.uh cm er 
zuverlässigen Mess\«uru htimg ist. 

Die Messung m jps.dukrn Masse, ajgjphch wie de Mi^Mi'g des 
elektrischen Mnmies uiis/ur.dif el». Svbcikrte an de m t dass, 

eme der in Betracht kommenden t imssen bisher tuJ.t g*. ’*n c%n wer¬ 
den konnte. Fs ist das die-ein ge >i'amuit:g. d:e beim Ir* '•js* 1 - uw 
herrscht und v on der das I *■ te::t.a g*. ,e der k.it JestM'. ui a - 

*) Nothnagel: Steiö'e P.u' ’• g.e um! lie'.i; e p.d J 
5. s.t. 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1537 


hängt. Zu dieser Spannung steht weder die Spannung des Primär- 
stromes, wie Beobachtungen von Angerer 1 ) ergeben haben, noch 
die Spannung des Funkenpotentials in direkter Beziehung. Das 
rührt daher, dass, wie den Physikern längst bekannt ist, die Span¬ 
nung des Funkenpotentials ganz erheblich herabsinkt, in dem 
Momente, wo der Funke den Widerstand (die Funkenstrecke, oder 
im speziellen Falle, die Röntgenröhre) durchschlägt. Da aber nicht 
das Funkenpotential, sondern die Spannung beim Funkenübergang als 
massgebende Grösse in Betracht kommt, letztere aber bis anhin aus 
bestimmten Gründen nicht gemessen werden konnte, so scheiterte 
hieran auch die Möglichkeit einer vergleichenden Messung der elek¬ 
trischen mit der Röntgenstrahlenenergie. 

Durch eine einfache Ueberlegung ist es mir nun gelungen, ein In- 
duktorium so zu bauen, dass man in dessen Sekundärstromkreis einen 
Spannungsmesser einschalten kann, der die Spannung beim Strom¬ 
fluss, nicht aber das Funkenpotential misst. 

Dabei hat es sich ergeben, dass die Spannung beim Stromfluss 
8—10 mal niedriger ist als das Funkenpotential 2 ). 

Misst man die elektrische Energie, d. h. die Spannung beim 
Stromfluss im Sekundärkreise und die Stromstärke, die einer Rönt¬ 
genröhre zugeführt wird, so findet man die überraschende Tatsache, 
dass die durch die Röntgenstrahlenenergie hervorgerufene Reaktion 
auf der photographischen Platte direkt proportional ist dem Produkte 
obiger beiden Grössen und der Expositionsdauer. C = V J t, wo 
C die Reaktion, V die Spannung beim Stromfluss in der Sekundär¬ 
spule, J die Stromstärke und t die Zeit ist. Das sind aber die gleichen 
Grössen, nach denen die Arbeit bei der Elektrolyse ermittelt wird, 
d. h. die Menge des ausgeschiedenen Wasserstoffes oder der nieder¬ 
geschlagenen Metallmenge ist direkt proportional der Spannung, mal 
der Stromstärke, mal der Zeit. Ich schlage deshalb vor, in analoger 
Weise die Therapie mit Röntgenstrahlen, sobald sie in absoluten Ein¬ 
heiten gemessen wird, Röntgenolyse zu nennen. 

Von zahlreichen Kontrollversuchen, die ich gemacht habe,, sei die 
Fig. 1 hier reproduziert 3 ); sie zeigt, mit wie grosser Genauigkeit 



die Röntgenolyse ausgeführt werden kann. Die Messung ist absolut 
frei von subjektiver Beeinflussung und lässt sich jederzeit unabhängig 
und einwandfrei wiederholen. Sind einmal für gewisse Bestrahlungen 
durch die Röntgenolyse konstante Normen geschaffen, so lassen sich 
die Konstanten jederzeit kopieren. Es sei z. B. durch die Bestrahlung 
'‘iner krankhaften, oberflächlich gelagerten Stelle mit einer Röhre 
v 0 n 60 Härteeinheiten V (die Zahl bezieht sich auf die Skala des 
Spannungsmessers, der 150 Skalenteile für die Härten bis 8 Benoist 
besitzt) und mit einer Stromintensität von 1 Milliampere in 10 Minu¬ 
ten eine ganz bestimmte, vom Arzte zu definierende Reaktion ein¬ 
getreten- die Konstante hierfür beträgt also 60 X 10 X I = 600; 
diese Dosierung soll von einem anderen Arzte in einem ähnlichen 
Fa'le ebenfalls zum gleichen Zwecke angewendet werden. Seine 
Röhre zeige die Härte 65 (eine Differenz gegen die erste Röhre 
von 60 H die an der Benoistskala wegen der Unempfindlichkeit der¬ 
selben unmöglich zu ermitteln ist); dann gebe sein Instrumentarium 
die ^tromintensität 0,8 Milliampere. Um die gleiche Bestrahlungs¬ 
intensität durch die Röntgenolyse wie im vorigen Falle zu erhalten, 
muss der zweite Arzt eine Expositionszeit von öj . &5 = H ’ 5 Minu ‘ 
en anwenden. Man ersieht aus diesem einen Beispiel, wie einfach 
-id sicher sich die Dosierung auf diese Weise gestaltet. Die Emp- 


J )E Angerer; Ann. d. Phys., 21, p. 116, 1906. 

*) Fr. Klingelfuss: Ann. d. Phys., 5, pag. 853, 1901. 

3 ) _ _ 


Streifen 

1 | 2 

3 

1 4 

5 6 | 

H=V . -- 

i . . . . • ■ • 

t . . - . • • * 

1 

92 | 83 ' 
1,8 1,5 1 
0,5 1 0,661 

80 

1,35 

0,77 

73 1 
! 1,0! 

1,14 

68 63 | 

0,7 I 0,4 
1,74 3,3 | 

Härte der Röhre 
Milliamperes 
Minuten 


t . . . . 

No. 29 


findlichkeit verschiedener Patienten wird ja nicht immer die gleiche 
sein, aber aus dem absolut sicheren Masse bei der Röntgenolyse, 
mittels der man eine ganz bestimmte, genau definierbare Strahlen¬ 
menge appliziert, lässt sich rückschliessend diese Empfindlichkeit 
beurteilen und ein sich so ansammelndes Erfahrungsmaterial nutz¬ 
bar verwerten. 

Der Spannungsmesser für den fliessenden Strom im Stromkreis 
der Sekundärspule und Röntgenröhre ist aber zugleich ein ausser¬ 
ordentlich empfindlicher Härtegradmesser für die Röntgen¬ 
röhre. Wie gross diese Empfindlichkeit ist, zeigt der Umstand, dass 
für die Härtegrade 2—8 Benoist eine Skala von 30—150 Graden be¬ 
nützt werden kann, so dass Bruchteile der Härte mit Leichtigkeit 
abgelesen werden können. Ausserdem zeigt das Instrument jede 
Aenderung der Härte einer Röhre während der Einschaltung der¬ 
selben an. 

Die Instrumente — Härten und Strommesser — können auf der 
Schalttafel in beliebiger Entfernung von der Röntgenröhre angebracht 
werden, so dass man den Zustand der Röhre aus den Ablesungen an 
den beiden Instrumenten genau beurteilen kann, ohne die Röhre 
selbst vor Augen zu haben. Durch diese Einrichtung ist es dem Arzte 
ermöglicht, die Röntgenolyse fortgesetzt ausüben zu können, ohne 
sich selbst im geringsten irgendwie den Röntgenstrahlen aussetzen 
zu müssen. 

Da die Instrumente mit einer Klemme geerdet werden, können 
dieselben gefahrlos berührt werden. Ich mache ausdrücklich darauf 
aufmerksam, dass trotz dieser Erdung beide Pole des Induktors nicht 
an Erde gelegt sind, also die maximale Wirksamkeit des Induk- 
toriums durchaus nicht beeinflusst ist. 

Das Instrumentarium für die Ausübung der Röntgenolyse mit 
absoluter Messvorrichtung unterscheidet sich von den bekannten 
Instrumentarien äusserlich unwesentlich, hauptsächlich darin, dass ein 
dafür hergestelltes Induktorium angewendet werden muss, dessen 
Preis derselbe ist desjenigen gewöhnlicher Bauart. 


Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen. 

Bemerkung zu der Mitteilung von Ingenieur Fr. Dessauer 
in No. 24 dieser Wochenschrift. 

Von Dozent Dr. G. Holzknecht in Wien. 

Herr Dessauer glaubt, in meinem am letzten Röntgenkon¬ 
gress in Berlin gehaltenen Vortrag über die Lösung des Problems, in 
der Tiefe gleich viel Röntgenlicht zu applizieren wie an der Ober¬ 
fläche, wesentliche Punkte einer Demonstration wiederzufinden, die 
er mir in seiner Fabrik abhielt, als ich ihn dieses von ihm bereits 
publizistisch bearbeiteten Gegenstandes wegen aufsuchte. Dem¬ 
gegenüber konstatiere ich, dass alles Theoretische, das ich dort zu 
hören bekam, alt und unvollständig, und alles Technische unbrauch¬ 
bar war, so dass ich meinen Weg weiter gehen musste, so, als ob 
der Besuch nicht gewesen wäre. Erst die Heranziehung des Herrn 
Ing. Heinz Bauer hat die technischen Fragen des Gegenstandes 
zu lösen vermocht. Herr Bauer hat von den Absichten Des¬ 
sauers nichts erfahren und einen völlig neuen Weg betreten. 
Herr Dessauer will nun die Auseinandersetzung mit Herrn Ing. 
Bauer auf dem Umwege über mich führen. Habeat! Ich habe 
den Ausführungen Herrn Dessauers gegenüber, deren Fort¬ 
setzung am Röntgenkongress in Berlin vom gesamten Auditorium mit 
Entrüstung zurückgewiesen worden ist, folgendes festzustellen, und 
das kann zugleich als Grundriss der Geschichte dieses neuen Ge¬ 
bietes dienen. 

Die Bestrebung, wirksame Röntgenlichtmengen in die Tiefe der 
Körper zu bringen, hat folgende effektive Schritte gemacht: 

1. Perthes hat die Mittel angegeben, die Tiefenwirkung zu 
verbessern (Mehrseitenbestrahlung, grosse Röhrendistanz, harte 
Röhren, Filtration). Niemand hat ein weiteres Mittel hinzugefügt. 

2. I c h habe gezeigt, dass das Ideal in dieser Richtung, nämlich 
gleiche Lichtabsorption in der Tiefe wie auch Oberfläche bis zu 
einer Körperstärke von 20 cm Durchmesser erreicht werden kann, 
wenn man die Perthes sehen Mittel folgendermassen dimensio¬ 
niert: 4 Seitenbestrahlung, 2 m Röhrendistanz, Röhrenhärte Wal¬ 
ter 7, Fensterglasfilter. 

3) Heinz Bauer hat auf dem völlig neuen Prinzip, die 
Röntgenröhren nicht wie bisher mit Sekundärströmen eines Induktors, 
sondern mit elektrischen Schwingungen zu betreiben, ein Instrumen¬ 
tarium konstruiert, mit welchem die unter 2. angeführte, ihrer Natur 
nach intensitätsverschwenderische Applikationsart in nicht allzu¬ 
langen Bestrahlungszeiten durchführbar ist. 

Soweit reichen die wirklich fördernden Schritte auf diesem Ge¬ 
biet, alles übrige hat keinen allgemeinen Nutzen gezeitigt. 

Zwischen Perthes und mir hat nämlich Dessauer das 
Thema aufgegriffen und in einem sprachlich vollendeten Artikel, in 
dem er Stück für Stück die Perthesschen Mittel zur Verbesse¬ 
rung der Tiefenwirkung bespricht und trotz sonstiger breitester Aus¬ 
führung die Arbeit von Perthes mit keinem Worte erwähnt. Erst 
über diese, meine Konstatierung am Röntgenkongress entschuldigt 
sich Dessauer damit, dass er die Perthessche Mitteilung, 

.3 


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1538 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


welche in dem grössten Organ der medizinischen Röntgenologie, den 
Fortschritten auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen erschienen ist, 
nicht gekannt habe. 

Das einzige Novum, welches dieser Dessau ersehe Artikel 
enthält ist das Wort Homogenität der Röntgenstrahlung, als Be¬ 
zeichnung für jene erwünschte Eigenschaften, Bestrahlungstechnik, 
vermöge deren in der Tiefe gleichviel Licht absorbiert wird, wie an 
der Oberfläche. 

Ferner hat D e s s a u e r, zugleich als er jenen Artikel publizierte, 
ein Instrumentarium konstruiert, welches diesen besonderen Zwecken 
dienen sollte, das ich zu prüfen Gelegenheit hatte; als ich, wie Des¬ 
sauer hervorhebt, im Interesse eines Kranken die Fabrik in 
Aschaffenburg besuchte, sah ich dort sein Instrumentarium, das übri¬ 
gens auf dem alten Prinzip des Röntgenbetriebes mittels des Sekun¬ 
därstroms eines Induktors beruht. Bald darauf hatte ich Gelegenheit 
mit seinem Instrumentarium zu arbeiten. Die mit Herrn Dessauer 
gemeinsam angestellten Messungen ergaben 

1. „keine räumliche Homogenität“, sondern die gewöhnliche Ab¬ 
nahme der Intensität ungefähr im Quadrat der Entfernung, und 

2. eine so geringe Lichtintensität, dass ich, um eine Hoffnung 
ärmer, von der praktischen Verwendung abstehen musste und mit 
Dessauers Zustimmung besser tat, das Dessauer sehe Instru¬ 
ment als unbrauchbar zur Seite zu stellen und bei'dem gewöhnlichen 
alten Röntgeninstrumentarium zu bleiben. Später erst konnte dafür 
das Bauer sehe treten. 

Bei diesem Tatbestand kann natürlich von einer widerrecht¬ 
lichen Benützung einer „vertraulichen Mitteilung“ nicht die Rede 
sein. Es gibt keine vertrauliche Mitteilung einer längst publizierten 
Arbeit und die vertrauliche Mitteilung einer unbrauchbaren Methode 
ist kein Hindernis für die Publikation einer brauchbaren Methode und 
hätte auch im Fall der Verständigung kein Recht zur Verhinderung 
derselben gegeben. 

Ich muss noch erwähnen, dass meine auf pag. 1286 zitierte Be¬ 
hauptung nur durch Weglassung der Worte: „von einer Seite her“ 
nach dem Worte „Durchstrahlung“ fehlerhaft erscheint. Von einem 
Fokus her kann tatsächlich gleichmässige Durchstrahlung nur bei 
unendlicher Penetrationskraft erreicht werden, und dann ist die Ab¬ 
sorption gleich Null, und der Zweck der Sache vereitelt. Herr Des- 
sauer, der in seinen bisherigen Arbeiten und in seinem Instrumen¬ 
tarium, das 2 Röhren nebeneinander stellt, auf die von Perthes 
vorgeschlagene Bestrahlung von mehreren Seiten her verzichtet hat, 
hat, seit ich am letzten Röntgenkongress bewiesen hatte, dass die 
Homogenität ohne Mehrseitenbestrahlung unmöglich ist, diese seinem 
Arbeitsplan eingefügt, an anderer Stelle aber doch wieder ihre Ueber- 
flüssigkeit ausgesprochen. Praktisch hat er dieselbe nicht verwendet, 
und daher gebührt ihm auch nicht das Verdienst, „physikalisch und 
technisch das Problem der Tiefenbestrahlung erstmalig realisiert“ 
zu haben, wenn er damit Homogenbestrahlung meint. 

Ich fasse zusammen: 

1. Dessauer hat nicht zuerst eine Homogenbestrahlung durch¬ 
geführt, weil diese anders als von mehreren Seiten nicht möglich ist. 

2. Dessauers Apparat liefert kein räumlich homogenes Licht. 

3. Dessauers Apparat liefert nach seinen eigenen Messungen 
und nach den im Einverständnis mit ihm gemachten Publikationen 
verschwindend kleine Lichtmengen. 

4. Dessauers Arbeiten enthalten keine meritorisch neuen 
Dinge zur Lösung des Problems der Homogenbestrahlung. 

5. Die von ihm angewendete Applikationsart ist von Perthes 
vorher erdacht worden. 

6. Ich habe die Dessauer sehen Mitteilungen nicht gebraucht, 
weil sie nicht zu verwenden waren. 

7. Dessauers Verdienst an der Sache ist das Wort Homogen¬ 
bestrahlung. 

8. Ing. Heinz Bauer hat völlig unabhängig von Dessauer 
einen völlig anderen Weg als Dessauer beschritten. 

Ich weise den ganz allgemein und ohne Detaillierung ge¬ 
machten Vorwurf des Plagiates zurück und konstatiere, dass ich 
bloss dem gleichen Ziele aber mit mehr Glück nachgegangen bin als 
D c s s a u e r. 


Zur Frage der akuten Herzüberanstrengung. 

Von Prof. Dr. Sc h o 11 in Nauheim. 

Die von Moritz in No. 25 dieser Wochenschrift erschienene 
Arbeit veranlasst mich zu folgender Erwiderung: 

An meiner orthodiagraphischen Nachprüfung meiner früheren 
Experimente über akute Herzüberanstrengung habe ich absichtlich 
andere teilnehmen lassen. Obgleich ich mich mit Röntgenunter¬ 
suchungen viel befasst habe — die von mir seinerzeit in die Röntgen¬ 
technik eingeführte Markierung der Mammillae durch Bleiplättchen 
sowie das kleine Hilfsmittel der Anbringung von Gelatinepapier auf 
dem Durchleuchtungsschirm finden noch heute vielfach Verwendung 
— habe ich die Feststellung der Herzgrenzen durch den medizinischen 


Leiter des röntgenologischen Institutes des St. Marienkrankenhauses 
zu Frankfurt a. M. und neben diesem noch von einem Nichtmediziner 
ausführen lassen, welch Letzteres mir von Moritz zum Vorwurf 
gemacht wird. Dieser Nichtmediziner nun ist Herr Dessauer, der 
Direktor der vereinigten elektrotechnischen Institute Frankfurt a. M.- 
Aschaffenburg, der an den beiden genannten Plätzen seit Jahren die 
Röntgenkurse für Aerzte abhält, sich aber auch eines allge¬ 
mein wissenschaftlichen Rufes auf diesem Gebiete erfreut. Somit war 
neben der Beherrschung der Technik gewiss auch vollständige Ob¬ 
jektivität gewährleistet. 

Die Gründe, weshalb ich bei tiefstem Zwerchfellstand die Herz¬ 
grenzen aufzeichne, habe ich bereits früher klargelegt. 

Die von mir demonstrierten Baldes sehen Bilder sind genau 
nach Moritz’ Angaben aufgenommen, und doch bestätigen auch 
sie, wie dies Baldes ebenfalls fand, die Richtigkeit meiner Ein¬ 
wände. 

Die Auszüge aus Veröffentlichungen von Moritz und seinen 
Assistenten in seinem vorliegenden Aufsatze bieten nichts Neues 
mehr. Jene Arbeiten sind bereits in No. 18 dieser Zeitschrift ausführ¬ 
lich von mir besprochen worden. 

Was die Wiedergabe der Bilder bei meinen Experimenten an¬ 
langt, so sind die Grössenverhältnisse bei jedem einzelnen Experi¬ 
mente, also immer nur die z w e i zu einer Figur gehörigen Aufnahmen 
miteinander zu vergleichen und zwar aus Gründen, die ich bereits 
angegeben habe, und die mit den von G u 11 m a n n erwähnten An¬ 
schauungen übereinstimmen. 

Den grössten Teil meiner Arbeit sowie vor allem meine Argu¬ 
mentationen, welche das Bestehen einer akuten Herzausdehnung nach 
Ueberanstrengung beweisen, lässt Moritz ganz unerörtert. Ich 
fasse nun nochmals kurz das Folgende zusammen: 

Die Tatsache, dass chronische Herzüberanstrengungen 
Herzausdehnungen verursachen, stand fest. Ich habe des 
Näheren auseinandergesetzt, dass hierbei eine Dilatation das Primäre, 
die Hypertrophie das Sekundäre ist. Diese Ausdehnungen können 
nach dem Verlauf des Entstehens nur durch Summierung einzelner, 
akuter Ausdehnungen entstanden sein. Dieser Umstand veran- 
lasste mich zu meinen Experimenten. Mit Hilfe der gewöhnlich 
geübten Perkussion, solcher mit seitlicher Abdämpfung und später 
auch durch Röntgenstrahlen, konnte ich feststellen, dass bei a b s o 1 u t 
gesunden Personen, wenn eine Ueberanstrengung so lange fort¬ 
gesetzt wird, bis Herzklopfen und vor allem Dyspnoe erfolgt, 
eine Herzausdehnung hervorgerufen werden kann. Die kli¬ 
nischen Beobachtungen, insbesondere die bei übertriebenem Sport ge¬ 
machten, sowie auch physiologische Untersuchungen stimmten mit 
den von mir gefundenen Tatsachen überein. Erst die orthodiagra¬ 
phischen Untersuchungen schienen andere Resultate zu ergeben und 
zwar erst gar keine Veränderung, in der letzten Zeit sogar Herz¬ 
verkleinerung nach Ueberanstrengung. 

Es galt deshalb die Nachprüfung meiner Experimente mittelst 
dieser Methode, und da stellte sich denn heraus, dass auch diese 
nicht frei von Fehlerquellen ist, welche den Röntgenuntersuchungen 
des sich bewegenden Herzens anhaften, nämlich, dass nicht nur jede 
veränderte Position der Versuchsperson, sondern auch vor allem die 
rasche Aenderung des Breiten- oder Längsdurchmessers des Herzens 
zu falschen Schlüssen führen kann. Ich habe dies nicht nur an den 
beiden Herzsilhouetten in der d e 1 a C a m p sehen Arbeit nachweisen 
können, sondern auch die von Schmidt, Dessauer sowie vor 
allem die von Baldes bereits erwähnten Bilder zeigen dies aufs 
deutlichste; und in Wien, wo ich auch die Bilder des Letztgenannten 
demonstrierte, konnte ich darauf hinweisen, dass je nach dem durch 
Bewegungen und Drehungen des überangestrengten Herzens verur¬ 
sachten Wechsel des Durchmessers Verkleinerungen in toto, Ver- 
grösserungen des rechten Ventrikels bei Verkleinerungen des linken, 
oder auch das Umgekehrte zur Beobachtung gelangen können. 

Nachdem es mir durch Anwendung der beschriebenen Vorsichts- 
massregeln gelungen war, diese Fehlerquellen tunlichst einzu¬ 
schränken, kam ich wieder zu meinem alten Resultate: Herzaus¬ 
dehnung nach akuter Ueberanstrengung bei gesunden Menschen. 

Und mit den von mir gefundenen Tatsachen stimmen auch die 
erwähnten Tierexperimente überein. Unter diesen interessiert für 
unsere Frage ganz besonders dasjenige, welches uns zeigt, dass ein 
Hundeherz einer enormen (sechsfachen) Ausdehnung ausgesetzt wer¬ 
den kann, ohne damif schon seine Kontraktionsfähigkeit einzubüssen. 
Die schönen Untersuchungen von K ü 1 b s sprechen ganz in dem von 
mir ausgesprochenen Sinne, und die an vorher gesunden Menschen 
gemachten Beobachtungen von Beck, Zuntz und Schumburg. 

S t a e h e 1 i n und vielen anderen, sie alle zeigen, dass durch Ueber¬ 
anstrengung das Herz sich ausdehnt. Alle diese Tat¬ 
sachen umgeht Moritz in seiner letzten Arbeit. Für ihn existiert 
nur noch eine Verkleinerung des Herzens nach Ueberanstrengung. 
Wie aber eine solche Verkleinerung schliesslich zur Herzvergrösse- 
rung zu führen vermag, das wird nicht nur mir, sondern wohl auch 
den meisten anderen unerklärlich sein. Und wie Moritz, der sich 
auf die von ihm gefundene Verkleinerung des Herzens nach Ueber¬ 
anstrengung so fest verlässt, dazu kommt, am Schlüsse seiner Arbeit 
folgendes zu sagen: 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1530 


„Ich hebe zum Schlüsse hervor, dass ich mit der Möglich¬ 
keit des Eintrittes einer akuten Merzdilatation nach übermässiger 
Anstrengung, wie die meisten Aerzte, nach alledem noch rechne,“ 
auch dafür fehlt jegliche Erklärung. 

So lange nicht die Ergebnisse neuer Forschungen uns zu an¬ 
deren Schlüssen zwingen, muss ich bei der von mir vertretenen An¬ 
sicht bleiben. 

Bemerkung zu den obenstehenden Ausführungen. 

Von F. Moritz. 

Ich glaube davon absehen zu können, nochmals auf den in Rede 
stehenden Gegenstand einzugehen und bitte nur den Leser, der sich 
iür die Frage interessiert, aufmerksam die Arbeit von Prof. Schott 
in No. 18 dieses Jahrgangs dieser Wochenschrift und dann meinen 
Artikel in No. 25 zu lesen. Ebenso wenig, wie ich es in diesem 
Artikel tat, kann ich übrigens hier mich auf eine Berichtigung der 
unzutreffenden Anschauungen Schotts über die Fehlerquellen und 
Fehlerbreiten der Orthodiagraphie einlassen. Wer sich hierüber 
unterrichten will, den verweise ich auf meine bezüglichen Arbeiten 
(Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 81, H. 1 und Bd. 82, H. 1. sowie 
Zeitsohr. f. klin. Med., Bd. 59, H. 1). 

Eugen Albrecht f. 

Media morte in vita sumus. 

In dem lichtdurchfluteten Sektionssaale des von Eugen 
Albrecht erbauten und eben vollendeten Dr. Sencken- 
berg sehen pathologischen Instituts in Frankfurt a. M. stehen 
in grossen Lettern diese Worte; er, der sie setzen liess, ist 
tot; er, der wie kaum ein anderer aus dem Tode, aus der Be¬ 
obachtung am Leichentische, neues Wissen über die Grund¬ 
form des Lebens geschöpft hat. 

Media vita in morte sumus: Neugestärkt kehrte Al¬ 
brecht vor wenigen Wochen nach Frankfurt, der ihm so 
lieb gewordenen zweiten Heimat zurück, voll der Pläne für 
künftige Arbeit, voll der Freude über die neue herrliche 
Arbeitsstätte, die ihm frohes, ruhiges Schaffen für die kom¬ 
mende Zeit verhiess, als mit rauher Hand der Tod rasch ein 
Leben zerstörte, das reich in des Wortes wahrster Be¬ 
deutung genannt werden darf. 

Mit ihm verlor die Welt einen der genialsten und viel¬ 
seitigsten Gelehrten unserer Zeit, seine Freunde den treuesten 
aufopfernden Freund, sein Arbeitsgebiet, die allgemeine nor¬ 
male und pathologische Biologie, einen seiner geistreichsten 
Vertreter, dessen Gedanken noch auf Jahre hinaus befruchtend 
und fördernd wirken werden. 

Eugen Albrechts Lebensgang ist rasch berichtet: 
tr war geboren am 21. Juni 1872 als Sohn des jetzigen Direk¬ 
tors der K. Tierärztlichen Hochschule in München, Hofrat Prof. 
Dr. Albrecht; nach glänzendem Durcheilen des Gym¬ 
nasiums wandte er sich nach einigem Zögern, ob er nicht doch 
sich der Philologie widmen sollte — besass er doch ein un¬ 
gewöhnliches Sprachentalent, er beherrschte später 12 Sprachen 
— dem Studium der Medizin an der Universität München zu, 
das ihm, der Fleissigsten einem, noch Zeit genug liess, neben 
der Beschäftigung mit den schönen Künsten — Musik, bildende 
Kunst, Literatur — sich intensiv mit philosophisch-psycho¬ 
logischen Studien unter Stumpf und L i p p s zu beschäftigen. 
Von seinen medizinischen Lehrern gewann den grössten Einfluss 
auf ihn der geniale Münchener Embryologe Carl v. K u pf f e r, 
dem er bis zu dessen Tode nahestand; ihm widmete er als 
Zeichen seiner Verehrung sein Werk: „Vorfragen der Bio¬ 
logie“. Später trat er in besonders freundschaftliches Ver¬ 
hältnis zu Hans Schmaus, als er in dem v. Bollinger- 
schen pathologischen Institut in München als Koassistent tätig 
war; der Einfluss von Schmaus war es grossenteils, der 
ihn bewog, sich ganz der Pathologie zuzuwenden. Der Zu¬ 
sammenarbeit von Lehrer und Schüler entstammen mehrere 
grundlegende Arbeiten aus jener Zeit, so die „über Karyor- 
rhexis“, „über die käsige Nekrose tuberkulösen Gewebes“, die 
vorzüglichen Referate in den Lubarsch-Ostertagsehen 
Ergebnissen! der Pathologie „über Nekrose und Nekrobiose“,und 
das erste Referat über die „Pathologie der Zelle“, die weit den 
Rahmen gewöhnlicher Zusammenstellungen überschritten, viel¬ 
mehr in monographischer Form neben dem bisher Bekannten 
eine Fülle neuer Beobachtungen bei kritischster Sichtung des 
Alten brachten. Er promovierte 1895 mit einer Dissertation 


über „den Untergang der Kerne der Erythroblasten der Säuge¬ 
tiere“ und erhielt die ärztliche Approbation mit der ersten 
Note 1896. 

Nach dem Staatsexamen war er ein Jahr als Assistent bei 
dem Gründer der Errtwicklungsmechanik, R o u x in Halle, tätig, 
der einen gewaltigen Einfluss auf Albrechts künftige For¬ 
schungen, am meisten vielleicht auf seine Arbeiten über die 
Geschwülste, ausübte. Ein 5 monatlicher Aufenthalt an der 
zoologischen Station in Neapel diente ihm dazu, sich Zell¬ 
studien hinzugeben, die zu der Entdeckung der flüssigen Natur 
zuerst des Seeigeleies, dann der aller tierischen Zellen über¬ 
haupt führten. Diese Entdeckung allein und ihre Begründung 
würden genügen, Albrechts Namen unsterblich zu machen. 
Nach einjähriger Tätigkeit an der biologischen Station des 
zoologischen Institutes in München unter Professor Hofer — 
mit diesem gemeinsam entdeckte er damals den Bazillus der 
Krebspest — kehrte er als Assistent v. B o 11 i n g e r s an das 
pathologische Institut der Universität München, an die Aus¬ 
gangsstätte seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, zurück, um 
noch im gleichen Jahre die Leitung der Prosektur des Kranken¬ 
hauses München r/I. zu übernehmen; hier hatte er sein ausser- 
gewöhnliches Organisationstalent bald bei der Erbauung des 
Prosekturgebäudes zu zeigen, des ersten in Deutschland, das 
die Forderungen moderner Reinlichkeit, ja moderner Asepsis 
auf der Arbeitsstätte des Pathologen erfüllen sollte. 

• Am 1. Dezember 1904 verliess er München und folgte dem 
ehrenvollen Rufe Frankfurts, als Direktor an die Spitze der 
durch Carl Weigerts Tod verwaisten Dr. Sencken- 
b e r g sehen Anatomie zu treten. Es waren glückliche Jahre 
voll intensivster freudigster Arbeit, die für ihn kamen. Das 
grosse freie Wirkungsfeld, das sich ihm bot, der innige Ver¬ 
kehr, in den er mit den Vertretern der praktischen Medizin 
in Frankfurt treten konnte, die Verehrung, die Frankfurts Aerzte 
ihm entgegenbrachten, die Zahl der Schüler aus allen Ländern, 
die stetig wuchs — dies alles erfüllte ihn mit tiefer Genugtuung 
und freudig schlug er Berufungen an Universitäten aus, hatte er 
doch gerade in Frankfurt ein Wirkungsfeld und einen Kreis 
von Freunden, an denen er mit allen Fasern seines Herzens 
hing. 

In den letzten Jahren leitete er den Neubau der Dr. 
S e n c k e wb e r g sehen Anatomie, des vielleicht schönsten 
pathologischen Institutes Deutschlands, das Zeugnis seines 
genialen Erbauers ablegt. 

Ende April zog er in das neue Haus ein zu neuem Wirken. 
Der Termin der feierlichen Einweihung war festgesetzt, als 
ihn plötzlich ein Blutsturz dahinraffte. Seit 1906 rang er mit 
einer schleichenden Erkrankung seiner Lungen; als er vor 
wenigen Wochen neugestärkt aus dem Süden zurückkehrte, 
da hoffte er, endlich die tückische Krankheit besiegt zu haben; 
blühend aussehend, wie Jahre vorher nie, mit neuer Lebens¬ 
lust und Schaffensfreude, betrat er die in seiner Abwesenheit 
vollendete neue Arbeitsstätte; für kurze Zeit: ein gütiges Ge¬ 
schick bewahrte ihn vor dem furchtbarsten, was ihm hätte be- 
schieden sein können: vor Siechtum und Verdammung zur 
Untätigkeit. 

Er war ein seltener Mensch; mit ungewöhnlichen Geistes¬ 
gaben ausgestattet arbeitete er mühelos; zu kritischstem Ver¬ 
stände trat raschestes Erfassen und ein glänzendes Gedächtnis 
stand ihm treu zur Seite. Einige Beispiele hiefür: nicht nur, 
dass er bei irgend einer eben aufgeworfenen Frage die ver¬ 
schiedensten Autoren wörtlich zitieren konnte, er konnte viel¬ 
fach selbst die Seitenzahl angeben, auf der sich diese oder jene 
Ansicht des Autors wiedergegeben findet. — Vor Jahren hielt 
er in öffentlicher Sitzung der Münchener psychologischen Ge¬ 
sellschaft einen glänzenden, 4 Stunden langen Vortrag über 
„Gehirn und Seele“. Er hatte hiezu nie ein Manuskript be¬ 
sessen, sondern sprach völlig aus dem Stegreife vor den 
Hunderten der bewundernden Zuhörer. — 

Er sprach überaus leicht, äusserst rasch, so dass es oft 
schwer war, seinen Ausführungen zu folgen, oft in grossen 
Satzperioden. Und trotzdem war es stets ein Genuss, ihm 
zuhören zu können, und wenn Eugen Albrecht sprach, 
dann wusste man im Voraus, dass neue Gedanken und eine 
Fülle von Anregungen geboten werden. 

Persönlich war er der liebenswürdigste, geistreichste Ge¬ 
sellschafter, den man sich denken konnte, ein vorzüglicher 

3 * 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1540 


Musiker, der meisterhaft Klavier und Cello spielte, ein feiner 
Kenner der schönen Literatur; er war weit entfernt von dem 
stillen Stubengelehrten, als den ihn sich ihm Lernerstehende so 
oft vorstellten. Alb recht war auch nie theoretischer 
Mediziner allein; er war der geborene Arzt und in München 
hatte er eine sich stets mehrende (iemeinde dankbarer Pa¬ 
tienten, und manche ülanzkur glückte ihm; lange Zeit, ehe er 
sich ganz dem Studium der pathologischen Anatomie hingab, 
war er im Zweifel, ob er nicht doch in die Praxis gehen sollte, 
so mächtig zog ihn die wirkende Medizin an und seine be¬ 
sondere Freude war es in München sowohl, wie später in 
Prankfurt, in so engem Konnex mit befreundeten Klinikern 
stehen zu können und so (ielegenheit zu haben, die Beob- 
achtungen am Sektionstische mit denen am Krankenbette ver¬ 
gleichen zu können. 

Die Förderung des engen Kontaktes zwischen patho¬ 
logischer Anatomie und der praktischen Medizin w ar auch eines 
der Hauptziele, die er der voriges Jahr von ihm gegründeten 
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie setzte: die innige Zu¬ 
sammenarbeit von Theorie und Praxis schien ihm notig, sollte 
nicht die zentrale Stellung der Pathologie in der Reihe der 
medizinischen Wissenschaften verloren gehen, sollte sie sich 
nicht selbst zerstören und erstarren in unfruchtbarer reiner 
Morphologie. 

Die Arbeiten A 1 b r e c h t s bew egen sich fast ausschliess¬ 
lich auf dem Gebiete der allgemeinen Pathologie; ihre Resultate 
sind noch nicht Gemeingut aller, noch ist vieles im Fluss und 
im Werden; Alb recht starb viel zu früh für seine Wissen¬ 
schaft. Aber was er getan, das wird und muss den Ausgangs¬ 
punkt einer neuen glänzenden Fntwicklung seines Spezial- 
faches bilden, wird für alle künftige biologische Forschung 
allezeit ein wichtiger Grundstein sein. Vor allem sind es seine 
Studien über die Zelle, die von fundamentaler Bedeutung sind 
und noch für Jahre hinaus Richtlinien jeglicher Zellforschung 
bleiben werden. 

Seine ersten Arbeiten über die Zelle fallen noch in seine 
Studentenzeit: so behandelte seine Dissertation bereits ein rein 
zelluläres Thema: den Untergang der Kerne der Frythroblasten 
der Säugetiere. Es gelang ihm, einwandsfrei den lückenlosen 
Beweis dafür zu erbringen, dass die Rindfleisch sehe Be¬ 
hauptung, der Kern der roten Blutkörperchen gehe durch Aus- 
stossung verloren, löse sich nicht, wie K ö 1 I i k e r und N e u - 
mann behaupteten, in der Blutzelle auf, völlig richtig sei. 
Es mag für den Wert dieser Arbeit allein sprechen, dass 
Alb recht selbst in einem Vorwort zu dieser erst 7 Jahre 
später in Druck erscheinenden Arbeit sagt, sie erscheine ihm 
auch in der ursprünglichen vor Jahren gegebenen Form noch 
genügend aktuell, da vine definitive Einigung in dieser Frage 
in der Zwischenzeit noch nicht erzielt worden wäre. 

Zu den Arbeiten der späteren Jahre über die physikalische 
Organisation der Zelle führen die mit Sch ma us gemeinsam 
ausgeführten Arbeiten über Karyorrhexis über, die die 
Tatsache festste Ilten, dass der Kernschwund im nekrobiotischeii 
Gewebe nach Ausdehnung und Schnelligkeit in augenfälliger 
Beziehung zur Intensität der Durchströmung mit Plasma stelle, 
dass der Kernschwund vom Chromatinschwund wohl zu 
trennen sei, dass letzterer eine mehr akzessorische Rolle spiele. 

Schon bei diesen Untersuchungen wurde sich A 1 b r e c h t 
darüber klar, dass die Zelle unmöglich aus festweicher Sub¬ 
stanz bestehen könne, dass sie grösstenteils flüssiger Natur sein 
müsse; denn beim Zelltod liess sich vielfach echte Gerinnung 
Nachweisen. Diese Anschauungen, die sich dann in der wieder 
gemeinsam mit Schmaus gefertigten Arbeit über ,,Koagu¬ 
lationsnekrose“ verdichteten, inaugurieren die grosse Zahl der 
späteren Arbeiten über den Aggregatzustand der Zelle, deren 
erste, die Untersuchungen über das Seeigelei, in ihrer Präzision 
und in ihrer strikten Beweisführung geradezu klassisch genannt 
werden darf. 

Ehe w ir hierauf eingchen, mögen ein paar Worte über den 
Stand der Physiologie der Zelle am Ende des vorigen Jahr¬ 
hunderts gestattet sein. Die Mehrzahl aller Arbeiten über den 
Aufbau der Zelle basierte auf gut fixierten und schon gefärbten 
Präparaten „Zelleichenbildern“, wie sie Alb recht nannte. ! 
Als Axiom galt und gilt auch jetzt vielfach noch der Satz, dass 
das Leben an feste Struktur gebunden sei; sprach doch noch 
vor kurzer Zeit Reinke den Satz aus, dass die Bedeutung 


No. *>. 


der F 1 e m m i u g sehen < ie i ustR hre des Protoplasmas dann 
liege, dass sie unumstossädi leststdie, also kirne llucr.e, 
sondern eine Tatsache sei, mit der man s;di eben a'tu.den 
müsse. Durch seine Deduklaui sdum konnte A 1 b r c v li t be¬ 
weisen, d iss derartige Anschauungen weder phwkansJi. 
noch chemisch irgendwie b. g ftp; de t m .ei:; umgt. s*.nss<. n w tirden 
sie durch die expermiente de Bew e>!ahru:;g. 

Fs ergaben die Lntersu diwugen am See igele: zur Lv .den/, 
dass Zelteib, Ke rn und ken.korpi rdiu: banger Natur s.ud 
lind absolut den phv s;ka!isdicn Gesetzen der 1 k.ss K se;:en 
unterliegen. Bereits einfache PressverMidie am Fi des Id:.’ ::s 
tmcrotubeTv.ulatns ergaben die v.-.l.ge /.ersprengba: seit \"ii 
Kern und k ernkorperdie n m ieU'Ue IrutJ.e::; dt P< 1\- 
morplne, die Nukleus und «Nuklei Jus bei c.rken :n Drucke ar- 
iialimeii, ähnlich wie enge presste W a »m r t r< mfl#. um bei 
Nachlassen des Druckes sofort wieder k uge.!' rm .11 / ,:■ e !:.::e n, 
die Randw u;ke !ste !!tilig des aus der Ze .le lierausge sprengten 
Kernes zum Zelle ib. wie dies nur an der Grenze zweier n.dr. 
mit einander mischbaren Tropfen Vorkommen könne; d.es ai.es 
waren wichtige Beweisgründe, und /ulet/t gelang es ihm. zwei 
oder drei der Furchungskerne aus ihren /ersfefV: gteu, Zeiie beru 
aneinander zu bringen lind sie wieder zu tut ein einheitlichen 
sich abmildernden Impfen zusammenlLesscn zu lasst 

Damit war der Beweis des flüssigen Aggre gat/ustae Je s 
von Kern und Kerukorperdien gegeben. wahrend er inr da.s 
Protoplasma sdmn früher als w ahrsdiemi.di galt; den Beweis 
hiefur erbrachte audi AI brecht durdi ve.ee Fntdeckm g 
..der tropfigen Entmisc him.g der Zeller:“: es ze:g‘c s:di r.ami.dt 
am Seeigele i, dann bei allen weiterh.u daran! untersuchter: 
Zellen und Zellt ropien bei Liriw irkui’.g d.bereuter Massigkeiten, 
selbst der indifferentesten unter ihnen, der physa.ä•g.sdtet: 
Kochsalzlösung, ein Auftreten feinster I roptduu. gleichv.el. *>b 
das untersuchte (iebiide frühe r Struktur!« >s w ar. ode r Net/- ode r 
Stabdic nstmktur Zeigte. Dass h.er wirklich I r> ■pichen ge¬ 
bildet wurden, nicht eine Sdiaumsjruktur entstand, hew.es 
wieder der Versuch. denn bei Drink auf de ei'trm-sdite r Ze* on 
schwammen die w nhlge lnide ten Tmpidun weg. D.e Mr- 
klarimg für dieses Phänomen der Futons,hb.:’ke :t de r /e e n 
fehlte liodi; erst spater gelang es A 1 b r e c h t. a’s ihre l r- 
saclie das F'reiw erden greiser Mengen ft ttartige r >;ibst.ir r. 
in der Zelte nadi/uw eisen; d.ese fettart.gen >ubst.»r/en fn.der: 
den Ueberzug der feinsten Lntimsdiueg^troptdR 

Diese Beobachtung musste audi gegen d e so geistvolle 
B ii t s c li 1 i - (.) u i n c k e sdie Tlu^kc vom wab.geu Auhmn 
des Protoplasmus, w eiagsters m der Ailgem.e mlu :t. d e ihr :hre 
Autoren gaben, sprechen; A I b r c s h t erkannte s.e als /;al- 
fall der Flussigkeitssttiiktur. die er k derzeit arten/. eil herv or- 
rufen konnte. Der Nachweis der ietthalt gen >;:bs*mven m 
der Zelle zeigte des weiteren, dass audi d e moderne Kollo; J- 
phaseiilehre die Strukturv'erat.de ru:\t n des !■ be: eie u Fi- 
weisses trotz aller Aeliu’.ic h,k e :!. r.dit .rn.ln/r: kure. d. s ss 
eile einfache Fi;tims v liueg nadi den Regeln der Ko'lo.dphasem- 
lehre absolut unzulänglich sei, w alirsdiem'.di überhaupt iuli; 
in Betracht komme. 


Fs w urde zu w eit fuhren. 

auf a! 

’e d e /a!: :e.. 

.her: ArK 

:te r : 

E u g e n A 1 h r e e h t s. die v. 

di mit 

di m Au:: .m 

der Zelle 

he¬ 

Sehaltigen. eiri/uge lie.u. M.t 

Ul e re 

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er Beweise um Bewein’ für 

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lehre / i g» 

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mit gr ossem Kh merze er lullt» 

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n hone Ze.t. 

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ihm gefundenen \\ ahi heilen. 

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lumpt einen Blick in das g t he; 

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■ e Re.dl de- 

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zellulären Gesdieluus er»>nee 

e ! 1. SO 

> Ia* ge kaum 

beaditet 

un d 

unlH’riicksichtigt blieben. 




I hirdi ehe Frkeimtrus de s 

flussi. 

v: Xgg'-.gat. 

un'.i: de s 

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Zelle erlu»h sidi A Ihre c h t 

von c 

!e r dm d.eu 

reu: r::nr; 


logiscliefl Betraditung der Ze 

Ile ZU 

ihrer phys...; 

< *g:schert 

Be- 


trachtung. In der Fntmisdibarke :t der Zelle. :n d.m Auftrete 
sichtbarer feinster Impubeu mit ?•. •’lialn.o r ( > ■ , - * -.die bei de r 
Fiinw irkung sdbsl dei: Korpt r\..s*gke •. u > - 

Einigkeiten. war eine h-'dist brauchbare >*• gef ir de-* 
um die Aufspeicherung de r versdue Je nstt a > m\m/e:i. derer* 
\ orhandcnsein man ia in der Zelle v< .rar>^ t/v u ws, 7.1 ver- 
. stehen. Die Tmpjdien warne J.-rm als Kor de ■ 're u auf- 

zu fassen, ihre durmen. fetthalt.ge rt Hulle-n mussten elek* vc*os- 
motisdie Wirkungen der von ihnen em.gesdiiusser.en F.uss-*- 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1541 


keiten, wobei besonders fermentative Tätigkeiten im*Zelleben 
in Betracht kommen müssen, ermöglichen. 

Die von A1 b r e c h t auf experimentellem Wege entdeckte 
Zellstruktur stimmt nun auffallenderweise nahezu genau über¬ 
ein mit dem von Hofmeister auf Grund chemischer Vor¬ 
aussetzungen aufgestellten Postulat einer Schaumstruktur der 
Zelle, deren trennende Wände allein dies Nebeneinander der 
vielen fermentativen Stoffe, die die Zelle beherbergt, ohne 
gegenseitige Störung dem Verständnis näher bringen könne. 

Auf Grund derartiger Betrachtungsweisen, die seine Ent¬ 
deckungen ermöglichten, konnte A1 b r e c h t mit Recht den 
Ausspruch tun: „Die Zeit ist vorüber, in welcher das Studium 
kunstvoll konservierter und hergerichteter Zellkadaver die 
letzten Fragen der Zellenlehre zu entscheiden sich vermass, in 
welcher „das Protoplasma“, die „lebende Zelle“ wie höchste 
Gottheiten des Lebens geheimnissvolle Verehrung bean¬ 
spruchen durften. 

Die neue, siegend voranschreitende Lehre von der zellu¬ 
lären Biophysik und Biochemie wird in Albrecht immer 
einen ihrer ersten Gründer und vielleicht den kritischsten ihrer 
Vorkämpfer verehren. 

Die letzten Jahre beschäftigten ihn hauptsächlich die Pro¬ 
bleme der Geschwulstlehre; auch hier schlug er neue 
Wege ein, die neue Ausblicke eröffneten, die geeignet waren, 
gerade zu einer Zeit, als die parasitären Theorien besonders 
energisch verfochten wurden, als es schien, als ob die In¬ 
angriffnahme der Krebsstudien von klinischer Seite allein Auf¬ 
klärung über die letzten Ursachen der Tumorentstehung ver¬ 
sprechen könnte, die Geschwulstlehre wieder der allgemeinen 
Pathologie, besonders der Entwicklungsmechanik zurückzu¬ 
gewinnen. Er befreite sich von vorneherein von der Anschau¬ 
ung, dass die Frage der Geschwulstlehre eine rein zelluläre 
Frage sein müsse, sondern griff auf die biologische Stellung der 
Geschwülste zurück. Das Aufwerfen dieses Gesichtspunktes 
musste von vorneherein mit vielen der alten, auf kaum einem 
Gebiete als gerade dem der Geschwulstlehre so üppig 
wuchernden, von Jahr zu Jahr durch alle Geschwulstwerke und 
Lehrbücher fortgeschleppten Sätzen, die fast dogmatische 
Kraft erlangt hatten, auf räumen: hierher gehört die alte Lüge 
des unbegrenzten Wachstums der Geschwülste als einer ihrer 
charakteristischsten Eigenschaften, die Lehre der selbständigen 
Zellwucherung, deren Begründung meist in nichts anderem als 
in ein paar mehr oder minder guten Schlagworten liegt. Vom 
entwicklungsmechanischen Standpunkte aus gab es für Al¬ 
brecht nur eine Lösung der Frage; er fand sie in der Auf¬ 
fassung der Tumoren als organartige Fehlbildungen, fasste also 
den Begriff wesentlich weiter, als die Cohnheim- 
R i b b e r t sehe Theorie, die nur in der Absprengung ein¬ 
zelner Zellen aus dem Verbände der Schwesterzellen die erste 
Ursache der Geschwulstentstehung sah. Von Interesse mag es 
hier sein, dass Albrecht mit dieser Auffassung sich wieder 
der fast unbewussten und ursprünglichen Theorie der ersten 
Geschwulstforscher, so z. B. Johannes Müller, näherte.- 

Nach Albrecht sind die Geschwülste nichts dem Körper 
Fremdes, ausserhalb der Gesetze des Körpers Stehendes, son¬ 
dern in ihrer Entstehung nur an der Hand der Entwickelung 
der Organe selbst, in denen sie entstehen, oder von denen sie 
ihren Ausgang nehmen, zu verstehen; sie müssen als teils 
früher, teils später entstandene Schwesterbildungen der Organe 
angesehen werden. Das Wesentliche der Zellwucherung sieht 
Albrecht nicht in Momenten, die ausserhalb der Zelle 
liegen, sondern in den der Zelle immanenten Eigenschaften; wie 
die organbildende Zelle, so ist auch die Tumorzelle „Träger 
der Organidee“, „der Repräsentant des in ihr inkorporierten, 
erst im Laufe der weiteren Zellgenerationen sich evolvierenden 
Bildungsmaterials, sie schliesst wie jene die Gewebs- oder 
Organbildungspotenz ein, nur dass sie durch Aberration von 
der Entwickelung der normalen Zelle — Stehenbleiben der Zell¬ 
differenzierung auf einem Durchgangsstadium, veränderte Be¬ 
einflussung des ihr zugeordneten Binde- und Gefässgewebes 
_zu anderen Resultaten kommt als die normale Zelle. 

A I b r ec h t s Frage an die Geschwülste war, wie sie sich 
zu dem Organ verhielten, aus dem sie hervorwuchsen, bei 
dessen Entstehung sich ihre Ausgangszeilen hätten beteiligen 
sollen, wie gross der Grad ihrer Abweichung von der Norm 


war, um daraus Schlüsse auf Grund der Abweichung von der 
Norm zu ziehen. 

So kam es zu einer neuen Einteilung der Geschwülste auf 
rein entwicklungsmechanischer Grundlage, die sich zwar noch 
nicht allgemeiner Anerkennung erfreut, in ihrer allgemeinen An¬ 
erkennung auch auf grosse Schwierigkeiten stossen wird, die 
aber gerade wegen des ihr zu gründe liegenden Prinzips 
zweifellos die verständlichste aller Geschwulsteinteilungen ist, 
lehrt doch gerade sie den engen biologischen Zusammenhang 
zwischen Geschwulst und Organ. 

Die Frage der Malignität der Geschwulstzellen war ihm 
der Hauptsache nach ein chemisches Problem der Zelle selbst, 
nicht eine Eigenschaft, die ihr von aussen beigebracht wurde, 
auf Grund seiner Deduktionen kam er zu Schlüssen, die fast 
völlig mit den von Ehrlich auf experimentellem Wege ge¬ 
wonnenen Anschauungen über die Avidität der Geschwulst¬ 
zellen gegenüber den Körpersäften übereinstimmten, wenn 
auch Ehrlich mehr eine Aviditätsverminderung der übrigen 
Körperzellen gegenüber der der Geschwulstzelle eigenen 
Aviditätsvermehrung im Sinne Albrechts annahm. Dass 
bei solchen Anschauungen kein Enthusiasmus für die parasitäre 
Theorie der Geschwülste bestand, ist selbstverständlich; 
A 1 b r e c h t hat derartige Anschauungen auch immer aufs ent¬ 
schiedenste bekämpft. 

Die Arbeiten Albrechts über die Geschwülste bedürfen 
intensiven Studiums. Der aber, der sich mit ihnen beschäftigt, 
wird vielleicht hier noch mehr als auf dem Gebiete der Zell¬ 
struktur bei der Fülle der Anregungen, der neuen Gesichts¬ 
punkte, die Seite für Seite dem Leser entgegentreten, Al¬ 
brechts überragender Bedeutung erst recht bewusst. 

Die kleineren* Arbeiten Albrechts sind mehr kritischer 
Natur, bieten aber deshalb nicht weniger des bedeutenden In¬ 
halts. In der Tuberkulosefrage, für die er vielleicht in einer 
Vorahnung des ihm drohenden Geschickes besonderes Inter¬ 
esse hatte — sezierte er doch jahrelang jede Phthisikerleiche, 
die doch sonst sehr als quantitö negligeable betrachtet werden, 
selbst — bekämpfte er als einer der ersten die B e h r i n g sehen 
Thesen über die Tuberkuloseinfektion, die ihm vom patho¬ 
logischen Standpunkte aus teils ungenügend begründet, teils 
direkt falsch erschienen. In der Frage der Aetiologie der 
Atheromatose vertrat er den rein mechanischen Standpunkt: 
Das Primäre der Gefässerkrankung war ihm die mechanische 
Schädigung der Wand. T h o m a entgegen stellte er fest, dass 
Gefässerweiterung oder -Verengerung allein eine Wand¬ 
schädigung nicht bedingen könne. 

In einer Studie über den Wurmfortsatz, die besonderes 
Interesse wegen des Rückgreifens auf die vergleichende 
Anatomie, die ihm ja absolut geläufig war, bietet, kommt er zu 
dem originellen Schlüsse, dass die Bedeutung des Wurmes vor 
allem darin liege, am Eingang des Dickdarms noch einmal 
ebenso wie vorher die Peyersehen Plaques des Dünndarms 
ein grösseres Lymphozytenlager darzustellen, das Antikörper 
in flüssiger und organisierter Form zu liefern imstande sei. 
Den Wurm, besonders den jugendlichen follikelreichen, 
sah er demnach als ausgedehnte Immunisierungsstätte für die 
Bakterienflora des täglichen Lebens an. 

Weniger bekannt als diese Arbeiten, von denen ich nur 
wenige herausgegriffen habe, sind seine erkenntnistheoretischen 
Schriften, die aber am allerbesten seine ausserordentliche 
philosophische Bildung, sein scharfes Urteil, seine glänzende 
Logik bewundern lassen. In seinen „Vorfragen der Biologie“ 
bekämpft er mit aller Entschiedenheit die vitalistische Lebens¬ 
auffassung und bekennt sich als überzeugten Anhänger der 
mechanistischen Richtung, wenn er auch „eine Ueberspannung 
der mechanistischen Auffassung, die die Welt voll und ganz zu 
erklären hoffte“, als völlig unberechtigt ansah. Trotz aller 
vitalistischer und mechanistischer Spekulationen bleibt, so 
schliesst er, das Problem der Form als ungelöstes und unlös¬ 
bares Rätsel. Vor ihr muss alle Spekulation Halt machen, soll 
nicht Gefahr bestehen, in mystische Träumereien mecha¬ 
nistischer oder teleologischer Art über den letzten Grund des 
Lebens zu verfallen. 

Eugen Albrecht, der grosse Forscher und Denker, 
ist tot. Wie ein leuchtendes Meteor tauchte er aus dem Strome 
des Lebens auf — um ein Bild aus seinem Vortrage über 
Gehirn und Seele zu gebrauchen —, Klarheit und hellen Glanz 


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1542 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N . 


verbreitend, um zu früh wieder hinabzutauchen in die Nacht 
des Nichtseins. Sein Werk aber lebt und wird leben bleiben. 
*Exegit monunientum aere perennius.“ 

Oberndorfer - München. 


Aerztliche Verhältnisse In Australien. 

Von Dr. Edward Schütt. 

Als ich im Anfänge dieses Jahres meine Praxis in S\ dncy 
(N.S.W.) aufgab, um nach Kuropa zurückzukehren, sagte mir bei 
meinem Abschiedsbesuch der deutsche (ieneralkonsul. dass hüuiig An¬ 
fragen von Aerzten aus Deutschland an ihn gerichtet winden über 
die Aussichten, die sie bei einer Niederlassung in Australien hatten, 
und bat mich, ihn doch in grossen Umrissen zu informieren, was er 
auf fernere Kragen am besten antworte. Da sich dies nicht mit zwei 
Worten erledigen liess, versprach ich ihm. nach meiner Rückkehr 
durch Veröffentlichung meiner Krfahrungen in dem verbreitetsten 
Kachblatte für genügende Aufklärung der etwa interessierten Kol¬ 
legen zu sorgen. Diesem Versprechen möchte ich hiermit nacli- 
kommen. 

Australien ist eine britische Kolonie, und deshalb ist das erste 
Erfordernis Beherrschung der englischen Umgangssprache. Kennt¬ 
nis der typisch englischen Sitten und Gebräuche wird den Zti/iehen- 
den vor manchem Anstoss bewahren; der Arzt insbesondere tut gut. 
sich mit der englischen Rezeptur (British Pharmacopoea) mul den 
mittelalterlichen Gewichtseinheiten (Unzen, Drachmen, Skrupel mul 
Uran) etwas vertraut zu machen. 

Die behördliche Zulassung zur Ausübung der Praxis in Austra¬ 
lien unterliegt den gesetzlichen Sonderbestimmungen der einzelnen 
Staaten. Bis zum 5. Eebruar 1907 wurden sämtliche Inhaber von 
Diplomen oder Approbationen, gleichgültig welcher Nationalltat an¬ 
gehörig, als „Medical practitioners“ registriert, sofern nur der Nach¬ 
weis erbracht war, dass sie einen ordnungsmassigen l'iinfiahr-Kurs 
auf einer britischen oder ausländischen Universität absolviert und die 
jeweils vorgeschfiebenen Schlussexamina, die zur Zulassung in dem 
betreffenden Lande verlangt wurden, bestanden hatten. Kur die 
Staaten West-Australien, Süd-Australien, Ncu-Siid-Walcs und 
Queensland gelten diese Bestimmungen noch heute, während der 
Staat Victoria mit der wichtigen Hauptstadt Melbourne seit oben¬ 
genanntem Datum die Registrierung ausländischer Aerzte ganz be¬ 
deutend eingeschränkt hat. Hier ging man bei der Neuregelung des 
„Medical Act" vom Grundsätze der „reciprocity“. der Gegenseitig¬ 
keit, aus und fixierte als Basis, dass in Victoria nur die Inhaber von 
Diplomen solcher Länder registriert werden sollen, die auch ihrer¬ 
seits die auf australischen Universitäten erworbenen Diplome an¬ 
erkennen und deren Besitzer zur Praxis zulassen. Das trifft fur 
Deutschland natürlich nicht zu; das trifft nicht einmal zu fnr die 
britische Kolonie Canada, so da<s also ein englischer Untertan, der 
auf einer canadischcn Universität seine Examina gemacht hat. in der 
(nominell wenigstens) britischen Kolonie Victoria keine Praxis aus¬ 
üben darf. 

Charakteristisch für die Art und Weise, wie in Australien Ge¬ 
setze gemacht werden und in Kraft treten, ist gerade dieser neue 
Act. Am 2K. Dezember 1906 wurde die Vorlage ins Parlament ge¬ 
bracht und am 5. Eebruar 1907 trat das Gesetz bereits in Kraft, 
also zu einer Zeit, in der ein am 2 *. Dezember 19tH> von Australien 
nach Europa abgeschicktcr Brief gerade eben seinen Bestimmungs¬ 
ort erreicht haben konnte. So kam cs, dass ein deutscher Arzt, der 
sich in Melbourne bereits vorher einen sehr guten Boden zum An¬ 
fängen geebnet hatte und Anfang Januar von Genua abgefahren war. 
bei seiner Ankunft am 15. Eebruar fest verschlossene Türen fand und 
trotz aller Konnexionen, die er in Anspruch nahm, nicht registriert 
wurde. Man w'olltc allerdings unter diesen besonderen Umstän¬ 
den, da der Betreffende vor seiner Abreise ja noch nicht einmal 
Kenntnis von der beabsichtigten Gesetzesvorlage in Europa 
hatte haben können, eine Ausnahme machen und von einem noch¬ 
maligen fünfjährigen Studium auf australischen Universitäten ab- 
schcn, den Herrn also gleich zum nächsten Termin in das — Physi¬ 
kum (!) hineinsteigen lassen und nach Bestehen dieses Vorexamens 
ihm die Zulassung zu den Schlusspriifungen gewähren! Die selbst¬ 
bewusste medizinische Kakultät in Melbourne musste sich gefallen 
lassen, ob ihrer Gnade ausgelacht zu werden mit dem Hinw eis dar¬ 
auf, dass selbst in London von ausländischen approbierten Aerzten 
nur eine Prüfung in den klinischen Köchern — also ohne Anatomie 
und Physiologie — zwecks Zulassung verlangt werde. Das Gesetz 
erregte unter den zahlreichen Deutschen in Victoria begreiflichen 
Widerspruch, da mau mit Recht eine Spitze gegen Deutschland darin 
fand, doch wurde stets beschwichtigt, man wolle nur den Zuzug 
amerikanischer „Sechswochenärzte“ und der berüchtigten „Doctores 
Philadelphiae" verhindern. Als Kuriosum will ich noch erwähnen, 
dass ein Melbourner Kollege mir gegenüber sich riihmeud den 
„Vater dieses Gesetzes“ nannte, und dieser Herr ist — d e u t s c h e r 
Abstammung! 

In den anderen Staaten ist, wie bereits erwähnt, die Zulassung 
weniger beschränkt; doch ist zu erwarten, dass über kurz oder 


lang die ganze „Commonwealth" sich dun \ <>r gehen \ ub-Mas an- 
schliesseri w ird. Zur Erlangung des Ze rtr.sates a.s praktischer 
Arzt meldet man suh bei dem ..Meihw.il B.<.ird" unter \--r.age des 
Approbationssdiemes und der Abgangszeugnisse v.»n den l mur\i- 
täten, aus denen ein mindestens tunt ah; ue> Studium n.idia\niH!i 
werden muss. Darauf erfolgt die ReGerung in der midisten 
Sitzung ohne weiteres und der neue Doktor kann daraut, -s praeb- 
zieren. 

Vorher empfiehlt sich iedoeh ii'sli eines für ihn: der j-uw,' 
Anschluss au die „British Medical \sMi v j,:tn<n". Diese Staudesvct- 
tretung sämtlicher Aerzte in 1 ugdmd ir*d alien seinen K ■ - - n, w n ist 
geradezu mustergültig und konnte vmbi .bull tur uns sein. Warnung 
der Stuildcsehie und \ertietung der w tsdiat! uhcti bte’ess-n de' 
Aerzte besorgt sie in gleich v « a ne Ime • und muhd uk über Meise 
Die Aufnahme erioigt durch B.i !■ de me ■ 1 1 muh \-asd ..g dmd: zwei 
Mitglieder der Gesellschaft. Per l.dut sbe it> a* f’eV.> K ! 2 <ia.-u.ts 
M2 Mark). Datur wird elas .. British Melu.b hirea * 1 - .t« it» m 

die „Aiistrali.in Medical * lazette" gratis und p s;? ei ge ;ete:t. I" 
monatlichen \ er Sammlungen werden w .sseföu fi.it: c ’e \" r t'age r :t 
Demonstrationen gehalten und M.uidesi:.uui e: te't; i oc r e .d- 
llaltlge Bibliothek stellt den Mitgliedern zur \e't Ci'g Pu \ss - 
ciatiolf normiert die Mimmalta xen bir ar/tuhe I e 'timaii und ! e- 
gutaditet die \ erlüge mit den k r anse nsass^ n. Wer vd; ihr ind! 
ausehhesst mul mit geringeren MopiuT.tr sai/ert a'be tet » de r b- \ - 
kottierte Kassen ubenimmit. gilt bei vle n k .egen as ..< »ats ! 

audi beim Publikum nur tur einen bessern k ir ptus. !u r. lebe- du 
Hohe der M orioraie Werde ich später sprechet 

Zunächst sieht sich als., der Vu.mger muh einem ..< >;u m; d 
fur seine Praxis um. Da entsteht denn d.e I *age . Stadl- «der 1 a: 

Praxis? 1 nlsdieidet er mJi tur letztere, s.. ist de N .iJe' reat.v 

einiadi. I r w emlet suh an eine Xgeiilur um! '.isst s.di einen z*..r 

Nieder lassung geeigneten Urt n.idiv e’ven. T.b't U". metet e ne W d - 
mmg und bringt sein Messingsdmd an. Aul den entegenen 
tiotis”. in den t ioidteider u. den Mi neu um! k'h. ..isfiMeii r-.Ut e’ 
aueli sofort sein Auskommen, dem» die Aeszte s.t.uu d r t ot; S Me e u 
weit auseinander und ehe ganze khentei les lutes, m dein ei ai" •• 
mul dessen midister l mgebting tadf dem V : r g s t -d zu V e- 
dliigs entbehrt ilas leben im „Loiint r \ " u dwe Ur Xrmehml.c bke .t. 
Wohnung mul \erpilegung vtul ausse-st p-mm.v. d e k<nper uhull 
Anstrengungen verlangen einen gestdi'uu k r;u r Muss d>di de* 
Arzt mitunter den ganzen lag im >a!tei sit/en und a.;t seinem P.-m \ 
rtieilenw eit im l rnkreis ehe Patienten besudun Dal .r ist a'ur das 
finanzielle Ergebnis redit gut. man kann rechnen, dass s.di de r 
Anfänger im ersten Jahre bereits „’di | '"■> M.rk aut d..e Pa 

tragen kann. Ist er cm tuchtiger Chirurg. s-. kann er leicht se.-.c 
Einnahmen bedeutend er Indie n. 

Ganz anders liegen ehe \ erha'tlftss,.- jp eb. n < r• ,ssst ; !te n H e'- 
bei muss idi zumuhst bemerken, .lass m der ^ta.lt s t ''M. der ..C:t\ 
nur ehe „Gifiwcs“ sich befühlen, u dodi keine f a" e ”w h-iru e 
Jedermann wohnt ausserhalb ekr Litv. in den < tt •Mim !e n .t B.P \ 
oder Boot entfernten \oroiten. Dadurch k-mmt es. ,:.»ss das Gel¬ 
der Aerzte denn Aer/tem.» ngel ist in den .i.sfaisduu .den 
durchaus nullt in zwei l agci gete.lt ist. s. d.e, v. e nur ..v^. ti- 

sulting-Practlcc" < >pr ec hstimde npr a\;si ausi'un ti*u' s db. de e!c- 
isiting-Practice" mubgehem l ur eien \nt.*nger ist cs rats.u*,. 
letzterem Modus zu beginne n. 

Hierzu wendet er suh g'eu ht.d's an eine Xgentur imd s«, lv : t. 
wenn er kapitalkr attig ist. eine beieits \ <. r ii.nuiime k le’.te! zu kaute m 
D er Kauf und \erkauf der Praxis ist du'c'aus ea M g und g.d' t u- d 
widerspricht weder der M.oukse hre n< «c ii den Be stimmmue n der 
Assoziation. Verfugt vier k'dege ud.-di Muht d ir e n t 1 as a s Ka¬ 
pital zw isclu u d*"o und 1 «»•»•*i M.,« k. s.. „isst er si, h u e :igsj v us e rt *i 
Norort nachweisem m elem Modi ein geei K m.!es f e .i! zu bd .uun ist. 
bevorzugt also als I »eutsdier etwa »he lus.-t !e r s v.n l'eii'vhe’i 
bewohnten \ofoitc und lasst sidi aut gut i i. ,d niedev Ibedei b. ( * 
er bessere Chane en. hodizukomme n. .t's Ivm B» cm mit der „C* o- 
sultmg-Practiee". Diese wird v.ui Ver/ftn ausge ' t. die K’e |, s e'r- t « 
Namen und Ruf haben. Se Ibstv erst.m !.:dt geh mi a e "pe/ia s*e-, 
zu dieser < iruppe. Eine eng isd'e f ge'i!^": ui'keit im gari’eti E'- 
xv erbslebetl ist es. elass ehe k 'nkurfinz suh mdit a"gst i^h aus de -u 
Wege geht, sondern im tugenteil suli in einer v !'.isse ,'i:vu”":e n- 
setzt. >o haben audi die \ t r z t e v..n Rut s.,m: idi m-e «m.c «o 
einer Strasse, mitunter elrei oder vier m e.:um Hause mit gerne.'“- 
scliaftlic hem Wartezimmer. Die Spr-ed^rm ‘env t „ke;! geht ru - st c •• v 
von <) 1 Uhr mul 2 -J Uhr n.khn.gl.igs. n and e \e'/fe baten au^h 

noch eine A)»endsp f e-c hstimde zweiten “ m ! \ !-r, baiud - 

sachlich fur ehe Kassenpatienten. 1 wr vle n \f’.."ger ist dies g e .c r - 
falls anzuraten. besmulcrs audi. dass er suh. u”. K’.r k-.ukassen Ue. - 
wirbt. E.s gibt mdit viele kass^n <J . gcs'. sie ’a' en ,i'v 
weil ihre Tarife der < krd.m.uiirg ilurdi vbe ,.M V • .c •' Vss.u iat, • r; 
unter hegt n. 

Die Von der Stande sv t r »* etling te st^e se t/te . ataxe T r 

är/tlidie l.eistungen bei P' i^’pa* e • d r> t •• ^ ' e imuea. e!. s 

Hl Mark d' Pieiimge! »iew or.v.uli !••• ud .1« r \-,-t t r die er v c 
Konsultation 1 <imnea J1 M . f r u f dei- e * <!•:'• .,.» |o 

di Pi. Besuche irn Maime w e • ’t u •• <r eaur »imua I - t j.. -1 v -t. ati^. 
waituge \ im teil muh vier Ve.m.d • 1 e V.e l.»> km.>. pr . 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1543 


Meile 1 Guinea. Wenn also, was nicht selten ist, ein Sprechstunden¬ 
praxis treibender Arzt zu einem Konsilium in einen Vorort gerufen 
wird, der 5 Meilen (8 km) entfernt ist, so liquidiert er dafür 5 Guineas 
(105 M.) und bekommt es bezahlt. Operative Leistungen erzielen 
Liebhaberpreise, für ein einfaches Curettement z. B. rechnet man 
100 bis 200 M. Diesen hohen Honoraren stehen aber leider sehr 
entsprechende Ausgaben gegenüber. Der Consulting-practitioner hat 
doppelte Wohnungsmiete zu zahlen, denn in der „Aerztestrasse“ 
findet er nur unmöblierte Räume für sein Sprechzimmer und keine 
Privatwohnung. Für ein gut gelegenes, unmöbliertes Sprechzimmer 
mit Benutzung des möblierten, gemeinschaftlichen Warteraumes sind 
wöchentlich 3 Guineas = 63 M. Miete zu zahlen! 

Die Ausgaben für Privatwohnung sind entsprechend den indivi¬ 
duellen Ansprüchen sehr verschieden. Am billigsten kommt der un¬ 
verheiratete Arzt durch, wenn er im Klub wohnt und speist. Die 
deutschen Klubs verlangen ein Eintrittsgeld von 5 Pfd. St. = 100 M. 
und einen Jahresbeitrag in der gleichen Höhe. Die vornehmen 
englischen Klubs: Union-Club in Sydney, Australian-Club in Mel¬ 
bourne, fordern 40 Guineas — 840 M. Eintrittsgeld und 10—20 Pfd. St. 
Jahresbeitrag. Aufnahme nach Vorschlag durch zwei, Patenstelle 
vertretende Mitglieder mittels Ballotage. In einem deutschen Klub 
kostet ein Zimmer mit erstem Frühstück 3 M„ Lunch und Dinner je 
1 M. 50 Pf. Ein Glas Bier, 0,3 Liter, 50 Pf., Vs Liter 75 Pf. Zigarren 
nicht unter 50, Zigaretten nicht unter 8 Pf. das Stück. Demnach 
würden sich die laufenden, notwendigsten Ausgaben für einen An¬ 
fänger pro Woche etwa stellen: „Office“-Miete 63 M., Kost und 
Logis im Klub etwa 50 M., Summa 113 M. Das sind im Monat etwa 
480 M„ dabei ist angenommen, dass der Betreffende Nichtraucher ist 
und bloss 1 M. pro Tag für Getränke ausgibt. Dazu kommen dann 
noch Telephongebühren mit 100 M. jährlich, Klubbeitrag, Feuer- und 
Unfallversicherung etc. Die Möblierung des Sprechzimmers ist auch 
recht teuer, die Fussböden sind nicht einmal gestrichen, der Mieter 
hat sich Linoleum oder Teppich selbst anzuschaffen. Die Einrich¬ 
tungskosten eines einfach ausgestatteten Sprechzimmers ohne Instru¬ 
mentarium belaufen sich auf etwa 1000 M. Im ersten Jahre kann 
der Anfänger nur damit rechnen, alle oben nicht aufgeführten Aus¬ 
gaben — also Bekleidung und kleine Bedürfnisse — aus den Ein¬ 
nahmen der Praxis zu bestreiten, für die laufenden Ausgaben muss 
er das Kapital für mindestens 2 Jahre, also etwa 12 000 M. mit¬ 
bringen! 

Für den verheirateten Arzt gestaltet sich das Budget wesent¬ 
lich ungünstiger. Er muss ausser der „Office“ ein Häuschen in einem 
Vorort mieten — der Engländer kennt keine Mietswohnungen, son¬ 
dern hat das System der Einfamilienhäuser — und doppelte Haushal¬ 
tung führen; denn seinen Lunch muss er aus Zeitmangel doch im 
Klub einnehmen und kommt erst abends zum Dinner nach Hause. 
Dazu kommen die hohen Dienstbotenlöhne. Eine Köchin erhält 20 M., 
ein Dienstmädchen 15 M. pro Woche! Näher auf diese Verhältnisse 
hier einzugehen, verbietet mir der Raum, doch genügen wohl die ge¬ 
gebenen Daten, um zu zeigen, wie grundverschieden von heimat¬ 
lichen Verhältnissen die Bilanz sich gestaltet, und wie eindringlich 
man warnen muss, auf ein Vermögen hin, das zu Hause gestatten 
würde, 2 Jahre „standesgemäss“ zu leben, in irgend ein fremdes 
Land hinauszugehen. 

Noch ein Wort über die gesellschaftlichen Beziehungen. Austra¬ 
lien ist ein Land „for making money“ in jedem Berufe. Für ästhe¬ 
tische Bedürfnisse ist wenig gesorgt; natürlich gibt es Theater und 
Konzerte in den Städten, jedoch stehen diese Veranstaltungen bei 
äusserlich glänzender, unsere Ansprüche weit übertreffender Aus¬ 
stattung inhaltlich auf einem sehr, sehr niedrigen Standpunkte. Das 
Erholungsbedürfnis der Massen wird durch die Sports, vor allem den 
Rennsport, befriedigt. Ueber wissenschaftliche Leistungen und die 
Universitäten spreche ich gelegentlich an anderer Stelle. Nichts 
Langweiligeres gibt’s als eine englische Dinner-party oder Garden¬ 
party. Die Leute kommen, um sich fürchterlich anzuöden und ver¬ 
sichern beim Abschied dem Gastgeber, wie unendlich reizend die 
Veranstaltung gewesen sei. Höflich ist der Engländer und auch der 
Australier, auch dem Deutschen gegenüber, der gefürchtet und ge¬ 
hasst ist, ist der Kollege von bestrickender Liebenswürdigkeit. 
Aeusserlich! 

Sydney hat — wenn ich mich recht erinnere — ca. 50 000 
Deutsche, und noch hat es kein deutscher Arzt auf die Dauer aus¬ 
gehalten. Ich war der einzige deutsche Arzt dort zu meiner Zeit 
und konnte mich nicht über mangelndes Entgegenkommen weder der 
Deutschen noch der Engländer beklagen und dennoch fällt einem 
der Stumpfsinn in dem grossartig zivilisierten, doch recht wenig 
kultivierten Lande so sehr auf die Nerven, dass man von Bord des 
heimwärts fahrenden Dampfers erleichtert ruft: 

„Good bye, Australia. never see vou again!“ 


Referate und BQcheranzeigen. 

H. Boruttau- Berlin: Lehrbuch der medizinischen 
Physik für Studierende und Aerzte zur Ergänzung jedes Lehr¬ 
buchs der Experimentalphysik. 282 Seiten mit 127 Abbildungen 
im Text. Verlag von J. A. Ba r th, Leipzig, 1908. Preis 8 M. 

Das vorliegende Buch ist, wie im Titel angedeutet, als Er¬ 
gänzungsband zu jedem Physikbuch gedacht, es nimmt aber 
doch speziellen Bezug auf das im gleichen Verlage erschienene 
Lehrbuch der Experimentalphysik von L o m m e 1 und will 
die Tatsachen und Lehrsätze der Physik, soweit sie zur Ge¬ 
samtheit der Heilkunde Beziehung haben, insbesondere die 
täglich zahlreicher werdenden Spezialfälle ihrer Anwendung 
in der Medizin in durchaus elementarer Weise kurz be¬ 
sprechen. Einen Vorläufer hat das Buch in Adolf F i c k s 
berühmter „Medizinischer Physik“, die vor mehr als 20 Jahren 
in dritter und letzter Auflage erschienen ist. 

In acht Kapiteln, betitelt: Einleitung — Mechanik der festen 
Körper — Mechanik der flüssigen Körper — Mechanik der gas¬ 
förmigen Körper — Schall — Wärmelehre und Thermodynamik 
— Magnetismus und Elektrizität — Optik, wird der vielfältige 
Stoff zugleich unter Hinweis auf die Literatur bewältigt. Ein 
Autoren- und Sachregister ist dem Buche noch beigefügt. 

Nach einleitenden Bemerkungen wird im ersten Kapitel 
über Mess- und Zählmeihodeu, ihre Fehler und Genauigkeit, 
über graphische Aufzeichnungen und über die gebräuchlichen 
Massysteme berichtet. Im zweiten Kapitel werden die Gesetze 
der Mechanik besprochen und auf Knochen, Knorpel, Sehnen, 
Gefässe, Nerven und insbesondere auf die Muskeln im allge¬ 
meinen und speziellen (Lokomotion) angewendet. Nach diesem 
Hinweis auf die Eigenschaften der Flüssigkeiten geht der Ver¬ 
fasser im dritten Kapitel auf die Flüssigkeitsströmung mit Rück¬ 
sicht auf den Blutkreislauf ein, wobei er auch die Theorie und 
Praxis der hierhergehörigen Messapparate in Betracht zieht. 
Oberflächenspannung, Viskosität, Filtration, Diffusion, Osmose, 
allgemeine physikalisch-chemische Gesetze im lebenden Or¬ 
ganismus und speziell-medizinische Anwendungen der physi¬ 
kalischen Chemie sind weitere Themata in diesem Abschnitt. 
Das vierte Kapitel befasst sich zunächst mit den allgemeinen 
Eigenschaften der Gase und mit ihrer Absorption und chemi¬ 
schen Bindung in Flüssigkeiten, dann mit der Gasanalyse, der 
Aerotonometrie und den physikalischen Erscheinungen bei der 
Atmung. 

In dem fünften Kapitel vom Schall wendet sich der Ver¬ 
fasser nach einem Hinweis auf die Hörgrenzen zu den zu¬ 
sammengesetzten Schwingungen, deren Analyse er lehrt, zur 
Schallregistrierung, zu den Hörtheorien, zum Perkussions¬ 
schall, zu den Atemgeräuschen und Herztönen und schliesslich 
zur Stimme und Sprache. Thermometrie und Kalorimetrie, 
Wärmehaushalt im tierischen Körper, Verbrennungswärme der 
Nahrungsmittel, daran anschliessend physiologische Thermo¬ 
chemie und Thermodynamik, insbesondere des Muskels, 
werden im sechsten Kapitel behandelt. Dazu kommen im 
siebenten Kapitel elektrostatische Eigenschaften des Körpers, 
Kataphorese, bioelektrische Erscheinungen, Elektrotonus, 
Zuckungsgesetz und elektromedizinische Apparate. Mit dem 
achten Kapitel über Optik schliesst das Buch, in welchem 
Kapitel über einfachere und kompliziertere dioptrische Sy¬ 
steme, über das Auge als dioptrischer Apparat, über Seh¬ 
prüfung und Brillenbestimmimg, über das Mikroskop und 
seine Anwendung, über Ultramikroskopie, Mikrophotographie, 
Polarimetrie, Spektroskopie, Spektrophotometrie, Kalorimetrie, 
Endoskopie und über Theorie und Praxis des Augenspiegels 
berichtet wird. 

Das gut ausgestattete Buch, das man sich allerdings nicht 
recht als Ergänzungsband zu einem Lehrbuch der Physik 
denken kann, denn es setzt physiologische Kenntnisse voraus, 
über die, abgesehen von den Medizinern, die gewöhnlich 
Physik Studierenden nicht verfügen, wird w ohl besser als ein 
Lehrbuch der Biophysik bezeichnet. Als solches kann cs dem 
Mediziner wesentliche Dienste leisten, dem jüngeren, indem 
es ihn in die physikalischen Probleme der Physiologie einleitet, 
dem älteren, indem cs ihm zur raschen Orientierung in einer 
speziellen biophysikalischen Frage dienen kann und ihn so 
der Mühe enthebt, in den weitläufigeren physiologischen Lelir- 


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1544 


MUENCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N<». * 1 . 


biichern das Gewünschte erst zu suchen. Durch letzteren Um- 
stand und dadurch, dass das Buch auf die Bedürfnisse der 
Klinik eingeht, empfiehlt es sich auch insbesondere dem 
wissenschaftlich arbeitenden Arzte. 

K. B ü r k e r - Tübingen. 

Leser: Die spezielle Chirurgie in 60 Vorlesungen. Ver¬ 
lag von Gustav Fischer. Jena 1908. 8. Auflage. 1279 S. 
Preis br. 24 M. 

Die spezielle Chirurgie ist von Leser in einem, aller¬ 
dings stattlichen Band zusammengefasst. In den ausgezeich¬ 
neten Lehr- und Handbüchern, welche die deutsche Literatur 
aufweist, ist das grosse Gebiet meist eingehend bearbeitet. 
Das L e s e r sehe Buch soll jedoch nach dem Vorwort zur 
1. Auflage hauptsächlich dem Studierenden zur Ergänzung des 
Kollegs dienen, nachdem die Chirurgie nur durch praktische 
Uebungen, durch fortgesetztes Studium in Klinik und Poli¬ 
klinik zu erlernen sei. Dieser Zweck erscheint mir von L eser 
erreicht. Freilich dürfte der Verfasser in der speziellen, wie 
in seiner allgemeinen Chirurgie dem Studierenden vielfach 
bessere, nach der Natur aufgenommene Bilder an Stelle sche¬ 
matischer oder schlechter, aus alten Lehrbüchern über¬ 
nommener Zeichnungen bringen. Die Röntgenbilder lassen 
fast alle sehr zu wünschen übrig. Die Anschauung darf auch 
in einem kompendiösen Lehrbuch nicht zu kurz kommen. Man 
vergleiche hiezu die vorbildlichen Illustrationen des Lex er¬ 
sehen, Bergmann -Bruns-Mikulicz sehen, K o c h e r- 
schen Werkes und anderer Lehrbücher. Die mikroskopischen 
Bilder haben im L e s e r sehen Buch zumeist eine gute Dar¬ 
stellung erfahren. Als neuen Abschnitt hat Leser in der 
8. Auflage seiner speziellen Chirurgie eine ganz kurze Zu¬ 
sammenfassung der Ureterenchirurgie eingefügt. Auch ist die 
Orientierung dadurch erleichtert, dass den einzelnen Ab¬ 
schnitten des Buches besondere Ueberschriftcn vorgesetzt 
wurden. G e b e I e - München. 

Graefe-Saemlsch: Handbuch der gesamten Augen¬ 
heilkunde. Leipzig 1908. W. E n g e I in a n n. 2. Auflage. 

In der 130. bis 134. Lieferung behandelt Prof. W a ge¬ 
rn a n n - Jena die Verletzungen des Auges mit Berücksichti¬ 
gung der Unfallversicherung. Preis dieser 5 Lieferungen 
15 M., für Subskribenten 10 M. Der allgemeine Teil beginnt 
mit der Einteilung und Statistik der Augenverletzungen und 
als wesentlicher Neuheit: der Erhöhung der Verletzungs¬ 
gefahren und Folgen durch vorher bestandene krankhafte 
Veränderungen der Augen. Dann bespricht Vcrf. die Prophy¬ 
laxe der Augenverletzungen und die Wundinfektion nach den¬ 
selben, sowie den Einfluss von Trachom und von konstitutio¬ 
nellen auf Infektion beruhenden allgemeinen Krankheiten, be¬ 
sonders Tuberkulose und Lues, ferner die Bedeutung des 
Trauma für die Entstehung von Tumoren des Sehorgans. Im 
Anschluss werden die traumatischen Iriszysten inkl. Therapie 
sehr eingehend behandelt. Es folgen die interessanten Kapitel 
der traumatischen Hysterie und Neurasthenie, ferner die Psy¬ 
chosen, Epilepsie und Neuralgien nach Augenverletzungen. 
Ein grosser Abschnitt ist der Unfallversicherung und Ab¬ 
schätzung der Erwerbsunfähigkeit gewidmet. Die reiche da¬ 
rüber vorhandene Literatur wird kritisch gesichtet und an der 
Hand der gesetzlichen Bestimmungen wohl begründete und 
durch Erfahrung erprobte Richtpunkte für die gutachtliche Ent¬ 
scheidung gegeben. 

Am Schluss der Lieferung beginnt mit den Kontusions- 
Verletzungen der spezielle Teil, der nicht minder belehrend j 
und gut orientierend zif werden verspricht, als der allgemeine I 
led. Seggcl. , 

Physikalische Therapie in Einzeldarstellungen, heraus- I 

gegeben vor Dr. J. Marcuse und Dozent Dr. Strasser. | 
10. Heft. Sittmann: Erkrankungen des Herzens und der 
Gefässe. Stuttgart 1907. F. E n k e. 92 S. Preis 2.2<> M. j 

Das genannte Buch macht den Leser mit den Indikationen, ' 
Wirkungsweisen und Anwendungsformen der physikalischen 
Iherapie bei Herz- und Gefässkrankheiten vertraut. Be¬ 
sonders eingehend wird die Anwendung der COr-Bäder be¬ 
sprochen. Erwähnt sei auch noch, dass Verf. warm für die 
Verwendung von Sauerstoff bei dyspnoischen Herzkranken 


I eint ritt. Dem praktischen Arzte wird die Darstellung eine Will¬ 
kommene Gabe sein, weil er neben den alten bewahrten Me¬ 
thoden auch die Ergebnisse der neuesten Forsdimtg verwer.de! 

, finden w ird. * Ren n e r. 

i Franz Eulenburg: Der akademische Nachwuchs. 

I e n b n e r, Leipzig-Berlin l'X's. Preis M. 2. s,t . 

Pas 155 Seiten umiasser.de Puchlun wurde \<>n dem. 
Sozialw issenschaftler E u 1 e n b u r g vertagt. nachdem er 7i: 
einem Referat auf dem ersten Salzburger Hodisdmlldircrtag 
das Material von 22 «hi von Extraordinären und Pn\ atdozerteu 
, ausgefullten Persnnalkarten gesammelt hatte. Das Budi ist 
| den ..deutsehen Kollegen“ gewidmet und enthalt eine l’r.tcr- 
i suchung über die Lage und die Aufgaben der Extraordinarien 
| und Privatdozenten der deutschen u* d Österreich.s,hi n l n:- 
| xersitäten. Die sc hw eizens dien Hoc hsdiule n sowie d.e Poly¬ 
techniken konnten mdit berücksichtigt werden. Unter dem 
| ..akademischen Nachwuchs" ist nicht der Nachwuchs im stren- 
I geren Sinne gemeint, nicht diciemgen längerer. Prix atiozenteil 
1 tmd Extraordmarii allein, die Anwartsdiait aui ein (»rd.nariat 
| besitzen, sondern es ist darunter der ganze, nicht m der 
Fakultät vertretene inoffizielle Teil des Unix ersit.itslihrkorpers 
begriffen. So kommt es. dass naturgem.iss sehr verschieden¬ 
artige Elemente nutberiicksic hligt x\ erden mussten. vvJic. de 
den eigentlichen Nachwuchs darstellen. s«»|dic. d.e nur im 
Nebenamt akademische Iatigkeit aiiMihen nr J solche. d;e rtadi 
der Art des x«>n ihnen xertrefriien <\ k / algeb.etes e r: \ui- 
I rücken in ein Ordinariat gar nicht erwarten. Wenn aadi m 
| den einzelnen Bundesstaaten in x leien Punkten: \ erle.hurg 
i des Professortitels. Schaffung von Extraordinär;aten etc. sehr 
grosse Unterschiede bestehen, und xvenn andi d.e em/eiuer 
Fakultäten Schwer miteinander auf gleiche Stufe gestellt 
x\ erden können, so ergibt sich dodi aus der re.n obe ktix er: 1 >a r - 
stellung der Sachlage manches gemeinsame, so das Eu e. dass 
der inoffizielle Teil des Lehrkörpers gegenüber der eigent¬ 
lichen Fakultät allgemein im Wadiscn begr.tten ist. dass in 
allen Gebieten wichtige und notwendige Jene des Unterrichtes 
nicht von den Eakultalsmitglivdcrn. sondern x*m den Prixat- 
dozenten und Extraordinarien übernommen sind, dass das 
durchschnittliche Lebensalter, in dem der E.r /dre suh Iiab.l;- 
tiert, zum Extraordinarius ernannt worden ist. oder e.n (>rdi- 
nariat zu erxx arten hat, immer weiter hinaus: u v kt. Im ersten 
Kapitel, das die äussere Zusammensetzung des Lehrkörpers 
enthalt, wird über die Entwicklung des Lehrkörpers, d e so/;a:e 
Herkunft, über besondere Verhältnisse e.n/elner Fakultäten 
Z. B. über geringen Nachwuchs bei den Juristen. l eberurge N >: 
bei den Medizinern, über die Unterschiede pretisvsJicr un.J der 
übrigen deutschen sowie der österreichischen Universitäten, 
über die verschiedenartige Zusammensetzung des Lehrkörpers 
grosser und kleiner Unix ersitaten. sdil.esvi.di u * H r die tj c _ 
biitigkeit der Universitätslehrer berichtet. 

Im zweiten Kapitel sind die l mx’ersitatslehrer mit neben¬ 
amtlicher Stellung, die ..freien Lehrer“ und die ..regulären 
Dozenten“ besprochen. Es xxird die Yoriesargst.t'igkei!. d.e 
Assistenz und die Tätigkeit als V olkshodmdmllehrer. Leder 
besonderer Spezialkurse u. dcrgl.. sdihesshdi das Altcrsxer- 
baltnis auf (irund der Fragebogen dargeiegt. 

Das dritte Kapitel enthalt statische Angaben über die 
Dauer der Prix atdo/entur. die Vorbildung. u\r de I .n- 
nalimen, über die verschiedenen Charaktere der Lehrauftrage 
und über die ausscrakadetmsdie Tätigkeit. 

Das Buch ist eine w issensdiaftlidi s-.p,st.sd:e Arbt :t. ohne 
tendenziöse Nebeiiabsidite n ; es wird gethssert-.di x ertnaden . 
so weit es irgend aiigdit. \ erhessermtgsx «»rvdTage zu nadien. 
doch soll und w ird das Budl bei dem a’lgeme n are"kannten Be - 
diirfnis nach grosserer materieller und idte.br Sidk rs*e"ur: g 
des inoffiziellen Tehrkorpers von grundlegender Bedeutung 
werden. Man kann nicht geling bewundern, nur w* ’dier Sadi- 
keimtms Eulen bürg ;uk h die- k' -mpl. zierte n \ edi.dr.sce 
der medizinischen Fakultäten erkannt hat m d \e :e Scharf¬ 
sinnig er aus dem Statistik fü r Mate r.al Gerne uiMinus m;j 
Trennendes sichtet. Viele E.r/e Ihe :ter. so das. w .j c er über 
die Vorbildung der Med;/.: er. ider ihre 'Iu*:.;ke:t als k'.rGr- 
liausa SMS teil teil, Pros* k'ofe i: etc. ber,d:'i t. ot auwerorde t t’idi 
lehrreich, dodi kann auf d e s c Pu* kte U- r rid.t *;ng-. gang":: 
werden; allen, die s.di f..r de V e :''ov mugsG strdumgen 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1545 


unserer Universitäten interessieren, sei das ausgezeichnete 
Buch wärmstens empfohlen. Erich Meyer -München. 

Neueste Journalliteratur. 

Zentralblatt für innere Medizin. 1908. No. 27 u. 28. 

Lommel- Jena: lieber Blutstillung mittels Serum bei Hämo¬ 
philie. 

4 jähriger Knabe, der von der Mutter die Hämophiliedisposition 
ererbt hatte. Der Knabe blutete bei Keuchhustenanfälleri wiederholt 
in bedrohlicher Weise aus der Nase. L. brachte deshalb dem Kinde 
tierisches Serum, das die dem Kranken fehlenden Qerinnungsstoffe 
enthält, subkutan bei. Zweimalige subkutane Anwendung von Anti¬ 
streptokokkenserum (20 ccm und 10 ccm), ferner Einführung von mit 
Serum getränkten Wattebäuschchen in die Nase brachten Erfolg. Die 
Dauer der Nachwirkung ist begrenzt. 

No. 28. H. L ü d k e: Klinische und experimentelle Beiträge zur 
Konjunktivalreaktion. (Aus der med. Klinik in Würzburg.) 

Ein positiver Ausfall der Augenreaktion spricht meistens für 
Tuberkulose, während ein negativer nicht mit absoluter Sicherheit 
gegen Tuberkulose spricht. W. Zinn- Berlin. 

Klinische« Jahrbuch. 19. Band, Heft 1. 

Klaus Schilling: Bericht über eine Studienreise nach West¬ 
afrika. 

Die Reise sollte vornehmlich den Abschluss von Versuchen über 
die Bekämpfung der Tsetse-Krankheit bringen, die schon anderweitig 
publiziert sind. Hier werden vornehmlich ausführliche kritische Be¬ 
obachtungen über die hygienischen Verhältnisse in den einzelnen 
Kolonien und die Bekämpfung der Tropenkrankheiten, vor allem der 
Schlafkrankheit, mitgeteilt. Gerade von letzterer Krankheit ist 
Kamerun an der Südostecke bedroht. Sch. empfiehlt daher dringend 
die Errichtung von wissenschaftlichen Untersuchungsstationen. 

Die folgenden 4 Arbeiten bringen Untersuchungen über das Ver¬ 
fahren von N e 1 s s e r und Sachs zur forensischen Unterscheidung 
von Menschen- und Tierblut (Komplementablenkung). 

Löffler und Uhlenhuth äussern sich dahin, dass das Ver¬ 
fahren nicht geeignet ist, an Stelle der Präzipitinreaktion zu treten, 
so elegant der Nachweis kleiner Blutmengen damit ist. Wasser¬ 
mann kommt zum Schluss, dass das Verfahren als empfindlichste 
aller Reaktionen der Uhlenhuth sehen Reaktion überlegen ist, 
wenn es auch sehr kompliziert ist. 

Schulz und Max halten die Methode vornehmlich für von 
wissenschaftlichem Interesse. Sie kann für das andere Verfahren nur 
ergänzend eintreten. 

N e i s s e r und Sachs äussern sich auf diese 3 Berichte dahin, 
dass zwar die Technik des Verfahrens schwieriger ist als die 
Präzipitinreaktion, die Beurteilung des Ergebnisses aber eine leichtere 
ist Der praktische Wert kann nur nach den Erfahrungen der Praxis 
beurteilt werden. 

A. Oroth berichtet aus der bayer. Zentralimpfanstalt über 
Versuche zur Einführung frischer Vakzinestämme, wie sie durch er¬ 
folgreiche Uebertragung echter Pockenstoffe auf Kälber zustande 
kommt. 

Der Verfasser spricht sich am Schluss dahin aus, dass alle 
den Grenzen des Reiches benachbarten Impfanstalten beauftragt wer¬ 
den sollten, die Züchtung von Variolavakzine ins Auge zu fassen. 

Klausen berichtet über Untersuchungen von Material der 
Köaigsberger Augenklinik bezüglich der Entstehung und Entwicklung 
des Trachoms. 

Er fand mit Giemsafärbung in allen Fällen für das Trachom 
spezifische und differentialdiagnostisch verwertbare Gebilde, wie 
auch ein Impfversuch ergab. Die Natur der Gebilde, ob Bakterien 
oder Protisten, ist noch nicht entschieden. 

Finger: Die Wasserversorgung ln den Marschen des Re¬ 
gierungsbezirkes Stade. 

Monographische Darstellung der sehr ungünstigen Wasserver¬ 
hältnisse in dem alluvialen Marschengürtel, der die Geest mit ihren 
Mooren von Fluss und See scheidet. Die Untersuchungen wurden 
mit Hilfe der einzelnen Kreisärzte angestellt. 

Bis jetzt ist die Hoffnung auf Besserung noch recht gering. 

R. S e g g e 1 - Geestemünde. 

Zeotralblatt für Gynäkologie. No. 27. 1908. 

G. Leopold -Dresden: Ueber die Behandlung des Karzinoms 
mittels Fulguration durch Dr. de Keating Hart. 

L. berichtet über einen Besuch bei de Keating Hart in 
Marseille, dessen Verfahren er an Ort und Stelle studiert hat. L. hat 
daraus den Eindruck gewonnen, dass die Fulguration für einzelne 
vorgeschrittene Krebsfälle ganz hervorragende, z. T. einzig da¬ 
stehende Erfolge zu verzeichnen hat. De K. H. erwartet selbst 
keine Heilung von seiner Methode, aber eine örtliche Besserung, vor 
a'lem Auftiören der Jauchung und zeitw^eises Aufhören der Schmer¬ 
zen Rezidive können Vorkommen und müssen wieder fulguriert 
werden. Ueber L.s eigene Versuche will er später berichten. 


E. Kaufmann - Frankfurt a. M.: Zur Extraktion nach Müller. 

Bericht über einen Fall bei einer 32 jährigen III. Para mit mässig 
allgemein verengtem Becken. Kopf im Beckeneingang, in rechtem, 
schrägem Durchmesser. Wendung und Extraktion nach Müller, 
Rumpf, Schulter und Arme folgten dem Zuge leicht, der Kopf blieb 
aber in ausgesprochener Deflexionssteliung eingekeilt und musste 
schliesslich perforiert werden. 

K. Eisenstein -Szeged: Zwei Fälle spontaner Uterusruptur. 
Uterusruptur bei tiefstehendem Stelss. Wiederholte Uterusruptur. 

Der 1. Fall betraf eine 27 jähr. II. Para, wo die Ruptur in dem 
Moment auftrat, als die Frau bei sichtbarem Steiss auf das Querbett 
gelegt wurde. Extraktion und Drainage der Bauchhöhle. Wochen¬ 
bett völlig fieberfrei. 

E. nimmt an, dass bei der ersten Geburt eine partielle Usur der 
vorderen Zervixwand entstand, welche dann vernarbte. In der Narbe 
kam es dann zur Ruptur, die also rein hysterogen war. 

Der 2. Fall betraf eine 31 jähr. IV. Para, bei welcher während 
der 2. und 4. Geburt Spontanrupturen auftraten, welche beide Male 
konservativ behandelt wurden und heilten. Die 2. Ruptur entstand 
in der Narbe der früheren, vor 4 Jahren bestandenen. 

K. T a n t z s c h e r - Riga: Ein Fall von extramembranöser Gra¬ 
vidität. 

Man unterscheidet neuerdings bekanntlich 2 Formen der Hy- 
drorrhoea gravidarum, die H. d e t i d u a 1 i s und a m n i a 1 i s. Bei 
letzterer kommt es zur Ruptur der Eihäute und die Frucht tritt aus 
der Eihöhle in das Uteruskavum, wo sie zunächst weiter wachsen 
kann. So entsteht die extramembranöse oder extraovu- 
1 ä r e Schwangerschaft. Ein klinisch wichtiges Symptom zur Unter¬ 
scheidung derselben von der dezidualen Form ist der Abgang von 
reinem Blut oder blutiger Beimischung zum Fruchtwasser, wodurch 
auch Placenta praevia vorgetäuscht werden kann. 

Den von Pfeilsticker veröffentlichten 25 Fällen aus der 
Literatur fügt T. eine neue eigene Beobachtung hinzu. 

J af f 6-Hamburg. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrgang II. Heft 12. 

F. Heinsius-Schöneberg-Berlin: Zur Frage der Rezidive 
der Pseudomuzinkystome. (Aus der Privat-Frauenklinik von 
Dr. F. Heinsius.) 

19 jährige Patientin wurde im Februar 1903 wegen eines grossen 
polyzystischen rechtsseitigen Pseudomuzinkystoms operiert. Im 
Januar 1906 Relaparotomie, bei welcher ein apfelgrosser Tumor der 
Flexura sigmoidea gefunden wurde, die linken Adnexe waren bis auf 
ein durch sprungreife Follikel vergrössertes Ovarium gesund: Re¬ 
sektion des Dickdarms in der Länge von 13—14 cm. Durch die 
mikroskopische Untersuchung wurde festgestellt, dass der Darmtumor 
eine Metastase von dem bei der ersten Operation entfernten Pseudo¬ 
muzinkystom war. Verf. erklärt die Entstehung des Rezidivs damit, 
dass bei der ersten Operation die Flexura sigmoidea von dem 
Tumor abgelöst wurde und hierbei ein minimales Geschwulstteilchen 
am Mesenterium hängen blieb, welches langsam weiter wuchs. 

Alb. Müller- Magdeburg-Sudenburg: Zwei Fälle von Schei¬ 
denverletzung sub coltu. (Aus der gynäkol. Abteilung der Kranken¬ 
anstalt Magdeburg-Sudenburg.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Koitusverletzungen, Risse im 
hinteren Scheidengewölbe, bei einem 21 jährigen Mädchen (Nullipara) 
und 72 jährigen Greisin (VII. Para). Die Heilung erfolgte in beiden 
Fällen ohne Naht unter antiseptischer Behandlung. Im Anschluss 
hieran wdrd die Aetiologie dieser Verletzungen sowohl im all¬ 
gemeinen als im besonderen in den berichteten Fällen besprochen. 

A. Rieländer - Marburg. 

Monatsschrift für Kinderheilkunde. Band VII. No. 3. 
(Juni 1908.) 

1) W. Birk: Ueber Ernährungsversucbe mit homogenisierter 
Milch. (Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Breslau.) 

Nach den Untersuchungen B.s leistet die homogenisierte Milch 
(d. h. Milch, in der das Fett durch maschinelle Gewalt zur aller¬ 
feinsten Emulsion gebracht wurde) bei gesunden Kindern im besten 
Falle nicht mehr als gewöhnliche Milch. Auch bei kranken Kindern 
— hier war besonders interessant der Versuch am Kind, das durch 
Milchnährschaden erkrankt war — genügt diese Milch den Indika¬ 
tionen, welche zu ihrer Verwendung veranlassen könnten, nicht. 
Für die Säuglingsernährung bietet sie demnach gar keine Vorteile. 

2) August Berkholz -Riga: Kasuistische Mitteilung zur 
Appendizitisfrage im Säuglingsalter. 

Beschreibung eines Falles von ulzeröser Appendizitis. 

3) Arnold Orgler: Beiträge zur Lehre vom Stickstoffwechsel 
Im Säuglingsalter. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Breslau.) 

Es kann nicht nur die absolute Stickstoffretention bei richtiger 
künstlicher Ernährung besser sein als bei natürlicher, auch der 
Nutzungswert des Nahrungsstickstoffes, d. h. das Verhältnis des an¬ 
gesetzten zum eingefiihrten Stickstoff kann bei künstlicher Ernährung 
innerhalb der Grenzen, die sich für die gesunden Brustkinder ergeben, 
liegen und sogar fast ebenso hohe Werte erreichen wie bei den 
Brustkindern. Dies gilt nur für den Gesamtstickstoff. Die Form. 


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1546 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N... _N. 


in welcher der Stickstoff angesetzt wird, scheint hei natürlicher Er¬ 
nährung anders zu sein als bei künstlicher. — Bei den Versuchen von 
Ernährung mit Frauenmilch, wobei die Stickstoffzufuhr eine geringere 
zu sein pflegt als bei künstlicher Ernährung, erscheint die Stickstofi- 
resorption deshalb ungünstiger, weil hier der aus den Verdauungs¬ 
säften und den Darmbakterien stammende Kotstickstoff eine viel be¬ 
deutendere Rolle spielt, als wenn eine reichliche Stickstoffzuiuhr statt¬ 
gehabt hat. — Fettzugabe zur (künstlichen) Säuglingsnahrung scheint 
den Stickstoffansatz gar nicht oder nur in geringem Masse zu be¬ 
günstigen. 

4) Referate, Vereinsberichte, Buchbesprechungen, Ergänzende 
Literaturtibersicht. Albert Uffenhcimcr - München. 

Jahrbuch für Kiudarhenkuiide. Bd. 67, Heft 5. 

19) Axel Johannessen in Christiania: Untersuchungen über 
den Einfluss der verschiedenen Todesursachen auf die gesamte 
Säuglingssterblichkeit Norwegens. 

Mühevolle aber dankenswerte statistische Bearbeitung des ein¬ 
schlägigen Materials, welche erkennen lässt, dass die geringe sterb- 
lichkeit der Säuglinge in Norwegen in erster Linie durch Verminde¬ 
rung der Sterbefälle an Ernährungsstörungen gegenüber anderen 
Ländern, z. B. Preussen, zu Stande kommt. Eime Vergleichsstatistik 
zwischen den verschiedenen Ländern Europas ist nach .1. sehr 
schwierig und gibt Verf. dem berechtigten W unsche Ausdruck, dass 
die europäischen Länder ihre Säuglingsstatistik in Bezug auf Todes¬ 
ursachen nach mehr gemeinschaftlichen Prinzipien bearbeiten sollten. 
Zahlreiche Tabellen und übersichtliche graphische Darstellungen im 
Text. 

20) Max Ka sso witz: Die Ursachen des grösseren StoH- 
verbrauches im Kindesalter. 

Lesenswerte Studie von allgemeinem biologischen Interesse 
teils recht polemisch — dafür aber geistreich. Zu kurzem Referate 
nicht geeignet. Vergleiche die Originalabhandlung. 

21) Julius Peiser: Ueber Lungenatclcktase. (Aus der Uni¬ 
versitätsklinik zu Breslau.) 

Pathologisch-anatomische Untersuchung an neun Fällen teils an¬ 
geborener, teils erworbener Atelektase, welche durch die verbesserte 
Untersuchungstechnik ((] re gor sehe Injektionsmethode mit ' For¬ 
malin) einige ältere pathologisch-anatomische Angaben richtig stellen 
konnte. Zwei farbige Tafeln mit 6 Abbildungen. Literatur. 

Verelnsberlchte. Literaturbericht zusammengestellt von L. 
Langstein. Buchbesprechungen. 0. R o m m e I - München. 

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1908. 34. Bd. 

5. u. 6. Heft. 

Pfeifer* Halle: Cysticercus cerebrl unter dem klinischen Bilde 
eines Hirntumors mit sensorlsch-aphasischen und apraktlscben Sym¬ 
ptomen durch Hirnpunktion diagnostiziert lind operiert. 

Nach einem auf der I. Versammlung der Gesellschaft deutscher 
Nervenärzte in Dresden gehaltenen Vortrage. Vergl. die Referate 
dieser Wochenschrift 1907, No. 43, pag. 2157. 

Mauss- Berlin: Klinische Beiträge zur Diagnostik bulbärer 
Herderkrankungen. 

Es werden 2 Fälle von bulbären Hcrderkrankungeii beschrieben, 
deren bis ins einzelne differenzierter Svmptomenkomplcx eine ge¬ 
naue anatomische Umgrenzung des Herdes ermöglicht. 

K o 11 a r i t s - Budapest : Weitere Beiträge zur Kenntnis der 
Heredodegeneration. 

Ein Pall von atypischer F r i e d r e i c h scher Ataxie, kombiniert 
mit Muskeldystrophie, bietet dem Verf. Gelegenheit, die Auffassung 
Jendrassiks zu stützen, „laut welcher die Muskeldvstrophie. die 
hereditäre spastische Spinalparalyse, die F r i e d r e i c h sehe Krank¬ 
heit, Maries Kleinhirnataxie usw. keine selbständigen Krankheiten, 
sondern voneinander nicht trennbare, ohne Grenzen ineinander über¬ 
gehende Formen der familiären Heredodegeneration sind“. In diesem 
Sinne sprechen auch weitere Beobachtungen: Kombination von 
F r i e d r e i c h scher Ataxie mit Intelligenzstürungeu und clioreaälm- 
lichen Bewegungen, ferner familiär vorkommende Svmptomuikom- 
plexe von Schwachsinn, Mikrozephalie. Muskckh strophicn. Knoehen- 
deformationen und Reflexanomalien. In allen Fällen handelt es sieh 
um ausgesprochen degenerierte Familien, deren Mitglieder die be¬ 
schriebenen oder auch andere Degenerationszcichen aufzuweisen 
hatten, während die Eltern meist in nächster verwandtschaftlicher 
Beziehung gestanden hatten. 

Stursberg- Bonn: Beitrag zur Kenntnis der Nachkrankheiten 
nach Kohlenoxydvergiitung. 

Nach schweren Kohlenoxydvergiitungen entwickeln sieh zuweilen 
an multiple Sklerose erinnernde Krankheitsbilder. Sic dürfen iedoeli 
keineswegs mit dieser identifiziert werden, sondern unter ■scheiden 
sich, wie namentlich der erste der hier mitgeteilten Falle beweist, 
prinzipiell von ihr und scheinen auf multiplen cnzcphalitischcn Herder 
zu beruhen. Von Wichtigkeit ist, dass durch diese Beobachtungen 
der Beweis geliefert wird, dass eine einmalige, schwere toxische 
Schädigung V eränderungen innerhalb des Nervensystems hervor 01 - 
rufen vermag, die zu einem auch nach Aiithbrcn der Giftwirkimg noch 
lauge Zeit hindurch fortschreitenden Verfall fuhren können. 


R c n n e r - Augsburg : Leber einen Fall von syphilitischer Spi¬ 
nalparalyse. 

Mitteilung eines Falles von s\ phihtisvjier Spnialp.tr a'\ sc, ikssui 
anatomische Grundlage eine kombinierte >tr augcU guuratn-n u: P\- 
ramidcn.seitciibalmcn und B u r d a c h sehen Nmi^c da*sic i’.c. w.d- 
rend im klinischen Bilde Pupilienstar re. t >ptik us.ttr< .phie. Ataxu m 
den oberen und spastisch-par rtis Jie I i 'v !u mimgcn m den unteren 
Extremitäten nebst Reflexsteigerimgeii und B.asuisp>:ungen hc.xoi- 
t raten. 

S e h w a r / - Riga: Ueber akute Ataxie. 

V ortrag, gehalten auf der E .Liltf es\ers.iuuräung der tust .- 
schalt deutscher Nerx enar/te m Dresden. Vergl. d;e Rcter.ite cusc 
W oclienschritl, l‘X»7. No. 4d .p.tg. 2157. 

V o s s - Grciisw ald: Zur Frage der erworbenen M>ot»nivn und 
Ihrer Kombination mit der progressiven Muskelatrophie und ange¬ 
borenem Muskeldefekt. 

Neben einer t\pisjicn spinalen Muskel.itrophic I.o de’i s.J; f L . 
eitlem -!<> i.|||:f igeti Manne mx otoms,. hc I r s^ huntii’g* tt und «.nt par¬ 
tieller Deli kt aller Baue htnijskeai iiuks. hun V ert. c: *u .d v.u 
Schluss gcrcchtlerligt. dass es mJi nuht um zum . k e k • 1 s,/ ,.t ■»/. 
sondern um einen Ausdtiick einer mangt hatten k c.m.ri ypg'' * u' 
iJii/ut eichender Vitalität des neuiottiijsku.at en \ppara:cs I. -.ruu t 

Kleinere Mitteilungen. 

B i 11 o r i - Breslau: Leber angeborene Brustmuskeldclcktc. 

Verf. fuhr t zur Ergänzung innerer M;tU mm v t n 2 1 c x «m .m- 
geborenetn l’ektora'bsdeiekt mit \ onige r Aplas;e der g i.d v.r ».u 
Mamma an. Beide Bckicbtungeti sprechen dat-r. knv doc k 
region schon m sehr Indiern Einbrx mia eben m.m s talt u: ge¬ 
legt war. 

A I r u t /- Upsala: Lin neues Algcsimcter zum klinischen (ic- 
brauche. 

Besclueibung und (kbr.iuchs.mxv usung 

R i n im - Vug : >bu’ 

Vircbows Archiv. Ld. EM. 2 . 

11) J. Er d h e i m: Leber Knochen- und ßindcgcvkebseinschlusse 
in Krebsperlcn. tl’atholog. Instirut zu Wan* 

Die F insGilnssc landen sich bu einem kar/umm. d.*s auf dem 
Boden einer ostcoin\elitis^ heu t ist e I cntst.iu len war. 

12) Heim. > c h r i d d e : Leber die I pithelprolilerationen in der 
embryonalen menschlichen Speiseröhre. «I’at!.■ g. Institut zu I re - 
buig i. Br.) 

I Me x or einiger Zeit aulgcste ate Hx p< tt;e se. dass d.t aai '<■ t *u o 
Dai iiiatresien aul epitheliale, eint-i \. »na ,e \"tvm / in m k .* u! n • t ■ i 
seien. x\ ir d als Innfaihg er x\ lesen. I s gibt n.i r: .» s :m i \ «>::.• t ; 
Darmiolire einen tluicli l pitlu ' r - 1 1 e ratmn bid'Oui x . ^ e m \ r- 

schluss. Wohl treten bes«*ndeis un < k s.f!:.i^ us und i: n I 'u. mt muri in 
den erstell Fotalw oelieii diucli h-ka'e I pitlu .pr<tt ’atu n i ntst.oi./.e v 
Irpilhelbiueken. die sich ipicr durch das l.iutun spamuM. aut >u so;,: 
iedoeli xoliig bedetitungsi.is und können aut kurntit Wt*.t md d.t 1 
angeborenen \trcsic in irgendwelche IU Ziehung ge b*;u*;t xe e * '■> 

Der angeborene I *.n mx er sch.uss entsteht aus unbekannter l ■ v.k : e 

13) R. T In» ma: Ueber die netzförmige Anordnung der quer¬ 
gestreiften Muskelfasern. 

14) N. W ater m a n n . Einige Bemerkungen zur Frage: Arterio- 
Sklerose nach Adrenalinlnfektioncn. < B -erhaax e-l a' r.«t- ; mm • u 
Leiden.) 

Die beim Kaninchen durch \.Irena ui her x.<i ge • ii\ ;u n * itd. 
x ei anderungcn sind nicht aut die Idutdr iu ke r hobt mk Wrkimg ,ts 
Adrenalins, sondern aut die ehe’tnsclic Schädigung zur :ukz«n * t i. 
Die Intimaw liehet ungeii sind teds .,‘s k- m pen^at« u is v lu. te..s x 
hx perplastische aulzuiasse n. 

15 1 \. Ben necke: Studien über (ielasserkrankungen durch 
Güte. 

In dem ersten Idle kr umfangr eu hi n \i!uit xxtrdtn u-vj. — 
bisherigen Kenntnisse über das un I itel gt d unztulnulc «u’ut r* >: 
ausführlichen Literatui angal'en .•tisammci :este-it. Ik r zw ule V’ - 
Schnitt umfasst die eigenen l ntersuchangen dt s V e* lasse*s. d e r: : 
Chlorbarx um. Hxdiastm. M\vir astmin. unitr mit L h • l\dVum 
Spermm und Mxdrastinm - >peimm lu: kamtuiun angtste t x\ u - - 
den. Makroskopische V er andci nn gt n der V •' T .i lai.lt n sdi I v , 
Chlorbarx um in so l’roz. bei M'drastm m ; s l'r../. \ K M\p-,iv;r ; •• 
in 55 Dro/.. bu Chlor bat \ tun Muimm in 5u 1 *:■•/. iik! *ui ILd'.i 
st i mii • spermm in 17 Lr-*z. Bu den ^ l • r, 

sueluuigen faml sic h uu entspr t c hi ml l.oheru l v r*./t n:>a*z x n < u - 

fassx eranileriingui. Betrefs tk r I .n/t .hüten su auf das < »• 

X erwiesen, dem umfassende Fiter aturx e'zt ubmsse e.r.ge: - gt s j 

ln) I. Orth: Die Verkalkung der Media der I xtreniitaten- 
arterien. 

Mistoriseh-kiitische Ik mu km.^. I',t m tlt r x ■ •• stt 1 c;ul u n, . 

nuten Abhandlung ged muhte Bt/tdm:-,; M <• iic k t t c r g s^ - - 

Mediaei k rankung ist historisch uir u :. t; c. da du ser l’r ,uss tu-re .: x 
von V i r e h o w und < > r t h I ts, ;• u'-en isr 

17) M. I o\ osumi: Intimatuherkel in den kleinen I ungcri. 
arterien. Beitrag zur Kenntnis iihcr die i ntstehimg der miliaren 

Tuberkel der Lunge. (Bat;: c F s*. :.;t zu B - e ) 


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2 1. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1547 


Bei einem Falle von Miliartuberkulose der Lungen, bei dem in 
den Unterlappen eben sichtbare Knötchen vorhanden waren, konnte 
T. nachweisen, dass die Tuberkel in ihrer weitaus überwiegenden 
Menge mit Intimaprozessen und Thrombosen in den kleinsten Ar¬ 
terienverzweigungen beginnen, während die Kapillaren fast völlig frei 
waren. Schridde - Freiburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 28. 1908. 

1) H. Oppenheim: Zur Gehirnchirurgie. 

In Form eines offenen Briefes und an der Hand einiger kurz 
skizzierter Fälle setzt Verf. auseinander, aus welchen Gründen bei 
hallen von Hirntumoren die Diagnose, besonders die topische, für das 
chirurgische Eingreifen öfter nicht ausreichend gestellt werden kann. 
Er weist besonders darauf hin, dass es für die Diagnose häufig aus¬ 
schlaggebend ist, über die Reihenfolge, in welcher die Erscheinungen 
auitreten. möglichst genau unterrichtet zu sein und betont die Not¬ 
wendigkeit zuverlässiger Krankengeschichten. O. bekennt sich als 
hreund der Ne iss ersehen Hirnpunktionen. 

2 ) J. Wohlgemuth -Berlin: Zur Kenntnis des Im mensch¬ 
lichen Pankreassaft enthaltenen Hämolysins. 

Aus den neuen Versuchen, welche mitgeteilt werden, ergab sich, 
dass inaktiver menschlicher Pankreassaft keine Hämolyse macht, 
trotzdem er starke lipolytische Eigenschaften besitzt. Aktiviert man 
ihn durch Zusatz von Enterokinase oder Kalziumchlorid oder durch 
längeres Stehenlassen, so nimmt der Saft gleichzeitig die Fähigkeit an, 
mte Blutkörperchen unter bestimmten Bedingungen zu lösen. Ver¬ 
setzt man inaktiven Saft mit Lezithin allein, so genügt dies bereits, 
um ihn hämolytisch wirksam zu machen, ohne dass er dabei tryptische 
Eigenschaften angenommen hat. Hier dürfte der Eintritt der Hä¬ 
molyse auf die von Verf. schon früher beobachtete Lezithidbildung 
zurückzuführen sein. 

3) C. H a r t - Schönebcrg-Berlin: Die Mesoperiarteriitis (Peri¬ 
arteriitis nodosa). 

Bei einer 19 jährigen Arbeiterin entwickelte sich nach Scharlach 
eine schwere Herzerkrankung, welcher die Patientin erlag. Die 
Sektion ergab das Vorhandensein der sogen. Periarteriitis nodosa, 
deren anatomisches Bild vom Verf. an der Hand seiner Beobachtung 
eingehend beschrieben wird. Verf. gewinnt von diesem Prozesse die 
Vorstellung, dass es sich dabei um eine Affektion kleinerer muskulärer 
Arterien handelt, welche in erster Linie in einer primären herd¬ 
förmigen Nekrose der Media besteht. Gleichzeitig mag es hier und 
da auch zur Erkrankung der Adventitia kommen. Bemerkenswert 
in vorliegendem Falle war auch, dass es zu keinerlei Aneurysmen¬ 
bildung gekommen war. 

4) W. W e i 1 a n d - Frankfurt a. M.: Kochsalz- und Zuckerlnfu- 
sioaen beim Säugling. 

Gegenüber den Angaben von Schaps haben die vom Verf. 
neu angestellten 50 Untersuchungen, bei welchen isotonische Koch¬ 
salz-, Rohr- oder Milehzuckerlösungen injiziert wurden, ergeben, dass 
in keinem Falle eine fieberhafte Temperatursteigerung dadurch her¬ 
vorgerufen wurde. Auch wurden keinerlei lokale Reizerscheinungen 
beobachtet. 

5) S. Cohn-Berlin: Uebcr komplementbindende Tuberkulose¬ 
antikörper und ihre Beziehungen zur Tuberkulinreaktion. 

Aus seinen Untersuchungen, bezüglich welcher wir auf das Ori¬ 
ginal verweisen, gelangt Verf. zu dem Schlüsse, dass die Natur und 
die Bedeutung der durch die Bordet-Wassermann-Bruck- 
sche Versuchsanordnung nachweisbaren Tuberkuloseantikörper uns 
noch völlig unbekannt sind. Ihre einzige uns bekannte Eigenschaft 
ist, dass sie mit Tuberkulin Komplement binden. 

6) K. V o h s e n - Frankfurt a. M.: Methodik der Durchleuchtung 
von Oberkiefer- und Stirnhöhlen. 

Beschreibung der vom Verf. bei diesen Durchleuchtungen ange¬ 
wendeten technischen Details. Als wichtigste Fehlerquelle bezeichnet 
Verf. die Tatsache, dass eine grosse Zahl von Nebenhöhlenerkran¬ 
kungen eine geringere Durchleuchtungsfähigkeit hinterlässt, nachdem 
die Erkrankung längst abgelaufen ist. Die feineren Einzelheiten bei 
der Durchleuchtung erlauben zum Teil auch prognostische Schlüsse. 

7) F e d e r m a n n - Berlin: Ueber die Beurteilung und Behand¬ 
lung der akuten Peritonitis. 

Verf. bespricht auf Grund seiner eigenen langjährigen Erfah¬ 
rungen die pathologische Anatomie, die Einzelheiten der Sympto¬ 
matologie und Behandlung der akuten Peritonitis. Für die Diagnose 
legt er grossen Wert auf die Untersuchung des Blutes, bezw. die 
Verhältnisse der Leukozyten, ferner auch das Vorhandensein der 
reflektorischen Bauchdeckenspannung. Bezüglich der Behandlung 
vertritt Verf. natürlich ebenfalls eine möglichst frühzeitige Operation, 
besonders bei allen wirklich perforativen Formen von Peritonitis, 
wenn hier auch sehr häufig auch eine möglichst frühe Operation schon 
zu spät kommt. Verf. entwickelt dann noch seine Grundsätze für die 
operative Behandlung der Appendizitis. 

9) S. Alexander - Berlin: Seuchen und Rettungswesen. 

Schluss folgt. 

9) B a g i n s k y - Berlin: Die jüngste Diphtherieepidemie und die 
Serumtberaple. 


Vergleiche den Bericht über die Sitzung der Berliner medizini¬ 
schen Gesellschaft vom 17. Juni 1908, Seite 1363 der Münchener 
medizinischen Wochenschrift 1908. 

Dr. Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. No. 27, 1908. 

1) Wieting-Pa*scha - Konstantinopel: Die anglosklerotische 
Gangrän und ihre operative Behandlung durch arteriovenöse Intu¬ 
bation. 

| Bei einem Manne, dem schon ein Bein wegen angiosklerotischer 
Gangrän amputiert worden war, zeigten sich auch am anderen Bein 
die Vorboten des Leidens. Verf. intubierte die hoch oben freigelegte 
A. femoralis in die Vene, worauf die Zirkulation sich wiederherstellte. 
Die Indikationen stellt Verf. noch mit äusserster Vorsicht. 

2) F. D i 11 h o r n und Werner Schultz- Charlottenburg: 
Ueber Kutanreaktionen mit Elsenfällungsprodukten von Tuberkel¬ 
bazillensubstanzen. 

Mit den nach angegebenem Rezept hergestellten ..Eisentuber¬ 
kulinen“ fiel die Zahl der positiven Reaktionen bei klinisch Unver¬ 
dächtigen erheblich kleiner aus als mit 25 proz. Alttuberkulin, ohne 
dass bei den klinisch wichtigen Fällen des Anfangs- und Mittelstadiums 
der Tuberkulose die Zahl positiver Ausschläge entsprechend ver¬ 
ringert erschien. 

3) H. C o n r a d i - Neunkirchen: Ein einfaches klinisches Ver¬ 
fahren zur Züchtung der Meningokokken. 

Statt Aszites- oder HydrozelenfHissigkeit verwendet Verf. die 
bei der Lumbalpunktion erhaltene Spinalflüssigkeit zur Herstellung 
des Nährbodens. 

4) Joh. L e w i n s k i - Greifswald: Ungewöhnlich ausgedehnte 
Sympathikusbeteiligung bei Klumpkescher Lähmung infolge von 
Lues cerebrospinalis. 

Der Fall zeigte die Beteiligung des Sympathikus in besonders 
reiner Form. Klinische und pathologisch-anatomische Analyse des 
Falles. 

5) H. P. T. Oerum -Kopenhagen: Ueber die Hämoglobinbe- 
sthnmung und den „funktionellen Wert“ des Hämoglobins. 

Bei Berner Rekruten ergab sich mit dem Sahli sehen Standard¬ 
rohr 80,7 Proz. als Durchschnittszahl, bei Kopenhagener Studenten 
99.6 Proz. Schon die geringe Höhendifferenz beider Orte (500 m) 
scheint daran schuld zu sein. Bestimmungen mit dem F1 e i s c h e 1 - 
Mieschersche Hämometer ergaben keine Unterschiede. Verf. weist 
auf die Bedeutung der Bestimmung des funktionellen Wertes des 
Hämochroms hin. d. h. des Verhältnisses von Hämochrom zu Hämatin. 

6) R. Stich- Bonn: Ueber die Erfolge der operativen Behand¬ 
lung der Fussgelenkstuberkulose. 

Die G a r r ö sehe Klinik hat mit der typischen Resektion des 
Sprunggelenkes viel bessere Resultate erzielt als mit konservativen 
Methoden, namentlich bei Kindern: bei diesen wird sogar der Ver¬ 
lust des Talus durch die Nachbarknochen im weiteren Wachstum 
wieder ausgeglichen. Bei 77 Proz. der konservativ behandelten 
Kranken musste später doch noch ooeriert werden: konservative Be¬ 
handlung empfiehlt sich nur bei frischen Fällen ohne Fisteln bei gutem 
Allgemeinbefinden und jugendlichem Alter des Kranken, wenn das 
Röntgenbild keine ausgedehnteren Knochenzerstörungen aufweist i - 
nur e i n Gelenk erkrankt ist. 

7) G. Muskat- Berlin: Ein Beitrag zur Behandlung des Genu 
valgum. 

Verf. ist der Ansicht, dass das X-Bein behandelt werden muss. 
Neben gymnastischen Uebungen und Plattfusseinlagen empfiehlt er 
einfache Lagerungsapparate für die Nacht und beschreibt ein solches, 
leicht herzustellendes Modell. 

8) H. G a n s - Königsberg i. Pr.: Spontane Uterusruptur im Be¬ 
ginne der Geburt. 

Der den ganzen Uteruskörper durchsetzende Riss entstand auf 
dem Boden einer Narbe, herrührend von Perforation bei Abortkiirette- 
ment. Bei der Laparotomie fand sich das Kind nebst Eihäuten und 
Plazenta in die freie Bauchhöhle ausgetreten. Amputation des Uterus 
in der Höhe des Orif. int. Glatte Heilung. 

9) R. S e e f e 1 d e r - Leipzig: Ueber fötale Augenentztindungen. 

Sämtliche Abschnitte des Auges sind im Fötalleben einer Ent¬ 
zündung zugänglich. Vofi Missbildungen sind die Veränderungen 
beim Neugeborenen nicht immer zu unterscheiden, doch lassen sich 
gröbere Irrtümer bei sorgfältiger Untersuchung vermeiden. 

10) F1 ü g g e - Berlin: Rechtsfragen für die ärztliche Praxis. 

Fortsetzung. R. Grashey - München. 

Oesterrelchische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 28. R. Kraus-Wien: Ueber Beziehungen des Antltoxin- 
gehaltes antitoxischer Sera zu deren Heilwert. 

Schlussätze: 1. Zwischen Antitoxinmenge und Heilwert des 
Diphtherieserum müssen keine fixen Beziehungen bestehen. 

2. Dem hochwertigen (300-, 600 fachen) Diohtherieserum kommt 
in der Regel eine geringere Heilwirkung zu als dem weniger wertigen 
(100-, 150 fach). 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1548 MUENCHKNKR MEDIZIN ISC11H WOCHENSCHRIFT. No. >9. 


3. Der Heilwert, d. i. Avidität eines Serums, scheint von der 
Zu- und Abnahme der Antitoxinmenge unabhängig zu sein. 

- 4. Die Avidität der antitoxischen Sera ist eine prinzipielle Eigen¬ 
schaft des Antitoxins und soll bei der Wcrthemcssimg berücksichtigt 
werden. 

5. Die bisherige Wertbemessung nach Ehrlich zeigt in vor¬ 
züglicher Weise die Menge der Antitoxine an, berücksichtigt aber 
nicht den Heilwert des Serums. 

R. Kraus und R. D o e r r - Wien : lieber Bakterienanaphylaxie. 

Die Versuche lassen sich in Kürze nicht wiedergeben. „Man 
muss im Bakterienleibe unabhängig von den (iiften, gegen welche 
sich Antitoxine gewinnen lassen, noch andere Antigene annehmen, 
die aber im Organismus ähnlich dem artfremden Eiweiss die Bildung 
spezifischer „anaphylaktischer Reaktionskbrpcr“ auslosen.“ 

H. K a n i t z - Klausenburg: Untersuchungen über die perkutane 
Tuberkulinreaktion nach Moro. 

K. hat in 350 Fällen die M o r o sehe Salbenprobe vorgenannten 
und folgendes gefunden. Spezifisch in dem Sinne, dass sie nur bei 
Tuberkulose und bei dieser konstant zutrifft, ist die Probe nicht. 
Der positive Ausfall beweist nicht sicher die Tuberkulose, der nega¬ 
tive nicht das Fehlen der Tuberkulose. Die diagnostische Verwertung 
ist daher vorerst nur mit grosser Vorsicht möglich. 

R. P o 11 a n d - Graz: Die Gefahren der Ophthalmoreaktion. 

P. beschreibt 3 Fälle von sehr unerwünschten Begleiterscheinungen 
der Reaktion. Einmal entstand eine lang anhaltende Konjunktivitis, 
zweimal (je ein Fall von Lupus der Wangen und von Lymplulruscn- 
schwellungen) kam es zu Hornhautgeschwüren, deren eines zentral 
gelegen eine dauernde beträchtliche Einbusse des Sehvermögens 
nach sich zog. Inwieweit das Höchster Präparat (3 Tropfen), das in 
anderen Fällen reizlos vertragen wurde, aber von dem auch ander¬ 
wärts schwere Folgeerscheinungen gesehen wurden, verantwortlich 
ist, steht dahin. Jedenfalls soll die Probe unterlassen werden bei 
feststehender Diagnose und ist nur berechtigt, wenn von der sicheren 
Diagnose viel abhängt und dieselbe auf anderem Wege nicht zu 
stellen ist. 

W. S p a e t: Ueber die modernen Methoden der Typhusdiagnose. 

Die neueren diagnostischen Verfahren: die Ophthalmoreaktion, 
die Kutanreaktion, die Komplementablenkung und der Bakteriotrnpin- 
nachweis sind sämtlich zurzeit noch nicht entsprechend ausgebildet 
und bewährt, um für den praktischen Arzt in Betracht zu kommen. 

R. Latzei-Wien: Ein Fall von Morbus Bamberger. 

Krankengeschichte. Bemerkenswert ist der wiederholte Nach¬ 
weis Gram-positiver Diplokokken im Sputum, einmaliger Nachweis 
derselben in der Aszitesflüssigkeit. Kultur- und Tierversuche negativ. 

V. B 1 u m - Wien: Ein neues einfaches Instrumentarium für endo- 
vesikale Operationen. 

Beschreibung eines Instrumentes, das je nach dem Bedarf mit 
einer Schmirschlinge, Hakenpinzette oder scharfer Loffelpinzettc zu 
verbinden ist. 

E. P o 11 a k - Wien: Endoveslkale Auflösung von Fremdkörpern. 

Zur Entfernung eines in die Blase geratenen Wachskerzchens 
machte P. zweimal eine Injektion von 20 ccm Benzin, welches, ohne 
Beschwerden zu machen. 10 bezw. 30 Minuten in der Blase blieb. 
Nach Auflösung des Wachses wurde der 20 ein lange Docht mit dem 
Urin ausgeschieden. Aehnliche erfolgreiche Auflösungen von Wachs 
in der Blase wurden von L o h n s t e i n und von Hoch e n c g g aus¬ 
geführt. 

F. Obermaycr und H. Popper- W km : Ueber den Bili¬ 
rubingehalt des pneumonischen Sputums. 

Die Verfasser bestätigen nach eigenen Untersuchungen das von 
Pollak in der vorigen Nummer berichtete regelmässige Vor¬ 
kommen von Gallenfarbstoff im gefärbten Sputum der kruppösen 
Pneumonie. Die Intensität der Farbe entspricht durchaus nicht dem 
Gehalt an Bilirubin, zum grossen Teil muss sie noch von anderen 
Farbstoffen herrühren. 

Prager medizinische Wochenschrift. 

No. 22. L. Fi sc hl: Kurzer Beitrag zum Kapitel der Motilität 
des Magens. 

Zw'ei Beobachtungen. In dem einen füll (Hyperazidität) wurde 
wiederholt gefunden, dass, nachdem die anderen Speisen lauge dun 
Magen verlassen, Spinat in grösseren Mengen noch nach 30 bis 
48 Stunden im Magen geblieben war. In dem zweiten lall, wo es 
sieh um motorische Störungen mit Schmerzen und Erbrechen handelte, 
ergab sich in 4 Partien des durch Expression erhaltenen Magen¬ 
inhaltes (je 250 g) eine Abnahme der Totala/idität (7". Oi. 5 h. 55) und 
der freien Salzsäure (öd, 5ir, 4i>. 35). Demnach ist der Speisebrei im 
Magen in gewissen Fällen keine einheitliche Mischung, sondern ge¬ 
schichtet. wobei die obersten Mengen die säurereiehsteii sind. 

No. 23. W. An ton-Prag: Ueber Störungen der psychischen 
Funktionen bei einseitiger Behinderung der Nasenatmung. 

Heilung eines Halles von rascher Abnahme der geistigen I ci- 
stimgsfähigkcit (Studierender) durch Entfernung eines Naseiipok peil 
und Heilung von Schlaflosigkeit mit Somnambulismus durch Operation 
der knöchernen Atresie einer Naseuliäiite. 


No. 25. E. E r e u n d - Karbit/: Ein Fall von Schwangerschafts¬ 
myelitis. 

Beginn w ährend des 7. Schw aiigcrsUiaitxmojiats v-die Ent¬ 
wicklung nach der t ieburt, muh dem i \ imis emer dissmr.micrtcn. 
aszeudlerendeii M> ehlis. fle.amg unter .1* ä.va igeb'aUwh. Lues sehr 
iiii w ahrsehein 1 ich. Actiol« .gisch ist \\ .«hi eine Nimm t'-x.kat. n an./u- 
nehmeri. Von einer kimMiuhen lnterh'cU'.ung der >Jiw.i"e::v.i:! 
lasst sich nicht viel vci sprechen. 

No. 2o. E. A r n st c i n - T epl.tz: Beitrag zur Porrooperatlon. 
i 2 f alle. a) Scptmchc litiktam des I te'ns bei md / ertem 

Kaiserschnitt. < Ycr sUileppte Uwe: .i^e. I n hr \. t :: e n. t /.r.uk- 
| bleiben des Schaden • 

b I Rigidität und \trcs.c der /e'x.x IL mefiie• e ngm»mg. 

| A. Hauser- Iepl.iz: Zur Perkussion des her/ens und der 

I Lungenspitzen. 

| Nach eingellenden I rorte?tii gui sp: Dd s.di \e:f. d.mm aus. 

i dass für den Prakt.scr vl e Best. um ;;i.g der a) s .'aten Me: /...m.pt.r g 
deieii Imker Rand rr:t dem der reat.xen I Fimptur.g fast Wvirv.c^ 

I fallt, die sicher ste m.d uusreu I. ei.de Mv ti. -de Der rechte Rar: J 

der wahren ller/grosxe w kJ am Festen n.u h der Met* de \ <>n 

I Moritz bestimmt, de I >amp: l m g s: gar des < K tasst* ans ,.s Ja.'vh 

Sehw ellenw eMsper knss.MU, de zur /e.t w ->1:1 :n der Praxis I, e'.ra! 

beschrankt werden muss. | ar d..e Per miss., m der laiagoM t/en ;st 

de Metln-de \mi K rollig d.is Feste :;n. .1 l-eetien sie \ er ID ' ci. 

welches bei rmtte ’auter und sehr Urner lU'kuss.n d.mUhcn Res .1- 
tatc wie die pi aktjsJi sUiw.er.gc Met*, de G <> 1 d s t h e : d c r s 
liefert. 

A. K o hier -Teiditz: Zur Therapie des Llcui xentrlcull und der 
Hyperazidität des Magensaftes mittels der Capsul. ol. olixar. asept. 

Die VultaUi bew ahrte Oe !’ er.»me xerweuDf am 1-estt n 
(ielatiiiekapseln ä 3 g. <» |o >tuk des Iagcs. VD t zu u te'- 
schat/en ist der Nahrwe r t des tie.is urd der (iDat *;c. Fe: e'/te'e' 
auch die liafiinst.it n^: er Vmtkimg. NaUi lUd.rt karm dem < »cl aaU: 
Magnes,a usta oder Mmmut hn/uges^t/t werden 

K. P o I a t s c h e k - T ep Jtz : Beitrag zur Knochenimplantation. 

Doppelter k"mp;/ie f te r l rtc* vS ’ 5 i Fr uD:. Fe. dem c n >tus 

aus der I .h:a m.t I ihaltun.g di S l“e: > Co al gern skii wa'.c Der 

Versuch, ein w ;cdc:!m't ausgek* Jdes st.uk emer I !m a. x m e e' 
Leiche herruhrend, e.n/uhe .eil, gede.g um;!. Immer: n wa'de e rte 
so lebhafte KiioclicnF.l Jimg x.«m Per:- st aus cm.ge i Jet, dass e re 
volle Heilung erzielt wurde. 

F. \\ i s s li a u p t - I ep ';!/: Ein Fall \on H>pcrtrophlc der 
Brustdrüse in der Gravidität. 

Bei der Kranken trat m der zweten Grax. dt.it eme st.rkc 
H\ ; p-rtroph:e der Brüste cm. K ir.C D e Er U gOurt xx egen de: zu¬ 
nehmenden SUiwaUie. I Fi r a ui xc’k e.ni rtm s Dl de Brüste Fe- 
tiaUit'uh. um xv .ihr end der dr tten (rax.dt.it vx/ess \ amu- 
Scb'Welierr. Die bedeutende >d>w.id c Xi Mii'.isvtr zur NU-agtmg der 
Biuste in 2 Sitzungen; deren ( iew :U t bering m* 1 und b ; • • g 

B e r g e a t - Mm . h. n 

Italienische Literatur. 

De M a r c li i s bringt aus dem Institut für demmist-atix c Patho¬ 
logie S c h ir p f e r s m I mrenz einen Beitrag zu Blut/xsten der Milz. 

Der eine Fall war durch Malaria, der amienc dar Di I r.r.m a xer- 
anlasst; die letztere NetmDgie spu't bei der I ••tstiha-g divse' 
Z\ steil eme Hauptrolle. ik Z!...lkh der Dmm ent:.i ma .. :r sc or 
Z\stell mul limmrcn der lim. mi Nurc mt J.c \' i R <■ F e r t s, d.tss. 
das K<i|t.n ilie letzteren iil'tfiluM. nrt 1 DmU; amh s ; u k • m n i::t- 
i»eileckt xuifi K<p||n an der AFd.-nmu xv arul u-km 

Dem Blutbefund ist immer Nurrru • ks.ovkt >t zu w idmcm in !t «.kui 
ist tlabei zu bei ik ksu iitou n. Fiss aiuli er n.D't <. ;e s !k : me D”e- 
rentialdiagm >se zwischen v miaD'er i:.t:n.at.s v !u-r /’m’e imd luir’ '- 
kokknszx sie heg rundet L ha r a V te' mt :s v F : ■: r Ip.rci mt miDi dmi 
neueren Intersiu liungi n eine I • -s.rn u . de >‘es B uu s R<.sse 
(I rnguax ) iand in 3'> l.i"mi \ | k 1 n a . k m: v. x-m xv r D-, n 2 de 

Milz betraten, m a'len I a en c -sm. e 1 ca /\ tct. a'-er m sm - 
w i\ liselnder /ahl und s v hw erd zw % v *u r. 1.5 u--.f s.5 P». z . 

w alireml ander e \ut< «r eil e inen < u ; ;a t x < n 7,2" I ’■ • z -\ 1 r 

vier beiden x «»n De M. ht s k h* u !u tu n f e zc.te '•.'■1 1 1 .• e-«v n.*- 

plnle /eilen. 

I >as einzig zux v r lässige d ,M mi m.a .dregr - ' st vd f K• • t. • •” : 

die Punktion des /' Mmis.uks. w e'm e. - -ge» mm b. •? FiCdm 

imteniommeii. keine 5uh w u r rD < it ur ! i :m Urne! 

Die Behand’img kann nur eme d'.':;’. .cF 1 s- 
degli osjM-d. loos. No. Jo ) 

M i c li e 1 a z z i beruht« t aus der k • l’ s.is • ’ . r Appendix¬ 
symptome im Laufe von Pleuritis dinphragmatica. '<i..//m: 4 , j.— ; 

osped. 1 oiis, N". 17) 

Fs kann bei I m ins /u i -o m Um p sU mt m/’ m* '•mm-^ 

kommen. we’Uie zusanm en :« t d-, • g- p n R. .*.•«' c- j, - 
spezifisUieri k lims k !u u >x r-ipt* -m«- >. • • w . «. .i • • • e N • . • * s \ ■ • - - 

tauscht. Diese s I aktum gv ?:• •* t m d.c Rm'.e .b r nmmsmi R. •\ \ - 
erse h' immg' m 

I cd eh beobachtete den gFiUen Sx ••••:-»...» ._ \ ja . - 

Falle x on P!eur<-pneiim ;:u tm : s, ; .-.«m : s • ■ s, • . •/- 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1549 


hafte Empfindung, welche von einem krankhaften Organe kommt, 
zu dem Medullasegment geführt wird, welches den Ursprung seiner 
sensiblen Fasern darstellt. Sie setzt sich dort in intime Verbindung 
mit den Fasern von Hautnerven, welche ihren Ursprung von dem 
gleichen Segment der viszeralen Fasern nehmen. 

Die schmerzhaften Ektopien mit abdominaler Lokalisation im 
Laufe von Krankheiten der Thoraxorgane stellen nichts anderes dar, 
als Algien, welche den Appendixschmerz simulieren in Folge einer 
exzentrischen sensitiven Projektion, welche sich entlang der Haut¬ 
nerven fortpflanzt in deszendierendem Sinne. 

B a c c e 11 i: Ueber die hypertrophische Lebersklerose arthri- 
tischen Ursprungs. (Gazzetta degli ospedali 1908, No. 23.) 

Diese Krankheitsform ist selten und bisher gar nicht beschrieben. 
Man hat sich zu denken, dass harnsaure Salze bei ihrer Ablagerung 
im Organismus der Gichtiker anstatt der gewöhnlichen Prädilektions¬ 
stellen auch einmal das in gewisser Beziehung ähnliche Gewebe der 
Capsula Glissonii wählen können. 

Der Krankheitsprozess kann ohne Gefahr für das Leben lange 
dauern; es kommt zu einer brettharten Geschwulst der Leber, welche 
gleichmässig rundlich, nicht höckrig den Rippenrand überragt, sich 
auch besonders auf den linken Leberlappen erstreckt, spontan wenig 
und nur bei der Palpation lebhafter schmerzhaft ist, nie zu Aszites 
und Ikterus führt. 

Die Differentialdiagnose zwischen Fettdegeneration und dieser 
arthritischen Form ist leicht, wegen der viel weicheren Konsistenz 
des Organs im ersten Falle, schwieriger dagegen kann die Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen arthritischer Sklerose und amyloider De¬ 
generation werden. 

Bezüglich der antiarthritischen Therapie betont B. Sauerstoff¬ 
inhalationen und den Gebrauch der abführend und diuretisch wirken¬ 
den Wässer der Thermen von Montecatini. 

S i c u r i a n i: Ueber den semiotischen Wert und über die Ge¬ 
nese des Uroxanthlns und der Uroxanthinurie. (Rif. med. 1908, No. 44.) 

S. hat an einer grossen Anzahl verschiedener Urine festgestellt, 
dass das Uroxanthin sich vermehrt zeigt in all den Krankheiten, bei 
welchen es sich um Zerstörung und Verlust von Phosphorsubstanzen 
handelt oder in solchen, welche direkt und indirekt Veränderungen 
im Gasstoffwechsel im Sinne einer verringerten Blutbildung herbei¬ 
führen. 

Die innige Beziehung zwischen Uebererzeugung von Uroxanthin 
und Fehlen des Sauerstoffes lässt den Autor annehmen, dass das Uro¬ 
xanthin ein Körper sein muss, der noch weiterer Reduktionen fähig 
ist, und dass sein Ueberschuss für eine Anomalie der biochemischen 
Prozesse der organischen Oxydation spricht. 

Weiter hat der auffallende Parallelismus des Phosphorverlustes 
und des Ueberschusses von Uroxanthin einerseits und die Beziehung 
zwischen Uroxanthinüberschuss und zerebrospinalen Krankheiten 
andererseits den Autor veranlasst, eine neue Reihe von Unter¬ 
suchungen einzuleiten, um zu sehen, ob auf diesem Wege etwas Kon¬ 
kretes über die dunkle Genese dieses Pigmentes zu eruieren sei. Er 
studierte zu dem Zweck die Alloxurkörper nach der Methode von 
D 6 n i g e s und konnte konstatieren, dass mit der Vermehrung der 
Alloxurkörper das Uroxanthin sich vermehrt. Er glaubt, dass das 
Uroxanthinpigment ein Teil der sog. Alloxurkörper sei und findet 
die Ursache der überschüssigen Alloxurkörper wie des Uroxanthins 
in dem mangelhaften Einfluss des Sauerstoffs. Die Sauerstofftherapie 
ist imstande die biochemischen Oxydationsprozesse zu erhöhen und 
somit der überschüssigen Entstehung von Alloxurkörpern wie von 
Uroxanthin entgegenzuwirken, sowie auch der Zerstörung und dem 
Verlust von Phosphorsubstanzen im Organismus. 

B e n a s s i berichtet aus der Abteilung für Syphilis und Haut¬ 
krankheiten der Universität Bologna über die Wirkung des Saiodin 
bei Lues. (Gazzetta degli osped. 1908, No. 26.) 

Das Mittel wurde in 50 Fällen angewandt, in 22 Fällen konnte 
die Wirkung klinisch genau verfolgt werden und B. kommt zu dem 
Schluss, dass Sajodin ein vorzügliches Surrogat des Jodkali ist; seine 
Wirkung ist in keiner Beziehung geringer, dagegen die Toleranz 
gegen dasselbe erheblich grösser, namentlich auch bei gastrischen 
Störungen. Die Resorption erfolgt sehr schnell: binnen 15—20 Minu¬ 
ten nach der Einfuhr ist das Jod im Speichel nachzuweisen. Erschei¬ 
nungen von Jodismus erfolgten nie. 

Die Dosis beträgt 2—3 g pro die in Pulvern oder Tabletten; 
die Wirkung ist gleich prompt bei sekundärer wie tertiärer Syphi¬ 
lis; es wird am bestep zugleich mit der Mahlzeit oder unmittelbar 
nachher verabreicht. 

Tondi: Ueber reine Aortenstenose. (Gazzetta degli osped. 
1908, No. 23.) 

T. beschreibt 2 Fälle von Aortenstenose, aus welchen er den 
Schluss zieht, dass es einen besonderen Typus von reiner, einfacher, 
genuiner, angeborener Aortenstenose gibt ohne besondere ätio¬ 
logische Momente. Diese Stenosen können lange latent bleiben und 
pflegen sich erst in der Periode des Wachstums zu offenbaren. 

Trevisanello beschreibt die Anwendung des Neuriprins 
eines opotherapeutischen Präparats der Genueser Schule bei Neur¬ 
asthenie und Zerebrasthenie. (Gazzetta degli osped. 1908, No. 25.) 

Ein 27 jähriger Bankbeamter litt seit 2 Jahren an wechselnden 
neurasthenischen Störungen, sich zeitweise steigernd bis zu klo¬ 


nischen Muskelkrämpfen, Gedächtnisschwäche, Platzangst, Halluzi¬ 
nationen. ln der anfallsfreien Zeit war dauernder Kopfschmerz, 
Ueberreizbarkeit, Schlaflosigkeit vorhanden; der Allgemeinzustand 
erheblich reduziert. 

Der längere Gebrauch des Präparats war von sichtlicher Wir¬ 
kung auf alle Symptome. 3 Esslöffel des flüssigen Präparats hoben 
das Allgemeinbefinden: in den Anfällen wurde die Gabe gesteigert 
bis auf 10 Eslöffel pro Tag. Nach drei Monaten schien die Besserung 
eine vollständige, so dass der Kranke dauernd seinen Beruf wieder 
aufnehmen konnte. 

P e n d o 1 a berichtet aus dem Bürgerhospital in Genua über 
Heilung zweier Fälle von genuiner Epilepsie durch ein opothera- 
peutisches Präparat des Genueser organtherapeutischen Institutes. 
Dieses Präparat, Neuriprin, in dieser Zeitung beschrieben, stellt ein 
durch Bromverbindung konserviertes Gehirnextrakt dar. Es ist dem 
Verderben nicht ausgesetzt, wird innerlich gegeben und wird im 
Institut geprüft in Bezug auf seine antikonvulsivische Eigenschaft 
als ein antagonistisches Mittel gegen Strychnin. 

Weitere Erfolge bleiben abzuwarten. (Ref.) (Gazzetta degli 
osped. 1908, No. 17.) 

B u s s i: Ueber Paraganglln V a s s a 1 e in der Therapie des 
praktischen und Hospitalsarztes. (Gazzetta degli osped., 1908, No. 29.) 

B. hat in der Privatpraxis und als Chefarzt des Stadthospitals 
zu Alfonsine innerhalb zweier Jahre 96 Fälle von gastrointestinaler 
Atonie mit glücklichem Erfolg mit Paraganglin behandelt. Ferner 
14 Fälle von depressiver Neurasthenie, verbunden mit gestörter 
Darmfunktion, von welchen 2 Fälle sich lange Zeit hindurch rebellisch 
gegen jede Behandlung erwiesen hatten. Ferner behandelte er mit 
Paraganglin erfolgreich 8 Fälle von Rektumprolaps bei Kindern, bei 
welchen der günstige Erfolg ein dauernder war. In 13 Fällen von 
Gastroektasie erwies sich Paraganglin als wirksames Adjuvans der 
Magenausspülung in der diätetischen und elektrischen Behandlung. 
Er spricht die Ueberzeugung aus, dass wenn die Aerzte zu diesem, 
auf rationellem Wege gefundenen opotherapeutischen Präparat Vas¬ 
sales ihre Zuflucht nehmen, sie vorzügliche Resultate zu ver¬ 
zeichnen haben werden in vielen Fällen, welche jeder bisherigen 
Behandlung trotzten. Hager- Magdeburg. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Tübingen. Mai 1908. Nichts erschienen. 

Juni 1908. 

Clausnitzer Ad. Heinrich: Zur Kenntnis der Superazidität und 
Supersekretion. 

Hermann Hugo: Ueber die Indikation der Enukleation des sym¬ 
pathisierenden Auges bei sympathischer Ophthalmie. 
Henschen Karl: Die Extensionsbehandlung der Ober- und Unter¬ 
schenkelbrüche auf physiologisch-mechanischer Grundlage (Ex¬ 
tension bei Muskelentspannung). (Habilitationsschrift.) 

Im nachstehenden werden die nichtmedizinischen Dis¬ 
sertationen des letzten Universitätsjahres, soweit sie für den Me¬ 
diziner Wissenswertes behandeln, zusammengestellt. 

Erlangen. 

Feldgen Ludwig: Ueber die städtische Arbeiterwohnungsfrage in 
Deutschland und ihre Lösungsversuche in ihren wichtigsten Er¬ 
scheinungsformen. 

Grawinkel Kurt Julius: Zähne und Zahnbehandlung der alten 
Aegypter, Hebräer, Inder, Babylonier, Assyrer, Griechen und 
Römer. 

L o h m ü 11 e r Albert: Sterblichkeitsuntersuchungen auf Grund des 
Materials der Stuttgarter Lebensversicherungsbank a. G. (Alte 
Stuttgarter). 1854—1901. 

Schwenzer Paul: Zum Nachweis von Flussverunreinigungen. 

W i e s m a t h Friedrich: Der Gedanke der Vererbung in der modernen 
Ethik. 

F r e i b u r g i. Br. 

Landsberg Hans: Die Grenzen der Abdrucksfreiheit im Zeitungs¬ 
wesen unter besonderer Berücksichtigung der internationalen 
Rechtsbeziehungen. 

Mönckeberg Adolf: Die Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers 
gegenüber einem invalide gewordenen Arbeiter wegen unter¬ 
lassener Markenverwendung. 

Giessen. 

S i e g e r t Rudolf: Die Wohnungsfürsorge im Grossherzogtum Hessen. 
Q ö 11 i n g e n. 

Baade Walter: Experimentelle und kritische Beiträge zur Frage 
.nach den sekundären Wirkungen des Unterrichtes auf die Emp¬ 
fänglichkeit des Schülers. 

Marten Ludwig: Die Altersverhältnisse der Mutter der ehelich 
und unehelich neugeborenen Kinder. 

Greifswald. 

Güldenpenning Walter: Der nationale Schutz des Roten Kreuzes 
gegen Missbrauch im Frieden. 


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1550 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2'K 


Halle. 

Grünspecht David: Die Entlastung der offentliehen Armenpflege 
durch die Arbeiter Versicherung. 

Liebe Karl: Der Ar/t im Elisabethanischen Drama. 

Heidelberg. 

Gans Richard Otto: Das ärztliche Berufsgeheimnis des $ ,*ou 
R.Str.G.B. 

Neugebauer Hans: Die Eleischversorgung der Stadt Magdeburg. 

Jena. 

Bosse Alwin: Die Förderung des Arbeiterwohnungswesens durch 
die Landesversicherungsanstalteu. 

Thalhoter Franz Xaver: Die sexuelle Pädagogik bei den Phi¬ 
lanthropen. 

Stoekigt Willi: lieber den Einfluss der Lage auf die Temperatur¬ 
entwicklung der Sommermonate und die Luftfeuchtigkeit an 
heissen Tagen im Schwarzwaldgebiet mit besonderer Berücksich¬ 
tigung der für die Hygiene wichtigsten Temperatur- und Eeuch- 
tigkeitsverhältnisse. 

Auswärtige Briefe. 

Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Eine Denkschrift der Aerzte an die Minister. — Aus dem 
österreichischen Abgeordnetenhause. —• Jubiläumsspital der 
Gemeinde Wien. — Obligatorische Haftpflichtversicherung der 
Spitalsärzte. 

Das Präsidium des Reiehsverbandes österreichischer 
Aerzteorganisationen hat Ende des Vormonats dem Minister¬ 
präsidenten und dem Minister des Innern eine Denkschrift 
überreicht, in welcher abermals die dringendsten Wünsche der 
Aerzte hinsichtlich der (iesetzcsvorlage zur Abänderung des 
bestehenden Arbeiterkrankenkassengesetzes niedergeigt wur¬ 
den. Im Arbeitsbeirate des Handelministerimns waren seiner¬ 
zeit auch Aerzte als Experten zu den Beratungen zugezogen 
worden; die von diesen Aerzten vorgebrachten Forderungen, 
Wünsche und Bitten wurden jedoch vom Arbeitsheirate einer 
Berücksichtigung nicht gewürdigt, in der Denkschrift wird 
nun die fortschreitende Proletarisierung und damit auch tiefe 
Verbitterung des ärztlichen Standes durch die immer stärker 
zunehmende Errichtung registrierter Hilfskassen geschildert, 
auf die grössere Ausdehnung der zivilrechtlichen Verantwort¬ 
lichkeit des Arztes hingewiesen, es werden auch die Schaden 
betont, welche den kranken Kassemnitglicdcrii selbst er¬ 
wachsen, die bei gehetzten, überarbeiteten, verbitterten Aerzten 
Hilfe suchen müssen. „2 Kronen M Heller beträgt in Oester¬ 
reich das „Honorar“ des Kassenarztes im Durchschnitt pro 
Kopf und Jahr. Es ist aber diese beschämend niedere Ziffer 
noch viel zu hoch gegriffen, da in derselben auch die Bezahlung 
der n i c h t - ä r z 11 i c h e n K r a n k e n k o n t r o 11 e enthalten 
ist. Je grösser der Rayon des Kassenarztes ist, je nach dein 
Umstande, ob es sieh um Stadt oder Land handelt, wechselt 
auch die Ziffer. „Honorare“ von e i n e r K r o n e pro Mitglied 
und Jahr sind keine Seltenheiten . . . Die neue (iesetzesv or- 
lage erschwert die Existenzmöglichkeit der Aerzte dadurch, 
dass sie die obligatorische Kassenangehörigkeit auf weitere Be¬ 
völkerungsschichten ausdehnt (in Ziffern von 2'# Millionen auf 
6 Millionen), die Leistungen der Kassen erw eitert, die Beiträge 
verringert, dazu die registrierten Hilfskassen in unein¬ 
geschränkter Weise, wie obligatorische Krankenkassen gegen 
die Aerzte schalten lässt.“ Die Aerzteschatt Oesterreichs ver¬ 
langt die Behebung der empfindlich gefühlten Mängel der ge¬ 
genwärtigen Kassengesetzgebung, sic wird im Verweigerungs¬ 
falle den Weg der Selbsthilfe einzusehlagen gezwungen 
sein, welcher einen Kampf bedeutet, der wohl den Aerzten 
die grösste Selbstverleugnung auferlegen wird, aber mit dem 
schliesslichen Siege der ärztlichen gerechten Sache enden 
muss. 

Der derzeitige Leiter und Vizepräsident des Reichsver¬ 
bandes österreichischer Aerzteorganisationen, Dr. Adoli 
Oruss, hielt bei diesem Anlasse an die Minister eine längere 
Ansprache, in welcher er die einzelnen Bestimmungen der 
neuen (lesetzcsvorlagcn zur Abänderung und Ausgestaltung 
der Arbeiterkrankenversichenmg amührtc, welche den Ruin 
des ärztlichen Standes besiegeln würden. Zumal zw ei Be¬ 
stimmungen seien es: die Beseitigung der Möglich¬ 


keit der Emiiihrimg der freien Arztwahl bei den oh! .a- 
torischen Krankenkassen und die grenzenlose Erhöhung Jet 
Einkommeiigreii/e für die Zugehörigkeit zu ui:er obli¬ 
gatorischen Krankenkasse \ <*n Jen iiubet gepiarun 
JÜMi Kronen auf 5 inni Kroiun (!) .Eihi eseaikomÜR n welche 
Bestimmungen die Aerzte veranlassen wurden, sidi zumi 
\ e r z w e i f I u n g s k a m p f e zu rüsten, da sie. die bisher 
auf streng gesetzlichem Wege gestanden smJ. damit gar mdu* 
erreicht haben. Herr Dr. O r n ss sagte auch folgendes: ..Man 
sagt, in Oesterreich könne, wenn s;di eine Organ.s./aon redit 
geräuschvoll m Szene zu setzen versteht, eher ein l muh:, 
als auf gesetzlichem Wege das primitivste kkdit erringen 
werden". Hierauf he zuguehmeiid antw miete der Minister¬ 
präsident, er betrachte diese Auisserung als eine rhetorische 
Phrase, denn andernfalls konnte er sic nullt .»nneiimeii. Ausser¬ 
dem erklärte der Ministerpräsident, w le Dr. Oruss m seiner 
„Aerztl. Retormzeituug" berichtet, die Bereitwilligkeit. J.e 
Wünsche der Aerzte zu prüfen und sie unter der Ikdmguig 
zu fordern, dass die Aerzte schalt a ui g e s e t z i i c h e m 
W ege hell.irre. Herr Dr. (i r u s s wird für Jen .Minister Jes 
Innern nochmals eine PenksJiriii verfassen, m vu'dieT de 
Hauptforderungen der Aerzte formuliert und eingehend be¬ 
gründet smJ. l ud der Minister erklärte siJi bereit, eine sokhc 
I Denkschrift entgegenzunehmen. 

Das Präsidium des Reichsverbandes oste rreidi.sdic r 
Aerzteorgamsatmuen war bei diesen Audienzen von 7 \b- 
geordneten aller Parteien mit Ausnahme d» r si.ziakk ino- 
krausche n Partei begleitet und einer dieser \hgeor die tc n. 
Dr. M i c h I. hielt tags darnach eine Rede im V\iordnetcn- 
lianse, m welcher er sagte: „Oestern war eine Dl piü.y.tiou dm 
Reichsorganis.itimi der Aerzte Oesterreichs bei >r. Evzc ’k r. > 
dem Ministerpräsidenten und dem Minister des bau ru und da 
hatte der Führer der Deputation du kleine* Kühnheit, >r. Ex¬ 
zellenz. zu sagen, dass die Aerzte sJhhi der Vimdit sind, es 
nutze nicht mehr viel, auf ruhigem Wege zu erwarten, dass 
eine Besserung im ärztlichen Stande e intrete, elass ihm u viel¬ 
mehr, nach und nach belehrt durch andere Be'spiele, kein, 
anderer Weg als der der Organisation. des /usamnie r.s v hlussi s 
und energischen Auftretens ubtig bieibe. Se. I vzelieiz der 
Herr Ministerpräsident hat diesen Worten gegenüber den mir 
begreiflichen Standpunkt eingenommen, dass er a’s nlu rsu r 
Unter des Gesetzes nicht in der Lage su. d.eseti Worten das 
notwendige Verständnis entgege nzubi mge n. n.de m er nur an 
Rahmen eines gesetzlichen Vorgehens etwas zu gewahren m 
der Lage sei." Er aber Dr. M ; c h I erkläre, dass de 
Aerzte bereit seien, wenn ihren Forderungen nicht intsjvuJtui 
wird, in den Streik zu treten, da viele Erfahrungen sie belehrt 
haben, dass dies der einzige Weg mi, um zum Ziele zu 
kommen. 

In seiner Rede empfahl der Abgemdiutv Dr. M i c h I a”en 
Parteien des Hauses, sie- mögen den m nidtt allzu langer Ze ,t 
dein Hause vorziile getulen Vorlagen, vor allem den Vorlage:: 
betreffend che Schaffung einer Aer/tcorJmmg. ein.es kV,dis - 
samtats- und Rudisseudungc se Uc s. s\mpatlnsv. h gegeuuhcr- 
steheil. Speziell ersuchte I'r. M i c h 1 die so/ialdeitiukratisJu- 
Partei, in diesen Fragen darauf IkdaJit zu nehmen, dass wir 
Aerzte als Arbeiter auigetasst werden wollen, dass wir 
dasselbe Reclit, v\ elches die sozialelemokratmhe Partei ie Je tn 
Arbeiter konzediere, d e n Schutz vor \ n s b e u t u u. g. 
auch für uns beanspruchen. 

Auch andere Abgeordnete nahmen wahrend der grosser, 
Budgetdebatte Anlass, das Oebat der niie ntiidu n Oesur.d- 
heitspflege eingehend zu besprechen. Wir vom'Iui ms r-Oi 
mit 2 Rednern beschäftigen. Der Abgc «»rduvte Dr. Oold er¬ 
innerte an die vorjährige Blatte nie p\k m.e in Wien ui'2 mhrte- 
aus. dass wir in Oesterreich Fmdl Renen legalen Impt'/war g. 
ia - im Oegensatz zu allen curopa'sdie n kirlmrstaaten r<»ch 
immer kein Reichssciidn. ngesetz zur Ilint.mhaltui g m J D>e- 
Kämpfuug menschlicher Seudien bcst/c-i. w.ilr-rj /um 
Schutze für das liehe Vieh sdum vor 2'» lahnn de- W-.g r 
Reichsgesetzgebung betreten m:J ein iie-n'idk: ge ¬ 

schaffen wurde. Dr. OoIJ spradi ferner f..r e.ue ve:: :: gg 
Schul-, VV ohnungs- m:J Nahrungm. :: L üme :/ge hm g mul 
t ilgte den .Mangel an Sdmla rzten. Iki i,i;s muss J,c >^ht:lc 
une Brutanstalt für Sdiwädila ge und Ne^as-h,.. XX erde; . 
statt, wie in England, eine Bildm o'-tatte zu sc n für (ient in J 


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21 Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1551 


Körper. Es müsse eine Zentralstelle für alle öffentlichen 
Sanitätsfragen geschaffen werden, eine mit allen modernen 
Hilfsmitteln ausgestattete Zentralstelle, an deren Spitze ein 
Arzt und nicht ein Jurist stehe. Schliesslich seien auch die 
Stützen der ganzen Organisation, die Sanitätsbeamten, besser 
als bisher zu entlohnen. 

Der Abgeordnete Dr. D i e t z i u s sprach als Obmann des 
Sanitätsausschusses über die ungenügende Ausgestaltung der 
Provinzhochschulen, insbesondere der medizinischen Fakul¬ 
täten in Galizien, sodann eingehend über die soziale und 
materielle der k. k. Bezirks- und der Bahnärzte. Die Amts¬ 
ärzte stehen in ihrer Rangstellung allen anderen akademisch 
gebildeten Beamten wesentlich nach, sie haben überall nur eine 
konsultative, beratende Stimme, obwohl ihnen in Sanitäts¬ 
angelegenheiten als Fachmännern ein mehr entscheidender 
Einfluss eingeräumt werden sollte. Die Stellung der Bahnärzte 
spotte jedem Gerechtigkeitssinne und jeder Gerechtigkeits- 
pilicht. Miserable Entlohnung -- die meisten müssen 10 bis 
15 Jahre oder noch länger dienen, ehe sie 1400 Kronen jähr¬ 
lichen Gehaltes beziehen, — Nachzahlung von einigen hundert 
Kronen Altersüberschreibungstaxe bei Aufnahme in den Pro¬ 
visionsfond, Stellung eines Vertreters aus eigenen Mitteln und 
auf eigene Verantwortung in Krankheitsfälle oder bei Antritt 
eines Erholungsurlaubs, dreimonatliche Kündigung ohne Ver¬ 
schulden und ohne Angabe der Gründe etc. etc. Auch Dr. 
D i e t z i u s plaidierte für eine einheitliche Leitung unseres 
Sanitätswesens, für eine Reorganisation des obersten Sanitäts¬ 
rates, speziell für eine Vermehrung der Delegierten aus 
Oalizien und Entsendung von praktischen Aerzten in den 
Obersten Sanitätsrat. Zum Schlüsse beantrage der Redner 
die Annahme zweier Resolutionen, in welchen die Regierung 
aufgefordert wird, ein Ministerium für Sanitätsangelegenheiten 
in möglichst kürzester Zeit zu schaffen und eine durchgreifende 
Reorganisation des Sanitätswesens durchzuführen, w r obei die 
oben erwähnten Gesichtspunkte zu berücksichtigen wären. 

Die Gemeinde Wien hat aus Anlass des 60 jährigen 
Regierungsjubiläums unseres Kaisers 10 Millionen gespendet, 
welche zum Bau und zur Einrichtung eines grossen öffent¬ 
lichen Krankenhauses (Jubiläumsspital der Gemeinde Wien) 
dienen sollen. Weit weg vom Zentrum, in der Nähe des 
Lainzer Tiergartens, umgeben von Wäldern und Gärten soll 
sich eine öffentliche Krankenanstalt mit 850 Betten, daran 
anschliessend ein „Sanatorium für den Mittelstand“ mit 150 
Betten erheben und daneben sind grosse Gartenanlagen, ein 
separates Gebäude für Genesende, eine Fernheizanlage etc. 
geplant. Es soll eine interne Abteilung mit 300 Betten geben, 
dann Abteilungen für Lungenkranke, Hautkranke, chirurgische 
(gynäkologische und Augenabteilung) mit je 150 Betten, dann 
noch kleinere Abteilungen (Ohren, Kehlkopf, Blase) und wie 
oben erwähnt, ein Sanatorium, in welchem es sogar 2 sog. 
Luxuszimmer mit eigenem Baderaum und einem kleinen Raum 
für die Pflegerin, sonst aber Zimmer I. und II. Klasse geben 
wird. Dieses Sanatorium ist zw ar nicht auf Gewinn berechnet, 
cs soll sich aber selbst erhalten und auch amortisieren. Mit 
dem Bau des Spitals, durch dessen Belagraum der grossen 
Not an Spitalsbetten in etwas abgeholfen wmrde, soll noch im 
Herbste lfd. Jrs. begonnen werden. Auch für den 21. Bezirk 
ist der Bau eines neuen grossen öffentlichen Krankenhauses in 
Aussicht genommen. 

Im Obersten Sanitätsrate berichtete, wie mitgeteilt wird. 
Hofrat Prof. v. Eiseisberg über die H a f t Pflicht¬ 
versicherung und über Vorschläge zur Verbesserung 
der zivilrechtlichen Verhältnisse der Aerzte der Wiener staat¬ 
lichen Krankenanstalten. „Der auf einigen Kliniken eingeführte 
..Revers“, den zu Operierende, resp. die Angehörigen von 
Minderjährigen unterschreiben müssen, und der häufig nur aus 
einem „Ja“ und der Unterschrift im Krankenprotokolle besteht, 
hat sich nicht bewährt. Da Patienten wiederholt Ent¬ 
schädigungsansprüche an die Leiter der Kliniken und Ab¬ 
teilungen resp. an die Assistenten und Sekundärärzte stellen, 
müssen diese — natürlich mit Ausnahme der Fälle, in w elchen 
ärztliche Kunstfehler vorliegen — geschützt werden. In den 
meisten Fällen werden derartige Entschädigungsansprüche 
vom Gerichte abgewiesen; es kann aber Vorkommen, dass ein 
Assistent oder Sekundärarzt, der keine eigentliche Gage, son¬ 
dern ein sehr bescheidenes Studiumstipendium erhält, zur 


Zahlung einer für ihn unerschwinglichen Summe verurteilt 
wird; gegen 1 derartige Katastrophen soll in den Fällen, in 
welchen kein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, die obliga* 
torische Haftpflichtversicherung aller Spi¬ 
tal sä rzte schützen.“ Wir wollen- darauf zurückkommen 
w r enn die näheren Details dieses Vorschlages vorliegen werden. 


Brief aus England. 

Chirurg contra Operateur. — Praktische Aerzte und Kon- 
silarärzte. — Die Ambulatorien der Krankenhäuser. — Die Ver¬ 
mögen der Geheimmittelfabrikanten. 

In einer Versammlung eines Zweigvereins der British 
medical Association stellte vor kurzem Dr. C. Hamilton 
W h i t e f o r d - Plymouth die Behauptung auf, dass der Be¬ 
griff Operateur und Chirurg Verschiedenes bedeute. Der 
Chirurg solle operieren können, aber er solle ebenso gut auch 
wissen, w'ann er nicht zu operieren habe. Heutzutage sei d e r 
Chirurg der gesuchteste, der keine Gelegenheit zu operieren 
vorübergehen lasse. Es sei förmlich Mode, sich operieren zu 
lassen*. Die Operation- der Entfernung des Wurmfortsatzes 
wird nach Dr. W h i t e f o r d oft ganz unnötigerweise gemacht 
und auch gesunde Fortsätze würden entfernt. Oft ereilt die 
Nemesis einen solchen Operateur, denn die Patienten fahren 
fort an ihren Anfällen von Appendizitis zu leiden, obwohl die 
Appendix exstirpiert wurde. Manche Operateure entfernen 
die Appendix bei jeder Eröffnung der Bauchhöhle. Logischer- 
w'eise, sagt Dr. W h i t e i o r d, müssten solche Aerzte auch die 
Mandeln entfernen, so oft sie einen Patienten den Mund öffnen 
lassen. Auch die Operation der Wanderniere wird häufig 
ganz ungerechtfertigterw'eise ausgeführt. Solche Bemerkungen 
eines Arztes von dem Ansehen Dr. W h i t e f o r d s verdienen 
Beachtung und wir könnten nur wünschen, dass gewisse 
britische Chirurgen sie beherzigen möchten. Manche von 
diesen besitzen einen furor operativus, der für das allzu leicht¬ 
gläubige Publikum geradezu eine Gefahr bildet. 

In der Lancet w ird seit einiger Zeit die Frage der Teilung 
des Operationshonorars zwischen dem Operateur und dem 
Hausarzt, dessen Patient operiert w r urde, erörtert (die sog. 
Dichotomie der Franzosen). In der Regel ist das Honorar des 
Hausarztes ein rein nominelles, verglichen mit dem Honorar, 
dass der hinzugezogene Chirurg für die Operation beansprucht. 
Die Lancet schlägt vor, dass das ganze Honorar von dem 
Patienten direkt an den Hausarzt bezahlt werden soll, dieser 
soll es entsprechend mit dem Operateur und dem Leiter der 
Narkose teilen. Auf jeden Fall müsse der Patient wissen, dass 
eine Teilung des Honorars stattfindet. Der Hausarzt sei in der 
Regel in der Lage, die Höhe des Honorars zu bestimmen, die 
einerseits den Vermögensverhältnissen des Patienten ange¬ 
messen sei und andererseits genüge, um die bei der Operation 
und der Nachbehandlung Beteiligten zu befriedigen. 

Der ausserordentliche Missbrauch, der von den mit den 
englischen Krankenhäusern verbundenen Ambulatorien ge¬ 
macht wird, hat die Aerzte endlich veranlasst auf Abwehrmass- 
regeln gegen diese Schädigung ihres Einkommens zu sinnen. 
Es wurde der Vorschlag gemacht, dass in einem der grossen 
Hospitäler in London jeder Kranke, der das Ambulatorium zum 
ersten Male aufsucht, ein Zeugnis von einem praktischen Arzt 
beibringen soll. Dieses Zeugnis soll bestätigen, dass der 
Kranke nicht in der Lage sei für seine Behandlung zu bezahlen 
und dass der Fall für die Behandlung im Ambulatorium ge¬ 
eignet sei. Dabei soll Vorkehrung getroffen werden, dass 
schwierige und interessante Fälle vom Arzt zur Untersuchung 
und Meinungsäusserung überwiesen werden können, wenn die 
Kosten eines Konsiliums nicht getragen werden können. Beim 
2. Konsilium muss jeder Patient das Zeugnis des Arztes vor¬ 
weisen. Ob dieser wichtige Vorschlag von dem fraglichen 
Hospital angenommen werden wird, lässt sich zurzeit nicht 
sagen. Wenn es der Fall wäre, so wäre damit ein grosser 
Schritt getan zur Beseitigung eines Missstandes, der den ärzt¬ 
lichen Stand in England zu ruinieren droht. 

Aerzte sterben nie reich, die Fabrikanten von Geheim¬ 
mitteln dagegen sehr häufig. Dass solche bei ihrem Tode ein 
Vermögen von mehr wie 2 Millionen Mark hinterlassen, ist 
durchaus nicht selten. So sehen wir, dass während der Arzt 
bei ehrlicher Arbeit verhältnismässig arm bleibt, die Kur- 


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1552 


MLFNCHFNFR MEDIZINISCHE \\ ()CHFNSCHR1FT. 


No. 20. 


pfuscher Vermögen erwerben, die im umgekehrten Verhältnis 
stehen zu den Verdiensten dieser Leute. So lange das Publikum 
so leichtgläubig bleibt, so lange müssen w ir erwarten, in den 
Reihen unseres edlen Standes Armut, und Wohlstand in den j 
Palästen der Geheimmittelkrümer zu finden, die sieh an der ! 
Dummheit der Menschen aller Gesellschaftsklassen bereichern. 
So war es immer und so wird es bleiben, bis das Parlament 
uns zu Hilfe kommt und die Fabrikation von < ieheimmitteln 
ganz verbietet. Nur dadurch könnte die schwindelhafte Aus¬ 
beutung des unwissenden Publikums wirksam verhindert 
werden. 

Vereins- und Kongressberichte. 

17. Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft 

zu Heidelberg am 6. und 7. Juni 19t>8. 

Die XVII. Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft 
fand am 6. und 7. Juni 1908 unter dem Vorsitz von Denker-be¬ 
langen in Heidelberg statt. Die Teilnehmerliste wies 165 Namen auf. 

Vor dem offiziellen Beginn der Verhandlungen wurden einige 
Klassen der speziell für Kinder mit Hörresten eingerichteten Heidel¬ 
berger Taubstummenkurse vom Leiter der Anstalt, Herrn J. Holler, 
und einigen Lehrern vorgeführt: die ausgezeichneten Untcrrichts- 
resultate, besonders in Bezug auf Sprach- und Ablesefertigkeit, fanden 
allgemeine Anerkennung. 

Ein Festessen, ein gemeinsames Mittagsmahl mit nachfolgendem 
Ausflug in die schöne Umgebung vereinigten die Teilnehmer noch 
ausserhalb der Sitzungen. 

Nach Begriissungsansprachcn des Bürgermeisters von Heidelberg 
und des Leiters der Heidelberger Ohrcnkltnik wurden die Namen 
der 46 neu aufgenommenen Mitglieder verlesen. Zwei Mitglieder, 
Prof. Kessel-Jena und Stabsarzt 0 e h s e - Berlin, hat die Gesell¬ 
schaft durch den Tod verloren; der Vorsitzende widmete ihnen einen 
ehrenden Nachruf. 4 Mitglieder sind ausgeschieden, so dass die Ge¬ 
sellschaft zurzeit 417 Mitglieder zählt. Der Vorsitzende berichtet 
dann über die feierliche Uebcrgabe der Büste des Begründers der 
deutschen Ohrenheilkunde, A. v. T r ö I t s c h. welche die Gesellschaft 
gestiftet, an den Vorsteher der Würzburger Ohrenkimik, Prof. K i r c h- 
n e r. ln dessen Auditorium, an der W irkungsstätte des Verstorbenen, 
hat die Büste ihre vorläufige Aufstellung gefunden. Weiter berichtet 
der Vorsitzende über das neue Heft der von der Gesellschaft heraus¬ 
gegebenen „Anatomie der Taubstummheit". In der Geschäitssit/img 
vom 7. VI. wurden an Stelle der drei ausscheidenden Vorstandsmit¬ 
glieder Körner, Kretschmarin und Passow die Herren 
Zarniko, Röpke und Hinsheru gewählt. Als Ort der nächsten 
Versammlung wurde Basel gewählt, während eine erhebliche 
Miniorität für Leipzig war; als Zeitpunkt der Freitag und Sonnabend 
vor Pfingsten. 

Weiterhin sprach Passow unter ausführlicher Begründung für 
die Vereinigung der Laryngologie, Rhinologic und Otologic in einer 
Hand an den Universitäten. In seinem Sinne sprachen sich mehrere 
Redner aus, gegen die Vereinigung namentlich B 1 o c h und .1 uras z. 

Im ganzen neigte die Versammlung zu der Ansicht, dass man die Dinge 
sich möglichst ohne künstliche Beeinflussung entwickeln lassen müsse. 
Weiter wird ein Antrag Hartmann angenommen, den Gemeinden 
mit mehr als 10 000 Einw'olmern folgende Resolution zur Kenntnis zu 
bringen: „Die Deutsche otologischc Gesellschaft hält die Anstellung 
von Schulohrenärzten an allen Volks- und höheren Schulen für er¬ 
forderlich. Durch viele Untersuchungen ist festgestellt, dass bei etwa 
der Hälfte der schwerhörigen Schulkinder die dauernde Schwerhörig¬ 
keit durch frühzeitige Behandlung hätte vermieden werden können. 
Da der Erfolg des Unterrichts vom Grade der Schwerhörigkeit ab¬ 
hängig ist, liegt die Verhütung und die Beseitigung der Schwei hörig- 
keit sowohl im Interesse der Schule, als auch dem der betroffenen 
Kinder.“ 

Bericht über die w i s s c n s c h a f 11 i c h e n V e r h a n d - 
I u n g e n. 

1. Herr O. K ö r n e r - Rostock: Ueher die konservative Behand¬ 
lung der chronischen Mlttelohreiterungen. (Referat.) 

Von einer „konservativen“ Behandlung der chronischen Mittel- 
ohreiterungen spricht man erst seit Einführung der Totalaufmcisselung 
der Mittelohrräume, der als einer „radikalen“ Methode jedes 
schonendere Verfahren als „konservativ" gegenübergestellt wurde. 

Es fällt also unter den Begriff der konservativen Behandlung die 
Gesamtheit aller therapeutischen Bemühungen, die von den piäfor- 
mierten Wegen, also vom Gehorgauge und von der Tube her. aus¬ 
führbar sind, selbst wenn sie chirurgische Eingriffe darstellen, wie 
z. B. die Entfernung kranker Gehörknöchelchen. 

Heutzutage gilt nicht mehr jede chronische Mittelohreiterung für 
gefährlich; die „radikale“ Totalaufmeissdung hat uns als Autopsia in 
vivo die gefährlichen von den ungefährlichen Fällen besser als früher 
zu unterscheiden gelehrt. Deshalb haben wir die rein prophylaktische 
Indikation für die Totalaufmeissdung fallen lassen und operieren nur • 


bei erkanntem gcfahfhGicm Charakter der E.te'Ung Pc Zv.dx:.. 
welche auf einen geiahtüJitn Charakter iinwt.scu. werden austuh.r- 
lieh angegeben; wo sie leinen, bedarf d.c E.&Jiung nur der lk:.a:d- 
Imig \un den praformicrtcn Wegen aus. 

Im einzelnen weiden die f .teruiuen im 11\Me'-"- und E;\- 
tviripanurn, sowie im \ntrum bespi'V eii und d e \< m kt!e:erteil /u 
ihier Behandlung verwendeten Methoden ,r gert. Im \--'de'- 
g Mi-nde stellt die legelma^ge Re n . mg vier i hitikcüh.-h e, de am 
ginn Jliehsteri und se In nie ndMe n mit der Mir .t/e le/w. dem 
liolileiirolire heil erreicht wird. Au! a: :.se pt.s w :.c / imat/c /um >t i ’:t/- 
wasser wnd nur geringer Wert ge eg:, am nie steil .st 11.i b /;» 
empfehlen wegen seiner medial. sGi re n.gt r:de n W.rMing. B rvtii'e 
in Pulverform ist bei keinen PerMi$i.--t:cn :s..t \ • ■ r s.: w **:! i ' hesse": 
nur unter ai/thJier l eie: w duhuiig » ari/uw e n.deii. Pt M lenste.u- 
ii U vl die .\ k< *hi dbeh.indlung w.rken gut I e; staker >*h e mhaut- 
s v liw eilung. P.e l.ntlei innig kranker tmd dauh I'ein ung ihrer \cr- 
b.mlungen w erth»s gewordener (leüol mu»G:c vheii gestatt t d.c kom¬ 
plizierten M Ule ä dir i aume e.nt.idk'i und macht sie den tierape uf .s w h,en 
l'hngr.ften /uganghelicr. Gr-.sscr Wert w.id auf ehe Best t. N .r:g \--n. 
Nasen- und Raeheneiter ringen ge'egt. Weil d .esc "ft /u t'ir.ttn ln- 
iekfioiien der Paukerihou e li.lifen. Mark betont w.rd d.c N- twcr.dg- 
keit, bei elenden. Seh.eeht genährten Kranken, besonders be. hasse”., 
an Prusensehw eilung ie.vlenden Kindern neben der E"ka nehand arg 
den Kraltezustand zu heben; MdhaJer und na me nt teil der Autcn.tha.t 
am Meere” mit und ohne >echadcr wirken her oft Wunder. 

2. Herr Scheibe - Mmnlan: Was müssen wir von der konser¬ 
vativen Behandlung chronischer Mlttelohreiterungen erwarten? 

Nach Peiimtion des Ausdrucks „vh.ron.sehe M ttel- h'c terueg" 
kommt Scheibe auf Grind e.r.gc hender stat v! s w h c r l nter- 
suehungeri. auf die er im (iegens.it/ /u dem Referenten g'-.ssen W e't 
legt, zu dem helilusse, dass mi \ erlaufe der Gir -n.svhen M tte'- h'- 
eiterimg mit Milte* der B e / o 1 d sGicn Borsatrcbeiand .mg. insbe¬ 
sondere bei ine tlrod.se her Anwendung des Antrumrch'cjiens. das Aut 
treten von Kompilationen des War/en?e;s oder des Gch.rrs m t 
Sicherheit Sieh verhüten lasst. 

Dieses ungewöhnlich gunst.ge. v--n den Angaben der irc.Mr 
I chrbiicher abweichende Resultat w ird auGi du*wh d.e pers. •, . l c ,. 
reichen Erfahrungen Bezolds se bst und dumh S . e b c n :r. a n n 
vollkommen best.it.gt. Per bisher a gerne.n anerkannte und auch v. n 
Korner nur für die zentralen im t icgens.it/e zu den rundN-:.ir J.gv. 

- Perforationen bestrittene W rldesch.c bat/ \"n der l nhercchtr.- 
barkeit der Mlttelohreiterungen ver' ert dadurch seine G.ilt.gse t. 

Nur wenn trotz konsequent !< rtgeset/ter Sjvhgeu .isser duckte- 
Injektion und Insufflation durch das Antrum-ohrche» der Euvr des 
Sekretes Si-.li naht beseiligeii hisst dies war nur m 1 ; Pro/. uc' 
75'» chronischen Mittelohre.ter urigen der Ea ! —. ist de ()pe’af.- 
und zwar die TotalaufmeiSse-ung. Kd-Ji ohne Extrakt <-n der Geho-- 
knocheicheii. ange/eigt. Per letztere E.ng'ff wurde au sh v--m (ic¬ 
horgange aus in keinem e.n/.gen sc ner Ea.lc ansgetuhrt. we.l er 
nicht ungefährlich und meist unnötig :\t. 

Durch die mitgeteilte, von se.nem Sch.aler v. Ruppert ange¬ 
fertigte Statistik (vergleiche diese W -> «.heffS* hr :ft, 1' >. V J1 » is* 
zum ersten Male cm Massstab geschalte n. an d«.m di: Wrl un.dc'tr 
konservativer Behandlungsmethoden ge messt n w erden kann 

D i s k u s s i o n /u N«>. 1 und 2: Herr T h i e s - Ee :v g emphe' : 

die Entfernung der lateralen Kuppelraumw and rmt oder i-irc Er- 

haltung der GehorknoGicIGicn resp. des Tr«■:?;:?*.c te"s je na^h Aas. 
de!inung und Eage des E.rkrankur.gsherdeS m Ea .er. chr-m sch. er 
Mittelohreitcriing mit Affekt;>>n des Ktippe'raumes und Ant*ums. u.e 
trotz längerer rem koiiserx atn er Bilian : ,r g nullt zur Aushebung gt - 
langen, l alle mit ausseren >\ rnpt--me:i dt i W ar/enf-afsal/t rkr.mknii g 
sind ausgeschlossen. Per Emgr.tf w;d ausgefih't mi ucscnt'.J’ar. 
nach den Angaben N e u n: .1 lins- W .itt ;n l • kalar.asfM-vc v -*r. 
ausseren Gehorgauge aus. Eventuell vud aljsv:: .essi :• Je le.'c vle" 
Inneren Gehör g.mgsw and mit zu entfm en. f.E s das \nt:urn sic'i 
statker erkrankt zeigt. 

Weite: hm spuulun m der pskiiss-.n n J- 1 : R«. ::e': Pe B> -- 

säiirebeharullung. d.e S.urgther ap.e. ! e A k- h ir d so: ge rr.ed - 

kafMeiitose Behandlung, die Anwendung der I uttJnsP-e Jaule:; aus¬ 
giebige Besprechung. 

ä. Herr H e g e n e r - Heule ! erg : Vorschläge zur Bestimmung: 
der oberen Hörgrenze. 

Pie Annahme der p!i\s .u. g s J eu "‘'e'cn H--'g'tn/e v t 
ea. 5i< oon \. d. (Sehwendt, Edel m a r. u • >t un* vl.: g; s e legt 
bei 2« 11 h h i v. d. < M v e r s. f . \. S e hu I z e. Hege ne r i Per B' t• •: 
wurde dadurch herbe; gefidir t. dass bt :n A'i! ..oer: m t < ii.mn. ! al J c 
Galtonpfeife eine Reihe von 'I'«-nen g ' t, deren t.e’ste' 1 2 Oktav 

unter dem mit K u n d t s^her R -h-'e gewesse-rien < rurdt n der I’*e :e 
liegt. Diese Tone (>e!me:-.le ntoiu. I ,'en a:uh !e de' I a: - g 

dei Einsehränkmig der "bereu Prg'er/e zu l"t 'n. \-d‘ as-. 

mit konstantem Pnuk hegt gm. t c' i e: e:r p'a*'^ w . en >.:w c:. g - 
keit e ll. I Ei Pc i Sto r t sta'kes Bbrnt ger a \y d d e M *.e t v! . - 

Täuschung durch Reduingst.-ne. Pa!'er ist d-C (ia t •• -*e *e zu ver¬ 
werfen. Bei der eingehender, kr.tis.'en I • ’e • s.i. ■ .m g der s r.st / - 

Verfügung stellenden r-.n-mt \r. e's.'- c nt , ; ..s v- r E. \ Schulz e 
neuerdings konstruierte M- no t h-»rd. dessen 'I • -r e r Zeugung auf L- r - 
gitudinalsehw ingimgcn gespannter Säten he'ui.t. f.«r de P'ax s h e - 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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sonders geeignet. Zu seiner Ergänzung sind eventuell Stimmgabeln 
oder M e 1 d e s Stimmplatten zuzuziehen. 

4 . Herr ff ege ne r- Heidelberg: Methode zur Bestimmung der 
Schwingungszahl leiser hoher Töne. (Mit Demonstrationen.) 

Zweck der Methode ist Erreichung einer wesentlich höheren 
Empfindlichkeit, als sie die bis jetzt meist benutzte Kundtsche Röhre, 
sowie auch die anderen Methoden bieten. Prinzip: Vermeidung des 
Kraftverlustes bei festem Indikator, Benutzung eines gasförmigen. 
Erreicht wird das Ziel durch eine Seebecksche Röhre, bei der 
an Stelle des Ohres eine empfindliche Starkdruckflamme tritt. Durch 
die entstehende Resonanz wird die Empfindlichkeit auch der Methode 
von Lord R a y 1 e i g h gegenüber wesentlich gesteigert, die Fehler 
derselben, die in der Flammengrösse und Lufterhitzung liegen, sind 
vermieden. Die Genauigkeit ist eine sehr grosse. Die Methode ge¬ 
hört zu den rein objektiven im Sinne M e 1 d e s. 

Diskussion zu No. 3 und 4: Herren K. L. Schaefer, Bön- 
ninghaus, Denker, Siebenmann und H e g e n e r. 

5. Herr Biräny- Wien: Lärmapparat fcum Nachweis der ein¬ 
seitigen Taubheit. 

Vortragender demonstriert den von F. R e i n e r & Co. in Wien 
nach seinen Angaben konstruierten, patentamtlich geschützten Lärm¬ 
apparat Mittels eines Uhrwerkes wird ein Hammer in Bewegung 
gesetzt, welcher auf eine Membrane schlägt. Der dadurch erzeugte 
Lärm wird mittels eines Ohrtrichters dem Ohre direkt zugeleitet. 

Der Zweck dieses Apparates ist folgender: Die Feststellung der 
einseitigen Taubheit ist trotz der ausgezeichneten Untersuchungen 
B e z o 1 d s noch immer keine absolut sichere, in jedem Falle aber 
eine recht zeitraubende. Vortragender hatte nun den Gedanken, das 
gesunde Ohr dadurch auszuschliessen, dass er den Gehörgang nicht 
Moss verschloss, sondern auch im Gehörgange einen derartigen Lärm 
erzeugte, dass dieses Ohr für jeden weiteren Schallreiz taub gemacht 
wird. Nun kann man das zu untersuchende Ohr auf seine Hörfähig¬ 
keit prüfen. 

Ein theoretisches Bedenken gegen diese Untersuchung lag nur 
Irsofern vor, als es möglich wäre, dass durch den im gesunden Ohre 
erzeugten Lärm eine geringe Hörfähigkeit des kranken Ohres auf- 
cehoben werden würde. Nach den Untersuchungen Bäränys ist 
dies jedoch nicht der Fall. Auch ganz geringe Hörreste können nach- 
<ewiesen werden. Man kann die totale einseitige Taubheit auf diese 
Weise von dem Vokalgehör differenzieren. Die Beeinträchtigung des 
zu prüfenden, noch hörenden Ohres zeigt sich nur darin, dass der 
Intersucher mit etwas stärkerer Stimme sprechen muss. Ein beider¬ 
seitig normal Hörender hört Konversationssprache mehrere Meter, 
rlüstersprache wenigstens einen Meter weit. Ist jemand auf dem 
zu untersuchenden Ohre total taub, so hört er auch die lauteste 
Sprache und die .lautesten Geräusche nicht, 2 derartige Lärmapparate 
e nem Gesunden in je ein Ohr gesteckt, machen ihn total taub. Auch 
die lauteste Sprache, die lautesten Geräusche werden nicht perzipiert. 

Gegen über dem früheren, von Dr. Robert B ä r ä n y angegebenen 
Lärmapparate ist dieser neue Apparat insofern von beträchtlichem 
Vorteil, als er sehr handlich ist und ausserdem das Geräusch immer 
in gleicher Stärke produziert. 

Mittels dieses Apparates kann die so wichtige Feststellung der 
einseitigen Taubheit in wenigen Sekunden mit absoluter Sicherheit 

eriolgen. 

Gegenwärtig ist Dr. D i 11 o n an unserer Klinik damit beschäftigt, 
diese Methode an einem grossen Materiale auszuwerten. 

Diskussion: Herren Scheibe, Voss, Bäräny, Scheibe. 

6. Herren Karl LSchaefer und H.Sessous: lieber die Be¬ 
deutung des Mittelohrapparates für das Hören, namentlich der tiefsten 
Töne. 

Die Verfasser haben an 17 doppelseitig radikal operierten, also 
an 34 Gehörorganen, die untere Hörgrenze mit Edelmann sehen 
Gabeln bestimmt.. Sie erwies sich, von ein paar Ausnahmen abge- 
>ihen, als in der grossen resp. in der Kontra-Oktave gelegen. Da 
bereits feststeht, dass mittlere, hohe und höchste Töne von Radikal- 
nerierten gehört werden, so ergibt sich also im ganzen, dass in 
palliativer Beziehung das Tongehör relativ sehr wenig durch das 
Fehlen des Mittelohrapparates geschädigt wird. Anders ist es in 
Quantitativer Hinsicht, wie aus der allgemeinen Erfahrung und 
-rn entlieh aus früheren Versuchen von F. Wagner hervorgeht. 
B; Mangel des Trommelfells und der Knöchelchenkette ist die Hor¬ 
cher für die einzelnen Töne um so mehr verkürzt, je tiefer die 
Igne sind. 

Diskussion: Herren O. Wolf, Bönnighaus, Sieben- 
zann, Herzog, Bloch, Vohsen, Scheibe, O. Wolf, 
> c h a e f e r. 

7. Herr W a nner- München: Funktionsprüfungen bei kongeni- 

zpo 1 d hat in seiner Studie „Die Taubstummheit auf Grund 
irenärztlicher Beobachtung“ unter 233 Fällen von erworbener 
SauVtummheit 13 mal (5,6 Proz.) als ätiologisches Moment kongeni- 
ä e Lues feststellen können. Nach seinen Untersuchungen wird die 
uhwerhörigkeit entweder zwischen dem 7. und S. oder 11. und 12. 
Lebensjahre manifest. Alle Erkrankten bis auf einen hatten Zeichen 
vrn überstandenen Augenerkrankungen; auch das dritte Glied der 


Trias, die H u t c h i n s o n sehen Zähne, konnte bei vielen Patienten 
festgesitellt werden. 

Im Laufe der Jahre hat Verfasser 15 weitere Fälle, welche auf 
Grund der B e z o 1 d sehen Zusammenstellung als auf kongenitaler 
Lues beruhend erkannt wurden, eingehend funktionell mit der Be- 
z o 1 d --E d e 1 m a n n sehen Tonreihe untersucht. 

5 dieser Fälle wurden mehrmals vor und nach einer antiluetischen 
Kur geprüft; bei dreien waren durch dieselbe günstige Erfolge zu 
verzeichnen, während bei den beiden anderen nach einer vorüber¬ 
gehenden Besserung eine wesentliche Verschlechterung eintrat. 

Die verschiedenen Prüfungsergebnisse wurden an graphischen 
Darstellungen (Hörreliefs) demonstriert. Die Untersuchungen er¬ 
gaben ein scharf umschriebenes Bild der Affektionen des inneren 
Ohres bei kongenitaler Lues. 

Weitaus die Mehrzahl der Erkrankten trifft auf das weibliche 
Geschlecht, nämlich 2 männliche auf 5 weibliche. Das Ueberwiegen 
wird noch auffälliger, wenn man bedenkt, dass unter den Ohren¬ 
kranken überhaupt auf 6 männliche 4 weibliche treffen, während bei 
dieser Erkrankungsform auf 6 männliche 15 weibliche Patienten 
entfallen. 

Der Eintritt der Schwerhörigkeit erfolgt meist ziemlich plötzlich 
im Verlauf einiger Wochen und Monate im späteren Kindesalter, 
besonders häufig zwischen dem 7. und 9., ferner zwischen dem 11. und 
13. Lebensjahre; aber auch bis zum 20. Jahre ist die Möglichkeit der 
Erkrankung infolge von Lues hereditaria nicht ausgeschlossen. 

Als prodromale Erscheinung tritt fast ausnahmslos mehrere 
Jahre, meist 3—4, vor der Erkrankung der Ohren eine solche der 
Augen auf, von welcher die Residuen, gewöhnlich Hornhauttrübungen, 
leicht nachweisbar sind; manchmal wurden mit dem Eintritt der 
Ohrerkrankung Rezidive der Augenerkrankungen beobachtet. 

In ungefähr 50 Proz. der Fälle sind sicher oder doch in An¬ 
deutung Hutchinson sehe Zähne vorhanden. 

Verhältnismässig selten setzt die Ohrerkrankung neben der 
Schwerhörigkeit mit Sausen und Schwindel ein. 

Eine wichtige Stütze der Diagnose hat die allerdings häufig 
mangelhafte Anamnese zu bilden; hier ist besonders auf Erkrankung 
der Eltern, Früh- oder Totgeburten, sowie auf krankhafte Erschei¬ 
nungen bei oder bald nach der Geburt Bedacht zu nehmen. 

Die otoskopische Untersuchung ergibt sehr häufig das Bild des 
Tubenverschlusses, wodurch sicher öfters Fehldiagnosen bedingt sind, 
namentlich wenn eine genauere Prüfung der Hörweite mit Flüster¬ 
sprache unterlassen wird. Während beim unkomplizierten Tuben¬ 
verschluss die Zahl 9 sehr häufig am schlechtesten perzipiert wird, 
sind es hier die Zahlen 4, 6, 7; die nach Politzers Verfahren sonst 
zur Norm zurückkehrende Hörweite bessert sich in diesen Fällen 
nur wenig. 

Die funktionelle Prüfung bietet regelmässig das Bild der Er¬ 
krankung des inneren Ohres; normale, in diesen Fällen oft auch ein¬ 
geengte untere Tongrenze; positiver Ausfall des Rinneschen Ver¬ 
suches. Bei der qualitativen Prüfung finden sich gerade bei dieser 
Erkrankung nicht so selten ein- oder mehrfache Lücken im Ton¬ 
bereiche. 

Die Prognose ist im allgemeinen dubiös zu stellen. 

Die Therapie ist nicht sehr ermutigend; auf alle Fälle‘ist mög¬ 
lichst rasch eine energische antiluetische Kur — am besten Schmier¬ 
kur und Jodkali — einzuleiten. 

Das wichtigste aber ist, auf die Erhaltung der Sprache bedacht 
zu sein. Dieselbe geht in unverhältnismässig kurzer Zeit verloren; 
selbst im 15. bis 18. Lebensjahre ist ohne geeignete Nachhilfe die 
Sprache bald kaum mehr zu verstehen'. Da die Kinder aus der Zeit 
vor der Erkrankung den vollständigen Sprachschatz besitzen, ist 
derselbe nur zu erhalten; um das zu erreichen, müssen die Kinder 
baldmöglichst in den Hörklassen der Taubstummenanstalten unter¬ 
gebracht werden. 

Diskussion: Herren Bänäny, Rudloff, Wanne r, 
R. Nager, Nadoleczny, Hartmann, Fr. Müller, Mann, 
Ehrenfried, Wagenhäuser. 

8. Herr D e n k e r - Erlangen: Demonstration von 3 neuen 
Ohrmodellen. 

Vortragender demonstriert 3 neue Ohrmodelle, die auf Wunsch 
der bayerischen Regierung von Prof. B e z o 1 d mit Unterstützung 
des Münchener Bildhauers Hammer hergestellt wurden und in dem 
neuen Deutschen Museum Aufstellung gefunden haben. 

In dem ersten, das ganze Gehörorgan darstellenden Modelle 
wird durch einen Schnitt, der vertikal zunächst von aussen nach innen 
läuft, die komplizierte Gestalt des äusseren Gehörganges demon¬ 
striert, dann wendet sich der Schnitt, das Trommelfell intakt lassend, 
nach vorn innen entlang der Längsachse der Tuba. Der ganze Mittel- 
ohrtraktus mit den Gehörknöchelchen liegt gut sichtbar vor. Vom 
inneren Ohre erblickt man die eröffnete Schnecke in ihrer Lage zur 
medialen Paukenhöhlenwand, das Vestibulum, die Bogengänge und 
den Meatus auditor. internus mit dem Nervus acusticofacialis. 

Das zweite Modell gibt in einem 7fach vergrösserten 
Korrosionspräparate die Form und Gestalt der Hohlräume des ganzen 
Gehörorganes in ausgezeichneter Weise wieder. 

Das dritte Modell bringt die Paukenhöhle für sich in 
stärkerer (20facher) Vergrösscrung zur Darstellung; dasselbe ist 


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MUKNCHTNKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N". 29. 


auseinanderklappbar, so dass man die Verhältnisse an der äusseren 
und an der inneren Wand sehr gut studieren kann. 

Denker bezeichnet die Modelle als eine sehr erfreuliche und 
wesentliche Bereicherung unseygr Unterrichtsmittel und empfiehlt 
dieselben besonders für den Unterricht in den Universitätsinstituten 
aufs wärmste. 

9. Herr Schönemann -Bern: Demonstration von 5 Platten¬ 
modellen des menschlichen Gehörorganes. 

Vortragender demonstriert 5 Plattenmodclle des menschlichen 
Gehörorganes, welche bei In facher linearer Vergrbsserung alle prak¬ 
tisch wichtigen Teile des Gehörorganes in absolut richtiger Orien¬ 
tierung wiedergeben. 

Diskussion zu 8 und 9.: Tri. K ö b e 1 e. 

10. Herr Po111 z e r - Wien: lieber das anatomische Verhalten 
der Stapesplatte bei der Otosklerose. 

Politzer demonstriert eine Anzahl histologischer Präparate 
von in vivo beobachteten f ällen von Otosklerose, an denen das 
Uebergreifen der Knochenerkrankung von der Labvrinthkapscl auf 
den Stapes in den verschiednyn Stadien des Prozesses ersichtlich ist. 
Manche Schnitte durch Labyrinthkapsel und Stapesplatte konnten zur 
Annahme verleiten, dass die otosklerotischen Veränderungen in der 
Stapesplatte selbst sich primär entwickeln. SeriensOmitte desselben 
Präparates zeigen indes stets den unmittelbaren Zusammenhang der 
Knochenvcränderung mit der in der Labvrinthkapsel. Die Präparate 
Politzers zeigen ferner, dass es sich bei der Otosklerose nicht 
um eine Umwandlung des normalen Knochengewebes in der Labv¬ 
rinthkapsel, sondern um wirkliche Neubildung handelt, welche das 
normale Knochengewebe verdrängt und oft über das Niveau der 
Labyrinthkapsel hervnrwuchert. Besonders starke Dimensionen 
nimmt diese Knochenwucherung beim Uebergreiien auf die Status- 
platte an, welche, wie die demonstrierten Präparate zeigen, oft durch 
eine Knochenmasse ersetzt wird, die das Vielfache der normalen 
Stapesplatte beträgt. 

Pol i t z e r zeigt ferner Präparate, welche imw iderlediglich be¬ 
weisen, dass es sich bei der klinisch-typischen Otosklerose entgegen 
den Angaben Haber m a n n s. der die Knochenveränderung als einen 
von der Periostlage der Schleimhaut ausgehenden Prozess ei klärt, 
um eine primäre Erkrankung der Laln rmthkapsel handelt. Ms 
Gründe führt Politzer an: erstens, dass in keinem Talle, bei dem 
der Sitz der Erkrankung die Promontorialwand war. das l'ort- 
schreiten des Prozesses von den der Periostlage nahergelegeiien 
Teilen gegen die tieferen Schichten gesellen wurde, die Knochen¬ 
erkrankung vielmehr dort, wo sie nicht als zirkumskripte Insel in der 
Labyrinthkapsel vorkommt, sich auf die ganze Dicke der Protnon- 
torialwand erstreckt. Zweitens weil von Politzer. Jörgen. 
Möller und Lin dt zirkumskripte, scharfhcgreuzte. iieiigebildete 
Knochenherde in der Labyrinthkapsel gefunden wurden, zwischen 
denen und dem Periost eine normale KnochcnJage bestand, und auch 
Ma nasse in einem Talle beiderseits einen isolierten neiigebikletcn 
Knochenherd im inneren Gehörgange fand. Endlich fand Politzer 
hei der histologischen Untersuchung der t v n i s c li e n T o r m e n 
nicht die geringsten Veränderungen in der Mittelohrschleimliaut und 
in deren Periostlage. 

Diskussion. Herr G. B r ii h I - Berlin: Mikroskopische 
Demonstration zur Otosklerose. 

Brühl zeigt Präparate,-die von ft! jähriger hochgradig schwer¬ 
höriger Trau stammen. Ts fand sich bei sonst normalem Mittelohr 
eine Tixation des Steigbügels durch einen Spongiosaherd in der 
Prnnmtorialwand; ein zweiter Herd fand sich in der Wand des 
inneren Gehörganges. 

Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte. 

XXI. Sitzung vom 17. November zu Köln. 

Herr P. S c h m 11H u 1 se n - Aachen: Die Behandlung der 

Larynxstenose durch verbesserte Bolzen und Elektrolyse. 

Trotz der grossen Tortschritte in unserer Disziplin begegnet man 
in den einschlägigen Krankengeschichten, auch neueren Datums, nicht 
allzuselten der kurzen Schlussbcmcrkung: „wurde mit der Kamilc 
entlassen“. Chirurgen und Halsärzte wetteifern mit einander, aber 
zu einer einigenden Methode ist es noch nicht gekommen, lim ieder 
findet an den vorhandenen Instrumenten etwas auszusetzen und ver¬ 
bessert für seinen Ta 11. So ist es auch mir gegangen. < ilucklicher- 
weise hielt die Schwierigkeit der an mich gestellten Aufgaben gleichen 
Schritt mit meiner zunehmenden Erfahrung. Von den beiden Zu¬ 
gängen wählte ich von vornherein die Trachealoitiiung und bin dabei 
geblieben. 

Die Vorteile der Methode sind: 

1. Man ist der Striktur näher und man kann ihr besser bei¬ 
kommen. 

2. Sie ist angenehmer für den Patienten. Schmerzen und Schluck- 
beschwerden treten gar nicht, oder nur in minimaler Weise auf. 

ö. Sie bietet viel günstigere Aussichten für die Stimmbildung, 
da der obere bewegliche Teil des Lnrynvmueren, der in manchen 
I äl’eu einzig zur Sprachbildung in Betracht kommt, nicht glatt bei 


Seite gedruckt wird, sondern nheihu'b der Bolzen si^ti zu Sp*aU - 
letzen entwickelt. 

-b Sie ermöglicht bei larvgw ici igen T.t’ltn. indem iimii d.iul- 
lücherte Bolzen anwendet, fruh/e l:g die s<< ei^v'u te >;*rjche um! 
mehr oder weniger Muiidatumug. 

Mein Material erstreikt vd, auf erneu Zc.tr.; um \<ui I « Li! ■ en 
und betrifft II lalle: 5 Kuuk i muh l ftpftjbcr.v. f» l:\\.u‘iw: i. J mm, 
Typhus und .! nach S\ phrliv 

Zwei Arten von Bolzen haben vji mir bew. lut: 

1. der gewöhnliche konnche IV ‘/in ohne < r.Ü. 

2 . der zweiteilige Bolzen na* tu n. 

Trsterer hat am unteien d.ckeren I nde zwei "h de lila de n e •• 
dritter l aden geilt durch d e Mutze. Das d.Aett I de wad ai i 

Trachea mich unten so weit vo* ge* Ji.-ma.. I s Cer H • hu u senkn ft : 

stellt, mul dann an den zwei unteien I a ieii. d e am n der l age 

festgelialten haben, m die Hohe ui de st ihture'te Me ft giz 

Mit einer Sonde wird, wenn tio! g, \ oi unten r.ukge J: :ukt und ftm- 
die Kanäle dal unter gesetzt. Ihe laden h.i'.^eti zu he den H 
der Kanüle heraus. Der B-'l/in reutet auf der käme. s v S% e s t s » a 
den Bewegungen des Halw.v an. in.idi! gar kme M > cVft n im.: 
kann Tage lang hegen bleiben. Bern IIim;i\"i' tiii / c 1 : n m di 

unteren jaden an. der Bolzen g Tatet m de I nuN .1 um! w 'd .y- 

oberen jaden her ausgezogen. Neu bei J yr NU:m-..e ist de He- 
nutzuiig tles unteren Tuu lieai'üüfbens bei der l'mtftmag efts |’. • s 

I bei gute Seidenfaderi s.r.d herbe.t gemig, um e r: M m! '- 
fallen des Bolzens unmoglnh zu in.u heu. 

Der zweiteilige Bolzen, dt u uh in d< n ft t/ft lahm I >■ - 
strmerte, setzt steh zusammen aus ite ri egen: d"en B /tu m t *r ’ 
lind Gern l'ntersatz mit Gr.ft. 

Der Bolzen bat die untere fftftn n.uh -'cn tu.! : !e :• .1 

schrägt, so dass er sich ft- ftit e.n- und aus* :‘-- t n < • 1 . 1 n •• 

unteren vorderen Pand der j r.u heah • !?: uug zu /•"ei Iftr l Mm- 
sat/ füllt die I.tuke des Bolzens r.u h <du 1* aus uml >• .*•* de r m-uft •: 

I laclte so aus ge holet, das er s.^fet der K'||.i vtat 'ft r k.»: . e .r - 
schmiegt, diese selbst iil'er r ngend. t t’i.r ü t er dm '1 "'rr: ! • *» 
Punkt über tler Biegung di r Kar..: e aus. s.. dass e »•. *: .fti gm.mm 

Kanal von Kanüle und Bo'/en geft ..ft t wad m tmMftu um! >;> - 

l'ildung weiden dm dl d gse I m m des l : lia.il/tA \e:n..cden. 

I Me gewohnhehe K.uri'e kann trau Imutn”. ma muss au • 

oberen I* arte eme P nie zur Viim.yn'e dis M.md.m "es e 'gm ■ 
werden. I he Betftstnm.g de r li riu-rk.im ft .st au: aute'en Je ' dm 

1 Balte anzubr mgen. 

In all me nen lalftu musste die I • aftea • .a g e'Wctmt Wi ¬ 
llen. um limn-ishi-nden Zu gar g für dm B- hur- zu sd'i.ri n. NU"’, 
genügten dickere Kainiftn. Na* - "Ihm: \ w ir de \ • r „e gangeft. wi¬ 
es sich zw ccktr.asseg /i.gte. he; zu tute m ^d. e <ft mutig :■ . 

muh oben, und hei zu hohem >:tz ttu ‘a r.u ii U"!i v, zu \ er .egen. \\ 

der Bolzen nullt oder 11 dit t.i'd: ge uug zurr / •. 1 t:!e. wurdi ; 

j.lektroft se zu U.l'e ge"ouar.en. e.r.t'sti ’s zur I ’\u ^huiig* um! \ a 
losurrg des Na 1 beuge w 1 a 1 ft'i'sefs -.an ' e-.cn *e N.r 1 ’: -'fn". ■. 

nach der IV? iphcne zu sitzui. de d t\ in, ua o «iiwile e iv 1 e 
und so das | timen erwete'ii. Ihisi ftt/ti'iu w ken w e dir .r:- 
gezogeiie laden bean |hste*n der 1‘teuft ; :.ia'ma! r at/e. 

In einem lalle, bei 111 \ t. s 5 *>. s ; 11, • r' dm \ ’ \ k ■’ ja! n.uh T\ p v i;s 
auf d -4 mm. war mit der B" zi u ; i : a: .! a-'g ke n k\ su ! li zu t * - 
zielen. De elast.sci.e n Minaua.iuler ^aieu w hl alau.i*: c h de o 
dicksten Bol/en muh. a‘*er n.uh er- g. u 'lagen fat de ade \i - 
eugei uug wieder ein. Nun sitzte .di hrue-e N'ade'u \ ■ m 
Tr aclH-a'off uiing aus an die Bas s de- >!'’:•! .edef durch de g.i*- c 
.Muskulatur des Bodetis des Sinis M'-rg ig-i um .'u Irst bis .m • •• 
Scln'-.lknoj pel. \ :er Be h.md uiui n ge r um nun mehr rmt fte -v 

Bol/en dauernde < ft ftutirg zu v'i.iVa'. mde *m de ''tamr.b.ituli r d. a » ’ 
die seitiuhell Narben fystgeha teil wn'dm. De >t rimte wuule .*• m 
die falschen dtmimb.mde r ge’ .hht. >e u! etw.is * t ih. aber lau* . - 
deutluh. Patie nt hat n.uh gi s» ii . >sn • i - I r.u 'a a’■ **nr:ug si au >:. L 
als Iftdarbeiter w e ler auigi in rtmu n. 

Bei einer anderen Stenose r.uli Iftr 5 -s. \i . ’ e: das rechte 
band beweglich geh -i lft-n. alur in si • ! xm-'s ■•a u nuht e-g e 

genug war, um neben dun etwas ftm * d e M *te";n.c gehigv ♦ : 1 
Stimmband genügend l.utt zu gebm aus t eer nusnn vm 
glottrsfclien 1 1 J1.traI:<»i* I1.1t ft n s.»h in s ’• t s v ft. '»t: »* e v orn V r \ k .*• - c. 
abgestossen - fixierte uh auf ibesi'be \\ t sc das bnke Maurnl 1 
durch Llektroft se etwas zur '■m de ur.d e * z' 4 , *e gm'iger’d l i'..U:c\v 1 • 

Patient ist ohne Kauule und li.it si an Be-sU-.ift di' g a s M.ilft-r kr - c v 

w ieder aufge in um e n. 

Von den dt ei Patienten n. t c’"\u:e-: s\ j* 1 -.’ t edier Metiosc s 

2 geheilt, ein dritter geilt der Me :mg mtge^e tr. 

In dem ersten l'a'ft* Le. e ’u 2 ' .i*'-’gi n T' .i ift u, u .» . 1 

Sehr (» t t c r sehe« Bolzen Wege r. Se u er /' a" . 1 •. : um! S» ti». g 
lieseliw erden vom \ erst..rbe nm K ■ ’mi n ^ c I; .1 : t e r m Brenn n ■ 
gegeben w erden mussten, und e a e \ * ' s'.md 3 \ e* w ag-su- g K \%, 

| StmiTTibarnlgegcrfd e ngetnft-” w .r. v i a:g es a r . dann d e .i m • 
l einfachen Bo'zeti m.l Si !era' ; !i *i \. ' v.,- ' g c M-. ' zu t -* /.». ft • 

' Die erste < )efrmmg wurde d.aft, 1 -;e sft.rfe v .a- ft n t n.ui ; ’ ^ •„ • 
dem 1 arr.inariiistirt gmaift t. I - * ft-‘t u cdi I e*hn-u au de" .-w t - v • 

I nden der I as» lieid-au n r < 5 ’ i:a’i* des ^.i*e ' du r ci* <u ift. * ♦ 

Bolzens, mit denen s ; e ai;>ge,n d'ftt sp'cchen k- -• :e. s.. zw am ’ i > 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1555 


sie 2 Stunden vorzulesen imstande war. Sie führte sich selbst die 
durchlöcherten Bolzen ein paar Jahre lang ein, setzte eine grosse 
Brosche vor die Kanüle, so dass äusserlich nichts zu bemerken war. 
Sie war so zufrieden mit diesem Instrument, dass sie mir auf wieder¬ 
holtes energisches Zureden sich dazu verstand, Kanüle und Bolzen 
zu entfernen und sich die Trachealöffnung schliessen zu lassen. 
Stimme und Oeffnung haben sich tadellos gehalten. 

Im zweiten luetischen Falle sass die Stenose hauptsächlich unter¬ 
halb der Stimmbänder. Das unförmlich dicke rechte Stimmband 
ragte über die Mittellinie hinaus, das linke verstümmelt und hatte 
nur geringe Bewegung nach aussen. Fibromatöse Auswüchse an der 
hinteren Wand sowie an der linken Larynxwand füllten das Lumen 
fast aus. Patient, ein Amerikaner, trug die Kanüle schon drei Jahre. 
Alle bisherigen Bemühungen waren vergeblich gewesen. Oberhalb 
der Kanüle war die Oeffnung, bis auf einen kleinen für die Sonde 
durchgängigem Kanal im hinteren Teile, ganz zugewachsen. Für diese 
Narbenmasse zeigte sich die Keilbeinzange als das geeignetste Instru¬ 
ment Von hinten nach vorne wurde der Narbenstrang exzidiert. 
Nun konnte mit einer kleinen Nummer des zweiteiligen Bolzens be¬ 
gonnen werden. Mit Zuhilfenahme von Elektrolysie und Galvano¬ 
kaustik gelang es, unter gleichzeitiger operativer Entfernung der 
Geschwülste vom Munde aus, in zwei Monaten die nötige Oeffnung 
herzustellen. Zur Vorsicht wurde die Trachealöffnung für die Heim¬ 
reise über den Ozean nicht geschlossert sondern durch einen Silber¬ 
bolzen offen gehalten. 

Einen froheren Menschen, als diesen Amerikaner, am ersten 
Tage, wo er wieder durch Mund und Nase atmen konnte, habe ich 
lange nicht gesehen. Er tanzte durch das Zimmer unä schrie be¬ 
ständig „I am so happy“. 

Der letzte Patient, ein Schweizer, bot die schwierigsten Ver¬ 
hältnisse. Das ganze bewegliche Gerüst des Kehlkopfes war zu¬ 
sammengefallen. Keine Stimmbänder, Nekrose im unteren Teil der 
Aryknorpel, Abstossung von grossen membranösen Fetzen linker¬ 
seits, Erweichung der oberen« Trachealringe, Glottiserweiterer ausser 
Funktion. Beim Versuche einzuatmen, schliessen sich die Schleim¬ 
häute nur fester aneinander. 

Die Falte des rechten Aryknorpels umfasste weit die etwas tiefer 
liegende lüike. Noch vor Ausheilung der Ulzera wurde mit der 
Bolzenbehandlung begonnen bei gleichzeitigem Kurgebrauch. Bei 
dieser Behandlung wurde hauptsächlich der zweiteilige Bolzen er¬ 
probt, und er hat sich gut bewährt, besonders auch für die unteren 
erschlafften Teile um die Kanüle herum. Mit Zuhilfenahme von 
Elektrolyse und Galvanokaustik ist es gelungen, ein grosses Lumen 
zu schaffen und zu erhalten. 

Patient trägt noch durchlöcherte Bolzen, die er sich selbst ein- 
iiihrt. Die Stimme wird auch in diesem Falle von den obersten 
Lefzen der Taschenbänder gebildet. Er bewegte sich zu Hause und 
in der Gesellschaft wie ein Gesunder. Vollständige Heilung steht, 
wenn auch nach Monaten, zu erwarten. 

Auch Ln «den Fällen, wo ein operativer Eingriff mit Laryngo- 
fissur angebracht ist, sind meine Bolzen, sowohl der einfache, als der 
zweiteilige, zur Vollendung und Sicherung der Heilung bequem zu 
verwenden. 

Fester Wille und Ausdauer von Arzt und Patient führen auch 
in anscheinend verzweifelten Fällen zum Ziele. 

Die Instrumente sind zu haben bei Herrn M a 1 m e d i e r. 
Aachen, Ottostr. 88—90. 

Herr Marx -Witten: Ohrverletzungen bei der Explosion der 
Wittener Roburitfabrik. 

M. H Die grosse Anzahl gleichartiger Trommelfellverletzungen, 
die ich nach der Explosion der Wittener Roburitfabrik zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte, gibt mir den Anlass, Ihnen hierüber einen 
kurzen Bericht zu erstatten. — Um den Mechanismus des Zustande¬ 
kommens der Verletzungen zu erklären, muss ich ganz kurz den Her¬ 
gang und die Oertlichkeit der Katastrophe schildern. — Die Fabrik 
lag ca. 2 km von der eigentlichen Stadt entfernt in einem ver¬ 
lassenen Steinbruch. Sie war daher nach zwei Seiten durch mehrere 
Meter hohe steile, Abhänge begrenzt, die von Süden und Osten her 
leicht zugänglich waren. Nach Westen bildete die Grenze eine dicke 
Mauer aus Bruchsteinen, nördlich von der Fabrik war offenes Ge¬ 
lände. etwa 1 km entfernt nördlich liegt das Dorf Annen. 

Als am 28. November vor. Jrs. abends zuerst der Mischraum der 
Fabrik mit heftigem Knall explodierte, wobei ein benachbartes, zur 
Fabrik gehöriges Wohnhaus zerstört wurde, eilten neben der Feuer¬ 
wehr und den Polizeimannschaften viele Hunderte von Neugierigen 
herbei, um den Brand in der Nähe zu sehen. Die grössere Anzahl 
nahm an den eben erwähnten steilen Abhängen Aufstellung, an der 
nördlichen (Annener) Seite der Fabrik befanden sich weniger Zu¬ 
schauer, weil die Annener Feuerwehr sofort sämtliche Ausgänge des 
Ortes gesperrt hatte. Durch diese Art der Aufstellung der Zu¬ 
schauer kann ich mir das Vorwiegen der Verletzung des rechten 
Ohres erklären. Als nämlich etwa 40 Minuten nach der ersten 
Explosion die ungeheuren Vorräte von Trinitro-Toluol, die in der 
Fabrik aufgespeichert waren, in die Luft flogen, wandte sich bei der 
ersten grellen Lichterscheinung die Mehrzahl der Zuschauer nach 

links, weil das die gegebene Fluchtrichtung war. Nun entstand da- 

\ 


durch, dass die in die Höhe geschleuderten Explosionsgase grosse 
Mengen Luft mitrissen, im nächsten Augenblick ein ungeheurer nega¬ 
tiver Druck, der auf alle in der Nähe befindlichen lufthaltigen Räume 
einwirkte und also auch eine plötzliche Ausdehnung der Luft in den 
Paukenhöhlen veranlasste. Das dem Explosionsherd zugekehrte 
Ohr war aus dem eben erwähnten Grunde in der Mehrzahl der Fälle 
das rechte, so dass in den von mir beobachteten 109 Fällen einseitiger 
Trommelfellverletzung 64 (= 59 Proz.) das rechte, 45 (= 41 Proz.) 
das linke Ohr betrafen. Mein Bericht erstreckt sich nur auf eine 
Gesamtzahl von 150 Fällen, die im Verlauf der ersten drei Monate 
nach der Explosion zur Behandlung kamen. Noch in der allerjüngsten 
Zeit sind weitere Fälle, meist wegen Eiterung, in meine Behandlung 
gekommen. Infolge früherer Beobachtungen liess ich am Morgen 
nach der Explosion durch Vermittelung der Ortspolizeibehörde an 
sämtliche in Witten erscheinenden Zeitungen eine Notiz gehen, die 
folgenden Wortlaut hatte: „Vorsicht bei Trommelfellverletzungen. 
Bei frischen Trommelfellverletzungen ist jedes Ausspritzen der 
Ohren lebensgefährlich. Wer nach der Explosion Hörstörungen be¬ 
merkt, verschliesse sein Ohr mit Watte und gehe zum Arzt“. 

Diese Warnung erwies sich als sehr zweckdienlich, und veran¬ 
lasste auch vor allen Dingen die praktischen Aerzte, der Therapie 
der Trommelfell Verletzungen Beachtung zu schenken. Die Klagen der 
Verletzten waren fast immer die gleichen. Mehr oder weniger 
heftige Schmerzen, besonders beim Schlucken, Taubheit, Ohren¬ 
sausen, vereinzelt (in 2 Fällen) auch starke Blutung aus dem Gehör- 
gang und in den Rachen. — Schwindel wurde nur einmal angegeben, 
und zwar mehrere Monate nach der Verletzung. Bei dem be¬ 
treffenden Patienten Iiessen sich durch die gebräuchlichen Prüfungen 
objektiv keine Schwindelsymptome feststellen. (Nachtr.: Der 
Schwindel ist nicht wieder eingetreten, nachdem eine habituelle 
Obstipation behoben ist.) — 

Die Art der zur Beobachtung gekommenen Trommelfell Ver¬ 
letzungen richtete sich augenscheinlich danach, ob mehr die äussere 
— radiäre oder die innere — zirkuläre Faserschicht die Membrana 
propria des Trommelfelles beteiligt war. — Diejenigen Fälle, in 
denen sich nur Blutaustritte auf dem Trommelfell befanden, ohne dass 
eine Perforation bestand, habe ich in dieser Aufstellung nicht be¬ 
rücksichtigt, es sei kurz erwähnt, dass diese alle mit gutem Hörver¬ 
mögen heilten: einige Fälle erst, nachdem eine etwa dem Trommel¬ 
fell noch anhaftende Blutkruste fortgenommen war. — die Fälle, in 
denen nur, bezw. vorwiegend Zirkulärfasern des Trommelfells ge¬ 
rissen waren, so dass ein radiäres Auseinanderklaffen des Trommel¬ 
fells entstand, waren an Zahl 64. Der Riss ging von dem Schnitt¬ 
punkt des Trommelfelläquators und des Hammers aus und verbreiterte 
sich nach der Peripherie. Die häufigste Richtung des Risses ging 
in diesen Fällen nach vorn unten (23 Fälle) oder vor oder hinter dem 
Hammergriff steil nach oben (25 Fälle). Der Riss der Radiärfasern 
des Trommelfells erwies sich als weniger häufig. Er charakterisierte 
sich meistens als Trommelfellablösung (57 Fälle, davon 26 vorn. 13 
unten. 18 hinten-). In einem Falle war das Trommelfell am Rande 
total abgelöst, während der Zusammenhang mit dem Hammergriff 
erhalten geblieben war. so dass das otoskopische Bild scheinbar einen 
frei in die Paukenhöhle hängenden blutigen Klumpen zeigte. (Der 
Fall ging in vollständige Heilung über, mit gutem Hörvermögen.) In 
zwei Fällen erwiesen sich die Radiärfasern in ihrer Mitte durch¬ 
trennt. — Totaler Verlust des Trommelfells, immer mit Erhalten¬ 
bleiben des Hammergriffs (sogen, nierenförmiger Defekt), wurde in 
32 Fällen beobachtet. 

Nur in fünf Fällen schien sich der Verlauf des Risses nicht nach 
dem Faserverlauf des Trommelfells zu richten, hier bestand ein 
Querriss durch die untere Trommelfellhälfte, unterhalb des Umbo. 

Mit runder Perforation, die nicht den Charakter eines Risses 
hatten, kamen 17 Fälle in Behandlung, die sämtlich schon mehrere 
Wochen vorbehandelt waren und eiterten. 

Eine Fraktur des Hammergriffes wurde nie beobachtet, so dass 
man also annehmen kann, dass diese Verletzung nur durch direkte 
Gewalt entsteht. — Perforation der S h r a p n e 11 sehen Membran 
konnte ich ebenfalls nie mit Sicherheit nachweisen. In einem beob¬ 
achteten Falle ist Grund zur Annahme, dass sie schon vor der Er- 
plosion bestanden hat Hyperämie oder Blutung fand sich dagegen in 
der S h r a p n e 11 sehen Membran bei allen Verletzten, die frisch zur 
Beobachtung kamen. Dass die S h r a p n e 11 sehe Membran nicht 
Perforiert wurde, erkärt sich daraus, dass die normal hinter ihr be¬ 
findliche Luftmenge zu klein ist, um derartige Verletzungen selbst 
bei plötzlicher stärkster Ausdehnung hervorzurufen. 

Die relative Heilungsdauer erwies sich am günstigsten bei den 
radiär verlaufenden Rissen, in der Zeit, in denen von diesen 54% 
Proz. geheilt waren, waren von den Trommelfellablösungen 33‘/a 
Proz., von den nierenförmigen Defekten 22 Proz. zur Heilung ge¬ 
kommen. — 

Meine Therapie beschränkte sich darauf, dass ich den frisch 
Verletzten absolute körperliche und geistige Ruhe und Alkohol¬ 
abstinenz anriet. 

Der Gehörgang wurde leicht mit Xeroformgaze tamponiert. 

Etwaige Eiterungen wurden nach den bekannten Prinzipien be¬ 
handelt, — sämtliche ohne Spülungen. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1556 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


Von den beobachteten vollständigen Heilungen des verletzten 
Trommelfelles waren 32 mit, 32 ohne Eiterung vieheilt. Von den 
32 mit Eiterung geheilten ballen hatten nur 25 ein vintes Hörvermögen 
behalten, und von diesen klagten zwei über quälende Olirgeräuselie. 

Von den 32 ohne Eiterung Geheilten blieben bei einem balle sub¬ 
jektive Geräusche zurück, bei zwei ballen eine massige Schwer¬ 
hörigkeit. 

Von den beiden letztgenannten ballen ist in einem mit ziemlicher 
Sicherheit das absolute Nichtbeachtcn der Vorschrift betr. geistiger 
und körperlicher Ruhe etc. als Grund des schlechten Resultats an- 
zuschuldigen. 

Lehrreich sind 15 balle, die von einem auswärtigen Arzte mit 
Ohrtropfen, vermutlich Karbolwasser, behandelt wurden. Hei allen 
diesen kam es zu schweren biterungen, die iedocli alle heilten. 
11 balle mit vollständiger Regeneration des ’l rommelfells, aber nur 
zwei mit gutem Hörvermögen und ohne sonstige Storungen. 

In einer grossen Anzahl von ballen habe ich den Versuch ge¬ 
macht, Perforationen, die mehrere Wochen bestanden, ohne lenden/ 
kleiner zu werden, nach () k u n e f f mit Tricliloressigsäure zu be¬ 
handeln. Diese Aetzungen unternahm ich nur dann, wenn ich fest- 
stcllen konnte, dass durch binlegen eines \\ attepfropfcliens m die 
Perforation das Gehör wesentlich gebessert wurde. Zu einer voll¬ 
ständigen Heilung konnte ich auf diese Weise S Perforationen billigen, 
hiervon 5 bei denen Eiterung, 3 bei denen keine Eiterung bestanden 
hatte. 

Von gewissem Interesse sind die aufgenommenen Stimmgabel¬ 
befunde. Geprüft wurde gewöhnlich mit der Stimmgabel Ci. nur 
wenn diese keine einwandsireien Resultate ergab, wurde zu höheren 
oder tieferen Stimmgabeln gegriffen. 

Hierbei zeigte sich, dass die Stimmgabel nach der verletzten 
Seite 31 mal, nach der gesunden Seite 7 mal lateralisiert wurde und 
9 mal überhaupt nicht lateralisiert w urde. Von den 31 erstgenannten 
konnten 21 später nachuntersucht werden, diese zeigten sämtlich eine 
Gehörverbesserung. Von den 7 folgenden ballen trat bei b ballen 
Hörverbesserung ein, in einem balle keine Besserung. Von den 
9 letzten konnten später 7 wieder untersucht werden, sämtliche mit 
Besserung des Gehörs. 

Der R i n n c sehe Versuch fiel positiv aus bei 51 verletzten 
Ohren. Eine Hörverbesserung wurde bei 3N bälleu, keine Besserung 
bei 2 Fällen später festgestelit. Bei 11 Fällen blieb der weitere V er¬ 
lauf unbekannt. 

Der R i n n c sehe Versuch fiel negativ aus bei 3* verletzten 
Ohren. 23 von diesen wurden weiter beobachtet und zeigten Hör¬ 
verbesserung. 

Einmal wurde die Stimmgabel von beiden VVarzeiifortsätzen 
nach der gesunden, einmal von beiden VVarzeiifortsätzen nach der 
kranken Seite lateralisiert. In beiden ballen trat Besserung des Ge¬ 
hörs ein. 

Hiernach kann also den Stimmgabelbefunden kein prognostischer 
Wert beigemessen w erden. 

Hervorheben möchte ich dagegen, dass fast durchweg das Hör¬ 
vermögen sich im gleichen Tempo besserte, wie die Trommelfell¬ 
perforation sich verkleinerte. 

Von den mit Eiterung zur Behandlung gekommenen Verletzten 
musste bei zweien die Aufmeisselung des VVar/enfortsatzes gemacht 
werden, einer heilte mit gutem Gehör, der andere verzog hei i.ist 
vollendeter Heilung nach ausserhalb. 

M. H.! Die Angaben, die ich Ihnen machen konnte, bestätigen 
im wesentlichen nur bekannte Beobachtungen. Ich glaubte sie Ihnen 
trotzdem nicht vorenthalten zu dürfen, weil die grosse Menge der 
beobachteten Fälle schon eine gewisse statistische Ausnützung zu¬ 
lässt. 

D i s k u s s i o n: Die Herren R ö p k e, B u s s, Z u m b r o i c h. 

Herr H an sbe rg - Dortmund: lieber Laryngotomie bei Säug¬ 
lingen. 

Es ist bekannt, dass die Eröffnung der Trachea bei Kindern unter 
einem Jahre eine sehr schlechte Prognose gibt; nach der vorliegenden 
Statistik muss damit gerechnet werden, dass nur ein sehr geringer 
Prozentsatz der traclieotomierten Kinder den Eingriff überstellt. 
Bo k a i verlor z. B. 93 Proz. der unter einem Jahre operierten 
Kinder. 

Was für die Tracheotomie gilt, ist natürlich auch für die Larvngo- 
tomie massgebend, die bei Säuglingen wohl immer an die erstcre 
angeschlossen wird, nachdem die Tracheotomie aus Gründen der 
Indicatio vitalis bereits vorgenommen ist. In nicht dringlichen 
Fällen wird man eben warten, bis die Kinder älter sind, um die Er¬ 
öffnung der Luftröhre, resp. des Kehlkopfes zu einer weniger gefähr¬ 
lichen Operation zu machen. Es können aber Verhältnisse ein treten, 
in denen ein Eingriff auch bei Säuglingen unbedingt geboten ist. und 
das sind, wenn ich von der Diphtherie absehe, in erster Linie solche, 
in denen eine angeborene Missbildung im Kehlkopf vorliegt oder aber 
Papillome, die bekanntlich auch angeboren Vorkommen können. In 
einzelnen Fällen kann die Asphyxie bei diesen Zuständen eine so hoch¬ 
gradige werden, dass nur schnelles Eingreifen den baldigen Exitus 
verhüten kann. In folgendem Falle gelang es. bei einem -4 Monate 
alten Kinde wegen angeborener Membranbildung d-eselbe durch 


Laryngotomie zu entfernen und e.ne Dnue r be dm :g zu erzielen, nach¬ 
dem die Tracheotomie M Tage \ <»r *: e r st.it ! gi t m.dt n bitte. 

Das im übrigen normal eritw icke'tc K.ad ze.gtc na di der Gc'urA 
keine Stimme und war audi w eiterh.n st.mmOv >t kr b.i'd sttd .Ten 
sich auch Atembeschw erden e n. de de b 's;».: n und 1 \sp || 

betrafen und aümahhdi so sta: k w irdt n, da-s mir e.ne '>«.!.re ! \**r- 
genommene Ti at he» m *m;e lebims: et!« nd w.rkeii k"!mte. I' ese ‘ e 
wurde bei dem r.Jit ganz -4 M 11.»te a'ttti kmdc m extrem.s v»» r - 
genommen. sehr gut ubt" standet» imd 14 'läge s tut er de t- t.de 
Eary ngotorme angesv.iE«>ss t n. Im keh.k» fand s.Ji e.ne der: e Mem- 
b ra n. die in der \ orderen komm 'Mir entsprang. dt m rechten >: trmi- 
barixl mi vorder sti n lt;l a;-,.e'"tet war um! dann, adman .dl Tamtr 
Werdend. schlag iUx.li b.r »eil «•Een \e i tf. um etwa m dt: Gtgtod 
des hmte'eri Teiles des I asd’etd .irxlo s.Ji ii der Sddemhaut dt x 
Ar\kri' ; 4 pt 's zu \ti itieii. I *<e Mtiidran wurde n ..t Jer P.n/iltc ge¬ 
fasst ii ml imt der sd.erc tun ! tus abgetragen, w de. de >p t. c dt s 
Ar\kiorpeis miteutfenit winde. 

Be de E.ngi.iie wutvltu v < *n dt tu k.rde gut id erstan.lt n. ins¬ 
besondere war nach vier E.r \ n.g- t n..e das \'.,ndtW'i,.. K i:i ,:i 

keiner Weise gestört, es trat nur \ • *: ehe•: gehem! I empe:.iU'e’ m.hai g 
ein. Die kanue konnte lud! ii.ix.hhe: t<.;; s i .isseii w er dt ti. d.e Vtmaiig 
war frei und audi vbe St r-n.fr e w urde aut umd deat v h. war a:-e r 
etwas heiser. Die IE düng bat b.s ut/t äuge!.alten, das k.uJ hat s d; 
körperlich \ortrefi.. Ji entw ,x.ke t, d e st.um.c .st mm.er l is'er gt- 

W o| elf 11. 

Diskussion; lltrreii R o e p k e. P r e \ s i n g, S e li m i l - 
h u i s <• n. 

Herr llanshe'g hat t!;e I imimtme U. Sa4.d ugt n und 
kleinen Km.lein im a a^t "e:i n.dit tar .nd./a't ui.J w d s.e aal 
solche Iahe bes». litaakt w .ss,-n, m deru n. w t ai m nt m lall, d zd: 
einen äfixltren 1 .ngt .fl r.dits zu e’re.dvii And: 1 e. nr ' a i 

V erengei ungi n wrd man \<-m Munde » vier \ mi der I ;.i v !.v.i - 
Wjfiiung aus n'n' I loltnuiig dts kt!: v: tes he. kamt::: /we.ku.asxg 
eine I »daut-m \ ersiix. !it n. d.e m \dti l.idtn /am /de t.nrt. m 
manchen I aden ist mau a "erd m.s ge/w .im gt n. das na*;».ge »uwt't 
zu e\ Zither eil. e.ne I ule ei-Mian "..er aal aude *em W ege c e 
VV levlerVerengerung zu wrlmteu. II. st mm: Ht "ir Sth :r. ; t - 
Ii u i s e n zu. dass d;c starr wand ge I-kam.e ui v.t.tn laltn r.d : 
zu empfehlen ist. 

Herr Matte: Eine neue Methode /ur Behandlung der Er¬ 
krankungen der Tuha Eustachli. Mt Dtm ntrat. n. i VV :J aud.er- 

w eilig veroffeiillieht.) Moses-k 


Gesellschaft fOr Natur- und Heilkunde au Dresden. 

(Ofii/icücs Protokoll.» 

XXL Sitzung vom 21. Marz P* , '\ 
Vorsitzender: lltrr Sch iimrl. 

Vor der Tagesordnung demonstriert Herr Lhrlich cmui Id»d 
von Lichen syphiliticus. 

Tagesordnung: 

Herr v. Mangold!: Chirurgische Demonstrationen mit Kran- 
kcnvorstellungen. 

1. Ausgedehnte Sehnen- und Ner\en\crlet/ung durdi tmui I . t : 

in eine Glassdicibe an der Bt ua du iie didit i.l t r dtm r. MaiuL-t..t :'s 
bei einem u uhr igeii k naben. I 'u? Jis v h.m.fti n wäret! a t I t \- r t u dt r 
Eiliger, der Vu \ us uhians und mt d.amis. de Af.toa uataris. e:h.i tci 
wann mm ihr t Itwr carpi r.ixi:.» is. Nt-rvuv ra»::.i is und Vti-ia 
radiahs. Sofortige >tb:itn- und Ser \ erm.dit ri"x.h am Abend »: t r 
Verletzung bei l.mbt. V\ im.lv t r dm: am s | du; Ji I ft- n t: 1 1 : im g 

\ or nber v'.t hfiul gestört. IU nu r kt nsu t r t mi. d.iw d.iv t lelnh.sx er- 

uiogeii im l 'Inaris- und Mt diauus^t! 1 1 n.»Ji J4 Mtmdt n \<>raber- 
gtlieiivl w iederkelir te. irr den n.ijivlx n lagvn w ;t dt r \v ,ii;d und 

sitli vlanii erst nach \blaut eines Vielt ,ii; r s i.in.v.im wk.lvr em- 
stellte. Irocktue Abst.issung s,i-*,tk!:tr lernt’:.. v tl n.»^h 5 bis 
fi Monaten. Nach f> Monateü Wu-'enb v!.. s t >z\e:m.,g< -'s der 
Eiliger, nach 7 Monaten \ ei Öhm !;te Patant t! e 11.-ml w it dt r zum 
Seht eiben /\\ benutzen. 

Der vor gestellte knabe ziigt zioz.tit n.u h \' dmi \..n 1 l.deiii 
seit tler Verletzung \o!!e 1 ufdti'.ntn x!tr ri.'.t. n 11.n, 1. mir dv*r itste 
Schluss vier I mgi r zur laust ist iioj, p-u v'»i ( i. u:\tv tu * .ec st t/t. 

2. Iin ix. lö nber 2 opt r ,»ii\ In‘ .e t te I .■ t v ■ m Kund/cllcn- 

sarkom am Inneren oberen Augenwinkel. 

Der I. lall betont eint n 27 e»ht igelt Inge m« ur. dtm im Eilrn.ir 
1 ‘>f»7 von Herrn > c h a n z eine E* h-'ei g" vsv i :« sj-\x u'v» exstr p»t M 
worden war. VV egt n rasch eiidH tt •’ am Pt/ i\ts \t ;e \-n rn.r 
am 3u. April pw'7 ein hastdmissgr .ssi». we v^tr. s;. u ; t lann r 
entfernt, vier wahisjum mli vom Pem M dt r I .«•• :m p.:f \ M.ta aus¬ 
ging. Per kranke ist seit einem l.dr e rez: h\ fei. 

11er 2. I all betr :f:t tmei l> .,c»i krmbtU, ' \ r s Ed ’en 
angeblieli am linken mnere n ' ucenv. mkt! \u.ei I i;-* ’s , pe'tert 
w urde. Erneut emti t teiidt < it sJ.ih'-d . ämg sc t Ht f! st E*'7. V or¬ 
übergehend I «ule des I.ÖTrs p t l\‘ >. nsf a* t n bt 5 ' a”de't v? ’> 

Herrn Hartung, tlaim ausser 1h har. de g gt ! t"ei. B«. i dt: Auf¬ 
nahme ins Carolaliaus am 22. lt l :uar !‘>"s ;,.-m t;!1 ^-,,ss t r 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 









21 Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1557 


Tumor, der den inneren Augenwinkel und das obere Augenlid völlig 
einnahm und das linke Auge nach aussen und unten stark vor¬ 
drängte, wie aus der angefertigten Photographie ersichtlich ist. Das 
Sehvermögen war erhalten, der Augenspiegelbefund ergab nur 
Stauung. 

Interessant war, dass die exstirpierte Geschwulst in den vor¬ 
deren Abschnitten härter erschien, als in den tiefer gelegenen Teilen, 
und deutet dies auf Einwirkung der Röntgenstrahlen hin, welche 
nur bis zu einer gewissen Tiefe einwirken, dann aber ihre Wirksam¬ 
keit verlieren. Mikroskopisch wurde in der vorderen härteren wie 
hinteren überaus weichen Geschwulst Rundzellensarkom festgestellt, 
und beruhte die grössere Resistenz der vorderen Geschwulst auf Ver¬ 
mehrung des Bindegewebes. Eine Vernichtung der Geschwulst durch 
Röntgenstrahlenbehandlung war nicht zu bemerken. Das geheilte 
Kind wird vorgestellt, und zeigt sich das Auge nach Entfernung der 
Geschwulst, die zum Teil retrobulbär lag, wieder in normaler Stel¬ 
lung allseits beweglich und wohlerhalten. 

Diskussion: Herr F. Schanz hat bei 3 Sarkomen des 
oberen inneren Augenwinkels nie den Ausgangspunkt einwandfrei 
feststellen können, auf keinen Fall stehen sie mit dem Periost der 
ürbita in Beziehung, da sie im Anfang frei verschieblich sind und 
sich glatt ausschälen lassen. 

Herr Hartung hat den letzten der vorgestellten Fälle vor der 
Operation mit Röntgenstrahlen behandelt; 2 mal wöchentlich im Ab¬ 
stand von 30—40 cm 8—10 Minuten mit möglichst bester Röhre. 
Schon nach der 3. Bestrahlung begann der gute Erfolg sich zu zeigen. 
Nach 13 Sitzungen trat Konjunktivitis auf, der Tumor war fast ver¬ 
schwunden. Der Patient blieb gegen den ärztlichen Rat aus, kam 
nach einigen Wochen mit rasch gewachsenem Rezidiv wieder. Herr 
H. schliesst daraus auf das verschiedene Verhalten der Karzinome 
und Sarkome gegen Röntgenstrahlen. 

Herr Krüger hat einen ähnlichen Fall gesehen, bei dem der 
Bulbus schon zerstört und der Tumor schon in die Stirn- und High¬ 
morshöhle eingedrungen war. Nach Röntgenbestrahlung Besserung, 
später Tod 'an Lungenmetastase. 

Fälle von Sehnenzerreissung hat er bei der Nachbehandlung 
mit gutem Erfolge der Bier sehen Stauung ausgesetzt. 

Herr v. M a n g o 1 d t hat ebenfalls in seinem Falle anfangs 
Bi er sehe Stauung versucht, sich dann aber doch zur Wunderöffnung 
und Drainage entschlossen. 

Herr v. M a n g o I d t: 3. Schussverletzung des Schädels bei 
einem 20 jährigen Mädchen. 

Das 6-mm-Geschoss hatte, von der rechten Schläfe aus ein¬ 
dringend, schräg nach oben und hinten beide Grosshirnhemisphären 
durchschlagen und war durch die Röntgenaufnahme in der linken 
Hemisphäre etwa 3—4 cm unter dem Tuber parietale nachweisbar. 
Der Schuss war aus einer Entfernung von ca. 6—10 m abgegeben 
bis nahe an die Schädelbasis gesenkt, ohne Lokal- oder Allgemein¬ 
worden. Trotz 8 wöchentlicher Bettruhe hat die Kugel sich langsam 
erscheinungen zu machen. Dies wurde durch eine zweite Röntgenauf¬ 
nahme in der 10. Woche der Behandlung festgcstellt. Das Gehirn 
zeigt also keine Tendenz zur Einkapselung eines schweren Fremd¬ 
körpers, und macht uns diese Erfahrung zur Pflicht, vor jedem not¬ 
wendig werdenden operativen Eingriff zur Entfernung eines Pro¬ 
jektils unmittelbar vorher den Sitz desselben durch eine Röntgen¬ 
aufnahme festzustellen. Vorstellung der geheilten Kranken. 

Diskussion: Herr Huck hat einen ähnlichen Fall behandelt, 
der ebenfalls ohne Operation geheilt ist. 

Herr H. H a e n e 1 fragt, woher es gekommen sein mag, dass die 
Kugel nicht der Schwere nach, sondern mehr oder weniger hori¬ 
zontal gewandert ist. 

Herr v. Mangoldt erklärt dies aus der trotz Bettruhe doch 
wechselnden Haltung des Kopfes. 

Herr v. Mangoldt: 4. Zwei Fälle von Milzexstirpation wegen 
Geschwulstblldung. 

Eine 52 jährige Frau litt seit Ostern 1907 an Schmerzen in der 
Ünken Oberbauchgegend, Beklemmung, Appetitverlust, zunehmender 
Abmagerung, Unvermögen länger zu gehen und zu sitzen infolge einer 
rasch wachsenden Geschwulst im Unterleib. Die Geschwulst liess 
sich mit Sicherheit als der Milz angehörend feststellen, und zwar als 
eine enorme Milzzyste, die den ganzen Bauch einnahm und deutliche 
Fluktuation zeigte. Die Blutuntersuchung ergab einen Hämoglobin¬ 
sehalt von 45 Proz. d. N., Leukozyten 3800, rote Blutkörperchen 
3724 000. Bei der Laparotomie erwies sich der Tumor als Milz¬ 
zyste, die zwar vorn und medial stellenweis unverwachsen, sonst 
aber nach aussen, oben und unten, besonders hinten durch dicke 
fibröse Verwachsungen an der Bauchwand und an den benachbarten 
Organen fixiert war. Daher sehr mühsame Lösung nach Ablassen 
v v n 6 Litern einer schwarzbraunen Flüssigkeit. Colon transversum 
und Magen erfordern besonders mühsame Lösung. Vorübergehend 
wird wegen heftiger parenchymatöser Blutung die Operation als 
aussichtslos angesehen, da das Milzgewebe, das oben wie unten in 
c-er Zysten wand versprengt liegt, öfters bei der Lösung einreisst. 
In der tiefen Zwerchfellkuppel Ausschälung mit der Hand wie bei 
Plazenta. Eine wesentliche Vergrösserung der Milzhilusgefässe findet 
sich nicht. Das Ende des Pankreas wird bei der Geschwulstexstir¬ 
pation mit fortgenommen. Die Milzzyste zeigt eine sanduhrförmige 


Abschnürung rechts unterhalb des Nabels von doppelt Faustgrösse. 
Bei der Entfernung reisst die Einschnürung ein, und entleert sich 
eine gehirnbreiähnliche Masse untermischt mit zahlreichen zarten, 
winzigen und bis über kirschgrossen, dünnwandigen, wasserklaren 
Zysten, die von der Wand der Hauptzyste ausgehen und zum Teil 
daran festsitzen. Die eigenartig breiigen Gewebsmassen erwecken 
Verdacht auf Hypernephrom, das vielleicht durch die Milz hindurch¬ 
wächst. Die linke Niere wird auch gefunden, muss blossgelegt 
werden bis an ihre Kapsel, um die Hinterwand der grossen Ge¬ 
schwulst bezw. Zyste loszubekommen, ist aber selbst intakt. Neben¬ 
niere nicht gesehen. Die grosse Höhle im linken Hypochondrium 
wird mit einem kopfgrossen Tampon ausgefüllt. Glatter Wund ver¬ 
lauf. Makroskopisch ist die Milz durch die Zystengeschwulst in zwei 
Hälften zersprengt, so dass die eine, noch teilweise erhaltene Milz¬ 
hälfte dem oberen Teil der Geschwulst, die andere dem unteren 
Teil als Pole anhaften. Die mikroskopische Untersuchung der 
Zystenwandung der grossen Zyste zeigt diese gebildet aus zellarmem 
Bindegewebe ohne Epithel, während in den kleineren Zysten sich die 
Wandung bedeckt findet mit hohem pallisadenartigen Zylinderepithel. 
Das schwammige markige Gewebe ist zum Teil nekrotisch und finden 
sich darin ausgedehnte papilläre Wucherungen, die mit Zylinder- - 
epithel besetzt sind. Die Diagnose wird dementsprechend auf 
Cystoma papilliforme multiloculare gestellt. Der mitentfernte Pan¬ 
kreasteil zeigt Drucknekrose neben sonst normalem Pankreasgewebe. 

Es bleibt unklar, woher diese Zystengeschwulst ihren Ausgang ge¬ 
nommen hat. Möglicherweise handelt es sich um einen fötalen Ein¬ 
schluss in die Milz. Auch an Metastase ist zu denken, obwohl die 
Milz bekanntermassen nicht zu Metastasen neigt. Sie wird bei aus¬ 
gedehnten Geschwulstbildungen in anderen Organen meist frei davon 
gefunden. Hier wäre am ehesten an eine Metastase von den Ovarien 
aus zu denken. Nach der gynäkologischen Untersuchung (v. Holst) 
liegt der Uterus total retroflektiert. Im Fundus findet sich ein inter¬ 
stitielles Myom von Kleinfaustgrösse. Linkes Ovarium fühlbar 
atrophisch, rechtes Ovarium nicht tastbar, wohl hinter das Myom 
verlagert. Eine Erkrankung des rechten Ovariums erscheint aber 
unwahrscheinlich, da sich auch in der Folge keine Geschwulstbildung 
im Ovarium nachweisen liess, und die Frau seit der Operation am 
27. Mai 1907 über 40 Pfd. an Körpergewicht zugenommen hat. Eigen¬ 
tümlich war, dass Patientin ein Vierteljahr nach der Operation 
mehrere Monate an dem Unvermögen litt, die Finger zur Faust zu 
schliessen. Dieser Zustand verlor sich erst langsam nach Massage, 
Bädern und Darreichung von Milzpräparaten (5 Schachteln ä 50 Stück 
zu 0,3, Firma Merck). Die jetzt blühend aussehende Frau wird der 
Gesellschaft vorgestellt. 

2. F a 11. 51 jährige Frau, die angeblich vor 2 Jahren leichte 
Malaria durchgemacht hat. Seit Sommer 1907 kränklich, ohne bett¬ 
lägerig zu sein. Beginn der eigentlichen Erkrankung vor 8 Wochen 
mit Druckgefühl im Leib, Uebelkeit, Neigung zum Brechen und Ab¬ 
magerung. Auftreten einer rasch wachsenden Geschwulst in der 
Milzgegend, die Patientin viel Schmerzen macht und auf Arsenik nicht 
zurückgeht. Bei der Aufnahme am 21. Februar fand sich eine 
enorme Milzgeschwulst, die median bis über die Nabelgegend, nach 
abwärts bis zur Symphyse herabreichte. Ihre Oberfläche war glatt, 
die Geschwulst war mit der Atmung verschieblich. Blutbefund: 

75 Proz. Hämoglobin, 6200 weisse Blutkörperchen, 4 275 000 rote Blut¬ 
körperchen, mässige Poikilozytose, aber keine kernhaltigen roten Blut¬ 
körperchen, keine Veränderung der weissen Blutkörperchen. Bei der 
Operation am 24. II. 08 wurde eine 2800 g schwere Milz, die keinerlei 
Verwachsung mit ihrer Umgebung zeigte, entfernt. Die Hilusgefässe 
zeigten sich stark erweitert. Mikroskopische Untersuchung der 
Milz durch Herrn Schmor 1: Die Milz bietet die Zeichen einer 
myeloiden Umwandlung; eigentliches Milzgewebe ist nur noch in 
Resten vorhanden, die Follikel fehlen vollständig. Das Milzgewebe 
wird ersetzt durch ein dem Knochenmark analoges Gewebe, in 
welchem verhältnismässig reichlich entwickeltes Bindegewebe vor¬ 
handen ist. In den Bindegewebsmaschen liegen reichlich Myelo¬ 
zyten und Knochenmarksriesenzellen. Malariaerreger konnte Herr 
S c h m o r 1 nicht nachweisen, ebensowenig Syphilisspirochäten im 
frischen Ausstrichpräparat. Hervorzuheben ist, dass die Frau keine 
Lymphdrüsenschwellung, keinen Aszites und keine Leberverände¬ 
rung darbot und nur an Anämie litt. Nach der Operation am 27. II. 
war der Blutbefund 70 Proz. Hämoglobin, 7200 w r eisse, 3 460 000 rote 
Blutkörperchen. Es finden sich vereinzelte kernhaltige rote Blut¬ 
körperchen und vereinzelte Qigantobiasten. 

Glatte Heilung. Möglicherweise handelt es sich um einen Fall 
Bantischer Krankheit im ersten Stadium, wo es noch zu keiner 
Leberveränderung gekommen ist, das Bindegewebe der Milz aber 
sich vermehrt und die M a 1 p i g h i sehen Körperchen zugrunde 
gehen. Eine gewöhnliche Hyperplasie liegt hier keinesfalls vor, 
ebensowenig eine typische Neubildung. 

Diskussion: Herr Schmorl: Der von Herrn v. Man¬ 
goldt demonstrierte, in der Milz sitzende Tumor von papilloma- 
tösem bezw. adenomatösem Bau dürfte kaum als primäre Milz¬ 
geschwulst zu deuten sein, dagegen spricht sowohl die mikroskopische 
Struktur als auch das Verhalten, wie es sich bei der makroskopischen 
Untersuchung zeigt. Dieses weist darauf hin, dass die Neubildung 
wahrscheinlich erst sekundär mit der Milz in Verbindung getreten 


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1558 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. *). 


und von aussen in sie hineingewuchert ist. Von wo sie ausgegangcn 
ist, lässt sich freilich nicht sagen, vielleicht handelt es sich um eine 
Pankreaszyste oder ein Enterokystom. Diese Entwände berühren 
nicht die chirurgische Bedeutung des Falles. Bei dem zweiten de¬ 
monstrierten Milztumor liegt eine enorme Hyperplasie des Organs 
vor, von eigentlichem Milzgewebe sind nur noch spärliche Reste vor¬ 
handen, an seine Stelle ist ein dem Knochenmark sehr ähnliches <ie- 
webe getreten, denn es besteht grösstenteils aus teils neutro-, teils 
eosinophil gekörnten Myelozyten, daneben finden sich ziemlich reich¬ 
lich Riesenzellen, wie sie fiir das Knochenmark charakteristisch sind, 
an manchen Stellen findet sich eine ziemlich starke Bindegcwebs- 
entwicklung. Da bei der Blutuntersiiclumg abgesehen von anämi¬ 
schen Veränderungen keine Abnormitäten in der Zusammensetzung 
des Blutes gefunden wurden, kann man eine Leukämie ausschhcsscn. 
Interessant ist, dass nach der Milzexstirpation ziemlich reichlich 
Normoblasten im Blut nachgewiesen werden konnten, die vor der 
Operation nicht vorhanden waren. Ls erinnert dies an eine ähnliche 
Beobachtung von Nauwerck bei einem Lall von atypischer Leu¬ 
kämie, bei dein durch die Sektion eine Osteosklerose nachgewiesen 
wurde. Ls wäre interessant, zu erfahren, ob vielleicht bei der Pa¬ 
tientin des Herrn Vortragenden ähnliche Veränderungen am Knöchel!- 
System vorhanden sind, deren Nachweis, vorausgesetzt, dass die 
Osteosklerose nicht allzu geringfügig ist, mittels der Rontgenphoto- 
graphie zu ermöglichen sein müsste. Herr Sehmorl hat in der 
am Vormittag stattgefundenen Demonstration einen ähnlich grossen 
Milztumor von fast gleicher mikroskopischer Struktur vorgelegt, der 
von einer älteren Frau stammte, die nach einer Herniotomie an einer 
schweren Blutung in die Bauchhöhle gestorben war. Leider war 
intra vitarn bei der allerdings schwer kranken Frau keine Blutunter¬ 
suchung vorgenommen worden. Die Untersuchung des Leichen- 
blutes ergab 2 IHM) (KM) rote und 425 (MH) weisse Blutkörperchen, von 
denen die Mehrzahl den Myelozyten angehörten. Bei der Unter¬ 
suchung der Knochen fand sich eine enorme Sklerose der spongmseit 
Knochen; so erschienen die Wirbelkörper fast völlig kompakt, das das 
Mark substituierende Knochengewebc war von blassrotlichem Aus¬ 
sehen und feinporig, ebenso das der Rippen, des Beckens und des 
Sternums, ln den Röhrenknochen war die Osteosklerose weniger 
ausgesprochen und beschränkte sich im wesentlichen auf die Lpi- 
physen, in der Diaphyse war die Markhöhle nur wenig verengt und 
enthielt grösstenteils blassrötlich gefärbtes Lettmark, nur hier und 
da W'aren dunkelrote erbsengrosse Herde vorhanden, in deren Be¬ 
reich sich reichlichere Knochenbälkchen als in der Norm fanden, 
die sich bei der mikroskopischen Untersuchung als neugebildet er¬ 
wiesen. In den Wirbeln und den Rippen fand sich zwischen den 
sehr dicht stehenden neugebildeten Knochenbalken grösstenteils 
fibröses Mark, in dem kleine Herde von Myelozyten eingebettet 
waren. In der Leber wurden Blutbildungsherde nachgewiesen. Ls 
handelt sich demnach um einen Lall von osteosklerotischer Leukämie. 

Herr v. Mangoldt: 5. Demonstration von drei operativ ge¬ 
wonnenen Präparaten von Ileozoekaltuberkulose. 

Das erste Präparat entstammt einer 42 jährigen Lrau. Sie litt 
seit Jahren an Verstopfung und hatte oft über Luftansammlung in 
der rechten Unterbauchgegend, über Kollern und ziehende Schmer¬ 
zen daselbst zu klagen. 

Sie wurde unter den Erscheinungen eines vorübergehenden Ileus 
in das Carolahaus aufgenommen. In der Ileozoekalgegend fand sich 
lokaler Metcorismus und bei tiefer Palpation eine von der Lossa 
iliaca abzugrenzende, hühnereigrosse, massig verschiebliche (ie- 
schwulst. Bei der Laparotomie mussten wegen ausgedehnter In¬ 
filtration der Darmwand 20 cm lleum, das Zoekum samt Colon ascen- 
dens und der Anfangsteil des Colon transversum mit Mesenterium 
und zugehörigen Drüsen entfernt werden. Parallelstellung der ge¬ 
schlossenen Darmstümpfe und seitliche Lnteroanastomose. Opera¬ 
tionsdauer 4Vs Stunden. Glatte Heilung. Seit 4 Jahren Wohlbefinden. 

Das Präparat zeigt das lleum im unteren Teil bedeutend er¬ 
weitert, seine Wand stark hypertrophisch, Zoekum stark dilatiert. 
In dem Winkel zwischen Zoekum und lleum findet sich eine wal¬ 
nussgrosse steinharte Drüse mit verkalktem, offenbar früher tuberku¬ 
lösem Inhalt. Die schwersten Krankheitszeichen finden sich am Be¬ 
ginn des Colon asccndens, das sehr verengt ist und mehrere ring¬ 
förmige Ulzerationen aufweist, deren eine bis in das Colon trans¬ 
versum hineinreicht. Im weiteren Verlauf des Colon transversum 
findet sich keine Striktur mehr. 

Das zweite Präparat entstammt einem 43 jährigen Arbeiter, der 
bereits seit 1904 an Lungenschwindsucht litt. 

Auch hier wurde ein Stück lleum, das Zoekum, Coh.n asceu- 
dens und die Llexura coli dextr. entfernt und mit Erfolg die seitliche 
Lnteroanastomose zwischen lleum und Colon transversum gemacht. 
3 Jahre geheilt geblieben, dann Tod an Lungentuberkulose. 

Das dritte Präparat gehört einem 27 jährigen Arbeiter an. der 
erst vor kurzem wegen chronischer Blinddarmentzündung auf- 
genomrnen wurde. Im Anschluss an diese vor 5 Wochen iiber- 
standene Blinddarmentzündung w'ar in der Ileozoekalgegend eine 
ausgedehnte Härte zurückgeblieben. Bei der Operation fand sich das 
Zoekum hart und dick, doch keine wesentliche Trichterbiklung an 
der Mündung des Ileums. Resektion des Ileums 10 12 cm obei halb 

■Lt Mündung, des Zoekums, Colon ascendens bis zum Colon trans¬ 


versum und Aiiastomosis tcr;.\n;< »- ( ater aus zwischen Li um und L 1 -,- n 
transversum. Der geheilte Patient wird \nraMtM. 

Die Ileo/dckaUuberkuiovt i) geben im a!'gemeinen günstige ••pcM- 
tive Chancen, wenn das Leiden nicht bereits zu weit v «ftgesc L-.tu« 
ist. Ls sind meist mühselige < »perati--ru n v--n mehrst >nd:ger P.o:e r . 
da es oft schwer failt. den an der Hinter wand und Us.weise an vUm 
Peritoneum parietale Verwachsenen 1 uiior \nr die Batu hw urde zu 
bekommen. Aut die Sorgialtige Mitentlerming der Mesetiteria.Jr umm 
ist Gewicht zu legen. 

Kombinationen zwischen Karzinom und TuberkuL.se vnj .uu!i 
Von nur m vereinzelten I aiien bc-.Lachtet werden. so sch uh ein 
ausgedehntes Karzinom der lieoz-ukaigc getbl un i land dal ei d.e zu¬ 
gehörigen Drusen daneben tuberkulös. 

<>. Vorstellung einer 34 jährigen Frau mit geheilter Ocsophago- 
Trachealiistel. 

Die Kranke musste wegen ausgedehnter luetischer Ze r s*. .mi’ 1 ge u 
im t i'-luet der Nase, des Rachens und des Kch.k-.ptes \--r 4 J.»::: tu 
trachei »tomiert w e i den. 

In der L'olge t k antm ndrtu k | >! l kam es zu '.mein liodiw : 
zwischen Trachea und t »esophagus in vier fl- he des Jugu u-s. \y I 
war die Kranke ausser stände, Speisen, ohne dass .d.e sc m de I '.u'.oi 
■gelangten, himmtei zubr ingen. Is war ihr dcsh.oP eme 
angelegt Worden, durch die sie sich seit 2 la.hiui t:ii ilirlv. 

Der Kranken wurde am üi. |\. nt» die Trachea ijuer imter 4\"' 
Rmgknorpel gespalten. v<»m Ocs.-phagus bis zur listi.v: t e i::i ht* 
giilum abgelost und hier m die Haut emgen. l t Daran! gv'at.g es, 

die Oenmmg in der \orderwaitd der >pl i>efohre n.u b Amr ,s % hu-g 
analog der |*\ $Nrop!ustik ijuer zu vernähen. In die >pe :s<. r.-nre w u: 
ein >c hl'Midrohr ringe lect mui blieb dass*, he f* W.-chen u M mh. 
blochen liegen, alsdann Lutte r iiung des R -hus und t ,Ji 2 ma ge 
Bougierung, die Patientin bald selbst erlernte- um! n--vh ln u’c 
setzt. Aut W lederilurchgaugigmawhung des 1 a:\nx, vier »et/t n.;.h 
Lmnali'ing der I'aJiea im Jt.gu.um ausgesc ha'tct ist. musste 
zu lltet w et'elen. du sich be i euum du vhe/ugeuhe n \e »Miv ;, e he* aus. 
stellte, elass durch Zerstörung der ipig-utis urui s v hwere Narbcn- 
verainlerimgen eles laivnv vier >diiukakt derart geschädigt \\a f . 
dass alsdann ehe Speisen durch den keh k-.p! wieder in d;e I.ntt- 
rohre gelangten. Die Kranke vermag seitdem wieder thissige w e 
ieste Kost auf normalem Wege zu sidi zti nehmen. 

7 ) Das Endschicksal de« Implantierten Rippenknorpcl«. 

Der \ ortrag wurde bereits aut vier Natur p-rC* he r \ eo samm’tr■«.. 
September 1 ‘x»7. m Dresden gehadeii und ersdiemt m extenso 
Archiv tur khnisdie Chirurgie. 


Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

Nachtrag zur Sitzung vom 3. F e b mar 

Herr Ph. F. Becker: Einige lichttherapeutische Friahrungcn 
mit Demonstration von Patienten. 

Yortr. weist auf die Sich oft direkt w derspredre ndeu Wcrtimgc r 
e!er üchttherapeutisdien Massnahme n, besonders der X-Mrah'e ?:- 
Behandlung seitens anerkannter Annuitäten li.n. w.-cufd» d.e ek-r 
Lu littlicrapic Fernstehenden i’atur ge n .iss zu eure' gewissen /unus- 
liaitmig veranlasst werden. De I-dgetiden Aust-ihr imgen mul l » t - 
monstrationeii sollen einige mit der I.iddthe-rapu creuhbarc I iir, kV 
auf dem Gebiete der Hautkrankheiten und via 1 Getah' ■ S c.se t d.cs,. s 
Vorgehens bei Vorsicht gcr Ma:ni::a’-uug urd Be ‘".et:sDiar-g vte ’ 
Technik veranschaulichen. Insbesondere ge-de -des tur d.e Röntgen¬ 
behandlung. vor der gerade bei Acr/len iiuiit sr teil eine ubert» idw • t 
und unberechtigte f urcht herrsche. \<>r:r. bet- gt ehe v.-n Riede r 
zuletzt vor etwa 1 • Jahre warm emp ; - Idene Methode. de K-katmt v •• 
darin besteht, elass m iiroSHUii Zertabst.irden kurz dauc-ndc Be¬ 
strahlungen mit Rohren m.ttleren H.tde grades app •/ ert w erden. 

Der \Ortrageiule berichtet zunad’.sf u'ht 22 Patenten, vl.e e- 
wegen cliromsdien HaiHek/ems v ersdr.e de Her Pr->\e; erz in de •*. 
letzten 2' .- Jahren mit X-straliie n f'eMrulelt hat. fs > ->d zunu 
Veialtete falle. Lilien voi geil M.sse-;i<-lg hat B. nur Lei eine-*! 
Patienten Ithv lotifornies | kzern der \-»lae man.» gesdiui. 3 P.itur.ten 
haben keine Nachricht gegeben. Bei e rn :n Pat er teil w ar der f •- g 
mir ein teiiweiser. wahrend bei 17 V"'’ge, zum Je 1 u 1 :.# über 
2 Jahre bestehende He: ung erz e’t w u- le. \"n vi elen 17 P.i' e''te m 
werden 3 Voigefuhrt: De erste Pate 1 ! n w :rd w eg eh der leu’te-r 
Brauniärbimg gezeigt ( AbscVnss der Be-Iiaru; ung v--r 1' M-matc?’ 
die spurlos w leiler verschw rrnlet. w re der f<* ge ”de Patient ze gen ^ 

Der 3. Patient war über 2 Jahre wegen semes Hautek/vrrs er s, 
mul jetzt seit 1 .• Jahr wieder w .e fr ■•'•er a's I bu 1 ' a*er :.«• g. \ >. 
folgen 4. eine ITau mit Perr r-nes rmd 5. ein Pat ent m.t I * s : * v 
barbae, die auf dieselbe Weise K’utr !e't W'-'deu waren, ir d d e. 
nirgends eine >ch.id,gitMg der Haut e - kennen lass, n Der f* Pa: e* t 
wird denionstrlert. we! er tt t \-M*a l eil v - ri e-'e" I'e'ttratt.s 
piüaris capillitii befreit wod-.i: -um we’c’e \”e^;.-.n m.an 

keine andere W eise mit mir renne-swerteilt Prf - ge v--r/uge'-.c-t 
vermag. 

\ ortr. gellt nimme-hr zur Be ha' 1 l'rmg -r : t Ra.! : um u‘‘er tr d ’e ^ t 
einen Patienten mit moperab'em Kankr-.J des unteren Augen' des. 


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21 JuU 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1559 


das zurzeit fast narbenlos verheilt ist, ausserdem noch die Bilder von 
zwei weiteren mit Radium erfolgreich behandelten Epitheliomen. 

Sodann berichtet B. über seine Erfahrungen mit der Uviollampe, 
die ihm bei nässenden Ekzemen, bei Akne und Psoriasis Befriedi¬ 
gendes geleistet hat. Auch ein Fall von sehr ausgedehnten spitzen 
Kondylomen wurde mit diesem Lichte einer zwar langsamen, aber 
scheren und nicht beschwerlichen Heilung zugeführt, lieber die 
Uuarzlampe hat sich Vortr. an 57 Patienten ein Urteil zu bilden 
gesucht und ermunternde Erfolge bei Lupus vulg., Psoriasis, 
Pityriasis rosea und areata gesehen; dagegen sah er sich bei mehreren 
Fällen von oberflächlicher Trichophytie und wiederholt bei chro¬ 
nischem Handekzem im Stich gelassen. Sodann'weist er kurz auf die 
.ndividuel-1 und regionär variierende Empfindlichkeit der Haut gegen 
die ultravioletten Strahlen hin und erläutert dies an einem Patienten, 
der wegen Psoriasis gerade in X-Strahlenbehandlung steht. Z. B. 
zeigt die Ellenbogenspitze, obwohl Mittelpunkt des gewählten Be¬ 
strahlungsfeldes, keine Alteration, während die angrenzenden Partien 
des Unter- und Oberarmes erythematös sind. Auch trotz fehlender 
sichtbarer Entzündung (vor deren grösserer Intensität bei Psoriasis 
zu warnen ist) hat Untersucher wiederholt Heilung der Psoriasis- 
piaques gesehen. Der vorgestellfce Patient wird an den verschiedenen 
Kürperregionen verschieden behandelt (zum Teil mit Röntgen, zum 
Teil mit Radium und zum Teil mit der Quarzlampe fBlaulichtfilter]). 
Vortr. erläutert mit einigen Worten die Gesichtspunkte, die aus¬ 
schlaggebend werden können, wenn man es für zweckmässig findet, 
einmal einen Psoriatiker nur mit Lichtstrahlen zu behandeln (be¬ 
haarte Körperpartieu, Grösse, Dicke, Verhornungsstadium, Distanz 
der Plaques). Zum Schluss zeigt Vortr. noch eine Patientin, die 
wegen Oesichtslupus mit der Quarzlampe, der Finsen-Reyn-Lampe 
und an zwei Stellen mit der molekularen Zertrümmerung (Hoch¬ 
frequenz) behandelt worden ist. Jede Geschwürs- oder gar Nekrosen¬ 
bildung an den mit der Quarz- oder der Finsenilampe bestrahlten 
Stellen ist aufs sorgfältigste vermieden worden, wodurch das kos¬ 
metisch ausgezeichnete Resultat seinen Grund findet. 

Ordentliche Sitzung vom 17. Februar 1908 
abends 7 Uhr im Hörsaal des Dr. Senckenbergischen 
Bibliotheksgebäudes. 

Vorsitzender; Herr Edinge r. 

Schriftführer: Herr Cahen-Brach. 

Herr Goldschmid: Demonstrationen. 

Sodann spricht Höhne über die Serumdiagnose der Syphilis. 
Zunächst wird das hämolytische System genau besprochen, die Zu¬ 
sammensetzung desselben demonstriert und gezeigt, dass beim Weg- 
iassen eines der Bestandteile des hämolytischen Systems eine Hämo- 
iyse nicht eintreten kann. Alsdann wird an Versuchen gezeigt, dass 
die Verbindung von Antigen mit seinem spezifischen Antikörper be¬ 
fähigt ist, Komplement zu absorbieren und dadurch die Hämolyse zu 
hemmen. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Syphilis. Es wird 
demonstriert, dass nur beim Zusammentreffen von syphilitischem 
Leberextrakt und Syphiiitikerserum eine Absorption des Komple¬ 
ments und infolgedessen Hemmung der Hämolyse eintritt. Die Wich¬ 
tigkeit der Kontrolle für eine sichere Diagnosenstellung wird genau 
erörtert und praktisch gezeigt. Es sind vom Vortr. die Sera von 
Syphilitischen und von 21 Normalen untersucht. Von den nor¬ 
malen Seris ergab kein einziges einen positiven Ausfall der Reaktion, 
von den syphilitischen 24, d. h. 62,3 Proz. Es beweist mithin ein 
negativer Ausfall nichts, d. h. er berechtigt nicht dazu, Syphilis aus- 
zuschliessen. Ein positiver Ausfall der Reaktion mit genauer Be¬ 
achtung aller Kontrollen berechtigt zu der Annahme, dass der Be¬ 
treffende einmal Syphilis gehabt hat. Zum Schluss deutet Vortragen¬ 
der an, dass die Annahme von syphilitischem Leberextrakt = Anti¬ 
gen nach den letzten Versuchen sehr unwahrscheinlich sei, mithin 
auch das Syphilitikerserum als Antikörper nicht mehr in Frage 
kommen kann. Der praktische Wert der Reaktion wird durch diese 
Auffassung nicht beeinträchtigt. 

Diskussion: Herr Richartz fragt den Vortragenden, ob 
ihm die von amerikanischen Autoren gemeldete Beobachtung auf- 
gestossen ist, dass das Serum von Luetikern, die vor kurzem eine 
antisyphilitische Kur durchgemacht hatten, negative Reaktion gibt. 

Herr H. Sachs weist darauf hin, dass nach neueren Unter¬ 
suchungen die in den Organextrakten vorhandenen Stoffe, welche 
die Syphilisreaktion bedingen, alkohollöslich sind und durch Lezithin 
oder gallensaure Salze ersetzt wurden. Ihm selbst ist es in gemein¬ 
schaftlich mit Dr. Karl A11 m a n n ausgeführten Untersuchungen ge¬ 
lungen, statt des Leberextraktes erfolgreich Seifenlösungen (olein¬ 
saures Natrium zu verwenden.) Die Ausflockung des Syphilitiker¬ 
serums durch Lezithin (Porges-Wassermann) wurde be¬ 
stätigt. gleichzeitig festgestellt, dass sich auch Seifenlösung für die 
Ausflockung eignet. Auch Unterschiede im Verhalten der Sera gegen¬ 
über dem Wasser wurden in Bestätigung der Angaben Klausners 
beobachtet. Man kann die Wasserfällung durch Zusatz von Alkohol, 
Ammonsulfat und anderen Eiweissfällungsmitteln verstärken. Jedoch 
scheint Spezifität in bezug auf Syphilis nur bei Einhaltung gewisser 
quantitativer Verhältnisse zu bestehen. 


Herr N e i s s e r weist auf den interessanten Gang der For¬ 
schung hin. Der Gedankengang Wassermanns führte ihn zu der 
wichtigen Unterscheidung von Syphilisserum und Normalserum. Die 
dadurch inaugurierte weitere Forschung hat gezeigt, dass dieser 
Unterschied auf ganz einfache Weise zu zeigen ist, und dass er 
jedenfalls nicht von dem Gesichtspunkte aus zu erklären ist, der 
den Ausgangspunkt gebildet hat. 

Herr Julius Friedländer teilt 6 Fälle von Hyperhldrosls 
unllateralls mit und unterzieht an der Hand dieser und 60 älterer, 
aus der Literatur zusammengestellter Fälle die seltene und inter¬ 
essante Affektion einer eingehenden Besprechung. Das Resümee 
seiner Darlegungen ist folgendes: Die H. u. ist eine Sekretionsano¬ 
malie in Gestalt einer halbseitig beschränkten Störung der sekre¬ 
toralen Innervation. Je nachdem diese Störung im Gebiete des 
kortiko-kutanen Schweissnervenapparates lokalisiert werden kann, 
hat man zwischen einer zentralen und einer peripheren Form der 
H. u. zu unterscheiden. Beide Formen kommen isoliert oder akziden¬ 
tell, bei Gesunden und Kranken vor und haben einen exquisit chro¬ 
nischen, aber durchaus benignen Charakter. 

Diskussion: Herr Hanau: Ich wollte mir erlauben, darauf 
aufmerksam zu machen, dass bei Männern mit einseitigem Kopf- 
schweiss das Hutfutter auf der schwitzenden Seite ganz verbraucht, 
auf der nichtschwitzenden dagegen rein erscheint. Aus diesem 
ausserordentlich auffallenden Aussehen des Hutfutters lässt sich ohne 
weiteres die Diagnose des Leidens stellen. 

Herr v. Wild erwähnt einen Fall von Aortenaneurysma mit 
profusen linksseitigen, besonders nächtlichen Schweissen. Morphium 
und Agaricin waren hier von gutem Erfolg. 

Ordentliche Sitzung vom 2. März 1908, abends 
7 Uhr, im Hörsaal des Dr. Senckenberg sehen Bibliotheks¬ 
gebäudes. 

Vorsitzender: Herr E d i n g e r. 

Schriftführer: Herr Cahen-Brach. 

Demonstration des Herrn Mlnkel: Exostosls cartilag. mul¬ 
tiplex. 

Herr Scheffen: Heilung eines Urethraldefektes (mit Demon¬ 
stration). 

Herr Jacobsthal: Demonstrationen aus * dem pathologischen 
Institut. 

Herr Aug. Knoblauch: Das Wesen der Myasthenie und 
die Bedeutung der „hellen“ Muskelfasern für die menschliche 
Pathologie. (Siehe das Referat über die Sitzung der wissen¬ 
schaftlichen Vereinigung am städtischen- Krankenhaus vom 
7. Januar in dieser Nummer.) 


Wissenschaftliche Vereinigung am städt Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 5. November 1907. 

Vorsitzender: Herr Ehrlich. 

Schriftführer: Herr Bingel. 

Herr K. Herxheim er und Herr N e 1 s s e r: Demonstrationen. 

Herr Embden: lieber den Abbau der Fette. (Publiziert in 
Hofmeisters Beiträgen zur chemischen Physiologie und Patho¬ 
logie.) 

Sitzung vom 3. Dezember 1907. 

Vorsitzender: Herr Rehn. 

Schriftführer: Herr Bingel. 

Herr Michaud: Ueber die Einwirkung von Formaldehyd auf 
diabetischen Urin . 

Herr Voss: Demonstrationen. 

Herr H. Vogt: Ueber Idiotie und einige anatomische Frage¬ 
stellungen zu ihrer Erforschung. 

Sitzung vom 7. Januar 1908. 

Vorsitzender: Herr Ehrlich. 

Schriftführer: Herr Bingel. 

Herr Hübner: Demonstration lebender Spirochäten mittels 
eines neuen Dunkelfeldkondensors. 

Der Vortragende empfiehlt den erst kürzlich in den Handel ge¬ 
brachten Dunkelfeldkondensor der Firma E. L e i t z - Wetzlar, der 
die Anwendung von Oelimmersionsobjektiven erlaubt. Mit diesem 
Apparat ist in jedem syphilitischen Sekrete die Spirochaete pallida 
mühelos lebend zu sehen. Die Differentialdiagnose zwischen ihr und 
anderen Spirochätenarten ist auch bei dieser Art der Untersuchung 
möglich: Alle von Schaudinn bereits gefundenen Charakteristika 
der Form und der Bewegung treten auf das schönste hervor. Die 
neue Methode der Dunkelfeldbeleuchtung dürfte interessante Auf¬ 
schlüsse über die Fortpflanzungs- und sonstigen biologischen Ver¬ 
hältnisse der Spirochäten bringen. 


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1560 


MUKNCHKN m MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. *>. 


Herr BI n g e 1: Klinisches über Paratyphus. 

Der Vortragende schildert auf (iruiid vmi Beobachtungen an 
40 Fälle von Paratyphus, von denen 27 einer Massenei krank um: 
angehörten, das klinische Bild dieser Erkrankung. Die krankheits¬ 
bilder unterschieden sich durchaus von dem Bilde des klassischen 
Abdominaltyphus, indem sie die Hauptsympti»me dieser Erkrankung 
wie Bronchitis, Roseolen, Milzschw ellimg, Diazorcaktion. Leukopenie 
vermissen Hessen oder nur ganz rudimentär zeigten, sie glichen viel¬ 
mehr dem Bilde der akuten Gastroenteritis. Der Vortragende ist 
daher der Ansicht, dass man, wie das auch in der neueren Literatur 
immer mehr geschieht, die meisten Balle von Paratyphus nicht als 
eine Unterart des Typhus zu betrachten hat. sondern als eine Gastro- 
enteritis mit einem besonderen wohlcharaktensierteii Bakterium als 
Erreger. Entsprechend dieser Ansicht halt er auch den an I \ plins 
erinnernden Namen „Paratyphus“ liir nicht besonder s gluck lieh ge¬ 
wählt. 

Diskussion: Herren N e i s s e r, Lüthje, S c h m i e d i c k e. 

Herr A. Knoblauch: Das Wesen der Myasthenie und die 
Bedeutung der „hellen * 4 Muskelfasern lür die menschliche Patho¬ 
logie. 

Auf Grund einer vergleichend-biologischen Betrachtung über die 
Ortsbewegung der Wirbeltiere und von Experimenten an „Hinken" 
und „trägen" Muskeln, deren Ergebnisse zum Teil schon m der 
Literatur der Ml er und 7ll er Jahre des vorigen Jahrhunderts nieder¬ 
gelegt sind, ist Knoblauch zu der Anschauung gelangt, dass sich 
auch an der quergestreiften Muskulatur, deren funktionelle Leistung 
seither als eine einheitliche aufgefasst worden ist, das biologi¬ 
sche (i r u n d g e setz der A r b e i t s t e i I u n g zeigt. I >ie flinke 
Muskulatur leitet die Bewegung lediglich ein; die tiagc Muskulatur 
setzt die eingeleitete Bewegung ausdauernd fort. 

Die Angabe über flinke (helle) Lasern in der Muskulatur des 
Menschen, fast ausschliesslich von physiologischer Seite hergebracht, 
sind recht spärlich. Voraussichtlich finden sich normalerweise in 
sämtlichen menschlichen Skelcttmuskeln helle Lasern, die anschei¬ 
nend innig gemischt zw ischen den trägen (roten) Lasern v*_*i Linien. 
In einer Arbeit „über das Vorkommen heller Muskeln beim Menschen'’ 
aus dem Jahre IKNfi schildert .1. Arnold einen Lad, in dem die 
Skelettmuskulatur schon für das blosse Auge das Kolorit der weissen 
Kaninchenmuskeln zeigte. Auch bei der mikroskopischen Betrach¬ 
tung trugen die untersuchten Muskelstiickcheii die Stniknimeeutum- 
lichkeiten, die nach Ran vier fiir die helle Muskulatur des Ka¬ 
ninchens charakteristisch sind, nämlich auffällig deutliche Gner- 
streitung und spärliche Zahl (im Mittel 2 ) ausschliesslich rundst.nuhger 
Muskelkerne. Ausserdem fand sich in einzelnen Schnitten im Peri¬ 
mysium internum eine Anhäufung von RundzcHcii, wie sie neuer¬ 
dings in Ballen von Myasthenie beschrieben worden ist. I'er 
Lall Arnolds betraf eine junge, kräftige Bäuerin, bei der sieh trotz 
blühenden Aussehens nach längerer Feldarbeit ein eigenartiges Er¬ 
lahmen der Hände bemerkbar machte, so dass sie ihre Arbeit öfters 
unterbrechen und sich ausruhen musste, ehe sie weiter arbeiten 
konnte. In den nächsten Monaten trat zu dieser unerklärlichen Mü¬ 
digkeit Doppeltsehen hinzu und zwar nur in den Abendstunden, wenn 
die Kranke längere Zeit gelesen hatte. Der Arzt stellte eine Lnter- 
leibsgeschwulst fest, die bis dahin keine direkten Erscheinungen ge¬ 
macht hatte, und führte alle Beschwerden der Kranken auf die Ge- 
schwulst zurück. Bei der Operation fand sich ein Cvstadciioma 
ovarii. Nach völlig normalem Wuiulverlauf stand die Patientin am 
16. Tage zum ersten Male auf, verstarb aber am folgenden Tage ganz 
plötzlich, ohne dass sich bei der Obduktion eine greifbare Todes¬ 
ursache auffinden Hess. 

Ein Vergleich der Präparate Arnolds mit Muskelpräparaten 
in zwei Fällen von Myasthenie, in denen intra vitam ausgeschnittene 
Muskelstiickchcn mikroskopisch untersucht werden konnten, ergab, 
dass die Muskelfasern bei der Myasthenie die gleichen histologischen 
Charaktere tragen wie die „hellen" Muskeln in A rimlds l all, und 
dies führte K n o b I a u c li zu der Vermutung, dass der M vast h e - 
nie ein pathologisches IJ e b c r w i e g e n d e r „li eile n" 
Muskelfasern zu li n g u n s t e n d er „rot e n" zu g r u n d e 
liegt. Diese Annahme gibt nach unserer Kenntnis von dem philo¬ 
logischen Verhalten der beiden Easerarten und ihrer Verbreitung ui 
der Muskulatur der Säugetiere nicht nur den Schliissel zur Patho¬ 
genese der Myasthenie, sondern erklärt auch, weshalb das klinische 
Bild des Leidens häufig von Poppcltsehen. Ptosis, Schwäche der Kuu- 
muskulatur und Erschwerung der Zungenbewegungen und des 
Sehlingens beherrscht wird. Auch das gelegentlich beobachtete Vor¬ 
kommen der „myasthenischen Reaktion“, die im wesentlichen die 
„Reaktion der flinken Muskulatur" ist, bei apoplcktischen Lähmungen, 
Poliomyelitis usw. wird bei dieser Annahme verständlich. 

Eine pathologische Verminderung der hellen Muskelfasern liegt 
vermutlich der Tho nisensdicn Krankheit zu gründe, deren 
klinisches Bild in einem markanten Gegensatz zu dem der Myasthenie 
steht. 

Durch Projektion zahlreicher Mikrophotogrnmme von Muskel- 
Präparaten, die von Myastheniefällen stammen, werden die Aus¬ 
führungen Knoblauchs erläutert. Sie mögen dazu anregen, in 
Zukunft dem normalen Vorkommen von hellen Lasern in der Skelett¬ 
muskulatur des Menschen eine grössere Aufmerksamkeit als bisher 


zu widmen; denn, wie es Schont, spielt in der mc nse h u he n !*.*:• . - 
logie die helle Muskulatur eine Rohe, die bis jet/t m-ch muht er¬ 
wogen w ui den ist. ( \ut<if elef at.) 

Diskussion; die I lenen E d i n g e r. K ii<>M,t in h. I h r - 

1 i c h. 

Her Hochnc ste.lt vor: 

1 . Einen Patienten smi iS I.thrcu. der .t:n lo. \i! <o f; it «.1 
Diagnose Karzinom der linken Ohrmuschel in das k ; unket - 1 .um 

sehickt wurde. Die I r Kränkung Bestand seit ä Lünen. 1 *,e 11. .te 
der linken ( Hu niiisc he! war Zerstört, der Mumpt mit tu :gtuP. "d-, *\ 
Seltner lg belegten. k.irzm<>m.itose n lusdiw men Bedeckt. Patt:! 
\ei weigerte Oie (»pefatmu und w urde ekshab der R.mtge rt:;c m; e 
unter wor len. I r ist bi stier -lnul kur/e /eit mit einer ueurm R *:* e 
bestrahlt Worden mit dein Lrhdg. dass e!er grösste led der in - 
Schwure epithelrsiert IM, so dass ehe H'ü’ming bereubt gt crs v bt :•**.. 
elass Patient d.kIi Weiteren Wenigen Bestraf; ungvfl v •*. .st.i n. g ge¬ 
heut werden wird. 

2. I inen Ball \<<n zirkumskripter Sklerodermie (Morphaea). I' e 

Erkrankung begann \or 7 s Jahren mit heiligem Brennen i:* d 
Knebeln auf der linken Mluhtcr im d mit bettigeu K<>ptsc i.mv r / eil. o.e 
besonders in beiden M Inaie nge K e r de n h-Kaisicrt waren. Ln V:- 
Sc 1 11 u ss daran entwickelte sich eine autta ictiJ w e iss'.utic \ crt.i* Bu: g 
eler Hallt in der linken M h'atcngcgci;d. in denn Be reu h die Haan 
austieieu. Etwas spater bildete sun me ahmuhc M< g aut v.* 
linken Mhnltcr. im Laute der Zeit eniwukcdeu suh mO'i mei n e 
Plaques am Körper. Ais Patientin bei uns \..r einigen \\ -slu n H n 
suchte, bestand eine 1‘iaque aul der linke n Mhu ter. die* suti v ■ m c.e * 
linken N.u kciihaar grenze über ehe linke M hu te r b.s /ur M.tte co s 
linken Mhuitvr hiattes eistnnkte. Die Grenze gegin die* gesur. c 
Haut war sch.ut abgesetzt und Hess einen mehrere M .muter bre te’ 1 
lilalar benen Ring L.nl.ie ring") erkennen. Die e'grmcne Partie w es 
ileckweise- kühl braiimiclie I ’ignieiitie fung aut und war s.. u v( : 
eler l nterlage angc bette t, dass es unm.*g,ich war. sie in einer 1 a te 
ab/uhebeii. I me kleinere, liamiti hergmssc l’.aquc \ oft a! ii.uin". 
Heiuiul fand sich unterhalb des linken >v hu. te r batte s, 2 etwa it.a's- 
st lick grosse Medien in der linke m I.ende nge ge r.d. emc * mar ks?.u k- 
gmsse Partie in der reJiteu H.usge ^e ihL In der in.ken \i. .de";- 
gegen el dokumentierte sich der I n-/<.ss in einem etwa L:n b*e te u 
und .Sem lang n v oss^.iu/eii.Mi, a! r * • p 1: ;s w t: e :i. haar h .s. % n Ma.t- 
Mi eilen. In der rechten >d.,i!i ruegiml war der Pr-zcsv mir a* v c- 
deiitet. Hier fand sidi eine etwa pu nmggmssc. w e issg ,.o*ze ; - i . 
atrophische, haar l< <sc llautpa: lie. Die Irkransung spm.t smli 
sadilieh am Biiidege-w ed e ab <e • n l’r.iparat Ze;gte Vtr-pd c em 
Lpidernus, Degetier atu ui des l'mde .,e w e t es i:.; t K .a/in. ein ande'es 
einen deutlichen >cliwui;d der e.*s;isghen lasernb Die 1 fe. *.e : 
ul'er das Primäre iler I rkraukung i Ner\ eit. < le lasst. \ ub int- \ ;sa t. 
wurden kurz gestmtt. 

A. Linen Lall \on Mscosis fungoides. D e r-o ^ln,:e Dat e* *. *. 
erkrankte im I min.ihr L>"7 mit -\iits v !; ;i ssen \->n r«teii f .ecke rt n. 
der linken Achsel, aus denen suh a.m.di uh k m • de na: t. v e. r.tget.i-t m 
(ieschw niste entwickelten. •\..matih Ji bed.eckte s.dff e.n gr.-ssc : 

‘ I eil des Körpers mit aimiult.il < le ln de n. Bei eler \;;f.i *e .1 * *; 
7. XI. I>7 zeigte* sich de l ganze K- 'per a! w.ots \. m goi Augen¬ 
brauen zum gnisscu I eil bedeckt mit mt dcl.en. er b.a! e ne *i. unre ^ .- 
massig ge hu uiteri l’ia.nie s, ehe z. 1. .umiiar und se*rp ^.:*--s arge - 
ordnet waren. Me trugen W e iss v ;,tuze tide . b .lite r te i K a: t. K e >^hup;*e r. 
bei deien Abkratzern keine ptniLfi« >r im g t B utw'g emtt.it. Mo s v •• 

2 l lautste-Hell berührten. S.. unter ile n B: ..'•te n. Hl ek ll \ JiSe c :t. 

K me-, Llienb. .ge n- und In K mn.i. . ’e uge n. he st .u* d N.tsscn. Die edne *. e 
Prognose* eler I [Kränkung ist bcs.-mters aioti v.uroi ei e an m s t • t • 
Klinik energisch geübte. D-mioncr te \ r s^ p. R. gentbe * a p .e w e '.e : t- 
licli gebessert Wurden. I s ist uns in den .et/ten Lnnen u iin^e**. 
mehl eie* Patienten all! eilest Welse \. . star-ct.g uml datle : l*.d /a 
hellen. Patientin wurde eile sed k« •nibmie* te U \ : se n • R. nt ^ c : t ie ' a ; ■. c 
unter w or len mit ek rn I :i"ig. el.iss a..t I um . > c u n.tw li w e n. a a : .e :: 

mit bräunlicher I hgmentie rung abge he :.t wa'eii. \ r s l.uerr t*.,: 
ein Rezidiv auf Brust. B.nich und \ni.eii aut. D;e ne in n I ü -'es. 
/enzeii sind aber unter vier inzwischen w e de r aut^e r*. .tr.m.e *;e n R : t- 
genbestrahiiing bereits m der Ruckb; .".-g beg* .r*e n. I ui r*.-* - 

skopisclies Prap.ir.it Zeigte, dass vier :* *. ^-.trs^o v | mior \<-ii c.v* 
Klltis ausgellt. Die“ \ er Sc h le de na: ti ge A mmvirg dieser I ' k'a*‘ . ** g 
((iranulationsge Sc hw ulst. Ausdrink ek r I e se* i\:: püade n..p;e. : - 

kniii, I. \ 1:1 pli* *s.i r k* »rn etc.) wurde kurz gestredt. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

( Bericht des Vereins.) 

6. n r d e n t 1 i c li e Sitzung \o in M a i 

Vorsitze ttcler: Ile rr \ e i t. 

S.lir iTtfirhre r: I1-. r r M c r s g li c I. 

Herr Sticda bcnldet über e:mri I a'l \ • m akuter Appen¬ 
dizitis, bei dein es sn h um das ur:,.i.::i;s** ;svg sede ve \ • -rk->t:iT*:e. n 
eines w i r k I i e h e n b r e m o k o r p e r s i”i 1 >e. \ e nr.is h'e - 

| nioustratioii des Präparates* har .etc, irr. i r. gei.satz zu eiert » • *: 

I beobachteten, gekgetndvk durch Aussehen Ererrt-k mper iw 


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21. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1561 


Bohnen, Apfelsinenkerne u. dergl.) vortäuschenden Kotsteinen, die 
sich in ca. 50 Proz. der Fälle vorfaiiden. 

Auch Darmparasiten (Oxyurus vermicularis) kamen nur in ein¬ 
zelnen Fällen vor. 

Unter 550 Fällen von Appendizitis, die der Vortragende in den 
letzten 7Vz Jahren an der v. B r am ann sehen Klinik mitbeobachten 
konnte, fand sich nur zweimal ein wirklicher Fremdkörper im Pro- 
zessus. Vor mehreren Jahren einmal ein Traubenkern und in dem 
vorliegenden Falle ein Stückchen Blei von der Grösse eines Schrot¬ 
kornes. 

Es handelte sich um ein junges Mädchen von 20 Jahren, das 
erstmalig unter allen Anzeichen einer akuten Appendizitis 
IS Stunden nach Einsetzen des Anfalles in die Klinik eingeliefert und 
operiert wurde. Der Prozessus zeigte nur verhältnismässig geringe 
Veränderungen an der Schleimhaut, sowie in seiner Lichtung nahe 
der Basis ein deformiertes Schrotkorn und dahinter einige feste Kot¬ 
bröckel. Auffallend war noch das besonders weite Lumen der Appen¬ 
dix an deren Abgangsstelle, wodurch vielleicht das Hineingleiten 
des Fremdkörpers in den Wurmfortsatz erleichtert worden war. 

Die Patientin war übrigens das dritte Familienmitglied, das an 
Appendizitis erkrankte. 

Die Heilung erfolgte prompt. 

Herr Kn eise: Vorstellung einer Kranken mit einer totalen 
Atresie der Schelde. 

M. H.! Sie gestatten mir ganz wenige Worte. Ich würde bei 
der Kürze der Zeit Ihnen den Fall nicht vorstellen, wenn ich nicht 
glaubte, dass für Sie alle eine Qeburtsverletzung, die eine solch 
i»igenschwere Erkrankung nach sich gezogen hat, doch von einem 
gewissen Interesse ist. Ich darf Ihnen nachher, nach diesen wenigen 
erklärenden Worten eine junge Patientin von 25 Jahren vorstellen, 
die eine totale Atresie der Scheide zeigt, welche dicht hinter der 
Melle, wo sonst der Hymenalring zu sitzen pflegt, sich befindet. Die 
Patientin ist vor 5 Jahren zum ersten Male entbunden. Sie hat 
;m ganzen vom Sonnabend bis zum Mittwoch der nächsten Woche 
sekreisst. Der zugezogene Arzt hat in der Zeit zunächst einmal einen 
Zangen versuch gemacht, der nicht zum Ziele führte, so dass er die 
Zange wieder abnahm, hat dann am folgenden Tage einen zweiten 
längenversuch unternommen, der ihm ebenfalls misslang, und hat 
dann, weil, wie er angab, „das Becken zu eng sei", von weiteren 
lintbindungsversuchen Abstand genommen. Schliesslich wurde das 
Kind am Mittwoch spontan geboren. Die Frau machte, wie das 
nicht anders zu erwarten war, ein schwer fieberhaftes Wochen¬ 
bett durch, das besonders in einer schweren gangräneszierenden Ent¬ 
zündung der Scheide bestand, die seitens des Arztes mit Spülungen 
behandelt wurde. Nach Monaten genas die Patientin, litt aber an 
außerordentlichen Beschwerden zur Zeit ihrer Periode. Nach nicht 
langer Zeit hatte sie überhaupt keine Blutungen mehr, und der 
wiederum zugezogene Arzt konstatierte eine Verwachsung der 
Scheide. Er ging anscheinend mit einem katheterartigen Instrumente 
durch die Verwachsungen hindurch und entleerte den Hämatokolpos. 
ln der Folgezeit scheint dann die Patientin, etwas genaueres lässt sich 
aus ihren Angaben nicht eruieren, von Zeit zu Zeit einen spontanen 
Durchbruch des sich immer wieder bildenden Hämatokolpos gehabt 
zu haben, bis allmählich auch diese Durchbrüche vollkommen auf¬ 
hörten und die Beschwerden der Patientin sich ausserordentlich 
steigerten, weswegen der Arzt sie hierher verwies. Ich fand bei der 
Untersuchung einen vollkommenen Verschluss der Scheide, den ich 
Ihnen nachher demonstrieren will. Bei der Untersuchung vom Rek¬ 
tum aus konnte ich einen grossen Tumor konstatieren, der bei dem 
Druck der bimanuellen Untersuchung durch eine anscheinend haar¬ 
feine Fistelöffnung in der Verschlussmembran eine aashaft stinkende 
Flüssigkeit austreten liess, so dass ich jetzt die Diagnose auf eine 
totale Atresie mit einem grossen Pyokolpos stellen kann. 

Folgt Vorstellung des interessanten Krankheitsfalles. 

Herr Mohr: Ueber einige Fragen des Stoffwechsels und 
der Ernährung. (Erscheint ausführlich in den Therap. Monats¬ 
heften.) 

Nach einem Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der 
Ernährungslehre beim gesunden Menschen, wobei die Frage 
der Eiweissmast und des Vegetarismus erörtert wird, geht der 
Vortragende zunächst auf die quantitativen Störungen des 
Stoffwechsels unter bestimmten pathologischen Bedingungen 
ein. Nach dem heutigen Stande des Wissens kann es keinem 
Zw eitel unterliegen, dass es krankhafte Zustände gibt, wo sich 
der Mensch dauernd im Zustand der chemischen 
Wärmeregulation befindet. Bekannt ist seit langem 
die Steigerung der Wärmebildung beim Morbus Basedowii, 
tm Fieber. Neu ist die Tatsache, dass, wie der Vortragende 
rachgewiesen hat, auch im Diabetes der pankreaslosen Hunde 
der Stoffverbrauch unter Umständen stark erhöht ist. Auch bei 
manchen Diabetikern hat man einen vermehrten Sauerstoff¬ 
verbrauch und vermehrte Kohlensäureausscheidung feststellen 
können. Es ist möglich, dass die Methode der Messung der 
0:-Zehrung zur Differenzierung des Pankreasdiabetes von 


Diabetesformen anderen Ursprungs sich verwerten lässt. 
Ausser den genannten Zuständen gibt es noch andere mit pri¬ 
märer Steigerung der Wärmebildung, z. B. gewisse Formen 
von Psychosen und Nervenkrankheiten. In allen diesen Fällen 
ist der Umsatz der Eiweissstoffe gesteigert, jedoch nicht in 
der Weise, dass sie allein die Kosten der Verbrennung tragen, 
sondern es sind alle Nährstoffe an der vermehrten Wärme¬ 
bildung beteiligt. 

Die Konsequenzen, welche sich aus dieser Erfahrung für 
die praktische Ernährung ziehen lassen, bestehen nun nicht 
einfach darin, dass man um die Einschmelzung von Körper¬ 
substanzen* zu verhindern, mehr an Nahrung zuführen muss. 
Es ist zwar sicher, dass sich der pathologische Zerfall von 
Körpereiweiss durch vermehrte Zufuhr von Eiweiss in den 
meisten derartigen Fällen verhindern lässt — mit Ausnahme 
des Fiebers, wo meist ein Rest von mehr zersetztem Eiweiss 
auch durch erhöhte Zufuhr nicht gedeckt werden kann —; man 
muss aber berücksichtigen, dass mit der gesteigerten Zufuhr 
an und für sich auch die Wärmebildung und Wärmeabgabe 
steigen, so dass schliesslich doch das bestehende Missver¬ 
hältnis zwischen Mehrbildting von Wärme und Abgabe von 
Wärme bestehen bleibt. Die praktische Erfahrung lehrt auch, 
dass wir vielfach bei den genannten Krankheiten nicht in der 
Lage sind, durch erzwungene Mehraufnahme von Nahrung die 
* Abmagerung hintanzuhalten, es sei denn, dass unser thera- 
! peutisches Eingreifen in die Zeit fällt, wo die der vermehrten 
Wärmebildung zu Grunde liegende Störung (wahrscheinlich 
der nervösen Regulationsapparate) im Abklingen ist. 

Neben der quantitativen hat es der Arzt noch mit quali- 
i tativen Störungen im Stoffwechsel zu tun. Es gibt Zustände, 
wo die Eiweissverbrennung im Organismus nicht wie in der 
Norm vor sich geht, z. B. die Zystinurie, die Alkaptonurie; 
ferner solche, wo der Umsatz bestimmter Eiweissubstanzen, 
der Nukleine, gestört ist, solche, wo die Fette und solche, wo 
der Zucker nicht wie in der Norm verbrannt werden. Nach 
unseren heutigen Vorstellungen handelt es sich unter den ge¬ 
nannten Umständen um Störungen der Fermenttätigkeit, welche 
spezifisch für die einzelnen Körper ist. Vortragender geht 
speziell darauf ein, wie im Diabetes die Störung des Zucker¬ 
stoffwechsels zu stände kommt. Nach seiner Ansicht, die sich 
auf eigene Versuche gründet, handelt es sich im Diabetes um 
eine verlangsamte Verbrennung des Zuckermole¬ 
küls. Dadurch kommt es zu Hyperglykämie und zur Aus¬ 
scheidung des Zuckers im Harn. Die Störung ist ähnlich der. 
wie sie neuerdings für den verlangsamten Umsatz der Nukleine 
bei der Gicht wahrscheinlich gemacht ist. Aus dieser eigen¬ 
artigen Störung des Zuckerstoffwechsels lassen sich unge¬ 
zwungen aller Erscheinungen der diabetischen Glykcsurie, 
der Glykogenverarmung der Organe etc. erklären. 


Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. April 1908. 

Vorsitzender: Herr Fraenkel. 

Schriftführer: Herr Wohiwi 11. 

^ €rr ^ enc ** e bespricht im Anschluss an einen auf der inneren 
Abteilung des Eppendorfer Krankenhauses beobachteten Fall von 
LysolvergiftunK das klinische Bild und den pathologisch-anatomischen 
Befund bei der Autopsie unter Vorzeigung von Präparaten. Zum 
Schluss bespricht er die chemischen Vorgänge in der Galle bei der 
Lysolvergiftung. (Autoreferat.) 

Herr S i tn m o n d s: Ueber Geschwülste der Bursa omen- 

Primäre Geschwülste des Bauchfells sind im ganzen selten. 
Eine GrupDe derselben, die vorn Netz ausgehenden Fibrome. Endo- 
thelionie. Sarkome. Karzinome habe ich Ihnen im letzten Jahr vor¬ 
gelegt. Eine zweite GruoDe bilden die flächenhaft von der gesamten 
Peritonealserosa ausgehenden Karzinome und Endotheliome. Wesent¬ 
lich seltener ist wohl eine dritte Gruppe, das sind Sarkome, die 
von der Bursa o mentalis ihren Ausgang nehmen und 
sich auf diese im wesentlichen beschränken. Ich kenne nur eine der¬ 
artigen Fall, beschrieben von Frankel und Kaufmann (Arch. 
f. Gyn. 26 399). Ueber drei weitere eigene Beobachtungen will ich 
kurz berichten: 

1. 37jähr. Mann. Kindskopfgrosses Sarkom zwischen Kolon, 
Magen und PanVreas. verwachsen mit diesen Organen. Perforation 
in Magen und Ko'on. Verjauchung des Innern. Eiterige Pylephlebitis 
subphrenischer Abszess, Peritonitis. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1562 


MUENCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2. 6djähr. Mann. Mannskopfgrosses Sarkom an gleicher 
Stelle, vielfach zerfallen und durchblutet. Verein/elt traubeniormigc 
Metastasen des Peritoneum und erbsengrosse Mibmukose Knötchen 
im Magen. Sehr langsamer Verlauf. 

3. 65 jälir. Prau. Kindskopfgrosses M y x o s a r k <> m an gleicher 
Stelle. Zystenwand von 3 cm dicker Cieschw ulstlage gebildet, die 
sich scharf gegen Magen, Uucrkolon und Pankreas abset/t. mit 
diesen allen aber fest verwachsen ist, und an zwei Stellen Peit'o- 
rationen in den Magen zeigt. Jauchiger Inhalt. Metastasen mir in 
dem angrenzenden 'Peil des Netzes. Langsamer Verlaut; oiter 
Magenblutungcn. 

Die Diagnose ist eine schwierige. Meist w ird wold ein Magen¬ 
tumor angenommen werden, zumal bei öfter amtretenden Mama- 
temesen. Anatomisch handelt es sich um langsam wachsende Sar¬ 
kom« oder Myxosarkome, die wenig Neigung zu Metastasierung 
zeigen und oft in Magen und (Juerkolon durchbrechen. I Autorcierat.) 

Diskussion. Herr Preiser fragt, ob die Hohle als Yer- 
dauungscffekt aufzufassen sei infolge der Perforation der Magenw and. 

Herr Sirnmonds: Die Hohle ist wohl zum Teil ptannuliert 
gewesen. Zerfall des Gewebes unter Einwirkung; des euulringen- 
den Mageninhaltes hat sicher zur Vergrösserung des Lumens gefuhrt. 

Herr Dräseke demonstriert einige Wirbel des im Hamburger 
Zoologischen (iarten verstorbenen Elmmiten „Anton“, der äö .Iahte 
in der Gefangenschaft gelebt hat. Von besonderen Erkrankungen des 
Tieres ist nichts bekannt, nur beobachtete man, dass das Tier mit 
einer gewissen Vorsicht sich hinlegte und wieder aufstand. Der 
19.— 22. Wirbel zeigen weitgehende Verwachsungen der Wirbel¬ 
gelenke, die wohl als primäre anzusehen sind, sekundär sind dann i 
die Proc. spinosi zu einer festen Knochenplatte mit einander ver¬ 
wachsen. An detti Wirbelkörper als solchem nimmt man nichts Ab¬ 
weichendes wahr. Auch der 2.k W irbel ist an den < jelenkfiachen. 
mit denen er mit dem 22 . artikuliert, stark verandeit. \ ei w achsen 
ist dann mit einander in gleicher Weise wie die bereits genannten 
Wirbel der 26. und 27. Alle Wirbel sind an (iewicht etwas leichter 
wie normal, wenn auch die Knocheusubstanz üusserst fest ist. Inter¬ 
essant ist, wie auf den Bildern, die der Vot tragende vom lebenden 
Tier vorlegte, an der Riickenlinie des Tieres die Stelle deutlich zu 
sehen ist, die den vier zusammengewachsenen Wirbeln entspricht. 
Erst ein genaueres Studium aller Knochen und Gelenke wird wohl 
Aufschluss über die vorliegenden Knochenveränderungen geben. 
(Autoreferat.) 

Diskussion: Herr Sirnmonds: Die Deutung der Befunde 
an den vorgelegten Wirbeln ist eine schwierige, da die Belastungs¬ 
verhältnisse, die in der Aetiologie der Spondylitis deformnns des 
Menschen eine so wichtige Rolle spielen, beim Elefanten andersartige 
sind. Im übrigen ist auch im Tierreich die Spondylitis deformans 
keine Seltenheit; sie lässt sich z. B. bei Pferden öfters nachw eisen. 

Herr Eracnkel bittet, noch die übrigen (ielenke. namentlich 
das Sternoklavikulargelenk zu untersuchen. Nach Analogie mit dem 
Menschen könnten die (ielenkVeränderungen das Primäre sein, der 
deformierende Prozess sekundär. 

Herr Lorey demonstriert 1. das Herz eines 2jährigen Kindes 
mit hochgradiger angeborener Pulmonalstenose. Die Pulmonalis war 
durch einen kaum über stricknadeldicken Strang repräsentiert. Der 
Ductus Botalli war nicht durchgängig, dagegen bestand ein Defekt 
der Pars membranacea der Ventrikelscheidewand, sowie eine starke 
Hypertrophie des rechten Ventrikels. Klinisch fanden sich bei dem 
Kinde, welches wegen Masern und schwerer Lungenentzündung auf 
die Masernabteilung des Eppendorfer Krankenhauses (Oberarzt Dr. 
Schot t m ti 1 1 e r) aufgciiommcn w urde, eine hochgradige Zxauose 
des (iesichts, Zyanose der Emgerspitzeu und der Eusse. sowie 
Trommelschlägelfinger. Die Herztone hatten einen gleichmassig 
fötalen Rhythmus, ein Geräusch war an der normalen Auskultations- 
Stelle des Herzens niemals zu hören, nur vorübergehend an einem 
Tage, als eine dichte pneumonische Infiltration der linken Lunge be¬ 
stand, hörte das am Rücken angelegte Ohr ein lautes s\stolisch- 
diastolisehes, der Herzaktion synchrones, schabendes Geräusch. Das 
Kind ging am 5. Krankheitstag an Herzschwäche zu Grunde. — Er¬ 
klärung des Zustandekommens dieser Missbildungen des Herzens an 
der Hand der Entwicklungsgeschichte. Bemerkungen über Prognose 
und klinische Erscheinungen. 

2. einen Fall von umschriebener mykotischer Nekrose des Oeso¬ 
phagus, der sich als zufälliger Nebenbefund bei der Autopsie eines 
an Lungen- und Drüsentuberkulose gestorbenen Säuglings fand. Das 
2 cm lange und 1 cm breite, mit unterminierten Rändern und un¬ 
regelmässigem Grund versehene Geschwür hatte seinen Sitz in Hohe 
der Bifurkation. Entsprechend demselben gewahrte man au der 
Aussenseite des Oesophagus eine verkäste tuberkulöse Druse, 
dass man den Eindruck hatte, es handele sich um ein infolge Durch¬ 
bruchs der tuberkulösen Drüse entstandenes spezifisches Geschwür. 
Die histologische Untersuchung stellte jedoch eine bis auf die 
Muskelschicht reichende mykotische Nekrose fest. Dem Geschwurs- 
giuu-d hafteten noch teilweise nekrotische Massen au. in denen sich 
bei den mit polychromem Methylenblau gefärbten Schnitten 
schon bei schwacher Vergrösserung intensiv blau gefärbte 
Kokkenhäutcif 1 faiffleir', besonders ’ifntcr deif stark iibci hängenden 
'bindern. Die nekrotischen Massen lagen unmittelbar dem intakten 
■ 1 -Ix; auf. Eine /.eilige Infiltration war nicht zu erkennen. Aus 


No. 2<). 

dem I. eichenblute wurden Er\sipeiMrt pp.k- -kken gezüchtet. It. v ; 
ist nicht anzunehmen, dass das l loh am l.amut- er nem Wj.ce ent¬ 
standen ist, vielmehr sin.uh vier h.sP-Kg.scbc Bifmd da!.;?. dass , w 
Mikroor ganismen vom l.iinjen vlc r M»e;si rfjfpe aus tri ! c S.it:sjm ♦. •• 
ein ge di Wägen waren und za euer \*us dir (>' e-*..u' i e m de I m. 
fortselireiten.len realen Gew ebsiii"! t.kkaf--ti getarnt hat;-.-’ H e- 
w eis auf analoge Befinde t. I r a e n k e i s bei >J:ar!.un <\ s 

Arch., ILI. I f >7. 1 '2 k K iisJi hatte il.e Nikr-se Kl .ne I :s v *.*. . 

nungeii herx orgei UP M. I Vuinrelerat.» 

Diskussion: Herr Mm iihui Js fragt, was jm Hakte*'vi 
dabei m Betracht kamen. 

Herr E o r e \ : I kis liess suh am Sv hintt[*:.tparat nullt i ’t- 
Sclieivleii. 

Herr E raenktb Nek r - • :.* t - er !e D’-./isse h.im-barg s,• «. * 
Natur werden bei verschiedenen I i kra: mp u i ; :i vier ganzen I 
iles < >es« iphagus he-d».u htet. I. hat d.i^u Betuud ma nt.. e|» ’i 
Diabetes erlu»ben; d e \e! <-;> g e ist x- r ler Harj jj’ k ar. 

Herr Reunert dim-mM-a-t en \>m rechten hauptbronchus 
ausgehendes Karzinom, das n.uh dem Mitte, appin vier ri\iian I true 
dm vb.fw Uv b.ert war und sie I ::t w .v k urig i ns st miim.i -1 n B* 
elnalvli iisfiitumors \euinl. os| hatte. Dird d » v c Ec Ten »usc'w s-, 

| und ci.hebiiv.h x er grösst i te auth: ak< »t s c ,ke Br au h a Ir :isj n war cs 
e.uer Konzession der \ ena ca\a v:p. g*. k"!i:*r'<-n. w^miiv vD: C. 
in dem letzten Mad.UM vier I rkr.inkm g K < »b.u ntctc n 1 'sm.i naru-, •. 
( g'eu !imass;gc s k hw ••"m:g uni /.\a: < se vks ganzen (ics s: ts. 
massiger I \opht’;.ilmus mul Pup;. en\t r en ger ir g K.dc* M-.:\» e* - 
klarten. Der oTukt-we Befand war \<ane' t u \< g liig.it U' gi- 
I wesen, geringe iLutuugcn. weiche der 72 ah: .ge Patt;! .uishuso . 
hatten den \ erdacht einer Nt ub. d;;-g t: \uv!. der d.fch d e R t- 

gemlurvhieuchtung bestallt Winde. Da ent t: ahe'e s\ ? sc s :e b - 

fektaUl suhtTgesk'lt war. w Wtdc Vets^bw e m t ne sm.\\ v h<. Bi - 
haiul img emgt e tet und d d\;ü c< -, c ul’t : Kry lU'sriü s ‘ »» rew c u- 

zunalm.e um 5 kg. Auf in *ren der llaimm: v. s : .d o:\ev W 1 ! t tmm • 

erzielt. Mit Auttreteu der Manu? gse'Svke -äugt n U'-sdncdM«. *k 
suh tler Zustand und der Exitus Kat n.uh kurzer em. < \ut • 

rm<Tn» ) 

Herr Rehm: Ergebnisse der rytalogischen Untersuchung 
der Zerebrospinalflüssigkeit und deren Aussichten. 

(Der Vortrag erscheint in extensu m der M i:ub. ttuJ. 
\\ ( cliensclir.) 


Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde. 

(Eigener Bericht.) 

S i t 7 u n g v o m Ek .1 u n i *s. 

Herr U ffcnhelmer dctnorrstricrt oun >. I tu l:ng ?! ;♦ w all i;w- 
grossem Mongolenflcck am Kreuzbein. Iltmn u;. K a; *sJ-.c ludtri 
Eerner d« rrionst r imt L. vite I ungcn ums -(m.-natgtn 
Kindes, das an imiiaier I nl'e r k uä-sg x t ut-n bt n . m vier tu: n Im.gt 
ausgebreitete, im Innern ztrlalenc \trkasung. D'imath.itd: B'.-n- 
chiaklr usen. Im Darme käme ( ns^liw iipiuii. kmd m.i ? stvts t ’ - 
nähr ungsgcMiiul. seit I ude des ersten I.e be nsm. m.tts tx tvxche r 
clnaldi uscnhiistcn. 

Herr Morn: Ksrottcnsuppe bei t^ruahrungsstöninßcn des Säug¬ 
lings. (Erscheint austuhriuh m dieser W "v htttsv h? dt. > 

Diskussion: Herr Mcnnachcr fragt muh der \v r - 
abr eu hungvl.nu r bei akuten Mo? urigen. 

Herr Hecker \et weist auf die x "ii T r ii in r p s v »vn \ ■ •: 
2' .- Jalin n mit < iemusesuppeii bei thfoiiuv.hell mol akuten I i- 
iiahningsstor migt n erzielten 1 rt' lgf. 

Herr Oppenheimer glaubt, v!;e g%ulu« E't'-Ue mit K.i 1 - 
ileisehsupik- eneuht zu lialu n, und ii.i.rl d.e Oe w ub.ts/.iiiiahme a d 
den Koch salz gi halt zuriuk. 

Herr Ivornmel Der u htet \»>ri vier Vnwf’bmg \ .»n l'u:;, ni- 
suppen in einer Reihe akuter urtvl s.fi?..ris v !?t r I rivdiMingsst-omut •: 
im bauglmgsheime ; die I r P-<gt wann s;h z;t i bei akuten ^t' >’ iiü g i n 
jüngerer bauglmge nullt so timli utige. Ihi dr-dp. mler Exsikk.»: • :i 
bietet die KaroUtiiMippc eine Komme Art der W asvgra'iu u lu nr 
wie man sie aiuh mit K-ulisa /i-'Mfig erzie .t. Die Nahrung in k i 
einen den Darm schngjl passieren di n. we-’g ausgi nutzten Ba a>t 
und erzeugt ein momentanes >at!:gungsge t R. gibt »i:e \ e * - 

alu eu hungsw eise bei chn»uis w »K n t ri ah* u:: N ssp •• niegyn an. bei w i - 
eilen er in der ZeHuKse ein »iami.inr egt mit. s NVumnt e'l'nkt ip- i 
bittet um Erklärung der lei I mah* lieg Mal k ar-.tk usuppe mu! I.un- 
minosori mul Kaka»* be<‘b.u k’i U n \‘.a..t*img ge Inn l l v":i"tis 

Herr Piaundlcr h.ot vbe ( um ist fr v!m g?o>.sten t * • r t - 

schritt diätetischer Ihe'.ipie im baug'mgs.i'tcr. -b s-e a's Nalrm^ 
im engeren Mime oder a’s funkti'-ns. on gimd w r ke. Di ?r k'iifscio. n 
Erfolg hat die Kar ntu nsuppe mit di • W .iwi? - > a r ^uppi m!;at gi ;m 
ist dieser aber nber k gen für w - -chef .rge /m >2'rb'St »ml di:mb 
die offenkundige >att;gungs' <_:• p. .i.g-.mg. Df e*--*te't G't nta’ s ,! v 
Bedeutung der Zellui- -se bei \ :r:.i 5 ;* u" s "’ •• rgp: dir h.i;igr;\i 
unter Hmweix auf iloe Anw emhmg ••? | '.m *<cs 

Herr lleib;i nun b.ru'nt i * \ t • s-i. 5 i. vbe Kar- xü ?'s”’'H 
als \ ehrkeI für Nährst-me. a.s I ki*fx v ”.‘‘i * :mg urxu fklin. 


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21 Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1563 


Herr Hecker berichtet von dem befriedigenden Gewichts- 
erfolge der Ernährung eines ausgewachsenen Kaninchens, also vege¬ 
tarischen Tieres, ohne Zellulose, nur mit Milch durch 2 Monate. 

Herr T r u m p p wendet seit 3Va Jahren Karotten- und Spinat- 
auikochungen neben Fruchtsäften bei Säuglingen an, die nach akuten 
Verdauungsstörungen darniederliegen, bei chronischen Verdauungs¬ 
störungen und bei exsudativer Diathese. Gibt sein Regime für akute 
Mutungen älterer Säuglinge an. Er erblickt in den Vegetabilien 
ein geeignetes Umstimmungsmittel der Darmflora und ein Stimulans 
üureh ihre Salze; verwendet die bekannten Bi rch ersehen Breie 
als Diät. 

Herr S e i t z hat die Gemüsesuppen in einer Reihe chronischer 
Ernährungsstörungen erfolgreich, bei akuten ohne sichtbaren Nutzen 
angewendet. 

Herr Moro (Schlusswort): An Gemüsestühlen ist kein Anstoss 
zu nehmen. Nach Fleischbrühediät von 3—4 Tagen dürfte kaum 
.Milchtoleranz eintreten. Das subikterische Kolorit bei Karottenfütte¬ 
rung beruht auf Ablagerung des Karotins nur mit Hilfe gleichzeitig 
zirkulierenden Fettes (Milchverabreichung). 

Herr Adam stellt einen Fall von Intermittierendem Oedem 
bei einem ca. 7 jährigen Mädchen vor. 

Herr Hecker berichtet anschliessend an seinen Vortrag vom 
Januar über periodische Azetonämle von an 5 seiner Fälle angestell- 
ten Blutuntersuchungen. Die Fälle zeigten zur Anfallszeit 
starke Leukopenie; die Annäherung an den Säuglingstypus ist 
auch in der anfallsfreien Zeit festzustellen und bestätigt die Anschau¬ 
ung, dass es sich bei der periodischen Azetonämie um Entwicklungs¬ 
hemmung (hier Blutbildung, dort Fettabbau) handelt. — Ferner be¬ 
richtet Herr Hecker über einen Fall von epidemischer Zerebro- 
sptaalmenlagitls (Meningokokken), erfolgreich behandelt mit Blut- 
egeln^ 

Herr Katzenstein: Zur Behandlung der Anämie des frühe¬ 
sten Kindesalters, spricht übeT die durch zu lange anhaltende Laktation 
ixler Milchernährung eintretende Eisenverarmung des Säuglings, die 
Literatur dieser Frage und seine Erfahrungen mit frühzeitig ein¬ 
setzender gemischter Ernährung (Gemüse, Eidotter, Suppen etc.). 
Er wünscht fortlaufende vielseitigere Hämoglobinbestimmungen im 
Säuglingsalter zur Festlegung des Termins des Eintritts von Blut¬ 
mangel und der Indikation zur gemischten Kost. 

In der Diskussion bemerkt Pfaundler, dass Hämoglobin¬ 
bestimmung kein Kriterium liefern würde, solange nicht die Ge- 
wmtblutmenge zu bestimmen sei, wofür noch geeignete Methoden 
fehlen. Eidotter sei keine zur frühzeitigen Verabreichung an Säug¬ 
linge geeignete Nahrurig. 

Herr Katzenstein glaubt, dass letztere Besorgnis praktisch 
nicht so stark begründet sei. Spiegelberg. 


Rostocker Aerzteverein. 

Sitzung vom 6. Juni 1908. 

Herr W. Müller weist kurz auf die neuen Bestrebungen hin, 
Knochen und Gelenktelle zu transplantieren. M. hat in 2 Fällen kon¬ 
genitaler Missbildung das Verfahren in folgender Weise angewandt: 

a) Fall von doppelseitiger radialer Klumphand infolge Total¬ 
defektes des Radius (rechts fehlt der Daumen, links ist er rudimentär 
entwickelt). Statt des fehlenden Radius wurde ein entsprechendes 
Stück der gleichseitigen Tibia nebst Periost, Gelenk- und Epiphysen¬ 
knorpel transplantiert, der rudimentäre Daumen wurde amputiert, 
Korrektur der Klumphandstellung. 

b) Fall von kongenitalem Defekt des unteren Ulnardrittels bei 
entsprechend zu langem Radius. Hier wurde das fehlende untere 
llnarstiick durch ein entsprechendes aus dem oberen Teil des Radius 
ersetzt, welches ebenfalls Periost, Epiphysen- und Gelenkknorpel 
enthielt. 

ln beiden Fällen ist die primäre Einheilung erfolgt. Röntgeno- 
icramme illustrieren den nächsten Erfolg der Osteoplastik. M. glaubt 
nach seinen Erfahrungen mit Osteoplastik annehmen zu dürfen, dass 
die Knochen und auch die beiden Knorpelsegmente sich erhalten und 
weiter wachsen werden in Dicke wie in der Länge und erwartet 
eventuell Vorzüge dieses Vorgehens vor der von Bardenheuer 
empfohlenen Gabelung des Nachbarknochens. 


Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 11. Mai 1908. 

Vorsitzender: Herr G a u p p. 

Schriftführer: Herr M. v. Brunn. 

Herr G a u p p stellt einen Fall von moralischem Schwachsinn 

vor. 

Der 24 jährige Bursche, der bei mittlerer intellektueller Be¬ 
jahung seit früher Kindheit verbrecherische Handlungen (Diebstähle, 
Betrügereien, Unterschlagungen, Brandstiftungen, Raub) it). rascher 
folge beging, so dass er seit seinem L6. Lebensjahr fast andauernd 
in der Strafanstalt sass,, wurde im Frühjahr 1907 wegen Raubs und 


Einbruchdiebstahls zu langer Zuchthausstrafe verurteilt. Im Straf¬ 
vollzug benahm er sich sehr ungeberdig, zerstörte was ihm unter die 
Finger kam, machte Selbstmordversuche, ass Qlas, Sand, suchte sich 
auf jede Weise selbst zu schädigen. Er entwickelte Verfolgungsideen 
gegen Staat und Strafanstalt, schwelgte in blutdürstigen anarchisti¬ 
schen Reden und Schriften, drohte nach seiner Entlassung alle Macht¬ 
haber und „Qesetzmacher“ in einer von ihm angestifteten Revolution 
zu vernichten. Sich selbst nannte er einen Märtyrer für die Sache 
des Volkes; er wolle alles Elend aus der Welt schaffen, die Mensch¬ 
heit durch Abschaffung der ganzen Kultur und Zivilisation erlösen. 
Nur durch die Rückkehr in den Naturzustand können die durch die 
Kultur verdorbenen Menschen wieder gut und brüderlich werden. 
Zu dieser Erkenntnis sei sein „heller Geist“ in der Strafanstalt ge¬ 
kommen. Das ganze Gebahren des jungen Burschen war so unsinnig 
und gewalttätig, seine Selbstüberschätzung so masslos und absurd, 
dass er für geisteskrank und mit Grössenwahn behaftet erklärt wurde. 
Die von ärztlicher Seite geäusserte Annahme, dass er bei Begehung 
seiner Verbrechen schon geisteskrank gewesen sei, führte zu einer 
Wiederaufnahme des Verfahrens. Der Vortr. legt dar, dass es sich 
bei dem „Verfolgungs- und Grössenwahn“ des Verbrechers nicht um 
eine paranoische Erkrankung mit starrem Wahnsystem handelt, son¬ 
dern um die Reaktion eines degenerierten, leicht Schwachsinnigen auf 
die lange Inhaftierung, um ein autosuggestiv entstandenes Fantasie¬ 
produkt, das mit eitler Selbstgefälligkeit vorgetragen und zweifellos 
schwinden wird, sobald die Freiheitsstrafe ihr Ende erreicht hat. Der 
Sträfling war bei Ausführung seiner Verbrechen nicht geisteskrank im 
Sinne des § 51 des Str.G.B., da, wie aus Reichsgerichtsentschei¬ 
dungen unzweifelhaft hervorgeht, der geborene Verbrecher nach den 
Rechtsanschauungen des Volkes nicht als ein Geisteskranker im Sinne 
des Gesetzes anzusehen ist. Der Vortr. betont die Wirkungslosigkeit 
jeder Strafe bei solchen Naturen, ihre enorme Gefährlichkeit und die 
Notwendigkeit, dass sie dauernd versorgt werden. 

Herr Merzbacher berichtet: 1 

1. Ueber ein einfaches Verfahren, das die Darstellung der fa¬ 
serigen und der protoplasmatlschen Gila gestattet. Eine ausführ¬ 
lichere Mitteilung erfolgt demnächst im Zentralblatt für Nervenheil¬ 
kunde und Psychiatrie. 

2. Ueber einen Fall von Karzinomatose des Gehirns. Es han¬ 
delte sich um ein primäres Lungenkarzinom mit multipler Metastasen¬ 
bildung im Gehirne, Nieren und Nebennieren. Die Tumoren im Ge¬ 
hirne zeichnen sich durch ihre Grösse, ihre eigenartige Beziehung 
zur Umgebung und durch ihr verschiedenartiges von einander ab¬ 
weichendes Aussehen aus. Eine nähere Mitteilung soll später er¬ 
folgen. 

3. Ueber einen Fall von Cysticercus racemosus des Gehirns. 
Die Basis des Gehirns von der Medulla angefangen bis zu dem 
Tractus nervi optici ist dicht besät mit einer Unzahl von kleineren 
und grösseren Blasen. Der Kranke starb plötzlich, nachdem er 
wochenlang nur über sehr heftige anfallsweise einsetzende Kopf¬ 
schmerzen geklagt hatte. Es bestand Stauungspapille. Das klinische 
Symptomenbild erinnerte am meisten an eine Okzipitalneuralgie. 

Sämtliche Mitteilungen werden durch eine Serie von Lichtbildern 
illustriert. 


Berliner medizinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 15. Juli 1908. 

Demonstrationen: 

Herr K. Mendel und Herr Adler: Kurze Demonstration zur 
Rückenmarkschirurgie (Meningitis spinalls serosa). 

Die Redner stellen einen Fall vor, bei dem die Differentialdia- 
gnose zwischen tuberkulöser Spondylitis und Tumor der Wirbelsäule 
schwankte. Infolge Fehlens der Ophthalmoreaktion wurde ein Tumor 
angenommen, was die Operation, wenigstens in bezug auf Fehlen von 
Tuberkulose bestätigte. 

Die Laminektomie ergab nämlich eine Meningitis s p i - 
nalis serosa. Der Heilungsverlauf war ein glatter, die Besse¬ 
rung eine langsame, aber fortschreitende. 

Herr G. Zuelzer: Demonstration von Herzkurven unter dem 
Einfluss eines neuen Herzmittels (Ergotin styntlca). 

An Tierversuchen zeigt sich, dass die Ergotin Wirkung 
der Digitaliswirkung sehr nahe kommt. Besonders in Fällen von 
Alternanspuls, welcher auf eine Uebererregbarkeit des Herzens zu¬ 
rückzuführen ist, bietet Ergotin vor Digitalis grosse Vorzüge. 

Herr Hofimann demonstriert einen Affen, bei dem durch 
Impfung in den Hoden sekundäre Hauterscheinungen in besonders 
deutlicher Form aufgetreten sind. 

Herr Ehrtnann berichtet über Versuche der Beeinflussung 
der Darmresektion durch Darreichung von Salzsäure. 

Die Salzsäure ist geeignet, die Sekretion der Bauchspeichel¬ 
drüse sehr erheblich herabzusetzen. 

Tagesordnung;: 

( . Hgrr Geprg L e y i n s o h n: Zur Enistelmng des Qlaukoms. 

Für die Kenntnis der Glaukomentstehung fehlt 
anatomisches Material der Anfangsstadien. In einem Falle 


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1564 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. *). 


konnte er als Ursache des Glaukoms eine Hypertrophie des 
Ziliarmuskels nachweisen; es findet sich dieser Befund kon¬ 
stant, doch bildet sich die Hypertrophie im weiteren Verlauf 
des Glaukoms w ieder zurück. 

Die Pigmentinfiltration des Lig. pectinatum ist heim 
Glaukom ein häufiger Befund, das Pigment ist nicht häma¬ 
togenen Ursprungs. Es sammeln sich an diesen Stellen Leuko¬ 
zyten an, welche das Pigment in den Kreislauf transportieren. 

Das Glaukom, sowohl das primäre wie das sekundäre 
w ird- durch Verlegung der Abschlusswege bedingt. 

Herr Dietrich: Die Bedeutung der Dunkelfeldbe¬ 
leuchtung für Blutuntersuchungen mit Demonstrationen am 
Epidiaskop. 

Die Dunkelfeldbeleuchtung ist schon früher von 
Engländern angewandt worden. Seit Sieden topf hat die 
Methode eine ungeahnte Verbreitung erlangt: als Spiegel- 
kondensor (Reichert) und als Paraboloidkondensor von 
Siedentopf. Es werden im Dunkelfeld Teilchen leuch¬ 
tend, welche gegenüber dem Medium, in dem sie sich befinden, 
geringe Brechungsdifferenzen aufweisen. 

Er demonstriert am Projektionsapparat Diapositive (Mo¬ 
mentaufnahmen) von' verschiedenen B I u t p r ä p a r a t e n. be¬ 
sonders interessante über die morphologischen Vorgänge bei 
der Hämolyse im Immunserum und m destilliertem Wasser. I he 
Momentaufnahmen sind durch die Benützung intensivster Be¬ 
leuchtungsquellen möglich geworden. 

Diskussion: Herr 11 II mann polemisiert sehr temperament¬ 
voll gegen die diagnostische Bedeutung, man könne mit der Methode 
nichts Neues sehen, was man mit anderen Methoden nicht sclnm 
längst gesehen habe. 

Herr Stephan (Phvsikrr hei Z e i s s) a. (1. weist mathe¬ 
matisch nach, dass man mit der Puiikclfcldbcleiichtung wohl Dinge 
und ü. a. auch Strukturen sichtbar machen könne, die vorher un¬ 
bekannt waren und zeigt an dem Beispiel der Sonnenstäubchen die 
Bedeutung der Kontrastwirkung. 

Die weitere Diskussion über den Vortrag der Herren C. Pos¬ 
tier und Dietrich: Die Verwendbarkeit de*r Dunkelieldbeleuch- 
tung für die klinische Mikroskopie, wird in Anbetracht der Bedeutung 
der zur Diskussion stehenden Frage vertagt! 

W o I f t - E i s n e r. 

Aus Ärztlichen Standesvereinen. 

36. Deutscher Aerztetag. 

zu Danzig vom 26.- 27. Juni 1908. 

(Eigener Bericht.) 

Verband der Aerzte Deutschlands zur Wahrung Ihrer wirt¬ 
schaftlichen Interessen. 

8. Ordentliche Hauptversammlung zu Danzig, 
am 25. Juni 1908, vormittags 10 I hr. 

Der Vorsitzende H a r t m a n n - Leipzig stellt in seiner Er¬ 
öffnungsansprache mit (ienugthuung die weitere Zunahme der Mit¬ 
glieder fest. Zu Ehren der verstorbenen Mitglieder mul Obmänner 
sowie des jüngst verstorbenen Eührers de*r österreichischen Aerzte- 
organisation .1 a n e c z e k erhebt sich die Versammlung. Ibis ab¬ 
gelaufene Geschäftsjahr war erfolgreich: in 15.1 Streitfällen hat der Ver¬ 
band mit Erfolg eingegriffen, 120 schweben noch. Der Abschluss 
eines Tarifvertrages mit den kaufmännischen Krankenkassen bedeutet 
eine grosse friedliche Errungenschaft. Die Konferenz im Reichsamt 
des Innern am 11.'12. Juni hätte gewiss nicht stattgefundeii, wenn 
die Aerzte nicht seit Jahren gezeigt, dass sic auch den Elltnboeeu 
zu gebrauchen wissen. Ucbcr diese Konferenz sind viele unwahre 
Angaben in die Öffentlichkeit gelangt. Mit der Aussicht auf eine 
gesetzliche Festlegung der freien Arztwahl ist cs jedenfalls auf lange 
Zeit vorbei. Die E o r d e r u n g, die frei c Arzt w a li I z n e r- 
z w i n g e n, soll n i c h t m e h r der Z a u k a p f e 1 unter d e n 

A erzt e n sei n. W i r \v o I I e n e i n m a s s v n I 1 e s V o r g c li e n 

mit Berücksichtig u n g d er best e h e u d e n V erhält- 
nisse und gegenseitiger Duldsamkeit; mit ii n v e r - 
b r ii e h I i c h c m E e s t h a I t e n an den D i r e k t i v e n d e r 

J a Ii r e 1903. 1904 u n d 1907 w e r d e u wir s t e t i g v o r ss ä r t s 

k o m m en und einig b I c i b e n. Uners c h ii t t e r 1 i c h aber 
w ollen w i r zu s a m m e n s t e Ii e n, w e n n i r g e u d w o die 
bestehende freie Arztwahl w i e d c r a b g e s c Ii a f f t 
werden soll! Deshalb stellen wir alle hinter Köln mul sind 
aus allen Gegenden die Svmpatliiebcweise cingelauteii. Die Kölner 
Aerzte müssen einig bleiben, bis der Siee errungen ist. 

I. Diskussion über den gedruckt vorliegenden Geschäftsbericht. 

T o r n w a I d t - Danzig erörtert mit bezug auf eine Bemerkung 
des (ieschäftsbcricbts die l mstimmigkeiteu zwischen deni f boviner 


Staudesverein und der Ortsgruppe des E. V.. w..bei es vidi hauplvuh- 
hch um das Verhältnis zu den ausserhalb eks >tande s\ er eins ste'ari- 
den. aber der Ortsgruppe aiigehnrend.cn Aer zu ii und um das K\d:! 
der Ortsgruppe, eigene V crs.miiniuugi n zu ha.teil. handelt. 

Nach Bemerkungen der Herren Harth und Magnussen- 
Daiizig wird die Angelegenheit dem \ "rstatul des Verbandes zur Eci- 
legung liberlassen. 

Den vorgebrachten \\ uns*, heit zum Kalender ut’J zur >u '\n- 
vermittlung sagt der (ieneralse Kfet.ir iü'giuhste Befuksiy ntigung zu 

V o g e I - Heppenheim ssimsdit dringend die AuJsti dimg eu-g? 
scliw arzen Eiste der Mreikhredmr ti:r die Vertrauensmänner. 

M ii I I e r - Zittau besprüht die wenig w-di.u -dö n.le H.i'tu-.g d.s 
Reforuiblattes fnr Arbeiters ersidier ung. 

M e I I p a c h - Karlsruhe: Daran ist zum leii die rr.arge ndc M.t- 
arbeit von Aerzten. wekhe der freien Arztw ahi an!:.eigen, sj.is .!. 
wahrend aus dem gegnerischen Lager zahlreiche Vrtikc cm..raten 

Dieser Airtordcr urig zur Mitad eit stimmen M a g e ii - I <..;>/ g 
und < i o c t z - Leipzig zu. 

R o s e n b e r g - Leipzig w unsjit eine rfefg’uTst leVhattc IV pa- 
ganda für ireiw iltigc Beitrage, u a. audi die I mm u h r u n g \. n 
Virba n dsiiurki'ii. welch letztere \.«n der V ersari-m.ang » c- 
sclilossrn wird. 

VV e i k a r d-Neuulrn: Vielen ist eler BedVag \<m _>n M /., h.. ^ . 
namentlich solchen, welche keinen dir e k teil \atzeti \"Ui I.. V. haben 
Vielleicht iiesse sich iler Beitrag hi * abset/en oder s!.r*e n 

K r a f t - Ooi her sdort w idyi sprüht dem .ml das ö‘da!U.VU. 
20 M. ist das Minimum. Er beantragt, dass seitens des Vcö am «s an 
alle Mitglieder eine I ini.ulimg xerscliukt Werde. sich trenu ,g zu 
höheren Beitragen zu s erpthe hteii. 

Mas er-lurth betont. dass nicht liberal! m Basem der >i.r .d- 
punkt W e i k a r d s geteilt w erde. 

VV i n k e I m a n u - Barmen wimsjit angesichts der * 

Stehenden Kample die V ei doppe'ung des Beitrages t;;r ein fahr. 

VV ird abgeiehnt. 

I. o e w e ii s t e Ml - liier leid S‘ unsc'ht die I rh duing dis \U \ 
träges a"f -fu 5o M. 

11 a r t Ul a n u - 1 eipziv: empfiehlt. eh rt Beitrag ms e: ander t zu 
lassen. 

Der A n t r a g K r a t t ss i r d a n g e u •• m rn e n 

B e s s e 1 m a n n - Muric hen-ibadd'.n Ii regt b.dduc a’..e:«e 
statistische 1 rhebiingeil ul'er ehe K .ismip er dnisse bei T sie'tMr: 
Arztss steril und freier Arztss aljl dm c Ii die >ehti< neu an und p! ;<• et 
auf (iruud eines |»e milchen Vorkommnisses em \ Mf\,d:t:ge«e s Vor- 
gehen be/ugliJi der Kasetelalel < Vuimdune in ilusibc u;:d M*ei- 
eliuiig). 

< icneralsekretar Kuhns sagt das /\\ nrnl erkört den N tuen¬ 
den l all ilurcll Misss erstandms e ines VertMiKüs'!'.i"iH s 

M a g e ll - I cipzig ist bereits mit der VnUMiguug enr Mat.stiV 
im Auftrag des Xrr/tes cmns>mnde-s K s dnittigt. ss m-sd:!. ehrns v '.as 
einl.iuieiule Material Hiebt zersplittert werde und de m Vo'sj.rJ Pi s 
E. V. als Material dienen soll. 

Munter* Beilm sersseisf auf e!as se ge usre idie /iis.iii.'ihm- 
ss ir keil iler freien Arztss alil mit der Kasse tu de m Schss ereil Mam er¬ 
streik m Berlin, svo eile Kasse sidi um Ratschlage an ehe \e'/te 
ssaiulte ui ul nach gliicklidi aber s\ linde ucr Krise em I biuksc hrciht « 
au die Aerzte s.uielte. 

B c s s e I m a n n - Minidk n-< da Ih.ich Sersseist iiodi auf d.e 
Wichtigkeit, sic Ii 1 ii r eile Mafhstik amtliches Material smi eler Re¬ 
gierung zu s er s t hatten. 

B e c k ll - Number g her iditigt die' >te ’.ie ele s < ie sd.ntivK ' id f e s. 
sso son eler erl'dgteii Ahsdiat’utig eler Karenzzeit m M nd* vif d . e- 
KVele ist. In Mundien bestellt sie indi. in V. r ribc r g ist Me .»*>. 
geschaht. 

B a u e r - Miinchen: Die VorMati dsdtatt eler Vgedung i :r De * 
Arztwahl in Miinchen habe wiederholt m de n letztem fahren -i 
Antrag auf Abschattung der Karenzzeit -gestedr. I e , !e r h.d e s 
in der Mitglieder s et s.iuin hing nicht d:e Mntorit.it cM’in.ien. eias ietz’e 
Mal fehlten nur ss eilige Minimen. Ibe V . u s;.,:] v Sd.a!t ss e r de in di* e v. 
Benin Im ngen for tfaliren. 

Generalsekretär Kuhns: Da ein Ortsk r auk.eirkasse V .ndun 
die Abschaffung iler Karen/zert besch "smii Ind'e. sei er der Me.: w r ,g 
gessesell. dass die Ver ztesdiaft NV.Ucfiens audi n.d.ts n;di- c‘a- 
gegeii haben svurdc. 

Pr S' s e r - Berlin besp» i s !it das Verb ötms Mt Tagt sM^^gve. V t 
Wichtigkeit guter persmiiidie r Beza hmi-gt n und ktrzer sad;.:d'e r 
Mitteilungen an die /e it uneen. Ihr Vo-wiri Per \e* z!e te :t:dsc 
gegen R. M o s s e se i unhe gr au’M. n an s. s.di rm. i:t in i '■ 

(iegner sdiait Imieiiireilen. Der zs'isdkn de« Ve'.’* den V» * - 
leilunge-n und einigen I addeatte rn eurs’.o '.»»e /w st ■ ge ha'd l-e ■ - 
gelegt SS ei eien* elatlll Winde der I’lifo ss e • m s s e die’:: zu s v * e 
Krattigung beitragen. 

V (di s e n - I rankiurt a. M. sv ::sd'f e ’e rege M !.«'* eö der 
Aerzte in den p*4iiisvben Parteien giekbs-.e' sse dur lö 

K r a I t - Oorbe rsdor j; l ;;ve r e < Je gr« r .r •' -k 'e r e " >n de »• 

Zeitungen, ssir niussem diesem etwas a ; :e r es l.et-mi. D-e^s» ^- 

! sionen bilden, die sieh zu te-nr VusMi- rt in ö cuiadin m.d 
1 zmisdieii Tagesfragen zur V«-* f.gnr.g ste 'km. 


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h. Mi im. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1565 


Müller- Hagen wünscht nach der allseitigen Begeisterung über 
den Abschluss des Tarifvertrages die Aufstellung eines Normalver- 
trages für alle Krankenkassen mit höheren Sätzen als bisher. 

Schmitz- Dortmund fragt an, ob die Standesvereine oder nur 
die Sektionen des L. V. zum Abschluss des Tarifvertrages berechtigt 
seien und ob die Mitglieder der Standesvereine, welche nicht dem 
L. V. angehören, von dem Vertrag ausgeschlossen seien. 

W i e b e 1 - Leipzig: Jede Art der örtlichen Organisation ist zum 
Vertragsabschluss berechtigt, wenn sie die Verpflichtungen der §§ 8 
und 9 übernimmt, in erster Linie die Organe des L. V. Vorläufig von 
1 all zu Fall werden auch Mitglieder der Standesvereine zugelassen, 
umgekehrt auch die Mitglieder des L. V. wenn sie dem abschliessen¬ 
den Standesverein nicht angehören. 

Auf weitere Anfragen teilt 

W i e b e 1 noch mit, dass die Vereine es möglichst zu verhindern 
hätten, dass sich Aerzte nur an einem Teil der Kassenpraxis beteiligen 
und dass eine Karenzzeit bei dem Tarifvertrag nicht gelten solle. 

Der Vorsitzende: Der Frage der Tarifverträge mit den 
Ortskrankenkassen werde bereits nachgegangen. Zur Zeit sei die 
Spannung mit den Kassen noch zu gross und jedenfalls müssten viele 
lokale Verhältnisse berücksichtigt werden. 

Nach einer kurzen Diskussion über den auf der Tagesordnung des 
Aerztetages stehenden Antrag Leipzig-Land betr. die 2000 M.-Grenze 
für die Krankenversicherung (Hesselbarth - Berlin, M u g d a n - 
Berlin, Q o e t z - Leipzig, D i p p e - Leipzig) tritt eine Mittagspause 
ein. 

II. Kassenbericht. 

Kassier Hirschfeld -Leipzig: Die Vermögensverhältnisse des 
Verbandes haben eine wesentliche Festigung erfahren, die Einnahmen 
und der Eingang der Beiträge waren viel befriedigender als in den 
Vorjahren, auch der Rückfluss der Darlehen ist normal. 

L i n d m a n n - Mannheim bestätigt als Mitglied des Aufsichts¬ 
rats den guten Stand der Kassenführung. 

Kraft- öoerbersdorf wünscht, dass höhere Abschreibungen auf 
das Darlehenskonto vorgenommen werden, um ein zuverlässigeres 
Bild des Reinvermögens zu erhalten. 

Franz- Schleiz fragt über den Stand der Dinge in Köln an. 

Der Vorsitzende glaubt, trotzdem ja die Entscheidung erst 
im Februar bevorsteht, eine günstige Prognose stellen zu können, 
ist von dem Siege der Aerzte überzeugt. Die Kasse wird schwer¬ 
lich die nötige Zahl von Aerzten erhalten, aber die Kölner Aerzte- 
schaft muss auf der Hut sein. 

Dem Kassier wird Entlastung erteilt und ihm für seine ausser¬ 
ordentlich eifrigen Bemühungen einstimmig eine Gratifikation von 
#»00 M. bewilligt. 

III. Bericht über die Witwengabe. 

H a r t m a n n - Leipzig: Die Spenden haben sich erfreulich ver¬ 
mehrt, betrugen über 20000 M. und es steht auch eine namhafte 
Erbschaft aus dem Nachlass eines Kollegen in Aussicht. Die Kollegen 
werden ersucht, nicht den Hamburger Zentralanzeiger zu unter¬ 
stützen, sondern den Witwenfonds des Verbandes. 

IV. Vorschlag des Vorstandes, mit dem Allgemeinen Versiche¬ 
rungsverein In Stuttgart einen Rabattvertrag für die Haftpflichtver¬ 
sicherung abzuschliessen. 

Wiebel - Leipzig gibt eine kurze Begründung des Vorschlages. 

Schönheimer -Berlin: Solche Versicherung ist wichtig, es 
wäre aber gut noch zu warten, vielleicht wären im nächsten Jahr, 

die Kündigung des Kartells der Gesellschaften bevorstetit, bessere 
Bedingungen zu erreichen. Ein derartiger Empfehlungsvertrag ist 
von grossem Wert für eine Gesellschaft. Die betr. Gesellschaft ist 
einwandfrei, aber der vorliegende Entwurf ist nicht sehr günstig, 
kann höchstens für kleine Vereine passen. Mindestens müsste der 
Zwang zur Aufnahme jedes Mitgliedes erreicht werden und könne 
keine Verpflichtung, nicht mit anderen Versicherungen abzuschliessen, 
eingegangen werden. 

Der Antrag des Redners auf Uebergang zur Tagesordnung wird 
angenommen. 

V. Bericht der Krankenhauskommisslon. 

Leitsätze: 

A. Leitende Aerzte. 

I. Dienstliche Stellung. 

1. Für den Arzt ist die einheitliche, nicht nur ärztliche Ober¬ 
leitung im Krankenhause mit voller Selbstständigkeit zu fordern. 

Er wird durch schriftlichen Vertrag angestellt, 
»st nur dem Besitzer gegenüber verantwortlich und hat nach aussen 
hin als der offizielle Repräsentant der von ihm geleiteten Anstalt zu 
selten. 

2. Für die Verwaltung sollen zwei Möglichkeiten gelten: 

a) Der Verwaltungs- und Wirtschaftsbetrieb wird von dem diri¬ 
gierenden Arzte selber geleitet; nichtärztliche Verwaltungsdirek¬ 
toren usw. sind ihm im Range untergeordnet. 

b) Es besteht eine korporative Verwaltungsinstanz (Kuratorium, 
städtische Deputation, Ausschuss u. dgl.). 

Für diesen Fall gelten die folgenden Forderungen: 

1) Der Arzt hat den Vorsitz, zum mindesten aber Sitz und 
Stimme in solchen Korporationen. 


2) Unabhängig und selbständig entscheidet er unter allen Um¬ 
ständen über Aufnahme, Verteilung und Entlassung der Kran¬ 
ken, den Krankenpflegedienst, den ärztlichen Teil der Kor¬ 
respondenz, die hygienischen, sanitären und sonstigen ärzt¬ 
lichen Massnahmen im Wirtschaftsbetriebe, über Beschaffung 
der Heilmittel, des Instrumentariums und des Krankenpflege¬ 
inventars innerhalb des Etats. 

Er ist Vorgesetzter des gesamten Personals und hat 
das Recht zu vollem Einblicke in den Verwaltungs- und 
Wirtschaftsbetrieb und zur Mitentscheidung bei Anstellung 
des Personals, Vergebung von Lieferungen, bei baulichen 
Anlagen, Aufstellung der Etatpositionen usw. 

3. Der leitende Arzt hat Anspruch auf ein ausreichendes Hilfs¬ 
personal im Dienste, insbesondere darauf, dass ihm zu ärztlichen 
Leistungen (Narkose, Assistenz, Vertretung usw.) die nötigen ärzt¬ 
lichen Hilfskräfte zur Verfügung gestellt werden. 

4. Nicht zulässig ist die Unterstellung des Arztes unter einen 
Laien, das unmittelbare Eingreifen von Laien und Laienkommissionen, 
Oberinnen usw. in die Verwaltung unabhängig neben dem Arzte, und 
die Anstellung des Arztes im Hauptamte auf Kün¬ 
digung. 

II. Anstellung und Gehalt. 

Der Arzt erhält ein angemessenes, festes Gehalt, das pensions¬ 
fähig ist und mit dem Dienstalter steigt. Er ist berechtigt zu Ho¬ 
norarforderung tunlichst bei allen Selbstzahlern (Fortfall der Ver¬ 
pflichtung zu unentgeltlicher Behandlung bemittelter Patienten). 

Diese Leitsätze gelten in erster Linie für solche Krankenhaus¬ 
ärzte, welche die Stellung im Hauptberufe innehaben, und sind sinn¬ 
gemäss auf andere Verhältnisse anzuwenden. 

Bestehende Verhältnisse werden davon nur berührt: 

1. Auf Wunsch der derzeitigen Inhaber der Stellen; 

2. bei eintretender Neubesetzung. 

B. Assistenzärzte. 

Als Norm ist zu fordern: 

. 1. Anstellung durch Vertrag, ausschliesslich unter Vermittlung 
und mit Zustimmung des leitenden Arztes. 

2. Anfangsgehalt von 1200 M. jährlich neben freier Station. 

3. Steigerung des Gehaltes um jährlich 200 M. 

4. Anrechnung auswärtiger Dienstzeit. 

5. Recht auf Urlaub. 

6. Dienstliche Unterstellung nur unter den leitenden Arzt. 

7. Unfallversicherung seitens der Anstalt. 

D u m a s - Leipzig erläutert die Leitsätze auf Grund des reich¬ 
lich eingegangenen Materiales, das bereits im Frühjahr ds. Js. zu 
einer Besprechung in Berlin gedient hat. Die Forderungen sind 
vielfach nicht erfüllt, sehr häufig fehlt jeder Anstellungsvertrag, die 
Anstellung auf Kündigung ist die Regel; die Oberleitung ist oft in den 
Händen von Laien. Beispiele von willkürlicher Behandlung, un¬ 
motivierter Entlassung, schlechten Gehältern sind sehr häufig. Die 
Verleihung des Beamtencharakters für Aerzte der öffentlichen An¬ 
stalten ist nicht erwünscht. Die Krankenhäuser mittlerer Grosse sind 
für die Chefs und Assistenten durchschnittlich die schlechtesten, zumal 
auch die konfessionellen Anstalten, bei ihnen wird oft am meisten an 
den Aerzten gespart. Freie Arztwahl für die Krankenhäuser ist nicht 
zu verlangen und bei den grossen Krankenhäusern nicht durchzu¬ 
führen. In diesen muss einer der Herr sein. Vorbildlich in allem sind 
die Hamburger Krankenhäuser. 

Bi sch oft-Lichtenberg: Sehr viel zu wünschen übrig lassen 
die Verhältnisse in den Berliner Irrenanstalten. Zumal die Ver¬ 
tragsverhältnisse der Assistenzärzte sind unwürdig. Die Wohnungs¬ 
verhältnisse sind schlecht, die Gelegenheit zur wissenschaftlichen 
Ausbildung ist nicht vorhanden, die Arbeitslast sehr gross, die Ge¬ 
hälter gering, die Dienstanweisung, welche den Assistenten als un¬ 
mündig behandelt, geradezu unerfüllbar, die Urlaubsverhältnisse 
schlecht. Daher entsteht der grosse Mangel an Aerzten. An anderen 
Anstalten ist es ähnlich. Eine Kommission von Irrenärzten hat kürz¬ 
lich einen Minimaltarif ausgearbeitet. Es handelt sich um ca. 1000 
Kollegen. Es wäre die Zuziehung eines Irrenarztes in die Kranken¬ 
hauskommission erwünscht. 

Kraft- Goerbersdorf weist auf die besonderen gesetzlichen 
Verhältnisse, namentlich die Haftpflicht der Aerzte hin, welche als 
Geschäftsführer an Krankenhäusern wirken, die einer G. m. b. H. 
gehören. Für diese ist die Forderung 4 nicht zulässig. 

L e n n h o f f - Berlin: Die pensionsfähige Anstellung ist nicht 
vorteilhaft, wo die Aerzte nur einige Jahre bleiben. Hier empfiehlt 
sich vielmehr eine Lebensversicherung mit Zuschussleistung der An¬ 
stalten. Ein Verein der Heilstättenärzte hat z. B. sehr vorteilhafte 
Verträge auf Lebensversicherung ohne ärztliche Untersuchung mit 
der „Viktoria“ abgeschlossen bis zum Betrage von 50 000 M. 

Dumas- Leipzig ist überrascht durch die ungünstigen Angaben 
über die Irrenanstalten. Ein Irrenarzt ist in der Kommission nur 
willkommen. Vielleicht empfiehlt sich eine Versammlung der 
deutschen Krankenhausärzte einzuberufen. 

Die Leitsätze werden angenommen, die Kom¬ 
mission soll denGegenstand weiter bearbeiten und 
eventuell s. Z. einen Antrag an den Acrztevercin*- 
bund vorbereiten. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1566 


MUHNCHFNF.R MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 


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VI. Die Stellung der Aerztc zu den akademischen Kranken¬ 
kassen. 

Leitsätze: 

Die akademischen Krankenkassen in ihrer jetzigen Gestaltung 
genügen den Anforderungen an eine ausreichende Kraukcnfiirsorge 
nicht; sie sind nach der Seite der Krankeniiirsorge und -Vorsorge 
eines Ausbaues bedürftig. 

Das Verhältnis der Aerzte zu ihnen bedarf iin Interesse der 
Mitglieder wie der Aerzte einer zeitgemässen l hngcstaltuiig; für die 
ärztliche Versorgung ist die freie Arztwahl zu erstreben, die Hono¬ 
rierung muss durch die Kassen auf C irund einer den örtlichen Verhält¬ 
nissen entsprechenden Mitteltaxe nach der Ein/.clleistnng erfolgen: 

Wenn diese Forderungen erfüllt sind, liegt die Existenz akademi¬ 
scher Krankenkassen im sanitären Interesse der Mitglieder und im 
wirtschaftlichen Interesse der Aerzte. 

Sardcmann - Marburg als Referent gibt einen l 'eher blick 
über die derzeitigen ziemlich verschiedenen Verhältnisse in den ein¬ 
zelnen Universitäten. Prinzipiell gehören die Studenten zum Mittel¬ 
stand und sind als Privatpatienten zu behandeln, daher soll die 
Neugründung solcher Kassen nicht stattfinden. Hei den bestehenden 
Kassen, deren Abschaffung nicht tunlich ist. muss eine Hessernug 
erzielt werden. Heute sollen die Kassen keine W ohltatigkeitseinrich- 
tung mehr sein, sondern Rechts- und Pfhchtkasseu; es sollen auch 
überall die praktischen Aerzte zur Behandlung zugclasscii sein und 
die Professoren ihres nobile officium nicht nur gegen die Studenten, 
sondern auch gegen die Aerzte gedenken. Das ärztliche Honorar 
Soll nicht die Mindesttaxe betragen, sondern dem Durchschnitt der 
Vermögensverhältnisse angepasst sein und durch die Kassen zur 
Auszahlung gelangen. 

S c h o 11 - München: Die Sektion München steht den akademi¬ 
schen Kassen als Mittelstandskassen ablehnend gegenüber. Sie schä¬ 
digen die Aerzte, besonders auch die Spezialärzte, \\ as in grossen 
Städten, z. B. München mit mindestens lnoon Studenten empfind¬ 
lich ist. 

S t r c f f e r - Leipzig stimmt dem Vorredner bei. Die jetzige 
Organisation der Kassen ist falsch, die gegenwärtigen Beiträge können 
nur zur Behandlung der b e d ii r 11 i g e n Studenten gelingen. Achn- 
lich wie bei dem ärztlichen Unterstützungswesen soll der Anspruch 
von der Bedürftigkeit abhiingeu. Mögen die akademischen Lehrer 
und Studenten für die bedürftigen Studenten wirken, die Aerzte aber 
aus dem Spiel bleiben. Redner beantragt nur den I. Leitsatz, auf¬ 
recht zu halten, die ganze Angelegenheit ein anderes Mal weiter zu 
besprechen. 

Im Einverständnis mit dem Referenten wird der Vorsitzende 
die Sache vor die nächste Vertraucnsmännerversanmilimg bringen. 

VII. Die wirtschaftliche Seite der Schularztfrage. 

Leitsätze: 

1. Unter Schulärzten im heutigen Sinne sind nur solche 
Aerzte zu verstehen, die nicht bloss die hygienischen Zustände der 
Schulgebäude, sondern auch die der Schulkinder fortlaufend zu über¬ 
wachen haben. 

2. Die Honorierung der Schulärzte kann als Einzelbezah¬ 
lung pro Kopf des Schulkindes oder als Pauschale pro Schule 
oder Klasse erfolgen. Der Hohe der Pauschalzahlung ist jedoch die 
Zahl der zu überwachenden Kinder zu gründe zu legen, Jede Ho¬ 
norierung, die unter 0,50 M. pro Kind und .lalir heruntergeht, ist als 
ungenügend zu bezeichnen. 

3. Die Untersuchung der E I e in e n t a r i s t e n ist gesondert zu 
honorieren und nicht unter 0,75 M. für das Kind zu berechnen. 

K o r m a ii n - Leipzig gibt ein kurzes Reierat über eine im V or¬ 
jahre veranstaltete Umfrage, welche die grosse Verschiedenheit in 
der Honorierung der schulärztlichen Leistungen ergeben hat, so dass 
es angezeigt erscheint, bei Neuerrichtimg von Schular/tstellen gewisse 
Normen zu gründe zu legen. 

Die Leitsätze werden an g e n o m m c n. 

Mit der Wiederwahl des Vorstandes und des Aufsichtsrntes ist 
die Tagesordnung erschöpft. 

Um 6 Uhr schliesst der Vorsitzende mit dem Ausdruck des 
Dankes die Versammlung. 

B e r g e a t. 

Zu unserem Bericht über den 36. Deutschen Aerztetag in 
Danzig in No. 24 dieser Wochenschrift, p. 1518. schreibt uns Herr 
Dr. J a k s - Thüngen, dass sein Antrag, w elcher die unselbständigen 
Landarbeiter der Krankenversicherung unterworfen, die selbständi¬ 
gen Landwirte dagegen ohne Rücksicht auf die 2oon M.-Lmkommcu- 
steuergrenze von der Krankenversicherung prinzipiell ausgeschlossen 
wissen will, nicht als soIcIkt abgelehnt, sondern die V e r h a n d - 
1 u n g des Antrages wegen Zeitmangels abgelehnt wurde. Der 
36. Aerztetag hat also zu dem Antrag nicht Stellung genommen. 


Verschiedenes. 

In den englischen Krankenhäusern ist eine deutliche und sehr 
bedeutende Abnahme im Alkoholverbrauch zu konstatieren. Wahrend 
im Jahre 1887 in 35 der grössten Provinzkrankenliäuser die durch¬ 
schnittliche Ausgabe für alkoholische Getränke für je ein belegtes 


Bett 1 Pid. St. I s. In d. uai. war vk i DuulisJ mit itn Jahre 1*1 
1(> s. 7 1 d.. d. h. genau ein Drittel weniger Die k"steti ti.r Ver¬ 
pflegung. Medikamente. Behandlung und Verwaltung dagegen su 5 
in den letzten Jahren in den englischen K ranke nh.uiser n bedeutend 
gestiegen. (The Med. Tcmpcraime Review, Bd. XI, N<>. 5b 


Frequenz, der deutschen med. Fakultäten. Sommersemester lWs. 1 » 



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*>ind hier An^rhurtgc »n.ti-rer deutn. her HunJc» , »t.*aten \c:\tin.lcn *) t>uu die MuJ.cren- 
den des Kauer-Wnhi-lm lnililut». 


Galerie hervorragender Ver/tc und Naturforscher 
Der heutigen Nummer liegt das 2 >o. B.att du Uaiuic bei: l ugin 
A Ihre c h t. Vcrgl. den Nekrolog >. 15 W dieser Nummer. 

Therapeutische Notizen. 

I Bis (iiit der Eklampsie stammt muh den rtuic'cn l uu- 
suchungeii, wie Liepmann i I her. M* uaisli. 4. <-> m einem Ver¬ 
trage hervorhebt, zw cik h>*s aus vier Plazenta. M.t du vvr Vuitassu^ 
kann man alle Iahe \<m t k.ati$tfMc. aiuh d;e im V\ .hv nK :t. er¬ 
klären. Aus ihr ergibt suh .null die De ^ I e lhe’a['ie. die v t-rtue l rvt* 
bnnlimg der I ran. I me Zus.irmncnMt .ha*g uo B u tu m v, hen Ma¬ 
terials eigab bei abwarUmicr I lurapie 2- 5o Pr<-z. M r\i tat. bei 
soiortiger L.iitbnulung J. s L s IVz. Kr. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M u n e It c n. 2»». Juli f 

Auf (irmul v >11 V ere ml'.n irngeii /w ivhe n de n beteiligten 
Bundesregierungen ist eine ..Anweisung aber d a s prak¬ 
tische Jahr el e r Mediziner“ e ntstamiui. de >e t/t hi\li I r- 
Iass des pt eusisc iie n Mevlizma iimmste r s von, 7 v's M'.s. uf’.t 

Wird. Duiv.li dieselbe w erden genaue I k Mim.niüue n ge ir-dten ober 
ehe Anstalten, in denen bis pras tis v lie lahr abge .e mtet w ir el und 
insbest uielei e über eile Le v h.tttigimg und Nus; ,..a;pg ep.r Kandidaten. 
Wir wer eien ehe Anweisung demnächst /em Vodiuk hrnuem 

Der Regtet ungspr aside nt in I rier hat eine Ve't.gung er¬ 
lassen, w < ui.iv Ii den K i e is.it / teil v*>it a je n gerichtlichen und 
polizeilichen Bestrafungen von M e d i z i n a ! p e r s o - 
Ilen Mitteilung zu machen ist. Der YuNvOUck . Me .h/m.i pc’ >. ntn' 
ist ela bei im weitesten Sinn zu fassen und d.r u::M picht a.ekt die 
Aerzte. Zahnärzte. Apotheker. Heb.Hpb.en und smlM ge in vite Ile n- 
persttuen. soiulern aiuh elas ködere He i pe r s. r;a . wie Hei ge io h n. 
Masseure. Krankenwärter. De viiiie st< • : e n und I e ic he ns doou * zu K- 
greifen. Auch von ei e r Link düng im.l eie m \us v a:ue v-n M'.itver- 
fahren ge gen Kurpiiiseher s»'4t.ic g. gen \.bur\v: -ifo s v r id 
eleu Kreisärzten seitens der !’• -Iize b e•: deu re K e .r: aw.g M'tte i rmg 
zu machen. (Dieser zwe\k;iMssgf | • ..ss w ndc sich /ur a .ge¬ 
meinen Dur diiuhr ung sehr empiee ü.■ 

Im v er eln-nstv »vile-s l nie r i e r,m< n w ; : d v v « -:n Ibe¬ 
rischen K iiltusniimster mm vm bef^de t. m.m..c h vbe He ernte s 

Ges a m t k a t a I <• g s a i| e r v «• n e! e ii g t <. s s e r e u. uu it m 
reinem Priv atbesitz beünd'idit n B i b ' i •• t h e k c ti v! e s 1 a im! e s 
gehaltenen Z e i t s e h r i t t e n. I'iig'i d a sui < Je samtkata'-,g 
w i rel ermoglulit werden, ohne M ' e K d.'imo . \n, ,,|> e.i’e gesuchte 
Zeitschrift in einer bav erisdie u I d :• :i.ek idw • h.mpt v.-'han feil ist. 
bezw . aus w e Idier anderen l'dn-theK e.n 1 .am.! event. bez -gen wer¬ 
den kann, w enn er in der i iki! aus^e .ie'hen ist. f -,r ,re medi¬ 
zinischen Bibaothcken W.iulicr.s wird e.n S'-kher Kataa-g be¬ 
reits seit einer Ruhe von Jahren vAcr/.t..when V e'e:n Map.dien 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 






1\. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1567 


bearbeitet. Durch die Ausdehnung auf alle Wissenschaften und auf 
das ganze Land wird die Brauchbarkeit eines solchen Verzeichnisses 
noch sehr erhöht. 

— Die an anderer Stelle dieser Nummer veröffentlichte Ueber- 
sicht über die Frequenz der deutschen medizinischen 
Fakultäten im laufenden Semester lässt eine weitere erhebliche 
Zunahme der Zahl der Medizinstudierenden erkennen. Die Frequenz 
überschreitet jetzt wieder 8000; seit dem Jahre 1892 ist eine so hohe 
Frequenzziffer wie in diesem Semester nicht mehr vorgekommen. 
München hat den Vorsprung, den es als von Medizinern am meisten 
frequentierte Fakultät voraus hat, noch vergrössert (wobei zu be¬ 
rücksichtigen ist, dass in unserer Liste die Studierenden des Kaiser- 
\\ iihelm-Instituts in Berlin nicht inbegriffen sind). Bemerkenswert 
ist die starke Zunahme der Frequenz in Freiburg. Würzburg, früher 
eine der besuchtesten medizinischen Fakultäten Deutschlands, steht 
jetzt an 6. Stelle, trotz der Ansicht verschiedener Redner in der 
bayerischen Abgeordnetenkammer zweifellos eine Folge seiner un- 
—idernen klinischen Einrichtungen. 

_ Wie gewisse „wissenschaftliche Arbeiten“, durch welche Heil¬ 
mittel und Nährpräparate empfohlen werden, zustande kommen, 
nahen wir vor einiger Zeit durch Bekanntgabe eines, Briefes des 
Herrn Dr. Hans Fischer an eine chemische Firma gezeigt. Ein 
weiteres Beispiel finden wir in No. 3 des „Gesundheitslehrer“. 
Diesem wurde folgendes Schreiben zur Verfügung gestellt: 


Herr. in N 


Fiume, den .. 1908. 


Ich will Ihr Mittel, von welchem ich sehr viel Gutes gehört 
habe, erproben. Sollten meine Erfolge — wie ich hoffe — gut 
ausfallen. so bin ich gern bereit, meine Beobachtungen in Form 
einer wissenschaftlichen Abhandlung zu besprechen und in einem 
Fachblatte zu publizieren. Bitte Ihre werte Antwort, ob Sie die 
diesbezüglichen Spesen, welche 120—130 M. ausmachen, decken 
würden. Im bejahenden Falle bitte mir die Hälfte des Betrages 
ä conto einzusenden. Der Restbetrag ist sodann fällig nach Er¬ 
scheinen der Abhandlung. 


Hochachtend 

Dr. Schweitzer, Hafen-, Schularzt etc. 


Es ist wünschenswert, dass den Kollegen die Namen solcher 
Autoren, die geschäftsmässig die Empfehlung von Heilmitteln be- 
::jiben, möglichst bekannt werden, damit sie den Wert der von 
nnen stammenden Arbeiten zu beurteilen vermögen. 

_ Am Internationalen Tuberkulosekongress im 

btntember in Washington wird als Führer der Delegierten für das 
he ch der Geheime Obermedizinalrat und Vortragende Rat im Kultus¬ 
ministerium, Prof. Dr. Kirchner, teilnehmen. Um eine Verstän- 
: einig zwischen den deutschen Teilnehmern am Kongress herbei- 
. 'j uhren, ist es wünschenswert, dass alle, die nach Washington gehen 
vollen, ihre Adresse dem Schriftführer des Deutschen National- 
Komitees, Prof. Dr. Nietner, Berlin W. 9, Eichhornstr. 9, mit¬ 


te ien. 

— Einer aussergewöhnlich niedrigen Sterblichkeits- 
Ziffer erfreuten sich im abgelaufenen 2. Vierteljahr 1908 die 
englischen Städte. Die durchschnittliche Sterblichkeit von 
7b grossen englischen Städten mit einer Gesamteinwohnerzahl von 
]r, Millionen betrug im genannten .Zeitraum (auf das Jahr und 
>n Einwohner berechnet) 13,8, gegenüber 15,0 in der gleichen 
Ptnr.de der 5 vorausgehenden Jahre. An dem Rückgang ist wesent- 
. th beteiligt die Sterblichkeit an Infektionskrankheiten und die Kinder¬ 
sterblichkeit. Nicht ganz so günstig war die Sterblichkeit in 8 grossen 
schottischen (16,4) und in 22 irischen Städten (20,1). In London be¬ 
trug die Sterblichkeit 13,3, in Edinburg 15,5 und in Dublin 20,1. Mit 
de' berichteten Mortalität der englischen können sich unsere deutschen 
Stiidte leider noch lange nicht messen. 

— Den 50. Jahrestag des ersten Vortrags Darwins über 
K re Theorie der natürlichen Auswahl der Arten beging die Linne- 
d'.-Seilschaft in London am 1. ds. durch eine Festsitzung. In ihr 
vj den sieben Medaillen an Forscher, die sich um Darwins Lehre 
Inders verdient gemacht haben, verteilt. Es erhielten sie von 
rutschen Gelehrten: Ernst Haeckel, Eduard Strasburger 
j -d August W e i s m a n n, ferner die Engländer Dr. Alfred Rus¬ 
sell W a 11 a c e, Sir Josef D a 11 o n - H o o k e r, Dr. Francis Gal- 
i 'nundE. Ray Lankester. 

- Der Jahresbericht des Deutschen Kranken¬ 
hauses in Neapel für 1907,08 zeigt ein erfreuliches Blühen und 
Sachsen dieser gemeinnützigen Anstalt, in der im Berichtsjahre 
Kranke an 4940 Verpflegungstagen (Zunahme 15,7 bezw. 
212 Proz) verpflegt wurden, während 807 (+ 11,2 Proz.) ambulant 
.--handelt’wurden. Nur 58 (18,7 Proz.) der 309 Verpflegten waren in 
Stapel ansässig, die übrigen (81,3 Proz.) kamen von auswärts — 
^t'gnügungsreisende, Marinemannschaften, Handwerksburschen; 
212 waren Deutsche, 35 Schweizer. Weniger erfreulich zeigte sich 
, e Finanzlage der Anstalt, die zum grössten Teil von der ohnehin 
-jruer belasteten Deutsch-Evangelischen Gemeinde zu Neapel unter- 
njiten werden muss. Während die Selbstkosten für jeden Kranken 
'—9 L täglich betragen, sind die Verpflegssätze sehr niedrig: 
10 —15 l, je nach dem Zimmer, in de'r I. Klasse, 6 L. in der II., 


2.50 L. in der III. Klasse. Da nun die Zahl der Pflegetage in der 
I. Klasse um 7,6 Proz., in der II. Klasse um 6,6 Proz. zurückgingen, 
dagegen in der III. Klasse von 13,6 Proz. und in der Gratisklasse 
(Unbemittelte der an das Krankenhaus einen Beitrag leistenden 
Staaten) um 0,6 Proz. stiegen, während gleichzeitig die stärkere 
Belegung auch Mehrausgaben für Wohnungsmiete etc. veranlasst, 
ist die notwendige Folge ein Defizit, dessen Deckung der Gemeinde 
zur Last fällt. Unter den Zuschüssen von auswärts sind zu er¬ 
wähnen 200 L. von S. K. H. dem Prinzregenten Luitpold, je 1000 M. 
vom Auswärtigen Amt und vom Nordd. Lloyd, 600 L. von der Schwei¬ 
zer Eidgenossenschaft etc. 

— Dr. Bandelier, bisher Chefarzt der Heilstätte Kottbus, ist 
einem Ruf nach Görbersdorf als II. Arzt in Dr. W c i c k e r s Lungen¬ 
heilanstalten gefolgt. 

— Auf dem IV. Internationalen Kongress für 
Thalassotherapie in Abbazia, 28. bis 30. September 1908, 
werden folgende Referate erstattet werden: 1. Die Anzeigen und 
Gegenanzeigen der Seebadekur bei der Behandlung von Fällen der 
Chlorose und Anämie. Referenten: Dr. B a r b i e r - Paris und 
Dr. H ä b e r 1 i n - Wyk. 2. Die Anzeigen und Gegenanzeigen der 
Seebadekur bei der Behandlung von Frauenkrankheiten. Referenten: 
Dr. Lavergne - Biarritz und Dr. Sadoveanu - Costanza. 

3. Die während einer Seebadekur notwendigen diätetischen und 
hygienischen Massnahmen. Referent: Dr. Karl Gmelin-Föhr. 

4. Vergleichende Analyse des Wassers verschiedener Meere; über 
die Elemente dieses Wassers, welche in der Luft schweben und 
deren therapeutischen Wert. Referent: Sanitätsrat Dr. Hennig- 
Königsberg. 5. Ueber die verschiedenen Meeresklimate und die Be¬ 
dingungen ihrer Wirksamkeit. Referent: Prof. Julius Glax. — 
Vorsitzender des Organisationskomitees ist Prof. Glax- Abbazia. 

— Der nächste Zyklus der Ferienkurse der Berliner 
Dozentenvereinigung beginnt am 1. Oktober 1908 uritl 
dauert bis zum 28. Oktober 1908 und die unentgeltliche Zusendung 
des Lektionsverzeichnisses erfolgt durch Herrn M e 1 z e r, Ziegel¬ 
strasse 10/11 (Langenbeck-Haus), welcher auch sonst hierüber jede 
Auskunft erteilt. 

— Am K. zahnärztlichen Institut der Universi¬ 
tät München hält der I. Assistent Zahnarzt Cieszynski 
vom 9. September bis 17. Oktober drei Ferienkurse ab, und 
zwar Klinik für Zahn- und Mundkrankheiten, Kursus der lokalen und 
Leitungsanästhesie und Kursus der zahnärztlichen Röntgenologie. 
Näheres durch den Kursleiter. 

— Nach einem von Herrn Prof. F. Hofmeister in Strass¬ 
burg i. E. angeregten Uebereinkommen verschmelzen die bisher von 
ihm herausgegebenen, im Verlag von Fr. V i e w e g & S o h n. Braun¬ 
schweig, erschienenen „Beiträge zur chemischen Physiologie und 
Pathologie“ nach Abschluss des XI. Bandes (Anfang Juli) mit der 
„Biochemischen Zeitschrift“. Die „Biochemische Zeit¬ 
schrift“ beendet gleichzeitig ihren XI. Band, so dass in der Bandzahl 
der Journale keine Unterbrechung eintritt. Herr Prof. F. Hof¬ 
meister tritt in das Herausgeberkollegium der „Biochemischen 
Zeitschrift ein, die weiter von C. Neuberg -Berlin redigiert und 
von Julius Springer, Berlin, verlegt wird. Die bisherigen Mit¬ 
arbeiter der „Beiträge“ haben grösstenteils ihre Mitwirkung der 
„Biochem. Zeitschr.“ zugesichert. 

— Zur Feier des 25 jährigen Doktorjubiläums H. J. Ham¬ 
burgers gibt die „Biochemische Zeitschrift“ einen 
448 Seiten starken Festband heraus, der durch eine Biographie 
Hamburgers von Ernst Cohen eingeleitet wird und dem das 
Porträt des Jubilars in Heliogravüre beigefügt ist. 

— Von der 4. Auflage von Eulenburgs Realenzyklo¬ 
pädie der gesamten Heilkunde liegt jetzt bereits der 
4. Band vor (Diphtherie—Fibrom). Der Fortgang des Werkes ist 
also ein sehr flotter. Von grösseren Artikeln des Bandes erwähnen 
wir Diphtherie, bearbeitet von B a g i n s k i, Disposition von v. Han- 
s e m a n n, Dysmenorrhöe von K r ö n i g, Eierstock von Martin- 
J u n g, Elektrodiagnostik und -therapie von R e m a k. Endokarditis, 
früher von O. Rosenbach bearbeitet, ist jetzt von Kraus be¬ 
handelt; Entzündung, bisher die bekannte klassische Abhandlung 
W e i g e r t s, ist von R i b b e r t neu bearbeitet. Dem Band sind 
neben vielen Abbildungen im Text 8 meist farbige Tafeln beigegeben. 

Cholera. Britisch-Ostindien. In Kalkutta starben vom 3t. 
Mai bis 6. Juni 52 Personen an der Cholera. — Philippinen. Vom 
3.—30. Mai ist in Manila nur noch 1 tödlich verlaufener Cholerafall 
vorgekommen. Dagegen sind aus den Provinzen 734 Fälle, von denen 
526 einen tödlichen Ausgang nahmen, gemeldet worden. 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 21.—27. Juni 13 Per¬ 
sonen an der Pest erkrankt (und 6 gestorben einschliesslich 2 tot 
aufgefundener), seit dem 7. Mai insgesamt 68 (36). — Aegypten. 
Vom 20.—27. Juni sind 30 Personen an der Pest erkrankt (und 
13 gestorben). — Britisch-Ostindien. Während der Woche vom 31. 
Mai bis 6. Juni sind in ganz Indien, ausschliesslich des Staates 
Mysore, für welchen Nachrichten noch nicht vorliegen, 1400 Erkran¬ 
kungen und 1198 Todesfälle an der Pest zur Anzeige gelangt. — China. 
Laut Mitteilung vom 9. Juni hat die Seuche in Amoy seit einigen 
Tagen eine epidemische Verbreitung gewonnen. Einer Mitteilung 
vom gleichen Tage zufolge haben letzthin täglich etwa 8—12 in 


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1568 


MUENCHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


SY*, *>. 


Hongkong an der Pest erkrankte Kantonesen mit den regelmässigen , 
Dampfern die Rückreise in ihre Heimat angetreteii; etwa 75 Pro/, 
von ihnen konnten nur als Leichen in Kanton gelandet werden. Die 
Zahl der durch Dschunken zurückbeförderten Kranken ist nicht be¬ 
kannt. In Kanton selbst hat die Pest bisher sehr geringe Opfer 
gefordert und cs besteht daher die Hoffnung, dass dort der dies¬ 
jährige Seuchenausbruch milde sein wird. — Japan, ln und bei 
Osaka sind vom 10. Mai bis (>. Juni IN Personen an der Pest er¬ 
krankt und 17 gestorben. 

— ln der 27. Jahreswoche, vom 2S. Juni bis 4. Juli Ions, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Linwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Beuthen mit 35,4. die geringste Duisburg mit 5.N Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Linwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gc- 
storbenen starb an Scharlach in Beuthen, an Masern und Rollen m 
Essen, Elensburg, Heilbronn, Kaiserslautern. Koiiigshutte. an Keuch¬ 
husten in Buer, Elberfeld, Oberhausen. V. d. K. G.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Zum ordentlichen Honorarprofessor in der hiesigen 
medizinischen Fakultät wurde der a. o. Professor für innere Mcdi/m 
daselbst, dirigierender Arzt am Augustalmspital, (ich. Med. -Rat Dr. 
Anton E\v a I d, ernannt. 

Giessen. Habilitiert: Dr. med. Anton Sitzcnirev. Assi¬ 
stenzarzt an der Frauenklinik für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Güttingen. Dr. Bornstein, Assistent am Stoiiw cchsel- 
laboratorium der Klinik für psych. und Nervenkrankheiten hat suh 
mit einer Probevorlesung über die Respiration der Geisteskranken i 
für Neurologie und Psychiatrie habilitiert. 

Heidelberg. Habilitiert hat sieh Dr. med. Otto Ranke mit 
einer Probevorlesung „lieber den heutigen Stand der Histopathologie 
der Hirnrinde“. 

Marburg. Der Abteilungsvorstand am Institut für Mvgicnc 
und experimentelle Therapie der Universität Marburg. Prix. -Do/. 
Prof. Dr. Paul Römer, wurde zum ausserordentlichen Professor 
ernannt. 

M ii n c h c n. Zum Rector magnificus für das Jahr l'flis no w urdc 
Obermedizinalrat Prof. Dr. v. Bollinger gewählt. 

S t r a s s b u r g. Prof. Extraord. Dr. Bayer wurde von der 
medizinischen Fakultät zum ordentlichen Honorarprofessor ernannt. 

Cambridge (U. S. Muss). Dr. Fr. S. N e w eil w in de /um 
Adjunktprofessor der Geburtshilfe und Gynäkologie au der Harvard¬ 
universität ernannt. 

Charkow. Der ausserordentliche Professor der Kinderheil¬ 
kunde, Dr. J. V. Troitsky, wurde zum ordentlichen Professor 
ernannt. 

Neapel. Dr. G. D’E n i c o habilitierte sich als Privatdo/cnt 
für experimentelle Physiologie. 

Sassari. Der ausserordentliche Professor der Physiologie. 
Dr. Gr. M a n c a. wurde zum ordentlichen Professor ernannt. 

Berichtigung, ln No. 2s, S. 1513 ist statt Herr .1. C i t r o n 
zu lesen: Herr J. C i t r o n und Herr K. Reicher. 

Zur Ehrung des Andenkens ihres am 8. XII. 07 zu Danzig ver¬ 
storbenen Bruders, des Augenarztes Dr. Rudolf Stofe r haben 
dessen drei Schwestern, Fräulein Marie. Wilhelmine und Johanna 
S t ö f e r, unter dem Namen „Stoferstiftung“ für die Witwenkasse 
der Versicherungskasse f ii r die Aerzte Deutschlands 2imhio M. ge¬ 
schenkt. W'ir danken den hochherzigen Stifterinnen iur diese Gabe 
aufs herzlichste und werden, sobald die Stoferstiftung die Königliche 
Genehmigung erhalten hat, über deren Zweck und Verwendung wei¬ 
ter berichten. 

Das Direktorium der Vcrsicheriingskasse f ii r di e 
Aerzte Deutschlands a. G. zu Berlin. 

Berlin, 9. VII. 08. Bensch, Obmann. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Verzogen. Dr. E. W e i n b r e n n e r, Assistenzarzt an der 
Privatheilanstalt Herzoghöhe zu Bayreuth, seit 1. Juli IW Assistenz¬ 
arzt an der Kgl. wiirtt. Heilanstalt Schusscnricd. 

Ernannt. Der einjährig-freiwillige Ar/t Dr. Eduard Mo- 
litor des 7. Fcld-Art.-Reg. zum Unterarzt im 2. Cliev.-Reg. und 
mit Wahrnehmung einer offenen Assistenzarztstelle beauftragt. 

Gestorben: Dr. Johann Merkel, K. Hof rat in Nürnberg. 
72 Jahre alt. — Dr. Hugo Mott, K. Bezirksarzt zu Nabburg. 
59 Jahre alt. 


Korrespondenz. 

Schwestern als Zutrelberlnnen für ein Speziallaboratorium fiir stuhl- 
analytische Aufgaben. 

In einer unter diesem Titel in No. 25 d. W’. erschienenen Zu¬ 
schrift war ein Artikel der offiziellen Mitteilungen der Berufsorgani¬ 
sation der Krankenpflegerinnen Deutschlands „Unterm l.a/aruskrcu/“ 
beleuchtet, in dem von der Verlegenheit die Rede war, in welche nach 


der Erfahrung der Schwestern \ r z t und Pia ge geraten. Wei'tt t. s vJi 
um genaue Intel suehung des Stuh'cs m.igciui.u mk: atike r P.r.a k:; 
handelt, und s<d Jic Patienten, die I te; n \oii >atJg m ge u et* at.:.,e- 
forelert wurden, Muh.anaix se n durch das >pe/u. .ab..rat a um m 
Kot/sehciibroda-Urcsdcii austuhten zu lassen. Mit BtJfcg aut t‘o 'e 
Zusehrift schreibt uns Herr Dr. I halw it/cr m K T/v ht: nr- 

. Dass die Pflegenn se Ibst.nielig ehe \oru.ihmc \*»n >tui af.ä’.'. -e -i 

anoi einen oder bei den I ‘tle glingeW \ ->n sah aus p’*»\$«$it. s 
ist w eeler meine \bsivht. mali bei tun «»r^ar.js den P. t.et‘"e ; 
w alir scheiiüv h. noeh liegt es mtu r {(ab der Onr N.it'c lit; ".s | . • - 

ratoriums. Im Oe geiiu n! Wir ;r beiten g r u n il s a t / i i c ii irr : 

Aet/teii. I nsere Aii.iin se :uut.u liten geben wir g r u n d s .t t z ’. : „ h 

nur an Aerzte oder \oii dusen au*, ege! e ne \d r e ss t u!" 

Wir geben \oit eilest m \ ••dst.oi.iig k ■> r * e k 1 1 n **!.indfsg'*k! g- 
Kenntnis, betonen abei. elass der tpi. Vfiikcl su h naht ge < n .s 

stuhhiiuK tis*. he I .ab iratormm. v*iu!ct n gegen o.ts seine l*w«*:.g" - se 

n be - r s^ hf eilende Grg.m e!er K r anke np:\ ge r ir.ru n I V $§*>«. s 

richte te. 


Generalkrankenrapport Ober die K. Bayer. Armee 

ftir den Monat Mai l‘*>s. 


Iststärke des Heeres: 

723s2 Mann, 1 <>2 Kaelctten, 147 Untcrofti/icrsvorschulcr. 




Mm 

Kadetten 

Unteroinf ■ 
vondräler 

1. Bestand waren 



' 

am 3o. April 1908: 

\3st* 

- 

f» 


im Lazarett: 

1312 

) 

3 

2. Zugang: 

im Revier: 

l.*vV. 

5 

— 

in Summa: 

2n98 

7 

3 

1m ganzen sind behandelt: I 

42M 

7 

9 

°/*o 

der Iststärke: 

59.2 

43,2 

M2 


dienstfähig: 

°/t»der Erkrankten: 

2719 ’ 

7 

t> 


KU.7 

11 • BM 1 

600.7 


gestorben: 

1«» 

— 

— 


w /«oder Erkrankten: 
dienstunbrauchbar: 

2.3 

— 



mit Versorgung: 

5n 

— 

— 

3. Abgang: 

ohne 

Auf Orand vor der 
FJnflrilang in dm MUHAr- 
dirmt vorhandm iwrm- 
ner Lddm ilt dimtin- 





braadibAr erkannt and 
mtUtten: 

♦t 

_ 



anderweitig: 

135 

— 

— 


in Summa: 

2**4n 

7 

c» 

4. Bestand 
bleiben 

31. Mai 1908: 

in Summa: 

°/oo der Iststärke: 

l.kVi 

18.5 


3 

2«‘.4 

davon im Lazarett: 
davon im Revier: 

HG4 

**02 

— 

3 

Von den in 

Ziffer 3 ;mfcriidirteil Gts'.abtiu 

n ! ,t , u 


Bliiuld.il mciit/muimig 2. >*. plö .eine 
kl.lppellfelik r 1. 1 litt •' leibstN pluis 

2. Mi: ii'i.tw: 


g L Hc:- 

1. 1 mut'V' 

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tuberkulöse 1 mul k "ptkno v henbr iu !i 

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Behandlung cmlt tt n 4 durah >■ d <a 2 tli 

i • v b t -V. 

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r < it v.cntN t-riii^t tief 

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a !r ug 2, • 

mich im Moii.it 

M.u 14 M.iim. 





Ueberelcbt der SterbeflUle In München 

während der 27. Jahreswoche vom 2v Juni bis 4. Juli F*){v. 

Bevölkerungszahl 55oonO. 

Todesursachen: Angeborene Lcbcnsschw. (1. Leb -M l o .12 , 
Altcrsschw. <üb. (n) J.) 5 <3t, Kmdbcttficbcr 1 t , and. Folgen der 
Geburt 1 (H Scharlach 2 ( ), Masern u. Röteln I i2 , Diphth. u. 

Krupp 1 ( —). Keuchhusten - (D, Typhus 1 ( ). ubertragb. Tierkrankh. 

— Rose (Erysipel) 1 (I), and. W'undinfcktionskr. ttinschl. Blut- 
U. Eitervergift.) — (4», Tubcrkui. d. Lungen 25 *2o. Tubcrkul. and. 
Org. 4'bO. Miliartubcrkul. - (- \ Lungcncntzünd (Pncurn *n.) 12 1 1 
Influenza — (--', and. Übertrag!). Krankh. 4 p*. Entzünd d. Atmungs¬ 
organe 1 (4 1 . sonst. Krankh. dcrsclb. < D, organ. Hcrzleid. 15 <l"), 
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (cinschl. Herzschlag» 5 «n, Gehirnschlag 

5 ((>), Geistcskrankh. — ( ), Fraisen, Eklamps. d. Kinder — <3), anJ. 

Krankh. d. Nervensystems 5 (41, Magen- u. Darrn.-Kat.. Brechdurchfall 
(einschl. Abzehrung^ 3s (2'0, KranKh. d. Leber 3 i2». Krankh. d-s 
Bauchfells 2(11, and. Krankh. d. Verdauungsorg. 7 <4i, Krankh. d 
Harn- u. Qcschlcchtsorg. 0(3», Krebs (Karzinom, Kankroid) 1" (1 ). 
and. Neubildg. (einschl. Sarkom>3 i.o, Selbstmord 5 Tod durch 
fremde Hand 1 (—). Unglucksfalle f» «2». alle übrig. Krankh. 4 (2) 

Die Gesamtzahl der Stcrbcfaiie l*G (1^4). Verhaitmszahl auf das 
Jahr und linx» Einwohner im allgemeinen 17.1 (17.2), für die über 
dem 1. Lebensjahre stehende BevciKcrung 12.2 (12,1). 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche 


Verlag von J. F. Celnn am* in M<tiu i*«-*i - Orurfc *nn f Muhuhiicr» Poch- um) K»i-»ui* u, kr?ri A ü . M sn* 

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tte Mfincfaener MwfizfnJsche Wochenschrift erscheint wöchentlich 
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Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

CUMüf, l.T.Sillinger, fl.Corscbian, HJellerieh, V.r.Leabe,6.r.Rerkel,J.r.licliel, F.PenziIdl, fl.r.Ranks, B.Spatz. F.r.Vinekil, 

München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Ehenadi. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 


No. 30. 28. Juli 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet) 


Originalien. 

Aus der medizinischen Klinik in Strassburg. 

Ueber Entfettung durch reine Milchkuren. 

Von F. Moritz. 

Seit einem halben Jahre wende ich zur Entfettung aus¬ 
schliesslich Milchkuren an. Das Vorgehen ist folgendes: Je nach 
der Körpergrösse des Kranken kommen im allgemeinen 2A bis 
1 y* Liter Milch täglich zur Aufnahme. Ueber die nähere Be¬ 
stimmung, mit wie viel Milch man beginnen soll, verweise ich auf 
die unten folgenden Ausführungen. Findet man den Gewichts¬ 
verlust zu rasch — das Gewicht des Kranken muss fortlaufend 
kontrolliert werden, der Kranke muss sich besonders im An¬ 
fang alle paar Tage dem Arzt vorstellen — so erhöht man etwas 
das Milchquantum, oder aber man erniedrigt es entsprechend 
im umgekehrten Falle. Oft kann man während der ganzen 
Kur bei der anfangs gewählten Milchmenge bleiben. Die Milch 
wird in der Regel in 5 Portionen getrunken, bei 2 Liter Auf¬ 
nahme z. B. Vi 8 Uhr A Liter, 10 Uhr % Liter, 1 Uhr X A Liter, 
4 Uhr K Liter, 7 Uhr l A Liter. Die eine oder andere Portion 
kann auch als saure Milch genossen werden. Bei guter Milch¬ 
quelle und erwachsenen Personen erlaube ich auch rohe Milch, 
im allgemeinen ist gekochte vorzuziehen. Die Milch wird kalt 
oder warm, je nach dem Geschmack des Kranken, getrunken. 
Besteht bei den kleinen Milchquantitäten, VA bis VA Liter, 
noch Durst, so lasse ich noch bis zu % resp. X A Liter Wasser 
trinken, resp. die Milch mit diesen Mengen verdünnen, so dass 
im ganzen die Flüssigkeitsaufnahme auf 2 Liter kommt. Ausser 
der Milch mit eventuellem Wasserzusatz wird nichts 
anderes gestattet. 

Die Erfolge dieses Vorgehens stehe ich nicht an, als aus¬ 
gezeichnete zu bezeichnen. Der Gewichtsverlust ist meist ein 
sehr beträchtlicher, ohne dass die Kranken Durst zu leiden 
brauchen öder, trotz bedeutender Unterernährung, von be¬ 
sonderem Hunger gequält werden. Es ist ja bekannt, dass der 
Milch die Eigenschaft stark zu „sättigen“ zukommt. 

Dass das beschriebene Vorgehen das Gegenteil von einer 
Durstkur ist, halte ich für einen wesentlichen Vorzug. Ich bin 
der Ueberzeugung und habe dahingehende Erfahrungen*, dass 
gerade durch rigorosen Eliissigkeitsentzug manche Fettleibige 
geschädigt und an der Durchführung einer Entziehungskur ge¬ 
hindert werden. Eine die Fettzersetzung anfachende Wirkung 
von Durstkuren ist in keiner Weise erwiesen. Im Gegenteil 
wird neuerdings von ernsthafter Seite auf eine die Zersetzungen 
steigernde Wirkung gerade von abundanter Wasserzufuhr hin¬ 
gewiesen *). 

Abgesehen von der Promptheit des Erfolges sehe ich 
weitere besondere Vorteile solcher Entfettungsmilchkuren in 
folgendem: 

Sie sind ausserordentlich einfach für den» Arzt, wie für den 
Kranken. Eine der komplizierteren Diätvorschriften, wie sie 
für Entfettungskuren üblich sind, dem Kranken vorzuschreiben, 
ist auch dem in der kalorischen Betrachtungsweise der Nahrung 
erfahrenen Arzte gewöhnlich eine nicht ganz leichte Aufgabe. 
Von Aerzten, die in diätetischen Dingen weniger erfahren sind, 
wird sie häufig nicht richtig gelöst. 

Nicht minder lästig und schwierig pflegt es dem Patienten 
zu sein, die quantitativen Vorschriften bezüglich einer gc- 


’) Heilner: Zeitsclir. i. Biol., Bd. 49, S. 373, 1907. 

No. 30 


mischten Kost richtig zu befolgen. Die appetitanregende Wir¬ 
kung zubereiteter Speisen lässt ihm überdies den Hunger, auf 
den alle Enitfettungsdiätkuren hinauslaufen, besonders fühlbar 
werden. 

Weitere Vorzüge der Milchentfettungskur sind in ihrer vor¬ 
züglichen Anwendbarkeit auf herzschwache und herzkranke, 
sowie nierenkranke Individuen gelegen. 

Die Abneigung, die manche Menschen gegen Milch haben, 
bietet nach meiner Erfahrung praktisch nur ganz selten ein 
Hindernis. Der rasche Erfalg der Kur macht auch anfänglich 
widerstrebende Individuen in der Regel ihrer Fortführung ge- 
geneigt. Der Arzt, der sich erst einmal von den Vorzügen 
der Milchkur überzeugt hat, wird übrigens seine Zuversicht¬ 
lichkeit und Entschiedenheit auch auf den Patienten übertragen 
können. 

Das Tempo, in- dem man die Entfettung vor sich gehen 
lässt, richtet sich nach dem Befinden des Kranken. Die Ge¬ 
wichtsverluste der ersten Tage sind nicht massgebend. Sie 
beruhen trotz der nicht unbeträchtlichen eingeführten Wasser¬ 
mengein hauptsächlich auf Ausscheidung im Körper retiniert 
gewesenen Wassers. Es geht dies unzweifelhaft aus ihrer 
Grösse hervor, die ein Kilogramm täglich und mehr betragen 
kann. Auf Fettzerfall bezogen würde sich aus ihnen ein ganz 
unmöglicher Kalorienverbrauch ergeben. 

Nach kurzer Zeit stellt sich aber dann der tägliche Ge¬ 
wichtsverlust auf eine geringere Grösse ein, die dann während 
langer Zeiten annähernd gleich bleiben kann und nun durch 
Einschmelzung entsprechender Mengen von Körpergewebe be¬ 
dingt ist. 

Nicht jeder Fettsüchtige erträgt eine Entfettung gleich gut. 
Ich betone aber, dass die Mehrzahl meiner Erfahrungen zeigt, 
dass die betreffenden Individuen sich bei der auf die beschrie¬ 
bene Weise vorgenommenen Entfettung wohl fühlten- und ihrem 
zum Teil anstrengenden Berufe nachgehen konnten. Im ganzen 
habe ich ihnen den Rat gegeben, sich während der Entfettung 
körperlich ruhig zu verhalten. 

Eine Unbequemlichkeit ist die bei ausschliesslichem Milch¬ 
genuss in der Mehrzahl der Fälle auftretende Stuhlverstopfung. 
Man muss ihr mit Einläufen oder leichten Abführmitteln be¬ 
gegnen. 

Ein Teil der Patienten klagt im Anfang über leichte Kopf¬ 
schmerzen-, im weiteren Verlauf werden manchmal Rücken¬ 
schmerzen, auch eine gewisse Mattigkeit angegeben. 

Vorteilhaft ist es, dass der Patient mit der Milchkur ein 
einfaches Mittel in die Hand bekommt, um sich nach ent¬ 
sprechender Gewichtsabnahme auf dem erreichten niedrigeren 
Gewicht zu halten. Er muss sein Gewicht von Zeit zu Zeit 
kontrollieren und, wenn Zunahme zu bemerken ist, durch ge¬ 
legentlich eingeschobene Milchtage wieder entsprechend redu¬ 
zieren. 

Reine Milchkuren sind bekanntlich von K a r e 11 für Herz¬ 
kranke und zwar besonders zur Beseitigung von Oedemen 
empfohlen worden 3 ). Ihre vorzügliche Verwendbarkeit auch 
zur Einleitung von Entfettungskuren ist kürzlich von Jacob 
aus der Lenhartzsehen Abteilung des Eppendorfer Kran¬ 
kenhauses hervorgehoben worden 3 ). Schon vor längerer Zeit 
hat der Belgier Tarnier reine Milchkuren als Entfettungs- 

J ) Archivcs generales de m6decine 1868. 

*) Münch, med. Wochenschr. 1908, No. 16. Der Beginn meiner 
Beobachtungen über Milchentfettungskuren liegt einige Monate vor 
dieser Publikation. 


Difitized b 1 


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1570 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3". 


kuren angewendet*). Die Milehmengcn, welche diese Autoren 
verordnen, sind aber noch wesentlich geringer, als die von 
mir in Anwendung gebrachten, so dass jene Kuren sich nicht 
für eine durch längere Zeit hindurch fortzusetzende Entziehung 
eignen dürften. Auf keinen Fall ist die besondere Eignung von 
Milchkuren speziell zur Bekämpfung der Fettleibigkeit irgend¬ 
wie allgemeiner bekannt. Und ich lege aus den angegebenen 
Gründen Wert auf die „reine“ Milchkur auch im weiteren Ver¬ 
laufe, nicht bloss als Einleitung zu einer anderen Entfettungs- 
diät. Ip modernen Monographien über Fettsucht (z. B. 
v. Noorden, in Nothnagels Handbuch der spez. Pathol.) 
ist die Milchkur als solche überhaupt nicht erwähnt. Zu meiner 
ersten, mich geradezu frappierenden bezüglichen Erfahrung bin 
ich denn auch auf Grund theoretischer Ueberlegungen ge¬ 
kommen. 

Es handelt sich um einen 133,5 k« schweren Herrn (s. Tabelle 1. 
Eall 1, G. Th. f und Tabelle 2), der schon als ganz junger Mensch 
sehr fettleibig, im ganzen aber immer sehr rüstig und leistungsfähig 
gewesen war. Vor ca. 5* Jahren Influenzapneumonie mit lang¬ 
samer Rekonvaleszenz. Von da ab ausgesprochenere Herzbeschu er¬ 
den, die zu Digitalisanwendung veran'assten. Eine Entfettungskur (ge¬ 
mischte Kost) mit Eliissigkeitsreduktion bekam ihm schlecht, 
Die Herzbeschwerden (Dyspnoe beim Gehen, Mattigkeit usw.) wur¬ 
den erst recht deutlich. Schon früher waren I ntiettungskiiieil 
schlecht bekommen. Es hatten sich im Anschluss an dieselben An- 
itille von paroxysmaler Tachykardie eingestellt, die von da ab wah¬ 
rend einiger Jahre in verschieden grossen Intervallen auftraten. 
Anfang Januar 1908 war die Situation recht bedenklich geworden. 
Schon geringe Anstrengung führte zu Dyspnoe und Ermüdung, stau¬ 
ungshusten, besonders abends im Bette. Unruhiger gestörter Schlaf. 
Seit Monaten, während welcher Zeit wiederholt ohne nachhaltigen 
Erfolg Digitalis gebraucht war, geringe Albuminurie, hyaline Z\ lin¬ 
der. Blutdruck 160 bis 170 mm Hg (R i v a - R o c c i). Buls tu Ruhe 
84 bis 96, im Stehen und nach geringer Bewegung meist über lim. 
Herztöne leise und undeutlich, ausgesprochener üalopprhvtlmms. 
Mehrmals in der Nacht Urinieren, die Nachtmengen des Harns sind 
grösser als die Tagesmengen (Nykturie). Diese bedrohliche Situation 
änderte sich überraschend rasch, nachdem vom 25. 1. o<s ab unter 
Weglassung jedes Medikamentes täglich 2 Liter Milch als alleinige 
Nahrungs- und Bliissigkeitsaufnahme zugeführt wurden. Unter 
raschem Rückgang des Körpergewichts beruhigte sich der Puls, sank 
der Blutdruck, verschwand das Eiweiss, die absolute Herzdämpfung, 
die nach rechts bis zum rechten Sternalrand gereicht hatte, ging 
bis zum linken zurück, das nächtliche Urinieren wurde seltenei. all¬ 
mählich begannen die Tagesurinmengen die nächtlichen zu über¬ 
wiegen, der Stauungshusten verschwand, der Schlaf wurde tuhig, 
die Dyspnoe ging zurück, das Allgemeinbefinden wurde vortrefflich. 
Vom 25. I. bis zum 15. IV., in 81 Tagen erfolgte eine Reduktion des 
Körpergewichts um rund 21 kg. Der Kranke ist während seiner 
Kur ohne Unterbrechung mit ständig wachsendem Kraitgeiiihl seinen 
umfangreichen Geschäften als Leiter eines industriellen Etablisse¬ 
ments nachgekommen. 

Ich lasse die Hauptdaten dieses Falles und einiger anderer, 
die ich als Beispiele aus der wesentlich grosseren Reihe der 
von mir überhaupt beobachteten Fülle herausgreife, tabellarisch 
folgen. Es werden sich aus dieser Zusammenstellung eine 
Reihe von Gesichtspunkten ergeben, die noch erörtert werden 
sollen. 

(Tabelle I siche nächste Seite.) 

Als Annäherungswert für das „Normalgewicht“ eines 
Individuums habe ich in dieser Tabelle so viel Kilogramm an¬ 
genommen, als die Körperlänge Zentimeter über 1(mi beträgt. 
Einem Mann von 170 cm Körperläuge würde hiernach ein 
Normalgewicht von 70 kg zukommeii. Dieses „Normal- 
gewicht“ kann man - wieder natürlich nur in Annäherung 
als ein bequemes Mass fiir die an den Zersetzungen sich eigent¬ 
lich beteiligenden Körpermnsse benutzen, während man den 
unter dieses Normalgewicht hiiiausgeheitden Fettiibersclniss 
als an den Umsetzungen sich nicht beteiligenden Ballast be¬ 
trachtet. Eine solche Betrachtungsweise ist jedenfalls richtiger, 
als wenn man das ganze Körpergewicht eines Fettleibigen in 
gleichem Masse wie das einer Normalperson an den Um¬ 
setzungen beteiligt ansieht. Der Gewiclitsiiberschuss über das 
Normalgewicht ist im einzelnen Falle sowohl absolut als auch 
relativ angegeben. & ) 


0 S. Eulenburgs Realenzyklopädie, Artikel über Fettsucht. 
5 ) Die hier gemachte Annahme führt eher zu etw as hohen Wer¬ 
ten fiir das ..Normalgewicht“ (s. v. Noorden: Kapitel Fettsucht in 
Nothnagels Handbuch.'S. 3 u. 4), was aber für die vorliegende Be- 
” ichtimg nur vorteilhaft ist. 


Man bekommt besonders durch d.e letztere Zahl ein redn 
anschauliches Urteil über das relative Mass der Felde.bigkeit 
eines Individuums. Denn ein relativer < iew ichtMiberschuss \ * *n 
Z. B. 40 Pro/, bedeutet für jedes Individuum dasselbe, audi 
wenn er durJi ganz verschiedene absolute Gewichte datge- 
stellt wird. Die m der Milch dem Organismus angeborene« 
Kaloriennieugeii sa J in der Tabelle sowohl auf das tatsäch¬ 
liche als auf dtis Y*r:na!gcw iclit des u./elian Ii.d.v idmims 
verrechnet. Es erg.bt s;di dabei selbstv erstand!.ch. dass m 
bezug auf das Kilogramm Normalgvvv idit das ka!<»riei:a::gcb<»: 
teilweise sehr erheblich hdicr ist, als aut das Kilogramm tat¬ 
sächliches (iew ich:. Für J e u Voraussicht!! c h e II 
Effekt der Entfettungskur ist das Kalorien- 
a n gebot per Kling r a m m Nor m a ! g e w i c h t aus. 
s c h ! a g g e b e n d. 

Das hiervon unter Umstanden sehr abweichende KaorufU 
angelmt pro Kilogramm ta'.s.u hudies Gewühl ist weit wen.ger 
wichtig. (In dun vorher skizzierte i: lade war das Kadr.u:- 
augebot pro Kilo tatsächliches Gewicht lo.o. pm Kilo Noruui- 
gew icht aber 17,'s Kalorien.) Fis zeigt stdi nun bei Durchsicht 
der Tabelle, dass ein kralliger Ende ttungsefik kt fast durch¬ 
gängig zu verzeichnen ist, wenn das k ab Tiergebot pro Kd«* 
Normalgewicht H> 17 Kalorien betragt. Annähernd d:«.s L 
Kalorierimenge, nämlich 1(>.2 Kalorien, sind m 25 cun M;!di 
enthalten, wenn der Durchschmtisgehalt der Milch an Kalorien 

(>5n pro Liter angenommen wird. 

Diese Annahme ist bei einer guten \<d!:mldi zutreffend. 
Man erhalt also die v orausidithdi im im/eluen Fade zu 
energischer Entfettung passende taghelle Mi'dmuu gt ) m 
Kubikzentimetern, indem man den ZcutmietuubusJuss der 
Korperlange über 1 <hi mit 25 ,,H 'i multipliziert. Busp.G: 

Fan Mensch ist lsn cm gross. Man begann bei ihm zur Ent¬ 
fettung mit 4 2»hni ccm Milch; oder ein Mensch ist 

IGS cm gross. Man beginnt bei ihm mit 4 ’ 17"" cun 

Milch. Will man nicht mit 1<>.2 Ka!<*ikn pro Kd«*. wie es .mf 
diese Weise geschieht, sondern in niederer meist audi ge¬ 
nügender Weise mit ungefähr 17 oder l s Kai* r:eu Ikgmn.ei:. 
so legt man 110 J 1 Dh» resp. 2 ihi cun Mildi zu. Das wurde tu: 
diese Beispiele em Beginn mit 21"" oder 2d"> resp. jsim b.s 
EX Hl Milch bedeuten. 

Man wird um so eher von vornherein m:t d.eser Zulage 
beginnen, wenn man es mit einem rüstigen Ii.d.v ;Juu:n zu tun 
hat, das sich Bewegung machen kamt und zu m.iJuii genügt 
ist. Im Allgemeinen trillt dies mein bei Männern ,ds Ku Frauen 
ZU. Bei der anfangs gewählten Menge hiebt m.m. wei.u sie 
sich dauernd bewahrt, oder man geht ie nachdem etwas aul- 
oder abwärts. Der durchs», hn.ttiic he t.»gliche Gewichtsver¬ 
lust, den man bei längeren Kuren so erhalt, ist von Fall zu Fall 
nicht gleich. Fr betragt in de n arge fi.lu teil Be.spuk n 1-i" b.s 
2(>" g. Da wo siJi wesentlich fuhue |agujie < ie w tgk'sver- 
Inste- herausstellteii (Fall 3, 5, (>) handelte es s;di um kurz¬ 
dauernde Kuren, bei denen der W assgrv erlust sehr stark ms 
(iew iclit fallt. Das Dominieren des W asse rver lusies m dtn 
ersten lagen einer M.iclk nttettungskur zeigt s,di sehr deut¬ 
lich. wVun man die Gewichtsverluste m der. e rsti n mit dei en 
der folgenden läge-, z. B. m eie:, hauen 5, 4. 5. 7. s v ergle iclit. 
Der tägliche (iew k Im s\ er hist der ersten läge kann über 1 kg 
betragen (Fall 3, 5, "). I mg-, kehrt könne;; bei R.ickkelir von 
der Milchkost zu gemischter Nahrung :u w engen lagen a-ndi 
wieder Gewichtszunahmen von mehreren k »l« m statt- 
finden, die auch mir auf Wasser bezogen wer du: k *• een. 
Eine beweisende bezügliche De« duu litimg liefe: te mm Fall 1. 

Der Kr.mke, der bei regeln.iss-.;«.-*- \m•:,*rimiv \ - ui 2 I ter M,\ h 
f'-rtw .ihr eiul mul ziemlich gVi Jim.iss g an <uv. :d!( ,p : r hs\? 4 

die Km wegen einer gcsdi.it: iJati Reise a.n *> I.m nute rb-ida n 
I r ass und trank in diesen Ja K eJf sidi l'e-s n..ee Iw s v 

klingen ani/ner legen lind iialun m U:cHt k.r/e* /el i;n: 3,5 k s / n 
Linen lag nadi Ahsdnuss Jet K\ ue, a"i 5 •. II’.. nc ’t ..g s e ui » il - 
wicht ll\5 kg. Givtcll nadi lh-.r i gu* . .ie' Re.se, .»::, ju |||., 
hatte er wieeier mit 2 Litern Midi Ft g nun n: d Jas \ -r da an 
wieeler fortgesetzt. \ui 31. III lern ’.s w < ,er e -i Gek :du \ • n 
1 b*.5 kg. aisn 2 kg i iewrd;ts\ e: inst vui m. aut e:e:i 31. III und 

") I s empfiehlt ssdi in den Midien, wem r gei’.d moghdi. f e- 
S*ijulers gute Milch ans evta r U*»stiutgsta ngen V'. - >.•. • ci /n den' 
Milchkuren zu \ e; w enden. \;if dei. lande ist der | A ;:g giUcr 
Mi Ich ja leichter. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1571 


T a b e 1 1 e I. 





— 

Ä 

Ueber- 


Kalorienzufuhr 


_ 

.. 

-- fs* 


Geschlecht, 

Da- 

c 

o 

£ 

gewicht über 
das Normal- 

Milch- 

pro Tag 

Kur- 

uewichts- 




:CÖ 


menge 




abnah me 


z 

Name, 

tum 

fe 5 


gewicht 

pro 

Tag 


pro Kg 
ries 

tage 



Bemerkungen 


Alter 

1908 





absol. 



absol. 




o 

■O 

Proz. 

ccm 

tatsächl. 

Normal- 


pro 






& 



j Gewicht 

gewicht 


kg 

Tag 


t 

Herr Q. Th. 

25. I. 

173 

133,5 

60,5 

83 








Fabrikdirektor, leitet in der Kurzeit sein 


46 J. 

15. IV. 


112,5 

39,5 

54 

2000 

1300 

10,6 

17,8 

81 

21 

0,26 

Geschärt weiter, wenig körperliche Be- 















wegung, Herzschwäche. 

2 

Herr H. S. 


178 

107,6 

29,5 

38 








Universitätslehrer. Während der Kurzeit 


33 J. 



94,0 

16,0 

20 

2000 

1300 

13 

17 

56 

13,5 

0,23 

seinen Beruf ausübend, mässig viel Be- 















wegung. Gesund. 

3 

Herr Str. 

15. VI. 

182 

100,2 

18,2 

22 








Bahnbeamter im äusseren Dienst be- 


31 J. 

18. VI. 


96,6 

— 

— 

2000 

1300 

13,4 

16 

3 

3,6 

1,2 

schäftigt, muss viel gehen. Wohlbefinden 



22. VI. 


95.7 

92.7 

— 

— 

2500 

1625 

17,0 

20 

4 

0,9 

1,22 

während der Kur. Nur am Schluss etwas 



30. VI. 


7,5 

9 

2500 

1625 

17,3 

20 

8 

3.0 

0,37 

matt und leichte Rückenschmerzen. Vor 












15 

7,5 

0,26 

der Kur Herzbeschwerden, die sich wäh- 












rend der Kur verlieren. 

4 

Herr W. 

16. V. 

176 

108 

32 

42 








Offizier, wegen Herzschwäche krank ge- 


40 J. 

19. V. 


106,6 



2000 

1300 

12 

17 

3 

1,4 

0,46 

meldet, macht sich während der Kur Be- 



25. V. 


105,6 

29,6 

39 

2000 

1300 

12 

17 

6 

1,0 

0,17 

wegung. 












9 

2,4 

0,26 


5 

Herr v. M. 

16. V. 

178 

93,7 

89,2 

15,7 

20 








Sänger, Herzbeschwerden nach Influenza 


37 J. 

20. V. 



$ 

2000 

1300 

14,6 

17 

4 

4,5 

1,1 

mvocarditis. Während der Kurzeit seinen 



22. V. 


88,3 

10,3 

13 

2000 

1300 

14,6 

17 

2 

0,9 

0,45 

Beruf nicht ausübend, mässig viel Be¬ 












6 

5,4 

0,9 

wegung. 

b 

Frau K. 

4. VI. 

168 

77^7 

75,6 

9,7 

14 








Macht sich während der Kurzeit mittlere 


40 J. 

6. VI. 




1500 

975 

12,8 

14,3 

2 

2,1 

1,05 

Bewegung. Herzbeschwerden. 



12. VI. 


73,6 

5,6 

i 8 

1750 

1140 

15,5 

17 

6 

2,0 

0,33 












8 

_4,JJ 

0,5 


7 

Frau A. W. 

9. III. 

165 

9475 

92,4 

29,5 

r- 45 -i 








Macht sich während der Kurzeit mittlere 


44 J. 

12. III. 




2000 

1300 

13,6 

20 

3 

2,1 

0,7 

Bewegung. Gesund. 



23. III. 


91,6 



2000 

1300 

14,0 

20 

11 

0,8 

0,07 



24. III. 


91,2 


i 

1800 

1170 

12,8 

18 

1 

0,4 

0,4 




27. III. 


90,9 



1750 

1140 

12,5 

18 

3 

0,3 

0,1 




7. IV. 


89,0 



1500 

925 

10,8 

15 

11 

1,9 

0,17 




8. IV. 


88,7 



1250 

812 

9,1 

13 

1 

0,3 

0,3 




21. IV. 


85,2 

20,2 

31 

1500 

975 

11,2 

15 

13 

3,5 

0,13 











1 


43 

9,3 

\ 0,21 


ü' 

^ Frau R. 

16 .VT 

155 

87,7 

32,7 

; 60 








Ausgesprochene Herzschwäche, Klappen¬ 


58 J. 

19. V. 


86,5 



2000 

1300 

15,0 

23,6 

3 

1,2 

0,4 

fehler. Während der Kurzeit ‘fast keine 


23. V. 


85,4 


| 

2000 

1300 

15,0 

23,6 

4 

1,1 

0,27 

Bewegung Sehr wesentliche Besserung 



27. V. 


85,6 



2000 

1300. 

15,0 

23,6 

4 

+ 0,2 

+ 0,02 

inbezug auf das Herz. 



31. V. 


85,4 


! 

1750 

1140 

13,1 

20 

4 

0,2 

0,05 



2. VI. 


84,4 



1500 

975 

11,5 

17,7 

2 

1,0 

0,50 




12. VI. 


83,8 



1500 

975 

11,5 

17,7 

10 

0,6 

0,06 




22. VI. 


82,6 

27,6 

50 

1250 

812 

9,8 

15 

10 

1,2 

0,12 










[ 



37 

5,1 

0,14 



\orn 31. III. auf den 1. IV. abermals 1,5 kg Abnahme. Dass es sich 
hierbei nur um Wasseraufnahme und -abgabe handeln konnte (NB. nie 
sichtbare Oedeme, auch nicht in den schlechtesten Zeiten, geschweige 
denn in diesen guten) liegt auf der Hand. 

Man wird kaum fehl gehen, wenn man in der grösseren 
Salzaufnahme bei gemischter Kost die Ursache für diese Ten¬ 
denz zur Wasseraufspeicherung sucht und umgekehrt die 
Eignung der Milch zur Entwässerung im ihrer Salzarmut für 
begründet hält. 

Bei Entfettungskuren pflegt man bekanntlich dem Ver¬ 
halten der Stickstoffbilanz Wichtigkeit beizulegen, indem man in 
grösseren Stickstoffverlusten vom Körper die Ursache für das 
Eintreten von Schwächezuständen bei der Entfettungskur 

sucht. , , , 

Diese Annahme kann indessen nicht als bewiesen gelten 
und man wird sie keineswegs von vornherein als Kriterium für 
die Zweckmässigkeit oder Zulässigkeit einer Entfettungskur 
benützen, dürfen. Was die hier mitgeteilten Fälle anlangt, so 
habe ich schon hervorgehoben, dass sie die Kur gut, ja zu¬ 
meist mit steigendem Wohlbefinden vertragen und dass das 
gerade auch für die Fälle zutrifft, die ausgesprochene Herz¬ 
schwäche zeigten (Fall 1 und Fall 8). 

Herzbeschwerden, wenn auch ohne besondere Herz¬ 
schwäche, zeigten auch die Fälle 3, 4, 5, 6. In allen Fällen war 
während und nach der Kur das Verhalten des Herzens ein 
besseres, zumeist wurde auch die Pulszahl deutlich langsamer. 
Ich hebe das hier hervor, weil ich Qrund habe anzunehmen, 
das» in meinen Fällen Stickstoffverluste vom Körper nicht ver¬ 
mieden wurden. Fest steht dies für den ausgezeichnet be- 


! einflussten Fall 1, von dem mir durch lange Zeiten hindurch 
| tägliche Stickstoffbestimmungen im Harn und stichproben- 
j weise solche in der Milch vorliegen 7 ) (s. Tab. 2). Der Stick¬ 
stoffverlust war hier ein nicht unerheblicher. Er betrug in 48 
Tagen reiner Milchdiät 8 ) 88,9 g, d. i. pro Tag 1,8 g. Und 
trotzdem spricht gerade in diesem Falle der Erfolg besonders 
deutlich für die Kur. 

(TabelleJI siehe nächste^-Seite.) 

Von D a p p e r und v. Noorden ist hervorgehoben 
worden"), dass man bei Entziehungskuren einen Eiweissver¬ 
lust vom Körper in der Regel vermeiden könne, wenn man das 
Eiweiss in der Kost relativ vorwalten lasse. Aus den Zahlen 
der D a p p e r sehen Arbeit (1. c.) lässt sich berechnen, dass 
dies gewöhnlich der Fall ist, wenn das Eiweiss zwischen 30 
und 40 Proz. der gesamten in der Nahrung enthaltenem Kalo¬ 
rienmenge deckt. In der Milch ist das Eiweiss nun nur mit 
ca. 20 Proz. an dem Kaloriengehalt beteiligt. Ich habe daher 
versuchsweise an 5 Tagen (10.—14. II., Tabelle 2) den Ei¬ 
weissgehalt der Milchkost durch Zulage von je 30 g Nutrose 


7 ) Da sich fast alle meine Beobachtungen auf Fälle der privaten 
Praxis beziehen, so Messen sich Stoffwechseluntersuchungen nicht 
bei allen ermöglichen. 

8 ) Die in Betracht gezogenen Tage sind in der Tabelle mit * 
bezeichnet. Zur Berechnung des Stickstoffverlustes wurde von dem 
eingeführten Milch-N noch 11 Proz. als Verlust mit dem Kot in Ab¬ 
zug gebracht. 

fl ) Ueber Entfettungskuren. Archiv f. Verdauungskrankh. 18^7, 
Bd. 3, H. 1. 


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Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 














1572 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .vi. 


Tabelle 11. (Fall I.) 


Datum 

Körper¬ 

gewicht 

kg 

Pulsfrequenz 
in Min. 

Harn¬ 

menge 

Milch 

ccm 

Stickstoff 

gr 

im Harn 

Stickstoff¬ 
aufnahme 
abzüglich 
des Kot¬ 
stickstoffs 
(11 Proz.) 

Stickstoff- 

hilanz 

H c in c r k u n g c n 


abends 

morgens 



von 24 St. 



2. II. 

127,5 

87 

84 

1380 

2<MX) 

13 329 

9,12 

— 4 2! 


3. II.* 

127,0 

72 

84 

1140 


10 S22 

V 

— 1.7o 


4. 11.* 

126,5 

73 

81 

910 


91 i9<; 


-f 1 


5. II.* 

126,0 

75 

88 

1520 


12 22o 


- 3.10 


6. II.* 

125,5 

76 

86 

1287 


4 047 


— 1.93 


7. II.* 

125,0 

76 

78 

736 


8 770 

9,32 

4-0.55 


8. II.* 

124,75 

74 

83 

1140 


10 619 


- 1.30 


9. 11 * 

124,5 

85 

76 

1150 


10 123 


— 0 SO 


10. II. 

124,0 

76 

85 

980 


11 032 

12.oo 

4-1 >7 

.io g Nutr«»se. 

11. II. 

123,75 

86 

84 

1030 


13 670 

12/* > 

— o,77 

.*o g Nutrose. 

12. II. 

123,5 

76 

81 

945 


15 334 


— 2,43 

•Io g Nutrose. 

13. II. 

123,5 

84 

86 

1030 


17 775 

9 

— 4*7 

.1" g Nutrose. 

14. II. 

123,5 

75 

78 

1010 


13 559 

9 

— 0.t>0 

Jo g Nutrosc. 

15. II. 

123,0 

84 

80 

— 


— 

— 

— 

16. II. 


— 

_ 


— 

_ 

— 

— 


17. II* 

123,0 

76 

84 

_ 

2000 

12 322 

9.32 

— 3,oo 


18. II.* 

122,5 

73 

86 

1130 


13 246 


- 4.92 


19. II.* 

122,25 

73 

86 

1125 


13 025 


— 3.70 


20. II.* 

122,75 

76 

79 

1105 


8 590 


4-0.73 


21. II.* 

121,25 

69 

73 

925 


11 715 


— 2.30 


22. II.* 

121,0 

69 

82 

870 


10 00 


— 1.28 


23. II.* 

120,75 

68 

74 

1345 


11 9*7 


- 2,M> 


24. II* 

120,5 

66 

72 

1375 


10 303 


— 11,0s 


25. 11.* 

120,25 

66 

72 

1020 


10 12.3 


- ustl 


26. II.* 

120,0 

62 

70 

1405 


12 271 


— 2.05 


27. II.* 

119,75 

66 

66 

965 


9 HM 


— o,5o 


28. 11. 

119,5 

62 

65 

1030 


— 

— 

— 

Wahrscheinlich nebenbei gemischte 

29. II. 

119,0 

65 

70 

— 


— 

— 

— 

Kost. 

2.. III. 

119,0 

62 

64 

1425 

2000 

15 5**9 

9,13 

— 0.40 


3 III.* 

119,0 

64 

70 

1300 

m 

11 355 


- 2.22 


4- III.* 

118,5 

61 

68 

1.360 


11 572 


- 2.44 


5- III.* 

118,25 

64 

61 

920 


9 507 


- 0,40 


6. III. 

118,00 

64 

64 

920 


_ 

— 



7. III. 

119,00 

70 

68 

1225 

9 

15 220 

9,13 

— 0,1 rf) 

Nebenbei gemischte K« st. 

8. III.* 

118,5 

64 

64 

1010 

• 

11 8o9 


— 2 .OM 


9. III.* 

118,5 

64 

<xS 

1100 

* 

11 037 


1.01 


10. III * 

118,0 

64 

68 

1175 

• 

10 213 


1.08 


11. III.* 

117,5 

58 

67 

1205 


11 290 


— 2.K» 


12. III.* 

117,25 

56 

64 

1490 

• 

13.341 


— 4,21 


13. III.* 

117,00 

61 

63 

990 

• 

10.342 


1.21 


14. III.* 

116,75 

61 

64 

1490 

• 

12 4**8 


3.14 


15. III.* 

116,25 

57 

63 

1260 


9 476 


0.34 


16. III;* 

116,00 

54 

61 

935 


i 10 478 


— 1,34 


17. III.* 

115,5 

58 

61 

890 


! 11 552 


- 2.42 


18. III.* 

115,5 

68 

62 

930 


|0 *16 


— 1,00 


19. III.* 

115,5 

57 

62 

92(1 


7 «X>5 


4- F17 


20. III.* 

115,0 

56 

62 

1030 


10 141 


- l.ol 


21. III. 

115,0 

— 

— 

_ 

— 

- 

— 

— 

\ om 22.11. bis Js. 111 in kl. gernisv 1: te 

30. III. 

118,5 








k'»st, \ on da .3» w k der nur 2 1 Mikh. 

31. III. 

116,5 

64 

72 

2425 

io 

— 

_ 

— 


1. IV.* 

115,75 

65 

64 

1515 


12 no5 

9.13 

- 2.03 


2. IV.* 

115,25 

64 

67 

1600 


12 176 


- 3,o4 


3. IV.* 

114,5 

59 

68 

1625 


12 594 


- 3.4o 


4. IV* 

114,0 

68 

68 

1315 

• 

11 480 


- - 2.35 


5. IV * 

6. IV.* 

113,75 

113,37 

52 

60 

65 

1275 

1680 

* 

9014 

11 (»25 


4- 0.12 

2,40 


7. IV.* 

113,25 

60 

67 

1140 

9 

10 047 


1.52 


8. IV.* 

113,00 

67 

56 

1120 

m 

10 5M 


1.45 


9. IV. 

113,12 

58 

60 

1010 

9 

12 304 


- 3.Jo 

Abends FkiS-Jl gegessen. 

10. IV.* 

113,5 

62 

68 

850 

9 

10 880 


1.75 


11. IV.* 

113,0 

60 

62 

i880 

9 

10 9O0 


- I.mo 


12. IV.* 

112,5 

62 

60 

i450 

9 

11 u> 


- 1.03 


13. IV.* 

112,25 

58 

63 

i380 

9 

11 (X* 


- 1.03 


14. IV.* 

112,10 

54 

60 

925 

9 

12 43 

• 

- 3.30 


15. IV.* 

112,5 

61 

60 

925 

n 

9 

12 43 

• 

— 3.3o 



*) Die mit einem * bezcichnetcn Tage wurden bei der Aufstellung der Stickstnfibilanz berücksichtigt. 


pro Tag uni ca. 35 Proz. gesteigert, so dass nun das Einwciss 
mit ca. 26 Proz. an dem Kaloriengehalt der Nahrung partizi¬ 
pierte. Trotzdem war der Eiweissverlust in diesen Tagen 
nicht kleiner sondern grösser. Er betrug auf den Tag be¬ 
rechnet 2,44 g. Da ausserdem in diesen Tagen die Gewichts¬ 
abnahme sistierte (Wasserretention infolge Einführung von 
Natron mit der Nutrose?) so nahm ich von der Nutrosezulage 
Abstand. 


Ebenso wie sie für die praktische Handhabung die ein¬ 
fachsten sind, so sind .Milchkuren auch tur eine eingehende' c 
Feststellung der M"fiw cchseiverhaitmsse K* der FcttMkht 
von hervorragender Hcberskhutehkeit. 

Hm eine approximative Einsicht zu bekommen, genügt so¬ 
gar schon die Feststellung der SlkkMoit'hilauz. Mal man. w ;e 
ui dem eben erörterten Fade, lnr eine gewisse Zeit den >:.k- 
stonverlust vom Körper bestimmt, so kann man diesen in i.b- 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1573 


lieber Weise auf die entsprechende Menge Muskelfleisch um¬ 
rechnen und» letzteren- Wert von dem gesamten Gewichts¬ 
verlust der betreffenden Zeit abziehen. Man erhält so in dem 
Rest die Menge des Fettgewebes, die der Körper verloren 
hat 10 ). Wenn man von dieser wieder die in ihr enthaltene 
v Wassermenge in Abzug bringt, 11 ) so erhält man das reine, 
kalorisch in Betracht kommende Fett, das der Körper zur 
Zersetzung brachte. Hiermit hat man dann alle Daten, welche 
zur Beerchnung des Kalorienverbandes bei dem betreffenden 
Falle nötig sind. 

In unserem Fall 1 durchgeführt ergibt die Rechnung in 
dieser Hinsicht: 

Stickstoffverlust in 48 Tagen, wie schon erwähnt, 88,9 g. 
Auf Eiweiss umgerechnet gibt dies 555,6 g, auf Fleisch um¬ 
gerechnet 2920 g. Der gesamte Gewichtsverlust in den 48 
Tagen betrug 12 500 g. Davon ab die 2920 g Fleisch, bleiben 
9580 g, -die als Fettgewebe zu rechnen sind. Den Wasser¬ 
gehalt derselben = 20 Proz. gerechnet, ergeben sich 7664 g, 
und den Wassergehalt = 30 Proz. gerechnet 6706 g reines Fett. 
Auf den Tag sind dies 159 resp. 140 g Fett = 1479, resp. 1302 
Kalorien. %w diesem Kalorienverbrauch aus zersetztem Körper¬ 
fett kommen noch 46 Kalorien aus dem vom Körper zersetzten 
Eiweiss (1,8 g N-Verlust = 11,25 g Eiweiss = 46 Kalorien) 
und 1300 Kalorien aus der aufgenommenen Milch. Der ge¬ 
samte Kalorienverbrauch pro Tag betrug also im Durchschnitt 
der 48 Tage 2825 Kalorien, resp. 2648 Kalorien. Auf das Kilo¬ 
gramm tatsächliches Körpergewicht gerechnet (mittleres Ge¬ 
wicht in den 48 Tagen = 120 kg) ist das ein Kalorienverbrauch 
von 23,5 Kalorien resp. 22 Kalorien und auf das Kilogramm 
, JMormalgerwicht“ (73 kg) gerechnet ein Verbrauch von 38,7 resp. 
36,2 Kalorien. Selbstverständlich hat eine solche Rechnung 
nur ganz approximativen Wert. Ihre Unsicherheit liegt darin, 
dass der Gewichtsverlust ohne weiteres gleich Verlust an Fett¬ 
gewebe plus Muskelfleisch gesetzt, ein besonderer Wasserver¬ 
lust aber ausgeschlossen wird, sowie ferner darin, dass der 
Wassergehalt des „Fettgewebes“ und übrigens auch des als 
„Muskelfleisch“ bezeichneten N-haltigen Gewebes, das vom 
Körper verloren ging (das sicher nicht ausschliesslich, vielleicht 
nicht einmal vorwiegend wirklich Muskelfleisch ist) nicht genau 
bekannt ist. Immerhin aber wird diese Unsicherheit dadurch, 
dass eine grosse Reihe von Tagen, herangezogen wurde und 
die unsichersten ersten Tage 12 ) unberücksichtigt blieben, 
verringert und es dürfte für unseren Fall so viel aus der 
Rechnung hervorgehen, dass eine wesentliche Verlangsamung 
des Stoffwechsels für ihn nicht bestand (normaler Kalorien¬ 
bedarf ausser Bett aber ohne körperliche Arbeit auf das Kilo¬ 
gramm Normalgewicht bezogen = 34 bis 40 Kalorien.) Um 
genaue und sichere Einblicke in den Stoffwechsel der Fett¬ 
leibigen zu bekommen, sind selbstverständlich Respirations¬ 
versuche nötig, wie sie bislang noch nicht in genügender Zahl 
vorliegen. Auch für solche Versuche werden die einfachen 
Verhältnisse der Milchkur eine wesentliche Erleichterung 
bieten. 

Nehmen wir einen Kalorienverbrauch bei einem Fett¬ 
süchtigen von ca. 34—40 Kalorien pro Kilogramm seines Nor¬ 
malgewichtes an, was einem normalen Umsatz entsprechen 
würde, so deckt die oben für die Milchentfettungskur normierte 
Zufuhr von 16—18 Kalorien, pro Kilogramm Normalgewicht an¬ 
nähernd die Hälfte des Bedarfs. Es wären also bei Menschen 
von 60—80 kg Normalgewicht (= 160—180 cm Körperlänge) 
noch ca. 1000—1300 Kalorien pro Tag aus der Körpersubstanz 


,0 ) Die ersten Tage der Entfettungskur darf man für diese Be¬ 
rechnung nicht mit heranziehen, da in ihnen der Stickstoffzerfall noch 
zu sehr von der vorausgegangenen Ernährungsweise beeinflusst und 
der Gewichtsverlust überwiegend durch Wasserabgabe bedingt ist. 

11 ) Gorup-Besanez bestimmte als Wassergehalt mensch¬ 
lichen Fettgewebes 29,9 Proz., Volkmann 15 Proz. (s. Vier- 
ordt: Anatomische, physiologische und physikalische Tabellen, 
2 . Auf!., 1893, S. 251). C. v. V o i t nimmt als Wassergehalt des Fett¬ 
gewebes 30 Proz. an (s. v. Noorden: Die Fettsucht, in Nothnagels 
Handb. d. spez. Pathol. u. Therapie S. 2). Analysen zweier mensch¬ 
licher Lipome ergaben 20 und 22 Proz. Wasser (Zeitschr. f. Biol., 
Bd. 31, S. 101 und Pflügers Archiv, Bd. 55, S. 231). Es erscheint 
hiernach der Wassergehalt des Fettgewebes nicht immer gleich zu 
sein. Man wird mit 20 bis 30 Proz. rechnen müssen. 

**) s. oben Anmerkung. 


beizusteuern. Um diese nur aus Fett zu bestreiten, wären 
! 107 bis 140 g reines Fett oder ca. 142—186 g Fettgewebe, dieses 
j als zu 25 Proz. wasserhaltig angenommen, nötig. Berücksichtigt 
main nun, dass die vom Organismus gelieferten Kalorien nicht 
ausschliesslich aus Fett, sondern auch aus stickstoffhaltiger 
Leibessubstanz stammen, die kalorisch weniger hochwertig als 
Fett ist, so ergibt sich, dass man einen täglichen Gewichts¬ 
verlust von etwas mehr als 140—190 g bei einer solchen Ent¬ 
fettungskur erwarten kann. Die ersten, infolge reichlicher 
Wasserabgabe mit unverhältnismässig grossen Gewichtsver¬ 
lusten einhergehenden Tage sind natürlich dabei ausgenommen. 

Ich fasse mein Urteil und meine Erfahrungen über die 
Milchentfettungskur nochmals kurz zusammen: Die Kur ist 
die einfachste und bequemste, zugleich auch 
billigste unter den bisher üblichen. Sie er¬ 
möglicht dem Arzt auf leichteste Weise eine 
quantitative Individualisierung je nach dem 
zu behandelnden Patienten und stellt an die 
Anstelligkeit der Patienten in Bezug auf Be¬ 
folgung der Vorschriften die geringsten An¬ 
forderungen. Quälender Hunger pflegt bei 
der Milchkur trotz dem geringen Nahrungs¬ 
angebot nicht aufzutreten. Durstgefühlfehlt 
überhaupt. Besondersgeeignetist die Milch¬ 
kur bei Komplikationen von seiten des 
Herzens und der Nieren. Herzbeschwerden 
pflegen bald nachzulassen, erhöhte Puls¬ 
spannung wird meist geringer, vermehrte 
Pulsfrequenz geht häufig, zurück. Als uner¬ 
wünschte Nebenerscheinungen werden beobachtet Stuhlver¬ 
stopfung (seltener auch Durchfall), hie und da Kopfweh und 
auch Rückenweh, bei zu rascher Abnahme auch Mattigkeit. 

Dass alles, was ich angeführt habe, nicht absolut starr und 
schablonenmässig angewandt werden darf, dass hier wie 
überall trotz der gegebenen Regel der Arzt von Fall zu Fall 
beobachten und Erfahrung sammeln muss, dass es Fälle geben 
wird, die sich gegen die Milchkur ablehnend verhalten oder 
denen sie aus dem oder jenem Grund nicht bekommt, das ist 
natürlich. Ich glaube aber sagen zu dürfen, dass das Aus¬ 
nahmen sein werden. 


Aus Dr. W e i c k e r s Lungenheilanstalten in Görbersdorf 
(Chefarzt: Dr. Hans W e i c k e r). 

Ueber Kollapsinduration der rechten Lungenspitze bei 
chronisch behinderter Nasenatmung und ihre DifFerential- 
diagnose gegen Tuberkulose der Lunge. 

Von Dr. Karl Blümel in Dresden. 

Vor fast einem Jahre machte mich mein bisheriger Chef, 
Dr. Weicker, auf Grund einer mündlichen Mitteilung von 
G. K r ö n i g - Berlin auf einen Symptomenkomplex bei 
Lungenerkrankungen aufmerksam, den Krönig schon seit 
längerer Zeit beobachtet hatte: auf die (von ihm so genannte) 
einfache, nichttuberkulöse Kollapsinduration der rechten 
Lungenspitze bei chronisch behinderter Nasenatmung. Wir 
haben seitdem diesem Krankheitsbild unsere besondere Auf¬ 
merksamkeit zugewandt, und geben, nachdem nunmehr 
K r ö n i g seine eigenen Erfahrungen veröffentlicht hat 0, auch 
die unsrigen bekannt. 

Krönig erhebt folgenden typischen Befund: anamne¬ 
stisch: seit längerer Zeit, meist seit frühester Kindheit, be¬ 
hinderte Nasenatmung; objektiv: Physiognomie der Mund- 
atmer, Thorax gut entwickelt, rechte Spitze eingezogen, bleibt 
bei der Atmung der linken gegenüber zurück. Perkussorisch 
ergibt sich Dämpfung rechts vorn und hinten oben, mit Ein¬ 
engung der „Schallfelder“ (Krönig); auskultatorisch ein 
manchmal bis zu bronchovesikulär verändertes Atemgeräusch, 
bisweilen von wenigen Rasselgeräuschen begleitet. Die 
unteren Lungengrenzen sind normal, ihre respiratorische Ver¬ 
schieblichkeit, auch rechts, nicht vermindert. Die Unter¬ 
suchung des Nasenrachenraumes ergibt gewöhnlich adenoide 
Vegetationen, teilweise verbunden mit Hypertrophien der 
hinteren Enden der unteren Muscheln. 


‘) Q. Krönig: Deutsche Klinik, Band XI, S. 634. 


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1574 


MUENCHENER MEDIZINISCHE- WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


Differentialdiagnostisch Kegen Tuberkulose verwertet 
Krönig: 1. die anamnestische Angabe über die chronisch 
behinderte Nasenatmung und den entsprechenden objektiven 
Befund, 2. die gute Ausdehnung der basalen Lungenpartien, 

3. die isolierte Erkrankung der rechten Lungenspitze, 4. das 
Fehlen aller für einen tuberkulösen Prozess sprechenden Be¬ 
gleiterscheinungen (Fieberbewegung, Abmagerung, sonstige 
Zeichen von Giftwirkung). 

Wir können Krönigs Beobachtungen nach den Er¬ 
fahrungen an unserem Krankenmaterial voll und ganz be¬ 
stätigen. Wie wichtig es ist, dass dies Krankheitsbild bekannt 
und die Erkrankung als nichttuberkulös erkannt wird, lehrt 
uns die tägliche Erfahrung der Heilstätte. Es ist durchaus nicht 
selten, dass seitens der Aerzte solche Nichttuberkulose als 
Phthisiker den Heilanstalten überwiesen werden. Meistens 
entspringt die falsche Diagnose dem Bestreben, eine Erkran¬ 
kung an Lungentuberkulose in ihren Anfängen zu diagnosti¬ 
zieren und die Kranken möglichst schnell einer zweckmässigen 
Behandlung zuzuführen. Bei uns sind im letzten J a h r 
bei einem Krankenmaterial von rund 17(M> Patienten zirka 
5 Proz. N i c h 11 u b e r k u I ö s e 85 auf die auswärts, 
zumeist von mehreren Aerzten, gestellte Diagnose Lungen¬ 
tuberkulose hin zur Aufnahme g e k o tu tu e n, von denen 
wieder zirka ein Drittel 2* in die von Krönig 
beschriebene Kategorie gehören; bei den übrigen 
handelt es sich um Emphysematiker, Bronchiektatiker etc. oder 
des öfteren um lungengesunde Individuen, bei denen falsche 
Bewertung anatomisch-physiologischer Verhältnisse zu der 
Diagnose Lungentuberkulose geführt hatte (Perkussions- und 
Auskultationsuntcrschiede infolge leichter Skoliose von 
Hals- und Brustwirbelsäule, einseitigen Muskelhypertrophien, ! 
Hängen des rechten Schultergürtels, Verschiedenheiten in Ycr- i 
lauf und Verzweigung der Spitzenbronchen |Seufier- 
h e I d ’)]). 

Ich habe auf meiner Abteilung allein 17 Fälle von nicht¬ 
tuberkulöser Kollapsinduration der rechten Lungenspitze bei 
chronisch behinderter Nasenatmung beobachtet. Das Krank¬ 
heitsbild im allgemeinen war folgendes; Es handelte 
sich zumeist um Kranke im Alter von 18 bis 30 Jahren; 
Heredität in Bezug auf Lungentuberkulose war in keinem Falle 
vorhanden. Betreffend Wachstum und Entwickelung be¬ 
gegnete man des öfteren der Angabe: als Kind schwächlich ge¬ 
wiesen. Der Beginn der „Lungenerkrankung“ wird von einem 
halben bis zu 10 Jahren zurückverlegt. Als Krankheitszeichen 
werden angegeben: Mattigkeit, Husten, auch Bluthusten, be¬ 
sonders morgens, Auswurf, Herzklopfen, geringe Kurzatmig¬ 
keit bei Anstrengungen, Brustschmerzen, unruhiger Schlaf, 
Nachtschweisse. Diese Beschwerden bestehen zum Teil schon 
jahrelang. Unter „vorausgegangenen oder gleichzeitig be¬ 
stehenden Krankheiten“ finden wir regelmässig eine oder 
einige der folgenden Angaben: wenig oder keine Luft durch 
die Nase, viel Schleim aus derselben und aus dem Rachen, 
Kratzen, Hustenreiz, Trockenheitsgefühl im Halse, Neigung zu 
Husten und Schnupfen, häufige Luftröhrenkatarrhe, öftere 
Mandelentzündungen. 

Gearbeitet hatte die Mehrzahl der Kranken bis zu ihrer 
Einweisung in die Heilstätte, meist ununterbrochen, wenn sie 
nicht auf den Rat des Arztes, manchmal wegen scheinbar be¬ 
drohlicher Symptome (Blutspucken s. u.) die Arbeit nieder¬ 
gelegt hatten. 

Unter diesen ana m n e s t i s c h e n D a teil fin¬ 
den wir kein e, d e n c n w i r nicht a u ch b e i 
Lungentuberkulose begegnen. Es sind dieselben 
Störungen des Allgemeinbefindens, dieselben Erscheinungen 
seitens der Atmungsorgane und des Herzens. Dagegen fällt 
uns immerhin auf: das gleichmässige Fehlen der Heredität, 
die im Verhältnis zu der langen Dauer der Erkrankung ge¬ 
ringen Beschwerden, das Fehlen der Abnahme an Körper¬ 
gewicht und die stets gleichzeitigen Klagen über die Behinde¬ 
rung der Nasenatmung. Gerade diese letzte Klage bringen 
die Kranken vielfach oder zumeist mehr als Nebensache vor, 
sie stellen den Husten und Auswurf und die Störungen des 

*) S e u f f c r h c I d: Heber den Unterschied im physikalischen 
\ erhalten beider Lungenspitzen. Brauers Beiträge zur kkmk der 
Tuberkulose, Band VII, lieft 1 . 


Allgemeinbefindens ganz in den \ ordergrund. da sie mJi an 
die Mundatmung im Laufe der Jahre gewohnt haben. So 
kommt cs. dass auch der Arzt den Erkrankungen der Nase 
und des Nasenrachenraums kaum Beachtung schenkt; d.e Er¬ 
wägung, dass im Kindesalter adenoide Vegetationen z. B. einen 
schlechten Kräfte- und Allgemein/iistar.J veranlagen a's 
Folge der gestörten Nachtruhe und der m.m K eIkaiten Er¬ 
nährung, dass hier Husten und Aiiswuri eine Folge der Katarrhe 
der obersten Luftwege sind, dass Blutungen bei Entzimdm gs- 
vorgängen mit (iranulationsbildung im Radien tmd Kehlkopf 
gar nicht selten Vorkommen, hegt ihm beim Erwachsenen 
ferner. 

Der objektive Befund bei d* r K«*!!apvr. Jura tarn ist 
meist folgender: Ernährungszustand nuttd bis mass.g. Habnus 
nicht phtlnsisch, Knochenbau und Muskulatur nnttcl. Der < ic- 
sichtsausdruck weist zumeist die typische Ph\sj<»- 
g n o m i e d e r M u n d ;i t m e r auf: ( bienstchcn Jcs Mündts. 
Herabhangen der Unterlippe, YerstnJicnscai der NasM'.abia!- 
falten. Mangel an Beweglichkeit und VusdriuksLsh.gkcB d^ 
Mienenspiels, was alles dem Gesicht den bekannten müden und 
schläfrigen, ia manchmal blöden Ausdruck \er!e,ht (/arn;k<* : ). 
Die Sprache ist meist nasal. vielfach d.e tvpisdie ..tote" 
Sprache. Im Wesen der Kranken fallt eine gew.ss C Schüch¬ 
ternheit und Aengstlklikeit auf. ein Mangel an Intel:,gen/ und 
Energie, den man als nervöse Schwache hezeidmet unj h.er 
speziell mit dem Namen „Aproseve“ belegt hat. 

Der I hora \ ist gut gewölbt, seine Ausdehnung < Vte In¬ 
differenz) meist eine mittlere. Bei der hisptklm n lallt der 
I lefstaud der rechten Spitze und Jic Eu.se n.kur.g der rechten 
Bossa supracla\icularis und über der B'nssu supraspu ata aut; 
bei der Atmung bleibt die rechte Spitze gegenüber der linken, 
manchmal sehr ausgesprochen, zurück. Die unteren, l.ur.gcn- 
grenzen sind normal, die respiratorische \ersduKichlu:! 
beider Lungen nicht vermindert. 

Die Palpation ergibt zumeist eine deuthdi vermehrte 
Resistenz über der rechten Spitze. 

P e r k u s s i o n s h e f u n d; Lichte V erkürzung Ins mas¬ 
sige Dämpfung über der rechten Spitze, vom meist bis zur 
I., öfter II. Rippe gehend, hinten bis oberhalb Kzagl. Sp.na 
scapulae. Die Schallfelder (K ronig) zeugen sidi itnmet 
etwas, manchmal bedeutend eingeengt <\ ersjimalert). D.e 
rechte Spitze wurde bis zu 2 ein tiefer stehend getänden a's 
die linke. 

A u s k u I t a t i o n s b e i u n d; Alle Mod.ukat.oneii des 
Atemgeräusches bis zu \ esikobror.chia’cm Atmen. am häu¬ 
figsten verschärftes und vesikobroudnalcs mit \ e: hmgertem 
Exspirium; Nebengeräusche horten wir in über der Hälfte der 
Fälle; sie waren immer trocken, meist krackend und wurden 
vielfach erst bei tiefem Inspinum und bei Hustens!, »ssem wahr¬ 
genommen. Die Elusterstimme ist zumeist bedeutend ver¬ 
stärkt iiber der erkrankten Lur.genpatMe. 

Die Untersucliung der o b e r e u L u I t w eg e ergibt eme 
teilweise Behinderung der Nasenatmung. d.e sidi ; t uf oii 
völliges oder teilweises V erlegtsun der Nase selbst ( der des 
Nasenrachenraums gründet. Die häutigsten Befunde waren, 
wie auch bei K ronig. adenoide Vegetationen. Mehrmals be¬ 
standen chronische Empyeme der Kieferhöhlen m:t sekundäre :i 
Muschelhypertrophien und P< Tv■{Umbildung, in en .gen Baken 
hochgradige Verbiegungen der Nasetrscheidew and m;t Domen 
und Leisten und h ypertroplus Juni unteren NV u sc li e! n . Daneben 
fanden sich des öfteren In pertrophis v he JonsTen. D:e 
Schleimhäute von Nase. Radien und Kehlkopf waren ment im 
Zustande des fenditen hvpertfophivK n Katarrhs, also mehr 
oder weniger iniiziert. und mit gesell w o’kmen I c'.ke'n besetzt. 
Die Stimmbänder w aren von leichter Rötung md \ Tebemhe:: 
des freien Randes bis zu sdimutzig-roter Earburg tmd walzen¬ 
förmiger V\ tiIstung v erändert . 

Das S p u t ü tu war, wo es vorhanden war und das 
betraf ca. ‘ <j cr Fälle von zäher, gu;rs:ger. te.ls w asser g- 
d!inller Beschaffenheit, mit viel Speichel n::*e runs^ ht. und i.ess 
schon auf den ersten Blick nrv fimkmt't aus den ohemn 
Luftw egen vermuten; öfter s.ihen w ;r a idi graublaue B.*“e% 
wie sie für pneiimokonmtisdie Erkr.okmgen tvp.sdi vr*d. 

3 ) Zar Miko; Die' Krankheiten d- Voe un ! -äs 
raumes. S. Karger, l‘«h. 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1575 


Tuberkelbazillen fanden sich (natürlich!) niemals, Kokken in 
wechselnder Menge; zahlreich waren stets Epithelien der 
oberen Luftwege vorhanden. 

Es ist ohne weiteres klar, dass das hier eben entwickelte 
Bild, was den Lungenbefund anbetrifft, mit einer beginnenden 
Phthise manche Aehnlichkeit hat. Es bestehen Differenzen in 
dem Verhalten beider Lungenspitzen, es bestehen perkus- 
sorische und auskultatorische Veränderungen, die gleicher¬ 
weise einen tuberkulösen Prozess vermuten lassen können. 
Und selbstverständlich können die pathologischen Verhältnisse 
der oberen Luftwege ebensogut ein hervorragend ätiologisches 
oder besser disponierendes Moment für eine Lungentuber¬ 
kulose gebildet haben, wie sie auch lediglich eine zufällige 
augenblickliche Komplikation derselben (Nebenhöhlenempyem!) 
sein können . Es darf auch nicht übersehen werden, dass aus 
der somatischen Disposition infolge des geschilderten Sym- 
ptomenkomplexes auch eine geistige Minderwertigkeit resul¬ 
tiert, welche den Kranken wirtschaftlich nicht prosperieren 
lässt. Dass aber wirtschaftlicher Notstand zur Tuberkulose 
disponiert, ist ein soziales Axiom. 

Trotz der eben erwähnten Aehnlichkeit des Krankheits¬ 
bildes der Kollapsinduration mit Lungentuberkulose finden sich 
aber doch sehr viele Einzelheiten, die die Differential- 
d i a g n o s e nicht nur ermöglichen, sondern die Kollaps¬ 
induration als ein festumgrenztes typisches Krankheitsbild er¬ 
kennen lassen. So vermissen wir der Phthise gegenüber den 
Habitus phthisikus, den Thorax paralyticus, eine Verringerung 
der respiratorischen Verschieblichkeit der basalen Lungen¬ 
partien (vergl. Krönig), eine Miterkrankung oder überhaupt 
eine Erkrankung der linken Lunge, eine weitere Ausdehnung 
des Krankheitsprozesses über einen grösseren Lungenbezirk; 
wir finden keine Symptome ulzeröser Prozesse, keine anderen 
als trockene und knackende Nebengeräusche. Der Sputum¬ 
befund ist gleichmäsig negativ in Bezug auf Tuberkelbazillen., 
Wir sehen, auch wenn keine besondere Behandlung eintritt, 
keine wesentliche Verschlimmerung des Zustandes, keine 
akuten Exazerbationen, kein Fieber, keine Lungen¬ 
blutungen und keine marastischen Zustände. Wir finden 
auch keine Dyspnoe, sobald der Mund statt der Nase zur 
Atmung gebraucht wird. 

Dagegen finden wir: einen nicht wesentlich reduzierten 
Allgemeinzustand, einen gutentwickelten Thorax, eine normale 
Exkursionsbreite der unteren Lungenpartien, ein vollkommenes 
Beschränktsein des Krankheitsprozesses auf die rechte Lunge 
und hier immer auf die Spitze, immer die gleichen physi¬ 
kalischen Erscheinungen, stets das Bild der bindegewebigen 
Induration mit kollaptiver Schrumpfung, das den oberen Luft¬ 
wegen entstammende Sputum, einen wenig aktiven Krank¬ 
heitsprozess, ein Verschwinden der Dyspnoe bei Qebrauch 
der Mundatmung und einen typischen Befund in Nase oder 
Nasenrachenraum. 

(Krönig hat in seiner Arbeit [I. c.] Typen von Mundatmern 
mit Einzeichnung des Perkussionsbefundes abgebildet; die Bilder sind 
so instruktiv, dass schon durch einen Blick eine Orientierung möglich 
ist Wir verzichten daher darauf, unsere eigenen Photogramme zu 
publizieren. Es gelang, bei dergleichen Individuen die Wahrschein¬ 
lichkeitsdiagnose schon gelegentlich der Adspektion zu stellen.) 

Selbstverständlich kann auch eine bazilläre Tuberkulose 
den eben beschriebenen Symptomenkomplex darbieten und 
unter ähnlichen Erscheinungen anfänglich verlaufen, wie das 
oben bereits gesagt ist. Und w r ir wissen ja aus hundertfacher 
Erfahrung, dass gerade die initialen Tuberkulosen die ange¬ 
führten Symptome der spezifischen Erkrankung wenig aus¬ 
gesprochen haben, ja sie häufig genug fast ganz vermissen 
lassen. Und doch sind es unzweifelhaft Tuberkulosen, wie 
der weitere Verlauf lehrt. Wir wollen aber durchaus nicht 
etwa hier empfehlen, erst die Probe aufs Exempel zu machen 
und abzuwarten, bis alle Symptome der Lungentuberkulose 
klinisch vorhanden sind und die Zeit zum Handeln vielleicht 
vorbei ist. Es ist eben, wo der Symptomenkomplex der 
Kollapsinduration nicht vollständig ausgebildct ist, nur eine 
relative Umgrenzung des Krankheitsbildes möglich, wenn der 
objektive Befund allein zur Diagnose herangezogen wird. 
Man hat dann zu versuchen, die Diagnose noch anderweitig zu 
stützen. Die erste und entscheidendste Stütze 
für die Diagnose liegt hier in dem Erfolge 


derTherapie. Es gilt hier wie selten anderswo: cessante 
causa cessat effectus. Die Kranken sind nach einem sach- 
gemässen chirurgischen Eingriff wie umgewandelt. Die 
Besserung tritt sofort nach der Operation mit dem Eintreten 
der freien Nasenatmung ein; alle subjektiven Beschwerden 
verschwinden, der Allgemeinzustand hebt sich in geradezu auf¬ 
fallendem Masse. Husten und Auswurf lassen nach, blutig 
gefärbter Auswurf wird nicht mehr expektoriert, Kurzatmigkeit 
und Herzklopfen, sowie die lästigen Katarrhe der oberen Luft¬ 
wege sind bald verschwunden. Die nervösen Erscheinungen 
(Aprosexie) gehen schnell zurück, die Sprache verliert ihren 
nasalen Charakter. 

Der objektive Befund über den Lungen bleibt meist 
stationär, nur dass die Nebengeräusche in manchen Fällen ver¬ 
schwinden'. Dieser Zustand ist aber auch dann ein stationärer, 
wenn der operative Eingriff unterblieb, wie uns die Beob¬ 
achtung einzelner Kranker lehrte, die, aus äusseren Gründen 
nicht operiert, sich bis zu 3 Monaten in der Anstalt auf¬ 
hielten. Hier hatte aber das hygienisch-diätetische Heil¬ 
verfahren bezüglich der subjektiven Beschwerden auch nicht 
im Entferntesten den Erfolg, den in den andern Fällen die 
rhinologische Behandlung hatte. Jedenfalls empfiehlt es sich, 
gleichgültig, ob nun bazilläre Tuberkulose oder Kollaps¬ 
induration vorliegt, stets eine operative Behandlung der event. 
Erkrankungen der Nase oder des Nasenrachenraums der Heil¬ 
stättenkur vorangehen zu lassen, wenn eine diesbezügliche 
Behandlung in der Heilstätte nicht geübt wird-; denn der Er¬ 
folg der Kur wird dadurch ausserordentlich günstig be¬ 
einflusst. 

Ueber die Therapie selbst hier nur wenige Worte: 
Für die Entfernung der Rachenmandel kommt das Ring- oder 
Fenstermesser oder weit besser die Glühschlinge unter An¬ 
wendung des Gaumenhakens in Betracht. Diese Methode der 
Operation hat jedenfalls der meist geübten Kürettage gegenüber 
erhebliche Vorteile. Das Septum wird submukös zu rese¬ 
zieren, die Polypen und hypertrophischen Enden der Muscheln 
mit der Schlinge abzutragen und die Nebenhöhleneiterung 
durch Punktion mit nachfolgender Spülung, event. durch 
Operation zu beseitigen sein. 

Wir haben in unserer Anstalt auch bei Tuberkulösen die 
operative Behandlung der Komplikationen der Nase und des 
Nasenrachenraums seit Jahren geübt. Auch die so behandelten 
Kranken haben zum Teil eine sehr wesentliche Besserung ge¬ 
zeigt, aber nie ein sofortiges Aufhören sämtlicher Beschwerden, 
wie es die reinen Fälle von Kollapsinduration erkennen Hessen. 
Die Anzeichen der tuberkulösen Erkrankung bestanden eben 
für Arzt und Patienten doch noch fort. 

In allen auch jetzt noch zweifelhaften Fällen — es wird 
sich nur immer um verschwindende Ausnahmen handeln — 
empfehlen wir die Anwendung des Tuberkulins zu 
diagnostischen Zwecken und zwar der kon- 
junktivalen, Haut- und subkutanen Methode. 
Krönig nimmt nur zu letzterer Stellung, weil zur Zeit der 
Abfassung seiner Arbeit die anderen Methoden noch nicht ver¬ 
öffentlicht waren. Wir stimmen mit Krönig darin voll¬ 
kommen überein, das die probatorische Tuberkulininjektion nur 
bei gleichzeitiger sachgemässer klinischer Untersuchung für 
die Diagnose heranzuziehen ist und verwerfen gleichfalls eine 
schematische oder kritiklose Anwendung derselben. Wir 
unterschätzen gleichfalls nicht, dass das Tuberkulin ein ausser¬ 
ordentlich feines, aber empfindliches Reagens ist, welches auch 
inaktive Herde anzeigen kann. Das darf uns aber nicht hin¬ 
dern, in zweifelhaften Fällen nach eingehender 
Untersuchung auch das Tuberkulin mit ent¬ 
scheiden zu lassen. Es hat sich uns gerade 
bei der Kollapsinduration ausgezeichnet be¬ 
währt. W i r h a b e n, um jedem Einwand bezüglich unseres 
Materials zu begegnen, in a 1 i e n, auch den ganz typischen, 
Fällen, die probatorische Tuberkulininjek- 
tion nach Koch vorgenommen und nicht ein ein¬ 
ziges Mal eine Reaktion erzielt. Jedenfalls 
halten w irden negativen Ausfall derReaktion 
für absolut beweisend; daran kann auch ein einmal 
zwischen Hunderten von Reaktionen vorkortimendes Versagen 
nichts ändern. Was den positiven Ausfall der Reaktion bei 


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1576 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .Vk 


angeblich öesunden anbetrifft, für den auch Krönig wieder 
den so oft in diesem Sinne zitierten Franz 4 ) antiihrt, so 
haben uns jahrelange Erfahrungen, ebenso wie andere Unter¬ 
sucher, auch anders belehrt. An der W e i c k e r sehen Anstalt 
ist das Tuberkulin therapeutisch wie diagnostisch seit seinem 
ersten Bekanntwerden dauernd benutzt worden, und dass wir 
ihm immer gleichmässig treu geblieben sind, beweist genug. 
Krönig erkennt im übrigen durchaus den ausserordentlichen 
Wert des Tuberkulins an, nur hält er den Befund bei der Kol¬ 
lapsinduration für so typisch, dass es ihm hier entbehrlich er¬ 
scheint. Gewiss, einem so ausgezeichneten Kliniker wie 
Krönig gegenüber würden auch wir auf die Diagnose mittels 
Tuberkulin wohl verzichten, aber im allgemeinen müssen wir 
an unserem Standpunkt festhalten. Wir haben auch die Kon- 
jirnktivalreaktion bei K o 11 a p s i n d u r a t i o n ver¬ 
wertet und ebenso zuverlässige Resultate 
wie mit der s u b k u t a n e n Met h o de erziel t, w i c 
die Kontrolle mit letzterer ergab'). W ir halten, 
solange die neuen Methoden der Tuberkulindiagnostik noch 
nicht genügend erprobt sind, die vergleichende Anwendung der 
verschiedenen Arten für sehr zweckmässig und erachten einen 
übereinstimmenden Ausfall derselben für viel beweisender als 
manche einfache Versuchsreihe (vergl. auch J u n k e r“). W ir 
warnen auch dringend davor, so sehr weitgehende Schlüsse 
bezügl. der Prognose aus dem Ausfall der Reaktion zu ziehen, 
w ie z. B. Wolf-Ei sn er es tut. 7 ) 

Das schadet der Methode. Im übrigen herrscht zur Zeit 
ja bezüglich der Dosierung der Tuberkulinlösungen bei den 
neueren Methoden dieselbe Zersplitterung, die noch heute, nach 
so vielen Jahren, bezüglich der Anwendung der subkutanen 
Methode herrscht (vergl. Bandelier und R ö p ke ") . Es 
würde zu weit führen, liier im Einzelnen das Fiir und W ider 
der verschiedenen vorgeschlagencn Modifikationen der Haut- 
und Konjunktivalreaktion zu erwägen; ich mochte mich dar¬ 
auf beschränken zu erwähnen, dass die bei uns geübte An¬ 
wendung der betr. Methoden, die sich schon Ende 1 ( >07 auf 
über 500 Fälle stützte, 4?fidiese sind inzwischen noch ganz er¬ 
heblich vermehrt worden uns ausgezeichnete Resultate er¬ 
geben hat. Ich möchte das „u u s“ hier besonders betonen, 
denn von anderer Seite ist vielfach über fatale Schädigungen 
oder über unzuverlässige Ergebnisse berichtet worden, bei 
angeblich gleicher Methodik. W i r ha b e n ernster e 
Schädigungen nicht gesehen und, wie schon oben 
erwähnt, in vielen Fälle n, es w a r e n ii her H »n 
die eine Methode du rch die beiden andi m ode r 
jedenfalls durch eine von beiden nachkon¬ 
trolliert und mit einer Ausnahme g e f u n d e n, 
dass sich die Resultate v o 11 k o m m e n deckt e n. 
W 7 ir können nicht umhin, der Vermutung Raum zu geben, dass 
technische Mängel oder die Verwendung stark reizender Prä¬ 
parate und Lösungen oder eine abweichende Auffassung des 
Begriffs der Reaktion andere Forscher zu einer anderen An¬ 
sicht von dem Wert der neueren Methoden kommen Hessen. 
Gerade die feste Umgrenzung des Begriffs der Reaktion ist 
etwas unbedingt Notwendiges, um, wie Junker (I. c.) sagt, 
vergleichbare Unterlagen für die verschiedenen Untersucher 
zu schaffen (das Nähere ist an Ort und Stelle (I. c.) nach¬ 
zulesen). 

Nach dieser Abschweifung über die Tubcrkuliudiagnostik, 
die aus Rücksicht auf ihren grossen Wert für den Praktiker 
etwas breiter abgehandelt worden ist, mochten wir noch ein¬ 
mal die Anzeichen der K o 11 a p s i n d ii r a t i o n der 
rechten Lungenspitze bei Mundatmung zu¬ 
sammenfassen. Wir finden: 1. auamnestisch: keine Heredität, 
geringe Beschwerden im Verhältnis zu der Dauer der Er¬ 
krankung, keine auffällige Gewichtsabnahme, seit Jahren be- 

'*) F ranz: Die Bedeutung des Tuberkulins für die Enilkliaguose 
der Tuberkulose und die erste Anwendung desselben in der Armee. 
Wiener medizinische Wochenschrift, 

: ') B I ii m e I und Clarus: Medizinische Klinik. |un7. 5n. 

,l ) .1 u n ker: Untersuchungen über die v. P i r i| u e t sehe Tuber- 
knlinreaktion bei Erwachsenen. Münch, mcd. Wnchciischr., Wus. 5. 

7 ) \V o I f f - E i s n e r: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und 
Berl. kiin. W'ochenschr., lüus. 

s ) B a n d e I i e r und Röpke: Lehrbuch der s c dn , p. •< I i •- 
gnostik und Therapie der Tuberkulose. A. Stübers \eil.u; i' i \ 


stellende Behinderung der Naseriatmurg; 2. obiektiv: mitt¬ 
leren Kräfte- und Ernährungszustand, km.m Habitus phtlnsi- 
eus, die typischen An/nclien der Mundatmung (Physaigpnm.e. 
Aprosexie, Rhinolalie) gute respiratorische \ i rsJue bhjiki .t 
der unteren Limgengrmzen. isolierte Erkra: kui.g der rechten 
S|>itze, und zwar fibröse Induration mit k««llaptiv er Schrump¬ 
fung, eitlen ziemlich inaktiven, die Symptome progred.i: "er 
Phthise vermissen lassenden k rar.kheitspri./ess und ein de 
Naseiuitmuiig hemmendes Hindernis m N.oe- "der N.;-en- 
racheiiraum. In zweifelhaften Fallen hat du. Iherap:e und d e 
diagnostische Anwendung \ "ti I übet kühn zu eutsJkjdv n. 
(Die RotitgeiimilersuJmng last uns hier, was d.e Stil'ung dm 
Diiferentialduigiiose anbetrifft, im SnJi.) 

Wir kommen nun zur Pathogenese dimer Eorm der 
Kollapsindiiration dir Lunge. Warum erkranken dum gerade 
die Lungenspitzen zuerst und weshalb besonders die richte? 
K r o n i g hat in seiner Arbeit die Grunde im ein/einen an¬ 
geführt. teils aut Lrfabningin anderer, ti i's auf wfee i .getieii 
und die seiner Mitarbeiter gestutzt. Wir mojiteu h.er nur 
j kurz referieren, dass d.iuaJi die Lungi nspit/i n suh. abge- 
I silien von pathologischen \ eiandi rungi m am >ki'mt. vln'i; 
j aiiatoifiisch-pliN siologfsdi anders \erlialtiu a's J;e nbngi n 
Lungenpartieii. Infolge ihrer extratbor.tkalen 1 age und vier 
j Art der Ah/w eigung der >pit/enbrondun vom 1 iauptbron Jms 
I resultiert eine Elrh<«Innig di s Insprf ationmugs und e.ne \ i r- 
| mmderuiig des Fxspnationsjriicks in diu lungmspi:7iti. H;ir 
| werden deshalb mit der Inspiration slutl auigermmmi tie korpus¬ 
kulare Elemente zuerst abgelagert, wie durJi Inbaiatn *nsv er- 
i suche und durch Sektiousheiun Je bei pneutnokon.a*tis J u.fi E.r- 
| Kränkungen bestätigt worJeti ist ls. Krönig). Dir ge¬ 
steigerte liispiratmn^/ug ist es auJi. der d;e Pravalei./ der 
rechten Spitze bedingt; er bat seinen Grund in dir grosseren 
Weite des rechten ^pit/i-uhron Juis ui.J m muht umfang¬ 
reicheren Ver/w eigung. w ie das B i rc h - 11 i r i v h i e I J 
S e u f t e r h e 1 il (I. c.) und nach K r o n i g auch H e 1 m naJi- 
gew lesen haben. 

Wodurch entsteht mm die Kollapsindiiration ' J Durch 
Staubinhalation infolge behinderter Nasenatmung. Ihme >:•»- 
rillig der Naseiiatunmg bestellt Lei allen Kranken längere Zi,:. 
bei denen mit Ra chenm.mde !b\perpume n und Septmmer- 
biegungiTi. wenn diese mJit träum.'.tis v her Natur sind. si-t 
frühester Kindheit. Die ganze lvi sp-rationsluft oder k Jeufalls 
ihr allergr«»sster Teil, nimmt dm Wtg statt durJi die Nase 
direkt durch den Mund. So fehlt die in vier Nase sonst s;mt- 
liabende Vnrw ärmntig. Anteile htnng ii: d Runigaug der In- 
spirationsluft. die sensorischen und ri :L kt«nm Jieu Funkt.oumi 
vom N. trigemmus und N. oüuktorms sn:J auvgi s Jialtet. Die 
Luft gelangt also schlecht vorgevvannt un.il vor allem mangel¬ 
haft filtriert, beladen mit dm m ihr suspendierten k«n puskwhreti 
Elementen (vor allem Staub) in Pharynx. 1 arvnx. Trachea m'd 
Bronchen und ruft liter chronische KY'/ziiMarJe hervor, d.e in 
Katarrhen derSchleimhäute der oberen Luit vvi ge bi Milien. I hi se 
katarrhalischen/ustaikli werden, abgelebtn v««n di n S J:ad‘: Ji - 
keiten der Inspirationslnft mich durJi aus dem N asenraJU r- 
raum heraHlicssende Sekrete unter halten; den” d.e 1 : tkrnung 
der Sekrete auf dem sonst ublijien Wege ii.uti aussm hin ge¬ 
lingt bei den patlnJogis Ju n /ustaudii: des Nan nr.u henraams 
nur unvollkommen. \« n den gro^smm lti««i:dkii gnift der 
Katarrh auf die kleinerer., von da auf d.e Alveole: ubir. Dmn 
kommt ns zur H\ per plane dis mteistitkHin Luugeugi w e'vs, 
ilas sich allmählich zu festem Narl e i gevv i be \md;Jrm (binde¬ 
gewebige liiduratkfff). Infolge der \ erd-J.uug dir >Jkidi- 
w finde lind des Druckes des Gewebes vwrdm d.e erkrankter 
Partien Initiier und verfaüm der k««ID ptAirr Sc linruptur g. 
Der \ orgaug ist ganz analog d< tu v<n vier ..Pnenm« k« i n h’- 
her bekannten. Die ..KollapsieJ ump • ii * Kr««nigs m vlc’m.uh 
j eine besondere Eorm dir hr«uns.heb fibrös*;;, , **v*;t.J!m 
i Bronchitis, wie wir sie /. B. auJi ln; v e ru.' rbti r luhmkäse. 
| bei abgehobener Pneumonie etc. mIiui. 

1 Nach dem < iesagten nässte d.e K• »11.:::r J':r.i:.« n m dm 
Praxis des Laryng---R!;;i:ob get: f\ s. .b m g \ :k< m.mm:. 
1 Dass die Erkrankung von du>ei*i >:«h ”• Jtt lksclnebtO 

I- 

j ") B i r c h - fl 1 i s « i i : l , ; ‘i r ' ■ ' " : 1 •:-• ' . 

niiMfii I uiiciTitid'*. • 1 1 1: .se. I '■ ■ • , 1 • v '■ ^ , ■ ■ ■ ^ ^ v„, 

I |ViS. 


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23. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1377 


worden ist, ist darauf zurückzuführen, dass der Rhinologe nicht 
auf die Lungenveränderungen aufmerksam geworden ist, weil j 
die sofort in Angriff genommene operative Therapie schnell 
alle Beschwerden des Patienten beseitigte. 1 

Zusammenfassung: Es gibt eine typische Erkran- j 
kungsform der Lunge bei Individuen mit chronisch behinderter 
Nasenatmung, die zuerst von K r ö n i g als solche beschrieben 
worden ist; sie besteht in fibröser Induration mit kollaptiver 
Schrumpfung der rechten Lungenspitze und last sich zumeist 
gut gegen Tuberkulose abgrenzen infolge anamnestischer, 
klinischer und bakteriologischer Verschiedenheiten; event. ist 
die operative Therapie und das Tuberkulin zur Sicherung der 
Diagnose heranzuziehen. Der negative Ausfall der proba- 
torischen Tuberkulineinverleibung (Konjunktival-, Haut- oder 
subkutane Reaktion) ist als beweisend anzusehen, um Tuber¬ 
kulose ausschliessen zu können. Der Krankheitszustand ent¬ 
steht durch Staubinhalation; vorausgehen Katarrhe des Pha¬ 
rynx, Larynx, der Trachea und Bronchen, die infolge der Aus¬ 
schaltung der Nase als Schutzapparat des Respirationstraktus 
entstehen. Die Lungenspitzen erkranken eher als andere 
Lungenpartien, die rechte eher als die linke infolge anatomisch- 
physiologischer Verschiedenheiten. Die Erkrankung ist eine 
Form der chronischen fibrösen interstitiellen Bronchitis. 


lieber das Vorkommen und die Bedeutung des retro¬ 
graden Lymphtransportes im Bereich desAngulus venosus 
sinister. 

Von Dr. C a r I H a r t, Prosektor am Auguste Viktoria Kranken¬ 
haus in Schöneberg-Berlin. 

Die bekanntlich sehr umstrittene Frage des Vorkommens 
eines retrograden Lymphtransportes hat durch meine Versuche 
an jungen Katzen 1 ) eine eigenartige Beleuchtung erfahren. 
Indem sich bei Injektion einer Tuscheaufreibung unter das 
Schwanzfell und in die Peritonealhöhle mit grosser Konstanz 
neben der Schwarzfärbung des unmittelbaren Transportweges 
(eingeschaltete Drüsen) eine einzelne Lymphdrüse oder eine 
kleine Drüsengruppe im linken Angulus venosus an der Mün¬ 
dungsstelle des Ductus thoracicus mit dem Farbstoff füllte, 
ergab sich die Feststellung, dass eine offenbare Verbindung der 
Lymphbahnen der unteren Körperhälfte mit dieser Drüse oder 
Drirsengruppe im linken Angulus venosus bestand. Bei dieser 
Erscheinung kann es sich um gar nichts anderes als einen 
retrograden Lymphtransport aus dem unmittelbaren Strom¬ 
gebiet des Ductus thoracicus handeln, welchen man sich, da 
die in Betracht kommenden Drüsen in der Einflusszone der 
oberen Thoraxapertur gelegen sind, mit aller Wahrscheinlich¬ 
keit aus den durch die Atembewegungen des Thorax verur¬ 
sachten Druckschwankungen erklären muss. Allerdings sind 
diese Druckschwankungen, welche eine Art Saugwirkung aus¬ 
üben, zunächst in ihrer Bedeutung nicht zu überschätzen, denn 
der im Lymphstrom enthaltene Farbstoff wird unter ihrem 
Einfluss nicht über die Angulusdrüse hinausgeführt . Nur dann, 
wenn die im Angulus venosus gelegene Lymphdrüse völlig 
verlegt ist, findet ein weiterer retrograder Transport des Farb¬ 
stoffes auf dem Lymphwege statt infolge der Erweiterung und 
Klappeninsuffizienz der entsprechenden Vasa afferentia. In 
dieser Hinsicht treffen alle jene Ausführungen zu, welche 
Lubarsch und Beitzke bezüglich der tuberkulösen In¬ 
fektion der Bronchiallymphdrüsen von den unteren tiefen Hals- 
lymphdrüsen aus gemacht haben. 

Der, retrograde Lymphtransport aus dem Ductus thora¬ 
cicus in die Lymphdrüse im Angulus venosus vollzieht sich, 
nach der Konstanz der Versuchsergebnisse zu urteilen, mit 
einer Regelmässigkeit, dass ich geradezu von einem physio¬ 
logischen Vorgang sprechen zu dürfen glaube. Dazu be¬ 
rechtigt mich auch die Versuchsanordnung selbst, welche dem 
Tuschetransport den nach Möglichkeit weitesten Weg vor¬ 
schrieb, also den Druck der Injektionsspritze sicher aus¬ 
schaltete und den Farbstofftransport in einer der normalen 
Lebensäusserung entsprechenden Weise sich vollziehen liess. 
Ist die den regelmässigen Atembewegungen des Thorax bei- 


*) Karl Hart: Zur Frage der Genese der tuberkulösen Lungen- 
phthise. Deutsche medizinische Wochenschrift, 1907, No. 43. 

No 30 


gemessene Bedeutung richtig, so liegt in diesem physio¬ 
logischen Vorgang des Weiteren die Berechtigung,'auch den 
retrograden Lymphtransport im Bereich des linken Angulus 
venosus als physiologisch anzusehen. 

Es kam mir nun sehr darauf an, das zunächst recht über¬ 
raschende Ergebnis des vitalen Tierexperimentes auf die Ver¬ 
hältnisse beim Menschen übertragen zu können. Ich hatte kein 
Bedenken genommen, aus meinen Versuchsresultaten die ent¬ 
sprechenden Schlüsse für die Pathologie des Menschen zu 
ziehen, da die gleichen anatomischen Verhältnisse vorliegen. 
Die massgebenden Feststellungen Beitzkes habe ich in 
jeder Hinsicht bestätigt gefunden. Die im linken Angulus 
venosus gelegene Lymphdrüse liegt unmittelbar vor der Mün¬ 
dung des Ductus thoracicus in die tracheobronchialen Vasa 
efferentia eingeschaltet, deren letztes Filter sie somit bildet. In 
nicht allzuseltenen Fällen vermittelt die Lymphdrüse eine Kom¬ 
munikation zwischen diesen aus dem Thorax aufsteigenden 
Abflussbahnen und den Vasa efferentia der tiefen Halslymph- 
drüsen, ohne dass sich aber nach der Natur der so vereinigten 
Lymphbahnen eine Zufuhr der Lymphe unmittelbar aus einem 
Stromgebiet in das andere ergäbe. 

Die Injektionsversuche, welche ich an kindlichen Leichen 
in grosser Zahl vorgenommen habe, ergaben ein sehr ein¬ 
deutiges Resultat. Als Injektionsflüssigkeit wurde wieder eine 
Tuscheaufreibung verwendet, die Injektion erfolgte ipiter einem 
möglichst geringen Drucke, nachdem vorher die venösen Qe- 
fässe abgeklemmt worden waren. Die Abklemmung wurde 
später zum Teil unterlassen, nachdem sie sich in Bestätigung 
einer persönlichen Mitteilung des Herrn Dr. B e i t z k e als un¬ 
nötig erwiesen hatte. Bei einer Anzahl von Versuchen blieb 
die obere Thoraxapertur erhalten und wurde während der 
Injektion entsprechend ihrer respiratorischen Bewegung ge¬ 
hoben und gesenkt. 

Die Resultate nun dieser in situ vorgenommenen Injek¬ 
tionsversuche entsprechen durchaus den von mir bei meinen 
Katzenversuchen erhobenen Befunden. Es füllen sich mit 
Farbstoff vom Ductus thoracicus aus. und zwar noch ehe dieser 
bei Venenabklemmung ein pralle Ausdehnung zeigt, fast kon¬ 
stant einige Drüsengruppen, welche paarig zu beiden Seiten 
des Duktus gelegen, von mir in den Protokollen kurz para¬ 
aortale Drüsen genannt wurden, im Bauchteil lumbale Drüsen, 
ferner eine oder auch zwei kleine Lymphdrüsen im Angulus 
venosus 3 ). Das die Zufuhr des Farbstoffes vermittelnde Vas 
efferens lässt sich besonders auch im Angulus venosus leicht 
erkennen. Die Versuchsergebnisse sind keine ganz regel¬ 
mässigen, es fiel mir auf, dass die Füllung der Lymphdrüse 
im Angulus, je älter das Individuum (das älteste war 21 Jahre 
alt) war, um so weniger sicher eintrat, woraus ich gewisse, 
allerdings zunächst noch unbewiesene Schlüsse zog. 

Abgesehen von anderen interessanten Feststellungen, 
namentlich der eines in recht weitgehendem Masse möglichen 
retrograden Lymphtransportes aus dem Ductus thoracicus 
selbst ergab sich jedenfalls für mich die Tatsache, dass beim 
Menschen ganz in gleicher Weise, wie es meine Katzenver¬ 
suche zeigten, ein retrograder Lymphtransport aus dem Ductus 
thoracicus in eine im Angulus venosus gelegene Lymphdrüse 
oder Lymphdrüsengruppe möglich ist. Ich glaube, dass auch 
beim Menschen dieser retrograde Strom geradezu physio¬ 
logisch zu nennen ist, wenigstens für das Kindesalter. Bei 
Kindern steht, je jünger sie sind, die obere Thoraxapertur um 
so weniger geneigt zur Horizontalebene und namentlich bis 
zum zweiten Lebensjahre ist die geringe Neigung der Apertur 
eine sehr auffallende. Entsprechend diesen anatomischen Ver¬ 
hältnissen liegt der Angulus venosus bei Kindern in aus¬ 
gesprochener Weise in der Einflusszone der oberen Thorax¬ 
apertur. Da nun mit zunehmendem Alter die Apertur sich 
immer steiler gegen die Horizontale einstellt, so liegt es 
nahe, den Wert des Einflusses der respiratorischen Bewegung 
des obersten Rippenringes auf den retrograden Lymphtrans¬ 
port im Bereich des Angulus venosus immer geringer zu ver¬ 
anschlagen, obwohl er nie völlig gleich null sein wird. Viel¬ 
leicht erklären sich so meine Beobachtungen. 


2 ) Dass die Bronchialdrüsen frei bleiben, ist selbstverständlich 
nach*den vielen Arbeiten, welche Weleminskis Lehre von der 
Bedeutung dieser Drüsen als Lymphherz widerlegt haben. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1578 


MUENCHENRR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Was die Versuche selbst anbelangt, so hat B c i t z k e ganz 
die gleichen Beobachtungen gemacht und darüber auch kurz 
auf der letzten Tagung der Deutschen pathologischen Gesell- 
schaft berichtet. Ich habe seine Präparate persönlich in Augen¬ 
schein genommen und fand mich mit ihm in vollem Rinklang 
der Auffassung. 

Die Bestätigung meiner Katzenversuche für den Menschen 
ergibt sich nun aber nicht allein aus meinen neuen Injektionsver¬ 
suchen an Leichen, sondern auch aus Vorgängen, welche sich 
zu Lebzeiten des Menschen abspielen. In erster Linie ist hier 
an die bekannte Beobachtung zu erinnern, dass bei Magen¬ 
karzinom nicht selten schon frühzeitig die linksseitigen Supra- 
klavikulardriiscn, d. h. die Lymphdriisen im Bereich des 
Angulus venosus krebsige Infiltration erfahren. Ls handelt sich 
in diesen Fällen, wie ich sicher glaube annehmen zu dürfen, 
im wesentlichen um einen retrograden Lymphtransport ver¬ 
schleppter Krebszellen aus dem Ductus thoracicus in die 
Angulusdrüse, wenngleich damit ein anderer Transportweg, 
z. B. durch die Vasa niammaria interna nicht völlig ausge¬ 
schlossen sein soll. Die Annahme des retrograden Transportes 
scheint mir durch zwei Feststellungen begründet. Finmal er¬ 
kranken so gut wie stets gerade die linksseitigen, also die der 
Mündung des Ductus thoracicus entsprechenden Lymphdriisen, 
dann aber ist zweitens die Beobachtung sehr ins Gewicht 
fallend, dass bei abnormer Mündung des Ductus thoracicus in 
den rechten Angulus venosus nun diese rechtsseitigen und 
nicht die linksseitigen Lymphdriisen krebsig infiltriert werden. 
Ich selbst habe eine derartige interessante Beobachtung 
machen können und durch Präparation sichergestellt, es 
handelt sich aber um eine schon mehrfach festgestellte Fr- 
scheinung 3 ), auf die ich deshalb auch nicht näher einzugehen 
brauche. 

Fs gibt mir aber diese Beobachtung Veranlassung, noch 
einige wenige Worte über Anomalien des Verlaufes des Ductus 
thoracicus zu sagen. Solche habe ich, abgesehen von der Fest¬ 
stellung der rechtsseitigen Rinmündung in den Angulus venosus 
zweimal gemacht. Das eine Mal fand ich eine Verdoppelung 
des Ductus thoracicus bei normaler anatomischer Lage beider 
Oefässe vom Zwerchfell an mit einer entsprechenden dop¬ 
pelten Einmündung in den linken und den rechten Angulus 
venosus. Das zweite Mal mündete der Ductus thoracicus 
überhaupt nicht in einen Angulus venosus ein, seine Mündung 
konnte aber nicht festgestellt werden, da bei der Präparation 
das Gewebe mit Tusche verunreinigt w urde und Fehler unter¬ 
liefen. Aber ich wollte ]a auch nur auf derartige Anomalien 
hinweisen. 

Einen sehr schönen Beweis einer, wie ich meine, retro¬ 
graden Erkrankung der linken Angulusdrüse erbrachte mir die 
Sektion einer an primärer Darmtuberkulose leidenden Frau. 
Ausser schweren tuberkulösen Veränderungen des Darmes 
und der Mesenteriallymphdriisen fanden sich ganz frische 
metastatische Lungenherde und eine schwere Verkäsung der 
linken Angulusdrüse, deren Infektion sicher weiter zu rück lag 
als die der Lungen. Die tracheobronchialen Lymphdriisen 
waren auch mikroskopisch gesund, es fanden sich auch sonst 
nirgends tuberkulöse Herde im Körper, aber in der untersten 
linken Halslymphdrüse, wenig oberhalb der verkästen An¬ 
gulusdrüse, lag ein kleiner tuberkulöser Herd mit beginnender 
Verkäsung, während die übrigen sorgfältig untersuchten Hals- 
lymphdriisen gesund waren. 

Das ist doch eine recht bezeichnende Beobachtung, die 
von neuem bezüglich der Tuberkulosefrage, für welche die vor¬ 
liegenden Untersuchungen ja in erster Linie wichtig sind, zeigt, 
wie zweideutig manche anscheinend so klaren Befunde sind. 
Fine retrograde Erkrankung der Angulusdrüse zu bezweifeln, 
lag für mich nach allen meinen Untersuchungen und nach dem 
Sektionsbefund kein Anlass vor. Bedeutsam erscheint mir 
aber, die tuberkulöse Erkrankung der Halslymphdrüse ober¬ 
halb der Angulusdrüse, denn damit zeigt sich, dass von 
einer r etr o g r a d t u b e r k uIös erkrankten A n- 
g u 1 u s d r ii s e a u s unter g e w r i s s e u Beding u n g e n 
w e i t e r h i n nicht nur t r a c h e o b r o n c h i a 1 e, son¬ 
dern auch zervikale Ly m p h d r ii s e n retr o g r a d 

J ) Vere r l. z. B. Ho sch: Mitteil. a. d. (ircn/geh, d. Med. u. Uiir., 
'■d. IN, H. 3, 1907. 


No. 


t u b e r k u 1 ö s werden k ö n n e n. Eine von L u - 
barsch betonte völlige Verlegung der Ursprung!:*. Ii er¬ 
krankten Drüse bleibt deshalb \ orbedmgung. weil nur Lymph- 
stauung und Klappenmsuiii/ienz der \asa eticrentia einen retro¬ 
graden Transport der Tuberke IbaziIIe n e rklären. Im übrigen 
aber wird aus den von B e i t 7 k e. Most, mir sehst u. a. 
festgestellten anatomischen Verhältnissen alles verständlich. 

Die Bedeutung der retrograden Zemkuldruseiierkrai.kling 
hegt klar auf der Hand. Ulme Kenntnis und genügende* Er¬ 
klärung dieses Vorganges musste man. wenn man eine primäre 
Infektion der Lungen leugnet, an eine lu\usion der Iuberkel- 
bazilleii im W urzelgebiet (besonders orale Injektion) der Zer¬ 
vikaldrüsen denken mit Intaktlassen der Eintrittspforte und 
Durchwandern mehrerer Lymphdriisen. Man wird künftighin 
derartige Beobachtungen, welche zugleich mit Darm- «»der 
häufiger Lungentuberkulose resp. Tuberkulose der BmnUi .il- 
lymphdriisen gemacht werden und dann natürlich \<>n den 
Anhängern der intestinalen (im weitesten Sinne) Genese der 
Lungenerkrankiing zur Stutze ihrer Anschauungen heran¬ 
gezogen werden, einer sehr sorgfältige n Untersuchung unter¬ 
werfen und mit einer neuen Möglichkeit rechnen müssen. 

Ich will ehe vielumstrittene Frage nach dein Infektionsweg 
der Lungentuberkulose nicht von neuem aufrolieii, denn das ist 
nicht der Zw eck dieser kurzen Mitteilung. Mit e nur Sc h, uss. 
folgerung will ich mich begnügen. F s braucht eine 
t u b e r k uIöse Erkrankung der unteren Hals- 

lymphdriisen . als unterste kann man oft die Angaltis- 

druse auffassen — bei gleichzeitiger Lunge n - 
tuberkulös e u n d o h ne eine s o l c h e, n i c In et n 

Beweis f ii r eine Infektion im W u r z c I g e b i e t 

der II a I s 1 y m p h h a h n e n zu sei n, sondern sic 
k a n n s o w o h I a u i d e m W e g e u b er d i e 1. u n g e n, 

und B r o n c h i a 11 y m p h d r u s e n als a u c h v o n 

irgend eine m (.) u e 1 I g e b i e t des Ductus t h <* r a c l - 
cus aus erfolgen. Es konnte s.mm audi eine Ha/:!!«,n- 
einscliw emmung \ om Darm aus m Frage kämmen. Praktisch 
aber am wichtigsten, tatsächlichen Ere.gnissen aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nadi am besten und am häufigsten entsprechend 
bleibt noch immer die Infektum \ on der Lunge und den 
Broncliiallyinphdrusen aus. kh wuss nicht, ob kh mdit d«»di 
zu weit zu geben geneigt bin. aber idi will eine Beobachtung 
erw filmen, welche mir sehr auftulug war. Bei einem alt«, reit 
Knaben fand sich neben einer fast totalen Verkreidung der 
Hilnsdriisen eine schwere käsige 'Tuberkulose der linken Hals* 
lymphdriisen. deren oberste zwar geschw ollen, aber ebenso 
wie die Tonsille nicht sichtbar tuhe ikulos waren. Idi dachte 
an eine retrograde Erkrankung dieser Drusen von den last aus- 
geheillen Brondnaldiuseti aus, c»b mit Recht, Hube dalur.- 
ge stellt. 


Aus der kgl. Uuiversitats-Augenklinik zu Mundieii (Vorstand: 

Prot. I )r. (). F vers b u s c b). 

Ueber Behandlung der Blennorrhoea neonatorum mit 
Rinderserum. 

Von Dr. \\. Gilbert, I. Assistenzarzt der Kumk. 

\'<>n zwei Seiten ward vor kurzem filier neue Ges.Jits- 
punkte bei der Behandlung eitriger Prozesse berichtet. 
M ii I I e r und Peiser 1 ) suchten durdi küitvdkhe Annierment- 
Zufuhr Resorption und proieolvtis J;e (iew ebseiusc hmel/uug 
beim heissen Fiter zu verhindern. Sie K nutzten h.er/u 
menschliches Blutserum und bestimmte Punk:u»nsflussfgke:ten 
aus Brust- und Baudiliolile. Etir den E'rfoig dieser Behandlung 
bei allen Prozessen, wo das Serum mit dun Eiter absnndern- 
den Gewebe in direkte Benui/img k'-mmt. machen d e Autoren 
unter anderm auch ..eine Masseuw irkimg fast aber i e t e r 
Sclintzkrfifte, mit denen sidt der Organismus gegen d.e In¬ 
fektion verteidigt“ verantwortlich. 

Dieses letztere Moment führte M o r o und M a n d e I - 
bäum unabhängig von Müller und Peiser und gleich¬ 
zeitig mit diesen Autoren dazu. Inches Rmders C rum bu der 
I lierapie eitriger Prozesse in Anwendung zu bringen. Ihre 

H Müller und Peiser: üue Wp*>s \, t; 
S. syl. ’ ’ 


Diqitiz ed b v Ga gle 


Original frnm 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



28. Juli 1908. 


MUfiNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1579 


ersten Versuche erstreckten sich auf die Behandlung eitriger 
Kolizystitiden bei Mädchen mit Einläufen von frischem, unver¬ 
dünntem Rinderserum in die Blase. Ueber die günstigen Er¬ 
folge dieser neuen Therapie berichteten M o r o und Mandel- 
baum in No. 18 dieser Wochenschrift. Die Autoren fühlten 
sich jedoch angesichts des geringen Materials vorläufig noch 
nicht berechtigt, ein abschliessendes Urteil über diese Be¬ 
handlungsweise zu sprechen. 

Eine Uebertragung dieser Therapie auf eitrige Augen¬ 
erkrankungen schien uns deshalb aussichtsreich, weil das Er¬ 
krankungsgebiet ja hier besonders leicht der direkten Be¬ 
rührung mit dem Serum zugängig ist, sodann aber weil die 
Volksmedizin ähnliche Mittel längst schon angewandt hat. Es 
sei nur daran erinnert, dass die hippokratische 
Schule 2 ) Frauenmilch bei Eiterfluss aus Nase und Ohr ver¬ 
wandte, und dass C e 1 s u s 2 ) sich der Frauenmilch bei heftigen 
Augenentzündungen bediente. Wird doch auch heute noch 
hier und da bei Augenblenn-orhöe Milch in den Konjunktival- 
sack eingeträufelt. 

Das eigentliche Feld für diese Behandlung gibt dem 
Ophthalmologen die Blennorrhoe der Konjunktiva ab. Nach 
dem Vorgänge Moros und Mandelbaums verwandten 
wir tierisches Serum und zwar. das stets leicht aus dem 
Schlachthaus zu beziehende Rinderserum. 

Bisher wurden 8 Fälle von Qonoblennorrhoea neonatorum 
teils ambulant, teils klinisch mit dem Serum behandelt, wobei 
sich folgendes ergeben hat: 

Nach Bespülung des vom Eiter befreiten Konjunktival- 
sackes findet zunächst eine vorübergehende Exazerbation der 
Eiterung statt, die nach 1 bis spätestens 2 Tagen einer spär¬ 
licheren dünnen, eitrigen Absonderung weicht. Wird die Be¬ 
handlung in der Klinik durchgeführt, regelmässig tags und 
nachts alle 2 Stunden gespült, so gelingt es, selbst schwerste 
Gonoblennorrhöen in 2—3 Wochen fast ohne jede Anwendung 
von Silberpräparaten zu heilen und die abnorm sezernierende 
Membran allmählich wieder zur Norm zurückzuführen. Tritt 
ein Stillstand in der Besserung ein, d. h. geht die Eiterung nach 
8—14 Tagen nicht ganz zurück, so vermag bei Fortsetzung 
der Serumbehandlung eine nunmehrige 1—2 malige Applikation 
einer 1 proz. Arg. nitr.-Lösung die Behandlung abzukürzen, 
doch ist sie nicht stets unbedingt notwendig. 

Bei ambulanter Behandlung wurde dem Pflegepersonal das 
immer auf Eis vorrätig gehaltene Serum zur Spülung statt 
der sonst üblichen Borlösung mitgegeben. Bei der Mehrzahl 
dieser 6 Kinder Hess innerhalb 8 Tagen die Eiterung erheblich 
nach, verschwand aber nicht ganz. Kombination der Serum¬ 
spülung mit mehrmals wiederholter Arg. nitr.-Anwendung 
führte dann den Prozess innerhalb kürzester Zeit zum gün¬ 
stigen Ende. 

Der Erfolg der Serumspülung kann im mikroskopischen 
Präparat an dem Phänomen der Phagozytose kontrolliert 
werden. Hierüber gibt folgende Tabelle Aufschluss, der die 
Präparate eines Falles von sehr schwerer Gonoblennorrhoe 
zu Grunde liegen: 


Vor der 
Spülung 

20 Minuten 
nach der 
Spülung 

40 Minuten 
nach der 
Spülung 

1 —P/zStdn. 
nach der 
Spülung 

2 und mehr 
Stunden 
nach der 
Spülung 

Reichlich 

Erheblich 

Leukozyten 
dicht zu Haufen 

Wie nach 

Die Phago- 

Gonokokken, 

zahlreichere 

40 Minuten. | 

zytose 

aber viele 

intrazellu- 

zusammenge- 

Höhepunkt 

nimmt all- 

extrazellulär 

läre Lage- 

ballt; nur ganz 

der 

mählich 


rung der 
Gonokokken 

vereinzelte 

extrazelluläre 

Phagozytose 

wieder ab; 
man sieht 



Gonokokken 


wieder reich¬ 



Mehrfach sehr 


lich extra- 



grosse geblähte 


zelluläre 



Zellen mit zu¬ 


Gonokokken. 



grundegehen¬ 
dem Kern, voll¬ 
gestopft von 
massenhaften 


l 



Gonokokken 




*) Vgl. Hovorka und Kronfe 1 d: Vergleichende Volks¬ 
medizin, Bd. 1, 1908, S. 160. 


Die erhöhte phagozytäre Tätigkeit der Leukozyten setzt 
also alsbald nach der Spülung ein, erreicht nach etwa einer 
Stunde ihren Höhepunkt und nimmt nach Verlauf von VA bis 
2 Stunden langsam, aber stetig wieder ab. Das Rinderserum 
besitzt somit reichlich Opsonine gegen die Gonokokken. 

Nun* besteht ja kein unmittelbares Bedürfnis, von der gegen 
die Gonoblennorrhoe so wirksamen Silbertherapie abzugehen. 
Auch hat die bisherige Behandlungsweise durch die von 
Adam für die Blennorrhoea adultorum empfohlene Blenoleni- 
zetsalbe eine wirksame Bereicherung erfahren. Denn auf 
Grund der Behandlung zahlreicher Fälle mit Blenolenizetsalbe 
konnten wir uns von der Wirksamkeit der Adam sehen 
Therapie auch bei Blennorrhoe der Neugeborenen unter gleich¬ 
zeitiger sparsamer Anwendung von Arg. nitricum überzeugen. 

Unser Vorschlag geht denn auch keineswegs dahin, die 
Bespülung mit Rinderserum an Stelle der Behandlung mit 
Silberpräparaten und eventuell Blenolenizetsalbe einzuführen. 
Die Möglichkeit der völligen Heilung selbst schwerer Er¬ 
krankungsfälle durch Serumbespülung bei sorgfältigster 
klinischer Ueberwachung der Therapie ist zwar er¬ 
wiesen. Man wird aber bei einer so gefährlichen Erkrankung 
keineswegs auf die bisher als wirksam erprobte Therapie ganz 
verzichten wollen, zum wenigsten ambulant nicht, und es 
andererseits doch freudig begrüssen dürfen, wenn die Wissen¬ 
schaft ein* weiteres gutes, harmloses Mittel an die Hand gibt, 
welches auch den Anforderungen einer kausalen Therapie ge¬ 
nügt und welches die Behandlungsdauer abzukürzen vermag. 

Wir empfehlen daher, statt de r bisher viel¬ 
fach üblichen Spülungen mit leichten anti- 
septischen Lösungen, die vorwiegend symptomatisch 
zur Beseitigung des allzu reichlich angesammelten Eiters 
dienen, das Serum dem Pflegepersonal zur alle 
2 Stunden zu wiederholenden Spülung mitzu¬ 
geben (auf Eis gehalten, bleibt es mindestens 24 Stunden 
völlig wirksam). Es gelingt alsdann, die Keime zwar nicht 
völlig abzutöten, aber sie aus dem parasitären in einen sapro- 
phytischen Zustand überzuführen, klinisch das schwere Krank¬ 
heitsbild in ein leichteres umzuwandeln. Hierdurch wird der 
folgenden Silbertherapie 3 ) der Boden vorbereitet, durch die 
kombinierte Behandlung die völlige Heilung schneller als 
früher herbeigeführt. 

Bewährt sich diese Methode — sie würde 
den Vorzug einer nicht unerheblichen Ab¬ 
kürzung der B e h a n d 1 u n g s z e i t besitzen — so 
würde es gleichwohl einstweilen noch ge¬ 
wagt erscheinen, die Behandlung der Oph¬ 
thalmoblennorrhoe lediglich und allein mit der 
beschriebenen Serumspülung zu Ende führen 
zu wollen. Dies dürfte nach unseren bis¬ 
herigen Erfahrungen nur unter klinischer 
Kontrolleundauchdannnichtimmergelingen. 

Blennor/höen, bei denen der Gonokokkenbefund ein 
negativer war, und andere eitrige Augenerkrankungen konnten 
dieser Therapie noch nicht in genügender Anzahl unterworfen 
werden . Es wäre verfrüht, aus den spärlichen hierbei ge¬ 
machten nicht ungünstigen Erfahrungen weitgehende Schlüsse 
ziehen zu wollen. 


Aus dem physikalisch-therapeutischen Institut des Kranken¬ 
hauses München 1. I. (Vorstand: Prof. Dr. H. R i e d e r). 

Ueber Sarasonsche Ozetbäder. 

Von Stabsarzt Dr. E. Müller. 

Bereits im Jahre 1904 hat L. Sarason in einer vor¬ 
läufigen Mitteilung in der Deutschen med. Wochenschr. Nr. 45 
über Versuche zur Herstellung von moussierenden Sauerstoff¬ 
bädern berichtet, die er als Ersatz oder wenigstens als Er¬ 
gänzung der Kohlensäurebäder, der bis dahin einzigen mous¬ 
sierenden Gasbadeform, in die Therapie einführen wollte. 
Doch gelang es erst nach vielen vergeblichen Versuchen 
2 Jahre später, diese Sauerstoffbäder — oder Ozetbäder, wie 
sie Sarason benannte — in einer Form herzustellen, die 
allen Anforderungen hinsichtlich einfachster Bereitungsweise, 
Haltbarkeit und möglichst reicher und gleichmässiger Sauer- 


3 ) Wir benutzten bei diesen Versuchen stets eine 1 proz. Lösung 
voh Arg. nitricum. 1 


V 


Digitized b' 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Stoffentwicklung entsprach und ebenso für die Verwendung in j 
Anstalten wie im Hause gleich geeignet war. 

Seit dieser Zeit wurden diese Ozetbädcr in verschiedenen 
wissenschaftlichen Instituten vorwiegend bezüglich ihrer kli- ^ 
nischen Wirksamkeit eingehender und bei den verschiedensten 
Erkrankungen, die die Indikation für arzneiliche Bäder zw - 
Hessen, geprüft. Die dabei gewonnenem Resultate Hessen ein 
weiteres Studium dieser Bäderform als dringend wünschens¬ 
wert erscheinen, insbesondere auch nach der Richtung einer 
im Vergleich zu Kohlensäurebädern erheblich erweiterten Indi¬ 
kation ihrer Verwendung. 

Herr Dr. L. Sarason wandte sich deshalb zu Beginn 
dieses Jahres auch an unser Institut mit dem Ersuchen, die von 
ihm hergestellten Ozetbädcr einer eingehenden Prüfung zu 
unterziehen und stellte uns, nachdem Herr Prof. Dr. Rieder 
mir die Ausführung der Arbeit übertragen hatte, das hiezu 
nötige Material — für je 1 Bad in 1 Blechbüchse verpackt — in 
beliebiger Anzahl zur Verfügung. — Er war bei seinen Ver¬ 
suchen von Anfang an von der Anschauung ausgegangen, dass 
die wohl unbestrittene Wirksamkeit der Kohlensäurebäder nicht 
oder nur zum allergeringsten Teil eine chemische, sondern eine 
rein mechanische sein müsse, und zwar dadurch, dass die im 
Kohlensäurcbade sich in zahlreichen Bläschen dem Körper des 
Patienten auflagernde Kohlensäure eine mehr oder weniger 
intensive Reizung der Endverzweigungen der sensiblen Haut¬ 
nerven mit den hieraus folgenden reflektorischen Wirkungen 
auf das ganze Gefässystem bezw. die Tätigkeit des Herzens 
selbst bilden. Bei der Tatsache aber, dass in dem moussieren¬ 
den Kohlensäurebade die einzelnen Bläschen verhältnismässig 
gross sind und deshalb die Körperoberfläche des Badenden 
von entsprechend weniger Reizpunkten getroffen w ird, musste 
die Wirkung dieser mechanischen Hautreizung -- Frottierung 
oder Gasbürste nach Sarason — um so grösser sein, wenn 
es gelang, bei den Ozetbädern die Entwicklung des Sauerstoffes 
in so reichlichem Masse zu ermöglichen, dass in einem Bade 
die an sich etwa um das Fünffache kleineren Saucrstoffbläschen 
dem ganzen Körper gleich einer feinen Decke oder einem feinen 
Schleier sich auflagern und so zahlreiche Reizpunktc der Haut¬ 
oberfläche entstehen. - Aber auch abgesehen von einer Stei¬ 
gerung dieser Wirkung muss das Bestreben nach einem Ersatz 
bezw. einer Erweiterung unserer medikamentösen Bäder¬ 
therapie gerade auf dem Gebiete der moussierenden Gasbäder, 
deren einziger Vertreter, wie erwähnt, bisher das Kohlensäure¬ 
bad war, um deswillen» auf das lebhafteste begrüsst werden, 
weil eben bei aller Anerkennung der guten Wirkung eines 
Kohlensäürebades bei einzelnen Erkrankungen die demselben 
* anhaftenden und durchaus nicht so sehr seltenen unangenehmen 
Nebenerscheinungen infolge Einatmung der dem Bade ent¬ 
weichenden Kohlensäure -- Kopfschmerz, Schwindel, Er¬ 
brechen, Herzklopfen — die Indikation nicht unwesentlich ein- 
schränken. 

Dabei soll natürlich keineswegs ausgesprochen sein, dass 
es sich bei der Herstellung des Sarason scheu Ozetbades 
etwa ausschliesslich um die Ersetzung der Kohlensäurebäder 
durch die Ozetbädcr handeln sollte; dies wäre schon bei der 
grossen Verschiedenheit der beiden Gasarten an sich und nach 
der Art ihrer Mischung mit dem Badew asser nicht zu erw arten, 
insoferne die Wirkung des Sauerstoffes in nascendo im Sara- 
son sehen Bade mit seiner kräftigen Oxydationsfähigkeit und 
stark desinfizierenden Eigenschaft eine wesentlich verschiedene 
sein muss von der dem Badewasser auf dem Wege zur Bade¬ 
wanne aus Stahlbehältern (Bomben) zugefiihrten Kohlensäure, 
trotz der anscheinend identischen Beschaffenheit der beiden 
Bäder. 

Die Versuche der Bereitung und der therapeutischen Ver¬ 
wendung von Sauerstoffbädern sind ja an sich nicht neu. Doch 
bestanden alle diese Versuche in der einfachen Zuführung be¬ 
reits fertigen, atmosphärischen Sauerstoffes aus eigenen Be¬ 
hältern zum Badewasser. Eine nachweisbare Wirkung konnte 
jedoch diese Art von Sauerstoffbädern aus verschiedenen 
Gründen nicht haben, vor allem deshalb nicht, weil infolge des 
geringen Lösungsvermögens des Wassers für Sauerstoff der 
Gehalt an Sauerstoff bei w eitem nicht hinreichend war für die 
gewollte Wirkung. Und da ferner die Reaktionsfähigkeit des 
aktiven, erst im Badewasscr selbst und während des Bades 
entwickelten Sauerstoffes eine sehr erheblich grössere ist und 


bei quantitativ genügender Menge dieser Sauerstoiientw kKc- 
lung zugleich ein kräftiges Moussieren bewirkt wird, so war 
der Weg für die Herstellung moussierender Sauerst*»ifbaJer nn 
allgemeinen vorgezeichnet. Im einzelnen waren freiliJi hin¬ 
sichtlich der schon eingangs erwähnten Anforderungen n*»Ji 
viele Schwierigkeiten zu überwinden. 

Das uns min vorliegende, /ur Verwendung fertige baraso n - 
sehe Ozethad bestellt ans en. am g .Vitiinmpcrh.-rat ein 
w eisses, trockenes, kristallinisches >ai/ und ca. P." g Maugan-'.-r .it 
- ein gelhlich-w eisses Pulver als Kataivsator. Die he. den Prä¬ 
parate befinden sieh (ersteres in Papier, letzteres in einem Svli.i v btc j- 
eilen geSondett gepackt) m einer gut \ ei selm-ssenen Hkdihachse unJ 
sind unbegrenzt haltbar, was als ein atisseo»r Jeutache r V.-i/ug be¬ 
trachtet werden muss. 

Zur Herstellung eines Ozetbades wird in die gelabte Hu.kwjunc 
zuerst das Natmimperborat gleidmiussig über die ganze Wasser-* 
Oberfläche gestreut und darauf in der gleichen Weise das M.mgan- 
horat, woraui der Patient sich viort ms Had begibt. bei» u navli 
etwa 1 Minute beginnt eine ungemein reiche 1 nt w ick.img \ -n ai\- 
1 1 \ ein bauerstoffgas m der hum zahlloser kleinster MlasJun, die ic‘i 
bei meinen Versuchen tatsächlich viel intensiver tatid. ais ich nadi 
den bisherigen V eroüeiithc hungc» angelt-- mmen hatte. Das Aut- 
selnesseii dieser kleinsten Hki-sdren war haung e\pl -si<.n\.rtig - - 
bei den meisten verabreichten Hadern derart krallig, dass das Mous¬ 
sieren des Wassers wie cm tormhdies Hrauseti im ganzen HaJe- 
rauinc deutlich hörbar war. Die bauerst--neutw ickiung ist an a..e:i 
Stellen des Hades eine völlig gkichniassige. t ueidi/cilg nimmt dal ».i 
das Wasser zunächst eine milchige Irubung an. me a.sl-.nd in eine 
tieibramie l arbung ubeigehl durdi die l mwand.ung des gedmd*- 
weissen Katalysators in kleine braune f iockdum v-n M.o gansuju'- 
o\\d iniolgc der l inwirkung des naszierenden baue:st- nes. last 
immer setzen sich solche braune f'iockdteti au dl aut der Maut 'o 
Patienten ab, sie sind aber nadi dein Hade um dein Hade(u,t;t u.di; 
wieder zu cntlenien. l.benso hiiJel sich bei »edem ti/t'oaJe em 
feiner Niederschlag von Mangansuperow J am Hoden und de n Wan¬ 
den der Hadewaune. Im liegeiisatze zu den bisi.c r cUi Ver-Uciit- 
liehungen hierüber war jedodi die l'.iitfernung dieses bdi.air-mes bei 
unseren Versuchen mittels emtadien Abspu.cns ■ audi mit luisscm 
Wasser - nicht so ganz, leidn. wovon idi midi pers.noh Wieder¬ 
holt nberzeiigte. mit Verwendung eines m \vlol getauchten l «Pi - 
cliens konnte aber die He v eitigung des bdi ammes leidit und gr.nid- 
lidi ermöglicht werden. I »ic Menge des Hadewassers wurde aus¬ 
schliesslich so gewählt, dass der Patient bis /um Hase \on Wasser 
bedeckt war. Die ungemein Zahlreichen kleinen bauerst, ul'.asdieii 
setzen sieh dann wie ein Perlensdileier an der ganzen korper- ier- 
tlachedneder. Die (iesamtmenge dei bauerst--ttentw ick UUg m einem 
solchen Sarason sehen O/etb.ule betragt ungel.dir .•U» l iter akpvem 
baiierstoffes lind dauert ca. d» JS Minuten in völlig gleidimassiger 
VV eise au. 

Die Temperatur der verabreichten Hader schwankte 'wivlun 
dJ ” und dr» " L. Die Dauer der Heobaditung im H.ole betrug .'*• Mi¬ 
nuten nach erfolgtem Hcgmn der bauerst--nentw ick.ung; das Ver¬ 
halten nach dem Hade wurde meist auf dem Pulte bette nach 
5 Minuten Ruhe geprüft. Die Heob.uhtimg erstreckte su!i v--r, 
wahrend lind nach dem Hade auf Hiutdrsuk, Pulszahl und i.bia -tat 
und Körpertemperatur leilweise fand eine vveiteie He•-bactiturig 
durch den btatioiisar zt. ebenfalls in de r angegebenen Richtung, statt 
Zur Anw eiulung gelangten ehe Ozelh.okr bei I <-usii --t--mie r te n. Ne - 
plintis chronica mit ll\pci lo-phia oudis, \t te ri"sk.cr "se imt \«>:te:i- 
steiiose. hochgraeliger Neivosit.it und ! ; rethismus c.-rdis. h«dtgfad;ge r 
Mvsterie. schwerer Neurasthenie und \ r te r i< sk k r - >se k-nip /;e’t mit 
Nephritis elmoiiica sowie als Kouffoüb.ider bei normalen Per¬ 
sonen. 

In der Hauptsache erstreckte sidi unsere Beobachtung 
auf die reine Wirkung der SauerstnfibaJer O/ethader; nur 
tun die Reaktion des einzelnen, der Prüfung unterstellten 
Patienten auf Bader überhaupt und speziell auf den O/etbadcm 
verwandte Bader zu k< mrolhe rcn. wurden audi einzelne 
Kuhlen Säurebäder Hege heil. 

I 'eher die subjektiven Empfindungen, dm bei den unend¬ 
lich wechselnden Bedingungen und den individuell so d.ffe- 
renteii Verhältnissen der einzelnen Kranken audi hei uns nuhr 
oder weniger voneinander ahwidicii. kann idi gleich de n 
Ergebnissen anderer Prüfungen - vorweg bestätigen. dass 
s ä m t I i c h c Patienten die Ozetb a d e r u n g e ui e i i: 
g e r n e g e n o m m e n u n d ausnahmslos s e li r a n g e - 
ii i h m empfunden haben, fön Ted der Kranken war 
von der Wirkung der Bäder ganz ent/iukt. so dass es mir 
wiederholt begegnete, dass selbst tut cm/dres anderes Bad 
- - Siissw asser oder Kohlensäure-had nur unge rn ge: "Minien, 

ich vielmehr gebeten wurde, audi hierfür eh-df lieber todi e.u 
Ozethad zu geben. Ibis intensive Prickeln der Baut - eigen¬ 
tümlicherweise audi bei uns vorwiegend des Ru.kei s und der 





28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1581 


Beine —, das durch das starke Moussieren bewirkt wurde, 
kann ich auf Grund eigener Empfindung in einem Ozetbade als 
ausserordentlich angenehm bezeichnen. — Ebenso war die 
Haut nach dem Verlassen des Ozetbades stets völlig unver¬ 
ändert, im Gegensatz zur nahezu krebsroten Färbung nach 
einem Kohlensäurebade. — Ferner ist eine dritte Wirkung der 
Ozetbäder bei allen Patienten stets in gleicher Weise zu ver¬ 
zeichnen gewesen, nämlich eine auffallende Beruhigung und 
insbesondere bei den meisten Kranken eine ungemein günstige 
Beeinflussung des Schlafes. Letzteres war namentlich nach 
den ersten Bädern der Fall. Einzelne ^amen nach dem ersten 
Ozetbade mit der Versicherung wieder, schon seit längerer 
Zeit nicht mehr so gut geschlafen zu haben, wie nach diesem 
Bade. Eine innerliche oder sonstige Medikation, die die Be¬ 
obachtung der Wirkung der Ozetbäder in den bezeichneten 
Richtungen hätte beeinträchtigen können, erhielten die Pa¬ 
tienten während der Verabreichung der Bäder nicht. 

Hinsichtlich der Tageszeit wurden die Bäder sowohl vor¬ 
mittags wie nachmittags verabreicht, und zwar entsprechend 
der allgemeinen Betriebseinteilung im Institut für Männer am 
Vormittage, für weibliche Patienten am Nachmittage. — Die 


Beobachtungen deckten sich jedoch vollkommen, ein Unter¬ 
schied in der Reaktion konnte nicht festgestellt werden. 

Bevor ich nun die Ergebnisse einiger Versuchsreihen der 
angewandten Ozetbäder nach der Reihenfolge ihrer Verab¬ 
reichung folgen lasse, möchte ich nur noch anfügen, dass ich 
zu den Messungen des Blutdruckes einerseits aus Gründen des 
vorliegenden Zweckes, anderseits wegen der einfachen und 
bequemen Handlichkeit des Instrumentes das Gärtner sehe 
Tonometer benützte. Stets kontrollierte ich aber die erhaltenen 
Gärtner sehen Werte durch wiederholte Kontrollmessungen 
mit dem Riva-Roccisehen Apparat, wobei ich mich über¬ 
zeugte, dass — unter Berücksichtigung der feststehenden 
Differenz der Normalwerte der beiden Messinstrumente — 
die gefundenen Gärtner sehen Werte denen des Riva- 
Rocci genau entsprachen. 

Wegen Raummangels, sowie insbesondere wegen der 
nahezu völligen Gleichartigkeit der Ergebnisse auch aller üb¬ 
rigen Versuchsreihen — 36 Bäder bei weiteren 5 Patienten — 
glaube ich es mit folgenden Tabellen genügen lassen zu 
dürfen: 


Datum 

des 

Bades 


Art 

und Temperatur 
des Bades 


| Blutdruck | 

vor 

dem 

Bade 

im Bade nach 

10 M. 
nach 
dem 
Bade 

5 

Min. 

10 | 20 
Min. Min. 


Puls 


vor 

im Bade nach | 

dem 

5 

10 | 20 

Bade 

! 

Min. 

Min. | Min. 


10 M. 
nach 
dem 
Bade 


Körper¬ 

temperatur 

vor | nach 
dem Bade 


Bemerkun 


gen 


12. II. 08 

13. II. 

14. II. 

15. II. 

17.11. 

18. II. 

19. II. 

20 . 11 . 
21 . 11 . 

22. II. 


I. Martin E., 52 J., Maurer. (Nephritis chronic, mit sekundärer Herzhypertrophie.) 


O-Bad 33® C. 

100 

95 

95 

95 

80 

100 

100 

96 

92 

100 

37,3 

37,4 

» * 

106 

102 

98 

100 

96 

92 

84 

88 

88 

92 

36,9 

37,1 

W 1» 

104 

70 

70 

60 

105 

96 

92 

80 

88 

92 

36,7 

36,6 

. 34® C. 

130 

115 

110 

110 

107 

116 

100 

100 

96 

96 

38,0 

37,9 

n „ 

120 

115 

110 

110 

120 

104 

96 

96 

94 

100 

36,9 

37,2 

. 33 J C. 

125 

105 

120 

115 

120 

120 

104 

116 

108 

108 

36,0 

36,1 

CO a -Bad 32° C. 

110 

128 

130 

126 

100 

120 

116 

104 

104 

114 

36,6 

36,2 

» >» 

105 

115 

117 

115 

110 

120 

100 

100 

96 

116 

37,0 

36,5 

Süsswasserbad 
30° C. 

125 

127 

120 

120 

124 

136 

120 

120 

120 

128 

36,1 

36,0 

O-Bad 33° C. 

126 

100 

90 

98 

106 

124 

104 

96 

96 

108 

37,3 

37,5 


Vormittagsbäder. 

Oespannter, unregelmässiger Puls und er¬ 
hebliche Dyspnoe vor den Bildern. Im 
Bad Atmung viel freier und Pulsver- 
hiitnisse nach Zahl und Qualität bedeutend 
gebessert. Nach den Beobachtungen der 
Station hielt Blutdruckminderung bis nach¬ 
mittags an. Subjektiv wie objektiv sehr 
günstige Wirkung der O-Bäder. 


II. Elise Sch., 47 J., Schneiderin. (Hochgradige Hysterie.) 


19. II. 08 

O-Bad 330 C . 

100 

94 

85 

80 

95 

92 

80 

80 

82 

82 

37,5 

37,5 

20.11. 

9 

9 

104 

80 

85 

100 

95 

96 

84 

80 

84 

88 

37,5 

37,6 

21.11. 

9 

9 

96 

88 

75 

75 

85 

88 

80 

84 

76 

92 

37,3 

37,5 

22.11. 

9 


100 

76 

75 

84 

88 

92 

80 

82 

88 

94 

37,4 

37,1 

24. II. 



100 

77 

72 

75 

70 

92 

88 

80 

84 

84 

36,9 

37,1 

25. II. 



104 

96 

92 

87 

90 

100 

84 

80 

84 

86 

37,4 

37,5 

26.11. 

CO a -Bad 32° C. 

94 

70 

85 

75 

95 

92 

84 

92 

84 

88 

37,1 

37,0 

27.11. 

O-Bad 33° C. 

90 

75 

80 

76 

89 

88 

72 

76 

72 

80 

37,2 

36,9 

28.11. 

. 

. 

94 

74 

78 

72 

92 

88 

88 

84 

80 

84 

37,5 

37,2 


Nachmittagsbäder. 

Pat war in hohem Grade entzückt von der 
Wirkung der O-Bäder. Dem lebhaften 
Prickeln der Haut folgte bald behagliche 
Wärme. Nach dem Bade einigemale 
leichte Oänsehaut ohne Frostgefühl. 


24. II. 08 

25. II 

26. II. 

27. II. 

28. II. 

29. II. 

l.III. 


III. Anna R., 55 Jahre alt, Zugeherin. (Arteriosklerose und Nephritis chronica.) 


O-Bad 33° C. 1 

106 

94 

85 

84 

9 


150 

145 

142 

135 


9 

155 

Gärtner 

125 

123 

135 

» 

9 

155 

Gärtner 

155 

145 

140 


9 

156 

145 

135 

130 


_ 

154 

145 

132 

135 

Süsswasser | 

155 

153 

156 

156 


80 

88 

74 

68 

78 

82 

36,0 

36,2 

140 

72 

64 

64 

72 

72 

36,1 

36,2 

155 

72 

64 

78 

68 

72 

36,5 

36,6 

140 

68 

64 

64 

64 

60 

36,0 

36,2 

130 

76 

72 

60 

68 

64 

37,0 

37,2 

130 

78 

72 

68 

68 

! 60 

37,0 

37,2 

150 

76 

68 

70 

68 

64 

36,2 

36,5 


Nachmittagsbäder. 

Pat. — von ziemlich indolentem Naturell — 
hatte angeblich keine besondere Empfin¬ 
dung im Bade, war aber hochbefriedigt, 
weil sie seit Jahren nicht so gut geschlafen 
habe wie nach Oebrauch der O-Bäder. 


Was nun die objektiv nachweisbare Wirkung der Ozet¬ 
bäder anlangt, so geht zunächst hinsichtlich des Verhaltens 
des Blutdruckes auch aus unseren Untersuchungser¬ 
gebnissen bezw. Tabellen die unbedingte Bestätigung hervor, 
dass der Blutdruck im Ozetbade sinkt, und zwar 
nahezu ausnahmslos; die Verminderung des Druckes beträgt 
zuweilen erhebliche Grade, teilweise ist sie auch nicht be¬ 
deutend. Es ist auch deutlich erkennbar, dass der Blutdruck 
nach Beendigung des Bades wieder zu steigen beginnt und etwa 
X A — Stunde nach dem Bade seine frühere Höhe erreicht, 
eine Feststellung, die in gleicher Weise von nahezu allen bis¬ 
herigen Autoren beobachtet wurde. Um so mehr verdient her¬ 
vorgehoben zu werden, dass bei dem Patienten E. chronische 
Nephritis nach den Untersuchungen des Stationsarztes noch 
am späten Nachmittag, also nach mehreren Stunden, eine deut¬ 
liche Verminderung des morgens vor dem Bade gemessenen 
Blutdruckes nachgewiesen werden konnte. — Im allgemeinen 
betrug b^i unseren Verglichen die .Blutdruckminderung 5 mm 
bis 40 mm, wobei ich ausser Betracht lasse, dass der Zeitpunkt 


der grössten Abnahme des Druckes im Bade teils schon nach 
10 Minuten, zum Teil auch nach 20 Minuten mit der Be¬ 
endigung des Bades erreicht wurde. 

Viel weniger konstant war die Wirkung auf den Blutdruck 
im Kohlensäurebad. In einzelnen Fällen sank auch hier der 
Druck während des Bades, doch nicht in dem erheblichen 
Gerade wie bei den Ozetbädern. Dagegen ist es vielleicht nicht 
ganz unwichtig, darauf himzuweisen, dass gerade bei Fällen 
mit chronischer Nephritis und Arteriosklerose der Blutdruck 
im Kohlensäurebad stieg, und zwar nicht ganz unbedeutend, 
während derselbe im Ozetbad auch bei diesen Krankheiten 
fiel, allerdings auch hier nicht so stark wie in anderen Fällen 
— eine Wahrnehmung, die sich dem Ergebnis der Unter¬ 
suchung von T o r n a i an der II. medizinischen Klinik in 
Budapest nähert, der bei einem Arteriosklerotiker in vorge¬ 
schrittenem Stadium im Ozetbade überhaupt keine Beein¬ 
flussung, weder des Blutdruckes, noch des Pulses, fand. 

In fast ganz gleicher Weise wie auf den Blutdruck 
äusserte sich die Wirkung der Ozetbäder auch auf den P u 1 «v 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1582 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3n. 


Derselbe wurde in nahezu sämtlichen Fällen hinsichtlich der 
Zahl vermindert, teils sehr erheblich, teilweise weniger be¬ 
deutend. Jedoch nicht hierin allein liegt der erfreuliche Ein¬ 
fluss des Ozetbades, sondern besonders auch darin, dass gleich¬ 
zeitig mit der zahlenmässigen Abnahme die Dualität des Pulses 
in sehr vorteilhafter Weise sich ändert. Fs war vielfach über¬ 
raschend, wie gerade bei beschleunigter und erregter Herz¬ 
aktion, sowie bei Arythmie und Irregularität des Pulses schon 
nach kurzem Aufenthalt im Ozetbade eine unverkennbare, an¬ 
haltende Beruhigung und Regelmässigkeit eintrat. Wir können 
uns deshalb dem Urteil, das bisher nur vereinzelt gefällt wurde, 
nur anschliessen, dass Dyspnoe keine (iegenindikation bezüg¬ 
lich Verabreichung von Ozetbädern bildet. 

Die Abnahme der Pulszahl differierte bei unseren Ver¬ 
suchen zwischen einigen wenigen und M) Schlägen in der 
Minute. Dabei fand auch das Ergebnis von Winternitz 
eine Bestätigung, dass der Einfluss auf die Pulszahl in geradem 
Verhältnisse steht zur Frequenz vor dem Bade, dass also die 
Pulsverminderung um so erheblicher war, je grösser die Fre¬ 
quenz vor dem Bade gewesen ist. 

Für eine Beeinflussung der Körpertemperatur durch Ozet- 
bäder konnte ich verlässige Anhaltspunkte nicht feststellen, 
vor allem nicht für einen Einfluss in einer bestimmten Richtung. 
Die Temperatur stieg oder fiel in und nach dem Bade um 
einige Zehntel, ein Effekt, der kaum speziell mit der Sauer¬ 
stoffwirkung in Zusammenhang zu bringen ist; für Verschie¬ 
bungen der Körperwärme so geringer Art bildet wohl das Bad 
an und für sich die ursächliche Veranlassung. 

Nach der vorstehenden Erörterung der festgestellten Wir¬ 
kung der Ozetbäder auf den Organismus wäre freilich noch 
von ganz besonderem Interesse die Art und Weise oder der 
Weg, auf dem eine solche Wirkung des Sauerstoffes zustande 
kommt. 

Die Veröffentlichungen hierüber und die darin ausge¬ 
sprochenen Meinungen sind ja bis jetzt noch wenig zahlreich. 
Trotzdem gewinnt allmählich doch die Anschauung mehr und 
mehr Boden, dass tatsächlich die rein mechanische Wirkung 
der zahllosen auf der Haut des Badenden wie eine Decke an¬ 
gelegten Sauerstoffbläschen auf die sensiblen Nervenendi¬ 
gungen der Haut im Vordergründe steht und dass hiegegen ein 
etwa thermischer oder chemischer Einfluss kaum in Betracht 
kommen kann. 

Von anderen Wegen, auf denen eine so ergiebige Wirkung 
auf Blutdruck und Puls sich entfalten könnte, wurde die Auf¬ 
nahme von reinem Sauerstoff durch die Haut aus dem mit 
Sauerstoff gesättigten Badewasser in Betracht gezogen. Auf 
Grund der Untersuchungen von Z u e 1 z e r und S a 1 o in o n ist 
jedoch auf das bestimmteste zu verneinen, dass — besonders 
in Würdigung der physikalischen Gesetze der (iasdiffusion, 
wonach durch die Haut erheblich mehr Kohlensäure ausge¬ 
schieden als Sauerstoff eingenommen wird die Menge des 
auf diese Weise dem Organismus zugeführten Sauerstoffes, die 
kaum 5 Proz. des Gesamtbedarfes beträgt —- als wirksames 
Agens in Frage kommen könnte. 

Es ist ja richtig, dass z. B. bei künstlichen Kohleusäure- 
bädern trotz prophylaktischer Abdeckung der Badewanne 
immerhin so viel eingeatmet wird von der dem Badewasser 
rasch entweichenden Kohlensäure, dass hierdurch unange¬ 
nehme und üble Folgen entstehen können. 

Den gleichen Vorgang auf reinen Sauerstoff übertragen, 
würde die hierbei inhalierte Sauerstoffmenge zwar als recht 
nützlich anzusehen sein; ihr aber die nachgewiesene Wirkung 
auf Blutdruck und Puls allein zuzuschreiben, erschiene doch 
nicht haltbar. 

Für die rein mechanische Wirkung des naszierenden 
Sauerstoffes auf die Nervenendigungen der Haut spricht aber 
noch eine weitere Beobachtung und die derselben, namentlich 
von W i n t c r n i t z, gegebene äusserst plausible und unge¬ 
zwungene Erklärung. Auch ich habe ausnahmslos konstatieren 
können, dass die Haut der Patienten nach dem Verlassen des 
Ozetbades — auch bei 35° C — von der gleichen Färbung 
war wie beim Besteigen des Bades, dass also eine Hyperämie, 
eine Rötung der Haut niemals zu sehen war. Dies kann aber 
allein nur dadurch bedingt sein, dass infolge der mechanischen 
Reizung der sensiblen Nervenendigungen die Hautgefässe sich 
zusammenziehen. Die Richtigkeit dieser Annahme wird da- 


Digitized bf£ Google 


durch gestützt, dass des öfteren - teilweise muh bei meinen 
Versuchen -- ein anhaltendes Bestellen \ on Gänsehaut muh 
dem Verlassen des O/elbades, aber ohne jedes Frnstgeiab!, 
beobachtet w urde. 

Einer kräftigen und anhaltenden Kontraktion der Haut- 
kapillaren der KorperuberflaJie wurde aber \ lei eher eilte 
Steigerung des Blutdruckes, statt einer \ erimnde rur.g 
desselben entsprechen; da aber letztere trotzdem durch das 
Ozetbad bewirkt wird, so muss ein Ausgleich für die Folgen 
der kontrahierten Haiitgeiasse geschaffen werden, und das ge¬ 
schieht nach 1. u d w ig in der Art. dass suh bei Zus.mmcri- 
Ziehung der Haiitgeiasse gleichzeitig d.e Muskelgeiasse er¬ 
weitern, ein Umstand, der das Sinken des Blutdruckes bei 
unseren Untersuchungen m natürlichster Weise erklärt und als 
wichtiger Faktor der W arniereguiierung allgemein aner¬ 
kannt ist. 

Endlich hat W i n t e r n i t z in seiner Abhai.dlur.g : ..l’eber 
Ozetbäder dem von allen Kranken so mvgeme.n an¬ 

genehm empfundenen Prickeln der Haut im Ozettv.de e.ne 
ebenso interessante wie zweite Mos zutreffende Erklärung ge¬ 
geben; er betrachtet das erwähnte Prickeln u: d die gleich¬ 
zeitig ohne eigentliches Erostgeiuhl beobachtete Oansehaut als 
durch den Reiz der Sauerstofiblaschen bewirkte rh\thm.sche 
Kontraktion der oherffeuhöchsten Hautmuskeln. Es handle 
sich nicht um eine spastische. sondern um eine klon.sJie Za- 
sammen/iehung dieser Muskeln, die de Empfindung des 
Prickelns auslosen und als ,,K lopfe n des H u t c h l n s o n sc heu 
Hauiher/eiis" zu bezeichnen sind. 

Nach meinen Untersn Jiungsergebuissen moch'e uh 
schliessliJi iiiun Urteil über den Wert und die Wirkung der 
S a r a s o u sJieu Ozetbäder dahin abgeben, dass dieselben 
eine willkommene Ergänzung unserer bah eo-therapeut.sche n 
Hilfmittel darstellen und als moussierende liasb.ider e.ne 
erheblich erweiterte Anwendung zulassen als de bezüglich 
der Indikation immerhin beschrankten K< hie ns.iureba.le r. Denn 
es ist kein Zweifel, dass von zwei \erwa:dteii und in ihrer 
Wirkung ähnlichen Bade formen der Ersatz der beim künst¬ 
lichen Kohleiisaurebael uber der W assebobertl.iche hegenden 
Kohleusäureatmospliare durch eine saiu rstoftreuhe I.utt über 
dem Ozetbade das letztere nur empfehlen kann. Dazu kommen 
als weitere Vorzüge die denkbar einfachste Bete .tuu.gsw e;se. 
die kaum 1 Minute in Anspruch nimmt, unbegrenzte Ma tb.ir- 
keit. Fortfall iedweder giftiger h gredienzien und sehr Ruhte 
1 ransporti.ihigkeit in der gewah.ten. nur sehr wen.g Raum 
beanspruchende u \ erp.ukling. 

Nach den bisherigen Pi ufur gs<ogebmsst n erscheint d.e 
Anweiielung des moussie rende n Saru rstoübade s angeze.gt bei 
allen mit Blutdriickste lgerunge ii \ erblinde ue ii Erkrankm.gen, 
insbesondere des Herzens, aber aiuh bei Nephrit.s und \rter.o- 
sklerose. Die snbieklive Wirkung tir.J der s\mptonutische 
Erfolg, insbe sonders in der Art eines ungeme in gwr.M.ge n E.n- 
flusses auf den Schlaf, den die Ozetbäder gerade bei schwer 
nervösen, hysterischen und neurastliemscheil Personen be- 
wiesen haben. lassen ihre therapeutische Nerwendfmg bei 
diesen Erkrankungsformen in besonderem Grade be recht.gt er¬ 
scheinen. Ich glaube bestimmt, da^s d’e Sarasun sdun 
Sauerstoffbäder sich bald allgemeiner Anwendung in der An¬ 
stalt wie im Hause erfreuen werden, namet’tu.h u.ulukm 
der bisher etwas hohe Preis e.ee genüge rde Reduktion er¬ 
fahren hat. 


Aus der II. inneren Abteilung des stadt. K rarke’T.mse s nn 
Friedrichshain zu Berlin (Ihrig. Arzt: Prof. I »r. Rro»iig). 

Ueber künstliche Schwefelbäder. 

\on Dr. F. Klopstock, Asvstit.zarzt. 

Seit einer Reihe von Jahren ist e.n neues Sch\se fUp'apa r at 
in die 'l'herapie eilige fuhrt worden, d.is 1 b,o!. das t me 
Verbindung von Schwefel und athe.mjten Na.de J,,r- 

stellt und zur Herstellung künstlicher SJiw e fe Ib.ide r empföhle n 
wird. \ on einer Reelle von De rmatoh.g. n (Rosenbach. 
F r i e d 1 ä n d e r. Hollst e-jfi. II e u b a c h. Nagel- 
s c h m i ei t. B ä u m e r) liegen anetkermerdc Be rulfe übe r das 
Präparat vor; insbesondere ist seine poauj-v W ,'kung bei 
Skabies und Psoriasis her\orgefh -be u Wordvit. D i e s i r, g |;r 
weiterhin in einer grosseren Re.be \*m I er\emiJieii von 

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UNIVERSITY OF MINNESOTA 





28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1583 


ihm Gebrauch gemacht und hat durch Anwendung von- 
Thiopinolbädern mit Trypanosoma Brucei und Piroplasma canis 
infizierte Hunde 7—11 Tage länger am Leben erhalten können 
als seine Kontrollhunde; seine Versuche geben ihm die Grund¬ 
lage für die Empfehlung der Kombination der Quecksilberkur 
mit Thiopinolbädern in der Behandlung der Syphilis. Ferner 
sind aus der hiesigen Universitäts-Frauenklinik von Horst 
günstige Resultate bei einer ganzen Reihe von Frauenkrank¬ 
heiten mitgeteilt worden, die nicht nur als eine lokale Wirkung 
des Mittels, sondern auch als eine allgemeine Beeinflussung 
des Körpers durch Resorption aufgefasst wurden. Alle diese 
Erfahrungen gaben Herrn Prof. K r ö n ig Anlass, das Präparat, 
das uns bereitwilligst von der Firma in grösseren Mengen zur 
Verfügung gestellt wurde, in umfangreicher Weise zur An¬ 
wendung zu bringen und mich mit dem Berichte hierüber zu 
betrauen. 

Thiopinol ist eine klare braune Flüssigkeit, der ein intensiver Ge¬ 
ruch nach Fichtenölen entströmt, von schwach alkalischer Reaktion. 
Eine 125-g-Flasche enthält nach der Analyse vereideter Gerichts¬ 
chemiker 

83,5 g Alkohol, 

18,875 g ätherische Nadelholzöle, 

14,3375 g Schwefelsulfid, 

0,0625 g Schwefelsulfat, 

4,375 g Glyzerin. 

Die genaue chemische Konstitution ist nicht bekannt. Bei Zu¬ 
satz von Wasser zu Thiopinol entsteht eine milchig-weisse emulsions¬ 
artige Flüssigkeit, in der sich in der Tat, wie die mikroskopische 
Betrachtung lehrt, feinste Tröpfchen aufgeschwemmt finden. Nach 
Angabe des Erfinders fällt ein Teil der Polysulfide in wässriger 
Lösung aus, während Hyposulfite und der Rest der Sulfide in Lösung 
bleiben und mit den ätherischen Nadelholzölen eine Art Emulsion 
bilden. Gegen Hitze und Alkali erscheint Thiopinol ausserordentlich 
beständig; Zusatz von Salzsäure ruft dagegen seine Zersetzung her¬ 
vor; es entsteht ein gelblichweisser Niederschlag, das ätherische Oel 
setzt sich ab und Schwefelwasserstoff entweicht. 

Die Anwendung derartiger organischer Schwefelpräparate 
in der Therapie ist nicht neu. Ich erinnere an den Schwefel¬ 
balsam, eine braune sirupartige Flüssigkeit, die man durch 
Zusatz von einem Teile vollkommen trockenen, fein ge¬ 
pulverten Stangenschwefels zu bis zur Siedehitze er¬ 
hitzten 12 Teilen Leinöls erhält. Es ist eine in Terpentinöl 
vollkommen lösliche Flüssigkeit und war in dieser Lösung 
bei rheumatischen Erkrankungen vielfach in Gebrauch. Eine 
ganze Reihe Geheimmittel, die für rheumatische Erkrankungen 
und parasitäre Haut- und Haarleiden im Handel waren, stellten 
nichts anderes dar als Oleum Therebintinae sulfuratum unter 
Zusatz wechselnder Odorantia. 

Ein Vollbad von 200 Liter Wasser enthält also nach Zu¬ 
satz einer 125 ccm Flasche Thiopinol 0,072 Schwefelalkali¬ 
verbindungen in 1 Liter Wasser; es entströmt ihm ein starker 
Geruch nach Fichtennadelölen, ein geringer nach Schwefel¬ 
wasserstoff. Das Verhalten eines solchen künstlichen Schwe¬ 
felbades zu den natürlichen Schwefelwässern zeigt folgende 
Tabelle. 4 ) 



Temp. 

Na2S 

H«S im 
Wasser 
absorb. 

100 ccm aus dem 
Wasser auf steigen¬ 
de Oase enthalten 

1 Andere wichtige 
Bestandteile 

Aachen 

55* 

0,013 

_ 

0.31 

_ 

Buchscheid 

74® 

0,0007 

— 

— 

— 

Baden b. Wien 

27,6° — 
34,5® 

- 

4,3—8,3 

- 

— 

Kreuth 

11® 

— 

6,6 

— 

Ca(Mg) SO* = 2,3 

Lenk 

8,7® 

— 

44,5 

— 

Ca SO* = 1,67 

Pistyan 

64° — 60° 

0,0046 

14,8 

— 

— 

Herkulesbad 

48,2® 

— 

16,91 

— 

— 

Thiopinolbad 

nach 

Belieben 

Schwefelalkaliverbindungen teils gelöst, teils 
an Terpene gekettet 0,072. 


Wesentlicher Unterschied gegenüber den natürlichen 
Schwefelquellen ist also, dass, während dort Schwefelwasser¬ 
stoff absorbiert ist, oder gasförmig über dem Wasser steht, 
oder Alkali- oder Erdalkalisulfide gelöst sind, sich hier Sulfide 
teils in einer uns noch unbekannten Verbindung mit Terpenen, 
teils in Emulsionsform gelöst befinden. 


*) Vergl. Ö 1 a x: Balneotherapie. 


Von derartigen Thiopinolbädern haben wir einmal bei 
dem Gelenkrheumatismus Gebrauch gemacht. Und zwar 
erstens bei den Folgezuständen des akuten fieberhaften Ge¬ 
lenkrheumatismus d. h. in jener Zeit, in der Fieber nicht 
mehr besteht und Schmerzhaftigkeit und Schwellung der be¬ 
troffenen Gelenke schon wesentlich herabgesetzt sind, aber 
noch geringe Infiltrationen des Gelenkapparates, Empfindlich¬ 
keit, Gefühl der Steifigkeit und leichte Funktionshemmung 
bestehen; — dann in jenen Fällen, die von vornherein mehr 
subakut oder subchronisch einsetzen, bei denen ohne wesent¬ 
liche Störung des Allgemeinbefindens leichte Schwellungen 
und Schmerzen in Gelenken bestehen; — schliesslich in be¬ 
sonders ausgedehntem Masse bei dem gonorrhoischen Ge¬ 
lenkrheumatismus, auch hier in dem der Fieberperiode folgen¬ 
den, häufig so äusserst langwierigen Stadium, in dem Ver¬ 
dickung der Gelenkkapsel und des gesamten umliegenden 
Bandapparates, Gelenkerguss und eine mehr oder weniger aus¬ 
gesprochene Funktionshemmung vorhanden sind. 

Im allgemeinen sahen wir unter dem Einflüsse der Bäder 
Infiltrationen des Gelenkapparats, Gelenkerguss, die noch 
bestehende Schmerzhaftigkeit und Funktionshemmung rascher 
schwinden als ohne sie; insbesondere war bei einigen Fällen 
von gonorrhoischem Gelenkrheumatismus, bei denen wir be¬ 
reits von Heissluft- und Sandbädern, warmen Bädern und 
lokaler Anwendung feuchter Wärme neben medikomecha- 
nischen Uebungen Gebrauch gemacht hatten, ein Erfolg zu ver¬ 
zeichnen. 

Wir wandten weiterhin Thiopinolbäder an bei Muskel¬ 
rheumatismus, sowohl Fällen mit nachweisbarer Infiltration 
der schmerzempfindlichen Partien, wie solchen ohne objektiven 
Befund. Auch hier wurde der Krankheitsprozess nach An¬ 
gaben der Patienten selbst günstig beeinflusst. 

Schliesslich haben wir Thiopinolbäder einer Reihe Pa¬ 
tienten mit Nervenleiden gegeben (Ischias, alkohol. Poly¬ 
neuritis, Tabes dorsalis, multipler Sklerose, luetischen Früh¬ 
apoplexien mit ihren Folgezuständen) und haben im allgemeinen 
sich ihre Beschwerden unter ihrem Gebrauche vermindern 
sehen. 

Ein therapeutischer Effekt der Bäder ist also vorhanden; 
es gilt nun, ihn zu erklären und die Wirkungsweise des 
Thiopinolbades darzulegen. Da ist nun ein therapeutischer 
Faktor sicherlich das warme Bad an sich, das ja bei allen rheu¬ 
matischen Affektionen und einigen Nervenkrankheiten an¬ 
genehm empfunden wird; ein zweiter der allgemeine Haut¬ 
reiz, der insbesondere durch den Thiopinolgehalt ausgelöst 
wird, mit allen seinen wohltätigen Folgen; Hyperämie der 
Haut, Erhöhung der Schweissekretion, Erregung der vaso¬ 
motorischen Zentralorgane und der Zentren für Atmung und 
Herz. Die Haut dessen, der ein Thiopinolbad genommen hat, 
ist stark gerötet, die Schweissekretion auch noch einige Zeit 
nach dem Bade wesentlich gesteigert. 

Es handelt sich nun aber weiter darum, ob dem Gehalt 
an Schwefel irgend eine Rolle zukommt, d. h. ob durch Re¬ 
sorption der Schwefelverbindungen von der Haut aus irgend 
ein Heilerfolg der Bäder erzielt wird. Die für die natürlichen 
Schwefelwässer geltende Erfahrung, dass eine geringe Re¬ 
sorption von Schwefelwasserstoff von der Haut aus stattfindet 
und sich infolge rascher Oxydation in einer vermehrten 
Schwefelsäureausscheidung im Urin ausprägt, ist ja nicht ohne 
weiteres auf die Thiopinolbäder übertragbar, bei denen sich 
ja, wie betont, Sulfide und Polysulfide teils in Emulsionsform 
gelöst, teils an Terpene gekettet finden. Der Erfinder nimmt 
nun an, dass die Sulfide von der Haut resorbiert, in der Haut 
bereits zersetzt wurden und Schwefelwasserstoff in kleinsten 
Mengen in die Blutbahn gelange. Er führt als Beweis hierfür 
den deutlichen Geruch nach Schwefelwasserstoff an, der von 
demjenigen, der ein Bad genommen, auch noch einige Zeit 
nach dem Bade ausgeht, ferner ebenfalls die gesteigerte 
Schwefelsäureauscheidung nach dem Bade und die Steigerung 
des Verhältnisses der freien Schwefelsäure zur gepaarten. Die 
in der Berliner Finsenklinik (Dr. Nagelschmidt) ange- 
stellten Untersuchungen haben die Vermehrung der Schwefel¬ 
säureausscheidung nach den Bädern bestätigt; 


□ igitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1584 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .*» 


Datum 

Namen 

Urin¬ 

menge 

Medic. 

Aus¬ 
scheidung 
in 100 ccm 

Oesamt- 

Aus- 

scheidg. 

15. VIII. 07. 

Sty. 

1300 

_ 

0,3200 

4,1600 

16. VIII. 


1300 

— 

0,3310 

4,3030 

17. VIII. 


1420 

1 Bad Thio. 

0,2250 

3,2400 

18. VIII. 


1280 

1 . 

0,4148 

5,3094 

20. VIII. 


1250 

1 . 

0,3848 

4,8102 

21. VIII. 


1290 

1 . 

0,371*8 

4,7833 

22. VIII. 


1300 


0,3784 

4,9192 

23. VIII. 


1250 

— 

0,2418 

3.0225 

24. VIII. 


1210 

— 

0,2800 

3,3880 


j direkt vor dem Bade 

0,2644 

— 

25. VIII. 

\ P/t Stunden nach dem Bade 

0,3302 

— 

26. VIII. 

| direkt vor dem Bade 

0,2721 

— 

I P/a Stunden nach dem Bade 

0,3465 

— 

28. VIII. 

Sty. 

1300 

— 

0,2950 

3,735o 

29. VIII. 


1250 

— 

0,321 Ml 

4,oooo 

30. VIII. 


1600 

— 

0,2770 

3,9520 

31. VIII. 


1200 

— 

0,302u 

3,6240 

1. IX. 07. 


1350 

1 Bad Thio. 

0,3120 

4,2120 

2. IX. 


1375 

1 » „ 

0,4620 

6,3525 

3. IX. 


1350 

1 

0,4800 

6,4800 

4. IX. 


1400 

* 

0,4570 

6.39M l 

5. IX. 

* 

1350 

1 SS # 

0,5275 

7,1212 

6. IX. 


1350 

— 

0,4%o 

6,6960 

7. IX. 


1400 

_ 

0,3210 

4,4940 

8. IX. 


1425 

— 

0,3230 

4.6100 


Jedoch konnte in 3 Fällen bei 3 verschiedenen Patienten, 
bei denen Herr Prof. Boruttau auf unsere Bitte die 
Schwcfclsäureausseheidung in dein vor und 4 Stunden nach 
dem Bade gelassenen Urine bestimmte, irgend eine wesentliche 
Steigerung der Schwefelsäureausscheidung nicht konstatiert 
werden: 

Versuch I. Pat. Q., Lues III. 

Uriumenge vor dem Bade 170 ccm, Dichte 1 ,<>21 
. nach „ . 100 , „ 1.033 

OesamtschwefelsAureausscheidung vor dem Bade 0,2892 Pro/. 

. nach . . 0,27% 

Qesamtschwefelausscheidung (nicht oxvd. und oxydierter) 
vor dem Bade 0,3133 Proz. 

nach „ . 0,3205 „ 

In diesem Falle ist also eine geringe Vermehrung des nicht oxy¬ 
dierten Schwefels vorhanden, die aber, zumal der Urin II eine 
grössere Dichte hat, innerhalb der Fehlergrenze liegt. 

Versuch II. Pat. Sp., multiple Sklerose. 

Urinmenge vor dem Bade 400 ccm, Dichte 1.012 
, nach , . 300 , „ 1.023 

Urin 1: Trockensubstanz 2,596 Proz. = 10,384 g 
.11: . 4,891 „ — 14,673 g 

Urin I: Qesamtschwefel (n. Schulz) 0,1352 Proz. = 0,5408 g 

.11: . . 0,1817 . = o,545l K . 

Nach dem Bade ist also eine sehr geringe Vermehrung der 
Qesamtschwefelausscheidung zu konstatieren, obwohl (iesamtmenge 
der ausgeschiedenen gelösten Harnbestandteile sich wesentlich ver¬ 
mehrt hatte. 

Versuch III. Pat. D., Polyarthritis. 

Urinmenge vor dem Bade 200 ccm, Dichte 1,021 
. nach . . 150 . . I,o2o 

Urin I: Trockensubstanz 3,884 Proz. = 7,7#»« g 
• II: , 5,023 . = 7,5435 g 

Urin I: Qesamtschwefel (n. Schulz) 0,1101 Proz. — 0,22o2 g 

• II. , 0,1177 . = 0.1765 g. 

Bei gleichen Mengen gelöster Bestandteile ist in dem nach dem 
Bade gelassenen Urin weniger Schwefel nachweisbar. 

Herrn Prof. Boruttau möchte ich auch au dieser Stelle meinen 
ergebensten Dank fiir die Untersuchungen aussprechen. 

Ich will nach diesen 3 an 3 verschiedenen Patienten an- 
gestellten Versuchen, die ja eben nur die Schwefelausschcidung 
vor dem Bade und 4 Stunden nach dem Bade berücksichtigen, 
nun nicht etwa behaupten, dass eine Schwefelresorption über¬ 
haupt nicht stattfindet . Sicher ist jedoch bei den bekannten 
Resorptionsverhältnissen der Haut und bei einem nur 2i) Mi¬ 
nuten währenden Aufenthalte in einem Bade, das in einem 
Liter 0,072 Sulfide teils in Fmulsionsform gelost, teils an Ter¬ 
pene gekettet enthält, dass sic sich in sehr engen (irenzen 
halten muss, und nur Mengen in den Körperkreislauf gelangen 
können, von denen wir eine wesentliche Beeinflussung des 
Organismus nicht erwarten dürfen. Oiinstige Allgemein¬ 
wirkungen der Bäder, wie Diesing sic in seinen Experi¬ 
menten und Horst und wir sie bei unseren Patienten ge¬ 


sehen haben, sind nicht ohne weiteres als SJiw efelw irkung 
anzusehen. 

W ie dem auch sein möge, die künstlichen SJiw eielbaJer 
waren uns eine angenehme Ergänzung unserer therapeiit.^chcii 
Massnahmen bei den genannten Leiden. Auch lur d.e natür¬ 
lichen Schwefelbäder, die ja zahllosen Kranken ll.Üe gebracht 
haben, hat sich mit Recht bei einer grossen An/.»hl \<»n 
Klinikern und Baineologen die l’cber/cugung gebildet, ei.iss 
ihrem Schwefelgehalte für ihre günstigen Wirkungen mJit ei.c 
ausschlaggebende Rolle zukommt. 


Zur Operation und Nachbehandlung des Bruetkrebses. 

Von Pr. Heile in W ieshaden. 

Es ist in No. 38 dieser Zeitschrift vom vorigen l.ihre \«»n 
Ebner aus der Le versehen Klinik in Königsberg darauf 
hingewiesen worden, dass man bei der Nachbehandlung der 
Mammaamputationen bessere Bew eghJike.t der Arme im 
Sehiiltergelenk erzielen kann, wenn vom ersten läge an der 
Arm der operierten Seite m Evteiision respekt. Siopeup^oii 
nach oben gehalten wird. 

Ich habe bei einer Reibe von Brustamputatimien in einer 
etwas anderen Weise dasselbe Resultat zu erzielen versucht 
und sehe einen Vorteil meines Norgehens darin. dass der 
Kranke gleich am Tage nach der Operation autsteheii kann und 
muss, und dass durch die gleich zu beschreiben Je Art. den 
Mlisciilus pectorahs iiuuor auf ehe blossgelegten AJ>e !ge fasse 
zu transplantieren, sicherer verhindert wird, dass im Laute der 
Nachbehandlung durch Schrumpfung der Narbe ek. sdi 
Stauungen und Schwellungen im Arm ausbilden. 

Zuerst sei betont, dass selbstredend bei der Opcr.it.« »r. kc.uc 
Rücksicht darauf genommen werden kam. wie viel man 
schonen mochte. Alles auf Karzinom NcrdaJitige muss ohne 
Rücksicht entfernt werden. Hierdurch wird es m ethJier. 
Fallen nicht möglich se in, den mitange griffe neu IVctoraüs nun *r 
zu schonen. Anders ist es aber bei der bei weitem grössten 
Zahl von Mammaamputationen. I'urJiwcg ist Jus Kar/mmn 
ja höchstens mit der bas/ic des Pedoral s muior verwachsen 
etc., die Achseldrusen, vielleicht audi sch«»n die sjipjuklav ;ku- 
lären Drüsen, sind befallen. Hier habe ich d:c Brust mit dem 
K o c h e r sehen Hautschnitt 
entfernt. Per Schnitt endet 
bekanntlich vor der vor¬ 
deren Achselfalte. Auf diese 
Weise kommt dann spater 
Haut und subkutane Narbe 
nicht auf die blossgelegte 
Achsel zu liegen und es lasst 
sich andererseits audi der 
Schnitt leicht über die K1 a- 
vikula verlängern zur Ex¬ 
stirpation der siipraklav iku- 
Uirem Priisen. Prinzipiell 
entferne ich audi bei gut 
verschieblichem Br u stk rebs 
den Peetoralis mainr mit der 
aufliegemlen Priise, und 
halte midi z. B. heim w eite¬ 
ren Frei präparieren der 


Aclme Igetusse* an ehe v< 

i*ll K O C ll e r a! ge ge N 

l Ue‘ Me linde . 

Pen Pectorahs mim 

r elagegen 

l<-se k ll w« 

•In an st .reift 

Rippenunsatz, lasse ihm 

aber sein 

e Ifse r !n »n . 

l!1l pr< e seile 

coracmdems. Lh rem ege 

eien Muskel an der 10 

kkst.le sorg. 


faltig von allem Leit etc. Nndkkm fdl die Ausräumung der 
Achselhöhle und eventuell der suptak!u\ ik u'art u I mibe be¬ 
endet habe, gebe ich dem PeOorulis mmor aust^f se.ner adelt 
Insertion an den Rippen eine neue* \i:p:i m/urg. vmd /war der¬ 
art, dass er breitfadie rfornng d.e bl««ssg t -\ g?*, n \ Jtse’g; fasse 
bedeckt, lüi ihm diese Lage zu suhern. w *rd e r dn r di k a’gu*- 
nälite eimnal am Kukullaris und e:rn;.i! am >e"raüis ang-. heik 
Zum Schluss v.ird die M mtbedv v < dk« 'mvu n p-:mar vo- 

schlossen, so des die Nahtlme e; ! .ge i. l uege f breit median 
von den Achselgefassen zu Ingen k«umn:. und muhe r .m extra 
am tiefsten Punkt der W un .Ih-TT er tT> K nominell der 
Haut, durch da.s iJi ep> Prall i • u ugg. des .ri er’ b.s /ur 
Il< »he des äuge nähten PenPoahs •».. !• f .•r r e ■ J:\ I Pr.h 



tfigltizeti by 


Gocgle 


Qrigiral frcrri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1585 


den in dieser Art erhaltenen Pectoraiis minor wird auch noch 
in geringem Masse die Einsenkung des Operationsgebietes in¬ 
folge Fortnahme der Muskeln verhindert. Beim Verband lasse 
ich jetzt den Arm an der operierten Seite vollkommen frei 
ausserhalb des Verbandes, lege nur einen zirkulären, leicht 
komprimierenden Thoraxverband für die Wunde an. Vom 
ersten Tage nach der Operation an veranlasse ich die Kranken, 
systematische Gymnastik zu treiben, derart z. B., dass ich die 
Frauen auffordere, möglichst schon am ersten oder zweiten 
Tag einen Versuch zu machen, ihre Haare mit dem kranken 
Arm zu ordnen etc. Kurz, ich halte die Kranken an, möglichst 
alles mit dem Arm zu tun, was sie früher zu tun gewohnt 
waren. Auf diese Weise habe ich in den bislang so operierten 
Fällen immer erreicht, dass beim zweiten Verbandwechsel und 
der Nahtentfernung (beim ersten Verbandwechsel nach 2 bis 
3 Tagen wird das Drain entfernt) die Patienten mit der Hand 
der kranken Seite sich die Haare machen konnten und dass 
in keinem der Fälle, auch nach Monaten und Jahren, sich eine 
Stauung an den betreffenden Armen gezeigt hat. Der trans¬ 
plantierte Muskel wird ja wohl im Laufe der Zeit atrophieren, 
er verhindert aber, dass gerade während der Wundheilung 
eine Verwachsung der Achselgefässe mit der bedeckenden 
Haut eintritt, wodurch eine mehr oder weniger grosse Be- I 
hinderung der Lymphzirkulation eintreten, die zur Entstehung 
von Stauungen führen kann. Das tägliche Bewegen des Armes 
von der Operation an verhindert, dass der Arm im Schulter¬ 
gelenk steif wird, und es genügt das, um dasselbe Resultat 
nach 8 Tagen zu erzielen, was Lexer mit der Extension er¬ 
reicht. 

Zur Physiologie der Akklimatisierung. 

Von Oscar Loew, vormals Professor der physiologischen 

und landwirtschaftlichen Chemie in Tokio. 

Der Tierkörper, welcher durch Atmungstätigkeit sich 
einerseits die Wärme verschafft, welche es ihm ermöglicht, den 
Wärmeverlust nach aussen sofort wieder zu decken, anderer¬ 
seits hiedurch die zu einer Reihe von Vorgängen nötige che¬ 
mische und mechanische Energie gewinnt, sieht sich bei der 
Wanderung aus der gemässigten Zone in die Tropenzone plötz¬ 
lich vor das Problem gestellt, die bisherige Wärmeregulierung 
zu modifizieren, da nun der Wärmeverlust nach aussen nur 
minimal, ja oft genug = 0 ist. Vor allem müssen hier jedoch 
die Effekte eines feucht-heissen und eines trocken¬ 
heissen Klimas auseinander gehalten werden. In letzterem 
kann durch eine sehr gesteigerte Wasserverdunstung von der 
Haut die Temperatur des Körpers auch dann leicht reguliert 
werden, wenn die Temperatur der Luft nicht unbeträchtlich 
über die normale Temperatur des Tierkörpers steigt, wie es 
oft in den Wüsten der heissen Zone der Fall ist. Deshalb ist 
auch die Akklimatisierung an ein trocken-heisses Klima weit 
leichter, als die an ein feucht-heisses, wie ich aus eigener Er¬ 
fahrung weiss; denn im Jahre 1875 hatte ich Gelegenheit, das 
trockene Klima der heissen Wüsteneien des südöstlichen Kali¬ 
forniens kennen zu lernen, während im verflossenen Herbste 
ich das feucht-heisse Klima der westindischen Insel 
Portorico zu kosten bekam. 

Ueber meine damaligen Erfahrungen habe ich seinerzeit 
bereits berichtet 1 ) und will hier nur einige zum Vergleich 
nötige Sätze aus meiner Mitteilung anführen: Ich sagte damals 
unter anderm: „Anfangs wirkte diese mörderische Hitze 
äusserst deprimierend, der Appetit Hess nach, der Durst machte 
sich in peinlichster Weise fühlbar und auch nur inässige An¬ 
strengungen hatten beträchtliche Ermüdung zur Folge. Schon 
nach etwa 12 Tagen indes war eine Aenderung in unserer Be¬ 
urteilung der Wärme so weit eingetreten, dass wir es für an¬ 
genehm kühl erklärten, als die Temperatur von acht Graden 
über der Bluttemperatur auf drei Grade unter dieselbe ge¬ 
sunken war.“ „Die Menge des in 24 Stunden ausgeschiedenen 
Harnes betrug nach wiederholten Bestimmungen durchschnitt¬ 
lich nur 7—8 Proz. des getrunkenen Wassers. Da aber Wasser 


*) Sitzungsbericht der Physiol.-Morphol. Gesellsch. München. 
Mai 1877. Ferner ausführlicher im „Annual Report upon the Geo- 
gräphical Surveys west of the 100. Meridian“, Washington 1876. 
No. 30. 


auch in den Speisen genossen wird und sich Wasser auch durch 
Oxydation des Wasserstoffs der Nährmittel bildet, so kann 
man wohl sagen, dass von dem getrunkenen Wasser fast 
n i c h t s in den Harn überging. In der Ruhe reichten wir wohl 
mit 2—2% Liter Wasser in 24 Stunden aus, bei der Arbeit oder 
Bergsteigen waren aber wenigstens 3—4 Liter nötig, bei einer 
relativen Luftfeuchtigkeit von 15—20. Nehmen wir als Mini- » 
mum des von Haut und Lunge abdunstenden Wassers 2 Liter 
pro Tag an, so würde der Kühlungseffekt pro Tagesstunde 
1,38° betragen.“ Die mittlere Temperatur des Coloradotales 
bei Fort Morhave im südlichen Kalifornien beträgt 34,2° im 
Sommer, die von Shimmedru in der Sahara nach Rolfs 35°. 
Der Schweiss verdampft in jener trockenen Luft so rasch, 
dass er sich auf der Haut kaum bemerklich macht. Wenn die 
Tageshitze 44° C erreichte, stieg die Körpertemperatur bis¬ 
weilen auf 37,4°; nur einmal beobachtete ich sogar 37,7°. 
Damals fand ich auch, dass dieselbe Höhe der Temperatur in 
grösserer Seehöhe leichter ertragen wird, als in niederer. 
Die Nahrungsaufnahme war bedeutend vermindert, genossenes 
Fett schwitzte — wenigstens teilweise — durch die Haut 
wieder aus. 

Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse im feucht¬ 
heissen Klima kleiner tropischer Inselländer *). Die mit Wasser 
nahezu gesättigte Luft erlaubt kein rasches Verdunsten des 
Schweisses, dieser bleibt am Körper, er trieft von der Stirne, 
man greift immer wieder nach dem Tuche, um sich abzu¬ 
wischen. Das schafft eine ärgerliche Stimmung und vermin¬ 
dert Lust und Liebe zur Arbeit. Alltägliche Bäder sind natür¬ 
lich unerlässlich. Jene feuchte Hitze schafft Qualen, von denen 
man sich selbst bei heissen Sommern in der gemässigten Zone 
keinen richtigen Begriff machen kann. 

Die Tageshitze 3 ) beginnt in Portorico schon früh am Tage 
und dauert bis gegen 5 Uhr, sie steigt noch kn Oktober und 
November oft auf 33—35° C, eine Temperatur, welche dort 
weit lästiger empfunden wird, als eine von 44 0 in der trockenen 
Luft der Wüste. 

Die zur Akklimatisation nötige Zeit, d. h. die Zeit, nach 
welcher man weniger schwitzt als anfangs und mässige Arbeit 
nicht sofortigen Schweissausbruch zur Folge hat, auch sonstige 
Störungen des Wohlbefindens ausbleiben, wird nach meiner 
Umfrage auf 1—2 Jahre geschätzt 4 ). Leute mit relativ ge¬ 
ringem Fleisch- und Fettansatz akklimatisieren sich indessen 
viel rascher als Leute von kräftiger Konstitution. Als Kurio¬ 
sum will ich erwähnen, dass ein in Portorico angesiedelter 
Deutscher auf meine Klage, dass ich mich nicht akklimatisieren 
könnte, mir riet: „Trinken Sie alltäglich eine tüchtige Dosis 
Rum, das wird sicher helfen!“ 

Wer einmal akklimatisiert ist, friert schon, wenn die Tem¬ 
peratur nach heftigen Gewittern um 5—6 Grade unter die 
durchschnittliche Tagestemperatur herabgeht; er muss sich 
ferner nachts mit wollenen Decken schützen, während der An¬ 
kömmling ein Stück Leinwand vorzieht 5 ); es ist ferner charak¬ 
teristisch, dass Leute, die sich gut akklimatisiert haben, dann 
in nördlichen Ländern oft nicht mehr wohnen mögen. Ich traf 
einmal einen Deutschen, der seit 20 Jahren in Portorico lebte 
und beim Versuch, sich wieder in Deutschland anzusiedeln. 


2 ) Ueber das Verhalten des menschlichen Körpers in den Tropen 
ist schon vieles geschrieben worden, allein in den meisten Fällen 
handelt es sich dann nicht um Inseln, sondern um Festländer und 
deren Küsten, wie Indien, West-Afrika etc. Hier liegen aber die 
Verhältnisse wegen der Landwinde günstiger wie auf Inseln. Nach 
P1 e h n (Studien zur Klimatologie, Physiologie und Pathologie in 
den Tropen, Berlin 1898) weht in Kamerun nur des Tags der West¬ 
wind, des Nachts aber der Ost- oder Landwind, der natürlich viel 
trockener sein wird als der Westwind. 

3 ) In manchen Teilen der Insel sinkt während der Nacht die 
Temperatur so weit, dass man gut schlafen kann, was auf der Nähe 
von Gebirgen und Stärke und Richtung von Winden beruht; in 
anderen Teilen dagegen erschweren die zu warmen Nächte den 
Schlaf. 

*) Hehn beobachtete kurz nach seiner Ankunft in Kamerun 
eine Steigerung der Körpertemperatur bis auf 37,6; diese Steigerung 
war nach der Akklimatisierung nicht mehr zu bemerken. 

5 ) Ich sah akklimatisierte Leute, welche froren, während ich 
schwitzte. 

3 


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MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. ,1(1. 




wieder Heimweh nach der tropischen Sonne am ersten kühlen 
Herbsttage bekam und nach Portorico zurückkehrte. 

Der Neuling, der aus nördlichen Ländern auf den tro¬ 
pischen Inseln ankommt, nimmt häufig in den ersten Monaten 
an Gewicht ab, nimmt grosse Mengen Wassers zu sich, leidet 
oft an Diarrhöen, verliert seine rote Gesichtsfarbe'') und wird 
so blass wie die Eingeborenen, sieht seine geistige Energie 
allmählig erschlaffen 7 ) und muss auf jede gesunde Bewegung 
verzichten, da jeder Spaziergang oder turnerische Hebung 
einem gesteigerten Schwitzbad gleichzusctzcn wäre. Selbst 
der eingeborene Arbeiter 8 ) kann alle seine Arbeit nur langsam 
verrichten! 

Der Weg von meinem Institut zum Hotel, in dem ich 
wohnte, betrug kaum 15 Minuten, selbst diese kleine Strecke 
musste ich aber zu Wagen zuriicklegen, wenn ich zum Mittag¬ 
essen kommen wollte. Herr Direktor Dr. Dafert in Wien, 
welcher lange Zeit in Brasilien lebte, schrieb mir unter an¬ 
derem: „nach meinen Erfahrungen nimmt die Widerstands¬ 
fähigkeit mit der Dauer des Aufenthaltes eher ab als zu, bei 
denen, die sich schwer an die Tropen akklimatisieren“. Im 
Innern von Brasilien dürfte jedoch das Klima noch weniger 
feucht und weniger lästig sein, als auf den von grossen Meeres¬ 
flächen umgebenen kleinen Inseln Westindiens. Ein Ameri¬ 
kaner sagte mir, dass ihm die Akklimatisierung auf den west¬ 
indischen Inseln so schwer geworden sei, dass er fürchtete 
eher zu gründe zu gehen, als sich an das Klima gewöhnen zu 
können. Es sind ihrer nicht Wenige, welche nach einigen Mo¬ 
naten w ieder umkehren. 

Da eine gesundheitsdienliche körperliche Bewegung, wie 
Spazierengehen oder Turnen vom Klima versagt wird, so be¬ 
hilft man sich mit Schaukelstühlen. Geht man des Abends, 
wenn die Tageshitze nachgelassen hat, durch die Strassen 
einer Ortschaft, so sieht man in jedem Zimmer Schaukel- 
Stühle 9 ) um den Tisch im Zentrum des Zimmers gruppiert 
und die Insassen sich fleissig schaukeln, wodurch wenigstens 
die inneren Organe etwas gerüttelt werden. Weisse Kleidung 
ist allgemein verbreitet, Leute mit dunkler Kleidung sind in 
der Regel Ankömmlinge. 

Worin besteht nun das Wesen der Akklimatisation an ein 
feuchthcisses Klima? Unser Nahruugsmass ist offenbar dem 
Bedürfnis für Erzeugung von Wärme und chemischer Energie 
für ein gemässigtes Klima angepasst, auch die Haiitfimkti.wi 
hat sich darauf eingestellt, sowie die Konzentration der Kör¬ 
persäfte. W'ird nun die äussere Temperatur erheblich über das 
gewöhnliche Mass gesteigert, so müsste bei rein dynamischer 
Auffassung mehr Wärme für mechanische Arbeit disponibel 
werden. Aber in Wirklichkeit zeigt sich, dass eine geringere 
Menge Wärme in Arbeit umgesetzt werden kann als vorher, 
infolge der eingetretenen physiologischen Störungen. Zudem 
erhöht ja jede Muskelarbeit wieder Verbrennung und Wärme¬ 
produktion, W'as in einem solchen Klima äusserst unangenehm 
empfunden wird. Jede weitere Temperatursteigerung ruft eine 
nervöse Gegenaktion hervor, um die normale Temperatur zu 
erhalten. 

Vor allem wird eine Abänderung der Diät und Verminde¬ 
rung der Nahrungsaufnahme notig“’); allein manche Reisende 


®) In seltenen Fällen bleibt die rote Gesichtsfarbe in Portorico 
erhalten. — Die Gewichtsabnahme kann in 3 Monaten 5 <» kg be¬ 
tragen. 

T ) Während meiner Wirksamkeit in Japan erhielt ich einmal den 
Besuch eines holländischen Chemikers, der 5 Jahre auf Java zu¬ 
gebracht hatte. Derselbe klagte, dass das feuchte Tropenklima ihm 
nahezu den Verstand geraubt hätte, er hätte zuletzt nicht mehr rich¬ 
tig addieren können. Das stimmt mit Erfahrungen Hortons iiber- 
eiti, welcher klagte, dass nach seiner Uebcrsicdlung nach West-Afrika 
er nur 6 Stunden täglich geistig tätig sein könnte, wahrend er es in 
England 15 Stunden sein könnte. Ermüdung und sogar Kopfschmerz, 
stellten sich bei längerer geistiger Arbeit ein, was auch ich be¬ 
obachtete. 

") Unter diesen ist ein grosser Prozentsatz Neger. 

H ) Glasfenster gibt es in Portorico nicht, sondern nur Jalousie¬ 
läden, und diese werden des Abends w eit geöffnet, so dass man das 
Innere der Wohnzimmer überschauen kann. Bemerkenswert ist die 
grosse Verbreitung der Pianos, doch hört man nur selten klassische 
Stücke spielen. 

10 ) Nach Wulppert ist die Trinksitte ein die Akklimatisation 
erschwerender Faktor; dieser kam aber bei mir nicht in Betracht. 

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behaupteten, d iss sic im heissen Klima ebensoviel Nahrung 
bedurften als im gemässigten. Diese Behauptung durfte aber 
nur auf dem Gefühl des \olisemx des Magens beruhen: so lange 
dieser nicht v< II ist, haben Manche Hungergefühl. Es bliebe 
noch festzustellen, ob bei der iruheren reichlicheren Ernährung, 
wenn sie in den Tropen f< rtgesetzt wird, die Nahrung audi so 
gut ausgeniitzt wird wie früher. Wegen vermehrten Wasser- 
genusses werden natürlich alle Körpers.ute. u!m> auJi die V«. r- 
dauungssäite vorübergehend verdünnt und manches wird dir. 
Körper unverdaut verlassen. 

Die häufigen Diarrhoen erscheinen fast wie eine Kor¬ 
rektur fur ein l’ebermass von aufgi pommerer Nahrung. 
Dieser Zustand wieder fuhrt viele zum ubeUrubereu Ge- 
miss von alkoholischen Getränken, von deiun vielleicht ein 
Minimum hmgereiJit Hatte, J:e \ et J.itring'tuOgkeit etwas zu 
stimulieren. Lh fur meinen I eil habe im I ropenküma weit 
weniger Nahrung als früher aufgenomitien und besonders Fett 
soweit als möglich vermieden. 

Dass in den ‘Tropen aiuli weniger Proteins;« .ff notig ist. 
als im gemässigten Klima, Scheint daraus hervor/ugehen, d iss 
heim Eortgciiuss der früheren Ration ein überaus starker Hu.tr- 
w uclis am ganzen Körper aultntt, was emerseitx auf Stei¬ 
gerung der Hanttätigkeit beruht, andererseits audt uN eine Ab- 
stossung überschüssig auigcuommenen Proteins*«.ffes aufge¬ 
fasst werden kann. Audi bei pmieinreidicr Kost nimmt der 
Fleischansatz ab, sonst wäre d e Abmagerung der Fingew än¬ 
derten und der magere Zustand auch der s;di reichlich näh¬ 
renden Eingeborenen kaum begreiflich. Die niederen Schichten 
der Eingeborenen gemessen freilich eine weit protemärmere 
Nahrung als die frisdi Eilige w änderten. 

Der feiiditheisse Zustand, vielleicht verbunden imt der 
gesteigerten W asserauinaliuie, bedingt manchmal pathd >g.sdie 
Venenanschwellung an den Beinen, namentlich bet Leuten, d e 
in höherem Alter einw andern; audi e;n Bull von >diwd\mg 
der ganzen Beine gelangte zu niemer Kenntnis. Dass J e B.ut- 
bildimg in einem solchen Klima leidet, durfte aus dem anämi¬ 
schen Aussehen der Eingeborenen erhellen. Mandic Rc.sende 
berichten aus Tropcnlaiidern darauf Bezug;. Jus. So beob¬ 
achtete S c h e I I i n g eine \ crimndcnmg der roten B!u:ko r pcr- 
chcn, sowie der Puls- und \temtr eipien/. G logier und 
Dä übler eine Verminderung des ll.imngloh.nge’ulies. 

Solche krankhuitc Erscheinungen sind im lr<uken-bösen 
Klima nicht, oder mir in ganz untergeordnetem Gr ide w.thr- 
Zimehmeii. Am sJilimmsun tmd unangenehmsten sind de 
klimatischen Wirkungen aut k'cmen Inseln m der 1 mpen/one. 


Die Karelische Milchkur und die Unterernährung bei 
Kompensationsstörungen. 

\ on Felix H i r s c h f c 1 J. 

Vor kur/ein v\ urde von L. .1 a c ob') auf Grur.J einer Reihe 
von Krankenbeoba Jitiingeii im Eppuidorier K rattkenhaus die 
Karelische Milchkur zur Bekämpfung ernster Kreislauf¬ 
störungen, wie sie suh bei sinkend, r llir/kratt em/uste’lin 
pflegen, uls eine in Deutschland wenig bekannte Methode 
dringend empfohlen. 

Der Kranke erhalt nach diesen \ \ Jeutlen als a.'.einige Nahrung 

5 7 Jage lang 4 mal täglich je J«**» cum a»’gek«* w htvr «.lir rJier 

Milch von beliebiger, seinem Geschmack entsprechender I emperatur. 
In den darautfolguulen 2 <» lagen gestattet man ausser Jer M'yh 

einige Zusätze, zunächst mir 1 l'i und etwas Zwieback, dann 2 he' 
und etwas Schwarz- oder Weissbrot und <ien.se. sn dass etw a 
12 I a g e nach B e g i n n d e r Kur der l e b e r g a n g z u 
voller gemischter Kost erfolgt, bei dir dann m diu 
meisten ballen die Milch möglichst betbehaitcn < ■ ! e r !e u e:se dürJi 
'I ec ersetzt wird, ohne dass in den uddenden 14 J ,t g «M ins 4 \\"Jicn 
die < iesamtmenge der I mss^keit son um ubersu .c' 

Jacob bemerkt dann weiter, ob die dm'et.sJu- Wirkung 
dieser Kur auf einem unmittelbaren Einfluss auf de Nieren 
oder auf der Zufuhr einer sehr kochsalzarmen N J;m:g beruhe, 
wie R o m b e r g vermute, oder ob das Wese; t.;Jtc die äus- 


*) L. Jacob, Assistenzarzt: l ‘eher die Bedeut’.:-g. der Kare kur 
bei der Beseitigung schwerer Kreislaufstörungen u” * dt - B? ' ung 
der b'ettsucht. ( Aus der I Mrt* !• •-•.a'abteiiung des Eppcu h-ru-r K um- 
kenhauses in Hamburg. PrJ. Dr. EenhartzJ. M u?uh. rt.td. 
Wochenschr. 19ut\ No. 16 u. 17. 




Ori gina l frorri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1587 


serste Reduktion der Merzkraft sei, die eine Erholung des 
Herzens ermögliche, was Lenhartz für die Hauptsache 
halte, möge dahingestellt bleiben. 

Aus der gesamten Darstellung gewinnt man jedoch wohl die 
Ueberzeugung, dass Jacob sich den letzteren Anschauungen an- 
schliesst. Er betont auch, dass Lenhartz dieKarellsehe Milch¬ 
kur schon seit 15 Jahren häufig anwende und bei Bronchitis und Em¬ 
physem sowie Erkrankungen des Herzens mit Stauungszuständen 
nicht selten überraschende Erfolge erzielt habe. 

„Ebenso erkannte e r“, so fährt Jacob fort, „wohl als 
erster, welch ein wertvolles Hilfsmittel die Kur 
bei denjenigen Herzschwächezuständen dar¬ 
stellt, die als Folge der Fettsucht auftreten. 

In der Einleitung ist nur kurz erwähnt, dass H i r s c h f e 1 d auf 
Grund seiner klinischen Versuche über verminderte Nahrungszufuhr I 
bei Herzkranken diese Kur für gewisse Fälle von Kompensations¬ 
störungen sehr empfiehlt, ohne jedoch eine Darstellung seiner Fälle 
im einzelnen zu geben. 

Diese Behauptung ist irrig. Vor 16 Jahren, also 1 Jahr bevor 
Lenhartz diese Methode anwandte, habe ich zuerst, ausgehend 
von Beobachtungen an Entfettungskuren, zeitweilig eine Unter¬ 
ernährung für Herzkranke empfohlen, die Karelische Milchkur 
als einen Beweis für die Richtigkeit meiner theoretischen Erwägungen 
erwähnt und dann in einer weiteren Arbeit günstige Erfahrungen an 
3 Kranken unter Mitteilung der Krankengeschichten veröffent¬ 
licht. 

Erst die dritte Arbeit aus dem Jahre 1896 wird von L. Jacob 
erwähnt. In diesem vor der Berliner medizinischen Gesellschaft ge¬ 
haltenen Vortrag*) sind allerdings keine einzelnen Krankengeschich¬ 
ten mitgeteilt, sondern es ist selbstverständlich unter genauer Be¬ 
ziehung auf die früheren Arbeiten eine Zusammenfassung der Re¬ 
sultate auf diesem Gebiete auf Grund von etwa 20 Versuchen ge¬ 
geben. Ich hob auch hervor, dass eine Verringerung der Flüssigkeits¬ 
zufuhr das gewünschte Ziel nicht erreichen lasse, denn Kranke mit 
Kompensationsstörungen wiesen alsdann die feste Nahrung zum 
grossen Teil ebenfalls zurück; es würden also die Folgen der Unter¬ 
ernährung eintreten. 

In der sich hieran anschliessenden Diskussion äusserte sich 
Senator zustimmend und dehnte die Anwendung einer kurz 
wiederholten Unterernährung auch auf Nieren- und Leber¬ 
kranke aus. 

Wz Jahr später entwickelte ich dann in einem Vortrage 3 ) im 
Verein für innere Medizin im Anschluss an die theoretische Auf¬ 
fassung über Beziehungen zwischen Unterernährung und Kreislauf, 
in welcher Weise der Einfluss der Muskeltätigkeit bei Kompensations¬ 
störungen aufzufassen sei. Insbesondere wies ich darauf hin, 
dass die Anwendung gesteigerter Muskeltätigkeit 
zugleich mit einer Unterernährung oder Entfet¬ 
tungskur bei vielen Herzkranken eigentlich einen 
Widerspruch in sich trage. In der sich hieran anschliessenden Dis¬ 
kussion wurde von den hervorragendsten Klinikern (v. Leyden, 
A. Frankel und Ewald) die Unterernährung bei Herzkranken 
in so schroffer Weise abgelehnt 4 ), dass ich es dem zuschreiben 

*) F. Hirschfeld: Berl. klin. Wochenschr. 1892, No. 11 u. 35; 
ebenda 1896, No. 33; Verhandlungen der Berl. med. Gesellsch. vom 
13. V. 1896. 

*) F. Hirschfeld: D. med. Wochenschr. 1897, No. 7; Sitzung 
des Vereins f. innere Med. in Berlin vom 21. XII. 1896, 11. I. 1897 und 
18. I. 1897. Auf diese Methode kam ich ferner noch zurück in den 
Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin 1899, in der Mono¬ 
graphie „Die Ueberernährung und die Unterernährung“, Frankfurt 
1897 und „Nahrungsmittel und Ernährung“, Berlin 1900. 

4 ) So äusserte v. Leyden: „Wenn das Herz schwach ist, so 
braucht es eine kräftige Ernährung, das kann wohl nicht zweifelhaft 
sein“, und weiter: „Der Herzmuskel ist ein sehr tätiger, der kräftir 
arbeiten muss, und gerade bei den Zuständen, die ich als Herz¬ 
schwäche bezeichnete, würde ich eine Unterernährung für ent¬ 
schieden bedenklich halten.“ Die Wirkung der K a r e 11 sehen Milch¬ 
kur führte v. Leyden nicht auf Entziehung, sondern darauf zurück, 
dass der Kranke eine flüssige und zweckmässige Nahrung erhalte. 

„Wenn K a r e 11 mit kleinen Dosen anfängt, so halte ich das 
einerseits für übertrieben, andererseits aus der richtigen Erfahrung 
hervorgegangen, dass man im Anfang nicht zu viel Nahrung geben 
und den Patienten erst an Milch gewöhnen soll. Die absolute Milch¬ 
kur, die noch jetzt in Russland geübt wird, ist sehr bedenklich, denn 
auf die Dauer erhalten die Patienten nicht genug Nahrung.“ 

Vergebens wandte ich im Schlusswort hiergegen noch ein, dass 
eine theoretische Erklärung, weshalb die Unterernährung sich vor¬ 
teilhaft bei Kompensationsstörungen erweise, gegeben sei und dass 
meine klinischen Erfahrungen mit der Anwendung der Unterernäh¬ 
rung und die Beobachtungen K a r e 11 s über den Nutzen der Milch¬ 
diät hiermit im Einklang ständen. In den meisten Fällen von Kom¬ 
pensationsstörungen sei die Unterernährung schon spontan durch das 
Sinken der Esslust eingetreten. In solchen Fällen könne man aber 
deutlich die Kompensationsstörungen steigern. 


möchte, wenn gegenwärtig, wie dies auch Jacob hervorhebt, in 
Deutschland eine Entziehungskur oder die K a r e 11 sehe Milchkur 
kaum noch zur Anwendung kommt. Eine etwas genauere Prüfung 
der Literatur hätte ihn aber über die Ursachen belehrt. Ich will 
gern anerkennen, dass er jetzt an einem grossen klinischen Material 
zusammen mit Lenhartz den Nutzen der Entziehungskur wiederum 
bewiesen und damit dieser Methode hoffentlich dauernden Eingang 
in die Klinik verschafft hat, möchte mich aber nicht in dieser Weise 
bei Seite schieben lassen. 

Für einen grossen Nachteil halte ich es, dass weder Jacob 
noch Lenhartz der Frage näher getreten sind, ob denn das 
Festhalten an der Milchdiät durchaus notwendig ist. Besonders aus 
diesem Grunde scheint es mir von Interesse, meine Beobachtungen 
auf diesem Gebiete mitzuteilen. 

Es muss doch das Streben der klinischen Forschung sein, 
die Wirkungsweise eines jeden Faktors zu analysieren, damit 
der Arzt entsprechend den verschiedenen Individualitäten ver¬ 
schieden handeln kann. Die Durchführung einer bestimmten 
Kur wie der K a r e 11 sehen Milchkur nach einem festgesetzten 
Schema schiene mir nur dann gerechtfertigt, wenn die kli¬ 
nischen Erfahrungen lehren, dass auf keine andere Weise ein 
Erfolg möglich ist. Dem ist aber nicht so. Wird die theo¬ 
retische Frage nicht geklärt, so ergibt sich der Widerspruch, 
dass von einzelnen Klinikern eine Entziehungskur zur Be¬ 
seitigung von Kompensationsstörungen empfohlen« wird, 
während gleichzeitig andere 5 ) die Unterernährung als die Ur¬ 
sache des gleichen Leidens ansehen. 

Die ursprüngliche Karelische Milchkur bestand in Ver¬ 
abreichung von abgesahnter Milch. Eine solche Er¬ 
nährungsweise widerspricht der Geschmacksrichtung in 
Deutschland aber so sehr, dass man ihrer allgemeinen Durch¬ 
führung kaum das Wort reden wird; ausserdem sind in 800ccm 
entsahnter Milch im ganzen nur etwa 25 g Eiweiss, 35 g Kohle¬ 
hydrate und 10 g Fett, also etwa 350 Kalorien enthalten, d. h. 
V? oder Vs der Erhaltungsdiät. 

Die Verordnung von Vollmilch nach Jacob er¬ 
höht den Nährwert und kann wohl eher auf Zustim¬ 
mung rechnen; indessen hat auch diese Kur ihre Schwierig¬ 
keiten. Täglich im ganzen nur 800 ccm Milch zu erhalten, 
empfindet ein Kranker oder seine Umgebung zumeist als eine 
Hungerkur. 

Nur bei schweren Nephritiden könnte man viel¬ 
leicht an Milch als ausschliessliche Nahrung denken, weil 
hier der geringe Salzgehalt noch einen weiteren Vorzug 
darstellt. Von französischen Autoren wird auch bei L e b er¬ 
leiden der verschiedensten Art der Milchdiät ein grosser 
Nutzen nachgerühmt. Bei akuten Endokarditiden 
beschränkte ich mich ebenfalls auf Milchdarreichung. In 
solchen Fällen wurden oft nur täglich 200—400 ccm Milch ge¬ 
nossen, während ausserdem etwa 600—1200 ccm Flüssigkeit 
erlaubt werden mussten. Für die meisten anderen Kranken mit 
Kompensationsstörungen würde ich aber weder die Karell- 
sehe Kur mit abgerahmter Milch, noch die ausschliessliche Ver¬ 
abreichung von Vollmilch empfehlen. Das Bestehen eines 
schweren Magendarmkatarrhs scheint mir nach meinen 
Erfahrungen entgegen den Anschauungen von L. Jacob 
weniger häufig ein berechtigter Grund, weil alsdann infolge 
der schweren Appetitlosigkeit schon Unterernährung als eine 
Art Selbstregulation eingetreten ist, und eine weitere Be¬ 
schränkung der Nahrungszufuhr dann doch häufig keinen ent¬ 
scheidenden Nutzen mehr bringt. Die gemischte Diät scheint 
mir vor der reinen Milchdiät auch den Vorzug zu haben, dass 
die feste Nahrung selbst schon im Magen eine anregende Wir¬ 
kung ausübt. Wir können häufig bei gesunden Personen, die 
lange gehungert haben, sehen, wie das Verzehren eines Zwie¬ 
backs sie kräftigt, bevor noch ein nennenswerter Bruchteil der 
genossenen Stoffe in den Kreislauf übergetreten sein kann. 
Bei sehr schweren Kompensationsstörungen 
bleibt allerdings diese anregende Wirkung der Nährung aus; 
hier wird jeder Bissen fester Nahrung quälend empfunden. In 

wenn man durch sorgfältige Regelung- der Diät 
eine reichlichere Ernährung herbeiführe. Schliess¬ 
lich sei die Unterernährung vielfach schon angewandt worden, aber 
unter einer falschen Flagge, nämlich der der „massigen 
Lebensweis e“. 

5 ) Hans Epp in ge r: Med. Klinik 1908, No. 14. Auf diese 
Ansicht komme ich noch zurück. 

3* 


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Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1588 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sn. 


sulchen Fällen wird die M i 1 c h k u r, wie überhaupt die flüs¬ 
sige Diät, besser vertragen; sie vermag aber auch, wie oben 
gesagt wurde, keine entscheidende Besserung herbeizuführen. 
Ein Festhalten an der ausschliesslichen Milchnahrung ist wegen 
deren Monotonie eine unnütze Belästigung des Kranken; die 
flüssige Kost kann aus Milch, Suppen, Eiern, Wein usw. be¬ 
stellen. 

Die Diät, die sich mir bewährte, hat folgende Zusammen¬ 
stellung: 

E r ü h: 150 eeni Kaffee mit 15 ccm Milch (dazu eveiit. Saccharin). 
20 g Weissbrot. 

Vormittags: 150 ccm Bouillon. 

Mittags: 150 g Schleimsuppe. 200 g mageres Heisch (ruh 
gewogen) als Schabefleisch oder in W asser gekocht, ungefähr 100 g 
Spargel oder Blumenkohl mit etwas Sauce. 

Nachmittags: 150 ccm Kaffee mit 15 ccm Milch, event. 
Saccharin. 

A bends: 100 g Heisch, 20 g Semmel. 

Ich betone jedoch ausdrücklich, dass man sowohl in 
quantitativer wie qualitativer Beziehung hier\ on 
sich mehr oder minder weit entfernen darf. .1 e sc h w e re r 

die Kompensationsstöruns; in jedem einzol n e n 

Falle liegt, mit desto weniger Nahrung wird 
man a u s k o m m e n. 

Bei dieser Diät werden ungefähr 7(M> Kalorien in dem 
Organismus erzeugt, was dem Nährwert von etwa 1100 ccm 
Milch entsprechen würde. Selbstverständlich darf eine solche 
niedrige Ernährung nur bei andauernder Bettruhe 
verabreicht werden; alsdann ist man vor Zwischenfällen, wie 
Ohnmächten, einem grossen Schw ächegeiiihl iisw. sicher. Die 
Flüssigkeitsmenge betrug hierbei ungefähr (>oo ccm. Nur selten 
war es noch notwendig, 2 400 ccm kohlensaures Wasser 

ausserdem zu gestatten; meist genügte ein Ausspülen des 
Mundes, um das Durstgefühl zu bekämpfen. Der Hunger ist. 
wie auch Jacob hervorhebt, in schweren Fällen von Kompen¬ 
sationsstörungen meist so gering, dass die Kranken mit der 
herabgesetzten Ernährung sich begnügen, ja sie erklären oft auch 
mit weniger auskommen zu können. Je rascher in der Regel 
die Esslust wächst, desto rascher pflegt zumeist auch die Kom¬ 
pensationsstörung zurückzugehen und desto deutlicher w ird die 
Erstarkung der Herztätigkeit. Wenn aber nach länger als einer 
Woche keine Zunahme des Appetits erfolgt, so halte ich dies 
für ein sehr schlechtes prognostisches Zeichen. Meist gibt 
sich die Hoffnungslosigkeit dieser Fälle dann in dun Versagen 
der üblichen Herzmittel auch zu erkennen. 

Die Dauer dieser Kur beschränke ich zumeist auf weniger 
als eine Woche. Je nach den individuellen Neigungen ge¬ 
statte ich Zulagen, im ganzen aber langsam. Nament¬ 
lich suche ich zu verhindern, dass die Kranken nach einigen 
Wochen bedeutend mehr essen, als ihr Stoffbedarf erfordert 
und dementsprechend rasch an (iewicht zunehmen. Die Be¬ 
obachtung der Pulsfrequenz und der Urinmeiige gibt hierbei 
wertvolle Fingerzeige. In meinen erstmitgetulten Kranken¬ 
geschichten habe ich zeigen können, dass alsdann sehr rasch 
wieder Kompensationsstörungen aultreten. Das Verlassen des 
Bettes darf man erst erlauben, wenn die Ernährung schon 
reichlicher geworden ist und etwa 1500 2000 Kalorien beträgt, 
also nicht vor 2 2 Wochen, wenn die strenge Unterernährung 
etwa eine Woche dauerte. Au anderer Stelle habe ich schon 
ausführlich auseinandergesetzt, dass die M u s k e I r u h e 
ebenso wichtig ist, wie die Beschränkung der Diät. Man darf 
die Muskeltätigkeit nur ganz allmählich steigern und zwar nur 
unter steter Beobachtung der Leistungsfähigkeit des Herzens 
in jedem einzelnen Falle. Sonst an und für sich leichte An¬ 
strengungen, wie z. B. das mehrere Minuten lange Stehen bei 
dem Waschen, können den Kranken sehr anstrengen und den 
(ievvinn wieder autheben, der durch die Schonung des Herzens 
infolge der Unterernährung und der Bettruhe zu¬ 
erst erzielt war. Auf diesem (iebiete habe ich schon die 
schmerzlichsten Erfahrungen gemacht und ich halte es iiir 
leicht möglich, dass durch die 12 Wochen lang anhaltende 
Unterernährung entweder die Blutmenge beträchtlich ver¬ 
ringert (»der das Herz oder das (iefässnervensystem in einen be¬ 
sonders labilen Zustand versetzt wird. Wahrscheinlich ist die 
Blutmenge gerade genügend,um den Kreislauf bei Ruhe aufrecht 
’ erhalten; wenn aber einzelne Organe arbeiten und sich 
Hsprechcnd ihre Arterien erweitern, ergibt sich ein Miss¬ 


verhältnis, das zu Blutleere des (ielurns oder anderer 
wichtiger Organe fuhrt. So mochte uh auch die Anschauung 
; von Eppinger erklären, der in der l nterern.ihrung des¬ 
halb die Ursache der Kompensatioiisstoruug erblickte, w e u 
das hypertrophische Herz eines hungernden I leres nicht im¬ 
stande ist, grossere Widerslande, wie 7. B. das Absperre n 
der Brustaorta, dauernd zu bewa’tigeii. Dieses Experiment be*- 
stättigt nur die klinische Erfahrung, dass wahrend einer l i:te r- 
ernährung an das Herz keine grosseren Ansprache geste: i 
werden dürfen. 

Fast regelmässig stellt sich bei dieser Kur eine hart¬ 
näckige S t u h 1 v e r s t o p f u n g ein und dies ist audi zu 
erwarten, da die genossene Nahrung an M e n ge so g e r i n g 
ist und aus wenig Schlacken b i I d e n d e n Stoffen be¬ 
stellt. Aus diesem Uruude wird man in den meisten Lallen 
sich begnügen können, wenn alle 2 läge auf Abführmittel, w ie 
Rhabarber, Karlsbader Salz in kalter kohlen.saurehalticcr Lo¬ 
sung oder Klysmata und (ilyzerinzapfcheii Mahlgang erzeugt 
w ird. 

Die Anwendungsweise der Unterernährung ist wohl ziem¬ 
lich klar. Ueberall da. wo dem Herzen zeitweilig d.e Arbc.t 
erleichtert werden soll, wird man von ihr Debraiich machen 
dürfen. Wenn der Nutzen aber auch bei K omptiisationsst, »r tu: g 
mit Oedemen durch die Besserung der Diurese am deutlichsten 
nachweisbar ist, wird man auch dort sie emptchle n. wo sich 
Storungen der Herztätigkeit in Anfällen \oii Mer/kr.mipten 
oder Atemnot bemerkbar machen. Eis handelt siJi hierbei bis¬ 
weilen um Personen zwischen du und -40 Jahren. zumeist aller¬ 
dings um ältere Personen, die einem massigen Alkoholgettnsx 
ergeben sind, sehr blutreich aussOien und das eige etl.che Bild 
der Plethora der alten Medizin darbicten. D.ts l eiden wird bei 
■ jüngeren Personen meist als tlcrzuciirosc anfgetasst, wahrend 
; bei etwas alteren Personell wolt! meist an Arteriosklerose ge- 
| elaeht wird. Die Forschung der letzten Jahre hat gelehrt, die 
| höchsten < irade dieses Zustandes als eine besondere Erkran¬ 
kung anziise he ii. die P«»I\ z\tliarme oder Plethora \ era. Eine 
sichere Entscheidung, ob dieser pathologische Zustand seinem 
Wesen nadl \on der so hantig \ or kommenden Plethora VeT- 
| schieden ist, oder nur den ausse ren tiipie Ipm.kl me hrerer m 
; verschiedenen Stufen vorhandenen Steigerungen dar stellt. 

, lasst sieh jetzt nicht treffen. 

| (ierade bei solchen Personen, die siJi wenig Bewegung 

machen, ist man meist geneigt, nadl dem (> e r t e I sehen \or- 
| schritten eine El n t f e t t u n g s k u r, also eine Unter- 
e r n ä h r n n g zugleich mit r e i c h I i c li c r Muskel- 
tätigkeit zu empfehlen. Dies habe 1 J 1 sjmn sehr aus¬ 
führlich bekampit und kIi treue mich, dass n tzt I. e ii • 
hart z dafür cmtritl, dass man zur Einleitung einer Ent¬ 
fettungskur die Karelische Milchkur, also Unteren.aliruug 
und Bettruhe, auw enden soll. Bettmlie wird allerd ngs 1 h; 
vielen wohl nicht notwendig, es genügt mir eine Eli tha'mng 
vor stärkeren Anstrengungen m der ersten Zeit. Wem dutm 
das Körpergewicht um 4 oder 5 Pfund gefallen ist. körnen, 
bei nacligew leseuer Leistungsfähigkeit de s Mer/et> körperliche 
Anstrengungen und abführende Kuren bei fettleibigen Patienten 
den Erfolg noch steigern. 

Sehr wertvoll erwies mJi mir die Unteren.ahm:.g bei der 
1 lerzsc liw adle der (ireise. Eis sind ent w e de r hartnäckig e 
Bronchitiden mit starker K urzatmigke it oder Magen - 
b e s c Ii w erden, die nadl nu ii:ui 1 rf.-.hm,:gnn am häufig¬ 
sten das beginnende El t lahmen der Me r/k * alt bei (in iscii an- 
zeigen. Solche Eaile werde n s t hr liautig verkamt. Be¬ 
sonders m Erinnenir.g ist nur ein Lall von liar;nackigen Mageu- 
hescliw erden bei einem fast m i lahr.ge n Arzt, der e benso w n 
sein Sohn, ein erfahrener Kliniker, st-in Ec.den aN beginnende". 
Magenkrebs auffassen wollte, weil eil nsuts d e s.r^t.öfgstc 
diätetische und medikamentöse P.e li.mdl.mg md,: ha : ! und d,c 
körperliche Rüstigkeit de in hoben Alter e utspMdi. Die E ss. 
Inst war wenig verringert. E.me spunge nie H r w o v hcr.t'n he 
Ruliekiir. wobei wegen der Detalir der H\{»’s:.jc t ii imturoh 
nicht Bettruhe verordnet wurde, und virie gle idize t.ge Me rab- 
set/img der Ernährung besserte de Be sjiw e rdeu. so dass für 
mehrere Monate eine- volle Erholung emtn.t. Erst s Mmm'c 
spater erfolgte der I od. 

Deshalb hat sich a11cli Marierhud b.ei der Kiozatrm^ke.: 
der (ireise in manchen Lallen so wmv li L r w cht.. % • -fern d e 



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2 8. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1589 


gerade dort so häufigen Uebertreibungen vermieden werden. 
Noch mehr wie bei den Herzneurosen wird man darauf achten 
müssen, dass besonders in der ersten Zeit die körperlichen An¬ 
strengungen gering sind; denn nicht die Unterernährung 
in Marienbad, sondern die körperlichen Anstren¬ 
gungen sind für ein schonungsbedürftiges Herz gefährlich. 
Ist erst durch die Unterernährung und die Anwendung des ab¬ 
führenden Brunnen eine Entlastung erzielt worden, so kann 
inan wiederum das Mass von Körpertätigkeit vorsichtig 
steigern. 

Die Ergebnisse dieser und meiner früheren Arbeiten möchte 
ich dahin zusammenfassen: 

Die von Kare 11 zur Beseitigung von Kompensations¬ 
störungen empfohlene Milchkur ist eine Unterernährung; eine 
aus leicht verdaulichen Nahrungsmitteln zusammengestellte 
gemischte Entziehungsdiät kann die gleichen günstigen 
Wirkungen entfalten. Die Erklärung liegt in der Tatsache, 
dass die Ernährung ebenso wie jede auch nur 
leichte Muskeltätigkeit eine zeitweilige Verstärkung 
der Herzarbeit bedeutet. Eine Besserung ist vor allem dann zu 
erwarten, wenn die Ernährung vorher reichlich war, weniger 
wenn die Esslust sich schon vorher spontan beträchtlich ver¬ 
ringert hatte. 

Die Menge der Nahrung muss je nach dem einzelnen Fall 
verschieden sein; je schwerer die Kompensationsstörung' ist, 
mit desto weniger Nahrung wird zumeist der Kranke aus- 
kommen. Je rascher die Esslust wächst, desto günstiger ge¬ 
staltet sich im allgemeinen die Prognose. 

Nachdem ich schon vor mehreren Jahren in einer Reihe 
von Arbeiten diese Frage ausführlich erörtert irnd auch dies 
beweisende Krankengeschichten mitgeteilt habe, ist jetzt der 
Wert der Karelischen Milchkur durch Mitteilung neuer 
Krankengeschichten von Jacob bestätigt worden. Damit 
wird hoffentlich der Widerstand gebrochen werden, der der 
Anwendung der Unterernährung bei Kompensationsstörungen 
seinerzeit von so vielen Seiten entgegengesetzt wurde. 


Aus der II. med. Klinik in Wien (Hofrat Prof. E. v. N e u s s e r). 

Wachstumsfähigkeit von B oa s - K auf m a n n sehen Bazillen 
im Mageninhalt. 

Erwiderung auf die Arbeit von Dr. Georg Sandberg: 
„Uebcr den Nachweis der langen Bazillen in den Fäzes und 
dessen klinische Bedeutung“ in No. 22 d. W. 

Von Dr. R o b e r t L a t z e 1, Aspirant der Klinik. 

Durch eine Publikation Sandbergs aus der Breslauer medi¬ 
zinischen Klinik *) sehe ich mich gezwungen über Untersuchungen, 
die ich noch nicht als abgeschlossen betrachte, eine kurze Mitteilung 
zu machen. 

Seit ca. einem Jahre befasse ich mich mit der Züchtung Boas- 
Kaufmann scher Milchsäurebazillen in sterilisiertem Magensaft an 
Carcinoma ventriculi erkrankter Patienten. Die Endziele meiner 
Untersuchungen waren jedoch nicht die Aufstellung eines neuen Nähr¬ 
bodens für die genannten Mikroorganismen, weshalb ich mit einer 
Publikation bisher noch zuriickgehalten habe. Das Verfahren der 
Anreicherung von Milchsäurebazillen im Magensaft bietet an und für 
sich gegenüber dem Anreicherungsverfahren in Essigsäurebouillon, 
wie es Rodelia 9 ) auf unserer Klinik seit ungefähr Jahresfrist aus- 
fiihrte. keinen wesentlichen Vorteil. Als Anreicherungsmedium ver¬ 
wendete ich nun nicht allein Mageninhalt Karzinomatöser, sondern 
untersuchte seit einigen Monaten auch die Wachstumsfähigkeit der 
besprochenen Bazillen im Magensaft bei Patienten, die an anderen 
Magendarmerkrankungen litten. Dementsprechend möchte ich meine 
Untersuchungen in zwei Gruppen trennen. 

A. Züchtung im Karzinommagensaft. 

Es ist allgemein bekannt, dass wir im bakteriologischen und 
chemischen Befund des Karzinommagens mancherlei Varianten zu 
finden gewohnt sind. Ich möchte da drei Typen, die einem wohl 
am öftesten Unterkommen, und die mir speziell für meine Unter¬ 
suchungen wichtig erscheinen, aufstellen. 

1. Bei subazidem Magensaft ist freie Salzsäure negativ, Pepsin 
nur spärlich oder gar nicht nachweisbar, Milchsäure ist positiv, 
bakteriologisch finden sich reichlich Milchsäurebazillen. 


*) Sandberg: Ueber den Nachweis der langen Bazillen in 
den Fäzes und deren Bedeutung. Münch, med. Wochenschr., 1908, 
Heft 22. 

*) Nicht publiziert. 


2. Bei abermals subazidem Magensaft finden wir freie Salzsäure 
und Pepsin negativ, ebenso aber auch Milchsäure negativ. Bak¬ 
teriologisch finden sich Milchsäurebazillen oder sie können auch 
fehlen, meist sind sie, wenn überhaupt, nur spärlich nachzuweisen. 

3. Wir finden oft normale Aziditätswerte, freie Salzsäure noch 
positiv, Milchsäure negativ, Pepsinprobe meist positiv, einen Befund 
wie wir ihn bei Ulcus carcinomatosum manchmal zu Gesicht be¬ 
kommen, aber auch sonst im Anfang einer karzinomatösen Neubildung 
des Magens, besonders beim Sitz derselben an der grossen oder 
kleinen Kurvatur finden können. Bakteriologisch finden wir ab und 
zu Sarcina, jedoch keine Milchsäurebazillen. 

Mir gelang es nun in den ersten zwei Fällen regelmässig im 
sterilisierten MageiVaft Milchsäurebazillen aus irgend einem solche 
enthaltenden Material zu züchten, und komme nun mit einigen 
Worten auf die Beziehung der Milchsäure zum Wachstum der Ba¬ 
zillen zu sprechen. Ich glaube nicht, dass die milchsaure Gärung 
selbst das Wachstum der Bazillen direkt fördert und möchte das 
schon aus dem Grund behaupten, dass Milchsäurebazillen im stark 
milchsauren Magensaft degenerieren, was mir dadurch aufgefallen ist, 
dass die Färbung nach Gram und die Kultur bei starker milchsaurer 
Gärung negativ ausfällt. Es dürfte vielleicht noch am richtigsten 
sein, wenn wir annehmen, dass ein gewisser Grad milchsaurer 
Gärung den Wachstumsbedingungen der in Rede stehenden Bazillen 
nicht widerspricht, ja diese sogar begünstigt, insofern sie andere 
Saprophytenarten vernichtet, dass aber ein höherer Gehalt an Milch¬ 
säure die Bazillen auch im Magen zur Degeneration bringt. Dem 
entspräche auch am ehesten die Tatsache, dass man bei ein und 
demselben Falle heute bei stark milchsaurer Gärung des Magen¬ 
inhaltes die reichlich vorhandenen Bazillen nicht kultivieren kann, 
in einigen Tagen bei geringem Milchsäuregehalt eine Kultur keine 
Schwierigkeiten macht. Im zweiten Falle, in dem wir keine prä- 
formierte Milchsäure im Mageninhalt fanden, konnte solche nach 
24 stündigem Bebrüten der mit bazillenhaltigem Material geimpften 
Röhrchen immer nachgewiesen werden. 

Im dritten Falle fiel ein Züchtungs- resp. • Anreicherungsversuch 
immer negativ aus. 

Was die Frage anlangt, ob man Brut- oder Zimmertemperatur 
verwenden soll, möchte ich mich dahin aussprechen, dass man Zim¬ 
mertemperatur am besten verwendet, wenn man ohne Mühe Rein¬ 
kulturen erzielen will, Bruttemperatur stets, wenn man die Methode 
als Anreicherungsverfahren im strengen Sinn dest Wortes verwendet. <da 
Miilchsäurebazillen die unter irgend schlechten Wachstumsbedingungen 
gestanden, bei Zimmertemperatur nicht angehen, während der kleine 
Nachteil des Mitwucherns von Hefe, Streptokokken und einigen 
Stäbchen sich bei sorgfältiger Plattenkultur bald wett machen lässt. 
B. Züchtungsversuch im Magensaft Nichtkarzino- 
m a t ö s e r. 

Bei diesen Versuchen verwendete ich bisher Fälle von Ulcus 
ventriculi, Achylia gastrica, Hypochlorhydrie und Dispepsie der Phthi¬ 
siker und Fälle von heftigem agonalen Erbrechen. Hier gelang es 
mir nur im letzten Falle ein positives Resultat zu erzielen und zwar 
von vier untersuchten Fällen 3 mal. Es ist ja bekannt, dass der 
unter ganz abnormen Gärungsverhältnissen stehende Magen in der 
Agone oft reichlich, wie ich mich einmal überzeugen konnte, sogar 
massenhaft Milchsäurebazillen enthalten kann. 

In den Fällen von Hyperchlorhydrie, Achylie und Hypochlor¬ 
hydrie gelang es mir jedoch bis heute nicht, eine Anreicherung von 
Milchsäurebazillen zu erzielen, was mich umsomehr wunderte, als 
man in Grampräparaten aus solchem Mageninhalt meist milchsäure¬ 
bazillenähnliche Stäbchen findet, die allerdings kulturell meist nicht 
nachweisbar sind, weshalb mir oft Bedenken gekommen sind, 
ob es sich hier nicht um degenerierte Leptothrixarten aus der Mund¬ 
höhle handle. Die negative Jodreaktion ist bei den meist degene¬ 
rierten Stäbchen nicht zu verwerten. Nie habe ich in allen hieher- 
gehörigen Fällen eine Milchsäurebazillenflora beobachtet, wie sie der 
bei Carcinoma ventriculi nur ähnlich wäre. 

Zuletzt möchte ich mich nur noch gegen einen Satz wenden. 
Sandberg behauptet nämlich: „Die Anwesenheit der lan¬ 
gen Bazillen im Stuhl ist ein Beweis für das Vor¬ 
handensein derselben im Mageninhalt“. Damit geht 
der Autor entschieden zu weit. Es braucht, wie jede andere Bak¬ 
terienflora auch die Milchsäurebazillenvegetation ihre Infektion, aber 
dass dieselbe im ganzen dazu befähigten Digestionstrakt erfolgen und 
gleich lang andauern muss, dürfte der Erfahrung nicht entsprechen. 
So finden wir bei Stenosen des Dünndarms (Lymphosarkom, Tuber¬ 
kulose etc.) oft reichlich Milchsäurebazillen im Stuhl, während im 
Mageninhalt, der oft auch chemisch nicht die richtige Eignung hätte, 
keine derartigen Stäbchen auffindbar sind. 

Verweisen möchte ich auf einen Fall von Lymphosarkom des 
Jejunums, welchen R. Schmidt 5 ) in der Gesellschaft für innere 
Medizin vorgestellt hat. Es fanden sich bei diesem Falle im Stuhl 
eine Reinkultur von Milchsäurebazillen, während man im Mageninhalt 
nur wenige verdächtige Stäbchen finden konnte. Es wurde intra 
vitam von R. Schmidt die Diagnose auf Lymphosarkom des 


3 ) Mitteilungen der Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde in Wien. VI. Jahrg., No. 7. 


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J59U 


MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 


Dünndarms gestellt und bei der Autopsie tatsächlich eine lympho- 
sarkomatöse Infiltration im obersten Anteile des Jeiunums ge¬ 
funden, wodurch es zu einer kindskoplgrossen Erweiterung des 
betroffenen Dannlumens gekommen war. in welcher die Milch- 
säurebazillen die denkbar günstigsten Wachstumsbedingungeii ge¬ 
funden haben. Ich selbst habe bei einem balle, bei dem es 
sich um zeitweise Stenosierung des Dünndarms durch einen 
grossen Milztumor handelte, aus dem Stuhl mit der Anreicherungs¬ 
methode Rodel las durch Tage hindurch stets Milchsäureba/illen 
nachweiscn können, wie sie auch im (irampräparat stets das Bild be¬ 
herrschten. Im Ausgeheberten wie im Erbrochenen konnten solche 
nie nachgewiesen werden, hingegen war freie Salzsäure stets deut¬ 
lich positiv, wie auch später ausgeführte Proben mit Pesmoidpillcn 
in diesem Sinne ausfielen. 

Schliesslich fand ich noch bei akuten Enteritiden im diarrlioi- 
schen Dünndarmstuhl sowie bei Tuberculosis intestini oft reichlich 
Milchsäurebazillen, die ich in vielen Eällen auch kulturell nachweiscn 
konnte, was mich wohl zur Annahme berechtigt, dass sich im Dünn¬ 
darm, speziell in seinem obersten Anteile selbständig eine Milchsäure¬ 
bazillenflora entwickeln kann, jedesfalls aber das Vorkommen der 
Bazillen im Stuhl einen sicheren Rückschluss aui das Vor¬ 
handensein derselben im Magen nicht zulässt. 


Kurzsichtigkeit und ihre Verhütung. 

Von Prof. Dr. Best in Dresden. 

(Schluss.) 

Es wäre nun sehr einseitig, wollte ich nicht auch die 
anderen M y o p i e t h e o r i e n hier kurz referieren. 

I. Theorien, dieci ne V e r m e h r u n g d e s intra¬ 
okularen Druckes durch N a li e a r b e i t an- 
nehmen. Gegen alle diese Theorien spricht, abgesehen von 
den einleitend hervorgehobenen allgemein biologischen Momen¬ 
ten, die Tatsache, dass der hintere Pol des Auges nicht der¬ 
jenige Teil ist, der durch Druck am leichtesten gedehnt wird. 
Langsame Druckerhöhung in dem wachsenden Auge des Kindes 
erzeugt allgemeine Ektasie (Hydrophthalmus) mit vorw iegen¬ 
der Beteiligung des vorderen Bulbusabschnittes (Cornea glo- 
bosa; der hintere Augenabschnitt ist durch den Orbitaldruck 
relativ gegenüber dem vorderen entlastet) und glaukomatöser 
Sehnervenektasie. Im späteren Alter bewirkt Druckerhöhung 
ebenfalls zu allererst Sehnervenektasie. Damit sind diese 
Drucktheorien alle sehr unwahrscheinlich. 

1. Druckerhöhung durch Akkommodation. 
Findet nach Hess nicht statt. 

2. Durch Konvergenz. Fs ist nicht nachgcw iesen. 
dass der Druck bei Konvergenz höher ist als bei Seitenbewe¬ 
gungen, und sogar unwahrscheinlich. 

3. Durch den Druck sämtlicher dabei beteiligten Muskeln 
b e i K o n v e r g e n z u n d g c n c i g t e m Blick. I lass hier¬ 
bei mehr Augenmuskeln in Aktion treten als bei Ausgang von 
der Primärstdlimg and einfacher Seitenbewegung wie dies 
näher durch Sattler in der Bowmanlecture 1907 ausgefiihrt 
ist — muss zugegeben werden. Aber wenn wir z. IT über die 
Strasse gehen und uns umselien, so gehen wir doch auch im 
allgemeinen nicht von der Primärstellung aus, sondern blicken 
meistens mit leicht gesenkter (iesiclits!inie um uns. Bei dem 
andauernden Wechsel des Fixationsobjektes sind voraussicht¬ 
lich alle Augenmuskeln wechselnd teils in aktiver Kontraktion, 
teils in relativer Erschlaffung mit leichter Kontraktion zur Züge¬ 
lung des Antagonisten. Der Druck w ird also dauernd auf dem 
Auge beim Umherblicken lasten, und es ist wohl kaum wahr¬ 
scheinlich, dass bei Verfolgung eines naheliegenden Obiektes 
der intraokulare Druck irgendwie anders sein sollte als bei 
fernen. 

4. Stillings Theorie. Stilling schuldigt das 
Wachstum des Auges unter Muskeldruck an; besonderen Nach¬ 
druck legt er dabei auf das Verhalten des M. ohliquus su- 
perior. Insoweit es sich allgemein um den Muskeldruck bei 
Nahearbeit handelt, fällt seine Theorie unter die bisher erörter¬ 
ten Einwände. Dass der Druck und Zug des kleinsten aller 
Augenmuskeln, des Obi. sup., besonders hervorgehoben wird, 
ist St i 1 I i n g s Eigentümlichkeit. Ich vermag mm nicht cin- 
zusehen, dass der Obi. sup. besonders bei geneigtem Blick einen 
Druck auf das Auge ausüben soll. Gerade in der oberen Blick¬ 
feldhälfte liegt seine Sehne in grosser Ausdehnung der \”gen- 
M and an, und beim Umherscliauen in der oberen Blickfeld? 


Jjfg itizegj a-GOOgk 


hälfte müsste sein Druck ganz besonders wirken (immer bei 
den Bewegungen natürlich, wobei der Blick m der ol^ren 
Blickfeldhälfte gesenkt wird). Abgesehen davon ist d.c druck- - 
erhöhende Wirkung der bei Konvergenz und Neigung des 
Blicks ausserdem beteiligten Muskeln eine \ sei höhere als Jis 
kleinen Obliqims. In einem Punkte ist Stilling digegcii 
zweifellos im Recht, insofern er die Bedeutung des \\.ij!s;:i:i s 
ffir die Arbeitsmyopie hervorhebt. Nach seiner AusJi iu:r g ist 
die Gestaltsveränderung des Auges nicht unmittelbar durji Jeti 
Muskeldruck bedingt; erst durJi seinen lammenden Ei: h:ms 
auf das Wachstum des Auges k< mmt es in der R.chtaag des 
geringsten Wachstumshindernisses, das von Stilling tu 
die Längsachse des Auges verlegt wird, za vermehrtem 
Wachstum. Aber auch bei dieser Formulierung w;rJ damit 
gerechnet, dass bei Nahearbeit der äussere Muskel Jr;u k 
grosser ist als bei wechselndem t ’mherschaüeii in Ferne ur.J 
Nähe im gewöhnlichen Gebrauch des Auges; w is nicht er¬ 
wiesen ist. Die allgemeinen Grunde, d.e gegu* \ erkmuptarg 
von Wachstum und MuskelJruck sprechen, wurden oben sjm*i 
in der Hauptsache erörtert. 

Diejenigen Theorien, welche dm Nahearbeit durch Er¬ 
höhung des intraokularen Drucks wirken lassen, nehmen zum 
Teil als anatomischen Ausdruck der Disposition e:ne 
a b u o r m geringe Dicke der Skier a am hinteren P« i 
an, so vor allem Heine. Ui habe im Vorhergehenden den 
Veränderungen an der AJerhatit und Gla.slamelle d e primäre 
Bedeutung zu gesell neben. 

Stillings Theorie sieht die Disposition m dem 
w e e hseIn d eu Ansatz der Sehne des (> b ! i qu u s 
Superior. Nun variieren die anderen Augenmuskeln aber 
auch, und der Druck dieses Muskelcheiis ist der vJitt.idMc 
von allen (cf. Sclmurfurchen der Rekti bei phthiSisJun Augen'). 

Die von Stilling angesjmld gte wechselnde H he der 
Augenhöhle, die wieder durch Vermut:’ng des Obbqaus wir¬ 
ken soll, ist nicht allgemein bestätigt. iusotYn: sie eine konstante 
Beziehung zur Myopie haben soll. 

Ga Iltis nimmt an. dass der myopisjie Palhns tiefer 
in d e r () r b i t a z u r u c k b I e i b t. w js w olil d< »Ji u:Jit all* 
gemein zutreflen durfte, da man gerade hochgradig Mvcpis^he 
oft an den vorstehenden Augen erkennen Kami. Audi g.'.t für 
diese wie andere Orbitaltheorien der sji<*n \nn Schmidt- 
Rimpler betonte und bereits eo*rterte » iegenemw and. dass 
sich das Wachstum der Orbit* vermut;. Ji muh dem des Auges 
richten dürfte, nicht umgekehrt. 

II. T h e o r i e ri, d i e e i n e Zerr u u g a m S e li nerv 

durch N a h e a r b e i t a n n e b m e n. 

1. Weiss glaubte eine solche Zerrung durch zu 
kurzen Sch nerv feststellen zu können, was widerlegt mt. 

2. T h o r n e r sagt, dass bei jeder B e w e g u n g des 

A li g e s der S e h n e r v e i n e lei c h t e Zerr u n g a n 

der Sklera des hinteren Pols bewirkt, da der 
Sehnerv infolge des natürlichen Peharrungs\ erm<-gens erst 
sekundär in die Augenbew egttfig m:t e:nbe/ogi n wird. Kurze, 
schnell aufeinander folgende Angenm:iskelkont r akt.o”eu wer¬ 
den also besonders zerrend wirken können. D e^e fmdeu nun 
beim Lesen ganz besonders statt; I borner findet he.m 
schnellen I.esen in der Sekunde etwa 7. beuti Schreiben etwa 
1 Blickbew egupg. vvälirend angeb'uh beim gew mWc hen Sehen 
das Fixationsobjekt immer erst muh mehreren >Oa:de’| ge¬ 
wechselt wird. Kontinuierliche Bewegungen s ; J nicht m- 
schädlich. Durch Summation der Reize k.m:; e s .m w ,i Jisen- 
den Auge wohl zu einer VisJehmung am h r.ten r« IM kmemem 
Thorners Theorie ist durdiuns beiuhtevsw efl, wed s.e 


wieder einen neuen < 

i(.danken in d 

e s..;»st (.ft re Jlt UM* O ’lt- 

bare Myopiedcbattc 

hmcinbrrngt. 

Zw ,*r >t J e Ik.!. :tung 

schnell w e Joelnder I 

h w eguugen s v 

ln u v »n C o 1> u u • d > t : i - 

ling iisvv. angenommen worden. •«! 

'e : in \ erbin d mg •* * de m 

Augendruck. (legen 

ihre neue I 

.rvm g d : r di I' !j o r n e r 

lässt sich io 1 gen des a 

"fairen. S :;d 

d. e s,V."g’ Ikfigr gen 

schuld an de- V'hcarhcitsmvomc. 

d ma rt d.e NW m e kem.e 

individuelle Aupu- mn 

g vi n \ :heu 1 ' 

e % ä*'e r •*.e st e."e E> ge 

individueller KYgmhB 

eit und 1 ebhm 

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in der W eit m hi d u 

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Original from _ 

UINIVERSITY OF MINNE^Ü^ 










28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1591 


tionsobjekt zu wechseln, sondern etwas intensiver sich um- 
schaut, der ist dann auch eher in Gefahr, kurzsichtig zu wer¬ 
den, ganz ohne Nahearbeit, worüber nichts bekannt ist. Dass 
die kleinen schnellen Bewegungen beim Lesen mehr zerren, als 
seltenere, aber um so ausgiebigere beim gewöhnlichen Sehen, 
ist flicht wahrscheinlich. Leute mit Nystagmus, angeborenem 
una erworbenem, die andauernd mit ihren Augen kleine 
Sprünge machen, würden ganz kolossal myopiebelastet sein, 
denn bei denen hat die Skleralzerrung nur während des Schla¬ 
fes ein Ende. Wer viel Eisenbahn oder Auto fährt, der müsste 
ebenfalls erhöht der Myopiegefahr ausgesetzt sein, da das 
schnelle Vorbeisausen der Gegend zu schnellen Blickbewe¬ 
gungen zwängt (Eisenbahnnystagmus). Wer von rechts nach 
links liest, zerrt seine Sklera am hinteren Pol horizontal und 
bekommt wohl dementsprechend einen wesentlich temporalen 
Konus; wer aber von unten nach oben liest, bei dem findet in 
horizontaler Richtung gar keine Zerrung an der hinteren Sklera 
statt, und es müsste doch wohl (selbst bei Berücksichtigung der 
angeborenen Disposition zu temporalem bezw. nasalem Konus) 
bei Japanern und Chinesen, die auch zahlreich kurzsichtig wer¬ 
den, eine gewisse stärkere Dehnung im vertikalen Meridian 
nachzuweisen sein. Das sind einige wesentlichere Gegen- 
gründe, die Thorners Theorie schwer überwinden wird. 

III. Hyperämie der Makulagegend durch Nahe¬ 
arbeit wird von W i d m a r k u. a. als ätiologisches Moment der 
Kurzsichtigkeit betrachtet. In der Tat wird den peripheren 
optischen Bildern beim Lesen viel weniger Aufmerksamkeit 
geschenkt als beim ungezwungenen Sehen; auch ist es durch¬ 
aus wahrscheinlich, dass dabei nicht allein das Gehirn, sondern 
auch die Netzhautmitte stärker in Anspruch genommen wird, 
und das Bestehen einer gewissen Arbeitshyperämie ist damit 
wahrscheinlich, wenn auch nicht beweisbar. Immerhin kann 
man bei langem angestrengtem Lesen hyperämische Symptome 
sogar in Nachbargefässgebieten bekommen (rote „Augen“, 
bezw. Lidränder). Insofern eine derartige Theorie den Wachs¬ 
tumsreiz in stark vaskularisierte Augenteile legt, ähnlich wie 
auch die von mir entwickelte Akkommodationstheorie, hat sie 
eine gewisse Wahrscheinlichkeit, ist aber kaum zu widerlegen 
oder zu beweisen. Dass die Hyperämie beim Bücken, 
Hinirberbeugen über die Bücher, durch Druckerhöhung oder 
sonstwie Entstehen der Myopie begünstigt, ist sehr unwahr¬ 
scheinlich, da sie Orbita wie ganzes Auge unter gleiche hyper¬ 
ämische Bedingungen setzt; müsste doch sonst jede Störung, 
die den Rücklauf des Blutes vom Gesichte hemmt, also selbst 
Herzfehler, zur Myopie disponieren. 

Damit wären die wesentlichsten Theorien erwähnt; natür¬ 
lich zum Teil bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit 
viel zu rasch abgetan. Wer sich für ein etwas ausführlicheres 
Referat, allerdings von anderem Standpunkt, interessiert, sei 
auf dasjenige von S c h i e c k in den Ergebnissen d. allg. Path. 
von Lubarsch-Ostertag 1906 verwiesen. 

Welches sind die praktischen Konsequen¬ 
zen aus der damit gewonnenen Einsicht in die 

Ursachen der Kurzsichtigkeit? 

Die eine der Ursachen, die individuelle Disposition, 
ist als ererbter Zustand nicht gut zu bekämpfen. Höchstens 
dass belastete Kinder besonders vor den Gefahren der Nahe¬ 
arbeit behütet werden sollen. Ferner dass Heiraten 
Kurzsichtiger, besonders hochgradig Kurzsichtiger unter¬ 
einander augenärztlicherseits als unerwünscht bezeichnet wer¬ 
den müssen. Einige Autoren empfehlen Heiraten Kurzsichtiger 
und Uebersichtiger. Mathematisch ist das recht gut gedacht, 

da + und _ 0 gibt, vorausgesetzt, dass nicht etwa die 

Mendel sehen Vererbungsgesetze dabei gelten; praktisch 
ist die Sache so, dass damit zwei Leute zusammen kommen, 
die beide einen von der Norm abweichenden Bau haben 
und sehr wahrscheinlich die Neigung zu fehlerhaften Augen 
potenziert an ihre Nachkommen abgeben. Man muss doch 
immer bedenken, dass hochgradig Kurzsichtige wie Ueber- 
sichtige erheblichen Grades in höherem Prozentsatz Astig¬ 
matismus und allerlei kleine angeborene Augenanomalien 
haben (wie Papillenanomalien oder Pupillenmembranreste 
usw.) und der Refraktionsfehler, je höher er ist, um so sicherer, 


der Ausdruck einer gewissen Augenverbikhmg ist, die nur 
durch Kreuzung mit Normalen wieder eliminiert werden kann. 

Was nun den zweiten Faktor, die Nahearbeit, 
angeht, so wird die theoretische Vorstellung, die man sich über 
die Art und Weise ihrer Wirkung macht, weniger für die Schul¬ 
hygiene von Bedeutung sein, als für die individuelle Therapie 
zur Verhütung des Fortschreitens einer be¬ 
stehenden Myopie. Nimmt man an, dass die physi¬ 
ologische Beanspruchung der Akkommodation das Auge 
während des Wachstums bei normaler Refraktion erhält, so 
wird man jede Myopie in der Jugend durch Gläser 
voll korrigieren. Hat jemand z. B. durch Nahearbeit 
eine Kurzsichtigkeit von 3 D erworben, so wird er im allge¬ 
meinen bei weiterer Nahearbeit ohne Glas je nach individueller 
Gewöhnung dauernd um 1—2 D akkommodieren, dagegen im 
übrigen seine Akkommodation nur schwächlich ausnützen und 
als Nahearbeiter seine Ferneinstellung von 33 cm selten ver¬ 
wenden. Zumal sie ihm doch keine scharfen Bilder der wirk¬ 
lichen Ferne liefert. Verordnen wir ihm dauernd —3,0 D zum 
Tragen, so wird er genötigt, vorübergehend zur Nahearbeit 
energisch zu akkommodieren, dagegen in der Zwischenzeit 
seine Akkommodation für Ferne völlig zu erschlaffen. Letztere 
Art der Inanspruchnahme der Akkommodation ist die physio¬ 
logische und wird am ehesten die Erhaltung der normalen 
bezw. künstlich durch Gläser normal gemachten Refraktion 
garantieren, soweit nicht die einmal hervorgerufene Richtung 
zum Längenwachstum die Ueberhand behält. Aehnliche 
Gründe, wie sie für Vollkorrektion sprechen, sind gegen die 
Atropinkur (mindestens in den meisten Fällen) anzuführen. 
Zwar wird dadurch die Akkommodation gelähmt, aber auch die 
das Gegengewicht haltende Aderhautelastizität weniger in An¬ 
spruch genommen, und von deren guter Ausbildung hängt doch 
nach der Akkommodationstheorie die Länge des Auges zum 
Teil ab. — Die Muskeldrucktheorien haben zur Tenotomie von 
Augenmuskeln und zur Verordnung von Prismen zur Ver¬ 
hütung der angeblich schädlichen Konvergenz geführt, natürlich 
ohne Erfolg. 

Unabhängig von der Theorie ist eine hygienische Forde¬ 
rung aus der Entstehungsursache der Kurzsichtigkeit: die 
Einschränkung der Nahearbeit. Wir betreten da¬ 
mit das Gebiet der Schulhygiene. Wenn man auch die 
Schulkurzsichtigkeit als ganz harmlose Sache ansieht, da sie 
in der Regel nicht zu den schweren Folgen der deletären 
Myopie (Makulaerkrankung, Glaskörpertrübung, Netzhaut¬ 
ablösung usw.) führt, so Ist doch kein Zweifel, dass sie nach 
Möglichkeit eingeschränkt werden sollte, v. Hippel hat 
den Satz ausgesprochen, Bildung und Kenntnisse lassen 
sich nun einmal nicht erwerben ohne eine gewisse Schädigung 
des Körpers. Das ist natürlich bis zu einem gewissen Grade 
richtig, und wenn der Satz in vollem Umfange zuträfe, so 
müsste man lieber die vermehrte Bildung wählen und die 
Kurzsichtigkeit, selbst in hohem Prozentsatz, in Kauf nehmen. 
Bei allen Vorschlägen zur Einschränkung der Nahearbeit 
stossen wir auf den teilweise durchaus berechtigten Wider¬ 
stand massgebender Faktoren. 

Solche Erwägungen haben dazu geführt, dass die schul¬ 
hygienischen Vorschläge von Cohn u. a. weniger die Nahe¬ 
arbeit als solche betrafen, als die Vermeidung von Nahearbeit 
bei schlechter Beleuchtung, schlechter Hal¬ 
tung. In weiten Kreisen ist wohl heutzutage die Meinung 
verbreitet, dass die Sorge für gute Beleuchtung in den Schulen 
das Wesentlichste sei, auch zur Vermeidung der Kurzsichtig¬ 
keit. Ich will nicht verkennen, dass die Forderungen Cohns, 
die also wesentlich gutes Licht, gut passende Bänke, guten 
Bücherdruck, Geradsitzen der Kinder u. a. betrafen, ihre volle 
Berechtigung auch hjeute noch haben. Sie sind ja grossenteils 
erfüllt. Unsere Kinder arbeiten heute unter wesentlich bes¬ 
seren hygienischen Verhältnissen, enorme Fortschritte hat die 
Beleuchtungstechnik gemacht — aber der Erfolg für die Schul¬ 
kurzsichtigkeit ist fast Null. Es muss vielmehr in das 
Bewusstsein der Lehrer und Aerzte über¬ 
gehen, dass die Nahearbeit selbst es ist, die 
kurzsichtig macht, wollen wir Erfolge e r - 


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1592 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N... 


reichen, und das ist zugleich der Hauptzweck meiner Ar¬ 
beit. Ob man bei schlechter Beleuchtung liest 
oder bei guteristbeigleicherAn näher ung des 
Buches gleichgültig; nur wenn die Beleuch¬ 
tung so minderwertig ist, dass sie direkt zum 
Näherhalten zwingt, was wohl nur bei Dämmerung 
und kleinstem Druck nötig ist, i s t s i e s c h ä d 1 i c h. C o h n 
und seine Zeitgenossen konnten wohl der Ansicht sein, dass cs 
genüge, die mancherlei Nebenumstände zu beseitigen, die die 
Nahearbeit begünstigen; wir, die wir auf die Erfahrung der 
letzten Jahrzehnte zurückblicken, müssen die Einschrän¬ 
kung der Nahcarbeit selbst fordern. 

Was können wir nun darin erreichen? Und welche spe¬ 
ziellen Einschränkungen sind vorzuschlagen und durchführbar? 

Offenbar müssen sie je nach Schule verschieden sein. 
Wenn von den Volksschülern nur ca. 6 Proz. die Schule kurz¬ 
sichtig verlassen, und von 1500 (jestellungspflichtigen nur 2 
wegen der Höhe ihrer Kurzsichtigkeit untauglich sind, so sind 
diese Zahlen nicht so hoch, dass sie grosse Einschränkungen 
veranlassen können. Wenn aber die Hälfte aller Studierenden 
durch die erworbene Bildung kurzsichtig gemacht wird, so 
haben wir doch wohl die Pflicht, hier intensiver einzugreiieii, 
damit nicht die herrschende Oberschicht des Volkes allzu kurz¬ 
sichtig ausfällt. 

Von den gemachten Vorschlägen geht vielleicht am wei¬ 
testen der von Qrunert, der Lesen und Schreibe n 
erst in das 9. Jahr verlegen will. Ich glaube, dass das 
nicht gut durchzusetzen sein wird, und ausserdem kommt die 
grosse Menge der Kurzsichtigen erst später zu ihrem Augen¬ 
fehler. Der Vorschlag würde endlich nur die Volksschulen am 
intensivsten treffen, w ährend die Reform für die (iynmasien am 
wünschenswertesten ist. 

Für die Volksschulen würde eine geringe 
Verminderung der Nahearbeit genügen. Meiner 
Ansicht nach könnte sie in Folgendem bestehen. Wozu plagen 
wir unsere Kinder mit Alphabeten? Das ist vollkommen 
sinn- und zwecklos, wenn zur Verständigung 4 ausreichen. 
Wenn aber 4 ausfallen, so ist es klar, dass dies nur die 4 
sogenannten deutschen („Fraktur“) und nicht die lateinischen 
sein müssten. Die deutschen haben nur einen angeblichen 
Vorzug, dass sie eben nur in Deutschland geschrieben wer¬ 
den. Aber der Patriotismus kann doch eigentlich nicht darin 
bestehen, dass man das Schlechtere dem Outen vorzieht. Die 
deutschen Buchstaben sind als Mönchsschrift im Mittelalter 
unter dem Einfluss der Gotik entstanden, w ie auch noch in 
England die Uebcrschriften zum Teil gotisch gedruckt wer¬ 
den, was bei unseren Vettern sicher nicht aus Liebe zu Deutsch¬ 
land geschieht, sondern als konservativer Rest sich erhalten 
hat. Die deutsche Schrift ist nur insoweit „deutsch“, als wir 
sie seit 5 Jahrhunderten neben der Lateinschrift, aus der sie 
sich entwickelt hat. vorwiegend benutzen. Importiert sind sie 
beide. Lateinische Buchstaben sind einfacher als die stark 
verzierten deutschen und deshalb auf weitere Entfernung les¬ 
bar. Bei gleicher Grösse hängt die Erkennbarkeit eines Buch¬ 
staben nicht nur von dem Gesichtswinkel des ganzen, sondern 
auch von dem seiner einzelnen Teilstriche und deren gegen¬ 
seitiger Distanz tmd Form ab; die grossen deutschen Druck- 
Buchstaben z. B. sind erst auf 2 Drache Entfernung der ent¬ 
sprechenden lateinischen bei Verwendung als Sehprobenbuch¬ 
staben und gleicher Grösse zu erkennen. Nebeneinandergestellt 
sind ÖfcH033U £(SlLI3($.'pl£ ©UCS.fr mit grösster 
Mühe zu entziffern. Unsere deutsche Druckschrift erschwert 
dem Ausländer die Kenntnis unserer Sprache und Literatur, 
deren Erzeugnisse somit in der Welt eine geringere Bedeutung 
haben, während umgekehrt unser Volk ausländische Ware in 
jedem Falle gerne einführt. Alle Vernunftgründe, auch unser 
vaterländischer Sinn, sprechen für Einführung nur des lateini¬ 
schen Alphabetes, vollständige Abschaffung des deutschen. Die 
dahingehende Bewegung wird leider von oben immer unter¬ 
drückt; sonst würde sie längst grössere Fortschritte gemacht 
haben. Alle Aufschriften auf Läden, alle Bekanntmachungen 
auf der Strasse und in öffentlichen Verkehrsorten sind längst 
lateinisch, alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Zeit- 
Triften ebenso. Ich halte es direkt für die Pflicht der 


Augenärzte und überhaupt der S c h u I h y g i c n e. 
f ii r d i c A b s c h a f f u n g d e r g o t i s c h tu B u c h \ t a b c n 
zu w i r k e n; ganzlnre c h t hat d a s A u s I a n d nicht, 
d a s ii n s e r e d e u t s c h eu B u c h s t a b e n a n d c r k urz- 
Nichtigkeit der Deutschen schuld sein lasst; 
schädlich wirken sie allerdings nur durch unnütze \crmebrung 
der Nahearbeit. Ausgezeichnet orientiert über d;c Vorzüge der 
lateinischen Alphabete die Schrift von S n ii c v k t n 1^1: 
Das deutsche Schriitwesen und die Notw enJ.gkeit seiner Re¬ 
form. Bonn. 

Damit sind mindestens wöchentlich 2 StiuiJen fre.c Ze:t 
für die Kinder gewonnen, die zweckmässig zu Uebungen t:n 
Freien. Turnen. Spiel und Spurt verwendet werden konnten. 

Für die h 0 h e r e n S c h u I e n w u r dc eine der »r t.gc 
Vereinfachung allerdings mdit genügen. Wühl ist in Jen \ <>r- 
schulklassen damit etwas erreicht, aber die M.i.ipöw! j^tnog 
durch Nahearbeit kommt erst noch, liier sind iolgende Ver¬ 
schlage beachtenswert, und. so viel ich sehe, ohne Gefahr tut 
die Bildung des Kindes durch!.ihrbar. 

Erstens ist der Unterricht m den n e u e reu S p r a c h e n. 
wie er zurzeit betrieben wird, zum Teil immer nodi za sehr 
schriftlich, zu wenig mundheh. Wer die >dra!e \ erlass!. is* 
kaum je imstande französisch ('der englisch zu sprcdicn: 
bestenfalls kann er fremdsprachige Padier lesen. läng«. kehr t 
sollte die Sache sein. Unterhaltung sollte mehr in >teec Jo 
Lesens in fremder Sprache treten. 

Zweitens: Es gibt Fächer, die ' :el Lese- unJ Sdre.b- 
arbeit erfordern Latein und Griechisch besonders. Andere, 
und erfreuhcherw eise gerade die N a t u r w isvuisch a f - 
teil, können so betrieben werden, dass sie mehr Ansdi mang 
f( rdern, aber wenig zu Lesen unJ >ditc ,v 'en An! «s N gdme. 
Sie sind also unbedingt zu bevorzugen. Auf Anregung der 
Unterrichtskommisinn der Gesellschaft duitsdier Naturforscher 
und Aerzte sind in Preiissens hohen n SdiuYn letzt uadd 
2 biologische Stunden m den höheren Ki.issui emgetuiirt 
worden leider aut Kosten \« »n Mathem.it. k und Eugusdi. de 
vom Standpunkt des Augenarztes als li.rrndes bezeichn«, t 
werden müssen. Aber immerhin ist dieser Fortschritt zu be- 
g Hissen. 

Drittens: Kein hollerer Lehrer hat eine Ahnung vmi sdm'- 
hygienisclien Forderungen: die Ynlkssdiu’ldirer sind Jr. 1 
besser orientiert. Bestenfalls w eiss ein (i\ umasialprofess. u . 
dass schlechte Beleuchtung der Schu'piatze mdits taugt. Ab,: 
dass Nahearbeit, dass das viele Lesen in J Schreiben im I ante 
der Jahre das kindliche Auge kurzsichtig maJit. w eiss b«.malle 
keiner. Unnutze Strafarbeiten. Ahsdireibe.u. Schreiben mJ 
Lesen von Dingen, die sidi ebetis -gut mumhid’ mitte.!eri ! i'Vi:, 
sind überall au der Tagesordnung. t' n b e d i n g t ist eine 
gewisse A u s b i I d u n g in der H \ g i e :i e. a u c h i :n 
s o n s t i g e n 1 n t e r e s s e d e r S c h u ! c. f a r Jen 1. e h r e r 
zu verl a n g e n. 

Viertens: Schweden ist ein Land, d ts uns m bezug auf 
Einschränkung der Schulkurzsichtigkeit vo bddbdi vn k mu. 
Wahrend von l>7<> 1 ^'M etwa 5" Pföz. aber SdiaYr dm 

obersten Klassen kur/siditig war. almhdi wie nodi iet/t m 
Deutschland, sind es lono etwa 25 Proz. WoJurdi ist dis 
erreicht? Nur durch Erziehung der lugend zum Sport, dem J.e 
Nachmittage, die sclmltrei sind, gew iduiet w erden. Nicht al'ein 
wegen der Knr/sichtigkeit. sondern audi .ms G r uude:i der 
allgemeinen Körperpflege, habe ich die Pflege des Sp rtes. audi 
des Turnens, fiir ungeheuer widrig. W r kmuaien da’ei um 
zögernd v(»ran. Die Sadie hat i.t audi eint a k'-mei IDkeu. 
dass sie nicht ohne Einflüsse au Untern;,htssvmden d :idi- 
gefiihrt w erden kann, und keiner der Eadi\ ertr. ter w .1! etw ts 
hergeben. Idi meine, bei so widit gen Ginn len muss es mög¬ 
lich sein den l ’nterridit auf 5 \ orm ttagsstmden zus r./n- 
drängen und 4 N a c h mittag e ‘2 s:nd im.) offiziell tut 
S p i e I u n d Sp.ort z u r e s e r \ i e t e n: * 'di nur 2 - *:f;/ «. "oi 
Spietfiudmiitt agen konme mau sidi zur N t schon z aVed.d 
geben. 

Eiinfteils und letztens: D e S,b :'e >! n dir au .dem sdiu'J. 
Wer zu Hanse gerne Raube! gesd’ di'eti ’ m J wer kr •mm 
Sinn für b’auüen/eii in der Ire •, :i Natur b it. s»-v K.MJ d e W dt 
lieber aus Büchern. wia r h'e.n Be*' h*e" .m ’- mr M-. osdmn im- r 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1593 


dk Wirklichkeit, kennen lernt, dem ist nicht zu helfen. Manches 
können verständige Eltern bessern, worin einstweilen die 
Schule nicht genügt, besonders in der Körperkultur also. 

Damit bin ich am Schluss. Selbstverständlich sind die 
praktischen Forderungen schon vielfach von anderen formu¬ 
liert. Wilhelm II. hat in seiner bekannten Rede 1891 schon 
darauf hingewiesen, dass trotz bester Beleuchtung und son¬ 
stiger guter hygienischer Bedingungen in seiner Gymnasial¬ 
klasse in Kassel die Mehrzahl der Schüler kurzsichtig wurde 
und die eigenen guten Augen sehr richtig der Pflege des Sports 
zugeschrieben, auch eine Verminderung des Lernstoffes infolge¬ 
dessen gefordert. Trotz dieser allerhöchsten Kundgebung ist 
es nicht gelungen den Einfluss des schulkonservativen Geistes 
in Deutschland zu brechen. Gewiss ist es wahr, dass Deutsch¬ 
lands Grösse zum Teil auf seiner gründlichen Schulbildung 
ruht; man muss sich hüten dieses Fundament zu sehr zu ver¬ 
ändern, weil man nicht weiss, wohin Experimente führen. Ge¬ 
rade deshalb sind obige Forderungen auf solche beschränkt, 
die ohne wesentliche Aenderungen durchführbar sind. 

Die Quintessenz des praktischen Teiles dieser Abhandlung 
ist die: Nur die Nahearbeit, Lesen und Schreiben und teil¬ 
weise Handarbeit, macht das wachsende Auge unserer Kinder 
kurzsichtig. Viel wesentlicher als die Sorge für 
gute Beleuchtung ist die Einschränkung des 
LesensundSchreibens (Abschaffungdesdeut¬ 
schen Alphabetes) und die Verbreitung diesex 
Kenntnis in allen Bevölkerungskreisen. 


Aus der kgl. Universitätsklinik und Poliklinik für psychische 
und Nervenkrankheiten in Göttingen. 

Psychiatrische Wünsche zur Strafrechtsreform. 

Von A. Cramer in Göttingen. 

(Schluss.) 

Ich wende mich jetzt zum Strafgesetzbuch und will zu¬ 
nächst die Frage der Zurechnungsfähigkeit erörtern. 

Vom rein medizinischen Standpunkte aus würde das Ideal eine 
Gesetzgebung in deterministischem Sinne sein. Denn das medi¬ 
zinische, naturwissenschaftliche Denken und also auch die rein medi¬ 
zinische Naturerkenntnis sieht in allem, was in der organischen Natur 
und dementsprechend auch durch den menschlichen Organismus, ge¬ 
schieht, lediglich einen Kausalitätszusammenhang zwischen Ursache 
und Wirkung. 

Wie werden sich nun die Dinge gestalten, wenn wir uns bei 
eiper lex ferenda streng auf den Boden des Determinismus stellen? 
Der Begriff, dass der Mensch für seine Handlungen bis zu einem 
gewissen Grade verantwortlich ist, wird fallen müssen. Strafe und 
Vergeltung können nicht mehr in Betracht kommen. Die Allgemein¬ 
heit wird andere Mittel und Wege suchen müssen, um sich vor 
unsozialen Handlungen einzelner Menschen, seien sie welcher Art 
sie wollen, zu schützen. Das kann nur so geschehen, dass sie Mittel 
und Wege ergreift, um Menschen mit solchen Neigungen unschädlich 
zu machen. Es müssen also derartige Individuen verwahrt werden. 
Unter diesen Menschen wird man immer zum mindesten drei Gruppen 
unterscheiden müssen. 1. Solche, welche wir heute als Geistes¬ 
kranke bezeichnen, 2. solche, welche an einem der Grenzzustände 
leiden und 3. solche, bei welchen weder das eine noch das andere 
nachweisbar ist. Alle drei Gruppen werden eine gesonderte Art 
der Verwahrung verlangen, immer aber eine Verwahrung, welche der 
Sonderart der 'einzelnen Gruppe, so lange der Zustand andauert, 
Rechnung trägt. Es würde also im grossen und ganzen, 
was die äussere Art der Unterbringung betrifft, 
wenig geändert sein. Das heisst also ohne zucht¬ 
hausartige und gefängnisartige Einrichtungen 
werden wir auch unter der Herrschaft des Deter¬ 
minismus nicht auskomme n. Den Verbrecher und seine 
Natur schafft also der Determinismus nicht aus der Welt, wenn er 
ihn auch anders auffasst und behandelt als die heutige Zeit. 

Dass man bald den Weg einer Gesetzgebung in deterministischem 
Sinne beschreiten wird, halte ich für ausgeschlossen. 

Seit Herders Tagen weiss man, dass Gesetz und Recht, wenn 
auch langsam und zögernd, den Fortschritten menschlicher Kultur 
folgen. Das heisst, auch das anscheinend starr kodifizierte Recht ist 
entsprechend den Fortschritten menschlicher Erkenntnis einer lang¬ 
samen und unaufhaltsamen Entwicklung unter¬ 
worfen. Dieser langsame Umwandlungsprozess kann sich nicht 
rasch und sprungweise vollziehen, kann sich nicht auf unbewiesene 
Theorien stützen, sondern darf nur an sicher festgestellte Tatsachen 
sich anschliessen. 

Wir dürfen deshalb heute, wo wir eine genaue Klinik der 
Grenzzustände besitzen, verlangen, dass sie in der Strafgesetz¬ 
gebung eine ihnen gebührende Berücksichtigung finden. 

No. 30. 


Allerdings hat man bereits vor 1870 gewusst, dass es zwischen 
geistiger Gesundheit und geistiger Krankheit keine scharfe Grenze 
gibt, auch hat man vor 1870 bereits versucht durch besondere Be¬ 
stimmungen in Gestalt einer Art von geminderter Zurechnungsfähig¬ 
keit diesen Fällen gerecht zu werden. Entsprechende Paragraphen 
haben in der Strafgesetzgebung einzelner Bundesstaaten bereits be¬ 
standen. Dass sie nicht in das Strafgesetzbuch für das Deutsche 
Rej$h übergegangen sind, ist ein Beweis dafür, dass man damals 
lange nicht allgemein von der Notwendigkeit der Berücksichtigung 
dieser Grenzzustände, die man noch nicht genügend kannte, überzeugt 
war. Das Verlangen nach der Einführung des Begriffes einer ge¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit in unser Strafgesetzbuch hat aber nie 
geruht. Von Aerzten und Juristen wurde immer wieder auf die 
Notwendigkeit der Berücksichtigung dieser Uebergangsfälle hinge¬ 
wiesen. Ich führe hier nur an: Schäfer, Jolly, Ilberg, Del¬ 
brück, Aschaffenburg, v. Sehre nk-Notzing u. a. 

Aber immer wieder erhoben sich gewichtige Stimmen, welche 
| davor warnten, jetzt schon in diesem Sinne gesetzgeberisch vorzu¬ 
gehen, ja, noch im Jahre 1S99 hat unser Verein beschlossen, in dieser 
Frage noch keine Stellung zu nehmen, sondern vorläufig Material 
zu sammeln. 

Was waren nun wohl die Gründe für diese Zurückhaltung? Zu¬ 
nächst waren wohl sicher die meisten Autoren, abgesehen von einem 
gewissen konservativen Zug, der sie im allgemeinen beeinflusste, 
überzeugt, dass unsere Wissenschaft noch nicht weit genug fortge¬ 
schritten war, um eine derartig einschneidende Veränderung unserer 
Gesetzgebung zu begründen. Sodann waren gerade die gesetz¬ 
geberischen Vorschläge, welche gemacht wurden, nicht dazu angetan, 
namentlich unter den Medizinern, welche sich streng an die Zu¬ 
ständigkeit ihres Faches hielten, viele Anhänger zu gewinnen. Denn 
es wurde fast ausschliesslich mit dem Begriff einer „geminderten 
Zurechnungsfähigkeit“ operiert. Der Begriff einer „geminderten Zu¬ 
rechnungsfähigkeit“ ist für den ärztlichen Sachverständigen nicht 
brauchbar, er ist naturwissenschaftlichen Untersuchungen ebenso¬ 
wenig zugänglich wie der Begriff einer freien Willensbestimmung 
und, ganz allgemein betrachtet, so dehnbar, dass es einem rede¬ 
gewandten Verteidiger nicht schwer fallen dürfte, in jedem Falle, 
uer auf die Anklagebank kommt, den Beweis des Vorhandenseins 
dieses Zustandes mit Erfolg zu versuchen. Ein mächtiger Impuls 
kam in den letzten Jahren in die Bewegung zur Berücksichtigung der 
«Jrenzzustände bei der lex ferenda durch die Bestrebungen der inter¬ 
nationalen kriminalistischen Vereinigung und des deutsch-österreichi¬ 
schen Juristentages. Ich nenne nur die Namen v. Liszt, Kahl, 
Aschaffenburg, R. v. Hippel, Delbrück und Kräpelin. 

Die Formulierung bei diesen Autoren drehte sich aber immer noch 
fast ausschliesslich um den dem Mediziner nur schwer annehm¬ 
baren Rechtsbegriff der „geminderten Zurechnungsfähigkeit“. Auch 
hatte man seine Erfahrungen zum Teil immer noch fast ausschliess¬ 
lich an kriminellem Material gemacht und solche Sachverständige 
gehört, welche fast ausschliesslicn kriminelles Material zur Beur¬ 
teilung der in Betracht kommenden Fragen zur Verfügung hatten. Die 
klinische Eigenart eines Krankheitszustandes, und darum handelt 
es sich ja bei den Grenzzuständen, kann aber nur voll gewürdigt 
werden, wenn auch Beobachtungsmaterial zur Verfügung steht, bei 
dem kriminelle Handlungen nicht vorgekommen sind. Nur wenn 
die Klinik eines Zustandes ganz genau bekannt ist und zwar nach 
beiden Richtungen hin, bei krimineller Betätigung und ohne eine 
solche erforscht ist, hat der Arzt das Recht, Wünsche zur Neuge¬ 
staltung der Strafgesetzgebung zu stellen, er steht dann nicht mehr 
auf dem Boden einer Theorie, sondern auf dem festen Fun¬ 
damente exakt wissenschaftlich festgestellter 
Gesetze. Jetzt wird ihm auch das Recht folgen müssen, wenn auch 
die Form dem Gesetzgeber überlassen bleiben wird. Auch diese 
letzte Forderung wurde durch die ärztlichen Stimmen, welche laut 
wurden, immer mehr erfüllt. Nicht nur der Gerichtsarzt strengster 
Observanz, der nur vor Gericht bei der Beurteilung der Grenz¬ 
zustände seine Erfahrung gewinnt, sondern auch der nach jeder 
Richtung hin durchgebildete Psychiater und Nervenarzt ergriff das 
Wort, und schliesslich kamen auch von massgebender juristischer 
Seite gesetzgeberische Vorschläge, die durch ihre Formulierung des 
differenzierenden Rechtsbegriffes mit einem Schlage alle Schwierig¬ 
keiten für den ärztlichen Sachverständigen behoben. An Stelle der 
„geminderten Zurechnungsfähigkeit“ trat die „geistige Minder¬ 
wertigkeit“. Es wurde von der „strafrechtlichen Behandlung der 
geistig Minderwertigen“ gesprochen <K a h I). 

Mit dem Rechtsbegriff einer geistigen Minderwertigkeit kann 
der Arzt eine Vorstellung verbinden, er ist seiner Betrachtungs¬ 
und Anschauungsweise zugänglich, er deckt sich ungefähr mit dem 
Sammelbegriff Grenzzustand. Er stellt eine ähnliche Sammelbezeich¬ 
nung dar. Wird dieser Rechtsbegriff in die Strafgesetzgebung ein¬ 
geführt, dann ist die Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen klar 
vorgezeichnet. Er untersucht, ob einer der Grenzzustände vorliegt 
oder nicht, stellt er die Diagnose auf einen dieser Zustände, so ist 
der Nachweis geliefert, dass eine geistige Minderwertigkeit vorliegt. 
Denn wir sind heute imstande, die ganz verschiedenen Formen der 
Grenzzustände zu diagnostizieren, weil wir inzwischen ihre Klinik 
kennen gelernt haben. Jetzt kann kein Verteidiger mit dem vagen 
und dehnbaren Begriff einer geminderten Zurechnungsfähigkeit ope- 

4 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1594 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N<». 3‘ b 


ricren, jetzt heisst es die Krankheit den klinischen Kennzeichen nach 
erkennen und ihr Vorhandensein durch medizinische Argumente be¬ 
weisen. Es bestehen für den Richter und den Sachverständigen klare 
Verhältnisse. Wenn wir die Verhandlungen des deutsch-österreichi¬ 
schen Juristentages und der internationalen kriminalistischen Ver¬ 
einigung über diesen Gegenstand durchsehen und alle die Gutachten 
und Schriften studieren, welche in dieser Frage erschienen sind, so 
sehen wir die grossen Schwierigkeiten, welche die Formulierung'- für 
den Gesetzgeber macht. Pie internationale kriminalistische Ver¬ 
einigung hat aber in ihrer 1904 nach längerer Beratung festgesetzten 
Formulierung schliesslich doch an dem Rechtsbegriff der geminderten 
Zurechnungsfähigkeit festgehalten; während auf dem deutsch-öster¬ 
reichischen Juristentagc im selben Jahre im Anschluss an die Referate 
von Kahl, Gramer und Kraepelin und im Anschluss an ein Gut¬ 
achten von L c p p m a n ti, Kahl und K I e i u f e I I e r der vorstehende 
Formulicrungsvorschlag gemacht wurde: 

„Wer sich bei Begehung einer strafbaren Handlung in einem 
nicht bloss vorübergehenden krankhaften Zustande befunden hat. 
welcher das Verständnis für die Strafwürdigkeit seiner Handlung oder 
seine Widerstandskraft gegen strafbares Handeln verminderte, ist 
nach dem für minderschwere Fälle geltenden Strafrahmen zu be¬ 
strafen.“ 

Die weiteren Beschlüsse im Sinne der K 1 c i n f c 11 e r schon 
Thesen bringen zum Ausdruck, dass der deutsch-österreichische 
Juristentag in seiner Majorität auf dem Standpunkt gestanden hat. 
dass auch für die weiteren Massregeln in der strafrechtlichen Be¬ 
handlung der geistig Minderwertigen nicht ein besonderes zivilrecht¬ 
liches Entmündigungsverfahren erforderlich sei. wie das von v. 1 .1 s / t 
vorgeschlagen worden und von der internationalen Kriminalistischen 
Vereingung im allgemeinen akzeptiert worden ist. sondern dass die 
durch den Zustand des geistig Minderwertigen bedingte strafrechtliche 
Behandlung durch das Urteil der Strafinstanz vertilgt werden soll. 
Auf jeden Fall sehen wir in den Beschlüssen und Verhandlungen beider 
Körperschaften darin eine Einstimmigkeit, dass die Notwendig¬ 
keit und Dauer der strafrechtlichen Verwahrung 
nicht nur unter Berücksichtigung der Art des be¬ 
gangenen Verbrechens, sondern auch unter Be¬ 
rücksichtigung des Zustandes des geistig Minder¬ 
wertigen zu erfolgen hat. 

Es ist, wie ich oben schon angedcutet habe, für den Mediziner 
unmöglich, dazu Stellung zu nehmen, wie rein juristisch und gesetz¬ 
geberisch die ganze Frage geregelt werden soll. Ich kann mit Moli 
nur betonen, dass unmöglich der Arzt sich gutachtlich äussern kann, 
in welcher Weise die richterliche Tätigkeit für die Art der zu wählen¬ 
den milderen Art der Strafvollstreckung geregelt werden soll. 

Dagegen kann der Arzt Wünsche äussern zu der Art und Weise, 
wie auf Grund seiner Erfahrung die sogen, strafrechtliche Behand¬ 
lung der geistig Minderwertigen am besten vorgenommen wird, da¬ 
mit der Zustand des an einem Grenzzustand Leidenden keinen 
Schaden nimmt, und damit auch der Zweck der Sicherung der Ge¬ 
sellschaft vor den Gefahren, welche aus dem Verkehr mit den geistig 
Minderwertigen entstehen können, nicht unberücksichtigt bleibt. 

Um hier klar sehen zu können, müssen wir zunächst festzustellen 
versuchen, wie gross die Zahl der geistig Minderwertigen 
überhaupt ist. Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. 
Eine Statistik besitzen wir nicht. Mir persönlich stehen zur Beur¬ 
teilung dieser Frage die statistischen Ergebnisse meiner Sprechstunde, 
die poliklinischen Journale meiner Nervenklimk und die Aufnahme¬ 
ziffern des Sanatoriums „Rasemühle“, welches Geisteskranke nicht 
aufnimmt, zur Verfügung. Aus diesen gesamten Ziffern kann ich nur 
eine Statistik verwerten, welche sich auf die nervösen und sonstigen 
Grenzzustände bei den Göttinger Studierenden bezieht. Wenn ich 
auch überzeugt bin, dass diese Fälle nicht alle in meine Sprechstunde 
kommen, so ist doch interessant, zu wissen, dass bei einer Eminenz 
der Universität Göttingen von etwa 2<>ö0 Studierenden mir im Se¬ 
mester etwa 80 Studierende, welche an Grenzzuständen leiden, zu- 
gehen. Das würden auf 1000 im Jahre 80 frische Fälle sein. Dass 
einer von diesen 80 Studierenden kriminell wird, kommt höchstens alle 
3 Semester vor. Es handelt sich also um einen ganz verschwinden¬ 
den Prozentsatz. Natürlich kommen mehr Studierende mit dem 
Strafgesetzbuch in Konflikt, sie leiden aber nicht an Greuz/ustämlen. 
Es handelt sich bei diesen um die üblichen Konflikte mit den Hütern 
der öffentlichen Ordnung oder Sachbeschädigungen und ähnliche, 
wobei meist lediglich das Uebermass der genossenen geistigen Ge¬ 
tränke eine Rolle spielt, und gelegentlich um Duell vergehen. 

Wenn wir uns sagen, dass wir in den Studierenden im allge¬ 
meinen eine gut situierte und bevorzugte Bevölkcnmgskfasse vor uns 
haben, bei denen dem Alter entsprechend nicht allzu viel exogene 
Ursachen ihre schädlichen Folgen entfaltet haben können, so können 
wir uns der Ueberzcugung nicht verschliessen. dass Her von mir ge¬ 
fundene Prozentsatz an Grenzzuständen ein verhältnismässig hoher 
ist, zumal anzunehmen ist. dass ein Teil dieser Fälle gar nicht zu mir 
in die Sprechstunde kommt, sondern zu anderen Aerzten geht. 
Immerhin ist der Prozentsatz aber gering, wenn man die Unter¬ 
suchungen von Bonn hoffe r und Rai mann ansieht und die 
Zahlen an geistig Minderwertigen in Betracht zieht, welche ich unter 
den Fürsorgezöglingen gefunden habe. Allerdings handelt cs sich 
bei den letzteren Fällen auch um ein ganz anderes Milieu. 

Wie gross die Rolle ist, die das Milieu fiir das Zustande¬ 
kommen der Kriminalität spielt, sehen wir gerade bei einem Vergleich 


der Ki.nnrulitat der Sind,, ruidmi. d e n n '.v u e:: g s m. \«„ - 
gleich zur Kriminalität bei den I üfs« rgm.'fitgl mm. w eV e a.n G*m /- 
zustanden leiden, luter den von nur nute r siim.t *r I :r*- 
lingeii war keiner, der an einem < irettz/ustar: { ;,:t. dt: nd: z .* . Uz 
auch kriminell geworden wäre, unter den Mii.La udt n, w e v e a". 

(imizziist.inden litten, kommt imch larue n Ui! e.n P:<•/<.•;: .a Fe¬ 
tt acht. 

Auf ieden Fall erscheint mir aus mmiuä \m ; .h:m\ e n dm >U ' sv 
erlaubt, dass bei gimM.gem Mi.ieu .null d e kr .n..m i« Ibri: .:• ^ v *: 
der < ireiizznstaiide durchaus mellt h.mt.g mp.!, m’d d.ov w ;r U • „ 
R e c h t h a b e n. die < i r e n z / u s t a u d e a n sch g a u / a 

g e in e in als g e in e i n g e f a h r ! i c h a n / u s e h e n. 

Weiter ni'usseu w ir ir:s klar dar d er 'a n. ilms ts s - \\ . : d e 
Gefahrli Jike.t der Grenz/uM. u ’e in Bet'aUt k im: t. d'e. Gm.: tm; 
Von < irenz/ustaudeii. \«>n ge.st... M : k rw er! an . d: 

Erstens siAI'r. wehke nur bei F rw rkui’g e m - ...m *en V- 
Von exogenen >v h.idbv. bke-tv n \ über gi :it • .f m vi u * * - r I ••'•‘. Im 

nur einmal sin Leben gef.du’ Ji \u: d " : zw e k s s. .. v. • v ' e t ? 

folge der F.geir#tuki ,t li.ier K : di .* h-. . m K e ' es < > 

Standes bei 1 ic'egeniiciten. wehke s Ji L.id.g ?:• > z. /u g. • d u; 

Handlungen gelicKn weiAn. und d-,ttm.s s>■ die. \uddi 
einer mit ihrer ge st gen M nder w e r t s Ve t \ c 'b-mdi m n e ge- t 
hellen Gharakteraudue gerak/u getrieben wr dm. di \ etl -iv'a*- 
latlfbalin zu be*chre:teit. Fs liegt auf vier Ha- !. dass d oo irapt'eu 
eilte gesonderte Strairev.htdgiie Inl andding xe'amm. Dazu k- um t 
noch, dass die < irerizzustan.de n\iit immer d ese !oi s - j. dass s e 
sdi verändern können, dass se besser we’.kzi. ia l e h n * i" - - n. 
und dass sie nur selbeJitcr werden kormn im 1 ie-ecr. da^s be den 
verschiede na r tigsten <i: en//ustauden. bei I t’uz'mmg e ::ef Re : e 
exogener aber auch endogener l rs.ukcn tran> d-r'v, :\ eu Z’.mMiU ! 
au!treten kann, der unhed.r gt einen de r Zust.,: de. w e s c de' > 51 
des Mratgeset/buches erfo'viert, g.civ.dkotumfc 

Im grossen und ganzen werden w.r bei der sb.r'-ed U eu Be¬ 
handlung dieser Gren/zusta: de. Wern vier letzte Gt s ♦ tm f 

m Betracht kommt, daran, d: ngeii nlassen, ela's p- C.e'i I a en za 1. 
eine möglichst umiaug'eickc Anwendung vier bed ngten 
a u s s e t z u ii g und Begnadig u n g in : k r e R echte t r . : 
Fine länger dauernde \ erwahnirg « der Bezo:*s Jtt gin g ,.*c' gar 
eine Strafe irgend wc'chcr Art w arde k>-chst*,ns den b't c da'm. 
den Zustand des ge;st g M ude r w e r l gen so zu versv't'ec’ite'n. dass 
er womöglich dauernd knu r.ell w.*d. W.i -cd de be. de' be¬ 
dingten Mraiausset/ung und Begira.l gung drob« rnte Sfatbatt m I ,« e 

eines Ruckia'.es eine Red.e Wo l . :.,: k er Hemmungen ,re’Z id. e 
den Belt eilende n veranlassen, wenn de aussrui aus .ve-dan M - 
n.entc zum ltd \ ertne Jbar waren, Sorbett S tuatiouuj a.s de”'. 
W'ege zu ger.en. 

Auch be; der iw e ten (Puppe wvJ man m te” d*. u eben a-zö¬ 
ge bellen tie'si« litspuulvte I zim.'v !.s*. d I). :m ersten Ia et 'er k*m 
neben Hand nng \i»ii e'zr Fed-r.^ten M' .iTaussg*zurtg m J Be au 1 - g 

Ge-braiivii tPaviieu u;.»sstp. nn„ wenn e ri Kb.vs'al k zürnt, de st'ai- 
re'clitliche \erwabnmg so hege and.aiie' r n zu ass t n. 1' s e” e wete'c 
Wiederkehr Solsher Rackla..e dufv.li e.tic ausg t spro^he: e liessc 'u: g. 
die von Datier ist oder e ne «iene-sung de Auord-nrg w e te r er 
reclitüclier Beliand.ung uberfbiss g m.ui t. D e dt tte G-appe eu 
ist die, wo wir sehr selten Besserungen und e ;’e* Gmus i g bist r c 

Sehen, hier kommt eine d a u e r n d e su h e r e \ e r w a 1; r u n g 

allein in Betracht. Fs liegt auf der Ha- d. elass v!as mir d e W .iiisg-c 
des Arztes sind, dass cs frag Ich ist, «>h ,1c i re set/ge but-g .?•' m a eri 
Varietäten folgen kann. Paii.ber hat a'er v!t r Arzt n ebt zu hetz .v 
Komplizierend kommt noch dazu, dass der hr st. wer ^te'-s en le 
derselben, nur schwer s ji tii:s\'i esun w rd. be; vier sf.d-eU t- 

lichen Behandlung nicht auch die Art er b c g a r g e u v n lat 

mitsprechen zu lassen, um d e Art ur .! Däne* der sfamem:: ,'"zi 
Behandlung zu bestimmen. 

Was schLesslieh den ReJitsbegr ff vier fre en W 

bestimniung betrfft. so s :d w r ir s a ä.r •' er t u g. vlass. 
wie ich bereits betont habe. «1er A*/t n s \ eVeti f i i'c' |'s/ : 
welche zu den besehtc benden natirw >h"'w ur: dn a' s . '» 
streng genommen als b.ivln erst.tr« l.ger gar u U.t d.o d e- .o.ss t • 
kann. Oh ein Kranker in vernein lim und I ms, p \ v ■■ .' g d.o.-- 
krankhafte Momente best.mmt w rd, «•', t z K c' du- .h si • <• 

Krankheit auf die >tufe e ms m m .ml g» k udi s hm.; 1 l- ., k: w ■ 

kann dagegen der >.u hx er st.md.ge le dz fi-tsti m I *as s ■ a m 

die Momente, w eiche de /n r cdziw\s:.! ; • : .< .ss v • . sv, v. w« d'e 
uns, abgesehen von dem N.uiiw e:s eirmr B> Wim-'s.' ••vsp 
freie W ibeitsbestznmung näs/iism . sv, p v ..-imu. N 1 » 
welchen philosoplnseheu I h-ubv r.o.-ru u brr d. *• «. 1 , m | . 

griff der fie.ell W uleiisbest.mmm-g \\ rd a’mr v!m K* , te' dv' l’-.ix s 
Hie etw as aufamten kommn. Man s . '*e r-i -ei. dass de' R d 'v« 
vollstamlig ausreichend «»• .ent.ert ist. wenn vier Md \ ms*.,- ' ge t; 

seinem Gutachten sich n U' t nur idr d e \ :• 1 m S >Vv >•..' *e K'.r 

heit im allgemeinen, Sonde-n amh •; v c r den * im !. u d« ••• d 0 k'.*• *- 

heit das I u n li n d Lass e n des A n g e k a g t e r> Iv : v sst. 

äussert. Wunlc für den Rechts'm-gr ”. der ez'e eurbre Mu’ . z g 
im Falle der Krankheit aussg 1 .ess«. e' e .!■ mz ge I ■ ,e'.:-g ge¬ 
funden, dann konnte - 'me >maden de' ib.g'h dm r v e-t W v' s. 

bestimmung aus dem $ 51 ia en. .Mr w m ' \ v • mt c ■ \ - :mi. 

dass es nach den Mot von gar r Fit J e Aufgabe des d-. e'<ta-d gen 
sei, die Frage nach der f-cen W he-s^es* —- 7:] 


____ Go glc 


Original from 

UNIVERSm OF MINNESOm 










28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1595 


dass «die wissenschaftliche Deputation und angesehene Autoren diese 
Frage aus den angegebenen Gründen überhaupt nie beantworten, dass 
also der Begriff ruhig bestehen bleiben könne, weil sich ja allein der 
Richter mit diesem Rechtsbegriffe zu beschäftigen habe, damit er 
den Einfluss, der ihm zukomme, auf die Entscheidung nach dem § 51 
St.Q.B. habe. Demgegenüber möchte ich antworten, dass ich nicht 
einzusehen vermag, weshalb dem Richter, dem bei jeder Urteils¬ 
findung das Recht der freien Beweiswürdigung zusteht, noch einmal 
für einen Spezialparagraphen ganz besonders in diesem seinen Rechte 
gesichert werden soll. Fält dieser Rechtsbegriff, dann hört auch end¬ 
lich das Fragen nach dem Vorhandensein oder Anschluss der freien 
Willensbestimmung an den Sachverständigen auf, das trotz dem 
klaren Wortlaut der Motive immer wieder in Foro geschieht. Ich 
sehe dabei ganz davon ab, dass auch angesehene Kriminalisten, 
wie z. B. v. Hippel, ebenfalls den Begriff der freien Willens- 
bestimmung für ganz gut entbehrlich halten. 

Die strafrechtliche Behandlung der Jugend¬ 
lichen, welche bei dem. fast steten Anwachsen der Kriminalität der 
Jugendlichen immer brennender wird, ist so wichtig, dass sie kaum 
im Rahmen meines Referates erschöpfend erledigt werden kann. Es 
würde dazu soviel Zeit erforderlich sein, als ich für mein gesamtes 
Referat in Anspruch nehmen kann. Ich kann deshalb nur die wichtig¬ 
sten Momente kurz streifen. 

Bei den Jugendlichen ist mit einem rein strafrechtlichen Vor¬ 
gehen allein nichts zu erreichen, sondern es muss vor allem neben 
der Strafe auch die Frage der Erziehung und der Besserung ins 
Auge gefasst werden, wobei selbstverständlich auch die Sicherung 
der Gesellschaft vor den Straftaten der Jugendlichen nicht ausser 
acht gelassen werden darf. Die Jugendlichen sind ja, 
forensisch genommen, sämtlich minderwertig, weil ihre 
Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Es werden also vor 
allem auch die Gesichtspunkte in Betracht kommen, welche wir bei 
der Besprechung der strafrechtlichen Behandlung der geistig Minder¬ 
wertigen bereits gestreift haben. Gerade die Verhandlungen des 
deutsch-österreichischen Juristentages zeigen das auf das deutlichste. 
Die Verhandlungen wurden eingeleitet durch ein Referat von 
Crohme und ein Referat von Puppe, das ganz meine früher ge¬ 
gebenen Gesichtspunkte über Entwicklungsalter und Gesetzgebung 
berücksichtigt. Es kam darauf unter der Aegide von Kahl zu nach¬ 
folgenden Beschlüssen: „Die Altersstufe der absoluten Strafunmündig¬ 
keit ist bis zu dem schulpflichtigen Alter — zur Zeit das vollendete 
14. Lebensjahr — hinauf zu erstrecken, unter der Voraussetzung aus¬ 
reichender disziplinärer und vormundschaftlicher Massregeln“. 

„Gegen Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren hat Bestrafung 
nur, wenn die Person geistig soweit entwickelt ist, dass der Zweck 
der Strafe erreicht werden kann, einzutreten“. 

„Von Freiheitsstrafen sind für Jugendliche geeignet Gefängnis¬ 
strafe bis zu 15 Jahren und Haftstrafe“. 

„Die Bestimmungen über die Jugend als Milderungsgrund für 
die Abmessung der Strafe sind zu beseitigen“. 

„Das Anwendungsgebiet des Verweises und der Geldstrafen 
sind zu erweitern, unter gesetzlicher Ausgestaltung dieser Strafmittel 
nach Inhalt und Vollzug“. 

„Die Erweiterung der Haftbarkeit der Gewalthaber der Jugend¬ 
lichen für die Folgen der von diesen begangenen Straftaten ist in 
möglichst grossem Umfang ins Auge zu fassen“. 

„Anstatt oder neben der Strafe kann der Strafrichter staatlich 
überwachte Erziehung der Jugendlichen (Zwangserziehung, Für¬ 
sorgeerziehung), anordnen. Die Ausführung steht den dazu be¬ 
stimmten Organen zu, gegen die zu vorzeitige Aufhebung hat die 
Staatsanwaltschaft ein Widerspruchsrecht, über welches das Vor¬ 
mundschaftsgericht entscheidet“. 

„Die Zurechnungsfähigkeit muss unter Zuziehung geeigneter und 
entsprechend vorgebildeter Aerzte geprüft werden, auch müssen 
Auskunftspers'onen über die geistige und sittliche Reife der Personen 
vernommen werden. Die Oeffentlichkeit des Verfahrens ist auf die 
Zulassung der Gewalthaber, Seelsorger, Lehrer, Dienst- und Lehr¬ 
herren und ähnlicher in persönlicher Beziehung mit dem Jugendlichen 
stehenden Personen zu beschränken“. 

Schliesslich wird noch gewünscht, dass die Strafe aus den 
Strafregistern der Jugendlichen gelöscht werden kann, und dass die 
Freiheitsstrafen an Jugendlichen nur in besonderen Anstalten für 
Jugendliche vollstreckt werden darf. 

v. Liszt und auch Asch affen bürg haben eine Hinauf¬ 
setzung der Grenze für die absolute Strafunmündigkeit auf 16 Jahre, 
für die Strafmündigkeit auf 21 Jahre beantragt; das Diszernement 
wird verworfen. Aschaffenburg empfiehlt weiter eine mög¬ 
lichst umfangreiche Anwendung der bedingten Begnadigung. 

Wir können zu allen diesen Fragen nur insoweit Stellung 
nehmen, als der Mediziner nach seiner speziellen Kenntnis sich dazu 
äussern kann. 

1. Zunächst erscheint es unbedingt erforderlich, die Grenze für 
die absolute Strafunmündigkeit heraufzudrücken, denn unser Leben 
hat sich so kompliziert gestaltet, unsere Gehirnentwicklung ist im 
Vergleich zu dem, was der Heranwachsende noch alles an geistigem 
Material aufnehmen muss, so zurück im 12. Jahre, dass von irgend 


einem selbständigen Verantwortlichkeitsgefühl noch nicht die Rede 
sein kann. Dazu kommt noch, dass wir im Gros der Fälle aus 
Gründen, welche rein in den Gesetzen der Gehirnentwicklung liegen, 
die in der Pubertät ausbrechenden krankhaften Veränderungen des 
Gehirns in der Regel erst mit dem 16. Jahre nachweisen können. Es 
kann also der Mediziner ein Heraufrücken der unteren Strafmündig¬ 
keitsgrenze nur nach jeder Richtung befürworten. 

2. Auch die obere Grenze der relativen Strafmündigkeit herauf¬ 
zurücken, muss aus medizinischen Gründen dringend gefordert 
werden. Denn wir sehen jeden Tag deutlicher, dass von einer vollen 
Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, ja von irgend einem Abschluss 
der intellektuellen Entwicklung mit vollendeten 18 Jahren bei den 
meisten Individuen noch keine Rede sein kann. Dafür spricht auch 
das Ergebnis der Hirnrindenentwicklung, soweit der Fasergehalt in 
Betracht kommt (K ä s). 

Selbstverständlich kann die Meinung des Mediziners nicht allein 
massgebend sein, nur unter diesem Gesichtspunkt schlage ich für die 
lex ferenda als untere Grenze für die Strafmündigkeit das 16.. für die 
obere das 21. Lebensjahr vor. Dass übrigens auch in Juristen- und 
gesetzgeberischen Kreisen diese Notwendigkeit eingesehen ist, dafür 
spricht, dass auch die Fürsorgeerziehung bis zum vollendeten 
21. Lebensjahr ausgedehnt werden kann. 

3. Das Diszernement, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer 
Handlung notwendige Einsicht kann, soweit der Mediziner ein Wort 
mitzusprechen hat, ruhig fallen. Denn es handelt sich hier um einen 
Rechtsbegriff, mit dem der Mediziner wenig oder gar nichts anzu¬ 
fangen weiss. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass ein 
Schüler von v. Hippel (Schmidt) in letzter Zeit wieder für Bei¬ 
behaltung dieses Begriffes eingetreten ist. 

4. Die kurzen Freiheitsstrafen sind sicher unzweckmässig. Wenn 
die Jugendlichen überhaupt bestraft werden sollen, so kann nur eine 
strafrechtliche Behandlung in Frage kommen, wie wir 
sie bereits für die Minderwertigen gefordert haben. Aber auch diese 
Strafen dürfen nach meiner Ueberzeugung mir zur Anwendung 
kommen, wenn alle anderen Erziehungsmittel und vor allem das 
Prinzip der bedingten Strafaussetzung und Begnadigung versagt hat 
und auch Zwangserziehung und Fürsorgeerziehung zu keinem Re¬ 
sultate führen. 

5. Selbstverständlich ist in jedem Falle immer wieder die Frage 
zu prüfen, ob nicht eine Krankheit vorhanden ist (allmählich ent¬ 
stehender Schwachsinn, Jugendirresein oder einer der Grenzzu¬ 
stände). Dass bei dem Vorhandensein einer Krankheit im Sinne des 
§ 51 von einer Bestrafung nicht die Rede sein kann, liegt auf der 
Hand, aber auch wenn sich bei dem Jugendlichen ein Grenzzustand 
zeigt, muss von jeder Art von Bestrafung Abstand genommen werden 
und lediglich eine entsprechende Behandlung mit, wenn notwendig, 
sichernder Verwahrung an die Stelle treten. 

6. Alle diese strafrechtlichen Massregeln sind 
palliative, die Hauptsache sind prophylaktische 
Massregeln, wenn wir die Kriminalität der Jugend¬ 
lichen zurückdrängen wollen. 

Zu diesem Zwecke kommen in Betracht: 

a) Sehr strenge Durchführung des Fürsorgeprinzips. Das heisst, 
dass die Kinder nicht erst in Fürsorgeerziehung kommen, wenn sie 
schulentlassen, mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt gekommen sind, 
sondern dass eingegriffen wird, bevor die Verwahrlosung ihren schäd¬ 
lichen Einfluss geltend gefacht hat. Das wird im allgemeinen nicht 
ohne Einrichtung von besonderen Armenfürsorgern, die die Aufgabe 
haben, sich speziell um diese Verhältnisse zu kümmern, erreicht 
werden können. 

b) Sehr wichtig ist, dafür Sorge zu tragen, dass die schul¬ 
entlassene Jugend ähnlich wie die der gebildeten Stände, welche die 
höheren Lehranstalten besuchen, noch längere Zeit unter Zucht und 
Ordnung gehalten werden. 

c) Immer wiederholte ärztliche Untersuchung der Jugendlichen, 
welche nach irgend einer Richtung Gegenstand der Fürsorge eines 
Gesetzes sind, um beizeiten kranke Individuen, welche nicht erzogen 
werden können, auszuschalten und einer entsprechenden Behandlung 
zu übergeben. 

d) Einrichtung von Beobachtungsstationen für Jugendliche, deren 
Geisteszustand zweifelhaft ist. am besten in Verbindung mit einer 
öffentlichen Irrenanstalt oder Klinik. 

7. Mit dem vollendeten 21. Lebensjahr darf der Jugendliche 
nicht, namentlich wenn er geistig minderwertig ist, ohne jede weitere 
Aufsicht sich selbst überlassen werden. 

Für mehr oder weniger ausgeprägt leicht Schwachsinnige kann 
das heute schon dadurch verhindert werden, dass man rechtzeitig die 
Entmündigung wegen Geistesschwäche durchführt. 

8. Armee und Marine sind von allen irgendwie Zweifelhaften 
unter den Jugendlichen freizuhalten. Das heisst, die entsprechenden 
Behörden müssen rechtzeitig vor der Rekrutierung von dem Zustand 
der einzelnen Personen in Kenntnis gesetzt werden. 

Bei meinen bisherigen Ausführungen habe ich die Taubstummen 
noch nicht erwähnt, obschon sie in der Lex lata gewöhnlich mit den 
Jugendlichen zusammen genannt und denselben ungefähr gleich¬ 
gestellt werden. Dass die Lex lata die Taubstummen überhaupt 
erwähnt und besonders den Jugendlichen äquivalent berücksichtigt, 

4* 


Digitized by LjQuQie 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1596 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3n. 


ist ein Beweis dafür, dass sieh geistig Minderwertige in der Straf¬ 
gesetzgebung, aueli wenn sie erwachsen sind, recht gut berück¬ 
sichtigen lassen. Werden die geistig Minderwertigen ganz generell 
in der Lex ferenda berücksichtigt, dann sind besondere Be¬ 
stimmungen für die Taubstummen nicht mehr erforderlich. 
Denn eine ganze Reihe von Taubstummen sind geistig minder¬ 
wertig. wenn sie nicht geradezu schwachsinnig oder geisteskrank 
sind. Würden bei dem Strafverfahren gegen Taubstumme prinzipiell, 
abgesehen von den Taubstummenlehrern, welche über die krage 
des psychischen Zustandes nicht als Sachverständige gelten können, 
aber nichtsdestoweniger auch gelegentlich noch iiher derartige kra¬ 
gen sich äussern, lediglich gut vorgebildete ärztliche Sachverständige 
vernommen, die auch imstande sind, mit Taubstummen zu verkehren, 
so würde manches Unrecht, das den ausgesprochen geisteskranken 
und schwachsinnigen Taubstummen heute geschieht, vermieden 
werden. 

Es liegt auf der Hand. m. H.. dass ich in einem Referat, das 
sich mit psychiatrischen Wünschen zur Lex ferenda zu beschäftigen 
hat, nicht auf die Kontroversen über die Art und Weise, wie sich der 
Sachverständige bei einer Begutachtung von B e raus c h t e n oder 
Trunksüchtigen nach der Lex lata zu verhalten hat. entgehen 
kann. Die Trage dreht sich vielmehr für uns heute darum, was 
können wir in dieser Trage iiir eine zukünftige < iesetzgebung for¬ 
dern? 

Es ist noch nicht allzu lange her, dass ein Sturm der Entrüstung 
den deutschen Zeitungswald durchbrauste, als T o r e I auf dem Inter¬ 
nationalen Kongress in Bremen'in apodiktischer W eise erklärte, dass 
er jeden Berauschten tiir geisteskrank halte. Heute wird die Tat¬ 
sache, dass bei jedem Rausche eine Einengung der geistigen Tätigkeit 
stattfindet, dass Bewusstseinstoruiigen der schwersten Art. ohne dass 
ausgesprochen psychopathische Verhältnisse vor zu hegen brauchen, 
vorhanden sein können, überall eifrig diskutiert, ohne dass sich ein 
erheblicher Widerspruch findet; denn diese wissenschaftlich seit den 
klassischen Untersuchungen K r a e p e I i n s vielfach erbat tete Tat¬ 
sache ist nicht anzuzweifeln. 

Ebenso werde ich keinem Widerspruch begegnen, wenn ich den 
Satz ausspreche, dass der typische chronische Alkolmlist zu den 
geistig Minderwertigen gehört. 

Bei dieser wissenschaftlich klaren Sachlage wäre es das Nächst¬ 
liegende. dass wir für die Lex ferenda generell eine Exkulpierung für 
im Rausche begangene Verbrechen, wie für andere unter dem Ein¬ 
fluss einer Bewusstseinsstörung entstandene \ erbrechen forderten, 
und dass wir ganz generell für Verbrechen und Delikte, w elche vmi 
Trunksüchtigen begangen werden, zum mindesten forderten, dass die 
Paragraphen, welche für geistig Minderwertige vorgesehen sind, zur 
Anwendung kommen. Ich glaube aber, dass ein solches Verlangen 
lediglich ein Schlag ins W'asser wäre. Wir würden nicht nur erleben, 
dass unsere Wünsche gar keine Berücksichtigung fänden, sondern 
wir würden mit Spott und Hohn als landfremde Menschen, welche 
an den Erscheinungen des täglichen Lebens blind vortibcrgchcn. über¬ 
schüttet W'erdcn. Oanz abgesehen davon, dass wir auch praktisch 
damit für die Trinkerrettung, die uns allen am Herzen liegt, wenig 
erreichen würden. 

Ich brauche nur daran zu erinnern, dass heute immer noch 
75 Proz, aller (lewaltverbrechen im Rausche begangen werden, um 
die Utopie eines derartigen Vorgehens klar zu legen, (ianz ab¬ 
gesehen davon, dass eine derartige gesetzgeberische Massregel bei 
der heutigen Ausdehnung unserer Trmksitten allein schon am Rechts¬ 
bewusstsein unseres Volkes scheitern wurde. Das. was wir bianeben 
und vielleicht auch erreichen können, ist ein Triukerzwaiigs- 
g c s c t z. 

Wir haben dasselbe um so notiger, als die Tntmimdicimg wegen 
I runksucht die Erwartungen, w elche man an sie geknüpft hat. in 
keiner Weise erfüllt hat. Haben w ir dazu noch die Möglichkeit der 
strafrechtlichen Behandlung der geistig Minderwertigen, daun be¬ 
sitzen wir die Mittel, um auch die Trunksüchtigen so zu behandeln, 
dass sie auf den Weg der Besserung kommen und geheilt werden. 


Professor Or. Herman Snellen sen. 

wb. 19. Februar 18.J4 in Zcist, uest. IS. Januar 19ns in l'mJit. 

Durch den Tod von Herman Snellen. des im 
Jahre 1899 aus dem Lehramt und im Jahre 19IU aus seiner 
äiztlichen 'Tätigkeit ausgeschiedenen ersten ordentlichen 
Professors der Augenheilkunde an der Universität Utrecht 
hat unsere Wissenschaft einen Mann verloren, dem sie reiche 
Eörderung dauernder Art sowohl auf theoretischem als auch 
auf praktischem (iebiete zu verdanken hat. 

Ein Sohn des angesehenen Arztes T. A. Snellen in 
Ze ist, einem lieblichen Dorfe nahe der Stätte seiner nach¬ 
maligen Wirksamkeit, studierte der Verewigte I s.S 1 57 in 

!'• 

Ut und .nachhaltiger beeinflusst durch Lehrer 
I d e r, S c h r ö d e r v a n der Kolk und vor 


I allem durch den Schöpfer der Lehre von den Bre Jmngsx cr- 
j haltmssen des Auges, den Physiologen Trans Comc! s 
[ Dondc rs hess II. Snellen durch die 1 S M erschienene W t- 
I tiihmg ,.U e b e r d e n E i n f 1 u s s d e s N e r v u s p n e u m <► - 

! g a s t r i c u s aut die A t e m b e w e g u n g" sdum iruM- 

! zeitig seine Neigung und nicht genüge Pclah.gurg zu vnvscii- 
! scliattlicher Arbeit erkennen. 

i Das trat noch mehr zu Jage m seiner grosses V.iJ- 
' scheu erregenden Inauguraldissertation „De invIoeJ der 
! z e u u w e n o p t e o u t s t c c k i n g. p r o c I < ■ n I e r v i u J e 1 i k 
getoest" (..Der Einfluss der Nerven auf J:e Entzündung"). 
| die er öffentlich am *1. Juli l s 57 verteidigte. In dieser e\pe r i- 
I menlelleii Studie wie m eitler 1 S M erschienenen Mittenur;g: 
j ..l ’ e b er die n c u r o p a r a I y t i s c h e A u g c n e n t - 

I zun d u n g b ei I r i g e m i n u s p a r a I \ s e" unter/* -g 

I Snellen die von Magen die entdeckte M'Ti.buuter- 
! kraiikung nadi Durchs Jmcidang dis N. trigcmmns e.ner er- 
I neulen Prüfung und kam durdi siimreidic \ersu Jisanord- 
! mmgeii im (iegensatz zu Magendie zu dun T.r- 
j gebms. dass diese Ent/imdurg nullt eine neun parulv üs w he. 
mdit trophisdicr. sondern traumatisJic r Natur sei. veranlass: 
durdi die Verletzungen. die sich d.is \ ersuchstjer dieu selbst 
an der unempfindlich gewordenen Nor: haut zufuge. 

\\ ic H o r n e r. I a c o b s o n. Rot h »n u n d ut d a: de re 
Zeitgenössische Ophthulmnli-gen übte .null Quellen nadi 
Beendigung der l ’mv ersitatsstudicn e.ne Reihe von Ldacii d e 
allgemeine Praxis aus. Sem w issi uOuitlu bc s I: :i:ow tu 
diese bekundete er durdi weitere \ et öfter, tlu Imrgt :i ui.J auJi 
später noch durdi die 1^*5 ersdnet eue \rbet iTw r de 
Clioleraepidemie in Utrecht. 

Erst als S n e I I e n m der 1 du r dl Ibn: Jcrs :: s 
I eben gerufenen ersten nie derkti. J.sdien Augeuhi .lai>t.,:t : r. 
Utrecht (,.N e d e r I a n J s c h < i a s t h u i s v o o r b e h o e f - 
tige e n m i n v e r m o g e n d e oog Inders") \<m der 
Stelle eines ersten Assistenten im lallte l s oJ zu der c oes 
Primararztes und Do/emeii de r (lpbiha’m» •!« »gie \ orgenukt 
war. wurde ehe Augenheilkunde so« allen :ges Anhc,;tsiyld. 

Und min begann für das durdi II c I m h o ! t z. A ! b r e c b : 
\. (iraefc und Donders m neue Pahuett gelinkte md 
immer umfassender sidi gestaltende (icb:ct der npkthabiiM- 
l( gie in Utrecht audi nadi der praktische n >e;te hm ine 
Zeit fruchtbaren Sdiafiens. 

Durch seinen Lehrer Donders .n die genauere Ke ur.m.is 
der theoretischen (irur.dlagen de r l.diien der Retrakt.-ui und 
Akkommodation des Auges eiugeluhrt. befasste s.di S n e 1 ! e n 
zunächst mit dem Studium der makulareu Ne vb.nultn kt:<m. 
Als dessen Ertrag stellte sidi die In»? erfolgte Hirn;n K abc der 
seitdem in aller Welt bekannt gewnrdeen ,.1'ptnty pi ad 
\ i s ii ni d e t e r m i n a n d ti m" (in Inulandisdie r, deiitsdien 
englischer, frau/osisdier und Italic ins Jur SpraJu-) dar. d.c 
seitdem m zahllosen Auflagen etsjiuiun si;\!. \Ut dust-n 
I I afelu schuf Snellen die r.oJi he ute gu't ge Prufungs- 
| methode für die zahlcnfnasvgc Bes\mmi:rg des (i'ades der 


zentralen Sehschärfe. 

1 S 7J erschien unter Mitwirkung suus Sc Inders und 
Treimdes. des jetzt in Paris wrkci.dcii Dr. Edmund La ndolt 
in der ersten Auflage des go .sccti Hat dhu Jus dir Auge n- 
lieilklinde von (i r a c t e - > a e :n i v c h sc. : e ( i p b t h a 1 m « * - 


inetrob^i e. eine anM.iht;. Ju I ’ai vte bürg der f üi.k'onc- 
priituugeii des Auges. 

Ihr folgten lieben veivli.ulu oi unter v ■ t *■ \ t ^.de i t 
standenri] I ’iomotu uoa rlu ile n /.tl’uubi I ■ .•■ ■mtei'ungc v 
und Aufsat/e m din ..\ e r sfa g e n b i i b i a d i u \ ,t u }j • 

n e d e r I a n d s v || g a s t h u i s v <> <> i <. g ! . ■ d t * s “, in deu. 

Berichten vier Heidelberger mul m di*un di r intet- 
nationalen <) p Ii t h a 1 ino 1 o g e u k ■ ■ u g r c s s c . s. . w ,. v 
an anderen Sie Ile n. 

Ich führe voll d.ese u \ * De: *« r: nur t. • u!e a's de be¬ 
merkenswertesten au: 

,.l eher d .i s P h a k o :u e * c r ". ..Die b : '* k i s i v ln 

Lins e", ..I > i e R i c h t ti u g d er II a u p t ;n e r i d , a n e d y s 

a s t i g m a ; i s c h e n Auges'. ..Die Dnr.DJu u . 

d ii n g d e r X i ! i a f ti e r \ c n b e , \ c u r a ' g : c..I e b c r 

d I e T o n O m e t n e". ..I ’ e b e r > . h . e 1 w i u k e ! m e s . 

s ii ii g e n", „I; n ! 1 a r v u n g er. s ; m u ! : r • e r e ; u s e i t i - 

g e r A m b I y o p j e n". ..I ehe; d e g •; a i: t i ! a t : \ e H e - 


Diä Ja 


Original fram 

UNIVERSITY OF WNNESÖ 






28. Juh 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1597 


Stimmung des Farbensinne s", Ueber die sym¬ 
pathische Ophthalmi e", „Ueber Schulbänk e", 
„Ueber Nachbild e-r", „Der Keratokonu s“, 
„Ueber künstliche Augen" und die Antrittsrede bei 
Uebernahme der Utrechter Professur: „Over de Me¬ 
thode der oogheelkunde Klinieck‘‘. 

Aber je länger desto mehr fiel der Schwerpunkt von 
Snc llens Wirksamkeit in die praktische Tätigkeit. Ihr ver¬ 
danken wir unter anderem auch die Erfindung neuer und seit¬ 
dem als bewährt erprobter und die Verbesserung bekannter 
Operationsmethoden gegen Ektropium, Entropium und 
T r i c h i a s i s. 

Vieles Beachtenswerte aber blieb im Drange der sich 
häufenden augenärztlichen Tätigkeit, die immer mehr auch 
weit über die Grenzen seines Heimatlandes hinausging, 
unveröffentlicht. 

Was S n e 1 i e n überhaupt in den mehr denn vierzig Jahren, 
in denen er selbständig die Utrechter Anstalt leitete, gerade 
auf diesem für das Wohl und Wehe der Kranken so wichtigen 
Gebiete der Augenheilkunde, das er fast autodidaktisch sich 
selbst ausgebaut hatte, durch seine hervorragende Geschick¬ 
lichkeit und vielseitige Erfahrung auch in den schwierigsten 
Fällen leistete, wissen vor allem diejenigen richtig einzu¬ 
schätzen, die ihn, wie auch ich, in dieser Tätigkeit an Ort und 
Stelle selbst zu beobachten Gelegenheit hatten. 

Gerade deshalb wäre es denn auch ein grosser und blei¬ 
bender Gewinn für die Ophthalmologie gewesen, wenn 
S n e 11 e n die ihm für die zweite Ausgabe des deutschen oph- 
thalmologischen Standard work der Gegenwart, des Hand¬ 
buches der Augenheilkunde übertragene Bearbeitung der 
Augenoperationslehre — die in der ersten Auflage stammt aus 
der Feder des Wiener Altmeisters Ferdinand v. A r 11 — noch 
hätte vollenden können. Leider musste er hiervon zu seinem 
schmerzlichen Bedauern infolge zunehmender Kränklichkeit 
schon alsbald Abstand nehmen. 

Nach alledem kann es nicht überraschen, dass sich die 
Tätigkeit des hervorragendsten Schülers und Mitarbeiters von 
D o n d e r s je länger desto mehr über seinen engeren Wir¬ 
kungskreis hinaus geltend machte. 

So war denn Utrecht von der Mitte der sechziger Jahre an 
bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der Sammelpunkt 
zahlreicher in- und ausländischer junger Aerzte — auch 
ältere und zum nicht geringen Teil schon in hervorragen¬ 
der Stellung befindliche Ophthalmologen fehlten nicht —, 
die bei dem mehr der theoretischen Seite des Faches zu¬ 
gewandten D o n d e r s Anregung suchten und gleichzeitig 
die Gelegenheit benutzten, sich bei Snellen, der nach 
Ablehnung des Rufes nach Bern und Leiden inzwischen (1877) 
ordentlicher Professor der Augenheilkunde an der Universität 
geworden war und auch als Lehrer vorzügliches leistete, in 
den praktisch belangreichen Fragen auszubilden und ihre 
Kenntnisse zu vertiefen. 

Von aller Anfang an im „Gasthms“ tätig, hat Snellen 
die fast ausschliesslich aus freiwilligen Beiträgen unterhaltene 
Anstalt zu immer grösserer Bliite gebracht und ihr im Jahre 
1894 in dem mit grossem organisatorischen Talente durch- 
geführten und als „D o n d e r s s t i f t u n g“ ins Leben ge¬ 
tretenen Neubau des Institutes eine innere Ausgestaltung ge¬ 
geben, die für die seitdem entstandenen Augenkliniken in mehr 
als einer Richtung vorbildlich geworden ist. 

Dem vornehmen und sympathischen Aeussern, wie cs das 
dieser Nummer der Wochenschrift beigegebene Porträt zeigt, 
entsprach das innere Wesen des Dahingegangenen. Stets 
gleichmässig liebenswürdig, heiteren Gemütes und bei aller 
geistigen Grösse im äusseren Auftreten stets bescheiden, wird 
der anspruchslose und warmherzige Verewigte, dessen Ver¬ 
dienste um die Augenheilkunde bei der Nachwelt unvergessen 
bleiben, auch bei allen denen in herzlicher und dankbarer Er¬ 
innerung fortleben, die nahe und fern das Glück hatten, ihm 
auch menschlich näher zu treten. 

München, 18. Juli 1908. O. Eversbusch. 


Referate und BQcheranzeigen. 

H. Rlbbert: Beiträge zur Entstehung der Geschwülste. 

Zweite Ergänzung zur „Geschwulstlehre für Aerzte und 
Studierende" mit 40 Abbildungen. Die Entstehung des Karzi¬ 
noms. Bonn, Verlag von Friedr. Cohen, 1907. 4.80 Mk. 

R i b b e r t hatte bekanntlich die Theorie aufgestellt, dass 
die Krebsentwicklung nicht durch primäres und kontinuierliches 
Tiefenwachstum des ursprünglich normalen Epithels zustande 
käme, sondern, dass zuvor durch Wucherungsvorgänge im 
subepithelialen Bindegewebe eine mechanische Ab¬ 
sprengung, eine Verlagerung des Epithels ein- 
treten müsse, da nur ein so mechanisch aus dem physio¬ 
logischen Verbände gelöstes Epithel zu unbegrenzter Wuche¬ 
rung befähigt wäre. Alle Bilder, welche bis dahin von den 
Vertretern der Thiersch-Waldeyersehen Lehre als 
kontinuirliches Tiefenwachstum gedeutet worden waren, er¬ 
klärte R. als sekundäre Vereinigung des aus der Tiefe auch 
nach oben wuchernden Krebsepithels. Auch irgendwelche 
Veränderungen der biologischen Eigenschaften der Epithel¬ 
zellen wurden von ihm für die Krebsentwicklung völlig ge¬ 
leugnet. 

Weitaus die Mehrzahl der erfahrenen Pathologen hat diese 
Theorie abgelehnt und ganz besonders wurde sie vom Re¬ 
ferenten auf Grund seiner früheren und auch neuerer Unter¬ 
suchungen bekämpft. 

Unter dem Druck der tatsächlichen Verhältnisse musste 
R i b b e r t bei seinen späteren Untersuchungen selbst all¬ 
mählich mehr und mehr die Ueberzeugung von der Unhaltbar¬ 
keit seiner Behauptungen gewinnen und Schritt für Schritt wich 
er daher von seiner ursprünglichen Theorie zurück. 

Zunächst sollten die ganz gewöhnlich zu beobachten¬ 
den und durchaus klaren Bilder des kontinuierlichen Tiefen¬ 
wachstums nur dadurch zu erklären sein, dass noch nicht 
eine völlige Absprengung des Epithels für die krebsige Wuche¬ 
rung erforderlich wäre, sondern dass hierfür bei der Haut schon 
eine stärkere Dehnung der Reteleisten durch das wuchernde 
Bindegewebe genügte. 

Auf Grund seiner neuesten, an jungen Haut- 
und S c h 1 e i m h a u t k r e b s e n gemachten Unter- 
suchungen-erkennt nun R. das kontinuierliche 
Tiefenwachstum des Epithels, so wie es von 
den meisten Autoren, insbesondere auch vom 
Referenten stets beschrieben worden ist, in 
vollem Umfange an, ja er findet sogar, dass 
selbst bei vorgeschritteneren Karzinomen 
in der Peripherie ein solches kontinuier¬ 
liches krebsiges T i e f e n w a c h s t u m des ur¬ 
sprünglich normalen Epithels beobachtet 
werden kann, da ja dieses nicht an allen Stellen, an 
welchen es zur Krebsentwicklung kommt, gleichzeitig ein¬ 
zusetzen braucht, sondern sehr wohl von der Mitte des Krebs¬ 
herdes nach der Peripherie allmählich erfolgen kann: „Dann 
kann in den mittleren Abschnitten, in dem eigentlichen eventuell 
auch aus vielen einzelnen Stellen zusammengeflossenen Ent¬ 
stehungsgebiete bereits ein grosses Karzinom entwickelt sein, 
während in den angrenzenden Abschnitten sich zunächst nur 
eme Verlängerung von Epithclzapfen und eine entsprechende 
Erhöhung der zellreichen Bindegewebspapillen findet, Ver¬ 
änderungen, die sich nach aussen und nach oben verlieren. 
Kommt cs nun in ihrem Bereich, ähnlich wie schon in dem 
eigentlichen Krebsgebiet auch zu einem Wurzeltreiben ein¬ 
zelner Zapfen, so werden auch hier kleine Karzinome ent¬ 
stehen, die mit den bereits vorhandenen konfluicrcn können.“ 

Dieser von R. endlich selbst konstatierte 
histologische Befund am Rande von Karzi¬ 
nomen deckt sich vollkommen mit den aus¬ 
führlichen Beschreibungen, welche der Ref. 
und zahlreiche andere Autoren von fort¬ 
schreitenden krebsigen Wucherungen in der 
Peripherie eines bereits ausgebildeten Kar¬ 
zinoms längst gegeben haben. 

Freilich hat R. von diesem tatsächlichen Befund des 
kontinuierlichen Tiefenwachstums des Epithels insofern eine 
andere Auffassung, als nach seiner Ansicht das Epithel r ; 
infolge einer primären biologischen Veränderung in d- 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1598 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3<> 


wächst, sondern es soll vielmehr dieses Tiefenwachstum, wenn 
es nicht durch embryonale Störungen im Epithel bedingt ist, 
stets durch entzündliche Veränderungen im Bindegewebe ans¬ 
gelöst werden: „Der eigentlichen Karzinomentw icklung geht 
die Bildung eines Vorstadiums voraus, in dem es 
sich um eine mehr oder weniger vielgestaltige Epithel- 
Zunahme auf der einen Seite und um eine z e 11 i g e L m - 
Wandlung des Bindegewebes oder die Er¬ 
zeugung einer unter das Epithel e i n g e s c h o - 
benen Granulationsschicht auf der anderen Seite 
handelt. 

Dieses Vorstadium entsteht vielleicht in den meisten Eülleii 
auf Grund einer u m s c h r i e b e n e n e n t w i c k 1 u ngs- 
geschichtlichen Störung, in anderen Bällen aus u m - 
schriebenen Entzündungen. Doch bilden diese nur 
dann die Grundlage der Karzinomgenese, wenn durch sie, wohl 
am ersten bei chronischem Verlauf, ein Granulalionsgewebe er¬ 
zeugt wird, das eine neue Lage unterhalb des Epi¬ 
thels bildet, ihm dadurch seine normale Basis entzieht 
und es so mehr oder weniger aus dem Körperverbande aus- 
schaltet.“ (S. 102.) 

Gegen die Bedeutung entzündlicher Vorgänge an sich iiir 
die Krebsentwicklung lässt sich gewiss nichts einwenden; sie 
werden aber für sich allein niemals zur Krebsentw icklung 
führen, ohne dass nicht zuvor das Epithel eine tiefgreifende 
biologische Veränderung erfahren hätte. 

Die Behauptung aber, dass überall da. wo nennenswerte 
entzündliche Veränderungen fehlen, die krebsige Wucherung 
des Epithels auf entwicklungsgeschichtliche Storungen zu rück¬ 
geführt werden müsse, ist durch nichts bewiesen und erscheint 
lediglich als völlig willkürliche Deutung eines tatsächlichen 
Befundes im Interesse einer bestimmten Theorie. Denn man 
müsste ja sonst eine primäre biologische Veränderung des 
Epithels für das Tiefenwachstum verantwortlich machen, wo¬ 
mit auch der letzte Rest der ursprünglich von R. aulgestellten 
Theorie zusammenbräche! — 

Uebrigens nimmt auch R. nunmehr eine biologische Ver¬ 
änderung des Epithels für das Karzinom an; sie soll aber erst 
sekundär nach vorausgegangener mechanischer Auslosung des 
Epithels aus dem physiologischen Verband als eine Anpas¬ 
sungserscheinung erfolgen und besonders in den Metastasen 
ihren Höhepunkt erreichen. — 

So ist es völlig zutreffend, wenn Alb recht sich über 
diese neueste Schwenkung R i b b e r t s in seinen „Rand¬ 
bemerkungen zur Geschwulstlehre“ (Eraukfurter Zeitschr. f. 
Pathol., Bd. I, S. 357) äussert: 

„Im übrigen ist nach den neueren Publikationen R i b - 
berts wohl vorauszusagen, dass seine „Krebstheorie“, wenn 
sie in der gleichen Weise sich fortcutwickelt, in Bälde nur mehr 
durch ihre Vorgeschichte sich von jenen unterscheiden wird, 
welche den primären Veränderungen des Epithels die Haupt¬ 
rolle zuteilen.“ Hauser- Erlangen. 


R. Klemenslewicz: Die Entzündung. Eine mono¬ 
graphische Skizze aus dem Gebiet der pathologischen Physio¬ 
logie . G. Fischer, Jena 19(18. 120 Seiten. 3 M. 

Der Verf. hat absichtlich seine Darstellung eng begrenzt. 
Sie hebt vor allem die physikalischen und physikalisch- 
chemischen Momente in ihrer Bedeutung fiir die akute Ent¬ 
zündung hervor. Hiermit ist schon gesagt, dass insbesondere 
die hydraulichcn und sonstigen Veränderungen am Getäss- 
apparate des entzündeten Gebietes eine besondere und zwar 
ausgezeichnete Erörterung erfahren. Der schematische Ver¬ 
such zur Veranschaulichung der Beziehungen zwischen Gefäss- 
rohr und umgebendem Gewebe, den Körner zuerst ange¬ 
geben hat, dürfte sich auch.zum Vorlesungsversuch in hervor¬ 
ragender Weise eignen. Die Theorien über die Entzündung 
und über die Lymphbildung werden eingehend besprochen. 
Was die eigenen Anschauungen des Verf. anlangt, so seien, 
um seinen Standpunkt in einigen der wichtigsten einschlägigen 
Fragen zu charakterisieren, nur einige Punkte betont: Wie 
tiir die übrigen Erscheinungen am Gefässystem ist der Verf. 
auch in der Frage der Diapedesis und Emigration vorwiegend 
für eine mechanische Erklärung, die Chemotaxis wird von ihm 
nicht hoch bewertet; dem Wegfall der Riickti anspol tation der 



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Gewebsflüssigkeit in die Neuen wird für das Zustandekommen 
des entzündlichen Oedems eine wesentliche Bedeutm g bei¬ 
gelegt. In l ’ebercmMimmung mit A s h e r wird d.c l.xinph- 
bildung als eine Funktion des Gewebes und r.J;t als das Re¬ 
sultat eines Traiissuela’ioiKpro/esscs aÜe.n v heu:; dem¬ 

entsprechend wird auch die Sekretamstlkoi.e de r Kap;..atu 
endotliehen abgelehnt. Die LntersJiiiidmg \ «m t.n J.rm-gc- 
transsudat und Lymphe ist sehr klar duuhge :..h:t. Pc \er- 
ändei uiigeii am Gewebe selbst, sow eit v :e jn» »r ph« •!« g. v d:er 
Natur sind, werden nur kurz 1 h rührt, d e Jiror.sJie Ent¬ 
zündung ist überhaupt nullt besprochen. D..gegen ist der \ er¬ 
such gemacht, neuere Er rt|f geiischabe u aus änderet: b.< ■- 
logischen Gebieten für die Lehre \ «-n der Entzündung he'a”- 
zuziehen, das Antithrouibin. d.e An** d\ se. die V.t.k- *r;*cr- 
bildung (spezifische Eiidothelto\:ue d!). d--Ji /eiet der \ er¬ 
stich, dass wir muh weit davon entfernt s.nj. d.ese Dm ge für 
die Lehre von der Entzündung nutzbar in.uhen zu kmireu. 
wovon übrigens der Antor selbst uheveugt sdii i:t. Der 
Monographie > v t ein ausführliches und v Jier nia* Juni Leser 

sehr willkommenes LiteratniA erzeulnas nlnr die Ent/i.udangs- 
frage beigegeben. Robert R o s s ] e - M.uuhe 

Professor T. J. H a r t e 11 u s: Lehrbuch der schwedischen 
Heilgymnastik. DeutsJie Ausgabe. übersetzt und heuns- 
gegeben vmii Dr. Chr. .1 u r g e n s e n. pu'ikt. Arzt n: Kopen¬ 
hagen und Samtatsrat Dr. Preller. Direktor der Wasser¬ 
heilanstalt in Ilmenau i. I hur. Zweite Vjl'age. r.adi de r vierte • 
Auflage des Originals he rairsgegelu n Mir, Pr- tess .r Dr. tned 
Chr. .1 li r g e ii s e ii - Kopei fuige in Mit T NMuldmum: im Ie \t 
334 Seiten. Leipzig. I h. Griebe ns \ erlag ll.. Ferna uh 
I *reis 3.(>< i M. 

Die g\ mnastisJieii Lehmigen. welche m Schweden ttnter 
dem Wulm stand der Haid mies < i\ mrasti r, aiMgeabt werden, 
sind ausführlich beschrieben und in ADD. 1 Jur gen ge/e In 
einem zweiten Teile folgt eine Beschreibung der K ra; k!n ;tev. 
bei der.eil diese Lehmigen argew erdet werden. 

Das Buch ist \ oft einem Nuhtar/t ge s JtnebeSl u: J durfte 
sich auch wohl in erster Iame an Nuhtar/te w ei dem 

Ein grosser Mangel des Biuh- s ist. dass de r Ar/t imt der 
physiologischen Bcgiuiulnmg der Lehm.gen ruh* mime»* e;u- 
\ erstände n sein wird. Die Brau Ji’utr keut des BuJes f.r dt! 
praktischen Arzt wird erschwert dmJi d.e Ih,u .* Pur g der 
l’ebtingen; als Beispiele seien nur gen.unj die- F...ge!-hmh- 
streek-trepp-Schr.iubsteheiule-N oi w ai tsdrehuibg <>e.tc 5o» oder 
die St reck-bogen-tief-sjMeiz-knie ste he r de Ruck w m rs/u hang 
(Seite (»7). 

In Deutschland ist. unseres Ei.uhten.s mP Re Jit, an Ste :‘e 
des manue llen W ukrstande s der Gew uhtsw .de rmmui getreten, 
der dem Patienten LebiiLgen au entfachen Apparaten ohne 11 te 
eines Gxmnasten oder .Masseurs ges*.p*<t. 

F. Fange- München-. 

Die Körperpflege der Brau. Ph\s.<.!.«g.cJu m l asthm.s Jk 
D iätetik für das weih'uhe ihsJJJp. Ndeirure K-*rp-r- 
pflege. Kindhut. Reite . He irat, 1 he. >Jiw a: geTsJi.ift. Geburt. 
Wochenbett, W eu Ine i.ihr e m-ii Dr. C. H. S I r a I/. .Mt euer 
Tafel und 7‘> Textabbi! Junge u. \ er’ag \--n Ferd.uand I: r. k t 
in Stuttgart, F>n 7 . Preis M. s . I". 

W ie alle mir bekannten S t r a t / s, \ e:• -fit n*!.chu: ge m 
ein schon misset lull elegant g-haltern s We’k ni.t euer R, .he 
hubscher photograplusc In r Re Produkt - wer mul Nbb.lda: gm:. 
Kurven u. elergl. \ e rf. w m sjtt de p!-\s, -I-^udie t: i d 
ästhetische Plate t-k des Weihes, c!*e’U I S <\ Hule f'p i: d s 

folgend, unter eie lll l'e Ue ll < ie s;. !;u:- •• kt e u : r K a '• du- ■* k oJ-, * 

der I.ehre, sJimi, d. In eu s-u J r\ Vuu. zu \ - % : gmu de • n 
wie \ erf. galant beifügt, s J:-*U /\\ IPn, ru-Ji K Mur m d * ie >t. 
mag. w ie Schon der Name bes..gt. u's e ut \ «r-e Jp d.c c,>?• ,• , .• 

( ieschleclltes betrachte t We rd-u. I r *• r I ;t \ --n ~ ) \h. 

Fildmigeil werden in It K.tr« , ..V. de Po”- c J., a. 

logischen Intel h vg eins Jn M i d'-nr / :■ • •; l.r d,:s g- v f de' 

Leben des Weihes er-pur*. FL s. -• d •, * s h • u ’ w *d d 1’t s i 

der richtigen Korperform. dei 1 hup **• d d r - v r. k -p-h r- 

teilo lind es ist tiatmdiJi, d.-ss f... \ •• c 

riehrige K Ie ivlimg eien l'n. jg , : - r <■,- 

iese iis\\ ert ni Jit ru-r f-, r ] . • V( ,• .. • v ! ■ • k ,e- J- r 

Pinkte muh für die 1 a. 1 . • ■ — • v ; , k.u ' ' v 


UNIVERSITY OF MINNESOTA 






28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1599 


Gattungsleben des Weibes von der Kindheit bis zu den 
Wechseljahren. Die eingehende Darstellung über das richtige 
Verhalten während der Schwangerschaft, der Geburt, des 
Wochenbettes sowie die Darstellung aus dem Gebiete der 
Säuglingspflege dürften dem Buche mit Recht die Beachtung 
in weitem Kreise sichern. Das Werk kann in der Tat als eine 
auf wissenschaftlichen Grundsätzen aufgebaute, die Grenzen 
richtiger Popularisierung medizinischer Kenntnisse streng ein¬ 
haltende Darstellung hygienischer und ästhetischer Lebens¬ 
prinzipien den Fachgenossen und der Laienwelt warm 
empfohlen werden. Dr. Grassmann -München. 

Physikalische Therapie in Einzeldarstellungen, heraus- 
gegeben von Dr. J. Marcuse und Dozent Dr. Strassen 
11. Heft: Rieder: Erkrankungen der Respirationsorgane. 
Stuttgart, F. E n k e, 1908. 124 S. Preis 3 M. 

Die Bedeutung, die der physikalischen Therapie bei Er¬ 
krankungen der Respirationsorgane zukommt, wird wohl heut¬ 
zutage, im Zeitalter der Lungenheilstätten, von niemand mehr 
verkannt. Es braucht daher zur Empfehlung vorliegender Dar¬ 
stellung nichts weiter gesagt werden, als dass sie zu den 
besten der Reihe gehört und knapp, aber erschöpfend alle 
hieher gehörigen Gebiete behandelt, wobei die reiche Erfahrung 
des Verfassers auf jeder Seite zum Abdruck kommt. 

Renner- Augsburg. 

Neueste Journalliteratur. 

Archiv für klinische Chirurgie. 86. Band, 2. Heft. Berlin, 
Hirschwald, 1908. 

9) Bockenheimer: Ueber die Behandlung des Tetanus auf 
Grund experimenteller und klinischer Studien, insbesondere über 
die Attraktion des Tetanustoxins zu llpoiden Substanzen. (Chirurg. 
Universitätsklinik von Bergmann in Berlin.) 

14) Kümmell -Hamburg: Abkürzung des Heilungsverlaufs La- 
parotomierter durch frühzeitiges Aufstehen. 

16) A. Fraenkel: Ueber postoperative Thromboembolie. 

Vorträge auf dem 36. Chirurgenkongress. Referate siehe No. 18 
dieser Wochenschrift. 

10) Petri valsky: Zur H i r sc h sp r u n g sehen Krankheit. 
(Böhmische chirurgische Klinik in Prag.) Mit 2 Textfiguren. 

Die eingehende autoptische und histologische Untersuchung eines 
Falles von Megakolon bei einem 5 jährigen Knaben ergab sehr interes¬ 
sante, für die Kenntnis der Aetiologie des Leidens wichtige Befunde, 
nämlich Hypoplasie des elastischen Gewebes in den Gefässen des 
Mesenteriums in der Darmwand, und Hypoplasie des inter¬ 
stitiellen Bindegewebes der Darmwand; ferner war der Darmtraktus 
im Vergleich zur Körpergrösse um die Hälfte kürzer als normal. Das 
angeborene Megakolon ist also auf einen Entwicklungsfehler des 
ganzen Intestinaltraktus eine histogenetische Anomalie des Mesen¬ 
teriums, besonders seiner Gefässe und der Darmwand, zurückzu¬ 
führen; eine derartig veränderte Darmwand ist nicht im Stande den 
Inhalt in normaler Weise weiter zu befördern; der Darminhalt staut 
sich, der Darm wird dilatiert; zugleich hypertrophieren die Muskeln 
der Darmwand. Ein Ventilanschluss kann sich sekundär am Ueber- 
gange des dilatierten freieren Teiles in den besser fixierten ent¬ 
wickeln, kann aber einmal die primäre Ursache des Megakolon sein. 

Von dieser echten kongenitalen Anomalie muss eine Gruppe von 
Fällen unterschieden werden, bei denen ein Komplex von Symptomen 
dem Megakolon ähnelt, wo es sich aber in der Tat um eine Dila¬ 
tation des Dickdarms infolge verschiedener Ursachen handelt (ab¬ 
norme Länge der Flexur, Schlingenbildung, Anomalien des Meso- 
sigmoideus). Bei diesen Fällen kann sich bei Erwachsenen durch 
irgendwelche Umstände ein Ventilverschluss und damit ein Krank¬ 
heitsbild ähnlich dem Megacolon congenitum herausbilden. Der histo¬ 
logische Befund lässt diese Fälle aber streng vom kongenitalen Mega¬ 
kolon trennen. 

11) Teleky: Zur Therapie der Phosphornekrose. (I. Chirurg. 
Klinik in Wien.) Mit 6 Textfiguren. 

11 Fälle kamen in den letzten Jahren zur Beobachtung; davon 
betrafen 10 Zündholzarbeiter, 1 eine Patientin, die wegen Osteo¬ 
malazie 4 Jahre lang Phosphor intern bekommen hatte. 4 mal war 
das Oberkiefer, 9 mal das Unterkiefer befallen. Bei den Oberkiefer¬ 
nekrosen wurde stets exspektativ verfahren und die Sequesterextrak¬ 
tion nach beendetem Nekrotisierungsprozess vorgenommen; davon 
werden 3 mit gutem funktionellen Resultat geheilt, 1 mit weit fort¬ 
geschrittener Erkrankung ist später ausserhalb der Klinik gestorben. 
Von den Unterkiefernekrosen wurden 4 konservativ mit Sequestro- 
tomie behandelt, bei einem stiess sich der Sequester spontan ab. Alle 
5 wurden geheilt mit gutem kosmetischen Resultat und guter Kno¬ 
chenregeneration entlassen. Bei 4 Fällen wurde die Kieferresektion 
vor beendeter Sequestrierung ausgeführt; die Resultate waren dabei 
viel ungünstiger: starke Entstellung, mangelhafte Knochenregeneration 


und zum Teil Fortschreiten des Prozesses auf die andere Kieferhälfte; 
auch das Einlegen einer Immediatprothese bewährte sich nicht. Die 
Behandlungsdauer wurde ebenfalls durch die Resektion nicht abge¬ 
kürzt. Die Erfahrungen der Wiener Klinik sprechen also durchaus zu 
Gunsten der alten exspektativen Methode. 

12) v. Habe rer: Experimentelle Verlagerung der Nebenniere 
in die Niere. (I. Chirurg. Klinik in Wien.) Mit 2 Tafeln und 2 Text¬ 
figuren. 

Bei früheren Versuchen der freien Transplantation von Neben¬ 
nieren in die Niere (Schmieden u. a.) ist nur eine teilweise Ein¬ 
heilung der Rindensubstanz gelungen, während eine Einheilung der 
Marksubstanz stets fehlschlug; dabei ist nirgends der Beweis er¬ 
bracht worden, dass die transplantierten Nebennieren, auch wenn 
sie eingeheilt waren, funktionierten, v. H. hat die Versuche nun 
wieder aufgenommen mit der Modifikation, dass er die Nebenniere 
nicht vollständig loslöste, sondern sie an einem Gefässstiele hängen 
liess und so in einen durch Keilexzision gebildeten Nierenschlitz ver¬ 
senkte; auf diese Weise gelang die Transplantation funktionierender 
Nebennieren in einem grossen Prozentsatz der Fälle. Im ganzen wur¬ 
den 104 Versuche ausgeführt, mit 54 Erfolgen und 43 Misserfolgen 
bei 7 fraglichen Resultaten. Die Ueberpflanzung wurde teils einseitig, 
teils doppelseitig ausgeführt; endlich wurde durch Exstirpation der 
anderen Nebenniere der Beweis für das Funktionieren des überpflanz¬ 
ten Organs erbracht. Bei zweckmässiger Versuchsanordnung war 
es möglich, Tiere mit einer einzigen in die Niere verpflanzten Neben¬ 
niere dauernd am Leben zu erhalten. 

Eine transplantierte Nebenniere geht vielfach zunächst in aus¬ 
gedehnter Weise zugrunde; von dem überlebenden Rest aus bildet 
sich in relativ kurzer Zeit förmlich ein neues Organ. Bei gelungener 
Transplantation überlebt die Marksubstanz genau in derselben Weise, 
wie die Rindensubstanz; die eine ist für die Funktion der Neben¬ 
niere so wichtig wie die andere. Bei der Regeneration transplan¬ 
tierter Nebennieren vollzieht sich häufig ein völliger Umbau des 
Organs, wobei es vorzüglich zur Bildung adenomartiger Zellverbände 
der Rinde und zu Markverlagerung kommt. Geringe Mengen lebens¬ 
fähiger transplantierter Nebennierensubstanz reichen nicht hin, die 
Versuchstiere am Leben zu erhalten. In jedem Falle von zu grossem 
Ausfall von Nebennierensubstanz kommt es zu einem ganz typischen 
Symptomenkomplex, der mit dem Tode des Versuchstieres endet 
und der als Nebennierenausfall bezeichnet werden muss. 

13) V o e c k 1 e r: Ueber den primären Krebs des Wurmfortsatzes. 
(Chirurg. Abteilung des Magdeburger Krankenhauses Altstadt.) Mit 
1 Textfigur. 

Beschreibung zweier Fälle: der erste, bei einer 27 jährigen Frau, 
kam unter dem Bilde der Appendizitis zur Operation und wurde erst 
bei der mikroskopischen Untersuchung als Karzinom erkannt, wie 
die meisten bisher beschriebenen Fälle der Erkrankung. Im zweiten 
Falle fand sich bei einem 56 jährigen Manne ein palpabler Tumor, 
der als Zoekumkarzinom angesprochen wurde. Bei der Operation 
zeigte sich die Appendix in einen grossen Tumor aufgegangen 
(Gallertkrebs), der mit der Serosa des Zoekum verwachsen war und 
die Zoekalwand in weitem Umfange krebsig infiltriert hatte; dabei 
war die Schleimhaut des Zoekum ganz unverändert. Der Befund 
lässt den Schluss ziehen, dass ein Teil der Zoekumkarzinome von 
Tumoren der Appendix seinen Ausgang nimmt. 

15) C a p e k - Kuttenberg (Böhmen): Eine weitere Modifikation 
der Technik der Kauterium-Darmanastomosen resp. Gastroentero¬ 
stomien. Mit 8 Textfiguren. 

C. bringt einen neuen Vorschlag zu dem alten Problem der 
Anastomosenbildung ohne Oeffnung des Darmlumens. Seine Methode 
besteht darin, dass er die beiden aneinander genähten Darmschenkel 
bis auf die Mukosa inzidiert, also nur Serosa und Muskularis durch- 
trennt, dann die freigelegte Mukosa im Bereiche der gewünschten 
Oeffnung mit einem besonders geformten Glüheisen verschorft, ohne 
sie zu durchtrennen; dann Verschluss der Darmwunde durch vordere 
Muskularis- und Serosanaht. Bei den Tierexperimenten des Verf. 
hatte sich nach 1—2 Tagen eine genügende Kommunikation gebildet. 

17) Hashimoto und So: Ueber Pseudarthrosenbehandlung 
nach Schussverletzungen. Mit 9 Textfiguren. 

Die Verfasser berichten über 7 operativ behandelte Pseud- 
arthrosenfälle mit zum Teil sehr bedeutenden Knochendefekten nach 
Schussverletzungen aus dem russisch-japanischen Kriege. Die Be¬ 
handlung bestand in der Regel in der Transplantation freier Periost- 
Knochenlappen nach M a n g o 1 d t und ergab fast stets gute Resultate. 

H e i n e k e - Leipzig. 

Zentralblatt für Chirurgie. 1908. No. 26—28. 

No. 26. Alfred P e i s e r: Ueber Antifermentbehandlung eitriger 
Prozesse ohne Inzision. 

P. führt einige Beispiele an, in denen er mit Punktionsspritze 
an der Stelle deutlichster Fluktuation aspirierte und nach möglichster 
Entfernung des Eiters Antifermentserum injizierte (einige Kubik¬ 
zentimeter weniger, als die entleerte Eitermenge, um Druck im Ent¬ 
zündungsherd zu vermeiden). Das Serum wurde dann nach einigen 
Minuten wieder herausgesaugt und dann nochmals neues Serum 
injiziert. Als Antifermentserum dienten sehr eiweissreiche mensch¬ 
liche Punktionsflüssigkeiten aus Brust- und Bauchhöhle, die durch 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



MULNCHLNLR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1600 


hakteriensicheres Porzellan resp. Berkcfeklfilter vollkommen keim¬ 
frei gemacht und mittels des Plattenverfahrens von L. M ii 1 1 e r um 
hohen Gehalt an Antiferment geprüft waren. U. a. sah P. einen 
pflaumengrossen Abszess im Gesicht ohne jede Narbe heilen, auch 
bei mehr phlegmonösen Prozessen und tiefliegenden Prusenabszesseu 
mit starker entzündlicher Infiltration sah P. Erfolg und verweist am 
eine spätere Publikation der Palle in den Beitr. z. klm. Chir. 

Kuhn -Kassel: Lungenüberdruck mittels peroraler Intubation 
und kontinuierlicher Luftpressung In dem Intubationsrohre. 

K. empfiehlt zur Erzeugung des notigen Ueberdruckes bei 
Thoraxoperationen sein Intubationsrohr mit Mandrin. Nach der In¬ 
tubation wird dem schlafenden Menschen aus einer genügenden 
Ueberdruckquelle (Bombe von Sauerstoff oder aus einer Luitkom- 
pressionsmaschine) komprimierte Luft zugeführt. Wo die Intubation 
kontraindiziert, führt K. komprimierte Luft höherer Spannung mittels 
Röhrchen in den Nasenrachenraum ein oder verwendet eine weiche 
(mittels Gumminetz federnd gemachte) Maske, die dem Kopf lose 
überliegt. 

A. de Grän w e: lieber die Resektion des Choledochus. 

Mitteilung eines Palles, in dem wegen vermeintlichen Karzinoms 
der Gallenblase und des Zystikus diese und ein Teil des liepatikus 
und Choledochus reseziert und aus letzterem ein grosser Gallen¬ 
stein extrahiert wurde. Lin Prainrohr wurde in den Choledochus 
gelegt und in der Tiefe bis an den Liepatikus geführt resp. daselbst 
mit Lenster versehen und von da ab winklig geknickt nach aussen 
geführt, so dass es die aus dem Liepatikus fliessende Galle nach dem 
Choledochus, wie nach aussen fliessen liess. Pie W unde w urde sorg¬ 
fältig tamponiert, vom 3. Tage ab w urden alle Tage Spülungen durch 
das Drainrohr gemacht. 

No. 27. Carl Helbing: Zur Technik der Gaumcnspalten- 
operatlon. 

H. hat mit der zweizeitig nach J. Wolff ausgefuhrten Lan¬ 
ge n b e c k sehen Methode in 68,4 Pro/., vollkommenen Verschluss 
der Spalte erzielt, die Ablösung der Lappen wurde 4 5 Lage vor 
der eigentlichen Naht vorgenommen, dieselben haben dadurch Zeit, 
sich zu erholen, so dass die Gefahr der Lappennekrose geringer. 
Wo ein Missverhältnis zwischen der grossen Breite des Spalts und 
den schmalen Gaumenüberzügen besteht, ist eine Verschmälerung 
ersterer durch eine Annäherung beider Kieferhälften mittels geeigne¬ 
ter orthodontischer Apparate anzustreben und scheint es nach H. 
und Schröders Vorgehen möglich, schon in relativ wenig Wochen 
beträchtliche Verschmälerung des Oberkiefers zu erzielen. 

Lotheissen: Ein Vorschlag zur Operation tiefsitzender 
Oesophagusdtvertlkel. 

L. empfiehlt, vom Abdomen aus (mit M a r w e d e I scher Auf¬ 
klappung des Rippenbogens) eine Verbindung des Magens mit dem 
Divertikel herzustellen, danach eine Magenfalte rings herum auf/u- 
heben und direkt am Peritoncaliiberzug des Zwerchfells anzunahen, 
so dass die Anastomose völlig überdeckt wird. Zur Anastomose 
empfiehlt L. den Murphyknopf besonders in den Lallen, in denen 
man den Divcrtikelsack nicht gut freibringt, wo die Anastomose 
quasi im Zwerchfell liegt. 

No. 28. Alfr. Peiser: lieber das Panarltium der Melker. 

P. beschreibt eine Art chronisches Panaritium mit (iranulations- 
bildung bei Melkern (teils flächenhaft, teils tiefergehend), bedingt 
durch Eindringen feinster Härchen vom Euter der Kühe. Pie The¬ 
rapie besteht in sorgfältiger Lxkocbleation. 

Karl Ritter: Ein einfaches Mittel gegen Erbrechen beim 
Aetherrausch. 

Nach Erfahrungen an 62 Fällen empfiehlt R. Stauungsbinde am 
Hals (Vs —1 Stunde nach der Narkose getragen) als vorzügliches 
Mittel, Erbrechen zu verhüten; er hält die Wirkung der Stauung für 
eine direkt entgiftende auf das Gehirn. 

A. Na st Kolb: Beitrag zur Frage der Sensibilität der Bauch¬ 
organe. 

NK. hält nach seinen Erfahrungen Parm und Magen für un¬ 
empfindlich, dagegen lost jeder Zug am Mesenterium, am Peritoneum, i 
Bruchsack, Parm und Magen sofort heftige Schmerzen aus. NK. ! 

betont besonders die bezüglich der Sensibilität bestellenden \ er- I 
schiedenheiten ganzer Bevölkerungsklassen und Rassen. Sehr. j 

Zentralblatt für Gynäkologie, No. 28. | 

G. L e o p o 1 d - Dresden: Ueber akute Peritonitis vor und in der , 
Geburt. 

Eine 36 jährige VI. Para kam am Ende der Schwangerschaft 
mit diffuser Peritonitis in die Klinik. Ls bestand objektiv Kolpitis 
granulosa und Albuminurie. Nach Sprengung der Blase eriolgte . 
Spontangeburt eines lebenden Knaben, der nach 4 Stunden starb. : 
Pie Mutter starb IS Stunden post partum. Pie Sektion ergab einige , 
Parametritis, fibrinöse Pleuritis, Sepsis, septische Milz und spitze 
Kondylome. Im Eiter fanden sich nur Streptokokken, keine Gono¬ 
kokken. Trotzdem nimmt L. als wahrscheinliche Ursache der In¬ 
fektion Gonorrhöe an. ! 

H. A 1 b r e c h t - München: Zur Kenntnis der akuten Magen- 

1 ■' "■«' »dt sekundärem Duodenalverschluss. 


No. So. 


A. wendet sich gegen mehrere Punkte m dem g.t :Oma"....v n 
Aufsatz von Lichtcnstein <ui. m dusem Batte. )'*"'. N 21. 
S. 11411. Vor allem behamptt er |..s Ausmht \<ui der 
der Piagnose. da jetzt zahli eiche. gut bes*Ini&Iere I a e m de r 
Literatur vorht gen. ferner memit \. dass L. d.e trage mmh " 
Aetlologie des meseiitetlaleu Piiodetialv t r s. ii.usses umi..pg k■ :* :■ - 
ziert habe. I s sei Malier, dass \nsjntde’ie Mmmtite 
wirken können, um den \ efSvhiuss tmi'ei/u; diien: m two: *.g s t , 
aber das eine, dass das Mcseiitt i hihi par.» ei der W n K vmt \'< de : 
Rklitung nach dem kleinen lacken zu sf.i** c. M'a"nt s., md .bis 
pllodeimm lll seinem Verlaut ubef die V\ irkeviii e /\\:sd;en s . \ 
und diese festklemme, /um >ch!uss er w ab nt V. ermge I: • t t r. d c 

nach seiner Ansicht L. bei dt r entw m k hm^sgesJiu iit ;d::oi Bt g* . 

düng seitler ll \ pothesc unter gt lautt u sind. 

W. R u t h - Riga: Zwei falle urn h\drorrlioea uteri gra\idi ani- 
malis. 

Zwei lalle, eine 2<> talir. V. Para und t nie !i r. I P.ir.i. d.e 
das gemeinsam hatten, dass /nerst Intiri u anü'aKn. dsc t 'k n be¬ 
ginnenden Abort \ er muten ik ss t n P.-ia t > . t • u . v ’ .an \: ...n . 

\ oh | r ik iit w assei. Im erst* n I a e gc uir. K du >;J.0i:k dm l 

gnosf dnuh den N,i Jiu t is \..n W < dd.a.u c t* in der [ ,w t. I: 
du. sein lalle kam es 3 Utge it» r zur • i. ‘u* t. d.is kr! Alte, s'.a: ' 
jedoch bald daraui. Im 2. I a.le svtjb.se m.'i an die M\ 2’ ■- r h.t t 
Abort an. .1 ,t f t e - Hamburg 

Virchows Archiv. IM. P>1, Hot 3 

IM I W. Miller: Mn Fall von metastasierendem (iangllo- 
neurom. tPatlndog. Institut dts h raiikeuLjuses am l o .m in Iw * » 

Pas (ianglioik U»f»m !.tu«l skIi bei einer ]<• Mbr :gt n >e i si" !( .kä * 
retroperitopc.il zwischen VV irbeKune und Imker Sure l'.wt t da¬ 
neben zeigten sich vier L> ihphkuou-ränctuslast n. 

|o» K ii I b s: Beiträge zur Entwicklung des Knochenmarks. < Me 
di/misjie Klinik zu Kiel.) 

Pie l ntersiichungeii wurden an Mumien U'kheai'in \ ins .c: 
gestellt. Ls wurden bestimmt die Menge des Mar ms. s Ci u VV ,tss t r - 
und Lettgehalt lind der Aschei uckstand. I ue Irgetm.ssc s.nd in 1 a- 
beHeil nieder gelegt. 

2oi .1. Kon und Y. Karaki: l eher das Verhalten der Blul- 

gelässe In der Lteruswand. (Patli m g. Institut zu M .ruhen.) 

Aus den l 'ntersuchungsergebmssen seien l-ginde Punkte be r - 
vorgehobeii: >dion im K indes.nter kann mail du'ch VV im her ung der 
I. a n g li a n s sehen ZellsJmJit bedingte Irldü e: dk kimge n der Ar¬ 
terien beobachten. Je hoher das Alter der bctfeVi tuten IVrs*men. 
desto Zahlreicher sind die Veränderungen der l teor.gi bsssc. Im Alter 
von 17 3o Jahren bestellen sie m einer tibr.-sen l::t.ma\e'^ilckung 
der grossen Arterien. Ihe l te ringt lasse nehmen gt gen. .: er den 
übrigen Korperartenen eine >'>mlersH. ung ein. da in i* "en die 
sklerotischen Veränderungen sdi«>n frah.’c.tig mit degeru ratiVen Pro¬ 
zessen der Media \crknnptt sind. Im h b.eren Alter tmdit s:..h lasj 
ausnahmslos Kalkablager ung m der (ietassw and. t ieburten smd em 
prädisponierendes Moment t ir die At! croskler--sc der t ter-j^getasse. 
Pie Apoplexia uteri hangt hauptsadi mh \on den starken V e-.mde- 
r ii ii gen der feineren Arterien und \>-n der Atr-piwe der S^h erm- 
liaut ab. 

21) J. J. S c h i r o k o g o r o f i: Die sklerotische Erkrankung der 
Arterien nach Adrenalininiektlonen. iPatl:- l .g, ivst.t-at zu P.-rpat.» 

Pie evperimentelien l nter stk hungen bringt ri im go.ssen ganzen 
eitle Bestätigung unserer Keimt: is über die Adrenal ngt !ass\ t -r an de- 
rungen. Ausser diesen Prozessen /ernten s; v h andi ri-vh patho¬ 
logische Befunde in anderen < »rgatien : nekrot<s v he Me'de. z ir r '■ •! is v ; c 
Veränderungen der Leber. M\pe f tr<'ph:e des Mer/ens mit B mlc- 
gewebsentw ickelung m der Muskulatur. Z\ sten im »ith: r u ivt- g v - 
einer obliterierenden LnJnr ter utis vier Hangt bisse. S.uii Adren.a ;•■- 
iniektioiien in die Pleurahoh'en erhait man diese-bell V r.irMrintci n 
in Gelassen wie bei Ultras enosen Irin krnmv u. ine sunsubme In- 
iektion sowie die mtr aperitoiieaie haben keine V e:.n;de r ungt :i m dt n 
(ieiasseii zur I'olge. 

22) Hermann M e r k e I: Die H>dronephrosc und ihre Beziehung 
zu akzessorischen Nierengcfässcn. 11’ath«- <-g. Institut zu 1 r angen > 

Merkel präzisiert auf t ir mul st I mit Nfk ; au^en s.. \n- 

scliammg über die Bedeutung \'>n ak zt ss. .r ;s^ hen N ngt b.vs t u j-;r 
die Hydronephfose tlal:inak/essor is c he Niereiki ’■ 's t kon"en iar 
die Lntstehung vier aut Niere mul Nier eul-’t * kt u I t s. • .<> k tt t» M\ 
Ufphrosefornitii wie für das Zustandt k> >mmt n e.r-.t.« :■ ;t k annc: 1 u- 
thmg \'er bjitl denen fals^hui l u tcrimplantatmn \ •’ K a::z ht'\*T- 
ragender Bedeutung sein. Pie weitere Ausluu^g dt' Ms .!•■ rm sv 
dagegen ist von dem w eiteren Bestand oder der R ..r. .:,mg de: ab¬ 
normen (iclasse ganz tmabhang.g. S c li r i d 2 e - 1 u ‘ g. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 2 >. B-r s. 

1) H e u b n e r-Berlin: Hautgangran bei Scharlachrhcumatoid. 

Bei einem Kinde entwickelte s_h tuk h >ciiar adi t :;e m \ r- 
scliw filung und Rötung bestehen m H.intenipti m an \t'S v h !t .‘e-en 
Korperstelleti. welche sich am rtci.tt:: I . t:m •gen zu einer m:r st — 
langsam abheilenden grosseren Maut.a-g'an ausgesta | v *e V :t t .-t 
handelt es sieb um eine \ as.e i jtmesc dt-'s^ 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1601 


2) Uhlenhuth und Xylander -Berlin: Antiformin, ein bak- 
terienauflösendes Desinfektionsmittel. 

Bei Prüfung der desinfizierenden Wirkung des Antiformins (Mi¬ 
schung aus Alkalihypochlorit und Alkalihydrat) wurde zufällig be¬ 
obachtet, dass Bakterien in wässerigen Aufschwemmungen durch 
Antiformin völlig aufgelöst wurden. Tuberkelbazillen und andere 
säurefeste Stäbchen verhielten sich dagegen vollkommen refraktär, 
so dass durch diese Methode tuberkulöses Material von begleiten¬ 
den Bakterien befreit werden kann. Trinkwasser, Abwässer, 
Fäzes etc. können mit Antiformin gut desinfiziert und desodoriert 
werden. Auch echte Toxine und Endotoxine werden durch Anti¬ 
formin zerstört. 

3) L. B r i e g e r und J. Trebing - Berlin: Weitere Unter¬ 
suchungen über die antitryptische Kraft des menschlichen Blutserums, 
insbesondere bei Krebskranken. 

Bei 55 neu untersuchten sicheren Krebskranken wurde wieder 
eine starke Vermehrung der Hemmungskraft des Serums gefunden, 
so dass dieser Feststellung eine diagnostische Bedeutung zukommt. 
Vermehrung der Hemmungskörper bei kranken Personen weist auf 
Kachexie hin. Der Genuss von Pankreatin beeinflusst diese Hem¬ 
mungskörper. 

4) F. Krause -Berlin: Zur Frage der Hirnpunktion. 

Kr. betont, unter Anführung eigener Erlebnisse, die Gefahr der 
durch die N e i s s e r sehen Punktionen möglichen Blutungen, speziell 
bei Angiomen; dann jene der Infektion von Krankheitsherden im 
Schädelinnern aus. Bei der Punktion soll man stets zur sofortigen 
Trepanation gerüstet sein. 

5) B. K o r f f: Beiträge zur Morphium-Skopolamin-Narkose. 

Verf. setzt erneut die Vorteile, Technik und das Verwendungs¬ 
gebiet der von ihm an Hunderten von Fällen ausprobierten und er- 
orobten Narkosenart auseinander. Er empfiehlt, in Tuben sterilisierte 
Lösungen zu den Injektionen zu gebrauchen. 

6) H. E. Schmidt-Berlin: Die Röntgenbehandlung der 
Seborrhoea oleosa. 

Kurze, schwache Bestrahlungen haben nach den Erfahrungen 
des Verf. sehr günstige Erfolge bei diesem Leiden. 

7) L. S i 1 b e r b e r g - Odessa: Ueber die Auffindung der 
Eberth-Gaffkysehen Bazillen in der Zerebrospinalflüssigkeit bei 
Typhus abdominalis. 

Der E b e r t h sehe Bazillus kommt in der Zerebrospinalflüssig¬ 
keit Typhöser, die ihn übrigens nur schwach agglutiniert, ziemlich oft 
vor. Chemisch und physikalisch weicht die typhöse Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit nicht von der des Normalen ab. Durch die teilweise 
Entnahme derselben tritt oft eine günstige Wirkung auf das sub¬ 
jektive Befinden ein. 

8) S. Alexander - Berlin: Seuchen und Rettungswesen. 

Vortrag, gehalten auf dem I. internationalen Kongress für Ret¬ 
tungswesen in Frankfurt a. M. 

9) K. Schroeder: Untersuchungen über die Guajakprobe für 

Blut 

Polemisches gegen J. Rothschild (cf. No. 18 der Berl. klin. 
Wochenschr. 1908). 

Erwiderung. Von O. Schümm- Hamburg-Eppendorf. 

10) A. Hildebrandt -Berlin: Die chirurgische Behandlung 
der Basedow sehen Krankheit. 

Statistik und Referat über die dabei zur Anwendung kommen¬ 
den Grundsätze. Verf. vertritt hauptsächlich die Frühoperation, die 
nach ca. einmonatlicher erfolgloser interner Behandlung anzustreben 
ist. Bei der Operation ist Allgemeinnarkose zu vermeiden. 

Dr. Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. No. 29, 1908. 

1) Bassenge -Berlin: Ueber die Gewinnung von Typhustoxin 
durch Lezithin und dessen immunisierende Wirkung. 

Durch Ausschüttelung von Typhusbazillen in 1 proz. Aufquellung 
von Lezithin, namentlich von altem, konnte Verf. sehr grosse Gift- 
mengen aus ihnen frei machen. Das so gewonnene Toxin zeigte 
beim Meerschweinchen eine aussergewöhnlich hohe immunisatorische 
Wirkung. 

2) Ritter- Edmundsthal: Die spezifische Behandlung der 
Lungentuberkulose. 

Das Ergebnis einer Umfrage bei Tuberkulinbehandelten, ver¬ 
glichen mit einer früheren Umfrage (vor der Tuberkulinbehandlung) 
spricht für Tuberkulin. Erwerbsfähig wurden im I. Stadium (Tur¬ 
ban) 95 Proz. (früher, ohne Tuberkulin, 72 Proz.); im II. Stadium 
82 Proz. (früher 57); im III. Stadium 50 Proz. (früher 22). Verf. 
ist von der günstigen Wirkung — in gewissen Grenzen — über¬ 
zeugt, schätzt dasselbe besonders in Verbindung mit hygienisch-diä¬ 
tetischer Behandlung in geschlossener Heilanstalt. Schädigungen 
lassen sich nach seiner Erfahrung bei einiger Vorsicht sicher ver¬ 
meiden. 

3) Paul Glaessn er- Berlin: Ueber das Marmorekserum. 

Beobachtungen an 10 Fällen mit Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose erweckten den Eindruck einer spezifisch bessernden Wirkung 
bei 8 Fällen. 


4) F. Köhler- Holsterhausen-Werden: Klinische Erfahrungen 
mit Marmoreks Serum an 60 Tuberkulosefällen. 

Die therapeutische Wirkung bei Lungenkranken war so un¬ 
regelmässig, dass K. jedenfalls von einer zuverlässigen Heilwirkung 
nicht sprechen möchte. Der Verdacht einer schädlichen Wirkung 
lag in einigen Fällen nahe. 

5) A. Pinkuss -Berlin: Therapeutische Versuche mit Pan¬ 
kreasfermenten (Trypsin und Amylopsin). 

Bei 14 Krebskranken Hessen vielmonatige subkutane Injektionen 
mit Pankreasfermenten weder eine sichere objektive Besserung noch 
eine Schädigung erkennen. Dagegen wurden 2 Fälle von tuberku¬ 
lösen Eiterungen am Hals, vorher vergeblich lokal behandelt, nach 
Injektion der Fermentpräparate auffallend gebessert. 

6) Pfahl -Bonn: Erfahrungen_tiber Verletzungen durch Blitz 
und Elektrizität. 

Mitteilung von 9 Fällen mit Schädigung durch Blitzschlag bezw. 
elektrische Anlagen. In 5 Fällen wurden Augen Veränderungen 
festgestellt: Zirkulationsstörungen, nervöse Störungen, 1 mal sogar 
Netzhautablösung. Bemerkenswert waren auch funktionelle Nerven¬ 
störungen, die nur einmal sicher hysterischer Natur waren; Verf. rät 
daher zu möglichst frühzeitiger ophthalmologischer Untersuchung. 
Die übrigen Schädigungen (Bewusstlosigkeit, Verbrennungen, Nerven- 
läsion) entsprachen den sonstigen Erfahrungen. Nach reichsver¬ 
sicherungsamtlicher Entscheidung gilt Blitzschlag während eines ver¬ 
sicherten Betriebes im Freien oder geschützten Raum als Betriebs¬ 
unfall, wie Verf. mitteilt. 

7) Alfred P e r s - Kopenhagen: Ueber chirurgische Behandlung 
der Ischias. 

P. empfiehlt Neurolyse, welche zuverlässige Resultate gab: von 
40 Fällen nur 2 Rezidive. Als Indikationen zur Operation nennt 
Verf. Dauer oder Schmerzhaftigkeit und Hartnäckigkeit gegenüber 
der üblichen Behandlung, ferner Invalidität des Kranken. Verf. über¬ 
zeugte sich, dass bei Arthritis deformans coxae mit Ischiassymptomen 
die Ischias beigeordnet (nicht untergeordnet, symptomatisch) sein 
kann und dass in solchen Fällen die Neurolyse die Schmerzen be¬ 
seitigt oder wesentlich lindert. R. Grashey - München. 

Oesterrefchische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 29. F. H a m b u r g e r - Wien: Die pathologische Bedeutung 
der Tuberkulinreaktion. 

Tuberkulöse Tiere reagieren auf Tuberkulin und auf Tuberkel¬ 
bazillenapplikation in ganz analoger Weise und sie sind gegen eine 
zweite Infektion mit geringen Bazillenmengen ganz oder fast ganz 
immun. Daraus ist zu schliessen, dass positive Tuberkulinreaktion 
der Indikator einer gewissen relativen Tuberkuloseimmunität gegen 
kleine Dosen ist. Sie ist der Ausdruck der allergischen Reaktion, die 
bei grossen Bazillenmengen als Ueberempfindlichkeit erscheint 
(Bails Versuch). Immunität und Ueberempfindlichkeit (Anaphylaxie) 
bezeichnen verschiedene Endeffekte der allergischen Reaktion. Da¬ 
nach lässt sich für den Menschen annehmen, dass das schon ein¬ 
mal tuberkulös infizierte Individuum gegen eine neue Infektion mit 
den meist geringen Bazillenmengen immun ist. Alle Menschen sind 
zur Tuberkulose disponiert, die meisten erkranken daran in der Kind¬ 
heit (Tuberkulose eine „Kinderkrankheit“), bei der grossen Mehrzahl 
erfolgt eine Ausheilung mit einer gewissen Immunität, die sich in der 
Tuberkulinallergie, d. h. in der Reaktionsfähigkeit auf Tuberkulin aus¬ 
spricht. Bezüglich der weiteren Schlussfolgerungen, die zu einer 
Empfehlung der aktiven Tuberkuloseimmunisierung im frühen Kindes¬ 
alter führen, ist auf das Original zu verweisen. 

D. Pospischill - Wien: Ueber Diphtherietherapie. Versuche 
einer Behandlung der schwersten Fälle mit Adrenalin-Kochsalzinjek¬ 
tionen. 

Schluss folgt. 

W. L. Y a k i m o f f - Petersburg: Der Einfluss des Atoxyls auf 
die weissen Blutkörperchen. 

Y. berichtet zunächst über gewisse Formveränderungen an 
Dourinetrypanosomen im Blut nach Atoxylinjektionen. Diesen Form¬ 
veränderungen folgt regelmässig ein völliges Schwinden der Parasiten 
aus dem Blut. Weitere Blutuntersuchungen an verschiedenen Tier¬ 
arten nach Injektionen von therapeutischen Dosen bei gesunden Tieren 
ergeben als wichtigstes Resultat eine nach 2—5 Stunden ihr Maximum 
erreichende Leukozytose; die verschiedenen Formen der weissen 
Blutkörperchen waren dabei je nach der Tierart verschieden be¬ 
teiligt. Inwieweit die Leukozytose mit dem Schwinden der Trypano¬ 
somen in Beziehung steht, ist noch nicht entschieden. 

A. Hintz-Wien: Ueber Jodarsentherapie und klinische Erfah¬ 
rungen über Arsojodin. 

Nach den Erfahrungen der Finger sehen Klinik findet das Mittel 
in der Syphilistherapie sehr zweckmässige Verwendung. Die Dar¬ 
reichung in Pillenform gestattet eine sehr genaue Dosierung. Dabei 
sind weder von Seiten des Jods noch des Arsens üble Nebenwirkungen 
auch bei hohen Dosen zu befürchten. Speziell das Arsen lässt sich 
unbedenklich selbst in höheren Dosen als im Atoxyl reichen. 

E. Weil und W. S t r a u s s - Prag: Ueber die Rolle der Anti¬ 
körper bei der Tuberku'inreaktion. 


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1602 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. JO. 


Zusammenfassung: Es Kclinvrt bei Verwendung von Tuberkulin 
als Antigen im Blute von Tuberkulosen einwandfrei spezifische Anti¬ 
körper nachzuweisen. Diese sind aber nicht im stände, die Reaktions¬ 
fähigkeit für Tuberkulin aufzuheben, da die Antikörper gewöhnlich 
bei Individuen auftreten. die auf Tuberkulin stark reagieren. Die 
Tuberkulinempfindliclikeit auf diese Antikörper zuriickzuinhren, be¬ 
gegnet grossen Schwierigkeiten, man kann höchstens sagen, dass 
diese Antikörper vorhanden sind, weil Ueberempfindliclikeit besteht, 
nicht aber dass die Ueberempfindliclikeit durch die Antikörper ver¬ 
anlasst ist. Die Erklärung der Tuberkulinw irkuug ist zurzeit noch 
nicht angängig, weder im Sinne Wassermanns noch Wollt- 
E i s n e r s. 

E. Wiener: Entgegnung auf Dr. A. Neumanns Mitteilung 
über die Ultrateilchen des Blutplasmas. 

W. bestreitet auf Grund neuerer Versuche die von Neumann 
angenommene Bettnatur der Hämokonien; bei der Extraktion mit 
Aether bleibt immer ein mehr oder weniger grosser Teil derselben 
ungelöst. Auch den Zusammenhang der Zahl der Hämokonien mit 
dem Fettgehalt der Nahrung hat W. nicht bestätigt gefunden. 

B e r g e a t - Manchen. 

Englische Literatur. 

A. Reyn und R. Kjer-Petcrsen: Beobachtungen über die 
Opsonine bei Lupus vulgaris. (Lancet, 2s. März und 4. April l‘ms.) 

Die Arbeit stammt aus dem Binseiiiiistitut in Kopenhagen. Die 
Verf. suchten durch ihre Versuche iestzustelleu. oh es (wie W right 
behauptet) möglich sei, durch Tuberkulintherapie mit steter Kontrolle 
des opsonischen Index bei Lupöscn eine deutliche Hcilw irkung zu 
erzielen. Die Verfasser stellen zuerst fest, dass es bisher noch un¬ 
bewiesen ist, ob die Phagozytose in jedem l'alle schädlich für 
die „gefressenen" Bakterien ist; ferner stellt nicht fest, dass phago¬ 
zytische Versuche in vitro durchaus der Phagozytose im lebenden 
Organismus entsprechen. Die Versuche erstreckten sich über (> Mo¬ 
nate; die Zählungen wurden so vorgenommen, dass der l’iitersucher 
nicht wusste, ob er bei gesunden oder kranken Personen zählte; dies 
ist wichtig, um den grossen Einfluss der Autosuggestion aus/uschalten. 
Berner gingen die Verfasser genauer w ie W r i g li t vor. indem sie 
als Normalserum stets das Serum von b gesunden Personen nahmen, 
in jedem KM) Leukozyten zählten und die bei den OKI gezahlten Bak¬ 
terien durch 6 dividierten. Sic untersuchten den tuherkiiloopsoni- 
schen Index bei dH gesunden Personen (>7d mal und sie verglichen 
die von ihnen gefundenen Zahlen mit den von Bull och bei <ie- 
sunden gefundenen. Da nun Bull och und andere Ontersucher bei 
ihren Beobachtungen den Durchschnitt und die grösste Differenz als 
Massstab für die Oenauigkeit benutzt haben, das „(leset/ des Irrtums" 
aber in keiner Weise berücksichtigt haben, so stimmen die Zahlen der 
beiden Verfasser, die nach dem (lesetze des Irrtums arbeiteten, nicht 
mit denen der englischen Beobachter überein. Ein Vergleich der hei 
Gesunden und bei 4<>H Opsoninbestimrmmgen bei Luposen gefundenen 
Zahlen ergibt, dass die Verfasser keinen nennenswerten Unterschied 
im opsonischen Index gesunder und lupöser Personen finden konnten. 
Dies stösst natürlich die ganze W r i g h t sehe Opsonmlehre über 
den Haufen, deren Hauptpunkt doch der ist, dass das Serum tuber¬ 
kulöser Kranker eine spezifische Wirkung hat, die bei lokalisierter 
Tuberkulose den opsonischen Index erniedrigt. Die Verfasser halten 
es für durchaus unbewiesen, dass eine solche Spezifität des Serums 
besteht. Was nun die negative Phase anlangt, so lasst sich darüber 
nicht, wie W right das behauptet, eine feste Regel umstellen, son¬ 
dern manchmal sind nach den Einspritzungen die Indizes hoher als 
zuvor, manchmal tritt aber auch eine Erniedrigung, also eine negative 
Phase ein; jedenfalls ist dieses Verhalten im Ein/elfalle so unbe¬ 
stimmt, dass sich darauf keinerlei Fingerzeige für die Behandlung 
(frühere oder spätere Wiederholung der Ttiberkulininiektion) um¬ 
stellen lassen. Die Verfasser verlangen bei Vornahme dieser Unter¬ 
suchungen die Beobachtung folgender Regeln: 1. der Zahler darf 
nicht wissen, wessen Leukozyten er zählt; 2. in allen Fällen ist die¬ 
selbe Anzahl von Leukozyten zu zählen; T man muss zur Bestimmung 
des Index als Normalserum stets das gemischte Serum von f» ge¬ 
sunden Personen benutzen, von dem mindestens (>«hi Letiknzx teil 
gezählt wurden; 4. die Indizes sind bis zu 2 Dezimalstellen zu be¬ 
rechnen; 5. man darf nur dann Schlüsse auf das Steigen oder Lallen 
des Index ziehen, wenn vor der Impfung der Index täglich lnr 1 bis 
2 Wochen bestimmt wurde; 6. alle Schlüsse dürfen nur aus einem 
grossen Material und mit Berücksichtigung des Gesetzes des Irrtums 
gezogen werden; 7. von jedem Baktcrientypus ist eine genaue opsoni¬ 
sche Immunitätskurve als Beispiel auizustellcn. Bisher fiat jeder 
Forscher mehr oder weniger nach verschiedenen Grundsätzen ge¬ 
arbeitet und die gefundenen Werte eignen sich absolut nicht zum 
Vergleiche. Soweit die Verfasser aber aus ihren eigenen Unter¬ 
suchungen urteilen können, kann man dem Arzte bisher nicht emp¬ 
fehlen. die umständliche und kostspielige ()psomnhestimimmg bei 
ihren Kranken vornehmen zu lassen. W right und seine Schiller 
bestimmen die Opsonine auch nicht täglich bei jedem Kranken und 
''.eben dadurch stillschweigend zu, dass man mit Tuberkulin he- 
"Lin kann ohne Kontrolle des opsonischen Index. Der zweite 
'•■r Arbeit ist klinischer Natur und gibt genau die Erfolge, die 


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die Verfasser mit der Tuberkulmbeh.indlung bei 1 uposeii mit lind 
ohne gleichzeitige Anwendung des I insenhclitts hatun. chroni¬ 

schen Kranken, die längere Zeit mit I uberkuim «genau muh 
W rights Vorschriften! ohne Lichtbehandlung behandelt wurden, 
blich der Lupus hei einem statu mar. bei den 5 anderen nahm er 
wahrend der Behandlung rasch an Ausdehnung zu; bei 2 weiteren 
frischen lallen wurde dasselbe schlechte Resii'tat erzielt; Besse¬ 
rung oder gar Heilung winde m keinem l abe gesellen. In 2 \*‘ii den 
d frischen lallen Schien der Lupus wahrend der Be handlang u"ge- 
Wohnlich rasch um sicfi zu grellen. Bei 4 Kranken wurde die Lickt- 
hestrahlung mit der Tuber k iiimb«. handlang kombiniert und aruh in 
diesen I allen liess sich ein günstiger Lrbdg der 1 »her kuhubehaudluug 
nicht nachweisc-n. «Die Arbeit macht durchaus den 1 rruluick einer 
sehr sorgfältigen. kritischen Mudie und sollte \ <>n a.len. die suh ti.r 
Opsonine interessieren, um Original studiert werden. Rei > 

L. No on und A. Heining: I)lc (ienauigkeit der opsonischen 
Bestimmungen, «l ancet. 2T April I* s ) 

Die Verfasser versuchen m dieser Arbeit die Arbeit \on Rex n 
und K i e r - P e t e r s e n zu widerlegen. >ie haben ge tim de n. dass 
ehe opsonischen Indizes tuberkulöser Patienten d 4 mal So stark 
variier eit als die von Noimalsereti. Die Arbeit muss im Original 
gelesen werden. 

W. Hunter: Die Entstehung und Verhütung der Spätxergif* 
tungen durch Chloroform. «Lancet. 4. April l'A'V> 

Verfasser glaubt, dass akute gelle Leberatropjue und die unter 
ähnlichen M mptnmeff aultretemb n >pat\e: gittimge rr durch Chloro¬ 
form auf Storungen der Lebflunktiou durch. Nnaiivn d.s ictt- 
metabohsmns beruhen. Das libredieii muh der Nark se ist iiuht 
nervösen Ursprungs, sondern ist t ■x.imisc her Natur; die l.ebe?- 
funktion ist gestört und kann daher keine antitoxisbhe Wirkung mehr 
atj-sriben. Besonders tritt das ein. w t nn eine sjn.n \orher durch 
Kianklieit oder mangelhafte Irn.ihrutig geschwächte I dar bsh 
weiter dadurdi geschwächt wird, dass man dem Kumten t'.r siebe 
Stunden \or der Nai kose ai!e Nahrung entzieht. Manche lat- \n 
spater Chloroformx ergiftung sind \\ohi hierauf zm-u k/uf-.hfen und es 
empfiehlt sich ileshaib. 2 4 Stur:den \or ehr Narkose- ilen Kranken 

ein leicht verdauliches. \ iel Kohlehx drate enthaltendes Mahl zu ge'-en 

Times Miller: Der tubcrkulo*opsonische Index des Scbmcisscs 
und Lrines. (Ibidem.) 

Yeti. hat bei Gesunden und bei Tuberkulosen \ ersuche ance- 
stellt, um eien tuberkulo-opsomschtn Index de s l ans und eie s 
Schw eisses zu bestimmen. Ir hat elabei gtlundeu. d.iss bc.de I x- 
krete antibakterielle oder baktenotropisc he Substanzen enthalten. 
Der Urin tuberkulöser Kranker zeigt im « iegeus.it/ zum l nn ge¬ 
sunder Personen einen niedrigeren opsonischen Index a : s das B ut 
derselben Person; ferner ist der opsonische Index des l rms tuber¬ 
kulöser Personen meist niedriger als der des Urins gesunder I Vf* 
soin-n. 

C. Higgens: Die sogenannte rheumatische Iritis, «lancet. 
25. April l'M'V! 

Verfasser glaubt, elass eine grosse Anzahl der I a'le \ ■ n s. geil, 
rheumatischer Iritis auf «iomxf rh< c zur ik k/ui ih r eti sind. Must lug! 
die gonorrhoische Infektion längere Zut zur -u k. durchaus r.uht immer 
war dieselbe mit g< uior r h< us v lu m Rheumat-smus kompliziert gewesen. 
Es handelt sich um schwere Iritis, die Pupide zeigt gowe Neigung 
zur Kontraktur. MxJnatika wirken nur wenig um! werden < rt n.dit 
vertragen. Meist kommt es rusdi zu Adhasiom n. I Be Krankheit findet 
sich fast nur bei Männern. Die Behandlung ist sehr Schwierig 
Heisse Umschläge mul Blutegel wirken muh arn hestiu K'-kain uml 
ihm ähnliche >ubstanzen. sowie Adrenam sind kontr.iindi oed 
Aspirin wirkt schmerzlindernd. Unecksi'Kr. 7. B. eine Bihar.dltmg 
in Aachen, ist oft von grosse rn Nutzen. Mx.bia'iku d.-irteu nur mit 
grösster Vorsicht angewandt werden, da sie <-lt reizen und den 
Druck erhöhen. 

Br. .1. Smith: Der Inffticn/aha/illus al« Ursache tödlicher Endo* 
karditis nach H Jahren. (Ibidem.) 

Genaue Beschreibung einer interessante n Krallte r/esd:ic!:!e. ihr 
Patient starb an einer Schweren, elurdi den I? ’l.u nz.iKi/i, Ins lu rxor- 
genifeiien Lrulokarditis. \erf. glaubt. i'.iss dieser Bazillus ebenso 
wie der T\phusba/ilhis \ ude Jahre hing rm Körper latent LV’ben 
kann und dass er /. B. in diexim La e e'st s Ld 'e li.uti uber- 
standeiier Influenza ehe Endokarditis her vorru i. 

L. H. lag ge: Zur Pathologie und Therapie der Hernien des 
Kindesalters. «Lancet. 2. Mai l'*»s.) 

Verf. empfiehlt warm die rative Be hau !'>mg. da die Baiul- 
heliniullung m eien ärmeren Lammen nicht dum hge fuhrt werden kann 
und auch keine wirklichem Hei.ungeif gilt. L' n:ad:t die eiifbidie 
Abtragung eles Briidisackes ohne Ba'-Mfu i ir-d fiat damit <de ts gute 
I »allerer'folge erzielt. 

R. I . W i 1 I i a m s o rt: Der Beginn der multiplen Sklerose mit 
Sehstörungcn. (Ibidem.) 

! s ist unter den praktischen Aer/ten wenig bekannt, dass mul¬ 
tiple Sklerose mit Sehstorrmgen «mit oder ohne ( V:;humlr• d n > als 
erstem S\mptorn be ginnen kamt. VtM.nvir Kschrm't dt ’adrge 
lalle. Meist han»le : t es suh um eir'seif-gt; oder d 1 -P'U ‘se-z-ge >di- 
storuugeti mit zentralem >kohm in i- .iubn I n: h r” g ist die 
temporale Hälfte eler Ihipi .e au”a 'eud b'ass M*. -s; f : m.o- ■ n 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 





28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1603 


Babinsky sehen Plantarreflex; die Handschrift ist zitterig, selbst 
wenn gröberes Zittern fehlt; die Kranken sind stets unter 40 Jahren 
alt. In manchen Füllen bessert sich nach einiger Zeit das Seh¬ 
vermögen wieder beträchtlich; in anderen Fällen bleibt die Seh¬ 
schärfe wenigstens sehr lange stationär. 

J. Porter'Parkinson: Die Verabreichung antitoxischer Seren 
vom Rektum aus. (Ibidem.) 

Seit 6 Jahren hat Verf. diese Methode geübt. Es ist unnötig, ein 
Reinigungsklystier zu geben. Das Serum wird durch einen Jacques¬ 
katheter No. 6 mit einer Qlasspritze eingespritzt. Die Erfolge sind 
ebenso gut, wie bei der subkutanen Einverleibung; dabei fehlen alle 
Nebenerscheinungen. 

Dawson Turner: Elektrolyse bei Tic douloureux und Spinal¬ 
sklerose. (Ibid.) 

Verf. empfiehlt bei Tic douloureux das Salizyl oder Chininion 
durch den konstanten Strom unter die Haut zu bringen und er be¬ 
schreibt Fälle, bei denen schwere Tics geheilt wurden. Bei sog. 
spastischer Spinalparalyse verwendet er das Chloridion und be¬ 
hauptet, damit sowie mit dem Jodion sehr gute Erfolge erzielt zu 
haben. 

Lord Lister: Die Behandlung veralteter Patellarbrüche. (Brit. 
Med. Journ., 11. April 1908.) 

Der Altmeister der Chirurgie beschreibt eine Methode der Naht 
veralteter Kniescheibenbrüche, bei denen es nicht gelingt, die Frag¬ 
mente sofort so zusammen zu bringen, dass sich ihre Flächen berühren. 
Bei der ersten Operation legt er die Fragmente bloss, drillt zwei 
Löcher durch jedes derselben und legt zwei starke Nähte hindurch. 
Es gelingt dann, die Fragmente etwas einander zu nähern, die Drähte 
üben während der nächsten Wochen, in denen der Patient sein Bein 
bewegen und herumgehen kann, einen dauernden Zug auf den ver¬ 
kürzten Quadrizeps aus, so dass bei einer zweiten Operation die 
direkte Vereinigung der angefrischten Fragmente ohne Mühe erfolgt. 

R. Hutchinson: Die rationelle Behandlung der funktionellen 
Dyspepsie. (Ibid.) 

Bei übermässiger Sekretion gibt man eine Diät, in der Milch, 
Eier, Fisch und Fleisch die Hauptrolle spielen, während die stärke¬ 
haltigen Nahrungsmittel stark eingeschränkt werden. Ausserdem 
gebe man Bromsalze und Natr. bicarbonicum, letzteres 2 Stunden j 
nach der Mahlzeit. Bei Sekretionsmangel kann man alles essen 
lassen, nur muss es in leicht verdaulicher Form gereicht werden. 
Als Medikament gebe man die Bittermittel mit kleinen Mengen 
Natr. bicarb. vor dem Essen; nach dem Essen gebe man grosse Dosen 
von Salzsäure, Pepsin ist wertlos. Bei Pylorospasmus gebe man 
Milch und Stärke, vor dem Essen Opium; heisse Umschläge auf den 
Magen sind von grossem Nutzen. Bei Hyperästhesie ist vor allem 
Wismut von Nutzen, daneben aber auch Bromsalze und die lokale 
Anwendung der Wärme. 

Chalmers Watson: Der klinische Wert der Pankreasreaktion 
bei 250 Fällen. (Ibid.) 

Verf. kann die von Mayo Robson und Cammidge gemach¬ 
ten Beobachtungen nur bestätigen; auch er hat gefunden, dass eine 
deutliche Beziehung besteht zwischen der pankreatischen Reaktion 
ira Urin und Pankreaserkrankungen. Nur fand Verf. häufiger wie 
Cammidge ein positives Resultat in verschiedenen Kontrollfällen. 
Verf. fand die pankreatische Reaktion 1. in Fällen von akuten und 
chronischen Pankreasentzündungen (meist in Verbindung mit Gallen- 
wegsaffektionen); 2. in gewissen Fällen von ausgesprochener Arterio¬ 
sklerose. bei denen meist Sklerosen verschiedener Drüsen vorhanden 
waren: 3. bei Schwellungen und Katarrhen der Drüsengänge und der 
Drüsensubstanz (bei schweren Herzleiden, Appendizitis, Malaria etc.). 
Verf. glaubt, dass die Reaktion entschieden berufen ist, eine grosse 
Rolle in der Diagnostik der Pankreaserkrankungen zu spielen. 

E. C. Hort: Der therapeutische Wert der Normalseren. (Ibid.) 

Verf. glaubt bewiesen zu haben, dass die Ulzeration und Ge¬ 
webszerstörung, die bei vielen Krankheiten vorhanden ist, darauf be¬ 
ruht. dass dem Serum des Kranken die Stoffe fehlen, die normaler¬ 
weise die Autolvse und Selbstverdauung der Gewebe hindern. Es 
gelingt nun. diese Zerstörungsprozesse aufzuheben, wenn man dem 
kranken lokal und intern ein Normalserum beibringt, das reich an 
solchen Antikörpern ist. Verf. behandelte mit lokalen Serumappli¬ 
kationen variköse Beingeschwiire und es gelang auch in ganz ver¬ 
alteten. vernachlässigten Fällen durch Serumumschläge in wenigen 
Wochen Heilung zu erzielen; ebenso wurden durch Umschläge rasch 
geheilt ekzematöse Fissuren, Analfissuren und Dekubitalgeschwüre. 
Bei zerfallenen Krebsknoten war keine deutliche Wirkung zu sehen. 
Durch Serumverabreichung vom Munde aus wurden Fälle von Ulcus 
ventriculi et duodeni, Fälle von tuberkulöser Hämoptoe und Fälle 
von tuberkulösem Ekzem behandelt und zwar meist mit raschem Er¬ 
folge. Bei pustulösem Ekzem und bei Pyorrhoea alveolaris wurde 
gleichzeitig Staphylokokkenvakzine per os gegeben. Verf. glaubt, 
dass man Tuberkulin und andere Vakzine ebenso gut per os wie 
subkutan geben kann. 

Sir James Barr: Ueber Bronchitis und Emphysem. (Brit. Med. 
Journal, 18. April 1908.) 

Es ist zu bedauern, dass dieser Autor es für geschmackvoll 
Mit. seine Arbeiten mit allerlei übertriebenen Redensarten zu ver¬ 
unzieren. So will er den Erfinder des Bronchitiskessels gehängt 


sehen, jeder Arzt, der ihn anwendet, soll 10 Jahre Zuchthaus er¬ 
halten. Als eingefleischter Engländer hält er natürlich alles, was 
englisch ist für weitaus „superior“ und stellt dementsprechend die 
törichte Behauptung auf, dass Schweizerreisen im Winter zwar die 
Neigung zu Bronchitis herabsetzen, dass aber die Heimreise in den 
„schmutzigen, überhitzten und schlecht ventilierten kontinentalen 
Eisenbahnen“ äusserst gefährlich sei und Anlass zu neuen Erkältungen 
gebe. Wer viel in Mitteleuropa und in England gereist ist, wird nicht 
zweifeln, dass der Schmutz in England eher grösser ist, als auf dem 
Kontinent, und die Ventilation ist eigentlich in allen Eisenbahnwagen 
schlecht. Verf. glaubt, dass Bronchitis, Asthma und Emphysem in 
vielen Fällen auf Autointoxikation vom Magendarmkanal (Magen¬ 
erweiterung) aus beruht und dass die Prophylaxe deshalb stets den 
Magendarmkanal zu berücksichtigen hat. Alle Kranke, die Neigung 
zu Bronchitis haben, sollten dem Alkohol völlig entsagen. Er legt 
ferner Gewicht auf die Untersuchung des Blutes auf seinen Kalkgehalt. 
Bei reichlicher Expektoration wird man gewöhnlich Verminderung der 
Kalksalze finden, man gebe dann Milch und Gelatine. Bei zähem 
Auswurf und Rhonchis sonoris findet man meist starke Vermehrung 
der Kalksalze und muss Milch und Gelatine vermeiden. Der Stuhl 
muss mit Kalomel und Natriumsulfat geregelt werden. Bei Bronchial¬ 
spasmus und zähem Auswurf gebe man Natr. und Kalium citricum, 
um das Blut kalkärmer zu machen; im entgegengesetzten Falle Cal¬ 
cium lacticum. Bei Bronchialspasmus sind die Nitrite und die Jod¬ 
salze am Platz. Bei Emphysem ist es vor allem wichtig, den Kranken 
so mässig als möglich zu ernähren, vor allem sind die Fette und 
Kohlehydrate zu beschränken. Salz ist zu vermeiden. Heisses 
Wasser, Früchte und grüne Gemüse sind empfehlenswert. 

Archibald Cuff: Ueber primäre Pneumokokkenperitonitis. 
(Ibid.) 

Akute lokalisierte oder diffuse Peritonitis kann das einzige 
Zeichen einer Pneumokokkeninfektion sein: derartige Fälle sind nicht 
allzuselten und sie bilden sicherlich einen grossen Prozentsatz der 
Fälle von Peritonitis, bei denen bei der Operation oder Sektion keine 
Verletzung oder Erkrankung eines Abdominalviskus gefunden wird. 
Differentialdiagnostisch ist zu beachten der rasche Beginn ohne vor¬ 
hergegangene Abdominalbeschwerden: die begleitende Diarrhöe und 
die frühzeitig einsetzende Toxämie. Sekundär können andere Organe 
an Pneumokokkeninfektion erkranken. Die Prognose ist sehr 
schlecht. 

Martin Plack: Rektaltemperaturen nach Muskelanstrengungen. 

(Ibid.) 

Verf. stellte an den Studenten des London Hospital nach sport¬ 
lichen Kraftanstrengungen (Fussball und Wettlauf) Messungen an, die 
ergaben, dass die Temperatur stets erhöht ist. In einem Falle (nach 
einem Wettlauf von 3 engl. Meilen) betrug die Rektaltemperatur 
105° F. Nach 24 Stunden betrug die Temperatur dieses Athleten 
100° F. Eine genaue (auch bakteriologische) Untersuchung ergab 
keinerlei Krankheitszeichen; auch ist der Mann später völlig gesund 
geblieben. 

T. Harrison Butler: Die C a 1 m e 11 e sehe Ophthalmoreaktion. 

(Ibid.) 

Verf., ein Augenarzt, benutzt die Reaktion in allen zweifelhaften 
Fällen. Er betrachtet sie aber nur als diagnostisches Hilfsmittel, nicht 
als sicheren Führer. Er hält sie für unsicherer als die Tuberkulin¬ 
injektion und stellt sie auf eine Stufe mit der W i d a 1 sehen Typhus¬ 
reaktion. 

(Schluss folgt.) 

Spanische Literatur. 

Gömez O c a n a: Beitrag zum Studium der Funktion der Lo- 
buli optici bei den Fischen. (R. Acad. de Medic. de Madrid. 9. Mai 
1908. Rev. de Med. y Cir. Präct., 21. Juni 1908.) 

Dass die Lobuli optici der Fische nicht nur Beziehungen zu den 
Gesichtseindrücken haben, sondern dass sie auch die Koordination 
der Bewegungen und das Körpergleichgewicht beeinflussen, steht 
schon lange fest. O c a n a verfügt über einen Tierversuch, der dies be¬ 
sonders klar zeigt. Er brachte einem Fisch (Ciprinus aureatus) eine 
leichte Verletzung auf der oberen Fläche des linken Lobulus opticus 
bei; bei der 8 Tage später vorgenommenen Autopsie fand sich dort 
ein kleiner hämorrhagischer Herd, der nicht stark komprimierend 
wirken konnte, da die Schädelhöhle offen blieb; Kleinhirn und rechter 
Lobulus waren vollkommen intakt. Das Tier zeigte die 8 Tage hin¬ 
durch stets die gleichen Svmptome: Dilatation der Pupille. Vortrei¬ 
bung des rechten Auges, Zwangsbewegungen. Neigung des Körpers 
nach rechts und Tendenz, nach dieser Seite zu fallen: dabei keine 
motorische oder sensible Störung. Die Pupillenerweiterung dürfte 
bei der kleinen Verletzung nicht auf Blindheit zu beziehen, sondern 
als Reflexwirkung aufzufassen sein und so die Ansicht von Cajal. 
van Gehuchte n, Pawlow über die Kreuzung der absteigenden 
Optikusbahn bestätigen. Ebenso ist die Vortreibung der Augen auf¬ 
zufassen. Die Zwangsbewegungen etc. wären vielleicht durch Blind¬ 
heit zu erklären; aber dem entspricht nicht, dass sie stets nach der 
entgegengesetzten Seite erfolgen; sie können auch nicht durch eine 
Verletzung des linken Pcdur.culus cerebri erklärt werden, weil diese 
stets eire motorische Lähmung im Gefolge hat. O c a fi a erklärt die 
Zwangsbewegungen und die Neigung des Körpers als Koordinations- 


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1604 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


Störung, indem die gesetze Verletzung eine dauernde Störung in 
den Beziehungen zwischen optischer und Labyrinthbahn bewirkt 
hat. Die Lobuli optici würden damit bei den Fischen die Funk¬ 
tion ausüben, welchen bei den Säugetieren die Corpora auadri- 
gemina vorstehen, indem sie die optischen und „labyrinthischen“ 
Wege mit den motorischen Kernen des Auges, Kopfes und Rumpfes 
verbinden. 

N. Serra flach und M. Pares: Neue Ergebnisse der 
Physiologie der Prostata und der Hoden. (Qac. med. Catalana. 
30. April 1908.) 

Exstirpiert man einem Hund die Prostata, so kommt es zu einer 
Sistierung der Sekretion aller Sexualdrüsen und zu einer Atrophie 
der Hoden. Verfüttert man gleich nach der Exstirpation Glyzerin¬ 
extrakt von Prostata, so bleiben all diese Erscheinungen aus. Es ist 
daraus zu schliessen, dass die Prostata eine Drüse mit innerer Se¬ 
kretion ist, deren Wirkung hauptsächlich auf die Spermatogenese 
geht; dies geht auch daraus hervor, dass, wenn man die Vasa defe- 
rentia eines normalen Hundes an der Epididymis abschneidet und da¬ 
rauf intravenös 15 ccm Glyzerinextrakt von Prostata injiziert, nach 
4—5 Minuten an der Schnittfläche Hodensekret erscheint, was nicht 
der Fall ist. wenn keine Injektion erfolgt; dieses Phänomen kann man 
sogar noch ein halbes Jahr nach der Durchschneidung herbeiführen. 
Die nach der Exstirpation der Prostata auftretende Aspermie ist je¬ 
doch nicht dauernd, vielmehr tritt nach kürzerer oder längerer Zeit 
wieder die normale Sekretion auf, offenbar deshalb, weil es unmög¬ 
lich ist, die Prostata völlig auszurotten, und weil von den Resten 
aus die Drüse (innerhalb 7—12 Monaten) sich regeneriert. Das 
Prostataextrakt des Hundes wirkt auch auf Hoden und Samenbläschen 
der Menschen im Sinne einer rascheren Ejakulation. — Die Injektion 
von 15 ccm Hodenextrakt des Hundes (intravenös) bewirkt eine Ver¬ 
mehrung der Kaoazität der Blase und der Kontraktilität des Blasen¬ 
halses und der Urethra membranosa; auch beim Manne erzielt man 
damit Besserung, ja Heilung der Blaseninkontinenz, bei der Frau 
niemals. Hodenextrakt vom Stier wirkt beim Hunde nicht, wohl aber 
solcher vom Hahn. Hodenextrakt vom Hund bewirkt beim Menschen 
Hypersekretion der Prostata sowie der C o o p e r sehen und L i 11 r e- 
schen Drüsen. 

M. G. de Segovia: Eine Trichinosenepidemle. (El Siglo 
Medico, 4. April 1908.) 

Segovia beschreibt eine Trichinosenepidemie, die in mehr¬ 
facher Hinsicht Interesse bietet. Es erkrankten im ganzen 16 Per¬ 
sonen: 9 leicht, 7 schwer. Die ersteren hatten das Schweinefleisch 
gekocht gegessen; das Fieber blieb bei ihnen unter 38°. die übrigen 
Symptome (Gastroenteritis, Oedeme, schmerzhafte Kontrakturen. 
Herzerscheinungen) waren wenig ausgesprochen, und die Genesung 
erfolgte nach 10—17 Tagen. Die 7 schwer Erkrankten hatten frisch¬ 
bereitete rohe Wurst gegessen; sie erkrankten nach 48 Stunden mit 
Magendarmerscheinungen, die jedoch erst am 5.-7. Tage so heftig 
wurden, dass ärztliche Hilfe nötig wurde. Es entwickelte sich das 
Bild einer schweren toxischen Gastroenteritis mit unregelmässigem 
Fieber von 38—41 °, mit Oedemen. Kontrakturen, Dyspnoe. Nachdem 
etwa alle 8 Tage lang das gleiche Bild geboten hatten, ging bei 4 unter 
allmählichem Absinken aller Symptome die Krankheit in langsame 
Genesung über (binnen 8—12 Wochen), während die drei übrigen 
unter Steigerung der Krankheitserscheinungen am 21. bezw. 28. und 
30. Tage zu Grunde gingen. Bemerkenswert ist, dass die 3 Ge¬ 
storbenen teils schwere Krankheiten hinter sich hatten, teils schwäch¬ 
lich waren, während die 4 geheilten robuste Menschen waren; be¬ 
merkenswert auch, dass die 3 gestorbenen die einzigen waren, die 
nicht beim Beginn der Behandlung eine Kosoinfusion und dann Rizi¬ 
nusöl erhalten hatten. Als nicht gewöhnliche Symptome hat Verf. 
bei allen 16 Kranken eine auffallend aschgraue Farbe der Fäzes, sowie 
intensives Hautjucken beobachtet. 

R. Horno A 1 c o r t a: Günstige Beeinflussung eines hartnäcki- 
schen Falles von Hämoptyse durch AmyJnitrltlnhalation. (Clinica y 
Laboratorio. Ref.: Rev. de Med. y Cir. Präct.. 7. Mai 1908.) 

Kasuistische Mitteilung, durch die Ueberschrift genügend ge¬ 
kennzeichnet. 

J. Megias: Ueber Ophthalmoreaktion. (El Siglo Medico, 
13. u. 20. Juni 1908.) 

Die Arbeit baut ihre Schlüsse auf einem Material von 120 Fällen 
auf. Verf. hält die Reaktion für ein ausgezeichnetes diagnostisches 
Hilfsmittel, das geeignet ist. zweifelhafte Fälle zu entscheiden. Ein 
unangenehmer Zufall. Verschlimmerung eines Fleckens auf der Horn¬ 
haut. trat nur einmal auf: die Reaktion verschwand hier nach 2 bis 
3 Wochen. Die gewöhnliche Reaktion dauerte 2—7, meist nur 3 Tage. 
Auch die Fälle Megias’ zeigen aber, dass die Reaktion nicht un¬ 
bedingt zuverlässig ist. und dass man gelegentlich ein positives Re¬ 
sultat auch in Fällen erhält, wo eine Tuberkulose auf keine sonstige 
Weise nachzuweisen ist. 

M. Var gas und R. Moragas: Die Oohthalmoreaktlon bei 
Kindern. (La Medicina de los Ninos, April 1908.) 

Bericht über 7 Fälle, 6 von sicherer Tuberkulose mit aus¬ 
gesprochener Reaktion; bei dem 7. bestand Verdacht auf Tuber¬ 
kulose bei einem Pulmonalklappenfehler, und hier war die Reaktion 
negativ. Das Abklingen der Reaktion fanden die Verfasser als lang¬ 
samer erfolgend als gewöhnlich angegeben wird (3—8 Tage). 

M. Var gas: Die Barlowsche Krankheit. (La Medicina de 
los ninos No. 1, 2, 4, 5, 1908.) 


Zusammenfassende Darstellung im Anschluss an die Vorstellung 
eines Falles, hauptsächlich der zahlreichen Literaturangaben wegen 
hier erwähnt. 

M. Var gas: Akute Quecksilbervergiftung bei einem Brust¬ 
kind Infolge einer Quecksilberkur der Mutter. (La Medicina de los 
Ninos, April 1908.) 

In dem seltenen Fall handelte es sich um ein 8 monatliches Kind, 
dessen Mutter wegen luetischer Iritis mit Injektionen von Oleum 
cinereum behandelt wurde. Das Kind erbrach, weinte beständig, 
hatte Tenesmen und schleimig-blutige Durchfälle, und war rapid ab¬ 
gemagert. Nach dem Abstillen trat rasch Besserung und Heilung 
ein. In der Milch der Mutter liess sich das Quecksilber nachweisen. 

N. R. Abaytua: Das Versagen der Gastroenterostomie als 
Radikalheilmittel der Pylorusstenose bei Magensaftfluss. (Rev. de 
Med. y Cir. Präct., 28. April und 7. Mai 1908.) 

In einem lesenswerten Aufsatz weist Verf. an der Hand der 
Literatur nach, dass die Gastroenterostomie bei den spastischen 
Pylorusstenosen der Patienten mit Magensaftfluss durchaus nicht 
immer Dauerheilung bringt, so dass Vorsicht in der Voraussage, 
auch bei glattem Verlauf der Operation selbst, stets am Platze ist. 

Y a g ii e: Rückfall eines Magengeschwürs nach Gastroentero¬ 
stomie. (Acad. Med.-Quirurg. Espafiola, 9. März 1908, Rev. de Med. 
y Cir. Präct.. 21. Juni 1908.) 

Y a g ü e berichtet über einen Fall, in dem einige Jahre nach der 
Gastroenterostomie von neuem ein typisches Ulcus sich zeigte. In 
der Diskussion, in der von Arredondo ein ähnlicher Fall berichtet 
wurde, war man — auch auf chirurgischer Seite — einstimmig der 
Ansicht, dass ein nicht durch Pylorusstenose kompliziertes Geschwür 
unter keinen Umständen eine Gastroenterostomie erfordert. 

P. Vilanova: Röntgenbehandlung des Krebses. (Rev. de 
Cienc. Med. de Barcelona, No. 3. 1908.) 

Vilanova berichtet über 6 Fälle von Gesichtsepitheliom, die 
mit Röntgenstrahlen behandelt wurden. Die zur Abheilung nötige 
Strahlenmenge betrug 14—36 H. Die Heilung war in 5 Fällen definitiv, 
in 1 kam nach wenigen Monaten ein Rezidiv. 

J. Perez Ortiz: Behandlung der tuberkulösen Halsdrüsen. 
(Rev. de Med. y Cir. Präct.. 7. April 1908.) 

Ortiz vergleicht die verschiedenen, für die Behandlung der 
tuberkulösen Halsdrüsenaffektionen vorgeschlagenen Methoden 'an 
dem umfangreichen Material von 358 Fällen. Lediglich tonisierend. 
unter Zuhilfenahme von Kakodvlinjektionen. wurden 12 Kranke be¬ 
handelt, ohne Erfolg. Mit Injektionen von Jodoformäther in die 
erkrankten Drüsen (54 Fälle) wurde keine Heilung. 6 Besserungen. 
48mal kein Erfolg erzielt; durch Injektion von Naphtholkampher 
(64 Fälle) 15 Heilungen, 9 Besserungen, 40 mal kein Erfolg; man 
braucht in günstigen Fällen dazu 3—4 Injektionen, die aber 10 bis 
15 Tage auseinander liegen sollen. 1 proz. Chlorzink (2—6 Tropfen 
in Zwischenräumen von 8 Tagen) wurde in 27 Fällen injiziert: 2 Hei¬ 
lungen, keine Besserung, 25 erfolglose Fälle. Diesen Methoden gegen¬ 
über schneiden die rein chirurgischen glänzend ab, indem sie alle 
100 Proz. Heilung erzielten: Die Inzision mit Eiterentleerung in 37, 
die Auskratzung in 72, und die Exstirpation in J?2 Fällen. 

J. Ribera y Sans: Die Blldungsanomalien des Anus und Rek¬ 
tums und Ihre Behandlung. (Rev. de Med. y Präct., 14.. 21.. 28. Mai 
1908.) 

Verf. teilt diese Bildungsanomalien in 4 Abteilungen: 

1. Fälle, in denen sich der Defekt über das Rektum hinaus 
auf einen mehr oder minder grossen Teil des Kolons erstreckt: hier 
bleibt nichts übrig als die Anlegung eines rechtsseitigen künstlichen 
Afters. Verf. sah 2 Fälle, von denen einer kurz nach der Operation 
an Entkräftung starb, der andere aber Monate hindurch am Leben 
blieb (wurde dann der Beobachtung entzogen). 

2. Fälle, wo ein Rektum vorhanden ist. aber geschlossen endet, 
sei es, dass dabei ein analer Blindschlauch existiert oder nicht. Hier 
kommen therapeutisch die Bildung eines natürlichen Anus und die Bil¬ 
dung eines Anus praeternaturalis am Orte der Wahl in Frage. Letzteres 
wird wohl häufiger gemacht, zumal die Technik relativ einfach ist. 
bietet aber so viele sofortige und spätere Gefahren, dass, wo die 
Zeit nicht zu sehr drängt, die andere Operation versucht werden sollte. 
Von 7 Fällen hat Verf. 2 mit Anlegung des künstlichen Afters be¬ 
handelt (1 am 4. Lebenstage, t 4 Tage später, 1 am 5. Lebenstage, 
Schicksal unbekannt), 5 mit Anlegung eines natürlichen Afters (1 am 
10 Tage, t 10 Tage später, 4 am 2.-4. Tage, alle geheilt). 

3. Fälle, wo das Rektum nicht blind endet, sondern in den Genital- 
traktus. bezw. bei Knaben in Blase oder Urethra mündet. Letztere 
Fälle sind sehr selten und prognostisch die ungünstigsten, da der 
Stuhlabfluss doch sehr erschwert ist. Verf. sah einen Fall, in dem 
das Rektum in die Blase mündete: das Kind, bei dem am 8. Tage 
ein natürlicher After angelegt wurde, starb. Dagegen sah Verf. 
7 Mädchen, bei denen das Rektum in die Vagina (3) oder Vulva (4) 
mündete; alle winden geheilt, trotzdem .lie Operation erst nach 
1—13 Monaten vorgenommen wurde. 

4. Fälle mit angeborener Enge des Rektums, von denen Verf. 
einen Fall sah und operierte. 

Die durch Bilder erläuterten chirurgischen Einzelheiten sind im 
Original nachzulesen. 

.1. R i b e r a v S a n s: Ueber Hydatidenzvsten. (El Siglo Medico. 
16. Mai 1908.) 

Sans berichtet über 117 von ihm beobachtete Fälle, 60 Männer. 
57 Frauen. Das jüngste Individuum zählte 3. das älteste 79 Jahre. 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1605 


Der Lokalisation nach betrafen 21 halle äussere Körperstellen, 
5 die Brusthöhle (2 Lunge, 3 Pleura), 77 die Leber, 14 die anderen 
Bauchorgane (4 Milz, 1 Pankreas, 3 Nieren. 6 Peritoneum). Von den 
77 Leberzysten waren 64 intrahepatisch, 13 extrahepatisch (unter 
letztem eine total verkalkte). Multipel waren 2 Nieren- und fast alle 
Peritonealzysten; von den Leberzysten waren 7 multipel, 1 alveolar, 
die übrigen Einzelzysten. Es folgen Bemerkungen über die Dia¬ 
gnostik und Therapie der Zysten, die hier nicht ausführlich wieder¬ 
gegeben wenden können. Von den 21 äusseren Zysten wurden 11 
inzidiert und drainiert, 10 exstirpiert — ein Todesfall. Bei den 
Pleurazysten ist Pleurotomie mit Rippenresektion vorzunehmen: 

2 operierte Fälle genasen, ebenso die 2 Fälle von Lungenechinokokkus. 
Von den 4 Milzzysten wurde bei 3 die Marsupialisation und bei 1 
die partielle Extraktion der Zyste nebst einem kleinen Stück der 
Milz vorgenommen; wo man eine totale Splenektomie vermeiden 
kann, soll man es tun. Von den 4 Operierten genasen 3. Von den 

3 Nierenechinokokken wurden 2 durch Marsupialisation und 1 durch 
Nephrektomie geheilt . Die Einzelheiten bez. Behandlung der Leber¬ 
zysten können hier ebenfalls nicht wiedergegeben werden. 

P. Lizcano: Ueber die operative Menopause. (El Sigk) 
M6dico. 6. Juni 1908.) 

Verf. hat im ganzen 18 Totalexstirnationen des Uterus samt 
Adnexen vorgenommen, mit 2 Todesfällen; alle 16 geheilten Fälle 
traten damit in die Menopause, aber nur 3 davon hatten Beschwerden 
(Kopfschmerz, Hitzegefühl, Schweisse). Die Entfernung der Adnexe 
unter Erhaltung des Uterus wurde in 9 Fällen vorgenommen, mit 
1 Todesfall). Von den 8 Ueberlebenden behielten 2 ihre Menses, 5 
traten ohne und nur 1 Fall mit Beschwerden in die Menopause. Von 
24 nach der Operation geheilten hatten also nur 4 = 16.6 Proz. 
Menopausebeschwerden. 

Font de Boter: Indikationen für die Pinzette bei Intra- 
laryngealen Tumoren. (Rev. Barcelon. de enfermddades de oido 
etc. Januar—März 1908.) 

Während für benigne Tumoren die intralaryngeale Entfernung 
gang und gäbe ist, werden zur Entfernung maligner Geschwülste 
meist eingreifendere Operationen vorgenommen. In der Tat eignen 
sich aber auch solche hie und da für den intralaryngealen Eingriff, 
wenn sie nicht sehr blutreich und von sehr schnellem Wachstum 
sind; jedenfalls erreicht man mit der intralaryngealen Entfernung ein 
sofortiges Schwinden der Dyspnoe, und in manchen Fällen sogar 
definitive Heilung. Zum Belege bringt Verf. 2 Fälle, in deren einem 
ein beginnendes Epitheliom des Stimmbandes intralaryngeal entfernt 
wurde, während in einem zweiten mächtige lupöse Wucherungen 
ohne Tracheotomie in befriedigender Weise verkleinert werden 
konnten. 

J. Llavador: Ueber Wutbekämpfung im Infetltut Alphons XIII. 
zu Madrid. (Bol. del Institut de Sueroterapia etc. Ref. von A. de 
T o r r e s, El Siglo Möd., 7. Juni 1908.) 

Im Jahre 1907 wurden im Seruminstitut Alphons XIII. 466 ge¬ 
bissene Individuen behandelt, davon 321, die von wutverdächtigen, 
und 145 die von sicher wutkranken Tieren gebissen worden waren 
(von letztem 136 mal die Diagnose durch Inokulation. 9 mal durch die 
Autopsie gesichert). Von den Behandelten ist soweit bekannt wurde, 
bei keinem die Krankheit zum Ausbruch gekommen, auch nicht bei 
9 Individuen, die erst einen Monat nach dem Biss in Behandlung 
kamen. Im ganzen wurden 13048 Injektionen vorgenonrmen. ohne 
dass irgend eine Komplikation entstand. Der Biss rührte her in 
7 Fällen vom Mensch, in 411 vom Hund, in 32 von der Katze, in 6 
vom Esel, in 3 vom Stier, in je 2 von Maultieren und Ziegenbock, in 
3 von anderen Tieren. 

S t o k v i s - Lüttich: Ueber den gerichtlich-medizinischen 
Wert der Barberloschen Krystalle. (Gac. med. del Sur de 

Espana. 5. und 20. April 1908.) 

Stokvis beschäftigt sich auf Grundlage der Literatur (17 
Angaben) und eigener Untersuchungen mit der praktischen Brauch¬ 
barkeit der von B a r b e r i o (Rend. della R. Acc. delle Scienze di 
Napoli 1905, No. 4) angegebenen Methode des Nachweises mensch¬ 
lichen Spermas. Man erhält die Reaktion mit Spermaflecken, auch 
wenn sie mehrere Jahre alt sind, oder wenn sie der Einwirkung der 
Hitze oder chemischer Reagentien unterworfen waren. Man erhält 
sie beim Menschen kaum mit irgend etwas anderem als mit Sperma: 
Verf. konnte sie nur noch mit blennorrhagischem Eiter erzielen. Die 
Krystalle sind für menschliches Sperma keineswegs spezifisch, viel¬ 
mehr gibt auch Sperma von Tieren, spez. von Pferden und Stieren, 
die Reaktion. Ganz ähnliche Krystalle geben ferner noch bei der 
Reaktion Pflanzensäfte. Alkaloide und verschiedene organische Sub¬ 
stanzen. Der Stoff, der die Reaktion bewirkt, scheint das Spermin 
zu sein. Alles in allem ist der Wert der Reaktion nicht zu über¬ 
schätzen, und sie bietet als Orientierungsreaktion keine Vorteile vor 
der von FI o r e n c e. M. K a u f m a n n - Mannheim. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Kiel. März—Juni 1908. 

Bauer Albert; Beitrag zur Multiplizität primärer* Karzinome. 
Burk Arnold: Untersuchungen über Bakterien der Koligruppe. 
Küsters Wilhelm: Erfahrungen über Stauungshyperämie durch 
Saugung bei Mastitis. 

Kuhlencordt Friedrich: Zur Kenntnis der Röteln. 
Bachmann Felix: Zur Kasuistik der postoperativen Parotitis. 


Mühlenhardt Rudolf: Zu.* Kasuistik der spastischen Pylorus¬ 
stenose im Säuglingsalter. 

H e i n e c k e Walther: Untersuchungen über die Ophthalmoreaktion 
bei Tuberkulose. 

Seedorf Ernst: Ueber Knochenplastik nach Exstirpation eines 
Knochensarkoms. 

Bergeat Eugen: Ueber Thoraxresektion bei grossen veralteten 
Emphysemen. (Aus: Beitr. z. klin. Chir., Bd. 57.) 

Struve Heinrich: Zur Kasuistik der Chorea chronica progressiva 
(Huntington sehe, degenerative Chorea). 

Babbe Paul: Ein Fall von Wandermilz, geheilt durch Splenopexie. 

Stoevesandt Karl: Erfahrungen bei der bakteriologischen Unter¬ 
suchung meningitisverdächtigen Materials. (Aus: Zentralbl. f. 
Bakteriol., Abt. 1, Bd. 46.) 

Salomo n Carl: Ein Beitrag zur Statistik der Pubiotomie. 

Goos Hermann: Ueber die nicht paralytischen Geistesstörungen bei 
Tabes dorsalis. 

Nordmann Constantin: Ein Fall von Leberruptur. 

Valentin Erwin: Die Fälle Von Eklampsie an der K. Frauen¬ 
klinik zu Kiel vom Jahre 1900—1906. 

Meyer Ernst: Ueber einen Fall von Stirnhirnabszess. 

Salomon Ernst: Zur Unterscheidung der Streptokokken durch 
kohlehydrathaltige Nährböden. 

Universität Königsberg. Februar—Juni 1908. 

Arnoldt Moritz: Ueber eine Vergiftung mit Kautabaksaft. 

Pesch ti es Kurt: Ueber spontane und traumatische Luxationen des 
Hüftgelenks im Kindesalter. 

Pingel Hans: Ein Symptomkomplex von zwei Formen der Er¬ 
innerungsfälschungen und von Gedankenlautwerden. 

Rehberg Theodor: Darminvagination durch Askariden. 

Schubert Paul: Die Folgen von Hydramnios für die fötalen Organe. 

Wolff Ewald: Ueber Lungenkomplikationen nach operativen Ein¬ 
griffen mit einem statistischen Beitrag aus der Kgl. Chirurg. 
Klinik zu Königsberg. 

Zander Paul: Beitrag zur Behandlung der akuten Herzinsuffizienz 
mittels intravenöser Injektion von Strophanthin-Böhringer. 

Universität Würzburg. März—Juli 1908. 

Allmann Franz: Elastische Atrophie der Aortenklappen und Gc- 
hirnarterien. 

Clingestein Otto: Zur Symptomatologie der Ponserkrankungen. 

Diem Franz: Beiträge zur Entwicklung der Schweissdrüsen an der 
behaarten Haut der Säugetiere. 

Dietz Adolf: Weitere Beiträge zur Frage der sekundären kon¬ 
zentrischen Hyperostose am Schädel. 

v. Dyminski Sigmund: Ueber Störungen im Hersagen geläufiger 
Reihen bei einem aphasischen Kranken. 

Fuhr Alfred: Zur Kasuistik der Lymphangiome der Parotis. 

Hatzfeld August: Beitrag zur desinfizierenden Wirkung der Ben¬ 
zoesäure und Salizylsäure. 

Kärcher Max: Orientierende Versuche über die Giftigkeit des 
Paranitranilins. 

Knoop August: Studien über das Wesen der Paranitranilinvergif¬ 
tung mit besonderer Berücksichtigung des Blutes. 

Kochiyama Masaichi: Histologische Untersuchungen über die Hei¬ 
lung von Trepanationswunden an Kaninchenschädeln. 

Kühl es Jakob: Untersuchungen über den Uebergang von Nikotin 
aus Zigarren und Zigaretten in den Rauch, nebst einigen Ver¬ 
suchen über die Absorption von Nikotin aus dem Tabakrauch 
durch den Menschen. 

Levi Abraham: Zyste des postanalen Darmes mit ausgedehnter 
krebsiger Entartung. 

Maurer Franz: Ueber die klinische Verwendbarkeit der neuen 
Blutdruckbestimmungsmethode von H. v. Recklinghausen. 

Meyer Hermann: Zur Frage der sekundären konzentrischen Hyper¬ 
ostose der Schädeldachknochen bei Volumenabnahme des 
Hirns. 

Mizokuchi Kiroku: Ueber die Plemorphie des Basalzellen¬ 
karzinoms. 

Nussbaum Oskar: Ein Fall von Prolapsus uteri incompleta bei 
einem neugeborenen Kinde mit Spina bifida. 

Quadflieg Leonhard: Studien über die Wirkung der Einatmung 
von Dämpfen von Azetylentetrachlorid, nebst Versuchen über die 
Verdunstungsgeschwindigkeit von Azetylentetrachlorid, Tetra¬ 
chlorkohlenstoff, Schwefelkohlenstoff und Chloroform. 

Raab Alfred: Ueber „Huntington sehe Chorea“. 

Roethler Gustav: Ein Fall von nufltipler neurotischer Haut¬ 
gangrän. 

Schütze Harrie: Beiträge zur Kenntnis der thermophilen Aktino- 
myzeten und ihrer Sporenbildung. 

Schulte Heinrich: Ueber die Beziehungen der genuinen Optikus¬ 
atrophie zur progressiven Paralyse. 

Steiner Adam: Ueber diffuse Sarkomatose des Rückenmarks. 

Sturm Joseph: Zur Giftigkeit des Tropföls in Dampf- und Spray¬ 
form. 

Ulmer Curt: Zur Symptomatologie der Chorea chronica hereditaria. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1606 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .*1 


Vaillant Erwin: lieber das Vorkommen des Ependymitis granu- 
laris bei Geisteskrankheiten. 

Wunderlich Hans: Das Verhalten des Rückenmarkes bei reflek¬ 
torischer Pupillenstarre. 

Zirkel Konrad: Beiträge zur Komplikation von Schwangerschaft 
und Tuberkulose. 

Im nachstehenden werden die nicht m edi z inischcn Dis¬ 
sertationen des letzten Universitütsjahrcs, soweit sic für den Me¬ 
diziner Wissenswertes behandeln, zusammengestellt. 

L c i p z i g. 

Eischer Max: Strafbare Körperverletzung und ärztlicher Eingriff. 
Klusemann Max: Das Recht des Menschen an seinem Körper. 
Rose 11 Degenhard: Die Haftung des Ehemannes für die Krankheits¬ 
und Kurkosten seiner Ehefrau unter der Verxvaltlmgsgeinein- 
schaft des Bürgerlichen Gesetzbuches. 

Weber Konrad: Die Zwangserziehung Minderjähriger in Deutsch¬ 
land, dargestellt an dem preussischen „Gesetz über die Bursnrge- 
erziehung Minderjähriger vom 2. Juli löiiir, nebst einem Ueher- 
blick über die Regelung der Zwangserziehung in einigen aussei 4 - 
deutschen Staaten. 

Berliner Bernhard: Der Anstieg der reinen Darbenerrcguug im 
Sehorgan. 

Bode Rudolf: Die Zeitschwellen für Stimmgabeltöue mittlerer und 
leiser Intensität. 

Feuereissen William: Beiträge zur Kenntnis der pathologischen 
Pigmentierungen in den Organen der Schlachttiere. 

Ei sch er Karl: Beiträge zur Lehre von der Identität der vom Men¬ 
schen und vom Rinde stammenden Tuberkelbazillen. 

Eoth Ernst: Untersuchungen über einen im Jahre 1 ( >H5 in der Um¬ 
gebung von Leipzig beobachteten Ausbruch von Schafpocken. 
Plath Max: Ein Beitrag zur Frage der Verbreitung und Bekämpfung 
der Rindertuberkulose. 

Kretzschmar Eritz: Das Gruben- und Abfuhrsystem der Stadt 
Chemnitz mit besonderer Berücksichtigung der landwirtschaft¬ 
lichen Interessen. 

Eroehncr Reinhard: Zur Morphologie und Anatomie der Hals- 
anhängc beim Menschen und bei den Ungulaten. 

Keil Richard: Spaltbildungen an Tieraugen, deren Entstehung und 
Bedeutung bei den landwirtschaftlichen Haustieren. 

Marburg. 

Westenberger Joannes: Galeni qui fertur de qualitatibus in 
corporibus iibellus. 

M ii n c h e n. 

Schweninger Eritz: Studien zur Haushaltungsstatistik nach den 
Ergebnissen der Volkszählungen der Jahrhundertwende. 

Bi sc ho ff Ernst: Die Bedingungen der psychischen Energie. 

Münster. 

Langer Oskar: Die Kindersterblichkeit der Jahre 19<i2 <M in Düs¬ 
seldorf in den Stadtbezirken und sozialen Bevolkerungsgruppen. 
Kr o patscheck Gerhardus: De amuletorum apud antiquos usu 
capita duo. 

Rostoc k. 

Salinger Ernst: Die rechtliche Stellung der unehelichen Mutter 
nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. 

Winkler Paul: Die Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes. Nach 
gemeinem Recht und Bürgerlichen Gesetzbuch. 

S t r a s s b u r g. 

Kulew Theodor: Das Problem der Willensfreiheit und die Grund¬ 
begriffe des Strafrechts. 

W ii r z b u r g. 

Schul tze Otto: Einige Hauptgesichtspunkte der Beschreibung in 
der Elementarpsychologie. I. Erscheinungen und Gedanken. 

Eritz L o e b - München. 

Vereins- und Kongressberichte. 

17. Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft 

zu Heidelberg am 6. und 7. Juni 1908. 

(Schluss.) 

11. Herren Yosh II -Tokio und S I e b en m a n n - Basel: De¬ 
monstration von experimentellen akustischen Schädigungen des Ge¬ 
hörorgans. 

Die mikroskopischen Präparate, welche vermittels des Pro¬ 
jektionsapparates projiziert werden, stammen von Meerschweinchen, 
welche der Einwirkung von 1. verschieden hohen Pieifeiitonen, 
2. einer Blechtromrnel, 3. Detonationen ausgesetzt worden sind. Die 
Veränderungen durch Pfeifentöne betreffen sowohl das Cor tische 
f >rgan als die zugehörigen Ganglien und Nerven; sie finden sich in 
r Schnecke um so tiefer, je hoher der Ton ist. Pie Sirene mit 


einem 'I onumfang von i * bis f* schädigt die ganze Schnecke. tir.J 
zwar sclnm muh kurzer Anwendung. Du ci:«iigui \ et ander tmge n 
werden durch Schüsse her Vörgcr nii n: ein einziger >chuss not e:: er 
Kinderpisp >!e und /: i n vl K a I 1. unmittelbar ;im (dir a^ge ge den. ka:;;'i 
das Cor tische < »rg.in ze r trammer n. den Nerven x.nkos dei--r- 
mieren, und die < iang.ienzeüen zum > Jir umpu n brm*en: a»uh dy r 
Vestibulär apparat wnd bei dem letzteren I \ ;h n:m:il .« terurt. 

Diskussion; Herren Marx. > c h e i I» e. S u I' c n m a n u. 
H e g e n er. Kur n er. > i e b e n m a n n. Denker, k miiu r. 

12. Hei ren Siebenmann B.ivl und V o s h I i - 1 - k.. Prä¬ 
parate von zirkumskripter Eah> rlnthitis. 

13. Herr Ferdinand Alt -Wien: Demonstration mikroskopischer 
Präparate von Lah\ rlntheiterungen und deren Ausgängen nach Me¬ 
ningitis cerebrospinalis epidemica. 

M. Her r M ■ r x - Heidelberg : Schädigungen des Ohrlah> rinths 
durch Strahlenwirkung. 

Nach emstmuliger. einmaliger R a d i u m b e *» t r a h i u n g Ji s 
() h r I a b \ r i n t h s \ o u | a ii b e n treten mu h einer I .i!i'i/;nt \. m 
ö M'ui.tteil l.abx i mthsx mpn .me auf. Die ftnkio>k..p ; s w fie l r. t e: - 
suchung ergab, dass ehysedu n durch e:ue I > e g e n e r a t i < • n des 
S l n n e s e p i t Ii e I s d e I M a c u I a e und L r i s | a c a c ii s t : v a e 
xerursaclit wurden. Sonstige \ e : ander ungut sind Muht nadaua' a r . 
Vclkullt therapeutisch bei \ e st ii‘ii, a t stm im».eu \ er w er Tb.i r " Bel 
M e e r s c h w e i n c h e n taiul sk Ii bei I k st r ab.img de r sJüiukc e ; e 
De g e rt e r a t i o n des C «» r t i vm n Organ e s. ausser de’tt t :-c 
Knochen- und Bmdegew ebsw u Jierung an der >Jmccke r.spit/c. i..e 
jedoch auf mechariisc he >c h.ibigtmg zur ik kgel.di: t wird. 

Versuche mit R o n t g e n s t r a Ii I e n. die m.vh ndit abge¬ 
schlossen sind, halten Ins jetzt kein eindeutiges Resu'ta!. 

15. Herr Erich Rultln-Mun: Zur Frage der Fktasic des 
Ductus cochlcaris. 

H». Herr F. R. Nager -Base!: Demonstration über Bildung von 
Labyrinthsequester bei Mlttelohrkar/inom. 1 1 'r-ne knläd ier I u- 

nue replatteii.) 

Bei einem IVmlir. Patienten aus einer sjixvcr he Liste te n f au.e 
hatte sich auf dem Boden einer in de r Jugend <•: miüiii Mt:». - 
ohmierung mit Cholesteatom ein 1 *,atteue p.'.he kre hs gebildet. I r< :/ 

mehrfacher opeiatixer Imgriiic erl iste vier 1 vtus naGi 1" M>- 

nateti. Histologisch landen mJi eme Re die x-n I u b: tu huu . .e n i; ; 
Yoihofc. mul /war an den I immmdmuen der Bogengänge. In dt r 
Schnecke big eine ausgedehnte l abx riml.it s chr<mua : ' r.-mi et « ss.- 
ficans vor. die nicht tur karzm-m spe/msch ist. sondern aut e - e 
iiberstaudeiie l.ab\ riiitheiitznndimg Schu.ssi.ti bisst. t d.esc s v 1 . n 
in vier Jugeinl oder etst unter dem mdiieklcn 1 : i;ss dvs k.r.;m ns 

entstanden ist. lasst sich niciit sicher etitsmu i b n. Wenn muh de i 
Sequester Modi nuht Xoilhonmicn abge st-*r| v ii ist der B ;t K v i;.«.t 
mul die E'arbl*ai keit der /eiioe me nie ist re'atix gut . so bv\u,M 
doch diese Beobachtung, dass atuh das .Mitte.o},. karzun-m ,. v ; 
wie die 'I überkul«»sc oder das Cholesteatom zur > e a u e s t r i e - 

rillig des 1. a b x r i ri t Ii s Partien oder in t ■ t <» l .min kann. Die 

Literatur kannte bisher keine identischen IW ob.u htw:v*.:ett, 

17. Herr Ii. F r c y -Wien: Demonstration mikroskopischer Prä¬ 
parate über die Missbildung des Gehörorgans bei Anenzephalie. 

I*. Herr D e n k e r - I i hingen : Demonstration eines von F d e I- 
m a n n angefertigten Modelles für den Mechanismus der Gehör- 
knöchelchenkette. 

l‘L Herr V o s s - I ranktnrt a M : Klinische Beobachtungen über 
nichteitrige Labyrinthent/ündungcn im N erlaufe akuter und chroni¬ 
scher M Ittelohr elterungen. 

Nach einem liistm isc hvn R:u kb.uk auf die I raze vier Linu 'nag 
der im Verlaute \ <*n Mitteiolri iterungvn auttr v tv ndvn l.abx nt;:'-v ut- 
/uiuluugeri m solche eitriger und uu iitv it r igv r Natur beruhtet Vor¬ 
tragender über eine Ruhe eigener t i»mh..»gicer Beob.uhtur.gv ri 
seröser Lab\ rmthernziiiKlungen im Ansch.uss au asute und ch:-'i:;y :;e 
Mittelolireiter uiigett. 

Die betreffenden ErkraMkurigen ergeben ausJ eirei'J vpjvad func- 
tioriem et quoad sanatioriern eine günstige l’r-utn se. I imt thera¬ 
peutisches \ erhalten ihnen gegetnber muss v;n rem c\s'pu. statix es 
sein. 

2n. Herr B I o c h - i reibur g i. IV: Zur Aetiologic der Stapcs- 
ankylosc. 

Nach einer kursorischen Betrachtung vier haupts.-.U ulrvten bis 
jetzt betonten Ursachen vier H \ p e r o s t " s e d er l.abx r i n t h - 
kaps e I. wie eigentlich die Krankheit anatomisch zi::'t M in I zu K - 
nennen ist, beruhtet \ ortrage nder über v au u I .d; x-n \ ererb u ii g 
derselben. In einer zahlreichen I amfic k<-n!'!e er m zwei «ie'ura- 
tionen sechs l alle durch die i unkte msm aiimg le^tde eri. Der vst- 
beobachtete lall kam ba'd muh Ur letzten l r:te ? s-u! am g zur 
Autopsie und ehe klinisch gestel.te I »;a.::v-sc konnte dabei aruit- :;.;s v n 
und histologisch bestätigt w- rdeii. 

21. Herr M a n a s s c - btrasslar g : L eber Exostosen am Porus 
acusticus internus. «Mit Demonst: at; ai .1 

22. Herr Erich Rultin-Wuii: Zur Chirurgie des Schläfenbeins. 

R u t t i ri hat m einem 1 a e \ ■ « sub.ü r eitr.ger i »tö-s u t 

Fistel in der unteren kn-c iierne :i « ie: ■' g fl n gsxe and. La’r rmhaate 1 
und tiefem Fxtraduraiabs/e ss, am e mw an .Svu ms (usmale zu 
kommen, die Pyramide t«»tai e\st;rp:ert. L| /ad. dass die < utalif 


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5S. Juli 1908. 


MUfiNCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der Blutung, Hirnverletzung ufld Meningitis bei diesem Eingriff keine 
absolute ist und insbesondere die Otochirurgie nicht vor dem Ca- 
rotischen Kanäle Halt machen müsse. 

R u 11 i n erwähnt auch, dass B ä r ä n y eine ähnliche Methode 
zur Entfernung von Akustikustumoren an der Leiche versucht habe. 

23. Herr Ferdinand Alt -Wien: Die operative Behandlung der 
otogenen Fazialislähmung. 

Der gelähmte Nervus facialis zeichnet sich durch eine ausser¬ 
ordentliche Regenerationsfähigkeit aus. Wir sehen Lähmungen, wel¬ 
che infolge einer chronischen Mittelohreiterung oder im Anschluss 
an eine Totalaufmeisselung aufgetreten sind, mitunter noch nach 
einem Zeitraum von mehr als einem Jahre ausheilen. Immerhin ver¬ 
bleibt ein kleiner Rest von Fällen, welche trotz sorgfältigster konser¬ 
vativer Behandlung keinen Rückgang der Lähmung aufweisen. Zur 
Behebung dieser Lähmungen wurde die Anlegung einer Anastomose 
zwischen Nervus facialis und Nervus accessorius bezw. hypoglossus 
empfohlen. Alt hat vor VA Jahren bei einem VA jährigen Kinde 
die Radikaloperation ausgeführt, wobei das ganze knöcherne La¬ 
byrinth als Sequester herausgehoben werden konnte. Zur Behebung 
der Fazialislähmung legte Vortragender eine Fazialishypoglossus- 
anastomose an, welche einen befriedigenden Erfolg herbeiführte. 
Es trat wieder aktive Beweglichkeit im Stirn-, Augen- und Mundast 
und elektrische Erregbarkeit auf. 

Diese Nervenpfropfung kommt für den Otologen nur in Frage, 
wenn bei der Radikaloperation ein grosser Labyrinthsequester mit 
dem grössten Teile des Canalis Fallopiae entfernt wurde, sonst stehen 
uns viel einfachere Methoden zur Verfügung, die ohne jede Schädi¬ 
gung eines anderen Hirnnerven ausgeführt werden können. 

A 11 führt bei Patienten mit Mittelohreiterungen und seit Wochen 
oder Monaten bestehenden Fazialislähmungen die Radikaloperation in 
folgender Weise aus: 

Er wendet exakteste Blutstillung an, so dass das Gesichtsfeld 
durch Blutung nicht gestört wird, anämisiert nach Ausräumung des 
Antrum und Attik durch reichlichen Gebrauch von Adrenalin die 
Gewebe, legt den Canalis Fallopiae frei; um eventuelle Usuren der 
Knochenwand ausfindig zu machen, eröffnet man den Fazialiskanal 
zentral- und peripherwärts von der Gegend des Fazialiswulstes, 
reinigt den Kanal und den Nerven von allen anhaftenden Granu¬ 
lationen oder eingedrungenem Cholesteatom und reponiert den Nerven 
in die geschaffene Halbrinne. Einen ganz analogen Vorgang be¬ 
obachtet er bei postoperativen Fazialislähmungen, die seit mehr 
als *6 Monaten bestehen und keine Wiederkehr der aktiven Beweg¬ 
lichkeit und der elektrischen Erregbarkeit trotz der üblichen Mass¬ 
nahmen zeigen. 

Dieser Operationsmodus mit promptem Rückgang der Lähmungs¬ 
erscheinungen wird an Beispielen erläutert. Ein ausserordentlich 
günstiges Resultat wurde bei einer seit 4 Jahren bestehenden Fa¬ 
zialislähmung nach Ohroperation von anderer Seite erzielt: es wurde 
der Fazialis im.horizontalen und vertikalen Anteile des Fallopi- 
schen Kanals in grosser Ausdehnung freigelegt. Der Nerv erwies 
sich in seinem ganzen Verlaufe in seiner Kontinuität nicht geschädigt, 
war aber im horizontalen Teile des Fazialiskanals nicht von Knochen 
umgeben, sondern in straffes Narbengewebe eingebettet. A 11 wollte 
während der Operation gar nicht annehmen, dass die Einbettung des 
Nerven im Narbengewebe allein die Paralyse hervorgerufen habe. 
Der weitere Verlauf mit überraschend schnellem Rückgänge der 
Lähmungserscheinungen bewies, dass dem doch so war. 

24. Herr Lindt-Bern: Ein Fall von seltener Lokalisation der 
Tuberkulose ln der Nase. 

25. Herr M a r x - Heidelberg: Demonstration von Nebenhöhlen¬ 
osteomen. 

26. Herr Uffenorde -Göttingen: lieber zwei Fälle von sub¬ 
duralem Abszess. (Mit Demonstration.) 

Uffenorde berichtet zunächst über einen geheilten Fall von 
subduralem Abszess der mittleren Schläfengrube, der durch einen 
Extradural- und Hirnabszess im linken Schläfenlappen kompliziert 
ist. Hier liegt der Hirnabszess entiernt vom eiternden Mittelohr. 
Als Erreger werden nicht streng anaerobe Saprophyten gefunden, die 
die auch von anderer Seite beobachtete, stark eitrig infiltrierte, zu 
reichlichem Detritus führende enzephalitische Randzone und den 
Fötor erklären lassen. Uffenorde empfiehlt besonders zur Nach¬ 
behandlung solcher Fälle und demonstriert weite, am distalen Ende 
kurz rechtwinklig abgebogene Glasdrains, durch die hindurch schmale 
gesäumte Jodoform- oder Vioformgaze geleitet wird. Die aphasi- 
schen Störungen bestanden lange Zeit. Sonst kein besonderes 
Symptom. 

Bei dem zweiten, fast reinen Falle von subduraler Eiterung 
konnte nur der über dem Tegmen tympani et antri gelegene kleinere 
Herd aufgedeckt und durch Kreuzschnitt geöffnet werden. Auch bei 
dem ersten Falle wurde so verfahren. Typische Symptome wurden 
bei beiden Fällen nicht beobachtet. Die pathologisch-anatomischen 
Befunde waren in beiden Fällen ganz die gleichen, eine stark gelbe 
Verfärbung der sonst glatten und glänzenden, nicht durchbrochenen 
Dura mater — Arachnoidea erhalten — die von Granulationen um¬ 
rahmt war. In dem zweiten Falle wurde bei der Sektion ein zweiter 
grösserer Herd über dem Okzipitallappen aufgedeckt, der unkompli¬ 
ziert war. Davon werden histologische Präparate gezeigt und das 


makroskopische Gehirnpräparat. Der Infektionserreger war Strepto¬ 
coccus mucosus. Kurz ante mortem hatte eine Leptomeningitis ein¬ 
gesetzt, die den Ausgang herbeigeführt hatte. 

27. Herr Fr. M ü 11 e r - Heilbronn: Ein Wundsperrer für Ohr¬ 
operationen. 

Demonstration des Instrumentes. 

28. Herr H a r t m a n n - Berlin: Der Verschluss retroaurikulärer 
Oeffnungen durch Zurücklagerung der Ohrmuschel. 

Bei den Eingriffen, welche zur Bildung retroaurikulärer Oeff¬ 
nungen führen, wird die Ohrmuschel nach vorn und aussen gelagert. 
Die Oeffnungen befinden sich auf der freigelegten Fläche des Warzen¬ 
fortsatzes, die unter der Ohrmuschel lag. Um die Oeffnung zu Ver¬ 
schlüssen, muss die Ohrmuschel wieder nach rückwärts gelagert 
werden. Dies geschieht in einfachster Weise, wenn durch Exzision 
der Narbenfläche eine ovale Wundfläche mit nach oben und unten 
zugespitzten Enden geschaffen wird, in deren Mitte sich die Oeffnung 
befindet. Die beiden Spitzen der Ovale müssen über das obere und 
untere Ende der Anheftungslinie der Ohrmuschel hinausragen; der 
vordere und hintere Wundrand müssen gleich weit vom vorderen 
und hinteren Rande der retroaurikulären Oeffnung entfernt sein. Die 
Wundränder werden durch die Naht vereinigt, nötigenfalls muss ein 
Teil der hinteren Gehörgangswand entfernt werden. Durch diese 
Operation wird ein freier Zugang zur Paukenhöhle geschaffen und 
wird die Entstellung vollständig beseitigt. 

29. Herr V o s s - Frankfurt a. M.: Demonstration eines Salpingo- 
skops mit Vorrichtung zum Katheterisieren bezw. Bougieren. 

Um das Katheterisieren bezw. Bougieren unter Leitung des 
Auges vornehmen zu können, hat Vortragender an dem Valentin- 
schen Salpingoskop eine Vorrichtung anbringen lassen, die analog 
derjenigen am Zystoskop zur Vornahme des Ureterenkatheterismus 
konstruiert ist. Mit ihrer Hilfe gelingt es, die Einführung des In¬ 
strumentes in die Ohrtrompete direkt mit dem Auge zu beobachten 
und ihm dadurch jede gewünschte Richtung zu geben. 

30. Herr Kr etsc h m a n n - Magdeburg: Zur operativen Be¬ 
handlung der Nasenscheidenwanddeformitäten. 

(Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.) 

31. Herr Uffenorde -Göttingen: Pathologische und bakterio¬ 
logische Erkenntnisse an einem Falle von ausgedehnter wandstän¬ 
diger Sinusthrombose. (Mit Demonstration.) 

Uffenorde berichtet über einen Fall von Parietalthrombose, 
die autochthon nach Durchbruch des Sulcus sigmoideus hier entstan¬ 
den war und durch Fortkriechen der Phlebitis in der lateralen Blut¬ 
leiterwand peripher- und zentralwärts vom Sinus sagittalis superior 
kontinuierlich bis in die Vena jugularis interna reichte. Durch die 
Derbheit des Parietalthrombus und andere klinische Eigentümlich¬ 
keiten bei dem Falle wurde jener für die phlebitisch veränderte Sinus¬ 
wand gehalten und die Bluthaltigkeit der medialen Sinushälfte 
übersehen. Eine feste Tamponade zwischen lateraler Sinuswand und 
Knochen hatte die Blutpassage nicht verhindert. Eine komplizierende 
blennorrhoische Bronchitis erschwerte die Deutung der klinischen 
Erscheinungen der Lungen, erst als Schüttelfröste und sanguinolentes 
Sputum beobachtet wurden, konnte die als bronchopneumonische 
Komplikation der bestandenen Bronchitis aufgefasste Veränderung 
als metastasierende hämorrhagische Infarktbildung gedeutet werden 
und am Sinus weiter eingegriffen werden. In mehreren Operationen 
wurde schliesslich eine totale Bulbusoperation nach G r u n e r t aus¬ 
geführt, die durch Herzschwäche und andere Umstände immer unter¬ 
brochen wurde. Die sich häufenden Metastasen wurden auch da¬ 
durch nicht abgeschnitten, offenbar hatte der Sinus transversus der 
anderen Seite die Verschleppung der infektiösen Partikel besorgt. 
Als Erreger sind feine saprophytische Gram-positive bewegliche Stäb¬ 
chen anzusehen, die nicht genau zu identifizieren sind. Ihre Lagerung 
entspricht der perivaskulären Lagerung, wie sie von E. Fraen- 
k e 1 bei Bacillus pyocyaneus beobachtet ist. Einen weiteren wert¬ 
vollen Beitrag zur Frage der Parietalthrombose kann Vortragender 
liefern durch einen ganz kürzlich ad exitum gekommenen Fall, der 
pathologisch-anatomisch und bakteriologisch genau untersucht ist. 
Es handelt sich um eine Streptokokkensepsis, wo von einer Parietal¬ 
thrombose eine Septikopyämie mit Gelenk- und Weichteilmetastasen 
ausging, ohne dass Druckempfindlichkeit und Schwellung am Pro¬ 
cessus mastoideus bestand. Uffenorde glaubt, vier verschiedene 
Entstehungsweisen für die Allgemeininfektion annehmen zu sollen, 
wofür er auch beobachtete Beispiele als Belege anführt: 

1. Obturierende Thrombose: wohl besonders, aber nicht aus¬ 
schliesslich, bei sehr virulenten akuten Infektionen. 

2. Nekrose der Wand, Hineingelangen von vielen Bakterien aus 
dem benachbarten Eiterherde in die Blutbahn. 

3. Parietale Thrombosen bei weniger virulenten und pathogenen 
Erregern, wohl meist chronischen Fällen, oder, bei virulenten, bei 
vorher entstandenen Schutzwällen am Sinus durch produktive Re¬ 
aktion. Daraus entsteht eventuell vollkommene Organisation even¬ 
tuell mit Einschmelzung oder Rekanalisation des parietalen oder des 
obturierend gewordenen Thrombus. 

4. Direktes Ueberwandern von Bakterien und Toxinen ins Blut 
von der eiternden Paukenhöhle und ihren Adnexen aus, ohne 
thrombophlebitische Prozesse am Sinus usw. Die Bakterien ge¬ 
langen sekundär in den Thrombus. 


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1608 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. .n 


32. Herr Ernst Urbantschitsch- Wien: Günstige Erfolge 
der galvanischen Behandlung bei Schwerhörigkeit und Demonstration 
eines galvanischen Apparates zur Selbstbehandlung. 

E. Urbantschitsch bespricht die günstigen Erfolge der 
galvanischen Behandlung bei Schwerhörigkeit und subjektiven (ie- 
hörsempfindungen und demonstriert diesbezügliche Tabellen mit Kur¬ 
ven. Er demonstriert ferner einen kleinen galvanischen Apparat zur 
Selbstbehandlung des Patienten. 

33. Herr Kirchner - Würzburg: Demonstration eines Stativs 
für Operationsübungen am Ohre. 

34. Herr H er sc hei - Halle a. S.: Demonstration des Fntkal- 
kungsprozesses an Felsenbeinen durch Röntgenbllder. 

Herschel demonstriert an der Hand von Röntgenaufnahmen, 
wie sich der Entkalkungsprozess an Felsenbeinen vollzieht. Er 
empfiehlt, den Entkalkungsprozess der zu histologischen Zwecken 
dienenden Felsenbeine durch die Röntgenplatte zu kontrollieren, da 
man sonst einen absolut sicheren Anhaltspunkt für die gänzliche Ent¬ 
kalkung nicht habe. Das Röntgcnnild gibt deutlich selbst die gering¬ 
sten Spuren eingelagerter Kalksalze zu erkennen und zeigt sicher 
den Moment an, wann der Knochen gänzlich entkalkt und nunmehr 
für die weitere histologische Verarbeitung geeignet ist. 

35. Herr H e g e n e r - Heidelberg: Dünne Zelloldinschnitte durch 
das Schläfenbein. (Demonstration.) 

Um dünne Zelloidinserien (10 //) durch den harten Knochen zu 
erlangen, ist zu beachten: a) die Einbettung, lange Durchtrankung mit 
dünnstem Zelloidin unter Benutzung des Vakuums; b) die Blockform; 
c) die Vermeidung jeglicher Nachgiebigkeit an Objekt und Messer 
führung (neues J u n g sches Mikrotom); d) die Messeriorm: e) die 
Schneidenbildung; f) die Messerhärte; g) die alkalische Reaktion des 
zum Befeuchten verwendeten Alkohols. Näheres in den „Verhand¬ 
lungen“. Zweck: Neurologische Forschung, Mikrophotographie. 


Fränkische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauen¬ 
heilkunde. 

(Offizielles Protokoll.) 

XIX. Sitzung vom 30. Mai 190S. 

Herr Hofmeler: Nachruf an die verstorbenen Mitglieder 
Dr. M o c h - Hofheim und Dr. R a e t h e r - Kissingcn. 

I. Demonstrationen. 

Herr E n ge I h o r n - Erlangen demonstriert: 

1. einen wegen Karzinoma colli total exstirpierten Uterus nebst 
einer taubeneigrossen karzinomatösen iliakalen Drüse. Das Prä¬ 
parat stammt von einer 42jähr. Patientin, die bis vor 4 Wochen 
regelmässig menstruiert war und erst seit dieser Zeit an profusen 
Blutungen litt und zeigt, dass bei Karzinom die klinischen Erschei¬ 
nungen nicht immer den vorgeschrittenen pathologischen Ver¬ 
änderungen entsprechen. 

2 . ein faustgrosses Cystoma ovaril dermoldes mit grossen 
Knochenplatten, das bei einer 31 jähr. I. Gravida hinter dem Uterus 
lag und die Portio hoch an die Symphyse drängte. Eine sichere 
Diagnose konnte nicht gestellt werden; es blieb fraglich, ob es sich 
um eine Gravidität im VI. Monat und einen Ovarialtumor oder um 
eine Extrauteringravidität mit lebendem Kind handelte. Mit Rück¬ 
sicht auf die letztere Diagnose wurde bis zum Ende der Gravidität 
abgewartet. 12. III. ns Laparotomie (Herr Professor Menge). 
Uterus entsprechend dem X. Monat der Gravidität, hinter ihm im 
kleinen Becken eingekeilt ein vom rechten Ovarium ausgehender 
Tumor. Da der Versuch, den rumor vor den Uterus zu bringen, miss¬ 
lingt, Sectio caesarea, Entwicklung eines lebenden Kindes; hierauf 
Ovariotomie; Wundverlauf glatt. 

Diskussion: Herr H o f m e i e r hat in 2 ähnlichen Fällen die 
Ovariotomie ausgeführt und hernach die Spontangeburt abgewartet: 
die Entwicklung des Ovarialtumors vor den Uterus machte keine 
Schwierigkeiten und auch die Gehurt verlief ohne Storung. 

Herr Zacharias: Die Fehldiagnose in dem Engel ho ru¬ 
schen Falle war zum Teil wohl die Folge einer anderen Fehldiagnose, I 
die uns kurz vorher an der Erlanger Frauenklinik passierte. Es 1 
handelte sich um eine Frau, die schon mehrere Kinder geboren hatte 
und im 8. Schwangerschaftsmonat etwa in die Klinik kam, und zwar 
wurde sie vom Arzt wegen dekompensierten Herzfehlers geschickt. 
Die Untersuchung ergab eine Schwangerschaft mit lebendem Kind in 
Kopflage; auffallend war nur, dass man die Schädelknochen sehr 
deutlich im hinteren Scheidengewölbc fühlte. Dieser Untersuchungs¬ 
befund wurde von mehreren Untersuchern als besonders und eigen¬ 
tümlich in der Krankengeschichte vermerkt, ohne dass an eine 
Anomalie des Eisitz.es gedacht wurde. Das Kind starb etwa 3 Wochen 
vor der zu erwartenden Niederkunft ab. Da keine VVehentätigkeit 
einsetzte, die Frau aber innerhalb einer Woche (> Pfund abnahm, 
wurde ein Metreurynter eingelegt, der, nachdem er etwa 2<» Stunden 
gelegen hatte, unter einer ziemlich beträchtlichen Blutung aus- 
gestossen wurde. Die Patientin kollabierte. Bei der Untersuchung 
ergab sich, dass der Uterus leer war. Da der Blutverlust nicht so 
^ross erschien, dass der Kollaps erklärt werden konnte, glaubte man. 
sei durch eine Verletzung des extrauterinen Fruchtsackes eine 



intraabdominale Blutung c.ugettekn und operierte s«T 't. In war 
keine mtruahdommelle Blutung \<-h.iniui. Es hamlt te vJ: um c.ttt 
linksseitige uns ef letzte I pb'iab hmi ma.schw ar.gers .halt mit ab¬ 
getragenem mazerierten Kind. D.e >ek!mif ergab a's l isid'e für d e 
Blutung einen Zervixnss. wekher m.pkge der Du - chtre.bung des 
stark gefüllten Ballons entstanden war. 

3. Myomata Uteri bei fira\ idrt.it m. IV. Wegen Ma'ker B as<m- 
bescliw erden und Eiukicmimmgsersche.nungen lapar d n e dk r r 
Prof. Jung). Entfernung eines km-Skm-tgr-sscn u:;d emes apte- 
s nie «grossem subscrosen M\ oms. Naht des aber h.mjk mgr-ssmi 
W uudbette.v Da durch die VV und\ erb.» tri sse e.n \ f - • r t cCur zu 
eiwarten und Patientin nicht den durch i:mu \b<Tt bed.ugft :t t le- 
fahten (Ruptur der Narben, Infektion des M \ •>:!,} ettes» ausgeset/t 
werden sollte. I üterbr echung der >J,w a* „ e r n«. (:.;tt. e n Ve't.>:.e’. 
an dem Herr l'ml. Jung m alm'.v&ri laiei» immer fest:,a.kn w rj. 

Herr Zacharias zeigt e ne Vn/aN t tal t xst.r.p erk r l ter; 

vor: 

1. Klemer I terus mit e.nem gaitsceigrosscn Myom m de: 11 : :e:- 
wand; dasse'he liegt wie ein Fi in einer Ka ssgha.e. 

2. Ein über mannskopfgrosser mxomatoser l terus ::M za - 
reichen Erw eie huugsherden. de r \*>n einer 37 ..ihrige n I 'an stamr: r. 
die 21 läge \or der <Iperatmii m 5. Monat ab..rt:mt hatte. Bei .kr 
l ntersuchung stand der I ulj>>r am R ppemb- gen. war a so s.. g- ss. 
wie ein schwangerer l terus ;rn 0 Monat. Da de 1 rau e r.e /an. c •• 
betr ;k lithche Kachexie zeigte, m« g aubte V ottragende: be. dem 
Schnellen Wachstum des 1 urimrs e men ma grün < K ,r tun • r . 1 : 1 - 
iiehrrien zu müssen. I »as Interessante an dem lal ist. J.i's de Ue- 
schw ulst in einer 5 umnati cheii s, hw arider schart i d.e Iran batte 
fiulier von der \nw eseniieit euer Gesdiwust im lebe r..c r.ts ge¬ 
wusst). zu dieser e\Zesv\en li’os'e gew.icUsen :st. 

3. I terus einer 30 j.rfirigeii Nu.l.para. *. e bete.ts \ a J l.th-et: 
wegen Blutungen eine Abrasio dur c iigemac ht batte um! s*:t t • M-- 
naten wieder unregelmässige Blutungen und kciimef/en hatte. 1 s 
wurde ni» M\ojn angenommen; das Pr.ip.t4at zeigte em:. K e kleine 
Myome und ein korpuskar/inom. 

4. Uterus einer Oj i. ihrigen I rau. d.e s. :t Id U:rui :n dt r Mer- -, 

pause sieh befand, seit einem laiir neuerd : gs um egt m.»ss a B a- 

tungett und Schmerzen hatte. M.t Rmks.J't aut dt u uut di \e r - 
giosserten harten und iiock: :gen l terus wurde em NW «ui; t« t na m u' 
Metaplasie angenommen. Das P'aparat zt gt I'.tw.csrmg zahl¬ 
reicher Myome, \<m denen das eure Xolst.mbg \ t • k a. M mb Vt mi¬ 
liar t ist. ein Korptiskerzlnom und einen gutartigen, da» ganze Corpus 
utcri ausfüllenden Pol>pen. 

5. I terus einer 53 iah»; gen I rau. d.e se.t 5 Iah re« m der Me-.-«, 

pause sich befand und \««i o WmJuii /um ersten V.a e wieder 

Blutungen und >chmer/en im Ee he \ t r spar te. Bei e ”e m Bein-d. 
wie im lall 3. wurde e.n M\ otu m.t sa-s.-mat. s t r In.rtmg d .»- 
griosti/iert; diesmal mit zum .eher s .bvl;i t. da s.di mkU.ib der 
l rethralmuiulimg ein efjNcn grosser h.i'm.rr ha g-s v jicr rru tastat ulrer 
Knoten betaiul. Das Präparat zt gl e ne R. .;«e \on Mxomcn. \on 
denen da» grösste sarkomatös degeneriert ist. De n; m s S Sv « :i . 
Untersuchung ergibt ein p*»:\ morphze cts ">a:k«mi. we.dies za'. - 
reiche Ham.»rrhag;eii mit ausgedehnten • it w 1 1 s/t mmr mu: „e n 
zeigt. In den nekrotischen Par treu s md t it s v nwu s?/e' t u um du tie- 
fasse herum info'ge der guten I i nah: ur gs't d.-igu; gen .r; t.rem auf 
dem Durchsclinitte kre.sicÄimgen M.mttl e'hatiri. s.. v :.iss n.au dert 
I indruck gewinnen konnte. ,ds oh de < k-s v bw u'st ;r e.nem gt ue t.s w kt P 
Zusa.mmeidiaug mit der (ief.issw and siuiide. 

Mit Rücksicht auf d;e labe 3 5, w is s w h um K« m 1 ’at ■ m • 

\<«n M\om mit >urkorii bezw. K.irz,n«>m 1 a:;dt !. er nrurt kr \ 
tilgende daran, i.i recht aufmerksam zu s^ n. «pm h c; M\«-mk '.um n 
p'otzirch sjimerzui und um egebn iss g C B i tun gelt amt -1 k 
nameutlicli wenn die letzteren in der Mt: • pause w t !t' t'tiv’/t'’. 

Herr P O I a n O - W-vfr zbrug «IcmmiM-u r t emn ge l u.ten Eä \ -n 
extraperitonealem Kaiserschnitt bei müz erlern 1 tems 

I. Para mit allgemein \erergtem r.K 1 ' vb'ui BtvkiM. exzen¬ 
trische Finsterling des K«>pfes ;n E >c habt age. 23 >ftmden n.m h 
Blasensprung l\mpama Uten. >ekret ult ' tc‘ em!. I t r'.pt ratu- 
3s.3. Kind lebt. Extr apm toru-a'er I ,.r o bt r Zer\ x ii.k 1, 
Seil hei m und Extraktion emes It'v dtn k".bs 11 * r ■ f. Hol¬ 
meier). Drainage des antuber •um B •• legew t) t s rach Na:;t des 
I terus. Abgesehen \ <m meltrmabgen I empt'a’.m stt ger-u-gen gute 
Rekoiix ales/ei}/. der Mutter. 

Sonnt ist in d.esetn Ea’l der Erfolg der npe-a* n en x ■’ k ■nt- 
mener. Von konkurrierenden Verfahren käme rt b s :, er v! e Pe't'uatu n 
tles lebenden Kindes als die für dtii Dutkriker m b: tunte gan K '>arstf 
(>perati«*n tu Betracht, ferner d*e \um rmne-n.lt I .-r.m v -a* i n. e»’.d- 
l.ch in neuerer Zeit de Efebovtt tom e. d.e zw tr J e Wo, $• e t eiiu r 
dauernden Beckenirw e.krimg as V «•• ,"-g gegv mer dtm ext’aper- 
tonealen Ka:sersc!rmtt autwi -t. für b e Wbter m d \ ' a em tnr 
das K ind bei der < lel-nrt w c ^e r gm-st K t V t: t-a f: ss V sk: nmt. Es 
muss demnach der extrapm* ru'e Ei H'n'"' tt her tut:/ t 'tem 
Uterus ak E’ortsc!i:bt nimme- k nvln'i « 'nkurfs':- te bt , ; met 
w erdi n. 

Herr L ü d k c - W ur/bt: rg : l eher die praktische Ver¬ 
wertung; der bakteriologischen Bliituntersuchung. 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1609 


Vortragender verbreitet sich zunächst über die Methodik 
der bakteriologischen Blutuntersuchung: Die mikroskopische 
Blutuntersuchung auf Bakterien, die Blutüberimpfung in- die 
Peritonealhöhle der gebräuchlichen Laboratoriumstiere und die 
Blutagarplattenmethode. In 12 Fällen von Sepsis wurden 
jedesmal Bakterien im Blut nachgewiesen, speziell Strepto¬ 
kokken, Staphylokokken und Mischinfektionen mit beiden 
Arten. Ein Steigen der Bakterienzahl bei wiederholten Blut¬ 
untersuchungen bedeutet eine schlechte Prognose, ln 32 Fällen 
von Angina wurden 4 mal Bakterien im Blut nachgewiesen, 
Streptokokken wie Staphylokokken. In 17 Pmeumoniefällen 
fanden sich 9 mal Bazillen im strömenden Blut, Streptokokken, 
Staphylokokken und Pneumokokken. In Fällen von Gelenk¬ 
rheumatismus, Dysenterie, akuter Enteritis waren Bakterien 
im Blut nicht nachweisbar. In zwei fieberhaften Choreafällen 
konnten Streptokokken als Ursache des Fiebers eruiert werden. 
In 34 Typhusfällen wurden 29 mal Typhusbazillen im Blut auf 
den Agarplatten entdeckt. In zahlreichen Fällen wurde durch 
den Bazillennachweis erst die richtige Diagnose gestellt. Drei¬ 
mal wurden bei 14 Lungentuberkulosen Tuberkelbazillen im 
strömenden Blut nachgewiesen. 

Diskussion: Herr Hofraeier fragt den Vortragenden, wie 
er sich die so verschiedene Bedeutung der im Blut kreisenden Strepto¬ 
kokken bei einer Angina und bei puerperaler Infektion erkläre, indem 
die Erkrankung im ersten Falle doch fast immer günstig verläuft, im 
zweiten dieser selbe Umstand eine so verhängnisvolle Bedeutung hat? 

Herr Zacharias: Auf den Einwand des Herrn Ge¬ 
heimrat H o f m e i e r möchte ich mir erlauben, zu bemerken, 
dass ein Unterschied in der pathologischen Dignität der im Blute 
kreisenden Streptokokken bei Angina und Puerperalfieber in 
Folgendem begründet zu sein scheint. Bei der Angina kreisen die 
Streptokokken im Blut und sind den Abwehrvorrichtungen desselben 
ausgesetzt. Vorausgesetzt, dass diese Schutzkräfte ausreichend sind, 
die Virulenz der Keime keine besonders grosse ist, so wird der Körper 
mit- diesen Infektionserregern fertig. Anders liegen die Verhältnisse 
im Wochenbett. Hier beginnt die Infektion an der Uteruswunde. In 
dem Thrombenmaterial an der Plazentarstelle sind die Keime den 
Schutzkräften des lebenden Blutes entzogen, können sich hier un¬ 
gestört entwickeln und von da aus den Körper überschwemmen. 
Einen fast experimentellen Beweis für diese Erklärungsversuche 
geben die Fälle von Angina am Ende der Schwangerschaft, die nach 
der Geburt mit einer Sepsis endigen. Ich habe selbst einen solchen 
Fall beobachten können (Med. Klinik 1907, No. 12, S. 335), der von 
Merkel genauer beschrieben worden ist (Münch, med. Wochenschr. 
1907). Es handelte sich um eine 38 jährige hochschwangere Frau, 
die an einer Angina 3 Tage lang fieberhaft erkrankte. 6 Tage nach 
der vollständigen Entfieberung Spontangeburt in der Klinik; keine 
innere Untersuchung. . Am 7. Tage post partum Exitus an Sepsis. 
Intra vitam wurden massenhaft Streptokokken im Blute nachgewiesen. 

Herr D ü r i g - Nürnberg: Der Einfluss der Brusternährung 
auf das Neugeborene. 

Vortragender versuchte, den Einfluss der Art der Er¬ 
nährung auf das neugeborene Kind während der ersten Lebens¬ 
tage zahlenmässig darzustellen. Er konnte an Hand mehrerer 
Tabellen, die er aus den ca. 1200 Geburtsgeschichten der beiden 
letztvergangenein Jahre aus der Würzburger Universitäts- 
Frauenklinik zusammenistellte, nachweisen, dass ein recht er¬ 
heblicher Einfluss der Art der Ernährung auf das Gedeihen des 
Kindes besteht und zwar zu Gunsten der natürlichen Ernährung 
an der Brust. Von den ausschliesslich an der Brust ernährten 
Kindern hatten nach dem Ergebnis seiner Tabellen am 9. Tage 
p. p. 47,6 Proz. ihr Anfangsgewicht überschritten, von den 
mit gemischter Kost versorgten Kindern 31,3 Proz., von den 
Flaschenkindern nur 24,7 Proz. Gleichzeitig konnte der Vor¬ 
tragende nachweisen, dass sich dieser Einfluss bei Früh¬ 
geborenen, bei Zwillingskindern und bei aus pathologisch ver¬ 
laufenen Geburten hervorgegangenen Kindern viel stärker 
geltend macht, als bei kräftigen, aus normalen Geburten hervor¬ 
gegangenen Kindernt 

Der Vortragende brachte schliesslich noch einige sich auf 
die Stillfähigkeit der Wöchnerinnen verschiedenen Gebär¬ 
anstalten beziehende Zahlen. 

Die von ihm für die hiesige Frauenklinik berechnete Zahl 
der Wöchnerinnen, die vollständig selbst stillen konnten, be¬ 
trägt 79,6 Proz. 

Herr S ch w a b - Nürnberg: Ueber Versuche mit 

Tuberkulin. 

Vortragender hat versucht, analog der kutanen und kon- 
iuriktivalen Tuberkuliriprobe eine Reaktion zu erhalten bei 


gynäkologischen Tuberkulosen durch vaginale Applikation des 
Tuberkulins. Die Versuche scheiterten an der ungenügenden 
Resorptionsfähigkeit der Scheide. Mit Glyzerinlösungen des 
Tuberkulins war überhaupt kein Resultat, mit wässerigen Lö¬ 
sungen kein verwertbares Resultat zu erzielen. Auch die bis¬ 
herigen experimentellen Untersuchungen über die Aufnahme¬ 
fähigkeit der Scheide für Medikamente bestätigen, dass der 
vaginale Weg an sich nicht sehr geeignet ist für Medikamente, 
die resorbiert auf den Körper wirken sollen. Wenn diese 
Stoffe dann selbst noch schwer löslich sind (Schwefel¬ 
präparate), und überdies in Vehikeln, die die Resorption be¬ 
hindern (Fette: Globuli vaginales, nach den Tuberkulinver¬ 
suchen auch Glyzerin), angewandt werden, so darf man dieser 
Medikation, so verbreitet sie auch ist, keinen rationellen Wert 
zuerkennen. (Wird anderen Ortes in extenso veröffentlicht.) 

Herr M. H o f m e i e r: Zur Verhütung des Kindbettfiebers. 
(Erscheint ausführlicher in dieser Wochenschr.) 

Der Vortragende gibt an der Hand von 10 000 Wochen¬ 
betten der Würzburger Klinik einen Ueberblick über die 
Operationsfrequenz, die Morbidität und die Mortalität dieser 
Wöchnerinnen. Er bespricht dabei die in der Klinik gebräuch¬ 
lichen Desinfektions- und Vorbeugungsmassregeln und wendet 
sich scharf gegen die neuerlich wieder aufgetauchten Vor¬ 
schläge, die Untersuchung durch die Scheide durch die Mast¬ 
darmuntersuchungen zu ersetzen. 


Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordentliche Sitzung vom 16. März 1908, abends 
7 Uhr, im Hörsaal des Dr. Senckenberg ischen Bibliotheks- 
- gebäudes. 

Vorsitzender: Herr E d i n g e r. 

Schriftführer: Herr Cahen-Brach. 

Herr Hlrschberg: Heilung schwerer Knochentuberkulose 
durch Sonnenbäder Im Hochgebirge. 

Die chirurgischen Tuberkulosen sind erst seit wenigen Jahren 
Gegenstand der Hochgebirgsbehandlung, beziehungsweise der dort 
während des ganzen Jahres angewendeten Sonnenbestrahlung. Der 
bekannte Engadiner Arzt Bernhard hatte beobachtet, dass die 
Engadiner Bauern das frische Fleisch, um es zu trocknen, in die 
Sonne hängen und er beschloss, diese antiseptische Austrocknung 
auch bei lebenden Geweben anzuwenden. Und die F i n s e n sehen 
Ergebnisse der therapeutischen Anwendung der chemischen Strahlen 
bildeten einen weiteren Anlass für Bernhard, die hydrophilen 
Eigenschaften der reinen und trocknen Hochgebirgsluft mit der bak¬ 
teriziden und vernarbenden der Sonnenstrahlen zu vereinigen. Die 
gleichen Erwägungen veranlassten Dr. R o 11 i e r vor mehreren 
Jahren in dem bekannten 1450 m hoch gelegenen Kurorte für Lungen¬ 
kranke Leysin — 1 Stunde von Aigle im Rhonetal gelegen — eine 
Klinik nur für chirurgische Tuberkulosen einzurichten. 
Vor etwa 2 Jahren machte ich in unserem Verein auf die glänzenden, 
geradezu verblüffenden Ergebnisse aufmerksam, die ich dort bei 
Kranken gesehen hatte, die das ganze Jahr der Sonnenbestrahlung 
ausgesetzt waren. Manchem von Ihnen mag die Schilderung zu 
schön gefärbt erschienen sein. Heute bin ich jedoch in der Lage, 
Ihnen einen Knaben von 7 Jahren vorzustellen, dessen Heilung von 
schwerer Knochentuberkulose in der Rolliersehen Klinik alle Er¬ 
wartungen übertrifft. Wegen ausgedehnter Ellenbogentuberkulose. 
die trotz weitgehender Resektion des Gelenkes und trotz zahlreicher 
Nachresektionen nicht heilen wollte, hatte ich vor, die hohe Oberarm¬ 
amputation vorzunehmen. Auch die mehrmals operierten tuberku¬ 
lösen Knochen im Gesicht, am Stirn-Jochbein und Oberkiefer wollten 
nicht zur Ausheilung kommen. Ehe ich jedoch den Arm opferte, 
entschloss ich mich, noch einen letzten Heilversuch in Leysin zu 
machen. In der Photographie erkennen sie den damaligen trostlosen 
Zustand des elenden Kindes. Vergleichen Sie jetzt die an den von 
Zeit zu Zeit aufgenommenen Photographien deutlich erkennbaren 
Fortschritte in der Heilung und endlich die vollkommene Vernarbung 
am Arm und im Gesicht, betrachten Sie den ausgezeichneten All¬ 
gemeinzustand des Knaben, prüfen Sie die vorzügliche Funktion des 
Armes und seine Kraft, so werden Sie mir zugeben, dass das Er¬ 
gebnis der Sonnenbehandlung im Hochgebirge, die sich allerdings 
auf die Dauer von etwa 20 Monaten erstreckte, einen glänzenden 
Triumph konservativer Behandlung von schweren Knochentuberku¬ 
losen darstellt. Allerdings gebührt Herrn Kollegen Rollier in Ley¬ 
sin das grosse Verdienst des richtigen Verständnisses für die Be¬ 
handlung selbst der schwersten Fälle von chirurgischer Tuberkulose. 

Diskussion: Herr Friedländer weist angesichts dieses 
glänzenden Behandlungsresultates darauf hin, dass lange bevor 
Bernhard -Samaden 1904 seine Aufsehen erregenden Erfolge mit 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1610 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


Sonnenlichtkuren bei Skrophulose und offener Tuberkulose zeigte 
und publizierte, U f f e 1 m a n n - Rostock und W i n t e r n i t z - W ien 
diese Methode in den gleichen Fällen auf (irund eigener Frialirungcn 
empfohlen haben, erstcrcr in einer 1KN9 erschienenen Schritt „l'eber 
die hygienische Bedeutung des Sonnenlichtes“, letzterer in einem 
1900 auf dem Balneologunkongress in Frankfurt a. M. gehaltenen 
Vorträge. Wie solche Heileffekte zustande kommen, darüber sind 
die Ansichten geteilt: die einen meinen, dass durch die starke und 
anhaltende Besonnung eine Austrocknung der erkrankten < iewebe 
bewirkt wird, andere glauben, dass die therapeutische Wiikung der 
Bestrahlung au! einer lokalen Hypcrämisieruug. ähnlich wie bei der 
sog. Bi er sehen Stauung beruht. 

Herr Berg: Nierenexstirpation wegen Tuberkulose. 

Die 33 jährige unverheiratete Patientin entstammt einer ge¬ 
sunden Bauernfamilie, selbst nie krank gewesen. Seit 3 Jahren 
wegen Harndrangs und trüben, mit käsigen Bröckeln ver¬ 
mischten Harns auf Blasenkatarrh behandelt. Harn ergibt dicken 
Bodensatz, der fast nur aus Fiterkörperchen besteht. Tuberkel¬ 
bazillen nicht zu finden. Zystoskopisch: In der (legend der rechten 
Ureteröffnung kraterförmiges Geschwür, erstreckt sich bis nach der 
(legend der linken Ureterofimmg. die nicljt sichtbar ist. Rechte 
Niere vergrössert, beide empfindlich. Funktionspruiimg der linken 
Niere. Durch V o e 1 c k e r sehe Methode befriedigendes Resultat. 
Der linke Urcterharn Fiweissspuren und Fpithcl/x limlcr. Rechts mir 
farbloser Fiter. Tierversuch nach 5 Wochen trotz Ouetsclmicthode 
noch keinen Schluss auf Tuberkelbazillen. Ophthalmoreaktion posi¬ 
tiv. Positives Resultat der Tierimpfung erst N Tage nach der 
Nephrektomie. Verlauf von seiten der linken Niere ungestört. Bla¬ 
senharn, der in der ersten Zeit, wohl aus dem Ureterstumpf und der 
nicht völlig ausgeheilten Blasenläsion, Tuberkelbazillen enthalt und 
trüb ist, wird völlig klar; Ulcus flacht sich ab und reinigt sich. 
Ureterharn chemisch normal, Nierenfunktion gut. Allgemeinbefinden 
gut. Von Zeit zu Zeit Nachforschung nach Tuberkelbazillen im Harn. 
Demonstration der exstirpierten Niere und des Ureters. Au der 
Grenze zwischen Rinden- und Marksubstanz, die ganze Peripherie 
einnehmend, walniissgrns.se, mit käsigem Fiter gefällte Kavernen. 
Ureter fingerdick und starr infiltriert. Hinweis auf die Bedeutung 
der Funktionsprüfung, speziell nach V o e I c k e r. und der Ophthalmo¬ 
reaktion. 

Herr Laudenhelmer: Mitteilung eines Falles von Polyurie, 

Herr Ko h n s t a m m - Königstein i. T.: Zur Innervation der 
Augenbcv/enungen. 

Vortr. gibt eine Uebcrsicht über die primären und sekundären 
Zentren der Augenbewegungen. Von eigenen Frgchnissen (mit 
Quensel) erwähnt er: Den Nucl. oculo-pontinus ventrales (bisher 
reticularis tegmenti genannt), der als Schaltkern zwischen Kortex 
und III. Kernen, bezw. Vierhügeldach anf/ufasseii ist. den Nucl. angu¬ 
laris (Bechterewschen Kern), der die proximalen Verbindungen 
des Vestihularapparates vermittelt, den Nucl. loci coerulci. der als 
der sensible Kern des proximalen Trigeminus-Metamers erwiesen 
ist. Projcktionsbilder einschlägiger normaler und Degenerations¬ 
präparate. 

Ausserordentliche Sitzung vom 23. M ä r z 1 ( X >S 
abends 7 Uhr im Hörsaal der Pr. S e n c k e n 1> e r g isclicn 
Bibliothek. 

Vorsitzender: Herr L n q u e r. 

Schriftführer: Herr C a h e n - B r a c h. 

Demonstrationen aus der chirurgischen Klinik des städtischen 
Krankenhauses. 

Herr M. Nelsser: Mitteilung und Demonstration über Des¬ 
infektion am Krankenbett. 

Der Frankfurter Verein für Hygiene hat in Anbetracht der Wich¬ 
tigkeit einer sacligemässen Desinfektion am Krankenbett eine Or¬ 
ganisation geschaffen, die es dem Arzte ermöglicht, auf eine sach- 
gemässe Desinfektion und Isolierung bei ansteckenden ITkrankungeii 
zu dringen. Der Verein stellt auf telephonische Benachrichtigung seine 
für diesen Zweck ausgebildete Schwester, welche die Anwendung 
der Desinfektionsmittel vorzeigt, ferner leihweise ein besonderes In¬ 
strumentarium und schliesslich gedruckte Plakate zur Vertilgung. Das 
besonders zusammengestellte Instrumentarium enthält z. B. 3 wes^e 
Mäntel, wovon einer für den Arzt bestimmt ist, ferner besondere <ie- 
fässe zur Desinfektion von Fssgeschirren etc. 


Ordentliche Sitzung vom 6. April 1Ö0S. abends 
7 Uhr, im Hörsaal der Pr. S e n c k e n bürg isclicn Bibliothek. 
Vorsitzender: Herr L a q n e r. 

Schriftführer: Herr C a h e n - B r a c h. 

Herr Jacobsthal: Demonstrationen aus dem pathologischen 
Institut: a) Fall von Aortenaneurysma; b) Aneurysma der Arteria 
aneirysma; c) Zystenniere: d) Angina Ludovlcl. 

Diskussion: Herr Seuffert. 

rr Job. Julius Schmidt: lieber die Keating- 
he Methode der Karzinombehandlung. (Mit Pcmon- 
der Apparate.) 



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Google 


Per Vortragende geht aus von dem therapeutischen 
Indikatiniisgebict der d’ Arsotn aNtrmtie. die er in ihrer all¬ 
gemeinen Anwendung durch Autnk«»ndukimn bei versJuc- 
deiietl Stofiw echselsturungeti verwirft, wahrend deren lokale 
Verwendung sichere anästhesierende. anaigcsicremlc ur.d ami- 
pruriginöse Wirkungen entfaltet, selbst ohe nl.ulmJic Karzi¬ 
nome heilen kam’, w ic R i v i e r e. S t r c b e I u. a. bestätigen. 
Keating-Hart ging einen Schritt weiter, ir.dcin er durJi 
Frliohung der Leistungsfähigkeit der Apparate N !'• cm large 
Funken in tiefe maligne Tumoun cinsjilagen hess. wobei 
w eiliger eine Vers c h o r! u n g als eine F rw ei c b u n g 
anstrebte. Pie Krebszellen werden ekktiv zerstört und das 
Bindegewebe geschont. es tritt eine rasjie Benarbung und 
Fpidetmisierting ein. die Narben s;nd nullt adbaretit. eute ent¬ 
setzende Lympborrbuc schwemmt die imkroskop.sjien lum«*r- 
elemeiite heraus. Pas \ erfahren, dtirv.li s'etes Zusammen¬ 
arbeiten mit dem Chirurgen ..metli«»de e!ecirn-ch:rurgu.i!c" ge¬ 
nannt. wird naher beschrieben, ebenso das jetzt in PeiitsJi- 
land gebratuhficlie. durJi die Vedawerkc \erbesserte Instru¬ 
mentarium geschildert. Line sJiad.gemlc Lmwirkur.g auf dmt 
(iesamtorgauismus findet durJi diese Methode nullt statt, d.e 
frühereit Schmerzen verschwinden, die Blutungen huren auf. 
die Kranken verlassen sehr bald das Bett. K e a t i n g -Har t. 
der von allen deutschen Aerzten als obuktixer und w issi ii- 
ss ha ft lieber Beobachter ges Jw-LL rt w ird. hat bei Je n Kar/im »m- 
gruppen die Blitzhehandliirg angewandt: bei Haiitkar/momen. 
besonders des (iesichls, mit ‘>5 Bro/.. hei Matnmakar/m.om m.t 
4n 5n Broz. und bei SJileimh.iutkrehseit mit 2" 23 Br**/. 

Heilung; Zungen- und KcMk* >pih re bse habt n stets das 
schlechteste I lerlfs. siiltat ergeben. I';eitm K en lalle werden 
durch die K e a t i n g - H a r t sehe Mab.* de eher geheilt 
werden können, hei denen es gelingt, alles Krebsgewebe der 
Fulguration zugänglich zu machen. Pie im hiesigen Marie n- 
kraukeiihaiis tiilgurierten Falle k*>m;en über den Wert oder Un¬ 
wert der Methode deshalb keine sichere Antwort geben, weil 
sie von vornherein für diese I hcrapie sehr uiig ir.stig lagen. 
Nur bestimmte, durch die Frfahrting beratis/uh:.elende Falle 
werden fiir das neue Verfahren geeignet sein, weshalb der Vor¬ 
tragende auffordert, dasselbe weiter zu \crsiuheM und naJt- 
zupriifcii. 

Diskussion: Herr hihiis 1 r i c e! I a e n d er: I Y r V-.’t'agcndc 
Kat unter den \ut*• r*■ n. ehe de s'geti. I n'gtir.i* ■ n vier k.r/e-’t c he- 
Soiulers befürworten. au^li Herrn > t r e I* c 1 m V .ikI.cm genannt. ek r 
in tlrr Tat I*>*»I e instige \ erMK hsr cmi- täte rm! äoen \ o- 

faliren publiziert hat. Is muss aber demgege n iber bt !• *nt \uiJm. 
dass Strebe! neiicrvlmgs (I »eutSv. !ie nud. W ■ ^ he ns v ’ir.. 1*a*s, l f l 
Seme Fmpiehlung eie r Methode st !ir tinceSv.lir.mkt hat. in.'.t m er soll 
auf Grmnl weiterer mehr *.dit ige r 1 r iah* iiiuen dahin ausc-p* . v } t. vlass 
ehe B* stralilimg mit I imkeiistr .mu n. se i es auf kürzere oder w t itef'e 
Distanzen, mit oder "hne K diiiiMg. nur rein !<• a'e I "ekle aber kerne 
Heilungen erziele und eine neue F ;>***. he in vier Dehand.ung des 
Krebses damit nullt ange brmheii Sei. 


Wissenschaftliche Vereinigung am städt Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung v o m 4. F c b nur l'*iv 
\'< irsitzeuder : Herr R e h n. 

Schriftführer: He rr Hinge 1. 

Herr Hoch ne sprüht nler ehe Scriimdiagnotc der S> phili*. 

In ausiiihr heller Weise wird das li.mu >i\t.s«. he >Wem besprühen und 
das Phänomen des Fmtritts l*ezw. Ausbleibens ,1er M.mug\s t - m.*n- 
striert. Hierauf wird das Wesen der W ;i s s t r tu ;i n n sdieii Re¬ 
aktion erörtert, insbesondere die WiJmgkeit der K • n t: • • en U. c : \ • r - 


gehoben 

Redner zeigte 

an 

einer K 

'ehe \‘ll Re.* g-. 

. n/g aSchen 

eie *1 

Ausfall 

der 

Reaktion mit 

eie 

n enispi 

' eoheU deU k • r 1 1 

r- ne U. 1 s 

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agernhm imt- r 

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\ "U Herrn | ’r 

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sim.de II 

untersucht w- : 

de U. \ • 11 

eie .1 


normalen Sens gab kein ein/ices einen fs.«»v:ie». n \usfa': vier Ren) t;< -n. 
N' f >ii klinisch s\ |-tkiii!»sv he rt Sens e* gaben evie n p>.:;'.ei: Aus¬ 
fall eler Re.iktioii 1*2.5 Pro/. Das /mm-d ä ' e n dieser / "er harter 
den an ainleren XilSta.tcJi ge flir.de ruu erk.'t s. Ji vi.iran^ dasN nur 
eine sehr starke Hemmung als p-vf.\ e Re a* t.-n \ yuze.v bret w ur de. 

Diskussion: H._ rr Sachs e mne't an d e \ • -n Wasser- 
ma n n-Purges. I.;t inistt i r. e r - 1* •. t / e ’ - M •: : i e r. L e \ a - 
el i t i - Y a m a ti o u c h i en?d--v kt«- l.i’cid'-'. d.ms ..Ue n l\t r akt 
S\ plnlitisJieT Leber n vor baiulcllv K p. anide a k • di Ji ist und 

durch Lc/ilfim oder gaaensaurc >.i'/e werden kam; ied.o^h 

Sollen weder letztere, noch das 1 eoti.m raJi den Angaben \«>n 


OrigiiTBl From 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 




28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1611 


Levaditi-Yamanouchi so wirksam sein, wie die Leber¬ 
extrakte. In gemeinschaftlich mit Dr. Karl A 11 m a n n ausgeführten 
Untersuchungen ist es Sachs gelungen, in den Seifen weitere Sub¬ 
stanzen aufzufinden, die sich bisher als ausserordentlich geeignet für 
den Ersatz des Leberextraktes erwiesen. Die Untersuchungen be¬ 
ziehen sich auf das oleinsaure Natron, das in Mengen von 0,2 bis 
0.3 ccm 1 proz. Lösung für die Wasserman nsche Reaktion mit 
bestem Erfolg angewandt werden konnte (Demonstration). Ob das 
oleinsaure Natron geeigneter als Lezithin oder gallensaure Salze ist, 
wird vorläufig dahingestellt gelassen. Wenn auch durch diese Fest¬ 
stellungen wahrscheinlich geworden ist, dass die eine beteiligte Kom¬ 
ponente nicht spezifisch im Sinne der Immunitätsreaktionen ist, so 
ändert das doch nichts an der klinischen Spezifität und beein¬ 
trächtigt die praktische Bedeutung der Wassermann sehen Re¬ 
aktion als wertvolle Bereicherung der diagnostischen Hilfsmittel in 
keiner Weise, da die positive Reaktion bisher eben nur mit den 
Seris Syphilitischer erzielt werden konnte. Der endgültige Ersatz 
des Leberextraktes durch eine chemisch definierte Substanz wäre 
als praktische Vereinfachung sehr zu begrüssen. 

Herr Salomon -Wien als Gast spricht über die serodlagnosti- 
schen Erfahrungen bei Lues aus der v. Noorden sehen Klinik. 

Herr Embden: Ueber das Verhalten von Leuzin in der Leber. 
(Publiziert in Hofmeisters Beiträgen zur chemischen Physiologie und 
Pathologie.) 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

7. ordentliche Sitzung vom 20. Mai 1908. 
Vorsitzender: Herr Veit. 

Schriftführer: Herr Herschel. 

Diskussion über den Vortrag des Herrn Mohr: 
Ueber einige Fragen des Stoffwechsels und der Ernährung. 

Herr L e s s e r bemerkt, dass der Diabetes lediglich durch eine 
Hyperglykämie nicht erklärt werden könne, da hiedurch keine Auf¬ 
klärung für das Auftreten von /1-Oxybuttersäure, Azeton und ähn¬ 
lichen Körpern gefunden werde. Inwieweit es sich um eine Oxy¬ 
dationsstörung handle, sei noch nicht zu entscheiden, da man nicht 
wisse, ob etwa die anoxybiotische Zerlegung des Zuckermoleküls 
beim Diabetes herabgesetzt sei. 

Bezüglich des Muskelstoffwechsels sei die Meinung, dass der 
Muskel nur auf Kosten von Kohlehydrat arbeite, experimentell noch 
nicht bewiesen. C. V o i t hat nur gezeigt, dass Muskelarbeit nicht 
die Ursache der Eiweisszersetzung sei, dass Muskelarbeit nicht 
die Eiweisszersetzung steigern muss. In gemeinsam mit Petten- 
kofer angestellten Respirationsversuchen hat er gefunden, dass 
Muskelarbeit auch auf Kosten von Eiweiss und Fett geleistet werden 
kann. Der Stoffwechsel des Muskels ist noch nicht aufgeklärt. 

Herr Hildebrandt: Der Vortr. hat über einige Fälle be¬ 
richtet, bei denen trotz reichlicher Nahrungszufuhr kein genügender 
Stoffansatz erfolgte, vielmehr ständige Abmagerung eintrat und er¬ 
klärt dies mit einer Steigerung der Oxydationsprozesse in einem 
solchen Organismus. Demgegenüber wäre es aber auch möglich, 
dass der „physiologische Nutzeffekt“ der eingeführten Nährstoffe 
ein geringerer ist als in der Norm, indem im Kot sowohl wie im 
Harn Stoffwechselprodukte auftreten, welche nicht voll im Organis¬ 
mus zur Verwertung gelangt sind; es wäre dies zu ermitteln durch 
Bestimmung des Kalorienwertes von Harn und Kot. Falls diese 
Werte sich als höher wie in der Norm ergeben sollten, so wäre 
eher mit einer Herabsetzung der Oxydationsprozesse in einem solchen 
Organismus zu rechnen. Man könnte nun meinen, dass dann die 
Werte für die durch Ausatmung austretenden Kohlensäuremengen nie¬ 
driger sein müssten; indes ist bezüglich des Eiweissstoffwechsels zu 
berücksichtigen, dass die Möglichkeit besteht, dass die aus dem zu¬ 
geführten Eiweiss im Darmkanale entstandenen Verdauungsprodukte 
in ungenügendem Masse zu assimilationsfähigem Eiweiss wieder 
aufgebaut würden, wohl aber im Stoffwechsel verbrannt werden und 
daher zur Bildung der normalen Endürodukte des Stoffwechsels bei¬ 
tragen. 

Herr W i n t e r n i t z: M. H.! Ich möchte nur auf einen Punkt 
Bezug nehmen, der mir von einer gewissen praktischen Bedeutung 
zu sein scheint. Herr Mohr hat die interessante Beobachtung ge¬ 
macht, dass beim Diabetes mel. die Verbrennung des Kohlehydrat¬ 
moleküls verzögert ist und er hat damit die Hyperglykämie in plau¬ 
sibler Weise erklärt. Er hat ferner im Hinblick auf diese Herab¬ 
setzung der oxydativen Energie der Zellen es als ein therapeutisches 
Desiderium bezeichnet, ein Mittel oder allgemeiner gesagt, eine Me¬ 
thode zu finden, die geeignet wäre, die Zellen des diabetischen Or¬ 
ganismus zu stimulieren. Ich möchte demgegenüber darauf hin- 
weisen. dass das einzige Mittel, das — soweit mir bekannt ist — 
wirklich die Zuckerausscheidung beim Diabetiker herabzusetzen ver¬ 
mag, das Opium ist bezw. seine Alkaloide. Vom Opium bezw. 
Morphium kann man aber sicher nicht behaupten, dass es ein Sti¬ 
mulans für die Zellen därsteflt. Ich möchte eher glauben, daSs es 
eine gewisse depressive Wirkung ausübe. Ich habe vor Jahren Ver¬ 


suche gemacht, die ich nicht oder noch nicht publiziert habe, aus 
denen hervorgeht, dass das Morphium nicht nur die Erregbarkeit des 
Atemzentrums herabsetzt, wie ich für den Menschen zum ersten 
Male nachgewiesen hatte, sondern dass es auch unter sonst gleichen 
Bedingungen den Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäureproduktion 
vermindert. Das Opium ist aber nicht nur das einzige Mittel, das 
beim Diabetes wirkt, sondern es wirkt bemerkenswerter Weise auch 
bei allen Formen des Diabetes, es wirkt nicht nur bei gewöhn¬ 
lichen Diabetesfällen, sondern es wirkt auch sicher beim Pankreas¬ 
diabetes. v. M e r i n g hat mitgeteilt, dass er es in 2 Fällen von 
Pankreasdiabetes beim Menschen mit prompter Wirkung gegeben 
habe. Ich habe kürzlich mit Herrn Dr. Ernst Meyer Versuche 
über die Einwirkung des Opiums auf die Zuckerausscheidung beim 
pankreas-diabetischen Hund gemacht. Die Wirkung war eine ganz 
eklatante. Bei gleichbleibender Nahrung sank die Zuckerausschei¬ 
dung beträchtlich ab (wir gaben 2 dg Opium bei einem Hund von 
ca. 8 kg), um beim Aussetzen des Opiums wieder anzusteigen. Wie 
das Opium wirkt, wissen wir allerdings nicht und können uns darüber 
auch kaum eine plausible Vorstellung machen. Es hält aber schwer, 
anzunehmen, dass es stimulierend wirke. Damit soll nicht gesagt 
sein, dass nicht andererseits auch Mittel und Wege gefunden werden 
können, die durch eine Art Stimulation der Gewebe die Zuckeraus¬ 
scheidung herabzudrücken vermögen. Eigentlich besitzen wir solche 
Mittel oder Methoden schon. Ich erinnere an die Muskelarbeit und 
dann an das heisse Bad, an die Ueberhitzung durch heisse Bäder. Ich 
habe beim Menschen zeigen können, dass durch protrahierte heisse 
Bäder, die Oxydationsprozesse selbst um 100 Proz. und mehr ge¬ 
steigert werden können. Die Berechnung ergab, dass ein Teil des 
Sauerstoffmehrverbrauchs auf den Zerfall stickstofffreier Substanzen 
bezogen werden müsse. Diese Beobachtungen veranlassten mich 
seinerzeit, das heisse Bad bei leichten Diabetikern anzuwenden. 
Durch geeignete Versuchsanordnung — Abfangen des Urins während 
einer mehrstündigen Verdauungsperiode nach kohlehydrathaltiger 
Nahrung — gelingt es beim Menschen, den Einfluss heisser Bäder im 
Sinn einer Herabsetzung der Zuckerausscheidung mit Sicherheit fest¬ 
zustellen. Ich habe die Versuche nicht veröffentlicht, da Lüthje 
von grösseren Gesichtspunkten aus und durch umfassende Versuche 
die Wirkung differenter Temperaturen auf die Zuckerausscheidung im 
Tierexperiment gezeigt hat, aber ich glaube, dass die Mitteilung 
über meine Versuche an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang 
nicht ohne Interesse sein wird. 

Herr Ad. Schmidt: Die Theorie des Herrn Mohr hat zwei¬ 
fellos manches Bestechende. Indem er an Stelle des Unvermögens 
oder der herabgesetzten Fähigkeit der Zellen, Zucker zu verbrennen, 
die verlangsamte Verbrennung setzt, beseitigt er viele Schwierig¬ 
keiten. Aber es fragt sich, ob wir ohne die Leber auskommen 
können? Warum sind die Glykogendepots, wenn der Zuckerver¬ 
brauch im Diabetes verlangsamt ist, dauernd leer und nicht vielmehr 
dauernd gefüllt? Warum ist während der Resorption von Kohle¬ 
hydraten die Zuckerausscheidung stets am grössten? Mangelhafte 
Glykogenablagerung und mangelhafter Zuckerverbrauch der Zellen 
laufen im Diabetes nebeneinander her, und es hat bisher noch keine 
Theorie vermocht, sie in plausibler Weise in Einklang zu bringen. 

Uebrigens weisen die neueren Forschungen immer mehr auf die 
grossen Unterschiede zwischen dem Pankreasdiabetes des Hundes 
einerseits und dem menschlichen Diabetes andererseits hin. Da haben 
wir beim Hunde eine Steigerung der Verbrennungsprozesse, die beim 
Menschen fehlt, wir haben andere Verhältnisse der Azidose, wir 
haben nach Herrn Mohr Wirkung der Benzoesäure usw. Wie wenig 
menschliche Diabetesfälle gibt es, die als Pankreasdiabetes ange¬ 
sprochen werden können? Der Diabetes des Menschen zeigt 
ausserordentlich wechselndes Verhalten. F a 11 a und G i g o n, 
S t ä u b 1 i u. a. haben gezeigt, dass es Fälle gibtl 
welche empfindlicher gegen Eiweisszufuhr sind als gegen 
Kohlehydratzufuhr. Bei anderen, den sogen, renalen Formen, bleibt 
die Zuckerausscheidung ganz gleichmässig, einerlei wie die Nahrung 
verändert wird. Wieder andere zeigen die hohen N-Retentionen, die 
bisher noch völlig rätselhaft sind. Unter diesen Umständen muss man 
daran denken, dass es beim Menschen mehrere diabetogene Organe 
gibt und es empfiehlt sich, theoretische Vorstellungen, welche nur 
aus Untersuchungen beim pankreas-diabetischen Hunde abgeleitet 
sind, nicht zu schnell zu verallgemeinern. 

Die erwähnten N-Retentionen sind auch für die Frage der Ei¬ 
weissmast sehr interessant. Wenn soviel N bei gewissen Fällen von 
Diabetes im Körper zuriickbleibt, ohne dass wir bisher wissen, was 
aus ihm wird, so versteht man es, dass wir noch nicht volle Klarheit 
über die Verhältnisse bei Ueberernährung mit Eiweiss haben können. 
Dass die neueren Untersuchungen die Bewertung der Eiweiss¬ 
ernährung auf das rechte Mass zurückgeführt haben, ist mit Freude 
zu begrüssen, aber Herr Mohr hat bei seinen Ausführungen sich mit 
Recht gehütet, daraus den Schluss abzuleiten, dass man nun, zumal 
in Krankheiten, weniger Eiweiss geben soll. Dazu ist auch kein 
Grund vorhanden, denn eine Zelle, die dauernd in Eiweiss schwelgen 
kann, hat gewissermassen ein gutes „Temperament“. Die Vorstellung 
ist erlaubt, dass es ihr leichter wird, komplizierte Eiweissverbin¬ 
dungen (Antistoffe) aufzubauen.'^ls elher auf knappe Eiweisskost ge¬ 
setzten Zelle. Die Forderung geringerer Eiweissmengen in der 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 


161 2 


Nahrung hat wesentlich zur Verbreitung des Vegetarianismus bei¬ 
getragen, einer Mode, die ich nicht mitmache. Ich möchte auch die 
Forderung nicht unterschreiben, dass die V o i t sehen Standardzahlen 
in bezug auf die Eiweisskost verringert werden. Man kann nur 
sagen, es geht auch mit weniger Eiwciss, aber es ist noch nicht 
erwiesen, dass das Optimum der Ernährung bei geringeren Eiweiss- 
werten liegt. Ebenso ist noch niemals nachgewiesen, dass eine 
reichliche Ernährung mit Eiwciss dem Oesunden in irgend einer 
Weise schädlich ist. 

Herr H a r n a c k weist darauf hin. dass die angeregten Fragen 
zu den schwierigsten und weittragendsten gehören, so dass man bei 
der Diskutierung derselben (jefahr läuft, entweder zu weitschweifig 
zu werden oder auf der Oberfläche zu bleiben. Das Fundament des 
tierischen Chemismus, ja geradezu das Lebensrätsel sei gegeben in 
dem Gleichgewicht zw ischen Katalysatoren und Sauerstoff, zw ischen 
Spaltung und Verbrennung. Unter pathologischen Umständen wurde 
er bei völligem Mangel von fieberhaften Erscheinungen am wenigsten 
geneigt sein, an eine primäre abnorme Steigerung der Oxydationen 
zu denken. Dagegen könne sehr wohl ein abnormes Ueberw iegen 
der katalytischen Prozesse cintrctcn im Verhältnis zu den oxydativen, 
relativ oder absolut. Relativ bei zu wenig Sauerstoff, wovon das 
Extrem im Erstickungsvorgang gegeben sei. der sicher nicht bloss 
als Kohlensäurevergiftung betrachtet werden dürfe. Absolut durch 
behinderte Enzymzerstörung. Dass gewissen Organen (Leber) die 
physiologische Aufgabe der Enzymzerstörung zufällt, sei wohl zwei¬ 
fellos. und was durch den Wegfall dieser Tätigkeit für Folgen ein- 
treten, darüber hätte namentlich das Studium gewisser Vergiftungen 
(Phosphor) wertvolle Aufschlüsse geliefert. 

Umgekehrt könnte gewissen Krankheiten auch ein Manko von 
katalytischen Vorgängen zugrunde liegen: gerade beim Diabetes 
mellitus habe diese Auffassung viel für sich. Zwar konnte man 
auch a priori an eine übermässige Tätigkeit von Katalysatoren denken, 
indem diese letzteren durch Abbau der kondensierteren Moleküle so 
überreichliche Zuckermoleküle produzierten, dass die immerhin lang¬ 
same Verbrennung des Zuckers dem nicht nachkommen konnte, aber 
viel mehr Wahrscheinlichkeit habe doch die Annahme des Fehlens 
eines katalytischen Vorganges, durch den das Zucker¬ 
molekül erst in seinem Gefüge gelockert werden muss, ehe es ver¬ 
brannt werden kann. Das würde an den Vorgang der Alkoholgärung 
durch das Hefeenzym erinnern, und vielleicht sei es w irklich der ja 
so leicht und rasch verbrennende Alkohol, der als kurzlebiges 
Zwischenprodukt dabei entsteht. Dafür spreche, dass der Zucker, 
wenn nicht normal gespalten und verbrannt, abnorm im Organismus 
des Diabetikers gespalten werden kann (Azeton etc.). Auch die 
Tatsache des Pankreasdiabetes stehe damit im Einklang, da das Pan¬ 
kreas zweifellos auch die Aufgabe habe, ein bestimmtes Enzvm ins 
Blut zu liefern. Uebrigens sei es wohl möglich, dass dem Diabetes 
mellitus, lediglich als Symptom betrachtet, verschiedene Ursachen 
zugrunde liegen, und insofern gebe es vielleicht mehr als einen 
Diabetes. 

Was die Therapie bei letzterem anlange, so sei das Opium ein 
schon längst benutztes Mittel, zuweilen von zweifelloser W irkung 
und selbst in stärkeren Dosen von den Diabetikern meist gut ver¬ 
tragen. Man dürfe aber doch nicht übersehen, dass beim (jebrauche 
von alkalisch-salinischen und alkalischen Wässern (Karlsbad. Neuen¬ 
ahr etc.) nicht selten günstige Erfolge, wenigstens vorübergehend, 
erzielt worden seien. 

Herr Winternitz: M. H.! Auf die Anfrage des Herrn (ie- 
heimrat Harnack kann ich nur erwidern, dass ich aus eigener Er¬ 
fahrung w'enig über die Wirkung der Alkalien beim Diabetes zu sagen 
vermag. Ich kann mich aber auf einen so ausgezeichneten Kenner 
des Diabetes, wie v. M e r i n g es war, berufen, der die Ansicht ver¬ 
trat, dass die Alkalien die Zuckcrausscheidung nicht im mindesten 
zu beeinflussen vermögen. Auf demselben Standpunkt steht - soviel 
ich weiss — N a u n y n. Dass Karlsbad, Neuenahr und anderen Orts 
vorgenommene Trinkkuren sich als wirksam erweisen, hängt be¬ 
kanntlich mit eitler Reihe von Faktoren zusammen, auf die ich nicht 
einzugehen brauche. Neuerdings werden auch die radioaktiven Sub¬ 
stanzen zur Erklärung der Wirkung mit herange/ogen. Erwähnen 
möchte ich noch, dass ich bei mittelschweren Fällen von Diabetes 
mit leichter Azetonuric von grossen Alkaligaben nie eine Einwirkung 
auf die Zuckerausscheidung selbst konstatiert habe. 

Herr Mohr (Schlusswort): Die Meinung von Herrn besser, 
dass sich aus der (ilykosurie aus verlangsamter Zuckeroxydation das 
Auftreten der Azetonkörper nicht erklären lässt, ist nicht richtig. 
Wir sehen auch beim Gesunden, dass, sobald die. Kohlehydrate in 
der Nahrung wegfallen, die Azetonkörper auftreten. unter Umständen 
in bedeutenden Mengen. Beim Diabetes werden allerdings meistens 
die grosseren Mengen ausgeschieden. Aber auch hier lässt sich doch 
im allgemeinen die Abhängigkeit der Azidosis von der Zuckerver¬ 
wertung nachwcisen. 

Wenn Herr Hildebrandt meint, dass in den von mir erwähn¬ 
ten Fällen von gesteigerter Wärmebildung die Ursache davon in 
mangelhafter Ausnutzung der Nährstoffe im Darm oder mangelhafter 
( ’\ vdation jensciis vom Darm läge, so ist das nicht richtig. Fs 
verständlich, dass mir diese Fehlerquelle bekannt ist. und ich 
■ usdriicklich, dass solche Fälle von vornherein in meiner 


Betrachtung ausgeschlossen waren. Es ist aber weiterhin bemerkt 
nicht einmal richtig, wenn Herr Hilde brau dt meint, die mangel¬ 
hafte Sv ntliese der Eiw eissbausteine in der Darmwand wurde eine 
Vermehrung des Eiw eissbedai fs tnaJicii. Wir wissen, dass es s*>ga: 
möglich ist, den Eiw eissbestand des Körpers zu erhalten bei ein¬ 
facher Zub'lir \on Aminosäure in der Naht uug. Dann IM Me*: 
H i I el e b r a n el t überhaupt, wie nur scheint. noch darin im Irr¬ 
tum. wenn er die gesamte W ar mebn lung des Kor pc ts /imimiii u- 
wirft mit der Zersetzung eines bestimmten M-hes, /. B. des I . 
w eisses. 

Was die I rage des Herrn Prof. S e h m i d t betn”t. w "he t in 
Diabetes die (il\kogeriv erat muug der Leber komme, und dass cn w 
Erscheinung auch mit der Annahme einer \ erlangsamte n Zu. Ser¬ 
verTrennung ebensowenig wie durch andere Iheorun zu i'k .i'eii 
wäre, so bemerke ich. dass das durchaus keine Scfrw ie r ukciUn 
macht. Wir wissen, dass unter normalen \ er hdtmsMii es m erster 
Eime du- Kohledi\ eirate sunl. weiche zur Warme! lang E.ei.m- 
gezogen w eiden. Die Zufuhr vier notigen Menge von k • h u ’• \ d' afe o 
nach den Muskeln, welche die h.mpts.u h!u lisfen Bi ,dur. gsst...: t e n der 
ticiischen Warme suwl. wird durch einen lern reagierenden Mecha¬ 
nismus hew er ksti-üigT. weicher es ermöglicht, dass niemals de r 
Zuckergehalt des Blutes über ein gewisses Niveau steigt und ii.o 
Gefalle zwischen Blutzucker und Ge w ebs/iuke r erhalten Ke bt. 
Wie diese Regulation vor sich geht, wissen wir nicht. wir kennen 
nur die Tatsache, dass bei Mangel an Kohlehv drateri m der I’e c: e 
die Leber aus (ilvkogen /.Ucker bildet und diesen an das M ut a K - 
gibt. welches ihn nach den Malten des Verbrauchs traipsp. ,r tie r t. 
wir w issen ferner, elass die .Muskelzelle eine ausgesprochene AhmuM! 
zum Kohlehv drat hat gew isserm.issen flach Kohlehv dutten ste ts 
steigert. Stellen Me sich. m. H.. nun vor. dass im Diabetes >l:eM' 
Hunger infolge der langsamen Owdution des Ztn ke? ?lp§e ks 1 : 1 dl 
befriedigt wird, so wird die böige- sein, dass zur A! Sättigung der 
hungernden Zellen immer mehr KohUlndrat vmi der l eher an das 
Blut geliefert wird, die Gl v koge-ndepots werden auf ilusc W e ne 
leer und iler Zucker häuft sich m den Milieu des Horpe is an be/vv. 
wird durch ehe Nieren ausgesc hieden. Die tiodi me r k w ir d gm e 1 af- 
saclie. dass der im Blute anveluuite Zinker nicht wieder zu ii \ b- 
gen wird, wie das mit dem Nalir ungs/uc ke r geschuht, ist e'**?t 
schwerer zu erklären, ia man kann sagen, gegenwärtig überhaupt 
nicht; es sei denn, dass man die Annahme macht, dass Zucker, 
der einmal im Blutstrom ist. überhaupt nicht mehr von der l eher m 
(ilvkogen umgew nudelt werden kann, eine \ or steluiftg. ehe in akn- 
licher W eise neuerdings von G. R o s e n f e I el geanssert wureie. 

Herrn W i n t c r n i t / habe ich zu bemerken. dass es ausser dem 
Opium zweifellos noch ArzriviMofte- gd't. weiche eie n Zinker heuib- 
set/en. /. B die Sali/v lpraparate. das Zv zigium lambul. etc. W .»s 
das Opium betrifft, so nehmen wir allerdings an. J.es er auf In 
Nervensystem beruhigend, also nicht stimulierend wirkt: damit is? 
aber noch nichts ausges.igt darüber, wie sich ehe Hemmung e!e s 
Nerveneinflusses auf die l'unktjoti iler Or ganze l’e Iw zw. deren te*- 
mentative Tätigkeit äusse-M. 

Was dann den von Herrn W internit/ äuge fuhr teil I c.K.sv 
hoher Ausseiitemperaturen auf ehe Zik keraussc lieidving Kfrmt. so 
mochte ich hemeiken. dass ehe \ ersuche .von I. ti t h t e nicht tm- 
w ielersprocheii gebliebe n sind. Ich se ihst habe ii.ichgew hhii, da.'-s 
beim pankreaslosen Hund keineswegs eine konstante Met abse. t/umg 
der Zucket all ss Jiei düng bei I e mpe ■ ature u v.ui d s " C emdr.it. 
ebensowenig in der Kalte eine Erhöhung. Ich h.d-e ferner tun ': - 
gew lesen, dass auch der Zucker ge halt des B'utes. m diesen ’lempera- 
turen nicht so sieh verändert, wie man erwarten Sollte, wenn de r 
von l.iithje behauptete I mrlnss iler l mgebimgstempe: atm auf du 
Z ti c k e r b i I d IJ u g bestände. Man vereisst leider immer. dass 
Zuckerbildimg und Ziie keraussc henluiig im Diabetes nicht identm/;e 
w erden darf, leh habe m meinem \ erfrag sdioti auf das Mssvcr- 
hältnis hillgewiesen, das wir zwischen ( liv k.nme und G'vkosune te M- 
gestellt haben. Audi die von Herrn > e h m r d t betonte l.iurwn- 
liaftigkeit in der Reaktion verschiedener Diabetiker aut gieniie 1 n- 
grittc, /. B. Eleisdi- oder l w r n.ihi Urig eti.. beruht n.idi me iner \n- 
sicht nicht darauf, elass die Zucker bmiimg m c,,ese n EG. en eju.mtitj’ov 
verschieden ist. sondern dass die Aussdieidimg des Zuckers .ms 
bestimmten, i tu em/eirien vor läufig Schwer deümerbaren (irrmden 
v erschieeleii v erlauft. 

Zum Schlüsse konstatiere ich mit g'osster Be lried:gimg ,d,.ss uh 
mit eleu Anschauungen. die Herr Gehe muff Harnack hier ent¬ 
wickelt hat. im wesentlichen aber e msj unme. \ust.itt m meinem \ or¬ 
trage zu sagen, die bei der Ziickerv er h'e urning tätigen I t'mente 
funktionieren nicht genügend, datier k-riüiif die \ e ■! re umr-.g i.mg- 
siim in (i.mg. hatte ich sagen können, du kata'v tisdiem A^urge sm.l 
gehemmt. Es ist ia gerade gegenw a;pg eme uugek'irte I r age. oh 
bei eie ui. was wir ais Eertftvntpr o/e ss a’wpi ed:e u. nuiit pliV'-ik.. iSjh- 
cltenlischt* Vorgänge* beteiligt sind. ( ie'ude über el.ts Wesen de r 
Zuckerverbrennung im Tierkorper hat iw tier dir gs Schade sehr an- 
sprechende plivsikalisdi-ehennsdie I »e traditm ge n ge.mssert bi 
ph vsikalisch-chemisdiem Sinne wäre vul'e uht audi die Wirkung e!e r 
Alkalien, speziell der von Herrn H a r n a c k genannten a ^ a isc i;e n 
Brunnen erklärbar. Es ist ein s t br iw ak::v es Evpcwm.e nt, wenn 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1613 


man sieht, wie in der Bunsenflamme Rohrzucker verbrennt bei Zusatz 
einer Spur von Asche. 

Herr Hildebrandt: Weder in seinem Vortrage noch in seiner 
Erwiderung hat Herr Mohr auf die angeregte Untersuchungsweise 
Bezug genommen; sie allein erscheint entscheidend. Auf das Auf¬ 
treten einzelner Zwischenprodukte des Stoffwechsels im Harn 
darf kein grosses Gewicht gelegt werden; die von klinischer Seite 
ausgeführten Untersuchungen hinsichtlich der Auffindung solcher Pro¬ 
dukte sind nicht immer zuverlässig, was auch von Abderhalden 
besonders betont worden ist. 

Herr Mohr: Selbstverständlich ist in meinen Untersuchungen 
der „physiologische Nutzeffekt“ festgestellt. Ich habe betont, dass 
meine eigenen Versuche, auf die ich mich hier stützte, im 
Reignault-Reisetschen Apparat ausgeführt sind. Eine Berech¬ 
nung der Wärmebildung wäre gar nicht möglich ohne die Kenntnis 
des im Darm und Harn verloren gegangenen Nährmaterials. Ich 
habe die Einzelheiten nicht ausdrücklich hier erwähnt, wohl aber 
in meiner bereits publizierten Arbeit. 

Herr Fraenkel: Ich möchte mir erlauben, m. H., Ihnen hier 
ganz kurz eine Reihe von mlkrophotographischen Aufnahmen vorzu¬ 
legen, die ich vor Jahresfrist angefertigt habe und die Ihnen das 
Vorkommen und die seitenständige Anordnung von Geisselfäden an 
den verschiedenen Spirillen zeigen sollen, die als die Erreger der 
afrikanischen, der amerikanischen und der europäischen Rekurrens- 
krankheit festgestellt sind. Wenn ich mir erlaube, diese Bilder hier 
vorzuführen, so hat das seinen Grund namentlich in der Tatsache, 
dass unter den zahlreichen Untersuchern, die sich gerade mit diesen 
Infektionserregern im Laufe der letzten Zeit beschäftigt haben, sich 
noch immer eine grosse Anzahl zu befinden scheint, denen es bisher 
nicht gelungen ist, die Geisselfäden an den Rekurrensspirillen in 
gehöriger Weise zur Darstellung zu bringen und die über ihre nega¬ 
tiven hierher gehörigen Befunde berichten. Hatten z. B. N o v y und 
Knapp vor nunmehr 2 Jahren derartige Beobachtungen mitgeteilt, 
so muss man sich doch darüber wundern, dass B r e i n 1 noch in 
seiner letzten Veröffentlichung über den gleichen Gegenstand eben¬ 
falls erwähnt, dass es ihm nicht gelungen sei, diese Bewegungsorgane 
aufzufinden, und in manchen anderen Veröffentlichungen liegen die 
Dinge nicht wesentlich anders. Bis zu einem gewissen Masse er¬ 
klärt sich dieser Misserfolg wohl aus den Schwierigkeiten, die es 
macht, die gehörige Art der Darstellung zur Anwendung zu bringen. 
Die hier allein mit Erfolg gekrönte Methode der Geisselfärbung setzt 
eine gewisse Uebung und Erfahrung auf diesem Gebiete voraus. 
Man muss das Material, das die Spirillen enthält, also das Blut der 
infizierten Tiere, auf dem Deckglase so ausstreichen, dass es eine 
völlig gleichmässige, feine und von Blutkörperchen freie Schicht 
bildet, d. h. man hat das Blut mehrmals mit steriler Kochsalzlösung 
auszuwaschen und endlich auf dem Gläschen in feinster Lage aus¬ 
zubreiten. Alsdann beizt man die so hergestellten Präparate mit 
gerbsaurem Antimonoxyd und färbt endlich in der von Zettnow 
angegebenen Weise mit Aethylaminsilberlösung nach. 

In den so hergestellten Präparaten nun sieht man ohne weiteres 
sehr zahlreiche, teils endständige, teils und namentlich aber 
seitenständige Geisselfäden an den Spirillen auf- 
treten, und wenn Sie die Ihnen hier vorgelegten Photogramme dieser 
Objekte nur etwas genauer ins Auge fassen, so werden Sie sich 
sofort von der Richtigkeit der Ihnen soeben vorgetragenen Tatsache 
überzeugen können. Neben solchen Zilien, die an den Spirillen noch 
haften, sieht man natürlich in den Präparaten auch mehr oder we¬ 
niger zahlreiche, die sich losgerissen haben und die also neben und 
zwischen den Spirillen selbst erscheinen. 

Wenn ich Sie nun auf diese Dinge hier aufmerksam mache, so 
geschieht das namentlich, um Sie auch für die von verschiedenen 
Seiten mit mehr oder minder grosser Schärfe behandelte Frage nach 
der Natur der Spirillen selbst zu interessieren. Aus Gründen 
der allerverschiedensten Art hat man nämlich die Anschauung ver¬ 
treten, dass es sich hier nicht um pflanzliche, also in die Klasse der 
Bakterien, sondern um niederste tierische, zu den Protozoen zu 
rechnende Mikroorganismen handle und hat zur Bekräftigung dieser 
letzteren Ansicht auch darauf verwiesen, dass sie keine Geisselfäden 
bildeten bezw. die von ihnen getragenen Zilien nicht das bezeichnende 
Verhalten besässen, das ich Ihnen hier soeben demonstrieren konnte. 

Sie werden nach dem, was Sie hier sehen, dieser Anschauung 
gewiss die Gefolgschaft versagen: nach der ganzen Anordnung, nach 
dem Aussehen usf. der hier vorhandenen Geisselfäden wird man in 
der Tat nicht die geringste Veranlassung haben, an 
tierische Mikroorganismen zu glauben, wird vielmehr 
mit allem Nachdruck den Standpunkt vertreten müssen, dass es sich 
hier um Vertreter der niedersten Gruppe des Pflanzenreiches, dass 
es sich also um Bakterien oder jedenfalls um nächste Verwandte 
derselben handelt. In Wahrheit entbehrt ja die hier eben ange¬ 
schnittene Streitfrage jeder tieferen Bedeutung namentlich für uns 
Aerzte; ob tierische oder pflanzliche Lebewesen in Betracht kommen, 
ist gerade hier, auf der untersten Stufe dieser beiden grossen Natur¬ 
reiche, eine Angelegenheit, deren Erledigung man vielfach geradezu 
als Geschmackssache bezeichnen kann und deren Entscheidung daher 
an sich nur den begeisterten Systematiker wird interessieren können. 
Indessen .'sei bemerkt, dass doch über den engen Kreis der so be¬ 
teiligten Persönlichkeiten hinaus insofern auch weitere Kreise ge¬ 


rade der hier aufgeworfenen Frage eine gewisse Bedeutung nicht 
werden abstreiten können, als man bisher nur bei pflanzlichen Lebe¬ 
wesen die Frage der künstlichen Züchtung in bejahender 
Weise zu beantworten vermocht hat, als also nur bei Mikrobien: 
aus dem Lager der Pflanzenwelt es bisher gelungen ist, die Ent¬ 
wicklung auf unseren Nährböden mit gehöriger Sicherheit zu veran-j 
lassen. Wenigstens wird man die sogen.,* verhältnismässig leicht 
durchzuführende Züchtung von zweifellos tierischen Parasiten, wie 
es z. B. die Trypanosomen der Rattenkrankheit sind, kaum als eine 
Kultur in dem sonst üblichen Sinne des Wortes ansprechen wollen, 
und so ist also mit dem Augenblicke, wo man die hier in Rede 
stehenden Spirillen zu den tierischen Lebewesen verweist, unsere 
Hoffnung auf eine gedeihliche Lösung der Züchtungsfrage jedenfalls 
noch weiter hinausgerückt, als wenn man diese Mikrobien in die 
pflanzliche Welt verweist. 

Herr Pflugradt stellt aus der chirurgischen Universitäts- 
Klinik (Direktor: Geh.-Rat v. Bramann) eine 27jährige Patientin 
vor mit fast völligem Verschluss des Pharynx durch ausgedehnteste 
Narbenbildung nach luetischen Ulzerationen. 

Es zeigt dieser Fall nicht nur Verwachsungen zwischen weichem 
Gaumen einerseits und hinterer Rachenwand oder dem Zungen¬ 
grund andererseits, wie sie in den älteren Arbeiten von S c h e c h 
und Langreuter (Deutsch. Arch. f. klin. Medizin, XVII und XXVII) 
beschrieben sind, und von denen Heymann in seinem „Lehrbuch 
der Laryngologie und Rhinologie“ eine grössere Zahl zusammen¬ 
gestellt hat. Es lässt sich bei dem demonstrierten Fall vielmehr 
erkennen, dass der weiche Gaumen einmal in ganzer Ausdehnung mit 
der hinteren Rachenwand fest verlötet ist, und nur in der Mittellinie 
eine stecknadelkopfgrosse Oeffnung zeigt, die einzige Kommuni¬ 
kation zwischen Mundhöhle und Epipharynx; dass ferner dicke, breite 
Narbenstränge vom weichen Gaumen zu den Rändern und zum 
Grunde der Zunge und zum Unterkiefer ziehen, zwischen denen 
wieder unter Bildung von Taschen und Nischen flächenhafte Narben 
das Lumen des Pharynx soweit verschliessen, dass dessen laryngealer 
Teil mit der Mundhöhle nur in der Mitte durch eine Oeffnung kom¬ 
muniziert, die gerade für einen dünnen Sondenkopf durchgängig ist. . 

Durch diese Oeffnung nimmt die Pat. z. Z. flüssige und breiige 
Speisen auf. 

Als die Pat. vor etwa einem Jahre in die klinische Behandlung 
kam, war auch diese Oeffnung durch einen taschenartigen Narben¬ 
strang verlegt, so dass die Tracheotomie nötig wurde, um die Pat. 
nicht dem Erstickungstode preiszugeben. 

Da bei dem jetzt abgelaufenen Prozess weitere Verwachsungen 
und Narbenschrumpfungen nicht zu erwarten sind, soll demnächst die 
Operation vorgenommen werden, über deren Ausführung später be¬ 
richtet wird. 

Diskussion: Herr Frese: Stenosierende Narbenstränge 
werden nach Lues im Rachen verhältnismäsig häufig beobachtet, 
wenn auch selten so hochgradig wie in dem vorgestellten Fall. So 
sah ich vor einigen Monaten einen Patienten, bei dem einerseits eine 
Verwachsung zwischen weichem Gaumen und hinterer Rachenwand 
bestand, so dass der Nasenrachenraum fast völlig abgeschlossen war. 
andererseits die Zungenbasis derartig mit der hinteren Rachenwand 
verlötet war, dass ein nur bleistiftdickes Loch gleichzeitig für Atmung 
und Nahrungsaufnahme dienen musste. Patient konnte deshalb fast 
nur flüssige Nahrung zu sich nehmen und hatte beim Schlingakt 
häufig ein Erstickungsgefühl. Fehlschlucken trat nicht ein. Es gelang 
in diesem Falle durch Wegnahme des stenosierenden Narbengewebes 
mittelst Doppelktirette die Passage wieder frei zu machen und auch 
frei zu erhalten. 

Herr Voss stellt einen 49 jährigen früheren Lokomotivführer 
vor, bei dem, offenbar auf dem Boden einer seit ca. 2 Jahren be¬ 
stehenden ausgesprochenen Unfallsneurose, im März d. J. plötzlich 
eine Hautaffektion aufgetreten ist, die wohl als ein persistierendes' 
angioneurotisches Erythem aufzufassen ist. Auf Rumpf, besonders 
Rücken und Gesäss, sowie an den Extremitäten, hier wieder be¬ 
sonders stark an Oberarmen und Waden, bestehen grosse, unregel¬ 
mässig begrenzte, teils hellrote, teils mehr gelblichrötliche, kaum 
über das Niveau der Haut erhabene Flecken, in deren Bereich die 
FeWerung der Haut ein wenig stärker und mit grösserem Glanz 
hervortritt. Keine Schuppung. Eine Reihe der Erythemflecken be¬ 
stehen fast völlig unverändert seit ca. 2 Monaten. Nur abends, wenn 
die in Jucken und Brennen bestehenden subjektiven Beschwerden 
des Patienten am stärksten werden, werden die Flecken röter und 
treten ein wenig mehr aus der Haut heraus. Dermographismus be¬ 
steht nicht. Ab und zu wurde auch mal eine vereinzelte rein 
urtikarielle Effloreszenz beobachtet. 


Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. Mai 1908. 

Vorsitzender: Herr Deycke. 

Schriftführer: Herr L o r e y. 

Herr Plaut: Demonstration eines Falles von Balanitis pustulo- 
ulcerosa. 

Kollege Alexander Philippson brachte mir vorgestern rn 
Abstrichpräparat vom Inhalt einiger Bläschen an der Olans pn 


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1614 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. ,Vi. 


eines 20 jährigen jungen Menschen, in dem ihm massenhaitc Bazillen 
von eigentümlicher Gestalt anfviefallei: w aren. Da die wurstioiimgcui 
kleinen Bazillen, welche ich dort unter das Mikroskop gestellt habe, 
grosse Aehnlichkeit mit Spirillum sputigenum zeigten und auch sonst 
Keime im Präparat vorhanden waren, die man in der Mundhohlen- 
flora häufig findet, so sprach ich den Verdacht aus, dass es sich um 
eine Ansteckung vom Mund aus handeln könne. Heute Morgen war 
der Patient, den ich Ihnen gleich demonstrieren werde, bei mir, um 
mir seine (ieschichte zu erzählen. Er hat bei einem Koitusversuch 
wegen zu engem Introitus nicht einzudringen vermocht und sich da¬ 
bei am Brenulum verletzt, dass er blutete. Seine Partnerin hat ihm 
dann den Penis eingespeichelt, damit er leichter eindrmge. Auf Be¬ 
fragen gab er ferner an, dass die Dame überaus schlechte Zähne 
gehabt und über Schmerzen im Munde geklagt habe. 

Heute Morgen habe ich noch einmal Abstriche gemacht, d;e 
Bazillen gemessen und sie mit Spirillum sputigenum verglichen. Ich 
habe nach verschiedenen Methoden gefärbt, auch die (ieissdn der 
lebhaft beweglichen Kommabazillen dargestellt. Ich kann nur sagen, 
dass sich die Bazillen morphologisch in keiner Weise von Spitillum 
sputigenum unterscheiden lassen und dass sie auch die charakte¬ 
ristischen Helmbuschgeissein besitzen. Den Beweis, dass es sich um 
Spirillum sputigenum handelt, kann ich natürlich nicht erbringen, da 
bekanntlich eine Kultur dieser Organismen bis jetzt nicht gelungen 
ist. Es ist möglich, dass es sich um dieselben Stäbchen handelt, die 
Müller und Schreiber“! bei brandigen Prozessen der Eiche! be¬ 
schrieben haben, aber die Affektion hat, wie ich Ihnen nun zeigen 
möchte, durchaus keinen bösartigen Charakter. (Demonstration.! 
Es handelt sich um mehrere erbsengrosse, absolut kreisrunde, ilache 
Ulzerationen ohne ausgesprochenen Entziindungshof. Sie gleichen 
sehr den aphthösen Geschwüren, die man so häutig in der Mund¬ 
höhle bei Kindern findet. Hehler (icruch fehlt. Die Auchnmi ist 
ziemlich schmerzhaft und blutet stark, besonders aus dem Geschwür, 
das auf dem gerissenen Bändchen entstanden ist. Ursprünglich waren 
die Blasen wasserhell, wie bei beginnendem Impetigo, (Mitteilung 
von Dr. Philippson.) Die rotlich-weisse Pulpa, die die (ie- 
scliwiirsflächc bedeckt, enthielt auch heute noch massenhafte wurst- 
förmige Bazillen, weiterhin einige fusiforme Bazillen und Kokken¬ 
haufen, keine D u c r e y sehe Bazillen und, w as ebenso w ichtig ist, 
keine Spirochäten. Dadurch unterscheidet sich die Affektion bakterio¬ 
logisch vom weichen Schanker, von gangränösen Prozessen und der 
gewöhnlichen Balanitis. Um gewöhnlichen Herpes handelt es sich 
auch nicht, da Herpesbläschen im Entstehen steril sind. 

Die Vermutung, dass wir es mit einer Uebertragung von der 
Mundhöhle aus zu tun haben, ist m. E. nicht von Her Hand zu 
weisen, wenn ich auch gern zugebe, das der exakte Beweis dafür 
von mir in keiner Weise erbracht ist. Ich werde mii erlauben, über 
den weiteren Verlauf des Ealles in einer späteren Sitzung noch zu 
berichten. (Autoreferat.) 

Herr Wirts: lieber die M u c h sehe granuläre Form des 
Tuberkulosevirus. (Erscheint in extenso an anderer Stelle in 
d. Wochenschr.) 

Herr Weiss hat ebenfalls die Much sc he granuläre, 
nach Ziel nicht darstellbare Eorm des Tuberku- 
1 ose virus mit zum Ciegenstand experimenteller Untersuchungen 
über das biologische Verhalten des Tuberkulosevirus im Peritoneal¬ 
exsudat tuberkulöser, in besonderer Weise vorbehandelter und nicht 
vorbehandelter Meerschweine gemacht. Er kann an der Hand 
eigener Resultate aus seinen bisherigen Experimenten die Aus¬ 
führungen und Schlussfolgerungen des Herrn Wirths nur be¬ 
stätigen. Auch ihm bewährte sich die von dem Vortragenden 
empfohlene Gram-Methode in der von Much angegebenen modi¬ 
fizierten Eorm bei der Darstellung von (iranulis. Betonung der 
schwierigen Eürbeteclmik, die bisher von Much noch nicht in ge¬ 
nügender Weise hervorgehoben wurde. Erste Bedingung fur die Be¬ 
urteilung einwandfreier Präparate ist das Behlen von Earbstoif- 
niederschlägen. Beobachtung der einzelnen Entwicklungsformen des 
Tuberkulosevirus in den aus dem Peritonealexsudat gewonnenen 
Präparaten: Uebergang der nach Z i e h I und (i r a m färbbaren stäb¬ 
chenform in die nur nach Gram färbbare granuläre lörm und Ent¬ 
wicklung der Stäbchenform wieder aus der Granulaform. Hinweis 
auf die Notwendigkeit, die modifizierte Gram-Methode zur (irauula- 
färbung in die Reihe der bisher üblichen und bekannten Tuberkel- 
bazillenfärbungsmethoden aufzunehmen. Praktische Bedeutung der 
Gram-Bärbung in klinisch tuberkuloseverdächtigen Bällen, wo die 
bisherigen Methoden den Nachweis des Krankheitserregers nicht 
erbringen konnten. Demonstration von 4 Mikrophotogranmieii durch 
den Projektionsapparat. Die Präparate stammen alle aus dem Peri¬ 
tonealexsudat ein und desselben Tieres und zeigen die einzelnen Ent- 
wdcklungsformen des Tuberkulosevirus, isolierte Granula, (iranula- 
haufen, granuläre Stäbchenform. Besondere Hervorhebung der iso¬ 
lierten Granula als färberisch einzig nachweisbare Manifestation des 
Tuberkulosevirus. Die Granula treten im Mikrophotogramm als 
scharf konturierte, runde, leuchtend weisse Punkte hervor und heben 
sich sehr scharf von dem grauen Zclleib ab. Man findet sie intra- 


*) Archiv f. Dermatol., H. 1, Bd. 77. 


und cvtra/eiluiur. im Peilt' «m ,ra \ Mi4.it von Viovl;\uiiuii /w v ite'- 
los Vorwiegend intra/eiito.ii. incM im I ’i < >t> 'tnasm.i, hau: g m 
Vakuolen liegend. Was d.:s Verluden der Zeilen gegenüber dem 
TuberkuloseMf'us angeht, so beanspruchen hier die Mukr<-pli.iv.cn 
neben den grossen nioiiomik.i ureii Zeilen im < icger.s.ttz zu den phv- 
nukiemen Zellen ein besonderes Interesse. In aiewn /.eien iuss 
sich der ganze Enlw ak.imgs K ang des tui er ku.osi n \ irns gewisc^r- 
masseii \ er lolgvri. Dem Muk i oph.igt, n sJarnt eine kor>s<. r v it rcude 
I unktioii bei der Entwicklung des emges.tU u tu he r k uios,. n \ uns m 
der Bauchhöhle 4 /u/ukoumie n. In uiiir.i.iender Weise war dies bei 
einem vorbehundelti n her der l ull. Austum ii Ja r Be ri Jtl ibar die 
llojj nicht abgeschlossenen l ntersu Jiimgeii erb-,gl s;mUT un 
andere r Melle. «AiitoraUeu ,U.! 

Herr Plate Iiagl an. ob man elic grumnurc l’orm bei Pleura- 
exsiulateii finde. Wo die l ntersuJitmg aut vaurcliMe luberke'- 
bazilleii meist ergebnislos und man aut das iangdauerndc I arexpen- 
meut angewiesen sei. 

Herr D e y c k e: Herr W i r t h s habe ges.rgt. il.iw v. B e h r i n g 
die gianuiare l'»rm eles I nbe r kulose\irus a.s Zer la.ispp-dukt aul¬ 
fasse. wählend Much sie fur eine l ntw uk!ung>p»?m habe. Das se; 
nur ein sji'c inbarer WideisjuuJi. Die granuläre 1 «um sei das prmn- 
tive, ehe säurefeste ela- weitere Aus; . .|;m K s:. : :n. Bai e rar K ,w\- 
bildung werde der seihe Gang in mn.a meinter RiJitung dmchge: acM. 
Der wichtige liilersjned zwischen beiden formell beste.e du' m. 
dass die gramiiare im Kot per iic'it a.iUJ- >t werde, s .-di r n .»'s 
Parasit w e.teljebell li:d s,c !i bei gi „il’iiiv! l ie v.uehe.t zur s.turcH ste 
entwickeln könne. Die l nter su, hungert \ '<n M e 1 ;i I t) i k " 1 t haben 
Henri D. sehr interessiert. Er ist u.de-dt der VusiJu. dass die v< u 
M. verwendeten, von Kresiing stanmaiidui, vg. W ac :.m* in 
Wirklichkeit f ette seien. N.iJi der Von Kr. angewandten Mctlmde 
sei es ausgeschlossen, reine leite zu erhaben. Dasc.ben mussten 
durch andere Eeila ssiibst.my eil v«m | über kc da/i.c n veru:iri,i;,d 
sein. W enn man mit diesen Mibstan/en mmiunisiere. so sei is mög¬ 
lich, »lass nicht die I ette selber. Sonde rn d.e ihnen aahattcnda n Mih- 
stanzin Träger der Immunisier mig smeti. 

Herr 1 r a e n k e I: Ich hatte Herrn Dr. W i r t h s v orge s dräue n, 
die M tl c h schell Angaben auf dem lieble te der vg. g atten, g-, a- 
tuiosen Pneumonie eurer Nac iipr niting zu unter ziehen. Me w.ss^n, 
dass die \ <>* Stellungen, »he iimii gerade betretts dieses Prozesse s m 
seinem Verhältnis zum ’l uberke .bazi ns vertritt. 4a r aut lipMuslaute n. 
in ihm einen Effekt der gütigen m< mw eJut produste des lubersu- 
loseliazillus zu erblicken Diese A-osU. ung ist elar.ml zm..,k/u- 
fuhren, elass man m solchen gelatinösen ltm.ir.iU n gewibm.uh ke ne 
Tuber kell'a/ii!e il tmdet. Diese ba/. de li!r e ie M Ir'.Uiate brauchen des¬ 
halb alleh gar nicht zu vet k ise n. San Ware es aussetor v Je nt di vv u!i* 
t ig. derartig erkrankte l.mueri eiimial au! ehe Gegenw.rt vier 
M u c h scheu Baziliengranu a zu untersucheil, um ies'.usie eil. ob 
die bisherige, haiipts.,Ji ,di v-n \. I runkel und | rmv ver¬ 
tretene Anschauung /utretteüd ist oder iiedm/a rt werden muss. 

- Was nun ehe von Ile: r n Dr. W irths in Anwendung ge/"geme 
1 är beinethode anlang». s«. kann man diese nicht as ti r a m sj;e. 
ja nicht einmal ais Mmliükati« n dieser he/eidmeu. Demi e’.as Wesen 
der (iranischem Methode bestel l dann. d.*ss d.e muh der I arbuug 
jodierten Gewebe mit Moiren naht mehr m Her uln img k.mimen. s n- 
elem aussc Idle sslrdi mit absolutem •! dd'e'i n/iert werden. M er 

aber werden d;e m.t < ie rrt.atia- resp. Med.vv et! targ erteil Mm :te 
naJi eh r Jmlieimig mit 2 starken >utimi i'-.dz-, >a -h ters.ooe > und 
danach mit Azeton-Alkohol behandelt. De dann sulobar baulanden 
gekörnten Mubchem sind au-», e benso v\ ;e ehe freien »irarm'.i. säure¬ 
fest. Es unterscheidet si^ h da- har beim! Oe AU t!r< rde v • n der 
Zieh I sJien jo ui/i|.ied nur elurji da- e m .;e s v u .,'a ne lodarung. vv. 
ellirall die ihrer >aut e Ie Mig k e it anscheinend Verlusjig ge gaio,e rietl 
I liberkelba/iileiiforme u ehe se w .edefa r atuen. i \ut<-rt fer at.» 

Herr H uef er: hin Aneurysma anrfae mit besonderer 
BeteiliKiiriK der Wirbelsäule. (ErsJu an anderem Orte.) 

Diskussion; Herr I r a e ri k e l: I .r den P.eWeis der An¬ 
nahme einer v nr angegangenen W ir!-e tmötio d .Mte sah d.is An'egeii 
eines HorizontalsJmittes durch das p*.emm.h'en. um so even¬ 
tuell noch I ragmeiite des dio Jibr -c ; a :u ri Wobe.s suhlbar zu 
machen. 

Herr S a c n g e r halt es für urrw J-vJii maJi. dass die Par.i- 
plegie durch die lalas bedingt sei. s.mdcrn g aui't. dns taheii der- 
sella-n noch eine k■ mipressiousn.v i : ;,s yor s i.uUi lia!-e. I r sali v-.r 
.1*11 hi eil im St. Ge o| ger Krankenhaus einen lall. Wo eKm., s mf. lg c 
einer durch em Allem vsma bedautejf K ':ii|'rtw:o!’vriu..t;> e^ue 
Paraidegie entstanden war. 

Herr König fragt an. ob bei der zweteri \ufmd"me A s I\,t. 
ui »las Krankenhaus eine k\ ph-.se zu benagen gewesen wäre. Wern 
damals - b Jahre nach dem l um . kerne- k v ;m ae n l;abe 

sei man bere-clitrgt, eine W p !a Mtia ur.ö.tur aus/usj; a sse n 

Herr llueter f M hluwe. .rt» g aui't :o:Ji. d.ms g. c \er.mde- 
nmgeil der W ;r be s.iu'e an dem atuele gten i.argxs, 5 -- *: j c’:t befra- 
digeuul zu nbersJuTi sind, li.it sich al er. um d.is Paauoat mJ;!' zu 
zerstören, davor gevjieut. einen zweiten ijirer ve* ..uauden 
schnitt alt/nie ge ii. Herrn Sänger entgegnet er. d.ms er sehr'vvoh.l 
w tuss, dass Paraplcgie eier unteren Extreurat.iteß rm it zu dem typi¬ 
schen klinischen BnU der I abes ge.dort, dass s;e a! - er in seltenen 


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28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1615 


Fällen dabei beobachtet wird. Eine Kompression des Rückenmarks 
hat sicher nicht Vorgelegen. Ausser der erwähnten grauen De¬ 
generation der Hinterstränge im ganzen Verlauf des Rückenmarks 
waren sonstige Degenerationen der Rückenmarksubstanz nicht nach¬ 
zuweisen. Die Anfrage von Herrn König beantwortet er dahin, dass 
eine Kyphose der Wirbelsäule durch klinische Untersuchung nicht 
festgestellt worden ist. 

Herr Hueter: Ueber chronische Metritis. (Erscheint an 
anderem Orte.) 

Herr Fahr: Demonstration zweier Missbildungen, eines Falles 
von Zyklople und eines Falles von Gastroschisls kombiniert mit fast 
völligem Defekt des Zwerchfells. Es werden an der Hand dieser 
Fälle kurz die Theorien besprochen, die zur Erklärung der einen 
und der anderen Anomalie aufgestellt worden sind. 

Herr Edlefsen: Kreatininstudien und quantitative Be¬ 
stimmung des Kreatinins im Harn. 

Bei der Untersuchung des Harnsedimentes in einem Falle 
von Zystitis fand Edlefsen, als er nach Verlauf einiger 
Stunden das Präparat noch einmal durchmustern wollte, in dem 
inzwischen eingetrockneten Flüssigkeitsreste ausserhalb der 
Deckglasränder eine grosse Menge eigentümlicher Kri¬ 
stalle, die ihn lebhaft an die Charcot-Ley den sehen 
erinnerten. Sie hatten alle die Form langgestreckter Spindeln 
mit scharf zugespitzen Enden, viele aber Hessen zugleich sehr 
deutlich eine ihrer ganzen Länge nach verlaufende leicht er¬ 
habene Leiste erkennen und erweckten so den Eindruck, sehr 
lang ausgezogener Oktaeder, also einer Form, wie 
sie u» a. von Lenhartz (Mikroskopie und Chemie am 
Krankenbett, 3. Aufl., S. 180) als charakteristisch für die ge¬ 
nannten Kristalle beschrieben wird. Ein Tropfen desselben 
vom eiterbefreiten Harn, frei auf dem Objektträger verdunstet, 
hinterliess diese Kristalle in solcher Menge, dass sie das ganze 
Gesichtsfeld beherrschten (Demonstration). Um den feuchten, 
hygroskopischen Rückstand zu trocknen, übergoss E. ihn mit 
einigen Tropfen absoluten Alkohols, die er sofort wieder ab- 
fliessen liess, und konstatierte, dass die fraglichen Kristalle 
dabei völlig ungelöst geblieben waren und nur ihre zarte Be¬ 
schaffenheit eingebüsst und etwas schärfere Konturen erhalten 
hatten. Diese U n 1 ö s 1 i c h k e i t i n A1 k o h o 1 und wie sich 
weiterhin herausstellte auch in Aethe r, suchte E. für die 
Reingewinnung des die Krystalle liefernden Körpers zu ver¬ 
werten, die er bei der Neuheit des Befundes glaubte nicht un¬ 
versucht lassen zu dürfen, wenngleich er sich im Verlaufe 
seiner Untersuchungen bald überzeugen konnte, dass das Auf¬ 
treten der Substanz im Harne nicht, wie er anfangs geglaubt, 
eine Besonderheit des zuerst von ihm beobachteten Falles dar¬ 
stellte, sondern dass sie sich in jedem normalen Harn 
in nicht geringer Menge findet und nur in der Regel in dem 
Rückstände des auf dem Objektträger verdunsteten Harn¬ 
tropfens in anders gestalteten, oft sehr eigentümlichen Krystall- 
formen erscheint. 

Ohne auf das von ihm befolgte Verfahren näher einzu- 
gehem, bemerkt der Vortragende nur, dass es ihm auf dem 
angedeuteten Wege mehrfach gelungen sei, die Substanz, die 
in Wasser ausserordentlich leicht löslich ist, 
wenn nicht immer vollständig, so doch genügend häufig so 
weit von Beimengungen frei zu erhalten, dass sich Versuche 
zur Ermittelung ihres Verhaltens zu Reagenzien und zum Ver¬ 
gleiche mit bekannten Harnbestandteilen damit anstellen 
Hessen. Diese Versuche haben ihm schliesslich die volle Ge¬ 
wissheit verschafft, dass es sich um Kreatinin handelte. 
Schon die dabei festgestellte Tatsache, dass die Substanz mit 
fast allen Säuren gut krystallisierende, in Wasser sehr leicht, 
in Alkohol schwer lösliche Salze bildete und noch mehr der 
Umstand-, dass sich alle vom Kreatinin bekannten und noch 
manche bisher nicht bekannte oder jedenfalls nirgends er¬ 
wähnte Doppelsalze (mit Metalloxyden und -salzen) mit 
ihr herstellen Hessen, machten dies sehr wahrscheinlich; sicher 
bewiesen wurde es dann durch das Gelingen der bekannten 
charakteristischen Kreatininreaktionen mit Phosphor¬ 
molybdänsäure, Nitroprussidnatrium und mit 
Pikrinsäure und Natron. 

, Wenn die ganze Ausbeute seiner Untersuchungen nur in 
dem Gelingen dieses Nachweises und. der Aufklärung über die 
Natur der ihm nicht bekannten Krystalle bestanden hätte, würde 
E. sich nicht veranlasst gesehen haben, überhaupt nur davon 
zu reden. Aber die ihm noch lange unbekannt gebliebene 


Substanz zeigte noch ausserc!e n sehr bemerkenswerte Eigen¬ 
schaften und nachdem es klar geworden, dass es sich um 
Kreatinin handelte, haben diese Beobachtungen eine Be¬ 
deutung gewonnen, die ihre Mitteilung an dieser Stelle wohl 
berechtigt erscheinen lassen dürfte. Sie führten ihn nämlich 
zur Kenntnis der Tatsache, dass das Kreatinin sich 
mit Brom und Jod zu farblosen, kristallisier¬ 
baren Verbindungen vereinigt. Fügt man zu einer 
nicht allzu dunkel gefärbten wässerigen Brom- oder Jod¬ 
lösung eine farblose Lösung von Kreatinin in Wasser oder 
wasserhaltigem Alkohol (oder Spiritus aethereus) hinzu, so tritt 
vollständige Entiärbung ein, nicht unmittelbar, son¬ 
dern w'ie es bei der Entstehung organischer Verbindungen die 
Regel bildet, nur allmählich, so dass, wenn die Kreatinin¬ 
lösung in gerade genügender Menge zugesetzt wurde, 10 bis 
15 Minuten vergehen können, bis die Flüssigkeit ganz farblos 
geworden ist, rascher freilich bei einem erheblichen Ueber- 
schuss von Kreatinin. Was aber besonders bedeutsam ist, 
auch der gänzlich unveränderte, — nur wenn nötig, 
von Ehveiss befreite und filtrierte — Harn bewirkt diese Ent¬ 
färbung in gleicher Weise. Bei Verwendung reiner Brom- und 
, Jodlösung ist sie freilich natürlich wegen der Eigenfarbe des 
Urins nicht oder nur nach voraufgegangener Entfärbung des 
letzteren durch Tierkohle zu erkennen (die übrigens, nebenbei 
bemerkt, nur vorgenommen werden darf, nachdem man den 
Harn, am besten durch Ammoniak, alkalisch gemacht hat. da 
sonst die sauer reagierende Tierkohle das Kreatinin ganz oder 
zum Teile zurückhält und dafür Salze an die Flüssigkeit ab¬ 
gibt). Wenn man aber Jod in Form der blauen Jod¬ 
stärke benutzt, so ist deren Entfärbung, selbst wenn der 
Harn eine ziemlich dunkle Farbe besitzt, mit voller Sicherheit 
wahrzunehmen und bei ganz besonders konzentrierten Harnen 
hat'man es ja auch immer in der Hand, durch einfache Ver¬ 
dünnung mit Wasser die Entfärbung der Jodstärk ■: noch deut¬ 
licher erkennbar zu machen. Auch hier vollzi ht sich der 
Vorgang, wenn man nicht gleich eine grössere Menge Harn zu 
der Jodstärkelösung hinzufügt, nur allmählich (Demon¬ 
stration). Aber wenn man um die Zeit, wo die endgültige Ent¬ 
färbung nahezu erreicht zu sein scheint, den Zusatz des Harns 
unteroricht und etw r as abwartet, kann man doch nach einigen 
Minuten in der Regel schon sehr gut beurteilen, ob man etwa 
den Endpunkt der Entfärbung bereits überschritten hat oder 
ob es im Gegenteil noch des weiteren Zusatzes einiger Tropfen 
des Harns bedarf, um ihn herbeizuführen. 

Das ganze Verhalten ist ein derartiges, dass es nach der 
Meinung des Vortragenden, sich unbedingt und sehr gut für 
eine Titriermethode zur quantitativen Be¬ 
stimmung des Kreatinins im Harne muss ver¬ 
werten lassen. Einige vorläufige Versuche haben ihn in dieser 
Meinung nur bestärkt. Sie lieferten ihm jedenfalls bereits den 
sicheren Beweis, dass auch bei Verwendung unverdünnten 
Harns der Endpunkt der Entfärbung sich trotz der Verzögerung 
seines Eintritts vollkommen genau bestimmen lässt, derart 
dass Parallelversuche mit gleichen Mengen Jodlösung (in 
Stärkelösung) und Harn fast genau übereinstimmende Re¬ 
sultate gaben. 

Wenn man bedenkt, wie schwer und zeitraubend es bisher 
W'ar, das Kreatinin im Harne quantitativ zu bestimmen, wird 
man die Einführung einer bequemen Titriermethode, die es 
sogar ermöglichen wmrde, den täglichen Gang der Kreatinin- 
ausscheidung in längeren Versuchsreihen zu verfolgen, gewiss 
nur als einen sehr erfreulichen Fortschritt begriissen können 
Die Ausarbeitung der Methode wird der Vortragende indes 
aus mancherlei Gründen nicht selbst unternehmen. Diese Ar- 
beit auszuführen, hat sich sein Sohn, der Chemiker am säch¬ 
sischen Materialprüfungsamt in Dresden, Dr. phil. Hu n old 
E d 1 e f Edlefsen bereit erklärt, dem es, wie er hofft, sobald 
er sich nur erst in den Besitz reinen Kreatinins (das schw r er 
zu erhalten ist) gesetzt hat, in nicht zu ferner Zeit gelingen 
wird, das Verfahren in allen Einzelheiten festzustellen und für 
dessen Anwendung auf den Harn die nötigen sicheren Grund¬ 
lagen zu schaffen. 

Dass ^ as Kreatinin der Körper ist, der die 

Verbindung mit Brom und Jod eingeht, und dass die zuerst 
gezeigten- Krystalle tatsächlich Kreatininkrystalle darstellen, 
dafür liefert, wie Edlefsen, um allen Zweifeln zu begegne 


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1616 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


zum Schlüsse noch bemerkt, neben manchen anderen Tat¬ 
sachen der folgende Versuch den besten Beweis: Wenn man 
zu einer Portion des Harns, der in seinem Vcrdunstungsriick- 
stande jene Krystalle in grosser Menge aufweist, so lange 
Bromlauge zusetzt, bis eine daraus entnommene Probe Jod¬ 
stärke nicht mehr entfärbt, bis also alles Kreatinin an Brom 
gebunden ist und jetzt einen Tropfen dieser Portion auf dem 
Objektträger verdunsten lässt, so findet man in dem Rück¬ 
stände von den vorher gesehenen charakteristischen Krystallen 
keine Spur mehr, an ihrer Stelle dagegen annähernd ebenso 
zahlreiche, erheblich grössere Krystalle von ganz anderer 
sehr eigentümlicher Form (Demonstration), sehr ähnlich denen, 
die E. aus Lösungen der von ihm dargestellten Bromverbindung 
des Kreatinins gewann. (Autoreferat.) 


Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena. 

(Sektion für Heilkunde.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 4. Juni 19ns. 

Herr Friedrich stellt einen Fall der medizinischen Poliklinik 
von Collca membranacea vor. Bei dem bisher stets gesunden Pa¬ 
tienten bestanden neben Obstipation und nervösen Erscheinungen 
kolikartige Schmerzen besonders in der (legend des Colon ascendens 
und zugleich Abgänge von opaken gelblich-weissen schleimigen 
Massen. Die Untersuchung derselben hatte kein Fibrin ergeben, 
(weder durch die W e i g e r t sehe Fibrinfärbung noch durch einen 
Verdauungsversuch mit Pepsinsalzsäure). Mikroskopisch fanden sich 
reichlich Zylinderzellen, aber keine Rundzellen. Vortragender 
schliesst sich der Ansicht L e u b e s u. a. an, dass es sich bei 
diesem, besonders bei Männern seltenen Krankheitsbilde nicht um 
eine Entzündung des Darms, sondern um eine Krankheit sui gencris, 
wahrscheinlich eine Sekretionsneurose, handelt. 

Im Anschluss zeigt Vortragender ähnliche Membranen, die von 
einer 27 jährigen nervösen Patientin ausgehustet wurden, bei der 
ausser den Zeichen einer leichten Bronchitis kein krankhafter Be¬ 
fund erhoben werden konnte. Auch hier konnte weder Fibrin nach¬ 
gewiesen werden, noch Rundzellen, die für eine Entzündung sprächen. 
Bakteriologisch wurden keine Diphtheriebazillen gefunden. Der Fall 
dürfte dem seltenen Krankheitsbilde der Bronchitis plastica slvc 
pseudomembranacea (Fr. Müller) einzureihen sein. 

Herr Paul Krause berichtet nach kurzer theoretischer Ein¬ 
leitung über 3 Fälle von vasomotorischer Neurose. 

Der erste Fall betrifft eine 41 jährige Frau, die sehr 
viel krank gewesen ist (Influenza, Pneumonie, Laryngitis, 
purulente Pleuritis), sie hat seit 15 Jahren einen Band¬ 
wurm (Taenia saginata), kann sich aber nicht entschlossen, ihn ab¬ 
treiben zu lassen. Seit 6 Jahren treten bei ihr sehr schnell wechselnd 
beträchtliche Schwellungen und Rötungen bald im < iesichte. 
besonders in der Augengegend, bald an den Händen, Unterarmen, 
bald an den Beinen auf, sie sind z. T. recht beträchtlich, grenzen sich 
scharf von der Umgebung ab und verschwinden nach 1—2 lagen 
vollständig. In den letzten Wochen beobachtete Kr. wiederholt auch 
Hunderte von kleinen H ä m o r r h a g i c n, besonders stark aus¬ 
geprägt vom Nabel abwärts, die Hämorrhagien verfärbten sich all¬ 
mählich von hellrot in dunkelbläulich, grün, gelb, braun und ver¬ 
schwanden nach mehreren Tagen; mehrfach waren alte neben 
neuen Blutungen vorhanden. Endlich kommt es häufig zu S c h w e 1 - 
lungen in den Gelenken (Hand-, Ellbogen-, Knie-, Fussgelenke, 
während Schulter- und Hüftgelenke bisher frei blieben), die Schwel¬ 
lungen sind recht beträchtlich, bleiben 3- 5 'läge bestehen und 
verschwänden vollständig. Die Erscheinungen treten häufig mit 
Schwindelanfällen, Gefühl der Schwere in den Extremitäten an 
Tagen besonders grosser nervöser Reizbarkeit auf; das letzte Mal 
z. B. an einem Tage, an welchem ein schweres Gewitter die Patientin 
in grosse Angst versetzte. 

Der Vortragende berichtet weiterhin über ein 4 jähriges Kind, 
welches seit Jahresfrist in der medizinischen Poliklinik in Behand¬ 
lung steht, bei welchem etwa alle N 'läge starke Schwellung 
nebst Rötung im (iesichte, besonders um die Augengegend, häufig 
so stark wie die Oedeme bei Milzbrand auftreten; während 
einer poliklinischen Demonstration entwickelte sie sich einmal inner¬ 
halb von 10 Minuten, so dass man das Kind kaum wiedererkannte; 
das Mädchen ist eigenartig, sehr nervös, meidet die Gesellschaft 
anderer Kinder, auch die seiner Geschwister; die Anschwellungen 
treten gleichfalls zur Zeit besonders nervöser Erregung auf. 

In einem 3. Falle wurde bei einer zuckerkranken tuberkulösen 
Fran neben einer zweifellosen Urtikaria ein grosser Erguss in 
den Herzbeutel beobachtet, welcher sich innerhalb von zirka 
3 Tagen zurückbildete; dieser Zustand hat sich bisher 3 mal w ieder¬ 
holt und wurde einmal unabhängig von 2 Acrztcn konstatiert. Ob 
wir die Transsudation in den Herzbeutel mit den intermittierenden 
Gelenkschwellungen in eine Linie zu setzen haben, kann exakt nicht 
entschieden werden, immerhin ist es wahrscheinlich. 


Herr Paul Krause: Leber Chrysaroblnverglftung per os. 

Das Chrysarobm wird m Deutschland fast anssJilicsslkli 
in der Dermatologie, und zwar stets ausserliJi gebraucht; es 
werden danach nicht selten \ ergiitnngsersclumutigen be¬ 
obachtet (starke Dermatitis. K<umn;kti\ms heftigster Art. 
N.e reu reizung). 

Per os scheint es früher in Amerika als B r e c h mittel 
Verwendung gefunden zti haben. \ mi \ergittiings- 
e r s c li e i n u n g e n danach, über welJie nur sehr spärliche 
Notizen zu finden sind, sah Stocquart (uaJt ln mg bei 
Kindern, nach 39 mg bei Erwachsenen) gastrische Storungen. 
Herzklopfen, Präkordialangst, Schwindel, Erbrechen. Froste; 
(ilaister ausserdem Mierenbhitungen. 

Der Vortragende berichtet, dass er Gelegenheit batte, 
mehrere Falle \on Cbr\sarobmx ergitiung zu beobachten: aus 
Versehen war an Stelle von Cfnmmiin tauniciim LMrys.m>h:n in 
der Apotheke verabfolgt worden: 3 Kinder im Alter von 2, 3 
und 5 Jahren bekamen daxmi eine \o!!e Messerspitze (zirka 
35i) mg), 1 Frau, 2 Männer nahmen daxon etwa lo 2*» mg. 
Die Kinder erbrachen naJi ca. einer Stunde, klagten über 
l ebelkeit, Leibsdimerzeii. sie vv achten davon auf (d.ts Chr\sa- 
robin wark kurz vor dem Schlafengehen gegeben worden». 

Durch energisches Ausspulen des Magens und Klysmata 
gelang es, schlimmere Folgen zu verhüten. In dem Mageiuhait 
war noch reichlich Chrysarobm nachweisbar, die Bettwäsche 
wurde danach zum Teil verdorben. Bei 2 Kindern fand stJi 
am nächsten Tage reichlich C h r y s o p h a n säur e im Harne. 
Albuinen oder grossere Mengen reduzierender Substanzen 
fehlten. Der älteste Junge bekam 2 lursekorngrossc Bläschen, 
welche mit klarem Serum gefüllt waren, am welchen (iaimien. 
die nach 2 lagen eiugetrocknet waren. 

Die beiden Männer, welche vorher Iber getrunken hatten 
(Chrysarobm ist in 2ooo Teilen heissen Wassers, m 15»> 1 eilen 
Alkohol löslich), hatten nur geringe l ebelkeit. 

K. schlägt zum Schlüsse vor, dass das Clin sar<»bin unter 
die differenten Stoffe der Pharmakopoe rubriziert und daher 
in Gelassen mit roter, nicht wie bisher iint schwarzer 
Schrift antbewahrt werde; eine \ erw e Jishing mit dem in den 
Apotheken danebenstehenden Clumnum taumeum wurde da¬ 
durch bedeutend erschwert. 

Diskussion: Herr Krause betont n-^lutals. vlass er de 
vorgestellten Falle zu den vasomotorischen Neurosen rechnet. welche 
nicht gerade zu den häutig v or kommenden Krankheiten gehoin. 
Fallen Fall, in welchem vasomotorische (lederne, ir.U r amtierende 
G e I e n k s c h well u n g e n und intermittierende II a m «> r - 
rhagien seit fast n Jahren dauernd vorhanden miiJ, hat er .Kr- 
haupt noch nicht gesehen; soweit er m der Literatur r.u hi st hi n 
hat, ist ein ähnlicher Fall kaum beschriebe»: aush die I rans- 
s u d a t In I d li n g im Herzbeutel auf vasomotorischer Basis doMtc 
kaum bekannt sein. Dass solche K rankheitsbioler tmii* ger ni 
Thüringen Vorkommen, wie Herr spiethmf meint, kann er muh 
seinen Erfahrungen an u her 7»«*i Patienten m Ln.«, welche nie 
medizinische Polikimik seit April F*i7 auisuvhten. nicht Kv.iOge». 

Herr Paul Krause: Zur Kasuistik der Rontgendermatltis. 

Nach kurzer Darstellung der bisher bekannten f ormen der nadi 
Rontgenbestrahlüng aultretenden \er.mdenmg tier Haut berichtet K. 
ausführlich über einen zurzeit m der psychiatrischen K:mik hegenden 
Patienten, bei welchem durch eine 5 ijia ige Bestrahlung \"ii ie 
10—12 Minuten innerhalb von etwa 3 ■ Munden ein ungemein 

grosses R o n t g e n g e s c li w u r der B a n c h I; a u t entstanden ist. 

welches seit Januar sieh mir wenig verkleinert hat: die äusseren 

Partien sind narbig, fast pigmentlos. dann Fügt e.ne intensiv ge¬ 

rötete Zone, während der < iescliw u.tsgMiml weisshch Schmierig be¬ 
legt ist. Fine farbige Lumierephotograpiüe demonstrierte gut das Ge- 
sagte. Vor der Aufnahme m die Klinik wurden vielerlei Mt.lmn- 
verbande, Bestrahlung mit I viollicUt therapeutisch versucht, unter 
einfachen Borsalben verbanden sehemt die Hu.urig sdined vorwärts 
zu gehen. Das Bemerkenswerteste an diesem Falle sind die 
p s y di i s di - n c r v ii s e n Sv mptonie, über wie Me Herr Ge¬ 
heimrat Binsw an ger austuhrhe h beruhten will. Der \ortragende 
erwähnt, dass er im Vereine mit Herrn (iduirnr.it v. Strn m pell 
einen last ähnlichen Fall beobachtet und begutachtet habe, bei 
welchem sich nach schhesshcher Hebung des Roittgengeschwurs ein 
Kranklieitsbild entwickelt hatte, w eis lies durchaus dem der trau¬ 
matischen Neurose entsprach. Wie in dem v <>r liegenden, handelte 
es sich auch dmt um Peritenänsprudie: es wurde m ’e'um f a ie ein 
ursächlicher Zusammenhang der traumatischen Neuo.sc in: dem 
Roiitgeuuk us angenommen und musste nne r k:mnt werden K. geht 
kurz aui die rechtlichen Konst .uu n/rn der Routcenv erbrennimgcu 
ein und rät dringend, alle nach dem Munde der \\ .ssvr-sdiaft n t- 
w endigen Scliut/massregeln ari/uw enden. 


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28 . Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1617 


Bei dem zweiten Patienten, welcher wegen Karzinom der 
Speiseröhre zu diagnostischen Zwecken gleichfalls in einem Militär¬ 
lazarett röntgenisiert worden war, und zwar nach seiner Angabe 
einmal etwa 12 Minuten lang, bestand eine etwa 12 cm lange, 8 cm 
breite starke Dermatitis, die Haut fühlte sich sehr heiss an, war stark 
gerunzelt, in der Achselhöhle bestanden bereits Exkoriationen; der 
Kranke klagte über starke brennende Schmerzen; leider hat er sich 
nicht in die Klinik aufnehmen lassen. 

Diskussion: Herr Krause: Während in dem ersten Falle 
zweifellos eine fehlerhafte Technik an dem Auftreten des Röntgen- 
ulcus schuld ist, kann man bei dem zweiten, allerdings mit einer ge¬ 
ringen Wahrscheinlichkeit, eine Idiosynkrasie gegen Röntgenstrahlen 
annehmen; die angewandte Expositionszeit von 12 Minuten ist zwei¬ 
fellos eine ungewöhnlich grosse, welche stets zu vermeiden ist; 
innerhalb von 1—2 Minuten kann man zur Klarheit kommen, wenn 
die richtige Technik angewandt wird. Sehr leicht begeht man den 
Fehler zu langer Belichtung, wenn man im Sehen ungeübten Kollegen 
einen Röntgenbefund demonstrieren will. 

Dass es Fälle gibt, in denen es trotz richtiger Technik und nicht 
zu langer Exposition zu Hautverbrennungen kommt, ist zweifellos; 
in solchen ist der Arzt ohne jede Frage völlig straflos, wenn er den 
Nachweis führen kann, dass er keinen Kunstfehler gemacht hat. 

Herr H a u b o 1 d demonstrierte 30 Röntgenaufnahmen von 
Knochensyptiilis. Sie wurden von 5 tertiär luetischen Kranken der 
medizinischen Poliklinik gewonnen, welche mehr oder minder starke 
Knochenveränderungen an den Händen, Unter- und Oberarmen, den 
unteren Extremitäten und Schädeldach hatten. Interessant waren 
besonders 2 Fälle. In dem einen Fall handelte es sich um eine 
seit 9 Jahren bestehende Lues, die trotz intensivster Behandlung 
zu kolossalen Defekten am Schädeldach geführt hatten. Auch die 
Knochen sämtlicher Extremitäten waren befallen und zeigten neben 
einfacher Periostitis luetica und diffuser Ostitis schwere gummöse 
Periostitis und Ostitis luetica. Die Patientin ist vor kurzem an 
Amyloiddegeneration der Nieren zugrunde gegangen. Der andere 
Fall betraf eine Lues hereditaria tarda, die wegen Keratitis par- 
enchymatosa augenärztliche Behandlung aufgesucht hatte. Die kli¬ 
nischen Erscheinungen Hessen auf eine Lues schliessen, was auch die 
Knochenbilder der Patientin bestätigten, die ähnliche Veränderungen 
aufwiesen wie im vorhergehenden Falle. Besonders bemerkenswert 
ist eine etwa vor 3 Jahren auftretende starke allgemeine Adipositas; 
diese und andere Symptome Hessen einen Hypophysentumor an¬ 
nehmen; auch die Röntgenphotographie des Schädels bietet Anhalts¬ 
punkte dafür. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. Juni 1908. 

Vorsitzender: Herr Curschmann. 
Schriftführer: Herr R i e c k e. 

Herr H ä r 11 n g berichtet über die Resultate der seit 1905 bis 
jetzt von ihm unblutig eingerenkten und zum Teil noch in Behandlung 
stehenden angeborenen Hüftgelenksverrenkungen, im ganzen über 
21 Fälle. Er zeigt an den Röntgenbildern dieser Fälle, die mittels 
Projektionsapparates an die Wand geworfen werden, wie an den 
verrenkt stehenden Femurköpfen der Schenkelkopf schwach ent¬ 
wickelt ist, wie der Schenkelhals, der Trochanter major und der 
Femur selbst im verrenkten Zustand in der Entwicklung zurück¬ 
geblieben sind, wie sich dagegen nach der unblutigen Einrenkung im 
Laufe einiger Monate diese Knochenteile normal entwickeln, wie die 
früher flache Pfanne sich zu einem neuen, schönen Pfannendach um¬ 
bildete, wie die Epiphyse des Schenkelkopfes sich verbreitet und 
immer mehr der Norm nähert, wie sich der Schenkelhals verlängert 
und vergrössert, der Trochanter major kräftiger entwickelt und wie 
der Femur selbst, der früher im ganzen schwächer war, normale 
Stärke annimmt. Die in diesen Tagen aufgenommenen Röntgenbilder 
der vor 3 Jahren, 2 und 1 Jahr unblutig eingerenkten Hiiftgelenks- 
verrenkungen zeigten diese allmählichen Umbildungen des Femurs 
und des Beckens in vollkommen klarer Weise, und an den am läng¬ 
sten zurückliegenden Erkrankungsfällen — ca. 3 Jahre — Hessen sich 
nur noch geringe anatomische Abweichungen von der Norm er¬ 
kennen. Das klinische Resultat ergab ein vollkommenes Verschwin¬ 
den des watschelnden Ganges, das bekanntlich auf dem sogen. 
T r e n d e 1 e n b u r g sehen Phänomen (falsche Zugrichtung der Mus¬ 
keln die das Becken halten und am Trochanter major ansetzen) be¬ 
ruht. 

Die Fälle von einseitiger Hüftgelenksverrenkung (13 Fälle) 
gaben, soweit sie abgeschlossen sind, anatomisch vollkommen nor¬ 
males Resultat, und dasselbe ist bei den noch in Behandlung befind¬ 
lichen Fällen, die erst 2 bis 4 Monate zurückliegen seit der Einren¬ 
kung ebenfalls zu erwarten. Bei den 6 doppelseitigen Hüftgelenks¬ 
verrenkungen, von denen erst 3 abgeschlossen sind in der Behand¬ 
lung, ergaben 2 vollkommen anatomisch normales Resultat, in einem 
Falle resultierte auf der einen Seite ein anatomisch richtiges Ein¬ 
renkungsresultat, während auf der anderen Seite eine Transposition 


des Schenkelhalses erreicht wurde. Das betreffende Kind läuft aber 
so wenig schwankend, dass die Eltern zu einer abermaligen Re¬ 
position der transponierten Seite nicht mehr zu bewegen sind; sie 
sind mit dem jetzigen Gang leider schon zufrieden. In den 3 anderen 
Fällen von doppelseitiger Hüftgelenksverrenkung ist die eine Seite 
eingerenkt und steht anatomisch richtig, die zweite Seite muss erst 
noch eingerenkt werden. 

Der Versuch, auch noch ältere Kinder zu reponieren, wurde 
an 2 Kindern gemacht auf Drängen der Eltern oder der Kinder selbst. 
Bei dem einen Kinde, einem 12 jährigen Mädchen mit einseitiger 
Hüftluxation, die sich wegen ihres watschelnden Ganges stets 
schämte, glückte die Reposition nach einigen Repositionsgriffen inner¬ 
halb von 2 bis 3 Minuten, der Schenkelkopf sprang mit hörbarem Ge¬ 
räusch in die Pfanne; leider aber erfolgte ein Chloroformtod, trotz¬ 
dem das Kind kaum 5—8 g Chloroform bekommen hatte. In einem 
weiteren Falle, einem Falle von doppelseitiger Hüftgelenksverren¬ 
kung bei einem 11 jährigen Mädchen, war es Herrn H ä r t i n g trotz 
zirka einstündiger Repositionsmanöver, auch unter Anwendung der 
Lorenz sehen Schraube nicht möglich, eine Reposition zu ermög¬ 
lichen, wenngleich der Schenkelkopf von seinem hohen Stande am 
Os ileum an den Pfannenrand heruntergebracht worden war. 

Bezüglich des für die Reposition günstigsten Alters ist zu be¬ 
merken, dass das günstigste Alter für die Reposition das 2. bis 
4. Lebensjahr ist, man rechnet aber im allgemeinen bei einseitigen 
Hüftgelenksverrenkungen die Reposition noch bis zum 8. Lebens¬ 
jahr, bei doppelseitigen Hüftgelenksverrenkungen noch bis zum 
6. Lebensjahr für möglich. Als Resultate berechnet man jetzt bei 
einseitigen Hüftgelenksverrenkungen ca. 70—80 Proz. Heilungen, bei 
doppelseitigen ca. 60 Proz. 

Herr Elsässer berichtet über 3 Fälle schwerer Strepto¬ 
kokkensepsis aus der chirurgischen Abteilung des Diakonissenhauses. 

Der 1. Fall (demonstriert) betrifft einen 45jähr. recht kräftigen 
Mann, bei dem der linke Arm exartikuliert worden war. 

Die Sepsis begann mit 4 Phlegmonen der linken Hand. Der über 
7 wöchentliche schwere septische Krankheitszustand einer einheit¬ 
lichen Streptokokkeninfektion mit Metastasen in Lungen und Extremi¬ 
täten bot Gelegenheit neben Bier scher Stauungs- und Saugungs¬ 
behandlung mit reichlichen Inzisionen mehrere antiseptische Medi¬ 
kamente in Anwendung zu bringen, nämlich Marmorekserum ins¬ 
gesamt 65 ccm, Phagozytin Rosenberg 25 Ampullen und Kollargol 
35 X 0,5 g in recto. Ein wesentlicher Einfluss dieser Medikation war 
nie zu erkennen. 

Die gleich zu Anfang angewandte Bier sehe Stauung blieb 
resultatlos. Die sorgfältig durchgeführte pneumatische Absaugung 
von Abszesseiter erwies sich für das Allgemeinbefinden recht günstig. 

Die 2 markanten Einschnitte im Verlaufe fallen zusammen mit 
den 2 grossen chirurgischen Eingriffen, der Amputation oberhalb des 
Ellbogens am 15. Krankheitstage und der Exartikulation in der 
Schulter am 50. Krankheitstage. 

Die ausschlaggebende Bedeutung war deutlich den grossen chi¬ 
rurgischen Eingriffen zuzuerkennen. 

In 2 weiteren Fällen von Streptokokkensepsis, die klinisch sehr 
schwer einsetzten, wurde Jodipin Merk (25 proz.) subkutan zur An¬ 
wendung gebracht. 

In dem einen Fall mit schweren Lungenerscheinungen wurde 
neben chirurgischer Behandlung zunächst Kollargol gegeben; dabei 
nahmen die septischen Erscheinungen eher zu als ab. 

Am 5. und 6. Tag gab man nun Jodipin. Vom 6. Tag ab erfolgte 
stetiger und rascher Rückgang der Temperatur, rasche Besserung 
der septischen Herde und Heilung. 

In dem anderen Fall mit 4 Phlegmonen der Hand wurde mehr¬ 
mals und von Anfang an Jodipin (insgesamt 30 ccm) gegeben. 

In Temperatur und Allgemeinbefinden trat auffallend konstant 
deutliche günstige Reaktion ein, lokal blieb dabei die Eiterung wenige 
Tage progredient, dennoch trat rasche Heilung ein. 

In anderen Fällen akuter Infektion wurden ähnliche günstige Re¬ 
sultate bei Jodipingaben gesehen. 

Die Anwendung und weitere Erprobung des Jodipins erscheint 
somit besonders auch für die sonst therapeutisch so schwer zugäng¬ 
lichen Streptokokkeninfektionen als ratsam und entschieden aus¬ 
sichtsreich. 

Herr S kutsch bespricht den gegenwärtigen Stand der Lehre 
vom Hermaphroditismus und Pseudohermaphroditismus und demon¬ 
striert eine von ihm operierte Patientin mit Pseudohermaphroditlsmus. 

Es handelt sich um die 19 Jahre alte Näherin Marie M. Sie 
konsultierte, weil bei ihr „alles verwachsen“ sei und sie Abhilfe 
wünsche. Im Alter von 5 Jahren ist sie ärztlich untersucht worden, 
weil den Eltern auffiel, dass an den Geschlechtsteilen etwas nicht in 
Ordnung sei. Damals wurde gesagt, die Teile seien noch zu klein, 
um Näheres zu bestimmen. Sie ist stets gesund gewesen, hat nie die 
Menstruation gehabt, auch nie Molimina. Von jeher hatte sie eine 
tiefe Stimme; ihre Neigungen waren stets weibliche; vom 15. Jahre 
ab hatte sie geschlechtliche Neigung zu Männern, nie zu Frauen; seit 
2 Jahren hat sie einen Bräutigam. 

Mittelgrosse Person, von massig kräftigem Körnerbau, mässig 
entwickelter Muskulatur. Die Hände sind eher klein (sie ist ge¬ 
schickt in weiblichen Handarbeiten). Das Kopfhaar ist kurz, s !l 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1618 


MUENCMENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. JA 



früher langer gewesen sein, ging aber seit einem Jahre stark aus; 
sie trägt darüber eine Frisur von falschem Haar. Die Gesichts¬ 
farbe ist etwas gelblich; an Kinn und Oberlippe deutliche Bart¬ 
stoppeln (sie entfernt sich die Haare sorgfältig durch Ausziehen). 
Kinnbacken nicht hervorstellend. Die Zähne sind gut, der Hals ist 
kurz, Kehlkopf massig vortretend. Die Stimme ist rauh. Schultern gut 
gewölbt, Brust behaart, Mammae ganz unentwickelt. Das Abdomen 
ist etwas vorgewölbt, Nabel eingezogen, auch an der Bauchhaut deut¬ 
liche Haarstoppeln. 

Die äusseren Genitalien sehen auf den ersten Blick eher wie 
männliche als wie weibliche aus; ziemlich starke Behaarung, rechts 
und links Wülste wie gut entwickelte grosse Schamlippen; zwischen 
deren oberen Enden ragt eine stark hypertrophische Klitoris von 
Form und Gestalt eines kleinen Penis herab, in Länge von ■lern, mit 
deutlichem Frenulum und Präputium; dieser Körper ist erektil. Von 
der Spitze der Glans führt an der Unterfläche eine 2' •.■cm lange 
Halbrinne nach abwärts und verschwindet hinter einer halbmond¬ 
förmigen Oeffnung von etwa 1 j cm grösstem Durchmesser. Von 
dieser Oeffnung ab bestellt nach rückwärts vollständige Vereinigung 
der beiderseitigen Labien. Die Distanz von dieser Oeffnung bis zum 
After beträgt 7cm. In den Labien ist nichts von Körpern, die etwa 
als Hoden anzusprechen wären, zu tasten, ebensowenig im Leisten¬ 
kanal. 

Die weitere Untersuchung wurde in Narkose vorgenommen. 
Die genannte Oeffnung lässt sich ein wenig dehnen und man sieht 
dahinter eine kleinere Oeffnung durch die der Katheter leicht in die 
Harnblase gelangt und klaren Urin entleert Während der Metall¬ 
katheter in der Blase liegt, gelingt es dicht hinter der Harun »hreii- 
miindung eine Sonde von ft mm Durchmesser 7 cm lang in einen Kanal 
einzuführen (Vagina). Dass es sich um einen getrennten Kanal 
handelt, wird mit Sicherheit dadurch erkannt, dass Sonde und Ka¬ 
theter keine direkte Berührung darbicten. Die erstgenannte Oennung 
ist also der Zugang zum Sinus uro-genitalis, in den Urethra und 
Vagina münden. 

Per rectum und Abdomen kombiniert tastend fühlt man an¬ 
schliessend an die durch die Sonde markierte Vagina einen Körper 
von der Gestalt eines winzigen Uterus. Dieser ist 2'. cm lang. 1 cm 
breit, % cm dick. Nach rechts und links fühlt man von diesem Körper 
bogenförmig um das Rektum herumgehende Falten (D o u glas sehe 
Falten). Trotz sorgfältiger bimanucller Palpation ist nichts auf/u- 
finden, was als Geschlechtsdrüsen gedeutet werden konnte. 

Der Schambogen ist eng; Dist. Spin. 22 cm. Dist. Crist. 25'-cm. 
Dist. Troch. 28 cm. Dist. Tub. Iscli. 8 cm. Dist. Spin. post. sup. 
HVs cm, Conj. ext. 17 cm. 

Soweit hier eine Diagnose möglich, ist der Fall als Herm¬ 
aphroditismus femininus externus mit Hypertrophie der Klitoris und 
Verschluss der Vulva zu bezeichnen. Jedenfalls ist kein Beweis zu 
erbringen, dass es sich um männliches Geschlecht handele. Die 
sogen, sekundären Gcschlcciitscharaktere sind bekanntlich nicht als 
masgebend zu betrachten. Eine sichere Diagnose lässt sich in solchen 
Fällen ja nur durch genaue histologische Untersuchung der Keim¬ 
drüsen erbringen. Solche sind in unserem Fall überhaupt nicht nach¬ 
gewiesen; vermutlich sind sie. wenn überhaupt vorhanden, nur gan» 
rudimentär entwickelt. Man könnte daher die Person auch als 
neutrius generis bezeichnen. Da jedenfalls kein zwingender Grund 
vorliegt männliches Geschlecht anzunehmen, so ist es berechtigt die 
als Mädchen aufgewachsene und als Weib empfindende Person als 
weiblich zu betrachten. 

Hienach erschien cs weiter berechtigt, dem Wunsche der Pa¬ 
tientin zu entsprechen und den Verschluss der äusseren Genitalien /u 
beseitigen. 

Die operative Therapie wurde nun in folgender Weise ausgeübt. 
Durch einen etwa 3 cm langen Schnitt von der hinteren Kommissur 
der Oeffnung des Sinus uro-genitalis nach abwärts wurde der Sinus 
freigelegt. Dabei zeigte sich am Anfang der Vagina die Andeutung 
eines Hymen. Die kleinen Labien fehlen. Mit sukzessive stärkeren 
H e g a r sehen Dilatatoren wurde die Vagina allmählich gedehnt, was 
ohne Schwierigkeit gelang bis zu einem Konus von 14 mm Durch¬ 
messer. Nun wurde die hintere Scheidenwand noch ein Stückchen 
gespalten und der Wundrand der Scheidenschleimliaut beiderseits 
durch Nähte mit dem Hautwundrand vereinigt. Ein schmales Dreieck 
an der hinteren Wand des neugebildeten Vestibulum wird der Gianu- 
lation überlassen. 

Der Verlauf war reaktionslos, normale Wundheilung. Doch 
schien der Zugang zu der Vagina noch nicht genügend gross. Ls 
wurde daher 16 Tage nach der ersten Operation eine zweite in 
folgender Weise ausgeführt. 

Vom Hymcnalrand nach hinten wird auf der Dammhaut ein 
etwa 3 cm langer medianer Schnitt geführt, wodurch eine dreieckige 
Wundfläche entsteht, wie bei einem medianen Dammriss. Damit 
dieser Zugang nun sicher dauernd frei bleibe musste die \\ und- 
fläche durch epitheltragende Haut be/.w. Schleimhaut gedeckt wer¬ 
den. Es wurde daher iederscits am Damm von der Basis der 
Wundfläche aus ein Hautlappen soweit unterminiert bis die nach der 
Abpräparierung geschrumpfte Spitze des Lappens sich bequem nach 
oben bis an die Spitze der Wundiläche vorzieheu licss. In dieser 
Lage wurden die lateralen Seiten der l appen mit den lateralen 


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Google 


Schenkeln der \\ undilache beiderseits durch Nahte vereinigt; m der 
Medianlinie wurden die beiden medianen Ränder der beulen Lappen 
zusammeugunäht. 

Auch hiernach erfolgte glatte Hulung. Es sind iltzt 17 Tage seit 
dieser zweiten Operation xeräossi-n; die Lappen sind gut eiiuihei.t; 
cs besteht ein gut zugaugigcs Ycstibu'um. Der 1 mger dringt bei|..e:a 
in die Vagina ein und fühlt an ihrem I nde eine winzige \ agma.- 
portioii (1 »enionstiatioii). 

Herr Lä wen denn mstriei t im \usjniiss an die Dem-uist: at; n 
des Herrn S k u t s c h Bilder von Hermaphrodit ismus. 


Gynäkologische Gesellschaft in München. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung Nom 0 . Juli l l *is, 

Herr Dödcrleln demonstriert: 

a) 2 Präparate Von Spjfochacte palh !a aus dt r Itber und. der 
Pla/enta einer laiiifoten Frucht Mens. \. Pi kranke, bei dt r wegen 
’l liromboplilebitis piierperaiis die \ t neminti■: bindumgcu gemacht x\ • 
den sind. Der frü-ig der Operation ist nutit K 1 : it gern!, d.e 
Stliutlehroste haben nullt auigehoi t. c> Kranke xui d4 Jahr eil n :! 
Vulva- Und Yagimilkaf zinom, das bis unter die >v!' e:r:ü aut d.s 
Rektums vorgeschritten ist. tl» l ><.p|H:Nei:ue \ drt\tu:::< •'i n trat 
Uterus, e) Sekundäre Ba-tiJfsJiw atuersJialt Mens. V mit K g.mitn- 
der \erkalkimg. 

Diskussion: Ht rr B a i s c h. 

Herr Wiener demonstriert: 

a) Mxom.ita Uteri um Iso" um die /.etxix gedreht, bl Zc:x;x- 
imoin. e> M\oin mit Kar zuio.m. di I rische ! xtuiirfe nn.'r.o 
\<ui t;i. 5 (i Wochen. I *e oniu ndc r tu’ .iur \m-rt. e 1 Mu : ;> t 

\(>s/tsse im Uterus und \ ei eiterte I »xar i.i : / \ vte, u.iItsjuh uh e’d- 

st.ohli n mittige langd.uit r not r amtet " eitiger int r awte• :tu r Bc- 
haiullnng. 

Diskussion: die Herren B j i s Ji. D o J e r 1 e i n. \ m a n n. 
W i e u e r. 

Herr Petri: Zur Interposltlo uteri vcslco-x aglnalls. 

Nach einer kurzen Besprechung der 1 ritw iT 'uug d:e*c? « >pc- 

rationsmethode beschreibt der \ i»rtragende das haue*res;: tat der¬ 
selben. Zur Operation kamen 14 I .Die. 7 aus der P r i\uiin.ixis des 
Herrn Prof. Klein. 7 aus der gvnuko|< •gischen P< m. nnk. A V 
Operierten verhessin spätestens Jo läge p- >st ope’ati-u^ji p: 
geheilt die Anstalt. Zwei starben spater an iatc' k btte ute n Krank¬ 
heiten (Asthma. Pneumonie l. bei einer dritten P.itieirtdt wurde dt’ 
gute Operati'Uisciti kt 14 läge n.ult der 1 m'.issuug durch c;.ku 
U nfall vernichtet. Die übrigen 11 b.>teri muh einer Be-'b.u ' tun. s- 
dauer von 1 .• I i lallten sub-cktiv ein aus^/cu imc te s kb^ti ’a-i 
obiektiv war bei 2 ein ganz leichtes Rezidiv zu \ e r m ic 1 : •’ De' 
Vortragende kommt zu dem ^Obusse. dass sjH/uil da > c h a u t a - 
sehe Methode sehr geeignet ist. .null grosse /\ vfca/i Um mit gälte m 
Dauererfolge zu beseitigen, f \nt-»re ter at I 

Diskussion: die Herren 1 h e i I h a b e r. \ m a n m M i r a - 
b e a u, W i e n e r. Dnderlem. Petr i. 

Herr Herbert: Zur Behandlung der Hämato/clc bei ek¬ 
topischer Schwangerschaft. 

Der Vortr. geht aus von de r \ c T sefbü di mirto.se il der An¬ 
sichten über llam.ito/elenbehamüur.g lind der Indö adi >u*a4e "ung 
operativen Eingriff. zeigt suli als inisjin.luu r Anhänger einer be¬ 
dingungslosen aktixen llicrame um! In gründet sc min >tan äno t 
an der liaiul von s einsc'üagigv u laden e\top;s v hir <rax id aus 
dem Prix atlabor atormm < mst.ix Kleins. bi ilirvn l.i'en wurde 
trotz. Ilamat"Zcicnalvkai'si '.ung. tr• »tz tiil'aren Aborts umi vJna:- 
baren Abschlusse s des k r ai’k lmitspro/c ssc s be i mimt ; •••gt*-e- 
Pausen des subiektbveii W ■•ii.be ’m.irps iler Patie nt :’’e n dirn-oh 
durch sekundäre. ia tertiäre Vk hhliitiiuge n muh M fiat- /e \ n- 
kapselriss (in 5 I allen f. oder dm eil Int» kti«*b .b s llamato#* e ’-a-'a ’* S 
dl} I e ll Bakterielle uiw aride r ung X'.m ad! a: eilte n | »ar m aus i i | . *. 

das Leben der Kranken stark getalr iet. m einem I ,i e s ..ar \er- 
nulitet. ( Autorefer.it. ) 

Diskussion: ehe Herren Vi ert H • > r r 11148 n. II e : b e r t 

G \\ 1 e 11 e r ■ M rdv 1 . 


Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Eigener Bericht ) 

Sitzung v o in 22. Juli l‘*'\ 

Demonstrationen: 

Herr Adler einen lall < me r a - t|.i limgeiigangram Au a r 
Stelle der Dampfung zeigte v, h im R •uigv'U'i.d em s di.' , 'i I s 
erfolgte Heilung mu h < <pi f at: <u. 

Herr Melchior a < 1 . b v > ! ’.-t -.ber Versuche a" 11;.” 5 

resezierte l reteren durch implantierte \ enen zu ersetzen. 
der Implaututionsst« de ist die Muss a,\ c 

Zeichen, dass eine gewisse Hin.mm g : ; g:e 1 ’ 'iip.tss.ig-: U^vM 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





28. Juli 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1619 


Herr Holländer einen schweren Fall von Lupus erythema¬ 
todes. Der Redner hat früher eine Jod-Chinintherapie angegeben. 
In diesem Fall war die Therapie von anderer Seite erfolglos an¬ 
gewendet worden. Erst grosse Dosen (10 Tage je 2 g Chinin, im 
ganzen 120 g) führten zu einer Heilung. Chinin wirkt spezifisch, in¬ 
dem es in den Herden eine Reaktion erzeugt, vergleichbar der Tuber¬ 
kulinreaktion. 

Tagesordnung: 

Diskussion zu den Vorträgen der Herren Posner 
und Dietrich: Ueber Dunkelfeldbeleuchtung. 

Herr Wolff-Eisner hebt hervor, dass eine Beobachtung 
von Hämolysevorgängen an kernlosen Erythrozyten bisher nicht 
möglich war und verweist auf seine Versuche über die morphologi¬ 
schen Vorgänge bei der Lyse von Taubenblut. Speziell für die 
Bakteriolyse, die infolge optischer Verhältnisse bisher nur partiell 
beobachtet werden konnte, wird die Methode Bedeutung erlangen. 

Herr Reichert weist auf die Leichtigkeit des Pallidanach- 
weises und der Feststellung der Fettresorption mit Dunkelfeldbe¬ 
leuchtung hin. Er demonstriert Leukozyten, welche polymorphe Kern¬ 
figuren aufweisen und die Kernzahl andauernd wechseln. Der Ar- 
n e t h sehen Theorie von der Bedeutung der Kernzahlen der Leuko¬ 
zyten bei den Infektionskrankheiten wird hierdurch der Boden ent¬ 
zogen. 

Herr U 11 mann gibt den optischen Wert der Methode zu und 
leugnet nur den diagnostischen. 

Herr Reichert a. Q. tritt für die Gleichheit dessen ein. was 
man im Spiegelkondensor und im Ultramikroskop sieht. Zum Be¬ 
weise weist er auf die kolloidale Goldlösung. Die sphärische Aber¬ 
ration des Reichert sehen Apparates ist kein Nachteil, wie Redner 
näher ausführt. 

Herr B r u g s c h bestreitet gegenüber Herrn U 11 m a n n, dass 
man am lebenden Präparat mit anderen Methoden Kernverände¬ 
rungen habe beobachten können. 

Herr Posner (Schlusswort) resümiert kurz die Bedeutung des 
Ultramikroskops. 

Herr Dietrich (Schlusswort: Die Beobachtungen im Dunkel¬ 
feld sprechen für eine flüssige Natur des Blutkörperchens. 

Herr Kraus: Ueber Schilddrüsenstoffe. 

Herr Kraus berichtet über seine Versuche mit Schild¬ 
drüsenstoffen und Adrenalin (gemeinsam mit F r i e d e n t h a 1). 
Bei Schilddrüsenwirkung bleibt der Vagus auch bei Atropin¬ 
einwirkung reizbar, beü Adrenalineinwirkung verliert dagegen 
der Vagus seine elektrische Erregbarkeit. Gleichzeitige Dar¬ 
reichung von Schilddrüsenpressaft und Adrenalin lässt den 
Vagus reizbar. Es kommt ein sogen. Aktionspuls zustande. 
Durch Injektion von Jod und von artfremdem Eiweiss wird die 
gleiche Wirkung nicht erzielt. 

Bei Tieren wird nach der Injektion von Schilddrüsensaft 
das Auftreten von Adrenalin im peripheren Blut hervorgerufen. 
(Nachweis durch Pupillenerweiterung beim enukleierten 
Froschbulbus und chemisch.) Bei Myxödem tritt diese Er¬ 
scheinung nicht auf. Das Auftreten von Adrenalin im peri¬ 
pheren Blut kann daher auf Üeberfunktion der Schilddrüse 
bezogen werden. 

Bei Morbus Basedow wurde in allen Fällen Adrenalin im 
Blut nachgewiesen (Analogie mit den Tieren, denen man 
Schilddrüsensaft intravenös injiziert hatte). Dass eine Ueber- 
funktion der Schilddrüse den Basedow bedingt, wurde schon 
aus früheren klinischem Beobachtungen gefolgert, zum Teil war 
aber das Material nicht schlüssig. Für die Rolle der Sym¬ 
pathikusbeteiligung beim Basedow wird der Adrenalingehalt 
des Blutes einen guten Indikator abgeben. Auch bei operierten 
Fällen, die sich für geheilt halten, ist noch ein abnormer 
Adrenalingehalt im peripheren Blut nachweisbar. 


Verein für innere Medizin zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 20. Juli 1908. 

Demonstrationen: 

Herr Staehelin: Ein Fall von Kalkablagerungen In der Haut. 

Es bestanden daneben Gelenkschmerzen, die Kalkablagerungen 
sind in Röntgenogrammen erkennbar. 

Tagesordnung: 

Herr A. Magnus-Levy: Ueber Chylurie. 

Die Chylurie ist eine durch Filarien bedingte Tropen¬ 
erkrankung, kommt jedoch mit anderer Aetiologie bisweilen 
bei uns vor. Eine Theorie nimmt für diese Fälle Chylus- 
charakter des Blutes mit Uebertritt in dem Urin an, der sich in 
den Nieren vollziehen soll, eine andere betrachtet die Kommuni¬ 
kation’ de* Ghylus* und Blutgefässe als Ursache. In eitieni Falle 


des Vortragenden bestand die Chylurie nur nachts, was sich 
dadurch erklärte, dass nur im Liegen chylöser Urin abgesondert 
wird, nicht im Stehen. 

Herr Frank fand, dass nur die rechte Niere diesen Urin ab¬ 
sonderte und weist noch besonders darauf hin, dass im Liegen die 
rechte Niere 3—4 mal so viel sezernierte wie die linke (im Stehen 
nicht!). Hieraus schliesst Vortr., dass die Ursache der Chylurie in 
vorliegendem Falle in einer abnormen Kommunikation zwischen Blut 
und Chylusgefässen gesehen werden müsse. 

Herr F. Blumenthal: Ueber neuere Forschungen auf 
dem Diabetesgebiete. 

Zentralnervensystem, Leber und Pankreas werden für die 
Enstehung des Diabetes verantwortlich gemacht. Eine direkte 
Rolle des Nervensystems erscheint ausgeschlossen. Die Pi- 
quüre stellt die einzige Stelle im Nervensystem dar, von welcher 
aus Glykosurie erzeugt werden kann. Auch die Adrenalin- 
glykosurie ist nicht durch nervöse Einflüsse zu erklären. 
Systemerkrankungen führen selten zu Diabetes, häufiger allge¬ 
meine Insulte. 

Die Leber vermag beim Diabetes nicht, Zucker im Form 
des Glykogens aufzuspeichern; doch wird sie erst durch andere 
Organe in diesem Sinne beeinflusst. Trotz Pflügers Ein¬ 
wände spielt das Pankreas eine grosse Rolle; Minkowski 
wies nach, dass die von Duodenum zum Pankreas ziehenden 
Nerven an der Entstehung des Pankreasdiabetes unbeteiligt 
sind. 

Vortragender berichtet weiter über die Untersuchungen, 
betr. die Rolle der Muskeln bei der Entstehung des Diabetes, 
ventiliert die Frage der Entstehung von Zucker aus Fett und 
Eiweiss und die Art der Bildung des Azetoms. W.-E. 

Druckfehlerberichtigung. Im Bericht über d. V. f. 
i. M. No. 28, S. 1514 ist „Herr Z ü 1 z e r (Schlusswort)“ 9 Zeilen 
tiefer zu setzen. No. 29, S. 1562 ist bei Herrn Ehrmann Darm¬ 
sekretion statt Darmresektion zu setzen. Wolff-Eisner. 


Aus den französischen medizinischen Gesellschaften. 

Acadömie de mddeclne. 

Sitzung vom 5. Mai 1908. 

Zur Behandlung der akuten Mittelohrentzündung. 

Lermoyez bringt eine vergleichende statistiscli 3 Studie, c’ie 
auf mehr als 200 Fällen eigener Beobachtung beruht. Die Fälle sind 
in 2 Hauptgruppen eingeteilt: die der ersten Gruopc wurden nach der 
klassischen Methode mit feuchten Verbänden, Karbolglyzerin, häu- 
fisen Injektionen, Nasenduschen, die der zweiten mit einem trockenen, 
aseptischen Okklusivverband nach ausgiebiger Inzision des Trommel¬ 
felles behandelt, bei letzterer Art werden weder in den Gehörgang 
noch in die Nase Injektionen gemacht. Bei ersterer Methode v ar 
L. genötigt, in 14 Proz. der Fälle den Processus mastoideus zu Öffnen, 
bei letzterer nur in 3 Proz.; ausserdem war die mittlere Behand- 
limgsdc'i'ei der durch feuchten antiseptischen Verband behandelten 
Fälle 89 und der trocken behandelten Fälle 23 Tage. 

Sitzung vom 12. Mai 1908. 

Entzündliche Tuberkulose skleröser Form. Sklerotuberkiiiose und 
fibröse Diathese. 

In einer längeren Abhandlung besprechen A. Poncet und R. 
Leriche diese Art entzündlicher Tuberkulose, welche als Kampto- 
daktylie, Retraktion der Palmar- undPlantaraponeurosen, Keloide, ge¬ 
wisse subkutane fibröse Knoten usf. auftreten. Unter der Maske rein 
entzündlicher Prozesse bewirkt die Tuberkulose hochgradige or¬ 
ganische Störungen und ruft oft das, was man arthritischen Typus 
nennt, hervor. Die klinische Form dieser Tuberkulose ist eine mehr 
weniger wechselnde, während die Art der Pathogenese immer die¬ 
selbe bleibt. Im Bereiche des knöchernen Skelettes nimmt die ent¬ 
zündliche sklerosierende Tuberkulose den speziellen Typus der in¬ 
fektiösenE x o s t o s e an, im Muskelgewebe verursacht sie vielleicht 
jene ossifizierende Myositis, deren genauere Natur gewöhnlich 
unserer Kenntnis sich entzieht; die Lokalisationen an den Drüsen 
werden häufiger beobachtet, an der Brust zeigen sie das Aussehen 
der knotigen Mastitis. Der Verdauungskanal ist nicht frei von diesem 
sklerosierendem Prozess; am Pylorus gibt es fibröse Stenosen, die 
man, wie es nur zu oft geschieht, nicht mit den Narben latenter Ge¬ 
schwüre verwechseln darf, am Dünndarm sowie am Mastdarm kom¬ 
men ähnliche Strikturen vor. Aber hier ebenso wie bei zahlreichen 
Formen von Zirrhose innerer Organe, wie Leber, Nieren, Endo¬ 
kard usf. handelt es sich nicht um den Ueberrest einer 
geheilten Tuberkulose, sondern die fibröse Stenose ist e i n e 
in voller Entwicklung begriffene Krankheitsform, was 
die klinische Form und die progressive Verschlimmerung genügend 


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1620 


MUHNCHHNHR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 


beweisen. Auf denselben Prozess führen Berichterstatter jene gich¬ 
tischen Verdickungen des Penis, die plastischen Indurationen der Cor¬ 
pora cavernosa, die seit Langem von den alten Autoren den Krank¬ 
heiten des fibrösen Systems zugezahlt werden, zurück. Kurz sie 
glauben mit ihren Ausführungen gezeigt zu haben, welch enorme 
Rolle die Tuberkulose als vcritablc fibröse Diathese spielt. 

Die chronische Appendizitis. 

Richelot erinnert daran, dass zahlreiche Wechselbeziehungen 
zwischen Entcrokolitis und Appendizitis bestehen und dass in l allen 
chronischer Appendizitis eine Reihe von Magendarmstorungen w ie 
Schmerzen, Dyspepsien verschiedener Art vorhanden sind, ohne dass 
es oft viele Jahre hindurch gelingt, die wahre Ursache des Leidens 
zu finden. Während im klinischen Sinne der Wurmfortsatz nur in ge¬ 
ringem Masse affiziert zu sein scheint, während es scheint, es handle 
sich vor allem um eine Kolopathie. bringt die Operation - Fnt- 
fernung des Wurmfortsatzes — alle Darmstörungen zum Verschwin¬ 
den, ebenso wie die schleimigen Membranen im Stuhl und die 
Schmerzen. Die chronische Appendizitis kann übrigens die ver¬ 
schiedensten Störungen verursachen, wie Vaginismus, der Lcbcrkolik 
analoge Schmerzen, üastralgien usw. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Münchener Klinikerschaft. 

Die Münchener Klinikerschaft hatte am ITeitag den 
17. Juli ihre letzte Versammlung im Sommersemester. Auch in diesem 
Semester war es das Bestreben der M. K.. ihren Mitgliedern durch 
eine Reihe von Vorträgen und Exkursionen in Prägen Litiblick zu 
verschaffen, die bei dem rein wissenschaftlichen Studium nur wenig 
Berücksichtigung finden. 

Herr Prof. Dr. Döderlein hielt am X. Mai einen Vortrag mit 
dem Thema „Ueber das Menschwerden“, wobei der Herr Voi tragende 
die Geburt des Menschen vom rechtlichen Standpunkte aus ein¬ 
gehend beleuchtete. — Am LS. Mai fand eine Führung durch das Kgl. 
Taubstummeninstitut statt. Dabei erläuterte Herr Direktor Koller 
an der Hand praktischer Beispiele die Methodik des Unterrichtes in 
den verschiedenen Klassen sowie die Methode der Hörprüfungen. hm 
Vortrag des Herrn Dr. med. Neustätter über „Homöopathie und 
Naturheilmethode“ liess uns einen Blick in den heutigen Stand des 
Kurpfuschertums tun. Am 2b. Juni hielt Herr Dr. med. L. Löwen- 
feld einen Vortrag:: „lieber Suggestion und Hvpnose“. wozu auch 
die Herren des ärztlichen Vereins in grosser Zahl erschienen waren. 
Anfang Juli fand ein Ausflug in das Ouellengebiet der Münchener 
Wasserleitung am Taubenberg statt. Herr Obermedizinalrat Prof. 
Dr. v. G ruber hatte dabei die Führung übernommen und erläuterte 
an Ort und Stelle im Verein mit den beiden Herren Oberingenieuren 
Dahinten und Hcnle den Plan der Gesamtanlage. Darauf folgte 
die Besichtigung der alten und der im Bau begriffenen neuen Stollen. 
--- In das Krankenkassenwesen führte uns ein Vortrag des Herrn 
Dr. med. Scholl „Ueber ärztliche Standesfragen“ ein. In der an¬ 
schliessenden Diskussion wurde die Fühlungnahme der Kliniker- 
schaften mit dem Leipziger Aerztcvcrband angeregt. 

Herr Prof. Dr. Gustav Klein hatte die Liebenswürdigkeit, aus 
seiner Bibliothek der Münchener Klinikerschaft mehrere hervor¬ 
ragende Werke zur Verfügung zu stellen. 

Allen Herren, die durch Vorträge. Führungen und Zuwendungen 
der Klinikerschaft ihr Interesse bekundet haben, sei an dieser Stelle 
nochmals der verbindlichste Dank der Münchener Klinikerschaft aus¬ 
gesprochen. 

Von der sonstigen Tätigkeit der Münchener Klinikerschaft sei 
mitgeteilt, dass am 23. Juni eine Hingabe an Se. Durchlaucht den 
Herrn Reichskanzler abgegangen ist, betr. Anrechnung des 2. Militär- 
halbjahrs auf das praktische Jahr. - - Am 30. Juli findet in Leipzig 
der Verbandstag Deutscher Klinikerschaften statt, auf dem u. a. die 
Frage der Berechtigung zur Führung des medizinischen Doktortitels 
sogleich nach dem Doktorexamen besprochen werden soll. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

(Bayer n.) 

Fine interessante Angelegenheit, auf deren weiteren Verlauf man 
gespannt sein darf, beschäftigte neulich die erste Instanz der Volks¬ 
vertretung, den Finanzausschuss der Abgeordnetenkammer. 

Die notorisch unhaltbaren Verhältnisse dos J u I i u s s p i t a I s 
in W li r z b u r g bedürfen dringend der Abhilfe und haben nun in 
1() Jahren das achte Neubauprojekt gezeitigt. Fine neue Regierungs¬ 
vorlage fordert 51)01H MI M. als erste Rate für die Hrbauung eines die 
Universitätskliniken, die städtischen, juIiusspitaIischen und klinischen 
Kranken umfassenden Krankenhauses. Von den Gesamtkosten von 
6 460 000 M. hätte der Staat 3 6M>7(M) M.. die Stadt 2.070 öl Ml M.. die 
Juliusspitalstiftung 1372IMIO M. zu tragen. Dabei soll das jährliche 
Gesamtrisiko des Spita's nur 13 ooo M. betragen. Für die Aufnahme 
der 150 Stiftskranken bleibt wie bisher dem Stift allein die Fntschei- 


dung Vorbehalten. Bei voller Wahrung des Miftungsz w eckes wurde 
das Spital auch an dem neuen Spital, zu dem es den Baugrund her¬ 
gibt. zu einem Drittel Figcntumsantcil erhalten. I ier Kaliums*.he Charak¬ 
ter des Ganzen wird, wie Kultusminister v. W ebner in seinem F\- 
pose austiihrte. voll gewahrt werden. Die Verbindung mit dem luuus- 
spital geht der Staat nicht aus imaiizu ijvu Gründen ein. vu.dern 
deshalb, weil die s t i ! t i s c h e n Kranke n fast die Hallt e 

des ganzen k I i n i s c h e n M a t e r i a I s a u s m a c h e u. Di e 

L o s t r e ii ii u n g des .1 u 1 i u s s p i t a I s \ o n der l n i v e r s i - 

t a t w ii r d e den 1 o d e s s * •» s s für die fr u h e r a n e nur 

der ersten Stellen new ese n e m e d i / i n i s c h e Fa¬ 
kultät W ii r z h u r g. die seit l ss 7 bereits s.m Mudicrendm 
auf *407 gesunken ist, bedeuten. Zwischen Staat. Stadt und Spstab 
verwaltimg ist auf Vorstehender Grundlage bereits ein F ins er stand- 
ms erzielt worden. Diesem in seinen Grund/ugeti jede Malis höchst 
begrussensw erteil Proje kte entgegen stellte der Kultusreferent 
unserer Kammer. Domkapitular Dr. S c h a e d 1 e r. den Antrag, die 
Stimme vom 5oimnui M. zu bewilligen. re doch nur zum Bau eines 
für die klinischen und städtischen Patienten bestimmten Kranken¬ 
hauses. u u t e r A u l h e b u u g d e s / ii s a in m e n banges m i t 
d e in I ii I i n s s p i t a I. aNo gerade unter dentingcn Bidmgung. die 
nach den Worten des Ministers nichts anderes als dm weiteren 
Nieder gang und Rum der medizinischen Fakwitat W tir/burg be¬ 
deutet. 

Auch den sacliv er ständigen Ausführungen des Medizinal: eierm- 
ten Geheimrates v. Grashev gegenüber erkannten der Reterent 
lind die übrigen Redner der Melirluits[>artei die V>tw endigkeit einer 
Sanieiung des S|nt.tls zwar an; ohne leOodi auf die Frage des Kran- 
keiiniaugels cinzugehen und mit Schlecht \erhehlter ■\mm<-sitat gegen 
die Aerzte und die im dizmis* he lakult.it bestanden sie unter Be¬ 
rufung auf eine Redits\ erw aiirung des bisdiotii*. hui <0 Jmar i.ties 
und unter der Befur c hlung einer verkappten S.ik u'.ar isati* m aut dir 
str engen W alinmg des koniessioiieiien Miltungs/w eckes. der Mil- 
tungsiiiittel und vier Miltungsredite. Wenn dabei Dr. >chacd!c: 
von seinem berechtigten Misstrauen und der Vorsicht als 0er Weis- 
heit besserem Teile sprach, hat er. darf man wohl sagen, dui Stand¬ 
punkt des Kultusrefereilten ganz mit dem des geisthdun Herrn ver¬ 
tauscht mul dann lugt wohl der Kern der ganzen Sadic. Der 
Fmaiizaiissdmss stimmte dem Referenten zu. Die Mehrheitspartei 
des Landtages wurde demnach die Losung der sdiw urigen l rage 
nicht m einem weiteren erspr ie sslidieu Zusammenarbeiten der bisher 
beteiligten Faktoren, nicht in einer Wahrung der Interessen de: 
Universität suchen, sondern ihre Aulgal-c m der Wahrung des 
Charakters d*r Juliusspitalstiftung und in der W uder- 
lierstelhmg eines selbständigen, rem geistlich et leiteten Miltungs- 
krankeiihaiises sehen, wie es m Vorzeiten zu W iirz’ urg bestanden 
haben mag. als es dort noch keine Universität gab. 

Hin in hoh-ni Masse bedauernswerter Beschluss. 

Die Von dem Ausschuss vorgesc hlagetie 1 • sung wurde an sich. 

sofern sie ohne Schädigung der Universität er¬ 
folgen konnte, zweifellos manches für sich haben. Das Zu¬ 
sammenleben von 3 Faktoren in der Verwaltung eines Krankenhauses 
ist t ii r die Verwaltung ebenso prekär, wie Iur die Ver/te und es 
Scheint in letzterer Beziehung an Reibungen bisher nicht ganz geteb.it 
zu haben. Die finanzielle Mi In hi iastung wurde, wie sclrmi erwähnt, 
für den Staat nicht allzu druckend sein. Die >chw Icrigkeit fyt-gt nur 
an der F i haltiing der für den Bestand einer medizinischen K.m.k un¬ 
bedingt notwendigen K r ankenkhentel. Dieses vita'c Interesse einer 
seit Jalii hunderten bestehenden l rnvirsit.it mit ihren modeinen Vuf- 
gaben steht entschieden den Interessen eiiu r n<> v h s.. alten und 
ehrw urdigen. in gewissem Mime al'er aiuh veralteten Mittung 
voran mul hätte von der Volksvertretung um so mehr gewürdigt wer¬ 
den müssen, als sich die Interessen der Mittung und der Universität 
bisher vertragen haben lind in der Regierungsvorlage ein gemein¬ 
samer. dem Stiftungsinter esse auf das weiteste entgegenkommen¬ 
der Plan vorliegt. Kann es der Kiiltiisfeferent und der Ausschuss 
wirklich vor dem l aude verantworten, auf duse Weise einer ahm 
bavcrischen. mit ruhmvollen Hrmneningen geschmückten medizini¬ 
schen Bildungsstätte durch Fntziehiing des Bodens. in dem sie wur¬ 
zelt, das Gedeihen zu unterbinden ? Sollte in» Fruste die drm- 
geitde Notwendigkeit eines Neubaues der klinischen Vnstalim. v\ li¬ 
es den Anschein hat. auf Grund eines aus di m Mstt* la.tc r stamme n- 
den Stiftungsbriiies zu einer einseitigen Aufhebung der in einer l.mg. 
iahrigeu organischen Fntw ickJwfug hegt mMit teil engen «ierneinsc halt 
zw ischen den Kliniken und dem In’nissmi.d benutzt wcrJm w •dien, 
so konnte dies aber doch wohl nullt geschehen ohne eine u hzeitige 
gründliche, den ief/icen Ver h.btirts-sm ciMw e«. luiule |b .lung dir 
JiiliussfjljiiMg selbst. Diese hat. von einem Imsc Inmuhen I .mdt shc'n» 
W iirzburgs ins l eben gerufen. v\ •«1 1 1 nur getrachtet, di mu r-gen 
öffentlichen Bednrfms zu ents;v i\ !*t ti. dem hi ute unsere st.» Ir^sJcn 
und staatlichen Krankenanstalten rtg'v, hen. w-Jil aber käme dm 
Absicht gehabt, dem geistlichen Re cm-ent fnr p'!e Zeit em V <Jit 
der Krankenversorgimg zu schaffen. Von seiten des Kii : !nsnim!Ste r s 
wurde mich hervorgehoben. dass die Verbm.Irrig dir K unken mit 
dem Spital noch durch i n r s t b i s v h << f 1 i c h c Vnr<"■dmmg ge- 
scliaffen worden ist. Auf dieses: Ii.t/u « i«-b:et der k’< ü ’srra.-m em- 
ziigelien, kann mir nuht zustrheii. Minister \. Br eit reich bat 


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28 . Juli 1908. 


MUENCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1621 


dasselbe kurz berührt und auf das Bedenkliche verwiesen, wenn der 
Landtag Rechte der Stiftungsverwaltung an sich ziehen und diese 
Rechte im Gegensatz zu den berufenen Organen ausüben wollte. 
Er hat ferner darauf verwiesen, dass die Beteiligung des Juliusspitals 
an dem Neubauprojekt vollständig stiftungsgemäss ist und ferner 
noch, dass die Spitalstiftung durch Julius Echter nicht nur als 
Bischof, sondern auch als Herzog von Franken gemacht worden ist. 

Nach den Erklärungen der beiden Minister des Innern kann es 
wohl als ausgeschlossen gelten, dass auf der von dem Finanzaus¬ 
schuss gebotenen Basis in absehbarer Zeit an eine Durchführung der 
dringenden Reform zu denken ist. Noch darf man aber auch der 
optimistischen Auffassung sein, dass auf diesem Gebiet der Humani¬ 
tät und Wissenschaft es schliesslich nicht bei einer fruchtlosen poli¬ 
tischen Kraftprobe bleiben darf und ein Ausgleich gefunden werden 
wird, weil er gefunden werden muss. 

Zwei grosse gesetzgeberische Fragen sind in der Kammer der 
Abgeordneten erledigt worden: das Beamtengesetz und die neue 
Gehaltsordnung; das erstere ziemlich rasch und unverändert, die 
letztere nach langem Hin und Her und nicht ohne eine Verkürzung 
der höheren Gehaltsätze zugunsten der Aufbesserung weniger gut 
bedachter Kategorien. Der Versuch, die Bezüge der Landgerichts¬ 
ärzte mit denen der Bezirksärzte durch Versetzung der ersteren aus 
der 9. und der letzteren aus der 12. je in die 11. Gehaltsklasse zu 
vereinheitlichen, ist nicht durchgedrungen, sondern die Klassen¬ 
einteilung nach dem Regierungsentwurfe angenommen worden, da¬ 
gegen ist bei den für uns in Betracht kommenden Kategorien die 
Zahl der Vorrückungsstufen von 5 auf 6 (bei den Bezirksärzten usw. 
auf 7) vermehrt worden, so dass der Höchstgehalt statt im 13. bezw. 
16., erst im 16. bezw. 19. (Bezirksärzte usw.) Dienstjahr erreicht wird. 
In der Voraussicht, dass der in der Kammer der Abgeordneten er¬ 
zielte Kompromiss Gesetz werden wird, sei hiermit eine neue tabel¬ 
larische Uebersicht (vergl. No. 9 dieser Wochenschrift) gegeben. 




D i e n s t j 

a h r 

e 



1.-3. 

4.-6. 

7.-9. 

10.-12. 

13.- 15. 

vom 16. 

1 v. 19. 

Vortrag. Räte im Ministerium 
Kreismedizinalräte. ordentliche 

8400 

9000 

9600 

10200 

10800 

11400 


Caiversitätsprofessoren .... 
Landgeriehtsarzte, Professoren 

6000 

■ 

6500 

7000 

7500 

8000 

8400 


der Hebammenschulen .... 

4800 

5300 

5800 

6300 

6800 

7200 


Ausserordentliche Univ.-Prof. . 
Bezirksärzte, Hausärzte d. Straf¬ 
anstalten, Zentralimpfarzt, 

3600 

4100 

4600 

5100 

5600 

6000 


Oberärzte der UniY.-Kliniken 

3000 

3500 

4000 

4500 

5000 

5500 1 

6000 


B e r g e a t. 


Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer liegt das 231. Blatt der Galerie bei: Professor 
Dr. Herman Snellen sen. Vergl. hierzu den Nekrolog auf S. 1596. 

Therapeutische Notizen. 

Unter dem Namen „M e d i n a 1 solubile“ bringt die che¬ 
mische Fabrik auf Aktien (vorm. Schering) das Mononatriurnsalz 
der Diäthylbarbitursäure als leicht lösliches Schlafmittel für inner¬ 
liche, rektale und subkutane Anwendung in den Verkehr. Die Wir¬ 
kung des Medinal ist besonders bei rektaler Anwendung sehr gut, 
ausserordentlich intensiv wirkt die subkutane Injektion einer lOproz. 
Lösung (0,5:5,0 Wasser), die sich auch bei Delirium tremens als 
Ersatz des Chloral und bei Morphiumentziehungskuren 
als sehr geeignet erwies. Das Präparat kommt sowohl in Pulverform 
(in Pappkartons ä 25, 50 und 100 g) als in Tabletten zu 0,5 in den 
Handel. Es darf stets nur in Lösung genommen werden. Die Do¬ 
sierung ist intern 0,3—0,5—0,75—1,0, 3—4 Stunden nach dem Abend¬ 
essen zu nehmen, rektal 0,7—0,5 in 5,0 Wasser zu lösen und in einer 
kleinen Klystierspritze zu injizieren, subkutan 5 ccm einer lOproz. 
Lösung. Eingehende Versuche mit dem Mittel stellte E. S t e i n i t z 
im Krankenhaus Moabit an. (Therapie der Gegenwart, Juli 1908.) 

R. S. 

Ueber L a c t o s e r v e, ein in der Fabrik Böhringer & Söhne 
in Mannheim-Waldhof hergestelltes Buttermilchpräparat, hat 
Dr. E. G i 1 i b e r t i in der Universitäts-Kinderklinik zu Neapel Ver¬ 
suche bei akuten und chronischen Magen-Darmerkrankungen von 
Säuglingen angestellt, deren Resultate bei den akuten Erkrankungen, 
speziell bei Enterokolitis, glänzend, bei chronischen Erkrankungen 
nicht immer gleich gut waren. G. kommt zu den Schlussätzen, dass 
die Laktoserve die frische Buttermilch vollständig zu ersetzen ver¬ 
mag; dass sie ihre Hauptwirkung bei der Enterocolitis muco-mem- 
branosa und dysenteriformis entfaltet, wobei sich der Charakter der 
Fäzes sehr rasch ändert, das Fieber aufhört und das Gewicht rapid 
zunimmt; dass sie bei chronischen Affektionen, auch bei solchen auf 
hereditärer Basis, eine regelmässige Gewichtszunahme der Kinder 
erzeugt und die Blutbildung beschleunigt. (La Pediatria 1908, 
No. 3.) R. S. 


Curt Hartmann gibt in seiner auf Anregung von v. Me ring (t) 
entstandenen Arbeit: Zur Jod - und Sajodintherapie einen 
Ueberblick über die Literatur, aus dem hervorgeht, dass sich das 
Indikationsgebiet des S a j o d i n s mit dem der bekannten Jodsalze 
deckt. Seine Anwendung empfiehlt sich vor allem bei tertiärer 
Syphilis in ihren mannigfachen Formen, dann in den spä¬ 
teren Perioden sekundärer Syphilis, namentlich in 
Fällen, die mit Kopfschmerzen einhergehen, dann bei arterio¬ 
sklerotischer Gefässerkrankung, bei asthmati¬ 
schen Beschwerden und chronischer Bronchitis. Weiterhin ist 
es indiziert bei Affektionen, bei denen es zwar nicht so spezifisch 
wirkt, wie bei diesen Krankheiten, wo man aber von Jodkali bis¬ 
weilen Erfolge gesehen hat, also bei Lungenemphysem, chro¬ 
nischer Gicht, chronischen Gelenkerkrankungen, chro¬ 
nischer Bleivergiftung, chronischen Erkrankungen des Zen¬ 
tralnervensystems. Ausserdem ist es noch in solchen 
Fällen anzuwenden, wo das Jodkali infolge der plötzlichen Ueber- 
schwemmung des Organismus mit Jod leicht Gefahren bringen kann, 
z. B. bei Gehirnaffektionen, Zerebral Syphilis, Psychosen 
auf syphilitischer Basis, Larynxaffektionen. Auch 
bei nervösen und schwächlichen Individuen empfielt sich seine An¬ 
wendung vor der des Jodkali. (Dissertation, Halle 1908.) F. L. 

A. Köhler-Teplitz-Schönau weist in einer Arbeit „Zur The¬ 
rapie des Ulcus ventriculi und der H y p e r a z i d i t ä t 
das Magensaftes mittels der Capsulae olei oli- 
varum asept.“ darauf hin, dass die Oeltherapie des Magenge¬ 
schwürs in Form der Verabreichung dieser Kapseln neben Er¬ 
leichterungen subjektiver Art den Vorteil bietet, zwei 
Heilfaktoren in sich zu vereinigen. Einerseits die hämostati- 
sche Wirkung der Gelatine und die doppelt eiweiss- 
sparende Wirkung der Leimsubstanz (mit 10 Gelatine¬ 
kapseln werden dem Organismus 4 g Leim pro die zugeführt), indem 
Körpereiweiss gespart und gleichzeitig die Nahrungsaufnahme redu¬ 
ziert werden kann, andererseits die geradezu narkotische Oelwirkung. 
Es sind ferner auch Beimengungen zum Oel möglich, so nach 
dem Vorschläge Walkos (Wien. klin. Wochenschr. No. 4), der 
zu 100 g Olivenöl 5 g Wismut und 3 g Magnesia usta empfiehlt, so 
dass mit 10 Oelkapseln 0,5 g Wismut und 0,3 g Magnesia usta in 
den Magen gebracht werden können. Für die Praxis hat sich er¬ 
geben, dass die Dispensation zu 5,0 g sich weniger bewährt hat als 
die 3 g-Kapseln, die zu 6—10 Stück pro die eingenommen, in viel¬ 
facher Beziehung den Forderungen der Ulcuskur entsprechen. (Prag, 
med. Wochenschr., No. 26, 1908.) F. L. 

Zur Behandlung der Augenblennorrhöe bei Er¬ 
wachsenen und Kindern empfiehlt Adam-Berlin angelegentlichst 
die Bleno-Lenizet-Salbe (Ther. Monatsh. 3, 08). Lenizet 
ist bekanntlich die polymere Trockenform des Tonerdeazetates. 
Die lOproz. Salbe wird täglich nach Entfernung des Sekretes zwi¬ 
schen die Lider bezw. in den unteren Bindehautsack mit dem Glas¬ 
stab eingestrichen. Um das zweite, nicht erkrankte Auge zu 
schützen, muss man das Kind auf die kranke Seite legen. Das 
Sekret muss stündlich mittels eines in Borwasser angefeuchteten 
Wattetupfers entfernt werden. Hat die Sekretion beträchtlich nach¬ 
gelassen, so benutze man 4 mal täglich und 2 mal nachts die 5proz. 
Salbe. Nach völligem Erlöschen der eitrigen Sekretion gehe man zu 
reinem Euvaselin über. Von 13 Fällen bei Erwachsenen erkrankten 
nur 3 mit Hornhautkomplikationen. Kr. 

Die Behandlung der Hämorrhoiden soll man nach 
B r a a t z (Ther. Monatsh. 3, 08) dem einzelnen Falle entsprechend 
einrichten. Am meisten bewährt hat sich B. die Abklemmung der 
einzelnen Knoten mittels der Jonesschen Flügelzange mit nach¬ 
folgender Abtragung und Uebernähung des Stunlpfes durch die fort¬ 
laufende Naht. Bei sehr geschwächten Individuen empfiehlt sich sehr 
die Injektion von 3—5 Tropfen einer Lösung von Karbolsäure und 
Glyzerin zu gleichen Teilen. Kr. 

(Fortsetzuug siehe Seite 1624.) 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 27. Juli 1908. 

— Ueber die Feuerbestattung in Preussen schreibt 
die Z. f. Medizinalbeamte, No. 14: Die Entscheidung des Oberver¬ 
waltungsgerichtes in dem bekannten Hagener Falle ist auch für die 
inzwischen wieder aufgenommenen Erwägungen der Staatsregierung 
nach der Richtung bestimmend gewesen, dass für die etwaige Zu¬ 
lassung der fakultativen Feuerbestattung nunmehr nur noch der Weg 
der Gesetzgebung in Frage kommt. Dazu wird offiziös ausgeführt: 
Bei der Beschlussfassung darüber, ob dieser Weg zu beschreiten sei, 
waren die Gegengründe, welche wiederholt zur Ablehnung des frei¬ 
sinnigen Antrages auf Zulassung der Feuerbestattung im Abgeord¬ 
netenhause geführt hatten, nach ihrem vollen Gewicht zu würdigen. 
Man wird aber wohl in der Annahme nicht fehlgehen, dass bei der 
sorgsamsten Abwägung der Gründe und Gegengründe diesen Be- 


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1622 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


denken das grössere Gewicht doch nicht zuerkannt, vielmehr den 
sachlichen Gründen, welche die konservative Regierung und Landes¬ 
vertretung des Königreichs Sachsen zur Zulassung der fakultativen 
Feuerbestattung bewogen haben, in Verbindung mit den Rücksichten 
allgemeinpoiitischer Natur, welche für die Erfüllung dieses liberalen 
Wunsches sprechen, die grössere Bedeutung beigemessen worden 
ist. Hiernach erscheint begründete Hoffnung zu bestehen, dass auch 
in Preussen in Sachen der fakultativen Feuerbestattung in naher 
Zeit die Klinke der Gesetzgebung ergriffen werden wird. 

Dieser Mitteilung fügen wir noch eine Statistik über die Feuer¬ 
bestattung in verschiedenen Ländern bei, welche die Voss, Ztg. dem 
Jahresbericht der französischen Filiale der Internat. Gesellschaft für 
Feuerbestattung entnimmt: Die Vereinigten Staaten von Amerika 
marschieren voran. Sie haben nicht weniger als 36 Verbrennungsöfen, 
in denen im vergangenen Jahre mehr als 4000 Leichen eingeäschert 
wurden. Nach ihnen kommt Deutschland mit 15 Siemensöfen und 
2977 Eingeäscherten. Die Argentinische Republik nimmt dann mit 
976 Eingeäscherten den dritten Platz ein. Die Schweiz hat 4 Oefen, 
in denen 721 Leichen verbrannt wurden. In Grossbritannien haben 
in 13 Oefen 705 Personen ihre Umwandlung in Asche, man kann 
wohl kaum sagen, erlebt. Frankreich besitzt vier Verbrennungs¬ 
öfen in Paris, Lyon, Marseille und Rouen. In ihnen wurden im ver¬ 
flossenen Jahre 451 Leichen verbrannt. Etwas weniger in Italien, 
nämlich 442. Für Italien ist diese geringe Zahl eigentlich erstaunlich, 
denn es hat mehr Verbrennungsöfen als die übrigen Länder, nämlich 
30. In Dänemark wurden nur 77, in Schweden 70, in Kanada 33 
Leichen verbrannt. 

— Für die diesjährige VIII. ärztliche Studienreise, 
die unter der Führung des Geheimen Medizinalrates Prof. Dr. A. 
v. Strümpell -Breslau - von Hamburg ausgehend Ostende, Isle of 
Wight, San Sebastian, Madeira, Teneriffa, Tanger und Lissabon be¬ 
sucht, haben Vorträge bereits zugesagt: Geh.-Rat Prof. Dr. A. 
v. Strümpell -Breslau, Medizinalrat Prof. Dr. Nocht -Hamburg, 
Prof, Dr. Lenhartz - Hamburg, Prof. Dr. Strauss - Berlin, Prof. 
Dr. Hammer-Heidelberg, Prof. Dr. Felix Francke -Braun¬ 
schweig, Prof. Dr. P a n n w i t z - Berlin, Oberstabsarzt Dr. Bas¬ 
senge- Berlin, Dr. A. L a q u e u r - Berlin, Privatdozent Dr. K ei¬ 
le r - Charlottenburg/Berlin. Die Reise beginnt am 1. September a. c. 
in Hamburg uhd endet am 25. d. Ms. ebendaselbst. Der gecharterte 
Dampfer „Oceana“ ist bereits voll besetzt und können nur noch Vor¬ 
merkungen auf evtl, freiwerdende Plätze angenommen werden. An¬ 
fragen sind zu richten an das „Komitee zur Veranstaltung ärztlicher 
Studienreisen“, Berlin NW., Luisenplatz 2/4. 

— An der medizinischen Klinik und Poliklinik zu Marburg a. L. 
wird vom 9.—19. September inkl. ein ärztlicher Fortbil¬ 
dungskurs abgehalten. Das Thema ist begrenzt auf die „Therapie 
innerer Krankheiten“. Die Kurse sind honorarfrei. Zur Bestreitung 
der Unkosten, insbesondere von Druckkosten für Leitfäden, Diät- 
regulative, Rezepte usw. wird ein Betrag von 25 Mark erhoben. An¬ 
fragen aller Art, auch über Wohnungen etc., sind an den Ober¬ 
arzt der Klinik zu richten. Anmeldungen sind bis zum 15. August 
erbeten. 

— Vom 18.—27. Oktober 1908 findet an der Medizinischen Klinik 
zu Düsseldorf in Verbindung mit dem Pathologischen Institut daselbst 
ein erster Kursus der Pathologie, Diagnostik und 
Therapie der Erkrankungen des Herzens statt. Der 
Kursus umfasst Demonstrationen nebst Besprechungen und praktische 
Uebungen; und zwar: Untersuchungsmethoden und Diagnostik (Prof. 
H o f f in a n n); Klinische Demonstrationen (Prof. H o f f m a n n, Pri¬ 
vatdozent Dr. van den Velden, Dr. Grau); Normale und patho¬ 
logische Anatomie des Herzens (Prof. Lubarsch); Praktische 
Uebungen (Privatdozent Dr. van den Velden, Dr. Grau, Dr. 
G a u p p, Dr. B r ö k i n g); Therapie der Herzkrankheiten (Prof. 
Hoff mann, Privatdozent Dr. van den Velden, Prof. Opitz, 
Prof. W i t z e 1). Am* Sonntag den 18. Oktober findet zum Empfang 
eine zwanglose Zusammenkunft der Teilnehmer im Malkasten statt, 
(hc.) 

— Das Programm der 8Q. Versammlung Deutscher 
Naturforscher,und Aerzte, Köln, 20.-26. September d. J., 
ist soeben erschienen. Dasselbe ist durch die Geschäftsführung, Köln 
Mozartstrasse.il zu beziehen. 

— Den von der Akademie der Medizin in Turin alle fünf Jahre 
zu vergebenden internationalen Riberipreis für die beste 
Arbeit oder Entdeckung auf dem Gebiete der Medizin, die während 
der vorausgegangenen Jahre gemacht und zum Wettbewerb ange¬ 
meldet wurde, im Betrag von 16 000 M. erhielt Professor Bosio 
in Turin für seine biologische Methode des Nachweises von Arsenik, 
Tellur oder Selen. Zur Zeit ist der Preis für 1907—1911 ausge¬ 
schrieben. (hc.) 

— Der bekannte Philanthrop Henry Phipps hat für die Er¬ 
richtung einer psychiatrischen Abteilung am Johns 
Hopkins Hospital in Baltimore die Summe von 750 000 M. 
gestiftet. Als Leiter der Abteilung ist Dr. Adolf Meyer aus 
NewYork berufen worden. 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 28. Juni bis 4. Juli 
15 Personen an der Pest erkrankt unji 6 gestorben. — Portugal. Im 
Innern der zu den Azoren gehörigen Insel Terceira ist in der ersten 



Hälfte des Juli die Pest aufgetreten, angeblich durch Rückwanderer 
aus Brasilien eingeschleppt; bis zum 16. Juli waren von 15 Er¬ 
krankten 8 gestorben. Die ganze Insel gilt amtlich für pestverseucht; 
die benachbarten Inseln San Miguel, Madeira und Fayal sind angeblich 
seuchenfrei. — Aegypten. Vom 27. Juni bis 10. Juli sind an der 
Pest 54 Personen erkrankt (und 14 gestorben). — Japan. Auf For¬ 
mosa sind im Februar d, J. 57 Erkrankungen (und 51 Todesfälle) 
an der Pest festgestellt worden, im März 140 (122). — Britisch- 
Ostafrika. In Port Florence, dem Endpunkte der Ugandabahn am 
Viktoriasee, sind vom 11.—22. Juni 6 Pesterkrankungen mit 4 Todes¬ 
fällen festgestellt worden. — Trinidad. Bis zum 29. Juni waren in 
Port of Spain im ganzen 13 Pesttodesfälle festgestellt worden. 

— In der 28. Jahreswoche, vom 5.—11. Juli 1908, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Königshütte mit 33,3, die geringste Bielefeld mit 5,5 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Scharlach in Beuthen, Zabrze, an Masern und Röteln in 
Flensburg, Heilbronn, Kaiserslautern, Mülheim a. Rh., an Unterleibs¬ 
typhus in Koblenz. V. d. K. G.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Dr. Steyrer, Oberarzt an der II. med. Klinik, 
wurde zum Professor ernannt. — Prof. F.. H o f f m a n n hat einen 
Ruf als Extraordinarius nach Halle erhalten. (S. auch Halle.) 

Frankfurt a. M. Prof. Lüthje hat den Ruf als Nachfolger 
Quinckes an die Universität Kiel angenommen. 

F r e i b u r g i. Br. Der ausserordentliche Professor der Psy¬ 
chiatrie, Hermann Pfister, scheidet zu Beginn des Winterhalb¬ 
jahres endgültig aus dem akademischen Lehramt. 

Giessen. Als Privatdozent hat sich niedergelassen Dr. med. 
Kurt Berliner für Psychiatrie, (hc.) 

Halle. Für das zu errichtende Extraordinariat für Derma¬ 
tologie hat die Fakultät aequo loco vorgeschlagen: E. Hoff¬ 
man n - Berlin. Tomasczewski -Halle. Zieler-Breslau. 

Kiel. Am 17. VII. brachte die Kieler Studentenschaft dem am 
1. Oktober d. J. nach 30 jähriger Lehrtätigkeit an der Landesuni¬ 
versität vom Lehramt prücktretenden Direktor der medizinischen 
Klinik, Prof. Dr. Quincke, einen Fackelzug dar. — Am 20. VII. 
beging der Geh. Sanitätsrat Dr. S e e g e r, Privatdozent an der 
hiesigen Universität sein 50 jähriges Doktorjubiläum. Die Kieler 
medizinische Fakultät hat aus diesem Anlass das Doktordiplom er¬ 
neuert. — Dr. med. Wassermeyer, Assistenzarzt an der psy¬ 
chiatrischen und Nervenklinik hat sich als Privatdozent niederge¬ 
lassen. (hc.) 

Königsberg. Prof. Dr. Julius Schreiber. Direktor der 
Kgl. medizinischen Universitäts-Poliklinik feierte am 26. Juli sein 
25 jähriges Professorenjubiläum. 

Marburg. Als Nachfolger des Prof. H e f f t e r, der mit Be¬ 
ginn dieses Sommersemesters nach Berlin übergesiedelt ist, ist, wie 
wir hören, der a. o. Professor für physiologische Chemie und Assi¬ 
stent für medizinische Chemie am physiologischen Institut der Uni¬ 
versität Würzburg, Dr. med. et phil. August G ü r b e r als Professor 
und Direktor des pharmakologischen Institutes nach Marburg be¬ 
rufen. Dr. med. Franz K r u s i u s hat sich als Privatdozent für 
Augenheilkunde habilitiert. Seine Antrittsvorlesung handelte über 
Blindheitsursachen und Blindenerziehung, (hc.) 

Rostock. Prof. Dr. Nagel in Berlin, Abteilungsvorsteher 
am Berliner physiologischen Institut ist als Nachfolger Langen- 
d o r f f s auf den Lehrstuhl für Physiologie berufen worden. 

Catania. Dr. G. E s p o s i t o habilitierte sich als Privat¬ 
dozent für Neurologie und Psychiatrie. 

Edinburgh. Dr. Fr. M. Caird wurde an Stelle des ver¬ 
storbenen Prof. Th. Annandale zum Professor der chirurgischen 
Klinik ernannt. 

Neapel. Dr. G. Proto habilitierte sich als Privatdozent für' 
Laryngologie. — Dr. G. Du Conti habilitierte sich als Privatdozent 
für externe Pathologie. 

Rom. Dr. A. Longo habilitierte sich als Privatdozent für 
Kinderheilkunde. — Dr. P. Scalzi wurde zum ausserordentlichen 
Professor der Krankheiten traumatischen Ursprungs ernannt. -4 
Dr. M. LevidellaVida habilitierte sich als Privatdozent für Bak¬ 
teriologie. 

(Todesfälle.) 

In Wien starb im Alter von 48 Jahren Prof. Dr. med. Eduard 
S p i e g 1 e r. Als ausserordentlicher Professor fehrte er an der 
Wiener Universität Dermatologie und Syphilidologie. 

Dr. E. Richard Hagen, ausserordentlicher Professor der Oto- 
Rhino-Laryngologie zu Leipzig. 

Dr. Gg. J. Preston, Professor der Physiologie und Neurologie 
am College of Physicians and Surgeons zu Baltimore. 

Dr. F. J. S h a d d, Professor der Therapeutik und Materia medica 
an Harvard University zu Washington. 

Berichtigung. In dem Referat über den Vortrag von Ph. 
F. Becker: „Einige lichtherapeutische Erfahrungen“ im offiz. Pro¬ 
tokoll des Aerztlichen Vereines zu Frankfurt in No. 29 dieser Wochen¬ 
schrift ist auf S. 1558, Zeile 11 und 21 von unten statt „Hautekzem“ 
zu lesen Handekzem. 

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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



28. Jun 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1623 


Anweisung über das Praktische Jahr der Mediziner (§§ 59—63 der Prüfungsordnung für Aerzte 

vom 28. Mai 1901). 


1. Anstalten, in denen das praktische Jahr abgeleistet wird. 

§ 1. Die Beschäftigung des Kandidaten während des Prak¬ 
tischen Jahres kann an folgenden Anstalten innerhalb des Deutschen 
Reichs erfolgen: 

a) an einer Universitätsklinik, 

b) an einer Universitätspoliklinik, 

c) an einem dazu besonders ermächtigten Krankenhause, 

d) an einem medizinischen nichtklinischen Universitätsinstitutc, 

e) an einem dazu besonders ermächtigten selbständigen medi¬ 
zinisch-wissenschaftlichen Institute. 

Die Ableistung des Praktischen Jahres kann auch an den zu Aka¬ 
demien für praktische Medizin vereinigten Krankenanstalten und 
wissenschaftlichen Instituten erfolgen, insoweit sie besonders er¬ 
mächtigt sind. 

§ 2. Die Beschäftigung an einer der im § 1 d und e erwähnten 
Anstalten wird in der Regel höchstens bis zur Qesamtdauer von 
6 Monaten und nur in besonderen Ausnahmefällen bis zur Gesamt¬ 
dauer von 8 Monaten auf das Praktische Jahr angerechnet. 

§ 3. Die Beschäftigung an einem medizinisch-wissenschaftlichen 
Institute, das zu einem ermächtigten Krankenhause gehört, wird auf 
das Praktische Jahr nicht angerechnet, es sei denn, dass das Institut 
in der Ermächtigung des betreffenden Krankenhauses besonders auf¬ 
geführt ist. Für solche Fälle finden auf die Beschäftigung an dem 
Institute die Vorschriften des § 2 Anwendung. 

§ 4. Das Verzeichnis der im Reichsgebiete zur Beschäftigung 
von Kandidaten ermächtigten Krankenhäuser und selbständigen medi¬ 
zinisch-wissenschaftlichen Institute (vgl. § 1 c und e) wird alljährlich 
im Zentralblatt für das Deutsche Reich veröffentlicht (Verzeichnis I). 
Daneben gelangt fortan ein vornehmlich für den praktischen Ge¬ 
brauch der Kandidaten berechnetes Verzeichnis der ermächtigten 
Anstalten zur Ausgabe, welches nähere Angaben über die Anstalten 
selbst, so über das hauptsächlichste Arbeitsgebiet der Anstalt, die 
Namen ihrer ärztlichen Leiter, die für die Zulassung der Kandidaten 
zuständige Stelle, die Bettenzahl, die Zahl der Assistenten und 
Pflege Personen, die den Kandidaten gewährten Vergünstigungen und 
sonstiges für die Kandidaten Wissenswerte enthält (Verzeichnis II). 
Ein Exemplar desselben wird den Kandidaten nach Beendigung der 
Prüfung durch den Vorsitzenden der Prüfungskommission übergeben. 

§ 5. Die Beschäftigung an einer ausserhalb des Deutschen 
Reiches gelegenen Anstalt der in § 1 bezeichneten Art wird nur 
ausnahmsweise, und zwar höchstens bis zur Gesamtdaifer von 
6 Monaten auf das Praktische Jahr angerechnet. Gesuche sind vor 
dem Beginne der Beschäftigung bei der Zentralbehörde, in deren 
Gebiete der Kandidat die ärztliche Prüfung bestanden hat, ein¬ 
zureichen. 

II. Behandlung Innerer Krankheiten. 

§ 6. Von dem Praktischen Jahre hat der Kandidat mindestens 
ein Drittel vorzugsweise der Behandlung von inneren Krankheiten 
zu widmen. Dieser Vorschrift kann nur genügt werden durch Be¬ 
schäftigung an allgemeinen Krankenanstalten,*) denen ein reiches 
Material an inneren Kranken zur Verfügung steht, nicht jedoch durch 
Beschäftigung an Irrenanstalten, Lungenheilstätten und sonstigen 
Spezialkrankenanstalten, deren Aufgabe ausschliesslich in der Be¬ 
handlung einer einzelnen inneren Krankheit oder Krankheitsgruppe 
besteht. Der Kandidat wird dies bei der Auswahl der Anstalt, in der 
er beschäftigt zu werden wünscht, zu berücksichtigen haben. 

UL Annahme des Kandidaten In der Anstalt 

§ 7. Das Praktische Jahr hat sich möglichst unmittelbar an die 
bestandene Prüfung anzuschliessen. Soll es später als 4 Wochen 
nach Beendigung der Prüfung begonnen werden, so bedarf es der 
Erlaubnis der Zentralbehörde (§ 5). 

§ 8. Das Gesuch des Kandidaten um Beschäftigung an einer im 
§ 1 bezeichneten Anstalt ist, soweit es sich um Universitätskliniken 
und -Polikliniken und um nichtklinische medizinische Universitäts¬ 
institute (§ I a, b und d) handelt, an deren Direktor, soweit er¬ 
mächtigte Anstalten (§ 1 c und e) in Frage stehen, an die in dem 
Verzeichnis II als für die Annahme zuständig bezeichnete Stelle zu 
richten. 

§ 9. Damit der Kandidat das Praktische Jahr in unmittelbarem 
Anschlüsse an die ärztliche Prüfung beginnen kann, ist es zweck¬ 
mässig, dass er bereits vor Beendigung der Prüfung wegen künftiger 
Annahme in einer Anstalt mit dieser in Verbindung tritt. Sofort nach 
dem Bestehen der Prüfung wird ihm seitens des Vorsitzenden der 
Prüfungskommission eine vorläufige Bescheinigung hierüber ausge- 


*) Von Kinderkrankenanstalten gilt dies nur, wenn in ihnen Kin¬ 
der aller Altersstufen Aufnahme und alle inneren Krankheiten ein¬ 
schliesslich der übertragbaren Krankheiten Behandlung finden. 


stellt, auf Grund deren er sogleich die Annahme als Praktikant nach¬ 
zusuchen hat. 

§ 10. Die Anstaltsleitung, an welche sich der Kandidat mit An¬ 
fragen oder mit seinem Gesuche wendet, hat alles zu vermeiden, 
was den Gang der Verhandlungen und den Eintritt des Kandidaten 
verzögern könnte. Stehen der Annahme Bedenken entgegen, so ist 
der Kandidat umgehend hiervon zu unterrichten, damit er sich so¬ 
gleich an eine andere Anstalt wenden kann. 

IV. Beschäftigung und Ausbildung des Kandidaten. 

§ 11. Für die ordnungsmässige Ausbildung des Kandidaten ist 
der Direktor der Universitätsklinik oder -Poliklinik oder des Instituts, 
bei Krankenhäusern der ärztliche Leiter der Anstalt verantwortlich, 
welcher sich der praktischen Ausbildung des Kandidaten mit Sorg¬ 
falt zu widmen hat. Als ärztlicher Leiter gilt in denjenigen Anstalten, 
in denen mehrere Abteilungen unter selbständiger Leitung besonderer 
dirigierender Aerzte vorhanden sind, der Leiter derjenigen^Kranken- 
hausabteilung, in welcher der Kandidat beschäftigt wird. 

§ 12. Voraussetzung für eine ordnungsmässige Beschäftigung 
und Ausbildung des Kandidaten in einer Krankenanstalt ist, dass die 
Krankenbehandlung, der Krankenhausbetrieb und die Unterweisung 
des Pflegepersonals den Anforderungen der medizinischen Wissen¬ 
schaft und der öffentlichen Gesundheitspflege in vollem Umfange ent¬ 
sprechen und die Einheitlichkeit der ärztlichen Leitung und Kranken¬ 
versorgung streng gewahrt ist. 

§ 13. Dem Direktor der Universitätsanstalt oder bei ermächtig¬ 
ten Anstalten dem Leiter derselben bleibt Vorbehalten, dem Kandi¬ 
daten eine Anweisung über die Art und Ausdehnung seiner Be¬ 
schäftigung zu erteilen, wobei die in den §§ 14—19 aufgestellten Ge¬ 
sichtspunkte als Richtschnur zu dienen haben. 

§ 14. Zur Erreichung des Zieles des Praktischen Jahres genügt 
es nicht, dass der Kandidat nur die Morgen- und Abendvisite mit¬ 
macht, im übrigen aber von der Anstalt fernbleibt. Vielmehr ist es 
erforderlich, dass er sich während des Tages dauernd in der Anstalt 
aufhält und sich ganz der Behandlung und der Beobachtung der 
Kranken widmet. Deshalb ist es wünschenswert, dass der Kandidat 
während seiner praktischen Tätigkeit in einer Krankenanstalt in der¬ 
selben wohnt und verpflegt wird. Gestatten die Verhältnisse die 
Unterbringung des Kandidaten in der Krankenanstalt nicht, so sollte 
ihm wenigstens die Möglichkeit, sich in der Anstalt zu beköstigen, 
gewährt werden. 

§ 15. Die Uebertragung einer Hilfsarztstelle in den Kranken¬ 
anstalten an den Kandidaten ist nicht zulässig. 

§ 16. Der Ausbildung des Kandidaten in der Krankenanstalt 
wird am besten dadurch genügt, dass er einer bestimmten Kran¬ 
kenabteilung zugewiesen wird und auf derselben eine bestimmte An¬ 
zahl von Kranken, nicht unter 12, zugeteilt erhält, die er unter der 
Beihilfe und verantwortlichen Leitung des Hilfsarztes der betreffen¬ 
den Station (Pavillon, Baracke) ärztlich zu versorgen hat. Hierbei 
ist zu beachten, dass der Kandidat stets unter der Aufsicht des 
Direktors oder ärztlichen Leiters verbleiben muss. 

§ 17. Dem Kandidaten ist die Möglichkeit zu bieten, sich in der 
Untersuchung und Behandlung der Kranken, im Verschreiben von 
Rezepten, in der Abfassung von Krankengeschichten, Zeugnissen und 
Gutachten, in der Führung der Krankenblätter, in der Abhaltung des 
ärztlichen Wachdienstes und in der Ausführung von Leichenöffnungen, 
soviel wie möglich zu betätigen. Gegenstände der Unterweisung 
sollen ferner sein: die Handhabung der Untersuchungsmethoden, die 
praktische Ausübung der Krankenpflege, insbesondere das Eingehen 
auf die Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Kranken und das 
taktvolle Verhalten gegenüber dem Pflegepersonal. Die wissen¬ 
schaftliche Verwertung bemerkenswerter Krankheitsfälle, die An¬ 
wendung der verschiedenen Heilmethoden und der Arzneiverordnung, 
die Handhabung der Antiseptik und die Einhaltung der Asepsis, die 
Mithilfe bei Operationen (Narkose, Assistenz, Nachbehandlung), die 
Vornahme derselben, überhaupt die Uebung in möglichst allen 
Zweigen der praktischen Medizin, besonders auch auf dem Gebiete 
der Arbeiterschutzgesetzgebung. Ferner erscheint eine Belehrung 
angezeigt über die Leitung und Verwaltung der Anstalt, über die 
Durchführung hygienischer Massnahmen in der Anstalt, über die Er¬ 
füllung der dem Arzt obliegenden gesetzlichen Pflichten, namentlich 
bezüglich der Anzeigepflicht bei übertragbaren Krankheiten und der 
Desinfektion, sowie über das kollegiale Verhalten anderen Aerzten 
gegenüber, besonders in der Privatpraxis. 

§ 18. Alle einer Anstalt oder Anstaltsabteilung überwiesenen 
Kandidaten haben sich an den täglichen Visiten der dirigierenden 
Aerzte und der einzelne Kandidat ausserdem an den Vormittags¬ 
und Nachmittagsbesuchen des Hilfsarztes seiner Station zu beteiligen, 
wobei am Krankenbette genauere Besprechungen geeigneter Fälle 
stattzufinden haben. Von grossem Nutzen werden auch besondere 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1 624 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Referatstunden sein, welche von den dirigierenden Aerzten in Gegen¬ 
wart sämtlicher Hilfsärzte und Kandidaten abgehalten werden und 
in denen die gemachten Beobachtungen ausgetauscht und durch die 
Erläuterungen der erfahrenen Chefärzte besonders nutzbringend ge¬ 
macht werden können. 

§ 19. Der Kandidat soll durch den Dienst in der Anstalt voll 
beschäftigt werden. Denn er hat seine ganze Kraft und Aufmerk¬ 
samkeit darauf zu richten, seine praktischen Kenntnisse und Fällig¬ 
keiten zu vertiefen und fortzubilden, sowie das erforderliche Ver¬ 
ständnis für die Aufgaben und Pflichten des ärztlichen Berufes zu ge¬ 
winnen. 

§ 20. Die in den §§ 12—19 enthaltenen Bestimmungen finden aut 
die Beschäftigung und Ausbildung des Kandidaten in Polikliniken 
und Instituten sinngemässe Anwendung. 

§ 21. Der Kandidat hat sich der Hausordnung und den An¬ 
ordnungen des ärztlichen Leiters der Anstalt zu fügen. Zuwiderhand¬ 
lungen können von diesem mit Verweisen, in Wiederholungs- und 
besonders schweren Fällen mit sofortiger Entlassung aus der Anstalt 
bestraft werden. Im Falle der sofortigen Entlassung hat der ärzt¬ 
liche Leiter binnen zwei Wochen an die der Universität Vorgesetzte 
Behörde, bei ermächtigten Anstalten an die zuständige Aufsichts¬ 
behörde zu berichten. 

§ 22. Die Direktoren der Universitätskliniken und -Polikliniken 
und der Institute sowie die ärztlichen Leiter der Krankenhäuser sind 
befugt, dem Kandidaten einen kurzen Urlaub zur Erholung oder zu 
besonderen Gelegenheiten zu erteilen. Eine Anrechnung der Urlaubs¬ 
zeit auf das Praktische Jahr ist nur bis zu höchstens 14 lagen und 
nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Tätigkeit des Kan¬ 
didaten zu Anständen keine Veranlassung gegeben und sich ord- 
nungsmässig vollzogen hat. Unter der gleichen Voraussetzung kann 
auch die Zeit der ärztlich zu bescheinigenden Krankheit Ins zur 
Höchstdauer von 4 Wochen auf das Praktische Jahr angerechnet 
werden. Eine weitere Anrechnung von Krankheitszeit ist nur in 
besonders gearteten Fällen mit Genehmigung der Zentralbehörde 
(§5) angängig. In jedem Falle der Beurlaubung oder der Erkrankung 
muss die Dauer der Unterbrechung unter Bezeichnung des Anfangs¬ 
und Enddatums in dem Abgangszeugnisse vermerkt werden. Eine 
Abkürzung der auf die Behandlung von inneren Krankheiten zu ver¬ 
wendenden Zeit (mindestens ein Drittel des praktischen Jahres) darf 
durch Urlaub oder Krankheit nur in besonders begründeten Fällen 
erfolgen. 

§ 23. Das Praktische Jahr ist in der Regel ohne Unterbrechung 
zu erledigen. Eine längere als 14 tägige Unterbrechung bedarf der 
Genehmigung der Zentralbehörde (§ 3). 

Es steht dem Kandidaten frei, das an einer Anstalt begonnene 
Praktische Jahr an einer zweiten und gegebenenfalls noch an einer 
dritten Anstalt fortzusetzen. Will er noch einen weiteren Wechsel 


Na M 

| der Anstalt eintreten lassen. So hat er zus <*r die < jcncfvmigimg ui' 

I Zentralbehörde (?: 5) emzuimieii. 

! Es ist wünschenswert, dass die Tätigkeit vLs Kai-di .IaH n an en-er 

I Anstalt lucht zu kurz bemessen wird. Im WeJivti dir \t,Mail d.rf. 

vorbehaltlich des $ 21. nur muh 1 I tägiger km: J'gur.g er: gen. w ei Ja. 

! sowohl dem Leiter der Anstalt als dem Kandidaten zustul.l. 

$ 24. Hat der Kandidat es an dem eri< n der !k her: I iLf w.T'im! 
der Ableisl'mg des I’i aktis«. heu .1.ihres iv'ibii l.isseii. so d.^s d:e 
Zentralbehörde < 5> nicht ehe l cbm zv. ugung gewinnt. da"* t r ib o 
zu stellenden Am. >rdei mrgeii entsprochen hat. so wird die /mitm - 
behorde die Dauer des praktischen Jahres ii"c'i dam.bet hinaus l ' 
einen von liir zu bestimmenden Zeitraum ausdi Imeii. 

23. Wahrend der Vmistnng iL s Praktischen I.ihres hat di: 
Kandidat mindestens zwei oiiuitlidun Impnings- und ebenso \ n. <Jj 
W leder impjiingstcrmmen. cmsvliJie ss h eie r da/u gvh-'igeri N.uf- 
schauternnne. beizuwohmn. Die Be v In. nngimg darüber ste'it de r 
Imptarzt aus. \u■Liier den Impitermm .dmeha tv u hat. Die erP-r.Lr- 
Ikhen Mitleiiimgi u über die Imptter mme. w eiche m der Pegel im 
Mai und Juni stalttnuL n. sind von dem zustaiKJig«. n beamteten Arzt 
emzuholeii. 

V. Erteilung des Abgangszeugnisses. 

2<e Oie Abgangszeugnisse über die Ableistung «Ls Praktischen 
Jahns sind nach dem der Pui’imgsi «rdiimig bi :gi gi m. n Muster 3 
durch den Direktor der l nr. er sp.itsk:m.k oder 1 '• .,s -..k oder iL s 
w isseiisdiaftik heil Institutes oder dmi ar.-bk lieft leiler vier Ansj.it 
bezw. der Selbständigen Xlista.ts.dU laiiig. bei We Liier der Kandidat 
: tätig gewesen ist. aus/ustehen. War vier Kandidat an n.eh'ereii Ab¬ 
teilungen tätig, so ist i:,r die betrerende Zeit v<*n ie dem Abte i.imgs- 
, leiter ein besonderes Zeugnis aibd i:Me de :i. \de Zeugnisse 
i eine nähere Würdigung der Art vie r iLWlf-iPgiirg. s..w ie em \”gaJk 
daiuher cnthaiteii. w eLliett Tel! der be zeichnete n Ad de r Kan d...it 
vorzugsweise vier IL handluug i"ii inneren Kr.»’ kheiU# gew idv e t. 
inwieweit er seine praktischen Kenntnisse und I ahigkeiteu \ erfüll 
| und lortgehiLlet und ob er ausreiJH m!v s \ erst.iiklms j:.r vbe \uIc.iHm 
I llllvl pfhcltten des ar Ztik liell Berufes gezeigt hat. 

27. Wirvl dem Kandidaten die l r tei.upg des \bg.i!'gszeugmsse-s 
I Von dem arzthclien I eilet vier Aust.ni \e:s.i s t. so ist elieser ver¬ 
pflichtet, es dem Kandidaten linier kurzer \ng.ibe vier »irmule schnlt- 
Ikh ZU etoMMeM. Gegen diesen Bescheid ist Beschwerde binnen zwei 
1 Wochen an die der l niv er sit.itsansta.it Vorgesetzte IL hm de. bei er- 
: mächtigten Anstalten an vlie /eiltr .iiK Lu di de "v nigt n Biimlessta.iivs. 

in eiessen Gebiete eile Anstalt gelegen ist. zu .iwig. 
i Berlin, den 7. Juli I»'s. 

1 Der Munster der geistlichen, Unte rrichts- und Mi .b/in.il.iu^v iv ^v n- 

lieite n. 

Holle. 


Verschiedenes. 

Therapeutische Notizen. 

Das P c r t u s s i n (Täschner) ist bekanntlich ein Fluidextrakt 
des deutschen Thymians und stellt eine sirupdicke bräunlich-grun- 
liche Flüssigkeit dar, die in Flaschen von 2IM) g in den Handel kommt. 
B 1 u m e n t h a 1 - Berlin empfiehlt es ausser bei Keuchhusten bei allen 
akuten und chronischen Bronchitiden. Es hat eine in hohem (irade 
schleimlösende und krampfstillendc Wirkung. (Titer. Monatsh. 
3, 08.) Kr. 

Mandelmilch in P a s t i 11 e n f o r m besteht aus 2 Teilen 
feingeriebenen Mandeln und 1 Teil Zucker. 12 Pastillen gelingen 
zur Bereitung von 2 Liter Mandelmilch. Sie können auch zur Dar¬ 
stellung von Mandelemulsion und Mandelsirup verwendet werden. 
Darsteller: Mandelmassefabrik Dr. A n d r e a e - Muncheii-Thnl- 

kireiten . (Pharm. Post, 191 iS.) F. u. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Franz Schede, appr. 1906, in Mün¬ 
chen. — Stabsarzt a. D. Gottlieb Pfau n e n ni ii Iler. appr. 1807, 
als Augen- und Ohrenarzt in Neustadt a. A. — Dr. Adam Frank, 
appr. 1887, in Pfrcinid. — Dr. Justus Schmauscr, appr. 1891, in 
Regensburg. 

Verzogen: Dr. Max Franz iss von Bärnau nach München. 

Erledigt: Die Bezirksarztsstelle 1. Klasse in Nahburg. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmüssig belegten (iesucltf 
i der ihnen Vorgesetzten K. Regierung. Kammer des Innern, bis 
’n 11. August 1908 einzureichen. 


Gestorben: Dr. Hugo Mott. K. Beznksar/t m NaM nrg. 
39 Jahre. 

Mllitfirsanlttttswesco. 

Ernannt: Der um.ihr i'g-trciw mige \r/t Dr. \’f-■ ?»*: B o mm c s 
des s. Iui.-Pv g. zum Unterarzt im 4 Irit.-KLg. iiiid mit W .ihr nehmung 
einer ofieiieii Assistcn/ar/tvO, ;j c bcaiiKr.ut. 


Uelnrtlcht der Sterbefllle te Mechee 

während der 28. Jahreswoche vom 5. bis II. Juni 1908. 

Bevölkerungszahl 536 000. 

Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 9 v o)» 
Altersschw. (üb. 60 J.) <> <5), Kindbcttficbcr iL and. Folgen der 
Geburt 2 (U Scharlach 3 u), Masern u. Röteln 1 tD, Diphth. u. 
Krupp 6 (1), Keuchhusten — ( ), Typhus — (D.ubertragb. Tierkrankh. 

— ( —), Rose (Erysipel) 2 (1), and. Wundmfektmnskr. (cinschl. Blut- 
u. citcrvergift.) i (— >, Tuberkul. d. Lungen 23 i23t, Tubcrkul. and. 
Org. 8(4), Miliartubcrkul. — (- i, Lungcnentzünd. (Pncumon.) 9 (lj), 
Influenza — (—\ and. übertragb. Krankh. 2 (4), Entzünd, d. Atmungs- 
organc 4 (D, sonst Krankh. dcrscib. 2 t ), organ. Herzleid. 19 < 1 3), 
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) s N, Gchirnschlag 
10 (3), Geistcskrankh. 2 ( ), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 1 ), and. 

Krankh. d. Nervensystems 9 (5), Magen- u. Parm.-Kat., Brechdurchfall 
(einschl. Abzehrung) 27 (3si, Krankh. d. Leber 3 (3). Krankh. des 
Bauchfells I (2), and. Krankh. d. Verdauungsorg. t. (7), Krankh. d 
Harn- u. Geschlcchtsorg. 3 (m, Krebs (Karzinom, KankroiJ) ]s (]i>), 
and. Neubildg. (einschl. Sarkom>4 (.0, Selbstmord 4 i3), Tod durch 
fremde Hand — (1). Unglikksf.ille 4 (♦>). alle übrig. Krankh. 3 ( \\ 
Die Gesamtzahl der Sterbefalic 2 'P (1^0- Verhältniszahl auf das 
Jahr und Iihm) Einwohner im allgemeinen F',3 (17.1), für die über 
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13 I (12,2g 


*) Die eingeklamnie! teil ZaliLn bc.L'ik n vb-. I v LI \'* r w-Jie, 


VerUg TOD J. F. Lehm «an ln Mouches. — Druck von E. MnbithAicr» buch und hunndruckcro A Vj . MuM>m 


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ftle Atfisiciiener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich 
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MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

J.F. innerer, Ch. Banmler, 0. r. Bdliager, I. ConebBsm, B. Hellerieh, V. r. Leabe, 6. r. Merkel, J. r. Hiebei, F.Penztldt, li.Mt, I. Spatz, F. v. Vliekel, 

München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Eisenach. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 


No. 31. 4. August 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


Originalien. 

Die klinische Diagnose der Pulmonalarteriensklerose. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Privatdozent Dr. A. P o s s e 11 in Innsbruck. 

In der Pathologie der Lungenarterie zieht der Kliniker in 
den Kreis diagnostischer Erwägungen bestimmte angeborene 
Bildungsanomalien, Klappenfehler, Stenosen- und Aneurysma¬ 
bildungen, wobei seit je die ausserordentlichen Schwierigkeiten 
der Diagnose betont werden, daher auch die häufigen Fehl¬ 
diagnosen leicht erklärbar sind. 

Die Atherosklerose der Lungenschlag¬ 
ader, stets als bloss zufälliger Obduktionsbefund betrachtet, 
für dessen Seltenheit immer wieder die Arteriosklerosehäufig¬ 
keitskalen nach regionären Gebieten von Lobstein, Roki¬ 
tansky, Huchard zitiert werden, kann als primäres 
oder sekundäres Leiden auftreten. 

Von ersterem figurieren in den Mitteilungen stereotyp die 
Fälle von Klob, Romberg, Aust, Laach e. 

Die sekundäre Pulmonalarteriensklerose findet sich unter 
allen Lungen-Herzaffektionen relativ noch am häufigsten bei 
der Mitralstenose, was durch die unmittelbare schwerste 
Beeinflussung des Lungenkreislaufs gerade durch diesen 
Klappenfehler erklärlich erscheint. 

Bisher wurde überhaupt noch kein Ver¬ 
such einer klinischen Diagnose des Leidens 
gemacht. 

Das Resümee aus der Ansicht aller Autoren ist so ziemlich 
die völlige Ableugnung einer derartigen Möglichkeit. 

Diesem absoluten Pessimismus gegenüber zu treten und an 
der Hand von Eigenbeobachtungen zu zeigen, dass das Er¬ 
kennen des Zustandes während des Lebens unter bestimmten 
Umständen zweifellos gelingt, sei Aufgabe unserer Dar¬ 
legungen. 

Mehr als VA Dezennien verfolgte ich an klinischen und 
ambulanten Kranken das abzuhandelnde Thema. Ich ver¬ 
füge über 10 Eigenbeobachtungen, von denen die ersten 
3 zufällige Obduktionsbefunde betreffen, die übrigen 7 einer 
klinischen Analyse zugänglich sind. Unter ihnen bestand zwei¬ 
mal Aortensklerose mit Insuffizienz der Semilunaren, die 
übrigen 5 beziehen sich auf Mitralstenosen. 

Bei denen letzterer Kategorie wurde auf Grund der 
früheren Beobachtungen' zweimal eine Wahrscheinlichkeits- 
und einmal eine sichere klinische Diagnose auf 
Ar teriosklerosis pulmo n a 1 i s gestellt. 

Im Rahmen dieser kurzen Mitteilung kann auf eine Dar¬ 
stellung der Krankengeschichten und Verwertung der Literatur 
nicht eingegangen werden. 

Wir müssen uns begnügen, die Endergebnisse in aller ge¬ 
drängtester Kürze zu skizziren. 

Ohne Detailierung der pathologischen Verhältnisse müssen 
nach unserer Ansicht für die Auslösung der primären Affek¬ 
tion eine Reihe von Momenten herangezogen werden, die zur 
Erklärung der bisher als rätselhaft betrachteten obigen Fälle 
und mancher klinischen Erscheinungen dienen: Angeborene 
Hypoplasie der Aorta und Verengerung der Lungen¬ 
venen (kongenitale Endokarditis, vielleicht auch ähnlicher 
Prozess in den Venen), mit konsekutivem Zurückbleiben der 
Entwicklung des linken Herzens, das zudem noch durch den 
hjo. 31 


(Nachdrude der Originalartikel ist nicht gestattet) 

exzessiv erweiterten und hypertrophischen rechten Ventrikel in 
seiner Funktion, Ausdehnung gehindert und direkt komprimiert 
wird, wodurch Störungen gesetzt werden, die in Mechanik und 
Schlusseffekt ganz denen bei Mitralstenose gleichen. 

Bei der sekundären Atherosklerose infolge Mitral¬ 
stenose macht sich ein doppelter Circulus vitiosus geltend: 

1. infolge der enormen Ueberlastung des Lungenkreislaufs, 
erhöhte Inanspruchnahme, Mehrarbeit des erweiterten, über¬ 
füllten rechten Ventrikels, Ueberdehnung und funktionelle 
Ueberbürdung der Gefässe, konsekutive mechanische Korre¬ 
lation der Kammer und endarteriitische und arteriosklerotische 
Prozesse der Gefässe. Letztere führen infolge Erhöhung der 
Widerstände zu um so grösserer Ventrikelarbeit, -anstrengung 
und Hypertrophie. 

2. in der Ward der Arterie selbst durch Ueberdehnung 
schlechtere Versorgung der Vasa vasorum infolge Kompression 
und Verlegung, sogar Verödung, dadurch atrophische Vorgänge 
in ihren Endausbreitungen und der Intima, wodurch natur- 
gemäss eine weitere Steigerung des Prozesses in der Lungen¬ 
arterienwand resultiert. Letztere Vorgänge werden durch die 
schlechte Blutversorgung und Unterarbeit von seiten des zu¬ 
rückgebliebenen verschmächtigten linken Ventrikels noch mehr 
begünstigt. 

Die Mitralstenose allein genügt nicht zur Setzung hoch¬ 
gradiger einer klinischen Diagnose zugänglichen Pulmonal¬ 
arteriensklerose. Für diese ist noch die Koinzidenz ähnlicher 
Störungen, wie sie bei der primären Affektion gestreift wurden 
(Pulmonalvenenverengerung, fötale Endokarditis mit konseku¬ 
tiven Ernährungsstörungen im linken Herzen u. dergl.) ins Auge 
zu fassen, wenn auch die einzelnen nicht so markant hervor¬ 
zutreten brauchen. 

In der A e t i o 1 o g i e spielt hier selbstverständlich die 
Polyarthritis die grösste Rolle (Emphysem, Pleuraloblitera¬ 
tionen und Perikardsynechien kommt sicherlich nur eine sekun¬ 
däre Rolle zu, des öfteren sind derartige Prozesse direkt Folge¬ 
zustände). 

Nach unseren Erfahrungen möchten wir aber (neben der 
für die Entstehung des ursprünglichen Klappenfehlers mass¬ 
gebenden Polyarthritis) einer Reihe von im jugendlichen Alter 
durchgemachten schweren Infektionskrankheiten, in erster 
Linie der Variola vera, eine recht gewichtige Bedeutung 
beilegen. 

Nicht weniger als drei unserer Kranken hatten in jugend¬ 
lichen Jahren eine ungewöhnlich schwere Blatternerkrankung 
zu überstehen. 


Die Möglichkeit des Erkennens ist von Haus aus an das 
Vorhandensein einiger Bedingungen geknüpft: 

1. entsprechendes Stadium (je hochgradiger und fort¬ 
geschrittener die Erscheinungen der Kompensationsstörungen 
und Herzinsuffizienz, desto weniger Aussicht bietet sich 
für sie); 

2. genügende Ausbildung des Prozesses selbst, der Intensi¬ 
tät und Extensität nach; 

3. sehr lange Beobachtungsdauer. (Bei unseren letzteu 
zwei Patientinen erstreckte sie sich auf 5 und 7 Jahre.) 

In der klinischen Symptomatologie ist für das 
Auftreten der allgemeinen klinischen Symptome 
das Befallensein der kleinen und kleinsten Gefässe 
(Endarteriitis obliterans), für die Setzung der lokal p h y s i - 


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1626 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 21. 


k a 1 i s c h e n B c i u n d c das hochgradige Beiallenw erden des 
Ursprungsgebietes, Stammes der Arterie und 
der grossen Aestc massgebend. 

Wir wollen von der Athcroskler o s i s p u 1 m o - 
n a 1 i s bei M i t r a 1 s t e n o s e ohne wesentliche Alteration der 
Kaliberverhältnisse des Cieiässes ausgehen. 

Bei Vornahme der physikalischen Kranke n - 
u n t e r s u c h u n g sehen wir bei der 1 n s p e k 1 1 o n ent¬ 
sprechend dem ursprünglichen Vitium eine ausgesprochene 
V o ussur e, mächtig verbreiterte undulierende Herzpulsation, 
epigastrische Pulsation, öfters eine solche im 2. linken Inter¬ 
kostalraum vom Sternalrand bis zur Parasternalhnie und da¬ 
rüber hinaus. , , . 

Die Palpation zeigt ein diastolisches Schwirren an der 
Herzspitze, das in seiner Eigenheit im weiteren Verlauf einen 
für den Prozess (im Zusammenhang mit auskultatorischen Be¬ 
funden) wichtigen Fingerzeig abgeben kann. Fs ruckt in 
weiterer Ausbildung der Symptome, wie wir uns mehrlach 
überzeugen konnten, mehr aufwärts gegen den linken Sternal¬ 
rand zu. Einige Male fühlte man hei geeigneter Lage in der 
Pulmonalgegend ein eigentümliches teinrieselndes Schwirren, 
das höchst wahrscheinlich den Unebenheiten und Rauhigkeiten 
der (ietüssinnenauskleidung seine Entstehung verdankt; \er- 
stärkend wirkten auf dasselbe vornübergebeugte Lage und 
massige Körperanstrengung. 

Die P e r k u s s i o n s Verhältnisse lassen sich zusammen¬ 
fassen in einer höchst auffälligen, durch die sonstigen Umstände 
nicht befriedigend zu erklärenden Vergrößerung des rechten 
Herzens und einem bei weiterer Untersuchung immer deut¬ 
licher werdenden Dämpfungsstreifen am linken oberen Sternal¬ 
rand (analog dem bei hochgradiger Aortensklerose am rechten 
vorbildlichen). 

Derselbe zeichnet sich durch den in Intensität und Aus¬ 
dehnung nach progressiven Charakter, durch Empfindlichkeit 
dieses Territoriums bei starker und tiefer Perkussion und Ab¬ 
hängigkeit voji der Lage aus. Unter bestimmten Umständen 
war eine Zunahme beider Symptome bei stark vorgebeugter 
Körperhaltung unverkennbar. 

Es w ürde uns zu w eit führen, der mannigfachen Verwechs- 
lungsmöglichkeit verschiedenster Prozesse gerade in dieser 


Gegend zu gedenken. 

Hier tritt die subtilste, exakteste Beobachtung und die V er¬ 
wertung der scheinbar geringfügigsten Zeichen für diiferential- 
diagnostische Zwecke in ihr Recht. 

Bei der R ö n t g c n d u r c h 1 c u c h t u n g erhielt ich ein¬ 
mal einen sehr fraglichen, ein zweites Mal einen deutlichen 
Schatten im 2. linken Interkostalraum, den ich mit VV e i n - 
berge r und Hödlmoser auf die Pulmmialis beziehen 
möchte. 


Eine Analyse der Röntgenogiamme dieser (iegu d wurde, 
was für unsere Zwecke releviert, bei der von Ortner inaugu¬ 
rierten Kasuistik der Rekurrenslähmung bei Mitralstenose vor- 
genommen u. a. von Sc h r ö 11 e r, Al e \ a u d e r, Uris c h - 
a u e r, welche die für Vorhofs- und Pulmonalerweiterung muss»- 
gebenden Befunde darlegen. 

Nach Bittorf entspricht dem mittlere!! linken Herz- 
scliattenbogen vorwiegend die Piilmonalis, zum kleinsten Teil 
die linke Aurikel; die Sichtbarkeit des linken Vorhofes be¬ 
streitet er auch für pathologische Verhältnisse, während nach 
D e I a C a m p dieser bei starker Vergrösserung infolge Mitral¬ 
stenose an dem Rande partizipiert. 

Dies möchte ich aus dem Grunde hervorheben, weil ich 
mir von diesem Befunde für die Diftcreutialdiaguose primärer 
und sekundärer Piilmonalarteriensklerose verwertbares ver¬ 
sprechen möchte. 

Auch von E I e k t r o k a r d i o g r a m m aufnahmen 
(Kraus und Nicola i) Hessen sich Anhaltspunkte (ganz be¬ 
sonders bei Vergleich mit gleichzeitigen Röntgenbildern) er¬ 


hoffen. Die theoretische Konstruktion wäre; Bei sekundärer 
Atherosklerose infolge Mitralstenose stark ausgebildete Vor¬ 
hofszacke, bei primärer infolge Venenverengeruug und ge¬ 
schrumpftem Vorhof fehlen derselben; röntgenographisch im 
ersteren Falle Ausbuchtung der unteren Anteile des linken mitt¬ 
leren Herzschattenbogens, im letzteren Abflachung dieser 
Stelle. 


Bei den Fortschritten der Röntgentechnik dürfen wir 
mit Recht erwarten, dass der Prozess von Verdickung ui.d 
Verkalkung der Pulmonaiartericnw and auch ohne gLmhzernge 
Erweiterung des (idässstammes ui das Bereich der Mogachkeit 

gerückt wird. . , n 

Das theoretische Postulat wäre eine verstärkte M-^ten- 
intensität der ( bereu Anteile des genannten Bogens. 

Gleichwie bei der Perkussion dürfen wir es uns aber hier 
nicht verschweigen, dass audi bei dieser l ;:tcrsnJim ^sart 
Verwechslungen infolge anderweitiger Pro/esse in o.c-cin 
Gebiete und dessen engster NachbarsJu.it moghJi sind, : ei 
deren Studium soll das dankbarste Arbeitsfe.d lur den 's e- 
ziellen Differeiitialdiagi.ostiker eroifnet. 

Es gilt eben auch hier wie so oft in der internen Med./.u 
der Satz, dass nicht ein einziger Befund als ausschlaggebend 
zu betrachten ist, sondern, dass in dem gleichzeitigen Bestehen 
einer Reihe gleichdcutiger solcher und in dem Ausschluss \ er¬ 
schienener anderer, in gewisser Kombination und ze.t Jier 
Entwicklung und Aulemanderfolge der Symptome und de-re» 
Zurechtlegung im jeweiligen Falle das Geheimnis der Ent¬ 
zifferung diagnostisch schwieriger Prozesse geiegen ist. 

Auf unseren abzuhandelr.de n Gegenstand angew endet, 
müssen wir m dem Bisherigen recht s Jiatzensw erte Mitlulien 
fur die klinische Diagnose erblicken, der Schw er punkt 
derselben liegt jedoch in der Auskultation und 
den allgemein klinischen E r s c h e i n u n g e n. 

Im Zusammenhang mit dem obigen Paipationsbcfun J wird 
ein systolisch rieselndes Gerauscli unbestimmten Charak.ers 
vom Puhuonalostmm nach aufwärts und links zu (bei Aus¬ 
schluss wirklicher Klappen- oder Getasssteiiose. s. tu ten) den 
Verdacht erregen, dass demselben endarterntisjie Prozesse 
zu Grunde hegen können, zumal wenn eine Vei Stärkung durdi 
obige Position bei wiederholten Untersuchungen und im 
weiteren V erlaufe deutlich festzustellen ist. Die bei längerer 
Beobachtung immer mächtiger werdende, auch iur diesen 
Fehler un\erhaltmsmässig hochgrad.ge Akzentuirung des 
2. Pulmonaltoues, bis zu einem diastolischen Hämmern ist zum 
Teil auf die gerade hier enorm starke Hypertrophie der rechten 
Kammer zunickzufuhren. In Analogie mit der Aortenskkr« se 
mochte ich aber au derselben, insbesondere zum Zustande¬ 
kommen des klingenden Charakters, die Resnnaii/x er- 
stärkung durch die starre Wandung und eiuge lagerte n Ka.k- 
platteu partizipieren lassen. 

VV i e h a b e n wir das i :: e i n e r R e i h e u n s e r e r 
Eig e n be o bac ht u n g e n zu k on s t a t i e re n de dia¬ 
stolische ( i e r a ii s c h a m oberen I i n k e n S t e r n a 1 - 
i a n d und über dem Piilinon alosti u m a ti I z u - 
I a s s e n ? 

Fis konnte sich um eine Schhissum.d .;„kt :t der Aorten- 
klappen mit abnorm gelagertem diasnd.sdien Geräusch han¬ 
deln. Das Fehlen aller übrigen lim diesen Klappenfehler so 
charakteristischen Benin de he sc derselben a:;ss Ji!k sse t,. 

Wie jedoch gleich an dieser Melle 1%%'hl sei. WurCe diese 
Erscheinung allerdings in ausgesprochenem Masse bei einem 
der beiden Falle mit gleichzeitiger \ot te r.skle- r<>sc und Semi- 
liiiiareninsuffizieuz notiert. 

Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn idi hiebei eine ab¬ 
norme (.) u e r I e I t u n g des diasp •iischeii Aoite igerausches 
infolge der physikahsclieii V erhältnisse- der arteriosklerotischen 
Pulmonalis annehme (s. unten). 

Da wir jedoch hier nodi immer bei der Besprechung der 
auf Mitralstenose beruhenden Falle sind, wollen wir m dem 
angeschnittenen Thema weiterfahren. 

Liegt etwa eine wirkliche oder relative Insuffizienz der 
Semilni:arkLippen der I’ulmonaiartene zugrunde? 

Die Möglichkeit einer organischen solchen ist w oh! ridit 
ausgeschlossen, wie jedoch die hier eii.sd:l.ig:gen Befunde 
zeigen, derart sehe», dass wir ui der Praxis Kami damit 
rechnen können. Me winde sidi durdi alle w eueren für 
diesen Fehler charakteristischen Merkmale a:is/i idir t u.. 

Wie übrigens bemerkt s t -j, fjibe in unserem Falle das 
B e r n li a r d - ( i c r Ii arelt sehe Sywp:< eil e\v[i; , a:i ' r :sdier 
Verstärkung, wie überhaupt eine IVe.i *. is>ur:vj durdi d e Rc- 
.spiration kaum oder gar nicht nachweisbar war. 


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4 . August 1908. 


MUENCHENERMEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1627 


Ein derartiges Geräusch führt Pawinski bei Mitral¬ 
stenose auf eine relative Pulmonalinsuffizienz zurück und 
Bryant legte bei seiner Mitteilung über funktionelle Pul- 
monarinsuffizienz, Erweiterung und Atherom der Pulmonal¬ 
arterie als Komplikation der Mitralstenose das Hauptgewicht 
hierauf. 

Ohne überhaupt nur der Möglichkeit der klinischen Dia¬ 
gnose der Atherosklerose dieses Gefässes zu gedenken, legt 
er in seiner Arbeit den Tenor auf den klinischen Nachweis 
funktioneller, relativer Insuffizienz der Semilunaren der 
Pulmonalis. 

Meine Stellung zu dieser Frage möchte ich folgender- 
massen präzisieren: eine relative Schlussunfähigkeit der 
Lungenschlagaderklappen infolge Mitralstenose und Arterio- 
sklerosis pulmonalis ist zweifellos möglich, jedoch darf dieses 
Vorkommnis nicht nach dem Vorgang B r y a n t s verallge¬ 
meinert werden. 

Eine derartige Klappeninsuffizienz wird (Läsionen dieser 
selbst natürlich ausgeschlossen) in allen jenen Fällen einfach 
mechanisch unmöglich sein, wo der atherosklerotische Prozess 
an der Wurzel des Gefässes sitzt und zu einer Starrheit und 
Unnachgiebigkeit desselben inklusive des Klappenringes ge¬ 
führt hat. 

Die Arbeit B r y a n t s ist jedoch für unser vorliegendes 
Thema gerade für die Diagnose der Pulmonalsklerose, auch 
ohne dass der Autor dieses Moment nur andeutet, von in¬ 
direktem Wert. 

Der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass die so über¬ 
aus seltenen akzidentellen diastolischen Geräusche (Venengeräusche) 
sich schon durch ihren eigentümlich sausenden Charakter kenntlich 
machen und zudem die Erscheinungen schwerster Anämie vorliegen 
würden. Kardiopulmonäre Geräusche in dieser Gegend machen sich 
an ihrem „knackenden“ Charakter kenntlich (ich möchte sie mit 
dem ? Fingerknöchelknacken“ vergleichen, das manche Leute sich 
als Unsitte angewöhnen). Auch hier gibt zudem die primäre Affek¬ 
tion den Fingerzeig. 

Im Mittelpunkt der Besprechung dieses 
basalen diastolischen Geräusches steht die 
Frage nach der Möglichkeit dieser abnormen 
Fortleitung eines Mitralstenosengeräusches. 

Bei der Mitralinsuffizienz ist ja eine derartige Fortleitung 
so geläufig und deren Begründung durch Nauroyn, Sahli 
und Curschmann so bekannt, dass hier füglich der blosse 
Hinweis genügen soll. Ganz anders steht es mit den dia¬ 
stolischen und präsystolischen Mitralstenosengeräuschen. 

Es wird doch in allen Lehrbüchern und stets betont, dass 
man bei Aufsuchen des Geräusches weiter nach links ausser 
die Papillarlinie (infolge der weiten Verdrängung des linken 
Ventrikels durch den vergrösserten rechten) gehen muss, ferner 
wird als Charakteristikum derartiger Mitralstenosengeräusche 
gerade immer die geringe Fortpflanzung nach aufwärts ange¬ 
führt, was auch den Blutstromverhältnissen gemäss ohne 
weiteres selbstverständlich erscheint. Steell hat nur in 
13 Proz. aller Fälle das Geräusch oberhalb der Spitze gehört. 

Unseren Beobachtungen zufolge handelte es sich bei dem 
diastolischen Geräusch über dem Pulmonalostium bei Mitral¬ 
stenose und Pulmonalsklerose um eine.abnorme Lokali¬ 
sation des diastolischen Mitralgeräusches. 
Für diese ganze exzeptionelle, der Blutstromrichtung gerade 
entgegengesetzte Fortleitung müssen folgerichtig auch ganz un¬ 
gewöhnliche ausserordentliche Verhältnisse vorliegen und die 
sind meiner Ueberzeugung nach in der Atherosklerose der 
Pulmonalarterie und den sekundären Folgezuständen gegeben. 

Durch die Verdichtung, Verdickung und Starrheit des Pul¬ 
monalarterienrohres wird ein Widerlager geschaffen, das zur 
Fortpflanzung und Verstärkung vibrierender Herzgeräusche 
sicherlich eine physikalische Grundlage geben kann, dabei hat 
sich die Suspension des Herzens an diesem sonst weichen, 
nachgiebigen, dünnwandigen Gefäss in eine starre unnach¬ 
giebige verwandelt. 

Wie die Autopsien beiweisen, hat dabei geradezu eine Um¬ 
wälzung der physikalischen Verhältnisse und Relationen der 
einzelnen Herzabschnitte stattgefunden. 

Die mechanischen Aufhänge, Schwerpunktsverhältnisse, 
die Torsionen an den basalen Gefässen, das Drehungsmoment 
haben eine derartige Aenderung erfahren, dass eine solche 


abnorme Fortleitung ganz plausibel erscheinen könnte, hätten 
wir nicht weitere direkte Beweise, dass es sich hierbei wirk¬ 
lich um ein Geräusch mitralstenotischer Provenienz handelt. 

Es ist dies der ganze Charakter des diastolischen und prä¬ 
systolischen Geräusches, das zumeist noch deutlichen „wachtel- 
schlagartigen Rhythmus erkennen lässt, und vor allem das im 
Verlaufe der langen Beobachtung unzweideutig zu verfolgende, 
von der Herzspitze gegen die Basis zu allmählich statt¬ 
habende Wandern des Geräusches, das ich mit der allmählichen 
Ausbildung des pathologischen Prozesses in dem basalen Ge¬ 
fäss in Zusammenhang bringen möchte. 

Plötzliche oder zum mindesten recht rasche Aenderungen 
der Lautheit, des Ortes, selbst des Charakters von Herz¬ 
geräuschen können durch Setzung von Herzthromben ent¬ 
stehen, mehr subakut oder subchronisch durch Ausbildung von 
Herzschwielen, in beiden Fällen durch Aenderung der mecha¬ 
nischen Zusammenziehungs- und Ausdehnungsfähigkeit der 
Muskelfasern ganzer Abschnitte des Herzens, durch Aenderung 
ihrer Elastizität und Dichte, ihrer Eigenschwingungen infolge 
Bildung von, wenn es zu sagen erlaubt ist, Knotenpunkten. 

Meines Erachtens dürften diese Verhältnisse auch dia¬ 
gnostische Würdigung beanspruchen, ganz besonders hinsicht¬ 
lich vorliegenden Vitiums, da bekanntlich die Mitralstenose, wie 
auch Minkowski hervorhebt, physikalisch-diagnostisch von 
der arteriosklerotischen Myokarditis oft schwer zu unter¬ 
scheiden ist. 

Es erlangt sonach auch hier die zeitliche Ausbil¬ 
dung und Raschheit des Ablaufes bestimmter Zeichen einen 
gewissen semiologischen Wert. 

Indem ich auf meine obige Erklärung der sonst als ganz 
rätselhaft gegoltenen Fälle scheinbar primärer Arteriosklerose 
der Pulmonalis von R o m b e r g und Aust hinweise, dient als 
weitere Stütze meiner Annahme der hierbei erhobene „aus¬ 
kultatorische Befund basaler Geräusche“, die eine 
ganz ähnliche Auslegung zulassen, handelt es sich ja doch 
hiebei sozusagen um eine „äussere linksseitige Herzsteno- 
sierung“. 

In Zusammenfassung der auskultatorischen Befunde können 
wir folgendes sagen: 

Ein basales diastolisches Geräusch kann der Ausdruck 
einer relativen Schlussunfähigkeit der halbmondförmigen Pul¬ 
monalklappen sein. Dieses ist, wie erwähnt und aus einer 
Reihe einschlägiger Sektionsbefunde hervorgeht, dann der Fall, 
wenn es sich um Arteriosklerose vorzüglich der mittleren und 
kleineren Arterienäste mit relativem Freibleiben der Ur¬ 
sprungsgebiete handelt. 

Als fortgeleitetes Mitralstenosengeräusch findet es sich bei 
hochgradiger Sklerose der Ursprungsgebiete, wofür die obigen 
mechanischen Momente und mehrere unserer Obduktions¬ 
befunde sprechen. 

Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, sondern in jeweiligen 
Fällen ganz gut denkbar, dass eine Kombination beider Mög¬ 
lichkeiten eintreten kann. 

Wir haben bisher absichtlich, um die Verhältnisse nicht 
noch mehr zu komplizieren, keine Rücksicht auf die K a 1 i b e r - 
Verhältnisse des Pulmonalarterien roh res genommen. Es 
ist nun ohne weiteres klar, dass Aenderungen nach dem einen 
oder anderen» Extrem oder Kombinationen solcher modifi¬ 
zierend auf die physikalischen Befunde einwirken müssen. 

Je mehr sich eine Verengung des Gefässlumens dem 
Klappenringe nähert, desto ähnlicher werden die dadurch ge¬ 
setzten Symptome den bei der Pulmonalklappenstenose be¬ 
stehenden; je weiter eine solche am Stamme aufwärts Platz 
hat, desto mehr werden sich klinische Bilder ausbilden, wie sie 
für innere und äussere Stenosierungsursachen u. a. von 
Litten, Aufrecht, Mader, Weinberger, Weiss 
und v. Schrötter beschrieben wurden. 

Andererseits führen die Erweiterungen, je mehr herzwärts 
zu sie sitzen und je lokaler und sozusagen geschwulstartiger 
sie auftreten, um so mehr zu dem Ensemble der Aneurysmen¬ 
erscheinungen, wie selbe u. a. schilderten: Skoda, Gi- 
lewski, Buchwald, Storch, Lissauer und Hen - 
sehen (in seiner monographischen, Bearbeitung). 

Bei sehr eingehender und durch grosse Zeiträume hindurch 
möglicher Untersuchung lässt sich auch die klinische Diagnose 

1 * 


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1628 


MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 21 


hinsichtlich der Kaüberverhältnissc ausbaucn, wenigstens in 
Bezug auf diese beiden Extreme, in besonders günstigen Eiillen 
vielleicht sogar auf deren verschiedene Kombination. 

Nach Darlegung der physikalischen Untersuchungsergeb- 
nisse wollen wir einen allgemeinen Ueberblick über die kli¬ 
nische Symptomatologie halten. 

Ich erinnere daran, dass L u n g e n b I u t u n g e n bei Herz¬ 
fehlern (die Hemoptysie cardiaque als sehr beliebtes Thema 
französischer Autoren) im grössten Prozentsatz bei Mitral¬ 
stenose auftreten und hier fast durchwegs in Eorm der hämor¬ 
rhagischen Infarzierung. Diagnostisches Interesse für die in 
Rede stehende Affektion erlangen dieselben dann, wenn sie, 
wie in einer Reihe von Fällen vor allem von Sch w a r t z, in 
abundanter Weise und wiederholt durch lange Zeit hindurch 
auftreten. Mehrfach wurden solche mit Tuberkulose ver¬ 
wechselt. East durchwegs handelte es sich um parenchyma¬ 
töse Stauungsblutungen, wobei ich aber, entgegen der Ansicht 
S c h w a r t z', auch die Möglichkeit solcher infolge Usurierung 
und Eissurenbildung gelten lasse, für welch letztere ich über 
einen besonders schweren Eall verfüge. Andererseits beweist 
ein Eall unserer Eigenbeobachtungen, dass sich hierbei aller- 
schwerste ausgebreitete Lungenintarzierungen eiustellcu 
können, ohne dass cs im Leben zur geringsten Lungei.bliitung 
zu kommen braucht. 

Gegenüber angeborenen Herzfehlern, mit denen ge¬ 
gebenenfalls die allergrösste klinische Achnlichkeit bestehen 
kann, verdient der Mangel an Tr o m tu e I s c h I ä g e I - 
fingerbildung bei unserem Prozesse um so mehr hervor¬ 
gehoben zu werden, als ihm, wie aus folgendem hervorgeht, 
zumeist sehr hohe Grade von Zyanose eigen sind. 

Die Blausu c h t erlangt bei der Atherosklerosis pul- 
monalis durch ihre ungewöhnliche Intensität so- 
wohl, als auch als E r ii h s y m p t o m, lange bevor noch andere 
Störungen, Stauungen, Dyspnoe, Oedeme usw. aufgetreten 
sind, entschieden semiotischen Wert. 

Gerade auf die lange Zeit hindurch h ö c h s t a u f f ä 11 i g e 
Differenz zwischen der starken Z y a n o s e, 
welche durch den sonstigen Herzbefund nicht gut erklärlich 
ist und dem verhältnismässig leichten Atem, 

E e h 1 e n von () e d e m e n. katarrhalischen Symptomen, 
Organstauungen muss bei der klinischen Diagnose Gewicht ge- 
legt werden, wobei es natürlich hauptsächlich darauf ankommt, 
in welchem Stadium der Kranke zur Beobachtung gelangte. 

Eiir die Sauerstoffversorgung müssen hier eben eine Reihe 
anderer regulatorischer Kräfte aufkommeu: Vermehrung der 
Strömungsgeschwindigkeit durch kompensatorische Herz¬ 
hypertrophie (mechanische Korrelation vom rechten Ventrikel 
aus), Polyzythämie (wofür bei einigen Fällen der Blutbetund 
beweisend), Vermehrung des respirationsfälligen Hämoglobins, 
vermehrte Konzentration des Blutes. Zur Aufklärung dieses 
Unterschiedes im klinischen Verhalten können weiterhin heran¬ 
gezogen w erden das verminderte O-Bedürfnis durch allmähliche 
Angewöhnung, die Untererregbarkeit des Atmungszentrums 1 
trotz erhöhter Venosität des Blutes. 

Es muss aber auch darauf hingew iesen werden, dass an¬ 
scheinend verschiedene Momente für vaso m otoris c h e 
Einflüsse zum Zustandekommen dieser hohen Grade von 
Zyanose verantwortlich zu machen sind. Hierfür sprechen 
u. a. die plötzlichen Steigerungen ohne Herzschwäche oder ! 
Respirationshindernisse, verschiedentliche Parästhesien. 
Schweissausbrüche, lokale Gefässerw'eiterungen. I 

Gleichzeitig mit der Zyanose muss der Dyspnoe ge- ' 
dacht werden. Die auffällige Differenz zwischer ersterer und 
die geringe Entwicklung letzterer und die Erklärung hierfür ' 
wurde bereits erörtert. I 

13 o h r s Sekretionstheorie der Lungenatmung würde ia in I 
recht wünschenswerter Weise ihr übriges in dieser Richtung ! 
tun, w enn sich nicht nach Barer o f t der berechtigte Einw and ■ 
erheben Hesse, dass Bo h r und H e n r i q u e s bei ihren \ er- j 
suchen den Eigengasstoffwechsel der „tätigen Liiugendrüsc“ ■ 
unberücksichtigt Hessen. I 

Zur Erklärung erwähnter Differenz möchte ich Herings 
Versuch heranziehen, der beim spontan atmenden Kaninchen j 
bei Kompression des Aortenbogens Lungcnhyperämie ohne 


Spur von Dyspnoe erzeugen konnte. Eur das Zustande¬ 
kommen letzterer spielen eine Ruhe sekundärer Mumme 
(Haitenbleibeii von Infektionskeimen, leichteres Eintreten vmi 
Bronchitis etc.) eine Rolle. Das Ausbleiben oder sehr spate 
Eintreten dieser mochte ich der gewaltigen kompensatorischen 
Hypertrophie des rechten Ventrikels /usdireiK n. weLli 
günstiger Eaktor eine Reihe dieser sekundären Sdiad’idkeiter. 
wettzumachen imstande ist. 

In der klinischen Sympu mat«h g:e gebühre; A r. i a I I c n 
v o u H c r z - L u u g e n s c h m e r / e n ein hervorragender 
Platz. 

Sie dokumentieren sich durch anialNw eises, mit Unruhe. 
Angst, Beklemmung, Steigerung der Zyanose emhergeher.des 
Auftreten basaler Herzschmer/en, die gegen d.e liefe der 
Lunge zu ausstrahlen. 

Zunächst werden sie durch rasche I ’cw egungen. Korper- 
aiistiengiingen. psychische Aufregungen ausgelost und erinnern 
in ihrem ganzen Charakter ui;J der Art und Weise des Auf¬ 
tretens au andere, aut arteriosklerotischer Basis beruhende 
Kraukhe itsers, he u; unge n, weshalb iJi sie m d,e Re,he der 
intermittierenden D y s p r a g i e n <> r t n e r s e,n- 
u die n mochte. 

I üese „I > \ s p r a g i a i n t e r m i t t e n s a n g i o - 
s c I e r o l i c a p u I m o nah s ‘ unterscheide t sidi zw eife!:> s 
von der Angina pectoris, dem Asthma cardiaie und den 
H i: c Ii a r d Sche ll \or k ubesdiw erden. 

Die bas.il lokal.sn. i teil Schnurzen gehen gegen d.e liefe 
der Lunge zu. lassen ied*>di ein stärkeres Irradueren. wie bei 
der SieiK.karebe. \ermissui, und sind nm einer p|, »t/itdieu 
Steigerung de*r Z\annse ohne eigentliche D\spute vergeMÜ- 
sc ha ft et. 

Diese Parcxystiicn weisen aut eine reflekt« risdie nr g o. 
ne ii mt’Sclie Natur der Z> anose aufaüe hm. da alle s An¬ 

zeichen akuter Herzsdiwadu* mangeln. 

Nachdem von Haus aus sdnu erheb!,die Grade \ <»n 
Zyan se hesieheit. können wir annehmen, dass der infolge der 
Schmerzunfalle ausge loste Retlexreiz sich m sdwr, prüf« r- 
mierte n Reizbahnen und sozusage n ausge--fahr« ne u tie'eisen 
bew egt. 

E.s macht sich demnach m der Art des Anfalles tut eigen¬ 
tümlicher Antagonismus zwischen dieser Angina pubm nal.s 
hypercyanntica und der mit Steige rung der Anämie cmlkr- 
gehendeii Stenokardie bemerkbar'). 

In dieser Annahme der Reflexnatur der Zv.mosekr;se« be¬ 
stärken mich Beobachmiigen \mi H e g t I s t a m in. Bris- 
s ii ii d, G o I d i I a m, d um die I atsadte. dass bei I ungen- 
kranken infolge Reizung des N. larMtgeiis supenor und Lunge n- 
vagus auffallende < iesiditsrotimgeu auftrete n Kouren. 

Glmc eigentliche D\spnoe zu zeigen, hatten die Kranken 
während der Hohestad.en der Am.ule das Bestreben. lange, 
sehr ausgiebige Inspirationen zu machen. w i»hei sie sidt 
zumeist mit den Ellenbogen am K« pfeude* des Bettes m halb* 
heget der, halbsitzende r Stelling an stemmte n. 

I he*se Art der Atmung und die Z\ an.os«. \te igenmg niodue 
ich als kompensatorische Erleiditenmgsmotm me bei diesen 
Zuständen ansehen. wobei idi midi Iv/ngHdi ersterer auf das 
I i g c r s t e d t sdie Sehe ma und auf Bohr und Rubow be¬ 
rufe. w eiche* fiele Inspira’iojH n als d e für die Limgen/irku- 
lat oh günstigste Resuirationc irt beze-k luten. 

Infolge der inspii.i»*'risclieii Aufblähung werden die ge- 
w imdeneii I iingeiikapiüareii gestreikt, wodurch eine leichtere 
IHutpassag» m denselben ermogbdtt wird. 

Um wie viel mehr muss deshalb eine fnr/u rte* Inspiration 
von verlängerter Dauer zum Ausgbidi der Störung infolge 
sklerosierter Gelasse nötig sein. Die grösste iitspiratonsc.be 
Anstrengung muss elann bei Eintreten Je n K rampf/ustarvjei der 
Gelasse erfolgen, l.iingenb'ahiir.g und Emphysem habe ich 
demnach. Sa u lies Annahme als primärer Urs.idle gegenüber, 
für einen sekundären Eolge/ustand. 

Es hat förmlich nach allem den Arvlun:. als ob d*ese:t 
Periodischen Steigerungen der X\.mov bis zu em-.m gewissen 

’) ' " II der Angina Pect*.ns w et Vu weitaus h.n.'ccr M.mru r 
befa,!e - n : 7*\s I ’r .M i a u t h i c r l. - I o a, v V?.' • ss e-vs p,j , 
m-nuiis stellt sich unw- eii Zus.m.v.cnsu in. sl n - L : , s \ ,. t j. , . 

ms fast g 1d i ; M ; \\ 21 : J5. .' 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1629 


Grade (als regulatorische Hilfsaktion zur zweckmässigen Blut¬ 
verteilung) eine kompensierende Bedeutung für die Entlastung 
des Lungenkreislaufes innewohne. 

Diese typischen Schmerzanfälle möchte ich 
direkt auf die Sklerose der Lungengefässe zu¬ 
rück f ü h r e n, wobei es sich nach obigen Darlegungen um 
ischämische Schmerzen in der atherosklerotischen Gefässwand 
selbst, um angioneurotische schmerzhafte Krampfzustände, 
wahrscheinlich um Kombination beider handeln dürfte. 

In gedrängtester Kürze sei der Umstände gedacht, welche 
dafür sprechen, dass hiebei die Schmerzen wirklich in der 
Atherosklerosis pulmonalis begründet sind. Bekanntlich ver¬ 
laufen Mitralstenosen zumeist schmerzlos, nach Nothnagel 
finden sie sich nur in 18 Proz., nach Ha re noch viel seltener. 

Letzterer ist geneigt, die seltenen Schmerzen bei Mitral- 
stenotikern auf besonders starke Ausdehnung des linken Vor¬ 
hofes zu beziehen. 

Hiergegen möchte ich- für den vaskulären Ur¬ 
sprung nachstehende Momente anführen: 

1. Die Analogie mit den Aortenverhältnissen, in Lokali¬ 
sation und Charakter, die obigen physikalischen Befunde. 

2. Falls H a r e mit der Dilatation des Vorhofes recht hätte, 
müssten sich die Schmerzen fast in jedem stärkeren Stenosen¬ 
fall vorfinden. 

3. Sind die Angaben H a r e s selbst für unsere Annahme zu 
verwerten, denn er konstatierte 

a) das Auftreten derselben erst in vorgerückten Stadien, 

b) wiederholt „stenokardie“artigen Charakter, 

c) ebenfalls die basale Lokalisation (die er allerdings in 
den Vorhof verlegt). 

4. Vorkommen solcher Schmerzen auch in den Fällen 
ohne Vorhofsvergrösserung (bei Lungenvenenverengerung, 
s. oben). 

5. BeiläufigesUebereinstimmen des Prozentsatzes schmerz¬ 
hafter Mitralstenosen und der Kombination mit Atherosklerose 
der Lungengefässe. 

An dem Zustandekommen dieser Lungengefäss- 
schmerzen bei der Dypsragia intermittens angiosclerotica 
pulmonalis partizipieren die Gefässsklerose und gewisse vaso¬ 
motorische Einflüsse. 

Nachdem vorliegende Zeilen in erster Linie für rein prak¬ 
tisch-diagnostische Zwecke berechnet sind, wurde hier Abstand 
von einer Darstellung experimenteller Verhältnisse genommen, 
die a. O. ausführlich abzuhandeln sein werden. 

Die präzise Fragestellung, die unserer Mitteilung zu ' 
Grunde liegt, lautete: 

Unter welchen Umständen ist eine kli¬ 
nische Diagnose der P u 1 m o n a 1 a r t e r i e n s k 1 e- 
rose möglich? 

Auf Grund eines bei der relativ grossen Seltenheit des 
Befundes reichlich zu nennenden Beobachtungsmateriales kam 
ich zu folgenden Schlussätzen: 

Eine klinische Diagnose der Atherosklerosis pulmonalis ist 
(falls die Kranken in einem entsprechenden Stadium und durch 
sehr lange Zeit beobachtet werden können) 

A. unter Voraussetzung einer primären Mitral¬ 
stenose möglich und bei Anwesenheit nachstehender Sym¬ 
ptome und Erschrwiu'ngskomplexe mit allergrösster Wahr¬ 
scheinlichkeit zu stellen: 

I. bei physikalischer Untersuchung: 

1. Dämpfungszone am oberen linken Sternalrand und den 
benachbarten Gebieten mit Druck- und Perkussionsempfind¬ 
lichkeit (besonders in bestimmter Lage); 

2. auch für diese Affejktion ungewöhnlich starke Ver¬ 
breiterung der Herzdämpfung nach rechts; 

3. Verhalten des oberen Anteils des mittleren Bogens bei 
Röntgendurchleuchtung; 

4. allmähliges Aufwärtswandern des diastolischen Schwir- 
rens und des diastolischen (präsystolischen) Geräusches gegen 
das Pulmonalostium zu. 

II. Klinische Symptome: 

1. auffallende Zyanose als Frühsymptom und lange Zeit 
hindurch bestehende ausgesprochene Differenz zwischen 
dieser und der fehlenden oder geringen Dyspnoe, sonstigen 
Stauungserscheinungerl, Oedemen; 


2. Auftreten der Anfälle der Dyspragia intermittens an¬ 
giosclerotica pulmonalis (Angina hypercyanotica). 

Unterstützend wirken für die Diagnose: 

3. trotz hochgradiger Zyanose Fehlen von Trommel¬ 
schlägelfingerbildung ; 

4. wiederholte abundante Lungenblutungen ohne ausge¬ 
sprochenen Infarktcharakter. 

B. Unter genauer Berücksichtigung vorliegender Momente 
ist auch das klinische Erkennen der so überaus 
seltenen primären P u 1 m o n a 1 s k 1 e r o s e in das 
Bereich der Möglichkeit gerückt. 

Wir werden bei Vorhandensein obiger Erscheinungen und 
Fehlen der Zeichen* eines wirklichen Vitium cordis (Mitral¬ 
stenose) an einen derartigen atherosklerotischen Prozess der 
Lungenschlagader denken, ganz besonders, wenn es sich um 
eigenartige zweifelhafte Herzaffektionen handelt, die einem 
angeborenen Vitium cordis ähnlich erscheinen. 

Hiebei verdienen namentlich basale diastolische Geräusche 
am Pulmonalostium ohne Zeichen von Insuffizienz der Klappen, 
auffällige Hypertrophie der rechten Herzkammer, das Präva- 
Iieren der Zyanose über sonstige Stauungserscheinungen 
(Dyspnoe, Oedeme), Attacken von basalen Schmerzen mit dem 
Charakter der Dyspragia intermittens pulmonalis, Fehlen von 
Trommelschlägelfingerbildung besondere Berücksichtigung. 

Einen weiteren Hinweis bildet das verhältnismässig noch 
jugendliche Alter und vorausgegangene schwere Infektions¬ 
krankheiten (Polyarthritis, Perikardaffektionen, „Variola“). 

Es soll hier nochmals daran erinnert sein, dass Mitral¬ 
stenosen und gewisse angeborene Herzfehler, die einen- ganz 
ähnlichen klinischen Befund bieten, beide mitunter sehr hohen 
Grades, infolge Fehlens auskultatorischer Erscheinungen einer 
sicheren Diagnose ganz ungewöhnliche Schwierigkeiten be¬ 
reiten können. Die dargelegten Momente dürften auch einen 
Mitbehelf bieten zur Differentialdiagnose und Entzifferung der¬ 
artiger rätselhafter Herzkrankheiten. 

C. Falls die Pulmonalsklerose bei der viel seltener mit ihr 
kombinierten Sklerose und Insufficientia semi- 
Iunarum aortae auftritt, geben einige klinische Eigen¬ 
heiten ebenfalls einen Fingerzeig zur diagnostischen Ver¬ 
wertung. 

Solche sind statt der zu erwartenden blassen Facies 
aortica ausgesprochene Zyanose, die ebenso wie eine be¬ 
stehende Hypertrophie des rechten Herzens durch andere Ur¬ 
sachen nicht erklärt werden kann, namentlich wenn die Zya¬ 
nose anfallsweisen Charakter zeigt. Ferner eine abnorme 
Querleitung des diastolischen Geräusches nach links. 

Eine Analyse der Dyspragia pulmonalis gestaltet sich hiebei 
wegen der Möglichkeit gleichzeitiger Stenokardie schwieriger. 

Allgemein und schematisch für den gesamten Prozess aus¬ 
gedrückt, liegen den subjektiven und allgemein klinischen 
Symptomen mehr d-ie Affektion der kleinen Gefässe (Endar- 
teriitis obliterans) zugrunde, während für das Zustandekommen 
der objektiven Befunde, speziell der physikalischen Unter¬ 
suchung, das Befallensein des Stammes mehr releviert. 

Vorstehende Notizen bezwecken vor allem die Aufmerk¬ 
samkeit der Kliniker auf die bisher nur als zufälliger Sektions¬ 
befund rangierende Atherosklerosis pulmonalis 
hinzulenken und sie zu weiteren Beobachtungen und Unter¬ 
suchungen über die von uns behauptete Möglichkeit der kli¬ 
nischen Diagnose des Leidens zu veranlassen. 


Aus dem Laboratorium der psychiatrischen Klinik in Frei¬ 
burg i. Br. (Prof. Dr. Hoch e). 

Veränderungen des Nervensystems nach Stovain- 
anästhesie. 

Von Privatdozent Dr. W. S p i e I m e y c r, Assistenzarzt 
der Klinik. 

In einem auf der letzten Naturforscherversammlung ge¬ 
haltenen Vortrage ') hat Herr Professor K r ö n i g auf histo¬ 
logische Untersuchungen hingewiesen, die ich in einer Reihe 


’) Anatomische und physiologische Beobachtungen bei dem 
ersten Tausend Riickenmarksanästhesien; vergl. auch den gleich¬ 
betitelten Aufsatz von K r n n i g mul < i a u s s in dieser Wochen¬ 
schrift, 1907, No. 40 und 41. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1630 


MUENCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


von Fällen ausj^cfiihrt habe, in w elchen die Stovainanästliesie 
angewandt und später aus verschiedenartiger Ursache der 
Tod eingetreten war. Diese Untersuchungen wurden auf Ver¬ 
anlassung von Herrn Prof. Krönig in Angriff genommen. 
Iler Versuch, hier in aller Kürze über deren bisherige Resul¬ 
tate zu berichten, erhält vielleicht seine Rechtfertigung durch 
das Interesse, das diese neurohistologischen Studien vielerorts 
gefunden haben. Einer solchen Rechtfertigung bedarf es, da 
die Untersuchungen keinen Anspruch aui Vollständigkeit er¬ 
heben können, sondern noch nach vielen Richtungen der Er¬ 
gänzung und Erweiterung bedürfen. 

Von vornherein möchte ich betonen, dass es mir in dieser 
Mitteilung lediglich auf das N e u r o p a t h o I o g i s c h e an¬ 
kommt und dass ich es dem Kliniker überlassen muss, daraus 
seine Schlüsse für die Bewertung der StovailianüsthesiL zu 
ziehen. Zu einem Urteil über das Für und Wider der Lumbal¬ 
anästhesie und der Narkose fehlen mii die Kompetenzen. 

Es wurden im (ianzen 13 Fälle untersucht, und zwar 
7 Fälle, in denen 0,12 oder 0,1, und 0 Fülle, in denen o.u.S n,n7 
Stovain gegeben worden war. Nur in einem dieser Fälle war 
das Stovain die eigentliche Todesursache: die betreffende 
Person - eine sehr dekrepide, im übrigen aber gesunde Frau, 
die wegen Totalprolapses operiert w erden sollte erhielt n.12 
auf Körpertemperatur erwärmtes Stovain; bald nach der 
Injektion traten die Symptome der Atmungslühnumg auf; nach 
Wiederbelebungsversuchen verringerten sich diese Erschei¬ 
nungen, die Kranke blieb aber komatös und die \on nur vor¬ 
genommene neurologische Untersuchung ergab eine totale 
Areflexie bei allgemeiner Aufhebung des Muskeltonus. Der 
Tod erfolgte 40 Stunden nach der Injektion. In allen anderen 
Fällen, die ich untersuchen konnte, war das Stovain nicht die 
Todesursache; die Kranken starben an verbreiteter Karzinose. 
Peritonitis, Sepsis, allgemeiner Kachexie etc. Der Tod trat 
in diesen Fällen 2 H 'läge nach der Lumbalanästhesie ein; nur 
eine Kranke starb erst 1U Jahre nach der Rückenmarks¬ 
anästhesie (0,12 Stovain); sie hatte nie motorische oder sensible 
Störungen, in der seit der Operation verflossenen Zeit geboten. 
Auch bei den anderen II Fällen haben die Aerztc der Frauen¬ 
klinik keine neurologischen Anomalien bemerkt; ich selber 
habe sic nicht untersucht. Auf einen Bericht über die ein¬ 
zelnen Fälle glaube ich in dieser kurzen Mitteilung meiner 
anatomischen Befunde verzichten zu können, da sich Wesent¬ 
liches daraus für die Beurteilung der nervösen Veränderungen 
und für ihre Pathogenese nicht ergeben dürfte und da das 
Wichtige in Kürze gestreift weiden wird. 

Das Zentralnervensystem der 13 Fälle wurde mir von 
dem Direktor des pathologischen Institutes Herrn Professor 
Asch off freundlichst zur Untersuchung überlasten. Die 
Sektion wurde meist bereits wenige Stunden nach dem Tode 
ausgeführt. Das Material wurde nach den in der feineren 
Neuropathologie geltenden Vorschriften konserviert und spe¬ 
ziell für die N i s s I sehe (iranulafärbung de (ianglienzellen, 
für die B i e I s c h‘o w k y sehe Fibrillenmethode und für die 
Darstellung der Markscheiden nach M arOii und W eifert 
vorbereitet. In jedem Falle habe «Eh nach diesen Methoden 
Präparate von 6 verschiedenen Hirnwindungen, vom Klein¬ 
hirn, vor verschiedenen (i egen den des Hirnstammes und aus 
mindestens 12 verschiedenen Flöhen des Rückenmarkes ange¬ 
fertigt. Natürlich war die N i s s I sehe Färbung in Anbetracht 
ihrer grossen Zuverlässigkeit und bei der Einfachheit der 
Technik die Fiihrerin auch bei diesen histologischen Unter¬ 
suchungen; sie gab uns die erstell Anhaltspunkte dafür, in 
welchen Zentralteilen sich Veränderungen fanden, die wir dann 
auch mit Hilfe anderer Methoden, speziell der Flei¬ 
sch o w s k y sehen Fibrillenfärbiing, zu analysieren suchten. 

_ Der ausserordentliche Vorzug der N i s s 1 sehen Alkohol- 
scifenmethylenblanmethode. nicht nur die feineren Details zur 
Darstellung zu bringen, sondern auch ein UebersiJitsbild zu 
gewähren, war hier deshalb von besonders hohem Werte, weil 
die \ eründerungen der Nervenzellen überaus w e c h s e I n d 
ui ihrer Ausbreitung und Verteilung über die ver¬ 
schiedenen Höhen des Rückenmarkes und dann weil 
sie überhaupt n ur vereinzelt zu finden waren. 

In ^ Fällen waren auch bei genauester Durchmusterung 
zahlreicher Präparate (zumal aus den verschiedenen- RuCken- 


] markssegmenten) keine charakteristischen, patlu logischen 
I Veränderungen nachzuw eisen. Hierher geh«»teil ai'.c o Falle 
1 der II. (iruppe, in welchen nur ö.<»5 Ins o,o7 St«*\ am ge geben 
j worden war, und ausserdem j;odi 3 Falle \mi der I. «inipix: 

] (Stovaindosis d.I U.12). JVIferdiiigs ze.g'cii die Nissl- 
| Präparate in 5 von diesen 9 Fallen deutliche Abw eulnmgen vom 
Aeijuiv aleinbilde der normalen Zeile. Aber da hai'deit es s.Ji 
| lediglich um das, was man wohl als ..einfache Chrom«.!\ >c*‘ 
j der Nervenzellen bezeichnet: um eine kramtj.gc «der st.c.ib- 
i cheiiformige Auflösung der NissSJu !l« n. um cm Zusammen* 
'tliessen der (irauula, eine unsji trfe I >.m renz.e rurg der iirge¬ 
färbt eil Bahnen von dem lunaJibartui ’I rgm d, I .ilte’m-g de- 
Kernkapsel etc.) Vor allem aber ist da^e ge w ««hr.l;die Ciiroim.- 
lvse' hier noch dadurdi ausge/ei Jm.ct. dass s.e. wum audi m 
redit verschiedener Intensität, ulu r d..s gesatme zeiitr. %. 
Nerv eiisystem verbreitet ist; maedie Zellen er^dn n cp x »el 
. resistenter, manche viel emptmd'idkr. aber die Zebb.lder s.r.d 
in verschiedenen Zonen des Zentralorgai.s imd an den \e r - 
sdliedenen Zelkirteii die gleidkii. F.s ist bekannt, dass s« »lebe 
i einfachen, weit über d..s zentrale \"r\ii:s\stcn dehnte r. 

1 ehr« molytischeii \organge bani g unter dein I 1 ;ss von Ml- 
! gemeinerkrankiingeii. \ e t g.ftnnge n und Ii.fcktu n«. n. anftreteii. 

dass sie sich audi nadt längerer Agone entwickeln K «nr.e n und 
1 elass in solchen Falle n iiuivt audi s. .pst d.tiuse P.tre»;dt\ :»F 
sc haeligunge n an ;»n d • • re r» (bg.m-. r (trübe SdiwUlang u. ad 
gefunden w erden. Audi m dem m R. de stelle nden Fa'lcn finden 
sie ihre ganz naturlidie Erklärung ;n snldieii 1 *r<>/e 'mü. wie 
in schwerer K i ebskaduxie. Sepsis etc. W ,r haben ke r« n \n- 
I halt dafür, dass s; v - mit der St«»\ a.nirn K ti«>u in ufs. lv bhJu r 
j Zusammenhang zu bringen seien. 

I Fine wesentlich andere, u b i e| u i 1 a r e Erkrankung de r 
: (ianglienzellen finden wir in dem Fad. m weldvn d.e 
St< \ annuie ktiojt zu sdiw ereil Am.iingsst mäbge n mit i:adi* 

I folgendem Koma geführt hatte und in welchem der I «d 
| 41» Stunden nadi der Iniekt? n eil.trat. Audi hier hairlelt cs 
! Mch zunächst wieder um dir-um ]\tisdie \ «^g.mge. die abei 
1 besonders hohe (iraele annelmien u: d vielfach, z. B. an den 
j kleinen Rindenpx ranndeii. zu völliger Anti sin g der <ira.m:\t 
| fuhren, so dass diese ganz In II e: scheinen; dambefl bestellt 
; eine mehr oder we niger ai;sg t spo,diene sdiwdlmg m d Ab- 
i rundung ehr Zellkörper in d /miul an den Ru | r,\.kr. g <>l'e 
Keruv erande rnngeii: Antl-sung der K e mmu mbr.tii. krnme’.ger 
Zerfall der Ken korperdien < de r Umw ai.dlimg in e.ue z.ick g 
; ausge/oge ne ges Jtrumplte Masse. (i^rade- diese \ «.rga? a 
I an den (ianglienzeilkerue n weisen auf eie- besondere Sdiv\e r e 
j de s K rankheitspro/esses lui. Lh braudie m.di h c r auf e e 
| eingeheneie Schildern« g die s C r neuioh.^ b K .sdi sdrr inur- 
; vssaiiten Bilder nicht uu.m’jsscn. I S gvi m.e iu r v *r ctihe lu & 
| dass wir ähnliche schwere Ze\!t r k on-k m •» e n ,«i:di so-st ruh 
. grober Pelimde riitig der Amu:i g und de r ZukTata n se lu n. 
Wir diirien deshalb im v < 'de gemd. n FaV v’.c ub.tjmta'eui 
intensive n <ianght nzellv e ra: de rur gen ,mi dm Atuuings- 
I ä li in II n g ziiriicktulire in Das Stovain ot mdit d.e un¬ 
mittelbare Ursache der zentraV:: Zelle-rku.rkurgen. letz¬ 
tere sind nicht als AusdruA euer <i;:w:-ku:g des Stova.rts 
auf/iifasse-n; sondern das Stov ain ist indirekt eiurdi die 
Atmimgsl.ihmnng an d« m Zustande Io •mmen der r.e rv.«s-n \ tr . 
änelerimgen schuld. 

Fs bleiben mvh 3 f alle übrig, ui de rer. eigenartige 
Z e I 1 e r k r a n k n n g e n gefunden w ureE-ii In dieser. 3 F'a"eH 
war ö.ld Stovain imioe rt w »vrde u; s- c geii-ren .«Im» al’r in 
die erste (iruppe immer Falle. In a;\tf 3 I .i'leu ot der \ T- 
krankititgspro/e-ss durcljaiis gleich..rt,g u: d zwar be-*r nt e r 
Ie ehgüch ehe grosse r] r o I \ g n a i in Zell e n im \' Or¬ 
der h o r n des Rückenmarkes. Die Iedwr der in- 
treffeiukii Ze lle n vi:d li \ p e r v o i n m ; u «• s und a b g e - 
rundet: das erube u . S e'as W ubrgs-e. D.e X u-e.Uig 
des ZeÜeü'es kam se hr \ e r sj« . det e i‘ l -:fa-g h*re u : irn 
Be'ginue de-r F.rkr-a.t'km ,g I>1 • ur e ’e be s, »;»-.•♦ % te /e rtra’e 
Partie geb’älit ir d abu« fn he*;, s.e' .1 -g* m e r Dir part.e’T 
Vorbiichtüiig der Zebw a: d; m .-e:; ab«.r wird d.e 
Idahimg rasch t« * d m-d mbrt Au'--. -• - g dm g.u,/. n Ze I’e. 
die k u gl i g oe! e r b. i g a «w m. I - - r s nd dann 

ganz beträchtllJi V'gow.--. j . | ‘ .. , ‘ T,, 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1631 


< Alteration des Kernes. Deutlicher als die Auftreibung der Zelle 
zeigt die Auflösung der chromophilen Substanz den Weg, den 
der Prozess nimmt, nämlich den Weg von der Kernum¬ 
gebung nach der Peripherie. Dieser Weg 'wird 
rasch zurückgelegt, denn die meisten Zellen befinden sich be¬ 
reits wenige Tage (3 X 24 Stunden) im Zustande totaler, wenn 
auch verschieden hochgradiger Schwellung. An der Peripherie 
aber bleibt meist eine schmale Zone von Tigroidschollen er¬ 
halten; die Fortsätze behalten sie gewöhnlich ebenfalls zu¬ 
rück. Die chromophile Substanz löst sich rasch in feine 
Stippchen und Stäubchen auf; und was besonders wichtig ist: 
diese blau gefärbten Reste der chromophilen Substanz ver¬ 
schwinden bald, so dass der geblähte Zelteib blass und fast 
homogen erscheint; nur nach der Peripherie zu und in der 
Nähe der Kernkapsel bleibt eine feine Zone von blauen Stäub¬ 
chen. So geht die Auftreibung der Zelle parallel der Auf¬ 
lösung -der Granula und dem Schwund ihrer chromophilen 
Zerfallsprodukte. Je grösser, desto blasser und desto mehr 
homogen erscheint def Zelleib. Der Kern ist stets verlagert. 
Die Kernkapsel gefältet, aufgelöst oder in einer dichten um den 
Kern befindlichen Zone von Granulastäubchen verborgen. Der 
Kern ist oft völlig an die Peripherie gedrängt, die Zellwand 
an dieser Stelle vorgebuchtet, das Kernvolumen selber ver¬ 
ringert, die Form des Kernes in der verschiedensten Weise 
verunstaltet, das Kernkörperchen gegen die Kern- resp. Zell¬ 
wand gepresst. In den höchsten Graden der Erkrankung, die 
recht selten und überhaupt nur in einem Falle (M.) nachweis¬ 
bar waren, ist die Zelle in ein fast doppelt so grosses Gebilde 
. umgewandelt mit fast ganz aufgelösten Konturen, ohne Kern 
oder mit aus der Zelle ausgestossenem Kernkörperchen; es 
handelt sich nur mehr um einen „Zellschatten“. 

Die im Bielschowsky sehen Neurofibrillenpräparat 
erhobenen Befunde entsprechen denen im N i s s 1 bilde. Am 
auffallendsten ist auch hier zunächst die Vergrösserung des 
Zelleibs; dieser sieht eigentümlich leer aus, da er nur in der 
Peripherie noch Fibrillen enthält, die sich in die Zellausläufer 
fortsetzen». Von netzigen oder geflechtartigen Fibrillenstruk¬ 
turen oder von Ueberkreuzugen von Fibrillenzügen im Zell¬ 
leib sehen wir nichts; letzterer ist vielmehr ziemlich hell und 
von dunklen Stäubchen und Pünktchen durchsetzt. 

Die beschriebenen Zellveränderungen waren in einem der 
drei Fällen nur ganz vereinzelt über die Vorderhornsäule des 
Rückenmarkes verstreut, so dass sich in einem Rückenmarks¬ 
schnitte aus den Segmenten, in denen überhaupt erkrankte 
Zellen nachweisbar waren, durchschnittlich kaum mehr als eine 
und in vielen Schnitten gar keine kranke Zelle fand. Solche 
Zellen waren in diesem Falle in einzelnen beschränkten Par¬ 
tien des oberen und mittleren Halsmarkes, des unteren Brust¬ 
markes und des Lenden- und Sakralmarkes vorhanden. Der 
Prozess bevorzugt keine besonderen Gruppen der Vorder¬ 
hornzellen, die pathologischen Zelltypen finden sich in der 
medialen Zone ebenso wie im Seitenhorn. In dem zweiten 
Falle sind die ebenfalls nur ganz vereinzelt auftretenden Zell¬ 
veränderungen lediglich in den unteren Rückenmarkssegmenten 
bis etwa zur Höhe des oberen Lumbalmarkes nachweisbar. Im 
Gegensatz dazu liegen im dritten Falle (M.) die erkrankten 
Ganglienzellen- ausschliesslich im oberen und mittleren Hals¬ 
mark (C 2 bis C5); alle tiefer gelegenen Segmente sind frei 
von pathologischen Zelltypen. Dieser Fall zeichnet sich vor 
den anderen noch dadurch aus, dass die erkrankten Zellen gern 
in Gruppen beieinander liegen, bald diesen, bald jenen Be¬ 
zirk des Vorderhorns, bald die eine, bald die andere Rücken¬ 
markshälfte bevorzugend. Ausserdem ist es dieser Fall, in 
welchem die Zellerkrankung, wenn auch nur vereinzelt, zu 
groben Untergangserscheinungen an den Vorderhornelementen, 
speziell zu Zellschattenbildung, geführt hat. 

Von besonderer Bedeutung ist demnach die Tatsache, dass 
die Erkrankung lediglich die grossen poly¬ 
gonalen, „motorischen“ Zellen ergreift, keine 
anderen Ganglienelemente. Der Prozess hat also 
die Tendenz, nur bestimmte Zelltypen zu schädigen. An¬ 
den andersartig geformten Nervenzellen, denen des Mittel¬ 
feldes und des «Hinterhornes, sehen wir nichts Abnormes, 
ebenso auch nicht an den Zellen der Spinalganglien, so¬ 
weit diese — in jedem Falle etwa 8 — von uns 


untersucht werden konnten. Ausserdem erscheint es 
wichtig, dass die Aequivalentbilder der den kranken Zellen 
benachbarten Vorderhornzellen durchaus der Norm ent- 
»sprechen, dass also der Prozess nur diese oder jene Zellen aus 
der Gruppe der Vorderhörner wie willkürlich und ohne jeden 
uns erkennbaren Grund „auswählt“. 

Klinisch hat sich, wie erwähnt, die Affektion der Vorder- 
. hornzellen nicht in grob erkennbaren Ausfallserscheinungen 
manifestiert. Das ist nach dem Gesagten wohl verständlich, 
da sich der Prozess nur auf relativ wenige und verstreut 
liegende Zellen in dem weiten Vorderhorngebiet beschränkt 
(s. u.). Ausserdem ist aber darauf hinzuweisen, dass der 
Exitus in diesen drei Fällen bereits 3, 4 bpw. 6 Tage nach der 
Operation erfolgte, dass also eine Entscheidung über die Frage, 
ob irgendwelche feinere Bewegungsstörungen beschränkter 
Muskelgebiete aus der spinalen Affektion resultierten, nicht 
gefällt werden kann, zumal ja der allgemeine schwere Krank¬ 
heitszustand der Patientinnen eine genaue Funktionsprüfung 
gar nicht gestattete. 

Aus der Beschreibung der histologischen Bilder geht also 
hervor, dass wir es hier mit einer scharf gekenn¬ 
zeichneten Ganglienzellenerkrankung zu tun 
haben und dass diese von der gewöhnlichen Chromolyse wohl 
unterschieden ist. Das ist von ganz besonderer Wichtigkeit, 
weil die einfachen chromolytischen Vorgänge an den 
Nervenzellen häufig — wenn ich so sagen darf — „uncharak¬ 
teristisch“ sind, und weil alle möglichen körperlichen Krank¬ 
heitsprozesse zu solchen Veränderungen führen können, wie 
wir das ja auch in einigen unserer Fälle sahen. Gewöhn¬ 
liche Chromolysen wären wir daher nicht ohne weiteres be¬ 
rechtigt als materielle Wirkungen des Stovains anzusehen, 
wir müssten denn andere Einflüsse infektiöser, toxischer oder 
ähnlicher Art, die zu ihrer Entstehung geführt haben könnten, 
aus-zuschliessen vermögen, was in der menschlichen Patho¬ 
logie nicht sehr häufig der Fall sein dürfte. Oder es müssten 
sich besondere Kennzeichen in der Art der chromolytischen 
Vorgänge oder in ihrer Verteilung auffinden lassen, in der 
Weise etwa, dass nur bestimmte Zellarten im Nervensystem 
mit einer Auflösung der chromophilen Substanz auf Stovain 
reagierten oder ähnliches. Ich habe davon nichts finden 
können; die Veränderungen der chromophilen Substanz waren, 
wo sie vorkamen (5 Fälle), diffus verbreitet und „uncharak¬ 
teristisch“. Ob das Stovain auch gewöhnliche chromolytische 
Vorgänge bewirken kann, dafür haben meine Untersuchungen 
bisher keinen Anhalt gegeben. Es sei jedoch in diesem Zu¬ 
sammenhänge darauf hingewiesen, dass van L i e r bei Ka¬ 
ninchen einfache chromolytische Veränderungen an den Gan¬ 
glienzellen in den ersten 6—12 Stunden nach der Stovain- 
injektion beschrieben hat, die nach 24 Stunden wieder ver¬ 
schwunden waren. 

Ausschlaggebend für die Beurteilung der durch Gifte ge¬ 
setzten Veränderungen des nervösen Gewebes sind natürlich die 
Ergebnisse des Experimentes, bei welchem wir es mit viel ein¬ 
facheren Verhältnissen zu tun haben. Unsere Experimente an 
Hunden und Affen ergaben aber genau die gleichen 
Zell Veränderungen, wie beim Menschen. Auch 
hier sind die grossen motorischen Zellen in dieser sehr charak¬ 
teristischen Weise aufgebläht, blass mit verlagertem Kern. Ob 
daneben auch einfache Chromolysen Vorkommen, ob vielleicht 
die von v a n L i e r als „vorübergehend“ bezeichneten chromo¬ 
lytischen Vorgänge unter Umständen persistieren und höhere 
Grade annehmen können etc., vermag ich noch nicht zu sagen. 

Diese im Voraufgehenden beschriebene Veränderung, die 
das Stovain an den Zellen vom motorischen Typus bewirkt, 
ist uns aus der Nervenzellenpathologie gut bekannt: sie ent¬ 
spricht durchaus den Zellaffektionen, die w ir 
nach Zerstörung der Achsenzylinder in den 
zugehörigen Nervenkernen beobachten; also 
etwa nach Ausreissung des Fazialis in seinem Kerne. Wir 
kennen diese Bilder in erster Linie natürlich aus den grund¬ 
legenden experimentellen Untersuchungen N i s s 1 s. Auch in 
der menschlichen PathQlcgie sind sie später öfters beschrieben 
worden, z. B. als Folgeerscheinungen von Amputationen oder 
von neuritischen Veränderungen-bdi chronischem Alkoholismus, 
bei Beriberi, wo also auch der zu den Zellen gehörige Achse 


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1632 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


SV». 31. 


Zylinder lädiert ist. Man bezeichnet deshalb wohl diese eigen¬ 
tümlichen Zellveränderungen — diese Form von Chromolyse 
mit starker Blähung, Achromatose und Kernverdrüngung als 
sekundäre Zellläsionen und stellt sie den primären, die 
Nervenzelle direkt treffenden Läsionen gegenüber. Zu letzterer 
gehören vor allem die nach Vergiftungen auftretenden Chromo- 
lysen; sie sind durch ihre Art, und vor allem durch ihre Ver¬ 
teilung auf verschiedene Zellen von einander unterschieden; 
„verschiedene Gifte wirken auf die gleiche Zellart verschieden, 
ebenso wie das gleiche Gift verschiedene Zellarten verschieden 
beeinflusst“ (N i s s 1). 

Es erscheint demnach von besonderer Wichtigkeit, dass 
die von uns gefundenen Zellveränderungen nicht, wie meist bei 
Vergiftungen, irgend einer Form der primären Zellchromolysen, 
sondern der sekundären, retrograden Ganglien- 
zellerkrankung gleichen. Und es erhebt sich daher 
die Frage: handelt es sich auch hier um eine sekundäre Zell¬ 
erkrankung, um die retrograde Reaktion der Ganglienzelle auf 
eine primäre Schädigung ihres Achsenzylinders? Ich habe 
dafür keinen sicheren Anhalt finden können. Pegcneratixe 
Vorgänge an den betreffenden motorischer. Wurzeln wurden 
nicht gefunden. Aber freilich ist zu bedenken, dass die Me¬ 
thode, mit der wir am einfachsten die Degeneration einer 
Nervenfaser nach w eisen können, die M a r c h i sehe Methode, 
hier noch keinen sicheren Aufschluss geben konnte, da die seit 
der Injektion bis zum lode verflossene Zeit dafür zu kurz war; 
denn die Zertallserscheinungen an markhaltigen Nervenfasern 
treten am Chromosmiumpräparat durchschnittlich erst nach 
etwa 10 Tagen deutlich in die Erscheinung. Bei den anderen 
Methoden (zur Darstellung der Achsenzylinder) konnten uns 
leicht etwa vorhandene Veränderungen an vorderen W urzel¬ 
fasern entgangen sein, da es sich ja nur um vereinzelte, auf 
wenige Höhen beschränkte Ganglienzellenerkrankuugen han¬ 
delt. Deshalb lässt sich also nicht mit Sicherheit behaupten, 
dass wir es hier mit einer die Ganglienzellen direkt treffenden 
Schädigung zu tun haben. Aus der Tatsache an sich, dass 
dieser pathologische Zelltypus sonst nach Läsionen des be¬ 
treffenden Achsenzylinders gefunden wird, kann jedoch um¬ 
gekehrt meines Erachtens der Schluss nicht gezogen werden, 
dass die Erkrankung auch hier retrograd sein m ii s s e, und 
dass das Stovain primär den Achsenzylinder angreife. 

Die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen 
sprechen, soweit ich sie bisher überblicken kann, eher für eine 
direkte Zellschädigung; jedenfalls Hessen sich die charakte¬ 
ristischen Blähungen mit Achromatose an den grossen Vorder¬ 
hornzellen auch dort nachw eisen, w o die Wurzeln in den be¬ 
treffenden Segmenten gesund und auch die peripherischen 
Nerven nicht verändert waren. 

Die experimentellen U n t e r s u c h u n g e n ver¬ 
langen noch eine besondere Besprechung. Die Veränderungen 
der Vorderhornzellen sind, wie w ir sagten, die gleichen 
wie beim Menschen. Wir fanden sie auch hier nur iu verein¬ 
zelten Exemplaren oder kleinen Gruppen über die Vorderhoru- 
säule des Rückenmarkes verstreut. Im allgemeinen bleiben sie 
auf die untere Rückenmarkshälfte beschränkt, sie reichen nur 
bis zum unteren Dorsalmark hinauf. Auch hier bewirkten diese 
geringfügigen verstreuten Vorderhornzellveränderungen keine 
grob nachweisbaren Beeinträchtigungen der Motilität; von der 
kurzdauernden, der Injektion folgenden Paraplegie blieb nichts 
zurück. Nur in einem Falle, bei einem Hunde, der 0,04 Stovain 
erhalten hatte, blieben die Hinterextremitäten teilweise schlaff 
gelähmt; dabei waren die Sehncnreflexe abgeschwächt, die 
Schmerzempfindung nicht nachw eisbar gestört. W ir glaubten 
intra vitam diese schlaffe Paraplegie in Analogie zur Polio¬ 
myelitis der Kinder auf eine im Lumbal- und Sakralmark 
ausgebreitete Vorderhornaffektion zurückführen zu dürfen. 
Und in der lat ergab die histologische Untersuchung am 
Rückenmark des nach 14 Tagen getöteten Tieres eine ausge¬ 
dehnte Erkrankung der Vorderhornzellen von dem oben be¬ 
schriebenen Typus: cs sind in jedem Schnitt aus dem Sakral- 
lind Lumbaimark eine beträchtliche Anzahl von Vorderhorn¬ 
zellen erkrankt, und der Prozess hat an verschiedenen Ele¬ 
menten zur Ausstossung des Kerns resp. Kernkörperchens und 
zur Zellschattenbildung geführt. Die Paraplegie würde also 
ihre Erklärung in dieser ausgebreiteteu Affektion der pnm ri- 
hen Zellen des unteren Riickcnmarksabschniites finden. 


Nun kommen aber bei diesem Hunde noJi schw ere 
d e g e n e r a t i v e \ e r ä n d e r u n g e n in den Leit u n g s- 
b a h n e n hinzu, die ganz nherw itgyid d e H i n l e r s l r a n g e 
betreffen. Und das ist das zweite wesentliche Ergebnis 
dieser Untersuchungen: dass n a c h I. u m b a I a n ä s t h e - 
sie mit St o v a l n a u c h F a s e r d e g e u e r a t i <> n e u 
i m R ii c k e n m a r k Zurückbleiben k o n n e n und daN'- 
solche degmerative Zcrsturimgeji vor allem das zentrale 
A u s b r e i t u n g s g e b i e t der s e « s % b I e n R u c k e n - 
m a r k s w u r z e I n betalh / . Aber diese I »egencrata me n \ . n 
Rückenmarksbahnen fanden suh bisher ne bum Muis^hc::. 
sondern lediglich bei Tier e n. \u>ser bei einem Hunde k mr.k 
ich sie lediglich r.oji bei 3 Affen le stsk Ikig deren Ncrxcn- 
system mir Herr Pr. (iauss i'reimd'icH m zur l nursiichuug 
übergeben hatte. I be 3 Affen hatte n w iede i In dt. 3 mal. 1 s< .gar 
(»mal Stovain innerhalb 4 5 WrJitii K kommen i:: Dmm.ii \»>n 

0.OO4 bis 0.» »2. Sie b< teil, wie ich aas de ti M .tleiümge n \«*u 
Herrn Dr. (iauss w e*ss, keine nmn MOien Ausia Ne'sJui- 
nungen dar; die der Imektmn folgende Paraplegie blieb wie 
gewöhnlich Mir wenige Stunden bestehen, laues dieser liefe 
hielt nadl einer Imektion ehe taue hintere f \tre nnt.it liaahg an 
den Leib ange/ogeii; sie war iedoJl keineswegs gelahmt. Die 
eigeiitiimliche Haltung der Extremität wurde auf e ne W urzei- 
verletzung bezogen; audi dieses S\mpt<n xersdiwai.J etwa 
nach 1 'lagen. (>b feinere Stof unge.fl der k< or d.nati« ai «der 
ob Schmerz- und Reile\an< inalien \orh.ndui waren, worauf 
die anatomischen Befunde hu; v. eisen wurden. \ erm.ag idi nicht 
anzugebeu. da ich die Affen mdit selbst mtu :miJi! Inbc. 

Bei allen drei Affen fatden sidi sdir aihgesprodie ne 
Degenerationen m den h in t e r e ii R iu k i n murks- 
w u r Z e I n und zwar auf beiden Se.ten in last x.dhg g e idle r 
Intensität. Die Degelieiullors/nge de r H.nte r w u f/•. n mi J im 
Riiekemnarksg r.m bis zu den \ orale t Immer n zu \ erfolgen und 
sie steigen in den H i n t e r s t r a n g e n aniwatfs Jur. M d.e 
ganze Länge des Rückenmarks bis /u den K e r n e n der Hr n r- 
strälige auf; d. ll. der dege tft raü\e Pf/css be tnlM s-.W'.li! die 
kirzen wie die langen Easer/uge der seiisib’en Ru.ken- 
marksw iirzeln. uuJ zwar eh r sakralen m d lumbalen Hinter- 
wurzehi (bis zum oberen LciuUi marh Imiauf). D.e^e H.nte r- 
strangverändeningeii snal m allen drei lallen elas antta’le i.eNt*.- 
pathologische Merkmal im Riu ke amar ksejuei sdv ;tt. Ir einem 
von drei Fallen komme n da/u rodi massige- MarJm!< geiic- 
rutionen in der seitlichen und vorderen IVrtphc* ic eles Rücken¬ 
markes; nur selten smJ diese m dei seitlichen Rand/or.e etwas 
breiter und springen dann mitunter ein Stück weit. tiieiM nicht 
symmetrisch zentralwarts \a r. 

Dieser Peinnd einer mit der Hinterwurzel- 
a f f e k t i ii n v e rb u n d e n e ;t R a u J J e g e ri e r a t i < n 
leitet zu den sehr bemerkenswerten R;k kemma rksbi! Je t u bei 
dem Stovamhmide über. Hier smJ ebenfalls garZ überw ugertd 
die llillterw iir/eln (mal aufsteigeiul die I Ijflfet straJige) aft/iert. 
Der de generative Prozess ist m der m m.t'e Iba re ii Empr.ts- 
pforte der Hmterw u r/e In am stärksten ausge sprodicn ; Inet 
sind die Marclnschollen massig lir j / ;i vmnme ege-drangt. 

Ausserdem ist aber die gan/e Rucke-i m.itksperipbe ne em- 
schliesslic h der Lippen der \< rderen Fissur \ on einem sdimaleti 
Saum degenerierter Ease ru ein ge nommeii ; diese r S.mni er¬ 
scheint am konserx lerte-n Prapätat sp !\nw eise \ <*:i der nor¬ 
malen Easermasse Icidit abgib. »heil. Pas H iby Huers Jmitts- 
bild findet suh vom Sakrglmark bis h-.di ms LcnJcumurk 
hinauf. 

Auf das I]|S(< Jogisdle Petnl kann uh Iler u:dit e'"g-.. he r ; 
es sei nur erw ahnt, d iss eigentliche Er’/im iungs-ib rr:r.t::♦ o:s-) 
\ orgänge fehlen ; die ahn« rmen /e l.bus.iiiim'nigeii s.t/eii sidi 
zusammen aus | ransport/elleti. ehe rut /t M.rl’u e'ii NUc'.n 
überladen sind, in d aus gew ik he rk n G ..*/e len und Pa de- 
gew ebeselefiH fifen (Pia/eüeii. Scliw a u v s Jfe.- Ze 'le ii der 
Wurzeln). Die Gebisse- sind nicht na. I: w <. .dar ve r.mJi *!. De 
Spinalgauglienzelle ii sind se kundär afn/iert. hidtt gi sJnie l't 
und in massiger Chr< ui dyse; keine gn-'n i’ /.• ’ ! -.k strnkt'onem 

Haben wir nun ierte eigenartig ang\ •• t dne te u E'aser- 
erkrankuugen audi. wie- ehe- lu s/fr \ begA (ie\',.-:v lä i:\er- 
an Je rniig auf das Sfo\ ain ii: sadi'.c h zur i.ck.'iü dre:: ? 

Eine direk-«.• \’e r!e t/m g d> s R w kei tn.dvs ■ I r g r 

Kan Ja, die s-.Llie Inga u.i'i- ::e', zur 1- ee- 1: d'efi k-ui.te. 
dürfen wir auf Gnm.el unserer Prap.og-.k \ * »i: de- * efeti R-.cke u- 


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4 . August 1$Q& 


MÜENCHfcNEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1633 


marksabschnitten sowohl bei den Affen, wie bei dem Hunde 
mit Sicherheit ausschliessen. Nur bei einem Affen fand sich an 
der Injektionsstelle ein kleiner, in Organisation befindlicher 
Bluterguss, der ein oder zwei Wurzelbündel an der Hinter¬ 
fläche des Duralsackes in sein Bereich gezogen hatte. Selbst 
wenn man annehmen wollte, dass er eine stärkere Kom¬ 
pression auch auf die anderen Wurzeln der Kauda bewirkt hätte 
(eine Annahme, die jedoch mit den histologischen Bildern 
nicht vereinbar ist), so wäre damit die Entstehung der Hinter¬ 
wurzelveränderungen in den höheren Segmenten, deren 
Wurzeln gar nicht mehr bis in die Kauda herabreichen, nicht 
erklärt; und vor allem wären die ganz analogen Veränderungen 
bei den anderen Tieren nicht verständlich. Die histologischen 
Bilder, speziell die von dem Hunde, weisen vielmehr darauf hin, 
dass die hier wirksame Schädlichkeit direkt an der Rücken¬ 
marksperipherie angreift. Und wie bei manchen anderen 
Schädlichkeiten toxischer oder mehr mechanischer Art zeigt 
sich auch hier die grosse Empfindlichkeit der 
Hinterwurzeln: sie erkranken bereits intensiv, wenn das 
hier wirksame Agens andere Fasersysteme noch intakt lässt 
(bei zwei Affen), und wo auch Faserzüge in der Randzone des 
Rückenmarkes mitaffiziert sind, da ist doch die Degeneration 
der Hinterwurzelsysteme immer weitaus am intensivsten (bei 
einem Affen und dem Hunde). Insofern dürfte diesem Befunde 
eine allgemeinere neuropathologische Bedeutung zukommen, 
speziell hinsichtlich der Frage nach der Pathogenese der 
tabischen Hinterstrangserkrankung, nach der Entstehung 
der von uns so benannten Trypanosomentabes der 
Tsetsehunde und vor allem hinsichtlich der Frage nach dem 
Zustandekommen der Hinterwurzeldegenerati¬ 
onen bei Hirntumoren. Mit Rücksicht auf diese Fragen 
werde ich demnächst eingehender über die Befunde bei den 
Stovaintieren in einer neurologischen Zeitschrift berichten; 
dort werden auch die histologischen Details (die reaktiven 
Zellw'ucherungen, das Verhalten der extra- und intramedullären 
Wurzelfasern, der Spinalganglien, der Ort des Beginnes der 
Degeneration im Hinterwurzelverlaufe etc.) ihre Berück¬ 
sichtigung finden. 

Welcher Art ist nun die Schädlichkeit, die die schweren 
zentralen Degenerationen verursacht? Wirkt das Stovain hier 
rein chemisch, als neurotoxische Substanz oder sind mecha¬ 
nische Momente die eigentliche Ursache, oder wirken beide 
zusammen? 

Mit der Möglichkeit, dass hier rein mechanische Momente 
wirksam sein könnten, müsste schon in Erwägung jener 
Theorien gerechnet werden, welche die Entstehung der Hinter¬ 
wurzeldegenerationen bei Tumoren (ebenso wie die der 
Stauungspapille) auf abnormen Druck zurückführen. Vor 
allem aber muss die ausgesprochene Randdegeneration bei 
dem Hunde, von der wir Andeutungen auch bei einem Affen 
sehen, die Vermutung nahe legen, es möchte hier eine die 
unteren Rückeiimarksabschnitte treffende Kompression ein¬ 
gewirkt haben; das würde die Verteilung der Degenerationen 
im Rückenmarksquerschnitt am einfachsten verständlich 
machen. Es musste daher eine Aufklärung über diese Fragen 
dadurch versucht werden, dass man indifferente Flüssigkeiten, 
wie physiologische Kochsalzlösung oder Wasser, in den 
Zerebrospinalsack injizierte. Ich habe das bei 5 Hunden 
mehrfach getan, und zwar wurde stets erst injiziert, nachdem 
wir uns an flem Heraustropfen der Zerebrospinalflüssigkeit 
davon überzeugt hatten, dass wir auch wirklich mit der Nadel 
in den Meningealsack gelangt waren, was ja bei Tieren nicht 
immer leicht zu entscheiden ist. Dann wurden etwa 3 
bis 4 ccm Wasser eingespritzt. Irgendwelche nervöse Aus- 
fallssyptome wurden darnach gewöhnlich nicht beobachtet. 
Zweimal jedoch trat, bei zwei verschiedenen Hunden, un¬ 
mittelbar nach resp. noch während der Injektion (von 3 ccm 
Wasser) eine plötzliche Atmungslähmung auf, die durch künst¬ 
liche Atmung nach ca. 10 Minuten wieder beseitigt werden 
konnte. — Diese Beobachtung grober Atmungsstörungen nach 
blosser Flüssigkeitszufuhr hat vielleicht ein gewisses Interesse 
mit Rücksicht auf die Frage nach den Ursachen der Atmungs¬ 
lähmungen nach Stovaininjektion. Natürlich lassen sich die 
Untersuchungsergebnisse hier nicht ohne weiteres auf die 
menschliche Pathologie übertragen, zumal da wir es bei den 
Tieren mit viel engeren räumlichen Verhältnissen zu tun haben. 

No. 31. 


Anatomisch habe ich nur zwei von solchen Hunden, denen 
Wasser in den Spinalraum injiziert worden war, untersucht, j 
Der Befund war absolut negativ an den Leitungsbahnen des j 
Rückenmarks, wie an den Ganglienzellen. Da die anderen 
Tiere, wie gesagt, auch keine nervösen Krankheitserschei¬ 
nungen von der Wasserinjektion zurückbehielten, glaubte ich 
von ihrer anatomischen Untersuchung Abstand nehmen zu 
können. « 

Sofern es erlaubt ist, aus den bisherigen Untersuchungen 
bereits einen Schluss zu ziehen, so ergibt sich also, dass Ver¬ 
änderungen der mechanischen Verhältnisse durch blosse 
Flüssigkeitszufuhr in den Meningealsack nicht die Ursache 
für jene Hinterwurzel- und Randdegenerationen abgeben 
können; jedenfalls erscheint das Stovain- als das eigentlich 
Wirksame Agens. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass nicht 
auch die engen räumlichen Verhältnisse, bei den Tieren mit 
von Einfluss bei der Entstehung der Degenerationen nach 
Stovaininjektion wären und dass nicht auch dieser Faktor eine 
Rolle spielen könnte für die Erklärung der Unterschiede 
zwischen den Befunden beim Menschen und bei den Tieren. 

In allererster Linie muss natürlich das relativ sehr grosse 
Quantum Stovain, das jene Tiere bekommen hatten, als ur¬ 
sächliches Moment angeschuldigt werden. Ausserdem mag 
auch die weit geringere Menge an Zerebrospinalflüssigkeit bei 
den Tieren nicht gleichgültig sein. Aber es ist überflüssig, sich 
hier auf weitere Vermutungen einzulassen; es genüge, auf 
einige Dinge hingewiesen zu haben, die vielleicht für die Er¬ 
klärung der Unterschiede zwischen unseren Befunden beim 
Menschen und bei Tieren in Betracht kommen könnten. 

Es erscheint somit unstatthaft, aus der Feststellung aus¬ 
gedehnter Hinterstrangsveränderungen (und Randdegene¬ 
rationen) am Rückenmark von Tieren ohne weiteres 
schwerwiegende Schlüsse für die klinische Pathologie beim 
Menschen zu ziehen; die Verhältnisse in diesen Experimenten 
liegen eben doch wesentlich anders, als bei der Rückenmarks¬ 
anästhesie des Menschen. Andererseits ist freilich die Mög¬ 
lichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass es unter Um¬ 
ständen, die wir nicht kennen, auch einmal beim Menschen zu 
ähnlichen Rückenmarksdegenerationen nach Stovainanästhesie 
kommen kann. Denn das Gegenteil kann natürlich aus meinen 
Untersuchungen am menschlichen Rückenmark nicht ge¬ 
schlossen werden; dazu ist mein anatomisches Material zu 
klein und ausserdem fehlen mir auch eigene Erfahrungen über 
die histologischen Befunde in solchen Fällen, in denen beim 
Menschen nach Lumbalanästhesie grobe nervöse Ausfalls¬ 
symptome zurückblieben. 

Bestehen demnach, was die zentralen Faserdegenerationen 
anlangt, wesentliche Unterschiede zwischen unseren Befunden 
bei stovainisierten Menschen und bei stovainisierten Tieren, 
so stimmen sie doch hinsichtlich der eigenartigen Ver¬ 
änderungen an den motorischen Ganglien¬ 
zellen der Vorderhornsäule überein. Ob es immer 
nur die grossen motorischen Zellen sind, die unter dem Ein¬ 
fluss des Stovains solche wohl charakterisierten Verän¬ 
derungen erleiden, wie es nach meinen Feststellungen den An¬ 
schein hat, oder ob bisweilen auch andere, speziell auch sen¬ 
sible Zellen in analoger Weise nach Stovaininjektion er¬ 
kranken können, kann ich bisher noch nicht sicher entscheiden. 
Sicher ist jedoch, dass diese motorischen Elemente 
eine besondere Empfindlichkeit gegenüber 
dem Stovain besitzen und dass sie viel eher mit materiellen 
Veränderungen darauf reagieren, als die sensiblen Rücken¬ 
markszellen. Von Wichtigkeit für die klinische Pathologie ist 
ferner die Feststellung, dass es zu Erkrankungen von Vorder¬ 
hornzellen nicht etwa nur in tiefen Rückenmarkssegmenten, 
sondern auch hoch oben im Halsmark kommen kann, dass Ver¬ 
änderungen im Halsmark nicht zugleich auch von solchen in 
tiefen spinalen Abschnitten begleitet werden müssen und dass 
der Erkrankungsprozess teils absolut diffus nur diese oder 
jene vereinzelte Zelle, teils hier und dort kleine Zellgruppen 
befällt. 

Worauf diese Auswahl bald dieser bald jener Zellgruppe 
beruht, wissen wir nicht. Doch gibt uns dieses eigentümliche 
Verhalten eine plausible Erklärung für die nach Stovain¬ 
anästhesie auftretenden Augenmuskellähmungen p» 
die Hand: denn es ist nicht einzusehen, warum der in s<-' 
Lokalisation schwankende Erkrankungsprozess, der z. 


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1634 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


liert einige Vorderhornzellgruppen im oberen Halsmark er¬ 
greift, dort Halt machen sollte, warum er nicht auch die 
morphologisch und funktionell gleichartigen Zellen der Augen¬ 
muskelkerne befallen könnte. Und dass tatsächlich auch dort 
die Zellen den gleichen Veränderungen unterliegen können, habe 
ich an einem meiner Fälle (M.) an allerdings nur zwei Zell¬ 
exemplaren aus den Okulomotorkernen festzustellen vermocht. 

Man könnte sich die verhältnismässig häufigen Paresen der 
Augenmuskeln vielleicht damit erklären, dass ihre Kerne eine 
besondere Empfindlichkeit gegenüber dem Stovin besitzen im 
Vergleich zu anderen motorischen Kernen. Aber es fragt sich 
doch, ob denn tatsächlich die Augenmuskelkerne so viel häu¬ 
figer erkranken als andere motorische Kerngruppen, ob solche 
Störungen nicht nur deshalb so oft klinisch beobachtet werden, 
weil hier schon verhältnismässig leichte und wenig umfang¬ 
reiche Läsionen zur Funktionsschädigung führen müssen. Bei 
den Tausenden von Zellen in den spinalen Vorderhörnern, 
welche gewöhnlich den funktionell zusammengehörigen Mus¬ 
keln einer Extremität vorstehen, wird sich natürlich ein Ausfall 
von nur einzelnen Zellen oder kleinsten Zellgruppen klinisch 
nicht so leicht bemerkbar machen«; und das erklärt ja auch die 
von Professor Krönig angeführte Tatsache (Separatum 
Seite 21), dass sich die von mir gefundenen Zellveränderungen 
klinisch nicht manifestierten. 

Bei den Augenmuskelkernen liegen die Verhältnisse natür¬ 
lich ganz anders; es ist klar, dass in Anbetracht der relativ ge¬ 
ringen Anzahl von Zellen, welche der Funktion eines Augen¬ 
muskels, etwa des Abduzens, vorstehen, schon die Läsion einer 
beschränkten Zahl von Zellen hier leicht eine deutliche Funk¬ 
tionsstörung bewirken wird. 

Ob die Vermutung richtig ist, dass die Augenmuskel¬ 
paresen nach Stovainanästhesie auf Zell Veränderungen von 
dem hier beschriebenen Typus beruhen, wird natürlich erst die 
Zukunft lehren müssen. Für diese Annahme spricht noch tjie 
bekannte Tatsache, dass sich die Augenmuskelparesen 
meist wieder zurückbilden. Denn bei den Zell¬ 
veränderungen, die ich beim Menschen nachweisen konnte, 
handelt es sich zum grössten Teil um reparable Verän¬ 
derungen. Wir wissen aus den Untersuchungen über die 
Kernveränderungen nach Läsion des zugehörigen Nerven 
(s. o.), dass auf das Stadium der Blähung und Achromatose 
ein Stadium der Reparation folgt, und dass nur ein beschränkter 
Teil der erkrankten Zellen zu Gründe geht. Obschon in 
unseren Stovainfällen die Schwellung und Chromolyse der 
motorischen Zellen möglicherweise oder sogar wahrscheinlich 
nicht retrograder Natur ist (s. o.), so werden wir doch in An¬ 
betracht ihrer völligen morphologischen Uebereinstimmung 
auch für sie annehmen dürfen, das^ sie in ein Stadium der Re¬ 
paration treten können. Die Wiederherstellung der Augen- 
muskelfunktionen würde damit ihre Erklärung finden. 

Aber ein. kleiner Teil der Zellen in meinen Präparaten 
zeigt auch so weitgehende, bis zur Zellschattenbildung fort¬ 
schreitende Umwandlungen, dass wir diese als nicht 
restitutionsfähigeUntergangserscheinungen 
anzusehen haben. Besonders sehen wir auch an den Zell¬ 
bildern bei dem Stovainhtmde, dass der Prozess unter Um¬ 
ständen eine ausgesprochenere Tendenz zu grober Destruktion 
der Ganglienzellen annehmen kann. Möglich, dass auf solchen 
quantitativ schwereren Veränderungen die dauernden Aus¬ 
fallserscheinungen, z. B. manche von den residuären Para¬ 
plegien beruhen. Aber ich hatte, wie gesagt, nie Gelegenheit, 
solche Fälle anatomisch zu untersuchen, und kann darüber 
also höchstens Vermutungen äussern. Vielleicht spielen da 
auch ganz andersartige anatomische Vorgänge mit, möglicher¬ 
weise Faserdegenerationen wie bei den Affen, oder grobe Zir¬ 
kulationsstörungen, oder neuritische Veränderungen, von 
denen in der Literatur viel die Rede ist. 

Ich werde später unter Berücksichtigung der Literatur, 
wovon in diesem kleineren Aufsatze Umgang genommen 
werden musste, ausführlich auf diese Fragen zurückkommen. 

Der Zweck dieser Mitteilung war, wie ich eingangs er¬ 
wähnte, lediglich meine neurohistologischen Befunde mitzu¬ 
teilen. Ich habe das im vorausgehenden getan und daran 
einige Erklärungen und Besprechungen gefügt, soweit diese 
Befunde bei ihrer Unfertigkeit dazu Anlass geben konnten. 
Ueber das neuropathologisclie Gebiet hinaus reichen meine 


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Kompetenzen nicht und ich betone deshalb noch einmal, dass 
ich selber aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen keine 
Schlüsse zu ziehen wage über den« Wert der Anästhesie im 
Vergleich zu den Narkosen. Es entzieht sich meiner Beur¬ 
teilung, ob die Nachteile, welche der Rückenmarksanästhesie in 
Anbetracht der Gefahr nervöser Nachkrankheiten anhaften, 
grösser sind, als die schädlichen Begleit- und Folgeerschei¬ 
nungen der Narkose. Wie sich die nervösen Störungen bei der 
Lumbalanästhesie vermeiden lassen, darüber haben diese 
Untersuchungen Sicheres nicht geben. Nur das kann ich auf 
Grund meiner letzten Untesuchungen sagen, dass ich in» der 
zweiten Gruppe meiner Fälle (6), in welchen 
nur 0,05 b i s 0,07 Stovain gegeben worden war, 
keine charakteristischein Z e 11 e r k r a n k u n g e n 
mehr gefunden habe. Möglich, dass die Herabsetzung 
der Dosis die Chancen für das Auftreten ner¬ 
vöser Veränderungen wesentlich verringert 
und dass sich dadurch ernste Gefahren für das zentrale Nerven¬ 
system vermeiden» lassen. Aber es ist selbstverständlich, dass 
zu einem bindenden Schlüsse in diesem Sinne mein ana¬ 
tomisches Material nicht genügen kann. Wir haben hier mit 
zu vielen Zufälligkeiten zu rechnen, zumal wenn wir bedenken, 
dass ja von den 7 Fällen der ersten Gruppe auch nur 4 Fälle 
zentrale nervöse Veränderungen aufwiesen. 


Aus der Kgl. med. Klinik in Rom (Prof. Baccelli). 

Künstliche Hyperämie des Gehirns bei initialer Gehirn¬ 
arteriosklerose. 

Von Prof. Giovanni Galli, Assistent. 

Seit mehr als Jahresfrist habe ich meine besondere Auf¬ 
merksamkeit der Behandlung der Gehirnarteriosklerose durch 
künstliche Hyperämie zugewandt. Theoretische Betrachtungen 
und verschiedene Tierexperimente hatten mich darauf ge¬ 
bracht, diese Art von Behandlung bei genannter Krankheit in 
Anwendung zu bringen. Von allen Theorien über die Patho- 
genesis der Arteriosklerose scheint mir die dystrophische 
Theorie (Lobstein, Martin, Gull und Sutton, Krey- 
sig, Ziegler, Weigert, De man ge, Huchardetc.) 
am meisten« den Tatsachen zu entsprechen, laut welcher der 
erste Beginn und die innerste Ursache des Krankheitsprozesses 
in den Vasa vasorum gesucht werden muss. Diese 
können ihre Weite verändern, sei es wegen eines Krampfes 
oder wegen wirklicher anatomischer Alteration und in jenen 
Sektionen der Arterie, in welchen die Vasa vasorum Verände¬ 
rungen ihres Kalibers erleiden, müssen nach kürzerer oder 
längerer Zeit hystologische Veränderungen erfolgen. Es ist 
nun leicht verständlich, dass jene Teile der Arterie, die weniger 
von den Vasa vasorum gespeist werden, zuerst darunter zu 
leiden haben, und dies ist auch der Grund, weshalb der tiefere 
Teil der Intima derjenige ist, der am ersten und stärksten an¬ 
gegriffen wird. 

Mit der künstlichen Gehirnhyperämie ist es möglich, das 
Kaliber der Vasa vasorum ziemlich bedeutend zu beeinflussen. 
Wenn man einen elastischen Schlauch um den Hals legt und 
ihn unter einem gewissen Luftdruck (20—50 mm Hg) aufbläst, 
so vergrössern« sich die Venen des Halses und Kopfes und auch 
die kleinen Abzweigungen werden sichtbar. Die Kapillaren 
und mit diesen die Vasa vasorum vergrössern sich ebenfalls 
und das Blut zirkuliert in ihnen mit geringerer Schnelligkeit, 
der Blutdruck wird erhöht. Es entwickelt sich'in ihflfen jener 
Vorgang, der schematisch in Fig. 1 b dargestellt ist. 



Fig. lb. 



Fig. 1 a. Verteilung des normalen Blutdruckes, AB im arteriellen 
Gebiete, CD im venösen Gebiete. BC Druckabfall im Kapillargebiet. 
Fig. 1 b. Verteilung des Blutes während der künstlichen Stauung des 
Gehirns. Der Blutdruck in den Arterien ist gesunken (AB), und ver- 
grössert im venösen (CD) und Kapillargebiet (BC) des Kopfes. 
In dem Abschnitt BC zirkuliert ausserdem das Blut langsamer. 

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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1635 


In den Arterien und Abzweigungen derselben aber tritt 
das entgegengesetzte Phänomen auf; sie vermindern ihre Weite 
und auch der Blutdruck in ihnen wird herabgesetzt. Zum Be¬ 
weis dieser Behauptung genügt es, an das Verhalten der i 
Radialis während der Pression mit der Riva-Rocci-Binde zu | 
erinnern. 

Bei einem Greis mit Gehirnerweichung habe ich den 
Augenhintergrund vor, während und nach der künstlichen 
Hyperämie des Gehirns beobachtet. Vor der Hyperämie war 
eine ausgesprochene Venenpulsation zu bemerken, so dass 
ganz genau die Pulsschläge zu zählen waren. Während der 
künstlichen Hyperämie, hervorgerufen durch den Druck eines 
um den Hals gelegten Schlauches (50 mm Hg), veränderten die 
Arterien ihre Farbe und Grösse nicht, aber die Pulsation in den 
Venen hörte sofort auf, sie wurden grösser und die Farbe 
intensiver. Sobald der Schlauch entfernt war, trat die Pul¬ 
sation wieder auf und die Venen gingen auf die anfängliche 
Weite zurück. 

Bei verschiedenen Tierexperimenten konnte ich wieder¬ 
holt beobachten, dass, nachdem ein Teil der Gehirnmasse brei¬ 
artig verletzt worden und gleich darauf der elastische Schlauch 
um den Hals gelegt worden war, eine leichte Blutung auftrat, 
die unverkennbar den Charakter der Kapillarblutung trug. 
Wenn man dagegen kurze Zeit mit der Anlegung der Binde 
wartete, so trat auch diese Blutung nicht mehr ein, ein deut¬ 
liches Zeichen, dass die Erhöhung des Blutdruckes in den Venen 
nicht übermässig war. Ich habe auch Untersuchungen mit dem 
Manometer bei Hunden angestellt, um festzustellen, wie sich 
der Blutdruck während der Gehirnstase verhält. Nachdem ich 
die Carotis communis aufgeschnitten hatte, band ich den 
Zentralstumpf ab und : in den peripherischen Stumpf führte ich 
ein Manometer ein. Auf Grund der Kollateralzirkulation konnte 
ich dann in dem peripherischen Stumpf der Karotis die Endo- 
zerebralpression aufzeichnen. Wie aus der Fig. 2 a zwischen 
A und B deutlich hervorgeht, verminderte sich durch die 
Pression der Binde am Hals der Blutdruck im Gehirn um 
ca. 20 mm und gleichzeitig verminderte sich auch die Aus¬ 
dehnung der Arterie. 


ausgeführte Experimente die Harmlosigkeit des Mittels be¬ 
wiesen; ich verweise als Beispiel auf die K u h n sehe Methode 
in der Behandlung der Tuberkulose, auch bei frischem Blut¬ 
husten. Auch andere Autoren (Neu, Ke p p 1 e r, Bier, 
Schmieden etc.) haben die Gehirnstase bei verschiedenen 
Krankheiten angewandt, ohne irgend welche Nachteile zu be¬ 
merken. Ich selbst habe eine gewisse Erfahrung in diesem 
Argument, da ich die Methode systematisch bei etlichen 
20 Fällen anwandte, und zwar bei Individuen der verschieden¬ 
sten Alterstufen, mit deutlichen Zeichen von Arteriosklerose 
des Gehirns, ohne je den geringsten schädlichen Einfluss zu 
bemerken. In den ausgesprochenen Formen von Arterioskle¬ 
rose konnte ich keine objektiven Erfolge verzeichnen, etliche 
der Patienten behaupteten jedoch Besserung zu verspüren. 
Die grösste Schwierigkeit, die sich bei der Behandlung ergibt, 
ist die, dass die Kranken ihrer bei längerer Dauer überdrüssig 
werden. Als das ergiebigste Feld hat sich mir die initiale 
Arteriosklerose erwiesen, jene Form, die häufig unter der 
Flagge der Neurasthenie segelt und als solche erfolglos be¬ 
handelt wird. Bei Anwendung des elastischen Schlauches wird 
die Pression in demselben durch den Manometer kontrolliert; 
sie bewegt sich, wie gesagt, zwischen 20 und 50 mm. Ich halte 
täglich eine Sitzung ab von der Dauer einer halben Stunde 
bis zwei Stunden. In den auf die Höchstdauer verlängerten 
Sitzungen konnte ich manchmal am nächsten Tage eine leichte 
Schwellung der Augenlider beobachten, und zwar, was das 
Merkwürdigste ist, entweder nur an einem Auge oder doch viel 
bedeutender an einem Auge als am andern. Dem Patienten 
bereiten diese leichten Oedeme weiter keine Unannehmlich¬ 
keiten, aber sie sind ein neuer Beweis dafür, dass sich die 
Zirkulation des Blutes in den Gefässen nicht gieichmässig ab¬ 
spielt, selbst nicht in den gleichnamigen Gefässen. In der 
ersten Sitzung ist der Patient infolge des Strangulations¬ 
gefühles und der Anschwellung der Augen etwas ängstlich, 
aber in den folgenden Sitzungen verliert sich diese Angst. Ich 
habe nie regelmässige Veränderungen in Blutdruck des Armes 
I während und nach der Gehirnstase feststellen können, während 
Bier behauptet, eine Erhöhung des Druckes infolge der Hirn- 


Fig. 2 a. 



a—A Normaler Blutdruck u. Pulsationen. 
A Konstriktion der Meatus mit der 
Binde. 

A—B Blutdruck gesunken. Kleinere Pul¬ 
sationen. 

B Konstriktion aufgehoben. 

B—b Normaler Blutdruck u. Pulsationen. 


Fig. 2 b. 



Sobald die Binde vom Hals gelöst wurde, trat der Puls in 
B wieder in normaler Grösse auf und der Druck stieg auf die 
frühere Höhe. Dieses Experiment ist auch geeignet, die Furcht 
vor etwaiger Gefahr zunichte zu machen. Ein Bruch der 
Gehirnarterien während der Stase ist ausgeschlossen. Auf den 
ersten Blick scheint ja eine derartige Behandlung ziemlich ge¬ 
wagt und auch Bier warnt in einer Ausgabe seines Buches 
vor der Gehirnstase, soweit alte oder an Arteriosklerose | 
leidende Individuen in Betracht kommen. Aber anderseits , 
haben verschiedene in der Medizin mit der Stase nach Bier 

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reizung bemerkt zu haben. Die Veränderungen, die ich wahr¬ 
nahm, sind sehr gering und verschiedenartig. Die Frequenz 
des Pulses während der Gehirnstase erfährt eine leichte Stei¬ 
gerung (2—8 Schläge). In etlichen Fällen habe ich mit dieser 
Behandlung sehr beachtenswerte Resultate erzielt; Schwindel 
sowie die Zeichen psychischer Schwächung verschwanden und 
die Patienten bestätigten, sich viel besser zu fühlen. Ich bin 
der Ansicht, dass der reichlichere Blutstrom in den Kapillaren 
bezw. Vasa vasorum die Wucherungen der Intima der Gefässe 
verhindert und auflöst und die kleinsten Gefässe auf ihr nor¬ 
males Kaliber zurückbringt, so dass die Ernährung des Gehirns 
in physiologischer Weise vor sich geht. Wenn ich mir ge¬ 
statten darf, aus den wenigen von mir studierten Fällen eine 
Schlussfolgerung zu ziehen, so ist es die, dass die künstliche 
Hyperämie des Gehirns bei der Gehirnarteriosklerose ganz 
besonders aber in allen initialen Fällen versucht werden sollte. 


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16 36 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 . 


Aus der k. psychiatrischen Klinik in München (Professor 
Dr. Kräpetin) und dem allgemeinen Krankenhause Ham¬ 
burg-Eppendorf (Oberarzt Dr. N o n n e). 

Ergebnisse der zoologischen Untersuchung der Zere¬ 
brospinalflüssigkeit und deren Aussichten.*) 

Von Dr. O. Re hm. 

Als Quincke im Jahre 1891 die Lumbalpunktion in die 
Medizin einführte, dachte er zunächst an therapeutische Er¬ 
folge, wenn er Flüssigkeitsmengen dem Suba rachnoideal raum 
entnahm. Dann begann man, die entnommene Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit zu untersuchen; die Untersucher beschäftigten sich 
damit, die bakteriologischen Eigenschaften kennen zu lernen, 
ferner zu erforschen, ob der Druck, unter dem der Liquor aus- 
fliesst, von Bedeutung ist und wie er sich bei verschiedenen 
Erkrankungen verhält, und schliesslich bemühte man sich, die 
chemischen Verhältnisse, insbesondere den (lehalt an Eiweiss, 
kennen zu lernen. Was die zytologischen Eigenschaften der 
Zerebrospinalflüssigkeit betrifft, so begnügte man sich, zu 
wissen, dass bei Meningitis in den verschiedenen Formen eine 
Leukozytose oder Lymphozytose besteht. Französischen 
Autoren, von denen besonders R a v a u t, W i d a 1, Dev a u x, 
Dupre zu nennen sind, verdanken wir, dass die Unter¬ 
suchung des Liquors auf die syphilogenen und postsyphi¬ 
litischen Erkrankungen und weiterhin auf eine grosse Reihe 
von Krankheiten ausgedehnt wurde, die mit Affektionen des 
Zentralnervensystems verbunden sind. Bei den grundlegenden 
und eingehenden Untersuchungen der genannten borscher 
handelte es sich im wesentlichen darum, die Zellverhältnisse in 
der Zerebrospinalflüssigkeit kennen zu lernen und zu er¬ 
gründen, bei welchen Erkrankungen eine „Vermehrung der 
Lymphozyten“ vorhanden ist. Nissl 1 ) nahm 1904 als Erster 
in Deutschland die Untersuchung auf und bestätigte die Resul¬ 
tate der französischen Untersucher, was das psychiatrische 
Material betraf. In den Schlussätzen der Arbeit stellte 
Nissl als Forderung auf, es müsste die Zahl der Zell- 
elementc bei den verschiedenen Erkrankungen exakt be¬ 
stimmt werden und es müsste versucht werden, die A r t d c r 
Zellelemente zu studieren. Nach beiden Richtungen hin 
bot die allgemein übliche sogenannte „f r a n z ö s i s c h e“ 
Methode ungenügende Resultate. Die Methode bestellt 
darin, dass die Zerebrospinalflüssigkeit in stets gleicher Menge 
zentrifugiert wird. Das Zentritiigat wird unter gewissen 
Vorsichtsmassregeln mit einer Haarpipette ausgehebert, in 
gleich grossen Tropfen auf Objektträger gebracht, fixiert und 
gefärbt. Jeder, der die genannte Technik benützt hat, wird die 
Ansicht gewonnen haben, dass die Menge der Fehlerquellen, 
welche die Methode in sich birgt, eine sehr bedeutende ist und 
dass nur derjenige einigermassen exakte Resultate erreicht, 
welcher durch grosse Uebung die Fehlerquellen möglichst klein 
werden lässt. Es ist einzusehen - - und es haben sich auch 
verschiedene Autoren dahin geäussert - , dass die Resultate 
der verschiedenen Untersucher mit grosser Vorsicht mitein¬ 
ander zu vergleichen sind; nur die Ergebnisse eines Unter¬ 
suchers sind im Vergleiche untereinander zu verwerten. 

Fuchs und Rosen thal 2 ) gaben im Jahre 1904 eine 
Methode an, die in Anlehnung an die Z ä h I k a m m e r - 
niethode, mittels welcher die Zahl der Blutkörperchen be¬ 
stimmt wird, sich einer besonderen Zählkammer bedient, 
welche geräumiger wie die sonst gebräuchliche ist. Es wurde 
jetzt möglich, zahlenmässig festzustellen, wann wir von einer 
krankhaften Vermehrung der Zellelemente in der Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit sprechen können, ferner wie hoch die Zahl der Zellen 
sich im einzelnen Falle beläuft. Doch nicht nur über die Zahl 
erhalten wir bei der Zählkammeruntersuchung Aufschlüsse, 
sondern auch in gewissen (irenzeti, welche durch die Färb¬ 
barkeit und Vergänglichkeit der Zellen in der Kammer gegeben 
sind, über das Aussehen und die Form der Zellelemente. Für 


"') Nach einem Vortrag im biologischen Verein Hamburg, ge¬ 
halten am 7. April 190N. 

') Nissl: Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Psych¬ 
iatrie. Zentralbl. f. Nervenhcilk. u. Psychiatrie 1904. No. 171. 

*) F u c h s und Rosenthal: Physikalische, chemische, zyto- 
logische und anderweitige Untersuchungen der Zerebrospinalflüssig¬ 
keit. Wiener med. Presse 19U4, No. 44—47. 


eine eingehendere w issenschaftlichc Erforschung der Zellen 
genügte die F u c h s - R o s e n t h a I sehe Methode, die gegen¬ 
über der französischen den \ orteil der Exaktheit und prak¬ 
tischen Verwendbarkeit am Krankenbette hat. noch nicht. Das 
Problem, das zu losen war. bestand darin, eine Färbmethode 
auszuarbeiten, mittels welcher die in der Zerebrospinalflüssig¬ 
keit befindlichen Zellelemente unmittelbar verglichen werden 
können mit denen, welche sich in der Pia vorfinden. Alz¬ 
heimer-) gelang es 19(>7 .eine Methode aiiszuarbeiten. d e 
den Ansprüchen gerecht wird. Er fangt den Liquor in 9«» pro/. 
Alkohol auf; das Eiweiss gerinnt in Flocken oder in einem 
Netzwerk; das koagulum wird zentrifugiert, mit Alkohol und 
Aether w eiterbehaiidelt und das Sediment schliesslich m 
Zclluloidin eingebettet. Von den Methoden, mittels deren die 
Schnitte gefärbt werden können, stellte siJi die Färbung mit 
dem U n n a - P a p p e n h e i m schon Karbol - Methylgrun - 
pyronin als die praktisch geeignetste heraus. Wie bekannt, 
ist bei einer grossen Zahl von Prozessen des Zerebrospmal- 
systems die Menge des Eiweisses vermehrt; bei diesen Er¬ 
krankungen bekommt man ein mehr oder weniger reichliches 
Sediment nach Füllung durch Alkohol; bei Prozessen, die eine 
solche Vermehrung der Eiweissmenge nicht zeigen, erhalt 
man nur ein dünnes Häutchen als Sediment, dessen Weiter¬ 
behandlung und Schneiden Schwierigkeiten maUit. Diesem 
Uebelstande ist abzuhelteii durch Zusatz eines Tropfens 
Fiühnereiw eiss. An der Hand eines Materials von ungefähr 
(>5u Punktionen, deren Ergebnisse nach verschiedenen 
Richtungen hin verarbeitet worden sind, bin uh zu Resultaten 
gekommen, von denen ich in grossen Umrissen das, was sich 
in bezug auf Zill/ahl und Zellart ergeben hat. hier mitteile; 
eine eingehende Bearbeitung wird in kurzer Zeit veroifentheht 
werden. Als normaler Befund haben nach meinen 
Untersuchungen Zahlen von 1 5 Zellen in Kubikmillimeter 

der Zerebrospinalflüssigkeit zu gelten. Zell/ahlen soll <» 9 
Elementen sehe ich als li r e n z b e t u n d an. d. h. als einen 
Befund, der in der Mitte steht zwischen normalem und patho¬ 
logisch erhöhtem Zellgehalt. Als dieser (iruppe zugehörig 
erw ies sich ein grosser Teil der Falle, die aus der Anamnese 
eine luische Infektion erkennen besten, ohne zur Zeit der 
Punktion somatische Reste der Infektion zu zeigen. Ferner 
fallen in diese (truppe Falle mit Ficberdelmum und schhesshJi 
einzelne Fälle von Tabes dorsalis und progressiver Paralyse. 
Die p a t h o I o g i s c he Zell v e r m e h r u n g beginnt mit 
10 Elementen im Kubikzentimeter; bei Paralyse und huschen 
Prozessen des Zentralnervensystems betragt die Zahl meist 
zw ischen Jo und N», doch findet man sie aiuh bedeutend hoher, 
besonders bei Meningitis und Meim:g< myehtis Imca; bei 
diesen Prozessen sind Zeihmengen von ooo ui:d darüber niJit 
selten. Auffallend sind grosse Schwankungen in der Zellver¬ 
mehrung, die ohne obiektiv sonst nachweisbare Veränderungen 
des KTankhcitszustandes w ahr/unelmieii sind; jedoJi über¬ 
schreiten diese Schwankungen me die (ireu/e, die den patho¬ 
logischen Befund von dem normalen scheiden. Bei Hirnlues 
zeigte sich in Fallen, die mit (Quecksilber behandelt wurden, 
jedesmal nach einer I n u n k t i o n s k u r ein bedeutendes A h - 
sink en der Zahl d er Zell e n; eine mehrvv oJicnlhche 
Pause der Kur liess die Zell/ahl wieder empnrsJiriellen. Diese 
Erscheinungen beweisen, dass das Quecksilber einen direkten 
Einfluss auf die Zellproduktion aiiMibt. Da nun sicher ist. wie 
auch Erb an einigen Fallen feststehen konnte, dass die Zell- 
vermehrung objektiven Symptomen der 'Labes und Paralyse 
lange Zeit vorhergehen kann, so ist die Frage berechtigt, ob 
frühzeitige energische (Queckslherbehandhmg mehl dem 
späteren Entstellen genannter Erkrankungen Vorbeugen kann. 
Bei der Losung dieser Frage ist es notwendig, dass die Der¬ 
matologen nach exak'er Methode die Einwirkung des 
(Quecksilbers bei den Luikern mit Zellvermehrung unter¬ 
suchen und solche Falle weiter verfolgen. 

Was die Art der Zell e n betrifft, so finden sLh in der 
Z ä h 1 k a mm e r kleine und grosse Zellformen, die die Formen 
der Lymphozyten zeigen. Die grossen Lymphozyt«, n haben 
nicht selten eine mehr oder weniger deutliche Einkerbung des 


;t ) Alzheimer: Fällige NLt!:<ukri zur Fixierung der /e’hgtn 
Elemente der Zerebrosnina.iiussigkeit. ZintruiM. t. Nervuiliti.k. U. 
Psychiatrie 19t»7. No. QQ9. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 



4 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1637 


Kernes. Neben diesen zwei Formen finden sich Zellen, die 
einen unregelmässig gestalteten Zelleib haben und einen Kern 
von recht verschiedener Grosse zeigen. Der Plasmaleib ist 
voluminös im Verhältnis zum Kerne und ist vielfach in einen 
schwanzartigen Fortsatz ausgezogen. Diese Formen sind als 
Zellen mit grossem Plasmaleib zu bezeichnen. Weiterhin 
finden sich Zellen mit gittriger Struktur des Plasmas und Zeit¬ 
formen, die den polynukleären Leukozyten des Blutes nahe- 
stehen. Auf die klinischen Unterschiede kann ich hier nicht 
iräher eingehen; ich möchte nur darauf hinweisen, dass bei 
chronischen Prozessen die Lymphozyten überwiegen, während 
bei Prozessen mit akuten Erscheinungen die vielfach ge¬ 
schwänzten Zellen mit grossem Plasmaleib vorherrschen. 
Gitterzellen finden sich fast nur bei der progressiven Paralyse. 

Sehr viel besser zu differenzieren sind die Zellformen in 
den Präparaten nach der Alzheimerschen Methode. 
Hier sehen wir die verschiedensten Arten von Lymphozyten, 
weiterhin grosse und kleine geschwänzte Zellelemente und 
Gitterzellen. Von besonderem Interesse sind plasmazellen¬ 
ähnliche Elemente und Makrophagen. Solchen begegnen wir 
bei Meningitis, Apoplexie, Enzephalomalazie und einzelnen 
Fällen von Paralyse und Hirnlues . Fibroplasten und solchen 
ähnliche Elemente sehen wir bei einer Reihe von Fällen mit 
organischen Veränderungen des Zentralnervensystems. Von 
besonderer Wichtigkeit erscheinen mir Zellen mit Einlage¬ 
rungen meist amorpher Art. Solche finden wir bei verschie¬ 
denen Prozessen, besonders häufig und deutlich aber bei der 
Arteriosklerose und deren Folgeerscheinungen. Diese Ein¬ 
lagerungen stellen mit Wahrscheinlichkeit Zerfallsprodukte dar, 
die durch dazu geformte Zellen in die Zerebrospinalflüssigkeit 
abgeführt werden. 

Es ist zu ersehen, dass künftigen Untersuchungen' Probleme 
in Menge Vorbehalten sind. So ist noch nicht entschieden, 
ob wir es bei den einzelnen Erkrankungen mit einer menin.- 
gitischen Reizung oder einer direkten Toxineinwirkung 
zu tun haben; erstere scheint mir die grössere Wahrscheinlich¬ 
keit zu haben. Es ist zu untersuchen, ob der Ursprung 
der Zellelemente ein histiogener (Pappenheim und 
Unna) oder ein hämatogener (M a r s c h a 1 k 6) ist. Ferner¬ 
hin. ist es notwendig, und das scheint mir von besonderer 
Wichtigkeit, der Art der Zelleinischlüsse auf mikro¬ 
chemischem Wege auf die Spur zu kommen. 

Mit der weiteren Ausarbeitung dieser Fragen 
und der genaueren Kenntnis der Zellelemente, wozu die Alz¬ 
heimer sehe Methode die beste Handhabe bietet, wird es 
möglich sein, in der Zählkammer eine eingehendere Differen¬ 
zierung der Zellen vorzunehmen und so die gewonnenen Re¬ 
sultate durch diese exakte Methode direkt am Krankenbette 
zu verwerten. Es wird sich dann die Ueberzeugung mehr und 
mehr Bahn brechen, dass die zytologische Untersuchung der 
Zerebrospinalflüssigkeit nicht nur der Psychiatrie und Neuro¬ 
logie, sondern auch der gesamten klinischen Medizin ebenso 
wertvolle Resultate verschafft, wie sie die zyto¬ 
logische Untersuchung des Blutes seit langer Zeit bietet. 


Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik in München (Vorstand: 

Prof. M. P f a u n d 1 e r). 

Karottensuppe bei Ernährungsstörungen der Säuglinge. 41 ) 

Von Privatdozent Dr. Ernst M o r o, Oberarzt der Klinik. 

Versuche, neugeborene Meerschweinchen mit Kuhmilch 
aufzuziehen, schlagen bei Tieren von mittlerem Geburtsgewicht 
fast regelmässig fehl. Zumeist stellt sich schon am 3. oder 
4. Fütterungstage eine akute Ernährungsstörung ein, der die 
jungen Tiere in wenigen Stunden erliegen. Das schwere 
Krankheitsbild erinnert in seinen groben Umrissen an eine Ver¬ 
giftung; ich habe diesen Zustand mit der alimentären Intoxi¬ 
kation der Säuglinge verglichen. Bei einsetzender Kuhmilch¬ 
krankheit gelingt es aber oft, die bedrohlichen Symptome in 
kurzer Zeit zum Schwinden zu bringen, wenn man die Jungen 
an die Mutterbrust anlegt oder wenn man ihnen aus¬ 
schliesslich Vegetabilien (dünn geschnittene Ka¬ 
rottenscheiben) als Nahrung verabreicht. Diese Be- 


*) Vortrag, gehalten in der Sitzung vom 19. Juni 1908 der 
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde. 


obachtung führte mich dazu, auch bei einigen, an akuten Er¬ 
nährungsstörungen erkrankten Säuglingen als passagere Diät 
die ausschliessliche Verabfolgung von Vegetabilien zu ver¬ 
suchen, und zwar verwendete ich in Fleischbrühe eingekochte 
Karotten . Ueber den günstigen Erfolg meiner ersten Versuche 
mit dieser Karottensuppe habe ich bereits im September vorigen 
Jahres kurz berichtet. 1 ) 

Zubereitung und Zusammensetzung der Karottensuppe. 

500 g Karotten werden abgeschält (abgeschabt); der Rückstand 
(375 g) wird zerkleinert und mit Wasser so lange eingekocht, bis die 
Gesamtmasse etwa 200 ccm beträgt (Dauer ca. V» —% Stunde). Die 
eingekochte Masse wird nun durch ein feinstes Drahtsieb, aui dem 
fast kein Rückstand bleibt, in 1 Liter Fleischbrühe gedrückt und 
6 g Kochsalz zugefügt. 

Die Brühe wird aus 50 g Rindfleisch (und Knochen) hergestellt. 
(Kalt ansetzen!) 

Die Karottensuppe soll täglich frisch bereitet und an einem 
kühlen Orte aufbewahrt werden. Ihr Preis ist relativ hoch; seine 
Höhe wechselt je nach der Jahreszeit. 

Die Zusammensetzung der Karottensuppe ergibt, berechnet nach 
Analysen in Königs Chemie der menschlichen Nahrungs- und Ge¬ 
nussmittel, 1903, die in der folgenden Tabelle eingezeichneten Werte. 

A entspricht den Analysen nach W. Dahlen in Bd. II, S. 917; 
B entspricht der Analyse von J. B. Bousingault in Bd. I, S. 762; 
C entspricht den Analysen in Bd. I, S. 765. Die punktierten Linien in 
den ersten 4 Kolumnen markieren die Werte für die Fleischbrühe; 
ihrer Berechnung wurde die Analyse in Bd. II, S. 1445 zugrunde 
gelegt. 

Berechnet man in üblicher Weise den Bruttokaloriengehalt der 
Karottensuppe, so erhält man Werte von 235 bis 260 Kalorien pro 
Liter Suppe. 

Nach einer Bemerkung in K ö n i g s Nahrungsmittelchemie, Bd. II, 
S.913, enthalten die Karotten Saccharose und Glukose, und zwar etwa 
in dem Verhältnis 1 :2. 

Der Zuckergehalt sowie auch die übrige Zusammensetzung der 
gelben Mohrrüben scheint nach Reifezustand (Jahreszeit) nicht un¬ 
erheblich zu schwanken; vermutlich sind für die Zusammensetzung 
auch andere Einflüsse massgebend. 

Klinische Beobachtungen. 

Die Karottensuppe wurde an der Säuglingsstation der 
K. Kinderklinik bisher an 37 und an der Poliklinik an 11 Säug¬ 
linge verabreicht. Das Alter der meisten Säuglinge betrug 
weniger als 6 Monate; der jüngste mit Karottensuppe be¬ 
handelte Säugling war 2 Wochen alt. Von den klinisch genau 
beobachteten Fällen betrifft ein grosser Teil unkomplizierte 
Ernährungsstörungen, teils akuter, teils chronischer und ex- 
azerbierender Art. Insbesondere wurde die Wirkung dieser 
Diätform studiert bezüglich der akuten Nährstoffver¬ 
giftung (im Sinne von Finkeisteins „Intoxikation“) 
einerseits und der Atrophie der Flaschenkinder 
andererseits. 

In der überwiegenden Mehrzahl der Beobachtungen* trat 
auf Verabreichung der Karottensuppe ein günstiger Effekt zu¬ 
tage, der von uns auf diese Diät bezogen werden konnte, da 
wir uns dabei grundsätzlich jeder medikamentösen Behandlung 
und mit wenigen Ausnahmen auch anderer therapeutischer Ein¬ 
griffe enthielten. 

a) Beobachtungen an akuF ernährungsge¬ 
störten Säuglingen. Hier verabreichten wir die 
Karottensuppe ursprünglich nur jenseits einer 1—3 tägigen 
Wasserdiätperiode, somit jenseits einer bereits eingeleiteten 
oder komplett erscheinenden Entgiftung, in solchen Fällen, in 
denen wir Ursache hatten zu befürchten, dass auch die in dieser 
Periode sonst übliche Kuhmilchverdünnung oder eine andere 
Schonungskost vom Kinde noch nicht schadlos toleriert würde. 
Auf Verabreichung der Karottensuppe, einer in grösseren 
Mengen von fast allen Kindern gern genommenen ") und sic an¬ 
scheinend befriedigenden Nahrung, traten jedenfalls neuerliche 
toxische Zeichen unter keinen Umständen auf, vielmehr bildeten 
sich die bedrohlichen, für die Vergiftung charakteristischen 
Symptome mindestens in gleichem Masse zurück wie während 
der Wasserdiät. 

Auf diese Beobachtung hin glaubten wir in neuerer Zeit 
auf die Wasserdiät zu Entgiftungszwecken überhaupt ver- 


*) Moro: Experimentelle Beiträge zur Frage der künstlichen 
Säuglingsernährung. Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 45. 

3 ) Eventuell mit Saccharin versiisst. 


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1638 


MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 31. 


zichten zu können und verabreichten den Säuglingen auf dem t 
Höhepunkte der Nährstoffvergiftung ausschliesslich Karotten¬ 
suppe, und zwar „a discrction 4 '. Das Ergebnis dieser allerdings 
noch spärlichen Versuche rechtfertigte das Vorgehen: Wir 
sahen in 1—3 Tagen die schweren Kollapserscheinungcn, Un¬ 
ruhe, Bewusstseinstörungen, abnorme Atmungstypen (nach 
F i n k e 1 s t e i n), Turgor- und Tonusverluste, Blässe, insbe¬ 
sondere auch Erbrechen und Abführen verschwinden. Von 
den registrierbaren Symptomen konnte uns in erster Linie das 
Verhalten von Körpergewicht und Temperatur nach Massgabe 
der bezüglichen Beobachtungen F i n k e I s t c i n s als Richt¬ 
schnur dienen; die Entfieberung erfolgte sehr prompt (nur aus¬ 
nahmsweise nach mehr als 24 Stunden) und die Temperatur¬ 
kurve wurde geschnitten von der steil anstrebenden (jcw iclits- 
kurve. 

Als Beispiele dafür mögen einige Tabellen folgen. Sie beziehen 
sich auf 4 Lalle von alimentärer Intoxikation, die mit Karottensuppe 

behandelt wurden. Die aus- j 
gezogene Linie entspricht I 
der Temperatiirkurve. die ] 
punktierte Linie entspricht J 
der Oewichtskurve. Am i 
Lasse der Tabellen ist die 
Kostform verzeichnet. Die i 
schwarz gehaltenen Ru¬ 
briken kennzeichnen die dar- ! 
gereichten Mengen von Ka- I 
rottensuppc. | 

Angesichts des tvpisclu n , 
Verlaufes der einzelnen 
Kurven kann ich es mir er- \ 
sparen, auf ihre Besprechung 
näher einzugehen. i 

In einzelnen b'ällen war 
die Veränderung des Bildes 
bei der Entgiftung durch 
Karottensuppe eine überaus 
sinnfällige: Säuglinge, die 
äusserst schlaff, blass, mit 
verzerrten Zügen, geöff¬ 
neten Mund eingebracht wurden, trafen wir am nächsten oder zweiten 
Tag voller, mit frischem Blick, mit recht gutem Taint. mit geschlos¬ 
senem Mund und der für gesunde Kinder charakteristischen Haltung, 
den grössten Teil des Tages in ruhigem Schlafe liegen. 


t tW JMon Hr 07.506. 

ne 7 0 9 10 11 !.’ JJ 1* O ff t: 18 19 ,'C Jt ~ 



Nach verschieden langer Verabreichung dieser Kostform 1 
gingen wir zumeist ohne Schwierigkeiten zur Kuhmilchdiät | 
über und es konnten die Kinder mit Anweisungen zu einer ratio¬ 
nellen künstlichen Ernährung entlassen werden. ! 

b) Beobachtung e n an ehr o n i s c h er n ä h - 
r u n g s g c s t ö r t e n Säuglingen. Bei Atrophikern mit I 
und ohne dyspeptisclie Erscheinungen wurde last ausnahms- | 
los ein steiler (lewichtsanstieg auf Verabreichung der auch 
von solchen Kindern gern und in grosser Menge konsumierten 1 
Karottensuppe festgestellt . Diese (iew iclitszunahme w ar häu¬ 
fig gleichfalls mit Besserung des Allgemeinzustandes und mit ' 
Rückgang sog. Magendarmsymptome verbunden. Besonders ; 
hervorheben möchte ich das prompte Sistiercn des] 
r b r e c h en s und die rasche Spontanheilung der Soor-Sto- 



stomatitis. Die einzigen zwei Atrophikcr’TSTt auf Karottensuppe 
nicht mit (iew iclitszunahme reagierten, starben m wenigen 
'lagen. 

Die chronisch crnähruugsgeMorten Kinder wurden von 
uns lange Zeit, mitunter bis zu 3 \\ < eben, auss Jiliesslidi oder 

e : r *m • :y 



vorwiegend mit Karottensuppe gefuttert. Mcbei konnten wir 
ausserdem folgende bemerkenswerte Bu'Lavhtm.gcii m.i Jien; 
Einmal zeigte sich, dass mitunter in wenigen Tagen tiedunseit- 
heit bis deutliche Oedeme im (iesichie und an den Beinen auf- 
traten, die übrigens dnrJi Ausselzen oder Reduktion der 
Karottensuppe leicht wieder zum \ ersjiw u.de n gebracht 
werden konnten. Ferner Zeigte siJi, dass wahrend der \ ege- 


r ■ . 



labilen Diätperiode die Toleranz der Säuglinge ge ge n artfremde 
Milch deutlich anstieg. KubmiLlirata>r.e n. d.e \or der Ka¬ 
rottenperiode ,,paradoxe R eakljoneii" l.m Linkei¬ 

st e* i u s), ja richtige Nahrsp» tT\ ergiftung erzeugt hatten, 
wurden hinterher meist physiologisch erledigt, d. h. sie be¬ 
wirkten günstiges (iedeihen. 


Wirkung der Karottensuppe. 

Leber den Effekt lind die Wirkungsweise der Kamttui- 
suppc hisst sich auf (irund rem kitnischvr Beobachtungen mir 
ganz weniges mit Sicherheit erschlossen. Die Fragestellungen, 
die sich ergeben, wurden siv.li iiaturgemäss auf Digestion, Re- 
Sorption und Retention aller einzelnen iLstaivIte !e beziehen. 
Darüber konnten nur eingehende St« ü- und K rafrw echse \ er¬ 
suche das letzte Wort sprechen. SolJte an/ustOT n. war aus 
äusseren (irimdeti bisher nicht moghji. 

Die klinische Heobuvhtung erg.lv h.: siJit'iJi der St« ff- 
w echselv'erhältnisse lediglich, d a s > die g e s a m t e Km- 
m a s s e der K a r o 11 e n k i t: d e r t i n e sehr er h e b - 

liebe ist und dass während d l r K a r o t t e n d i a t 

eine vor w i e g c n d d u r c h W a s s e r r e t e n t i o n v e r - 

u r $ a c h t e Ci e w i c h t s z u n a h m e s t a t t h a t. 


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4 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1639 


Die in grösserer Zahl abgesetzen Stühle waren breiig, kopiös, 
meist geruchlos und von gelber oder rötlichgelber Farbe. 

Bakterioskopisch betrachtet zeigte das Stuhlbild ein eigenartiges 
Verhalten: Auffallend wenig Bakterien, gramnegative Arten entschie¬ 
den dominierend, grampositive Formen zumeist nur in recht ge¬ 
ringer Zahl. 

Das Aussehen des Stuhles würde — wenn solche Schlüsse grund¬ 
sätzlich zulässig wären — vermuten lassen, dass die Resorptions¬ 
verhältnisse bei dieser Nahrung sehr ungünstige sind. 

Angesichts des Verhaltens der Stühle scheint es gerechtfertigt 
die Frage aufzuwerfen, ob die Karottensuppe überhaupt als Nähr¬ 
stoffträger wirksam ist, ob sie, abgesehen von der Wasserzufuhr, 
eine erhebliche Vermehrung der Körpermasse zur Folge hat. Einen 
Anhaltspunkt dafür, dass dies zutrifft, ergaben unsere Beobachtungen 
nicht. Die Ausnützung der Rohfaser durch den Säugling ist gewiss 
eine sehr geringe; jedoch enthält die Karottensuppe neben der Roh¬ 
faser Nährstoffe, die denselben Gruppen angehören wie jene der 
Milch, und zwar sogar in Proportionen ähnlich jenen gewisser Säuger¬ 
milcharten, z. B. der Eselinnenmilch. Es überrascht zu erfahren, dass 
eine Schädigung der milchintoleranten Säuglinge durch diese Nähr¬ 
stoffe nicht statthat. Namentlich muss es auffallen, dass 
mehr als2proz. Zuckerlösungen als Karottensuppe 
anstandslos in oder unmittelbar nach der schwe¬ 
ren Intoxikation nicht nur keine ungünstige, son¬ 
dern eine offenbar sehr günstige Wirkung haben. 
Wenn auch der Fettgehalt unserer Kost ein niedriger ist, so war 
doch a priori zu gewärtigen, dass auch von diesem Fett bei manchen 
Kranken Schaden verursacht werde, was ebensowenig zutraf. 

Die Urinmenge bei den mit Karotten gefütterten Kindern war 
eine grosse. Abnorme Bestandteile, insbesondere Eiweiss oder 
Zucker, wurden niemals angetroffen. 

Ueber die Ursache der Wasserretention kann wohl kaum 
ein Zweifel sein; offenbar handelt es sich hier hauptsächlich 
um die Folgen einer salzreichen Nahrung als solcher. Wir 
konnten uns nämlich davon überzeugen, dass nach obigem Re¬ 
zepte zubereitete, aber durch einige Stunden gegen destilliertes 
Wasser dialysierte Karottensuppe eine derartige Körper¬ 
gewichtszunahme zumindestens nicht bewirkt. 

Die Wässerung des Körpers durch Karottensuppenkost ist 
eine ausserordentlich prompte und eine ausserordentlich be¬ 
trächtliche. Wir erzielten z. B. bei einem 2500 g schweren, 
2Y monatigen Kind in 5 Tagen 6ine Zunahme von 1400 g; in 
einem anderen Falle bei einem *2000 g schweren, 2 Wochen 
alten Kind in 8 Tagen eine Zunahme von 1000 g. In den Aus¬ 
nahmsfällen, in denen diese Wasserretention nicht stattfand, 
erfolgte, wie erwähnt, binnen kürzester Zeit der letale Ausgang. 
Darnach möchte diese Retention als eine der primitivsten Lei¬ 
stungen des Organismus zu betrachten sein. 

Geht man plötzlich oder allmählich von der vegetabilen 
zur Milchdiät über, so sieht man in den ersten Tagen manchmal 
nicht unerhebliche Gewichtsverminderungen eintreten, die 
aber, von keinerlei toxischen Erscheinungen begleitet, sich als 
blosse Wassergehaltsschwankungen zu erkennen geben; sehr 
vorsichtiges Vorgehen lässt übrigens diese Gewichtsver¬ 
minderungen manchmal auch ganz vermeiden. Setzt man die 
Karottenfütterung durch längere Zeit fort, so wird eine gewisse 
Körpergewichtsakme erreicht und mit mehr weniger erheb¬ 
lichen Schwankungen innegefialten. 

Dass uns die Karottensuppe ermöglicht, 
den. imStadium akuten Wasserverlustesoder 
habitueller E-xsikkation befindlichen Säug¬ 
ling grosse Mengen von Wasser rasch, und 
zwar in schonender und an sich jedenfalls un- 
gefährlicherWeisezuzuführen.erscheintuns 
das wertvollste an dem Verfahren. 

Wasseranreicherung des Körpers lässt sich durch beliebige salz¬ 
haltige Flüssigkeit herbeiführen. Erst jüngst berichteten Heim und 
John 3 ) über die guten Erfolge, die sie durch die interne Verab¬ 
reichung von Salzlösungen bei den akuten Ernährungsstörungen der 
Säuglinge erzielten. Diese beiden Aerzte bedienten sich einer 1 proz. 
Salzlösung (5 g Kochsalz und 5 g doppeltkohlensaures Natron auf 
1 Liter destilliertes Wasser) und sahen bei passagerer Verfiitterung 
dieser von ihnen als „physiologisch^ Lösurig“ bezeichneten Flüssigkeit 
die gefährlichen Erscheinungen der Exsikkation rasch schwinden. 

Die Karottensuppe scheint uns aber doch noch gewisse 
besondere Vorzüge zu besitzen. 


3 ) Heim und John: Ueber die interne Anwendung von Salz¬ 
lösungen bei Behandlung der akuten Ernährungsstörungen im Säug¬ 
lingsalter. Monatsschr. f. Kinderheilk., Februarheft 1908. 


Erstens ist die Karottensuppe eine Nahrung, 
welche das kranke Kind in hohem Masse be¬ 
friedigt. Sie wird nicht allein gern und in grösseren 
Mengen genommen, sondern der Säugling hat nach 
der Mahlzeit das Gefühl der Sättigung und ver¬ 
hält sich meist so wie ein gesundes Kind nach Aufnahme seiner 
Milchmahlzeit. Dieser Umstand ermöglicht es, den Säugling 
durch 1 ä n g e re Z e i t auf ausschliessliche Karottensuppen¬ 
diät zu setzen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass 
gerade eine solche längere Karottensuppenperiode den sog. 
„Zustand“ des Kranken in günstigem Sinne beeinflusst. E s 
steigt die Nährstofftoleran-z während dieser 
Karenzperiode nachweislich an. Man kann sich 
davon leicht überzeugen, wenn man ein bestimmtes Nähr¬ 
experiment mit Milchverdünnungen vor und nach der Karotten¬ 
diät unter gleichen äusseren Umständen anstellt. Darin sehen 
wir vorläufig den zweiten, durch das Verfahren vermittelten 
Nutzen. 

Es ist ferner zu erwägen, ob es zweckmässig ist, als 
Zwischendiät bei ernährungskranken Säuglingen durch längere 
Zeit eine Kost zu verabreichen, die — ausser Salz — über¬ 
haupt keine Nährstoffe enthält und die Magen und Darm nicht 
zu füllen imstande ist. Vielleicht nützen Nährstoffe der 
Zwischendiät gerade dann, wenn sie nicht oder nur zum ge¬ 
ringen Teil resorptionsfähig sind, weil sie den Darm nicht 
leerlaufen lassen und weil sie einen gewissen förder¬ 
lichen funktionellen Reiz setzen, jedenfalls den Organismus der 
Verdaungsfunktionen nicht entwöhnen. 

Endlich möchte ich an dieser Stelle an die rasche und * 
durchgreifende Veränderung des bakterioskopischen Stuhl¬ 
bildes erinnern, die in den ersten Tagen der Karottendiät ein- 
tritt. In der Mehrzahl der Fälle ist die Flora der flüssigen 
Stühle intoxizierter Kinder durch das Dominieren gram¬ 
positiver, schlanker Stäbchen ausgezeichnet. [Blaue Bazillose 
(E s c h e r i c h), azidophile Flora beim akuten Enterokatarrh 
(Saig e)] 4 ). Dieses eigenartige und vielfach beschriebene 
Bild verschwindet sehr prompt, die Stühle werden bakterien¬ 
arm, gramnegative Arten treten in den Vordergrund. Die 
Karottendiät führt demnach zu einer radi¬ 
kalen Umstimmung der Darmflora und ar¬ 
beitet so zweifellos auch den Gefahren der 
endogenen Infektion wirksam entgegen. 

Indikationen und Kontraindikationen. 

Die vorläijfigen Indikationen der Karottensuppendiät 
scheinen uns namentlich gegeben durch den toxischen, von 
Exsikkation begleiteten Symptomenkomplex bei akuten Er¬ 
nährungsstörungen und durch die auf Nährstoffintoleranz be¬ 
ruhende Flaschenkinderdyspepsie. Ernährungsstörungen, die 
erfolgreich durch zweckmässige Milchverdünnungen behandelt 
werden können, erübrigen selbstverständlich das Vorgehen mit 
•Karottensuppe. 

Unzulässig erscheint uns, die ausschliessliche Karotten¬ 
suppendiät fortzusetzen, wenn die Wässerung des Körpers zu 
beträchtlichen Oedemen geführt hat. Auch die durch aus¬ 
schliessliche oder vorwiegende Kohlehydraternährung be¬ 
dingten Schädigungen (Mehlnährschaden nach Czerny und 
Keller) möchte ich, trotzdem mir darüber spezielle Beob¬ 
achtungen fehlen, in den Bereich der Kontraindikationen ein¬ 
beziehen. 

Die sog. Gemüsesuppen der Franzosen. 

Die Einführung von Gemüsesuppen- in die diätetische 
Therapie der Ernährungsstörungen im Säuglingsalter ist nicht 
neu. Im Laufe meiner Untersuchungen habe ich in Erfahrung 
gebracht, dass zuerst M e r y in Paris im Jahre 1903 auf den 
günstigen Effekt von Gemüsesuppen bei der „akuten Gastro¬ 
enteritis der Säuglinge“ aufmerksam machte. Seither werden 
in Frankreich Gemüsesuppen bei schweren Ernährungs- 


4 ) Nebenbei sei erwähnt, dass die Gram-positive Flora, der wir 
in den Stühlen bei alimentärer Intoxikation begegnen, nach Unter¬ 
suchungen zu schliessen, die ich gemeinsam mit Herrn Dr. H. 
Schmidt ausführe,■ entgegen allen bisherigen Annahmen, h;iü f '- 
identisch ist mit dem B. bifidus communis. 


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164U 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


Störungen der Säuglinge mit Vorliebe und gutem Erfolg ange¬ 
wendet 5 ). 

Wie ich einer jüngst erschienenen Broschüre von Pehu: 
L’Alimentation des Enfants Malades, Paris 19U8, entnehme, 
existieren in Frankreich bereits verschiedene bormein tur die 
Zusammensetzung der Gemüsesuppe (v. Mery, Comb y, 
V a r i o t u. a.). Die sog. Gemüsesuppen der Franzosen unter¬ 
scheiden sich aber meines Erachtens nicht unwesentlich von 
der oben beschriebenen Karottensuppe. Sie steilen nur ein 
mit Kochsalz versetztes wässeriges Dekokt verschiedener 
Arten von Gemüsen dar. Bestimmte Mengen von Kartoffeln, 
Karotten, Kohlrüben, trockenen Erbsen und Bohnen werden 
stundenlang in Wasser gekocht und das mit Kochsalz ver¬ 
setzte Filtrat wird mit oder ohne Beigabe von Mehl bezw. 
Schleim den Säuglingen verabreicht 0 ). Die Wirkung dieser 
Leerkost deckt sich im wesentlichen mit jener reiner Salz¬ 
lösungen, entbehrt aber, gleich diesen, aller jener Vorteile, die 
ich als besondere Vorzüge der Karottensuppe angeführt habe. 

Aus der k. k. Universitäts-Kinderklinik in Wien (Vorstand: 

Hofrat E s c h e r i c h). 

Ueber Antitoxinresorption vom Rektum aus. 

Von Dr. Franz Hamburger und Dr. Romeo M o n t i. 

Gelegentlich einer hier an mehreren Kindern dnrehge- 
fiihrten Tuberkulosebehandlung mit Serum von Marmor e k, 
das sowohl subkutan als auch rektal einverleibt wurde, legten 
wir uns die Frage vor, ob denn überhaupt Anhaltspunkte dafür 
vorhanden seien, dass bei rektaler Serumapplikation die wirk¬ 
samen Bestandteile als solche ins Blut gelangen oder nicht. 
Wäre letzteres der Fall, so wäre selbstverständlich die rektale 
Einverleibung der subkutanen bei weitem vorzuziehen. Weiss 
man doch besonders seit den Untersuchungen v. Pirquets 
und Schicks 1 ), welch unangenehme Nebenwirkungen 
wiederholte Seruminjektionen haben. 

Die rektale Serumeinverleibung bei der Marmorekbehand- 
lung hat zuerst Frey vorgeschlagen 3 ) und über gute Resultate 
berichtet, die seither von einigen Autoren bestätigt, von einigen 
sucht bestätigt werden konnten. 

Wie Hesse sich denn nun die Frage, ob die Schutzstoffe 
des Marmorekserums nach rektaler Applikation resorbiert 
werden, direkt experimentell beantworten? Wenn wir irgend 
eine Methode hätten, diese Schutzstoffe so nachztiweisen, wie 
wir Diphtherie- oder Tetanusantitoxin experimentell nach- 
weisen können, so wäre diese Frage sehr leicht zu beant¬ 
worten. Wir bestimmten einfach die Schutzkraft im Blut der 
Patienten vor und nach dem Serumklysma und könnten dann 
diese Frage bejahen oder verneinen, je nach dem ob w ir eine 
Zunahme der Schutzstoffe gefunden hätten oder nicht. Vorder¬ 
hand sind wir jedoch leider noch nicht in der Lage, mit dem 
M a r m o r e k sehen Tuberkuloseserum so exakt zu arbeiten 
wie mit Diphtherie- oder Tetanusserum. 

Es kann daher vorderhand die hier zu behandelnde Frage 
nicht direkt experimentell angegangen werden. Wir können 
nur indirekt an sic herantreten und dann aus den gewonnenen 
Befunden Analogieschlüsse ziehen, die dann freilich nur den 
Wert von Wahrscheinlichkeitsschlüssen beanspruchen können. 

Schon E s c h e r i c h a ) hat seinerzeit an einem Falle nach¬ 
gewiesen, dass Diphtherieantitoxin nach rektaler Applikation 
nicht ins Blut übergeht. Aus der letzten Zeit liegen sehr ge¬ 
naue Untersuchungen von H. Pfeiffer 4 ) vor, der nachwies, 
dass die präzipitable Substanz von Hühnereiklar sowie von 
Pferde- und Rinderserum vom Rektum aus nie oder fast nie 
resorbiert wird. Da nun w eiterhin, wie Dehne und F. H a m - 
bürg er 5 ) zeigen konnten, Diphtherie und Tetanusantitoxin 

Ä ) Vergl. L. Rivct: Recherches cliniqucs, hactcriulngiuues et 
urnlogiques sur l’evolution des Gastro-entcrites infantiles (inflnence 
de divers regime). These de Paris 1907. 

“) Genaue Angaben darüber finden sich in Pehus zitierter Bro¬ 
schüre S. 65 und 66. 

*) Die Serumkrankheit. Monographie. 1905. Verlag Deuticke. 

5 ) Berl. klin.-therap. Wochenschr. 1905, No. 42. 

3 ) Wiener klin. Wochenschr. 1897, No. 36. 

') Zeitschr. f. experim. Pathologie, 3. Bd, S. 89 ff. 

') Wiener klin. Wochenschr. 1904, No. 29. 


innig mit der präzipitablen Substanz verbunden sind, so war 
von vornherein anzunehmen, dass diese Antitoxine (und wahr¬ 
scheinlich auch andere Antitoxine) vom Rektum aus nicht ins 
Blut übergehen. Immerhin aber erschien es uns der Muhe 
wert, entsprechende Versuche an einer grosseren Anzahl von 
Kindern anzustellen. 

Wir arbeiteten mit Tetanusantitoxin vom Pferd. Tetanus¬ 
antitoxin ist bei dem von uns verwendeten Serum noch in einer 
Verdünnung von I: 1 Million nachweislich, erlaubte also noch 
ganz geringe Spuren eventuell resorbierten Serums nach¬ 
zuweisen. Die mit diesem Serum gewonnenen Resultate 
zeigen uns direkt das Verhalten des Tetanusantitoxms. Sie 
gelten auch nach den von Dehne und F. Hamburger’) 
sowie von Sacharoft ) gemachten Experimenten iur Di¬ 
phtherieantitoxin. Ob sie auch aut die Schut/stofie des Auto 
tuherkuloseserums von Marmorek an/uw enden sind, ist 
noch fraglich. Wahrscheinlich ist es wohl. Es folgen die Ver¬ 
suche : 

Am 2. VIII. 07 erhaben 5 Kinder (Prot.-No. 1 143, 1949, Joos, 1211. 
105s) 5 ccm Tetanusserum per Kl\sma. 

Am 4. VIII. Blutentnahme aus Jen Ohrläppchen der hetri ’Vriden 
Kinder. Das abgeschiedene Serum wird auf seinen TetamisautiP >xin- 
gelialt in folgender Weise geprüft. 

Mause erhalten 0 . 0000.43 Tetanustoxm gemischt mit 0.5 ^m 
Serum der betreffenden Kinder subkutan iim/urt. 

1. Kontrolletier .... protrahierter Tetanus 

2. Serum Pat. 1143 . . . , 

3. w . 1049 . . 

*• . „ 1«^8 . . 

5. . . 1211 . . bleibt gesund 

0. , . 1 *>55 . . protrahierter letanus. 

Von 5 Kindern waren also nur bei einem n.uhw eisbare Mengen 
Von Antitoxin vom Rektum aus resorbiert worden. 

Denselben Kindern wurde mm am 5. \ III. 07 I etamisantit-'Xiii sub¬ 
kutan imi/iert. und zwar 0.5 ccm auf 1 kg Körpergewicht berechnet. 
Am 7. VIII. wurde den Kindern Blut entnommen und dieses auf seinen 
Gehalt an Tetanusantitoxin untersucht. 

Die Mause erhalten je O.oooo.u Tetanuvtoxin gcmisjit mit 
0.25 ccm Serum der Kinder subkutan inuziert. 

1. Serum v. Pat. 1143% 

2. . . . lloo 

3 . . „ . 1059 

4. . • « l«»9s bleiben alle gesund*) 

5. ... l"-^ 

6 . ... 1211 

7. ... 1949 

Es schützten also von dem Serum der subkutan in¬ 
jizierten Kinder 0,25 ccm, während von den rektal be¬ 
handelten Kindern nicht einmal 1 ? ccm einen nachw eislicben 
Schutz entfalten konnte. Wie ein weiterer Versuch Zeigte, war 
die Antitoxinmenge in dem Blut der subkutan behandelten 
Kinder eine sehr beträchtliche: denn ihr Serum schützte selbst 
noch in der Menge von 0.n25 ccm. und zwar gegen ein Toxiu- 
menge, die das 3 fache der in den ersten beiden Versuchsreihen 
verwendeten betrug. 

Die Mäuse erhalten ie O.oooi Tct.mustoxm gemivht mit 
0.025 ccm Serum der am 7. VIII. 07 subkutan nm/urten Kinder. 

Alle Tiere bleiben gesund, wahrend das Kontf'ietier schweren 
Tetanus zeigt. 

W ir baiien dann an einer grösseren Anzahl von Kindern 
noch öfters ähnliche Versuche gemacht, um zu sehen, ob <J»Ii 
vielleicht bei einem gewissen Prozentsatz von Kindern eine 
Resorption rektal einverleibten Antitoxins nachweisbar sei. 
Wir konnten aber in keinem einzigen Fall mehr einen Anti¬ 
toxinübergang nachw eisen, wie aus folgenden Versuchen her- 
vorgeht: 

3 Kinder (Prot.-No. 11. 2«‘ 11. 1939) erhalten am 14. I. ie 5 ccm 
Tetanussei um per Kl\sma. 2 l äge nachher Blutentnahme und 1 ntcr- 
suchuiig iles abgeschiedenen Serums auf I etanusantitoxm. 

Die Mause erhalten je iU'inmi* Ti t.oiust.»xm gemisjit mit 
0.125 ccm Serum der injizierten Kinder. 

1. Kontrolletier ) c = f schwerer Tetanus 

2. Serum Pat. 11 | tz I | . „ 

3. . . 2011 Uri | 

. . 1939| S5i| 

G I. c. 

T ) Zeiitralbl. f. B «k’eriol.. B.|. 39 . 

Das Kontiolletier ist sGion in o. r eau! /■isarii" 1 nsK W’c 
P rotokolliert. Beide \ ersuche wurden , : m s t .J ui lag ge:t ,iwht. 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1641 


Am II. 08 erhalten 5 Kinder (No. 1894, 104, 2003, 162, 167) je 
5 ccm Tetanusserum per Klysma. Nach 2 Tagen Blutentnahme und 
Antitoxinbestimmung im abgeschiedehen Serum. 

Die Mäuse erhalten 0,00005 Tetanustoxin gemischt mit 0,25 ccm 
Serum der injizierten Kinder. 


1. Kontrolletier 

2. Serum 1894 

3. „ 104 

4. „ 2003 

5. , 162 

6. , 167 


bei allen Tieren gleich 
intensiver Tetanus. 


Am 23. II. 08 Rektalinjektion von 5 ccm Tetanusserum an 
9 Kindern (No. 290, 236, 190, 298, 265, 224, 244, 201, 199). 2 Tage 
später Blutentnahme. Die Antitoxinbestimmung ergibt folgende Re¬ 
sultate. 

Die Mäuse erhalten 0,00005 Tetanustoxin gemischt mit 0,25 ccm 
Serum der injizierten Kinder. 


Serum 290 
. 236 

* 190 

. 298 

„ 265 

• 224 

, 244 

. 201 

199 


Alle Tiere zeigen gleich 
intensiven Tetanus. 


10. KontrolletierJ 
Wir haben dann auch noch grössere Mengen (einmal 20, 
einmal 50 ccm) rektal eiroverleibt, um zu sehen, ob vielleicht 
dann Antitoxin resorbiert wird. 


1. A. S. f Prot.-No. 190, 11 J. alt, 28 kg schwer, erhält am 
4. III. 08 20 ccm Tetanusserum per Klysma. * 

2. E. T., Prot.-No. 401, 6 Jahre alt, 18 kg schwer, erhält am 
10. III. 50 ccm Tetanusserum per Klysma. 

Bei keinem dieser beiden Kinder konnte Antitoxin nachgewiesen 
werden (injizierte Serummenge im Mäuseversuch 0,5 ccm). 

Aus diesen Versuchen geht hervor, dass Tetamusantitoxin 
vom Rektum aus in nachweisbaren Memgen nicht resorbiert 
wird. Freilich könnte man einwenden, dass zwar Antitoxin 
resorbiert, aber im Blut dann zerstört und so dem Nachweise 
entzogen werde. Dass dies nicht wahrscheinlich ist, geht aus 
D e h n e s und Hamburgers 9 ) „quantitativen“ Unter¬ 
suchungen hervor. Auserdem haben wir aber auch noch ganz 
geringe Mengen Tetanusserum subkutan injiziert und dann 
versucht, das Antitoxin im Blut nachzuweisen. 

Wir injizierten dem Kind E. T., das am 10. III. 50 ccm Tetanus¬ 
serum per Klysma erhalten hatte, am 18. III. 0,5 ccm desselben 
antitoxinhaltigen Serums subkutan, also den 100. Teil der rektal 
applizierten Menge. Die Untersuchung des nach 24 Stunden ab¬ 
genommenen Blutes auf Tetanusantitoxin ergab folgendes: 

Die Mäuse erhalten 0,00005 Tetanustoxin mit abgestuften Serum¬ 
mengen des untersuchten Kindes. 

1. Serum 0,004 protrahierter Tetanus, 

2. Serum 0,02 völlig ausheilender Tetanus, 

3. Serum 0,1 bleibt gesund, 

4. Kontrolletier protrahierter Tetanus. 

Es übten also 0,02 ccm Serum von dem Kind nach sub¬ 
kutaner Injektion noch deutlichen Schutz aus, während 25 mal 
soviel, nämlich 0,5 ccm Serum desselben Kindes nach rektaler 
Einverleibung einer 100 mal grösseren Menge, keine nachweis¬ 
baren Antitoxinmengen enthielt. 

Fassen wir nun unsere Ergebnisse kurz zusammen, so lässt 
sich sagen, dass unter 24 untersuchten Fällen nur ein einziges 
Mal ein Antitoxinübergang nach rektaler Serumapplikation 
nachweislich war. Wir schliessen daraus, dass beim Menschen 
rektal einverleibtes Tetanusantitoxin und wahrscheinlich auch 
andere Antitoxine gewöhnlich nicht zur Resorption gelangen. 
Unsere Resultate stimmen gut mit denen von Escherich 
und von H; Pfeiffer überein. 

Sie machen es weiter wahrscheinlich, dass auch bei der 
rektalen Einverleibung des Marmorek sehen Tuberkulose- 
serums die supponierten spezifischen Schutzstoffe nicht resor¬ 
biert werden, ohne das freilich direkt zu beweisen *). 


•) Wiener klin. Wochenschr. 1904, No. 29 und 1907, No. 27. 

•) Während der Korrektur erschien eine Arbeit C. Stern¬ 
bergs, der zu ähnlichen Resultaten kam wie wir (Wiener klin. 
Wochenschr., 1908, No. 20). 

No. 31. 


Rezidivoperation nach Uteruskarzinom.*) 

Von Otto v. Franquö. 

Obwohl von Klein, Krönig, Rosthorn, Franz 
und anderen schon eine ganze Reihe von Operationen bei 
Uteruskarzinomrezidiven mitgeteilt sind, ist diese Operation 
doch nicht alltäglich und ich möchte Ihnen daher ein hiebei 
gewonnenes Präparat zeigen und einige Bemerkungen daran 
knüpfen. 

Bei der damals 56 jährigen Patientin war am 24. Januar 1906 
in der Qiessener Klinik der Uterus wegen Carcinoma cervicis vaginal 
entfernt worden. Klinisch schien das Karzinom noch wenig aus¬ 
gedehnt, die Frau blutete nach eingetretener Menopause erst kurze 
Zeit; objektiv erschien die Zervix gegenüber dem kleinen Korpus 
verbreitert, in dem spaltförmigen Muttermund wölbte sich die vor¬ 
dere Lippe kugelig hervor, an der linken Kommissur war das Ge¬ 
webe etwas brüchig. Die Probeexzision ergab ein Adenokarzinom 
mit szirrhusartigen Partien. Bei der Operation wurde eine links¬ 
seitige Scheidendamminzision gemacht, die Umschneidung und Ab¬ 
bindung erfolgte überall in weichem Qewebe. Die Plica vessico- und 
rectouterina wurde gleich zu Beginn der Operation eröffnet und das 
Peritoneum mit den Scheidenwänden vernäht. Die Adnexa bleiben 
zurück, Naht der Scheidenbauchwunde, primäre HeUung. 

Genau 2 Jahre lang ging es der Patientin sehr gut Am 6. Fe¬ 
bruar 1908 ging zum ersten Male wieder Blut aus der Scheide ab, 
weshalb sie gleich in die Klinik kam. Der Ernährungszustand war 
sehr gut. Ueber der die Scheide quer verschliessenden Narbe fühlte 
man einen Rezidivknoten, der nach links hin ganz frei war, rechts 
mit der Narbe fest zusammenhing, aber die Beckenwand nicht er¬ 
reichte. Ich schätzte ihn auf etwa Faustgrösse, in Wirklichkeit war 
er doppelt so gross. Die sehr fetten Bauchdecken und die weiche 
Beschaffenheit eines Teiles, des Tumors verursachten diesen Irrtum. 
In der Mitte der Scheidennarbe war eine kleine blutende Ulzeration. 
Der Urin war leicht getrübt. 

Nachdem am Abend vorher die kleine Durchbruchstelle nach der 
Vagina mit dem Therrpokauter verschorft und die Scheide mit einem 
5proz. Formalinstreifen ausgestopft war, nahm ich am 11. Februar 
die Operation in Lumbalanästhesie vor, doch musste gegen Schluss 
der Operation noch Aether gegeben werden. Ich begann mit dem 
Mackenrodt sehen Querschnitt, indem ich alle Schichten der 
Bauchdecken fast von einer Spina ant. sup. zur anderen quer durch¬ 
trennte. Besonders bei sehr fettreichen Bauchdecken, wie im vor¬ 
liegenden Falle, gibt dieser Schnitt eine unvergleichlich bessere 
Uebersicht wie der Längsschnitt, wie ich mich auch bei der erweiter¬ 
ten Freund sehen Operation bei Uteruskrebs mehrfach überzeugte, 
und wenn ich ihn auch bei dieser in der Regel nicht für nötig halte, 
so möchte ich ihn doch gerade für Rezidivoperationen, bei denen man 
meist auf besondere Schwierigkeiten in der Orientierung und Technik 
gefasst sein muss, warm empfehlen. Zur Vermeidung einer Infektion 
der Bauchdecken, sei es nun mit Karzinomkeimen, sei es mit Mikro¬ 
organismen, vereinigte ich sofort das Peritoneum oben und unten 
mit der Haut. Nach Lösung einiger Adhäsionen des Dickdarms und 
der Fiexur gewahrte man 2 in sagittaler Richtung hintereinander ge¬ 
legene, bläulich durchschimmernde, von glattem Peritoneum über¬ 
zogene Kuppen. Die Blase lag, was' erst durch Einführen eines 
Katheters sichergestellt werden kann, davor, dicht an die Scham¬ 
fuge angedrängt. Die Appendix ist ganz nach links herübergezogen, 
ausgezerrt, in der Tiefe hinter den Tumoren fixiert. Sie wird unter¬ 
bunden, durchtrennt, das Peritoneum darüber vernäht. Die Liga¬ 
menta rotunda ziehen im Bogen über die Geschwulst in die Tiefe. 
Um die Geschwulst möglichst unverletzt herausheben zu können, 
müssen zunächst weitere Verwachsungen mit der ins kleine Becken 
herabgezogenen Fiexur gelöst werden. Dabei quillt aus dem Be¬ 
reiche der hinteren Anschwellung dicker Eiter heraus, ohne dass es 
gelingt, die Ueberschwemmung des Operationsfeldes zu verhüten. 
An der gelösten Fiexur muss die oberflächlich verletzte Verwach¬ 
sungsstelle übernäht werden. Man sieht nun in der Tiefe das linke 
Ovarium ganz dünn und atrophisch, ebenso die Tube. Nachdem das 
Peritoneum hinter den Lig. rotunda gespalten ist, gelingt es, mit der 
Hand tief in den ehemaligen Douglas sehen Raum cinzudringen 
und die Geschwulst emporzuheben, dabei erfolgt nochmals eine 
Eiterentleerung aus der im Zentrum zerfallenen Karzinommasse, 
die nun noch in der Tiefe durch bindegewebige Stränge mit der quer 
verlaufenden Scheidennarbe verbunden ist. Diese Verbindung wird 
scharf durchtrennt, der nach hinten von der Scheidennarbe ent¬ 
wickelte Tumor entfernt. Um auch die letztere vollständig zu ent¬ 
fernen und doch die Verletzung des Rektum sicher zu vermeiden, 
wird die hintere Scheidenwand auf einer ins hintere Scheidengewölbe 
eingeführten Kornzange eröffnet, der Wundrand provisorisch mit 
Klemmen gefasst. Vorne wird das von der Blase zur Narbe ziehende 
Peritoneum gespalten und die hintere Blasenwand grösstenteils scharf 
Schritt für Schritt von der vorderen Scheidenwand lospräpariert, 
bis eine gut fingerbreite Scheidenmanschette freigelegt ist. Dann 


*) Nach einer in der medizinischen Gesellschaft zu Giessen ge¬ 
haltenen Demonstration. 

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16 42 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


wird die Scheide vorn eröffnet und ringsum durchtrennt und so die 
Narbe samt ihrer Umgebung vollständig herausgeschnitten. Nach 
rechts hin ist die Narbe verbreitert, liier ist die Auslösung sehr 
schwierig und kann nur Schritt fiir Schritt scharf erfolgen. Der 
Ureter kommt dabei nicht zu Gesicht. Nachdem die vordere Schei¬ 
denwand durch einige Umstechungen gesichert ist, wird das ganze 
kleine Becken mit 3 sterilen (iazestreifen austamponiert, welche aus 
der Scheide herausgeleitet werden. 2 weitere Streifen werden noch 
in die seitlichen Partien des grossen Beckens geführt und an beiden 
Seitenwinkeln der Bauchwunde herausgeleitet, welche durch fort¬ 
laufende Katgutnaht des Peritoneum bis zur Drainage geschlossen 
wird. Darüber wird das obere h’as/.ienblatt mit Knopfnahten ver¬ 
einigt, da sich das hintere Easzienblatt mit der Muskulatur so stark 
retrahiert hat, dass die Vereinigung derselben unmöglich ist. Silk- 
fäden der Haut. 

Der Heilungsverlauf war ein überraschend günstiger, die höchste 
Temperatur betrug 37,8 am 2. 'läge, die abdominalen Streifen wur¬ 
den vom 3., die vaginalen vom 5. Tage ab allmählich entfernt, am 
15. Tag verliess Patientin mit einer S t e f f e c k sehen Leibbinde das 
Bett, am 21. die Klinik. Es bestanden nur noch leichte Zystitis- 
beschwerden, wie vor der Operation. Ich sah sie zuletzt am 7. Mai, 
ohne Rezidiv; jedoch hatte sich auf der linken Seite an der ehemali¬ 
gen Drainagestelle eine etwa faustgrosse Bauchhernie gebildet, 
welche sich durch eine zweimarkstückgrosse Bruchptorte vorstülpte. 
Darauf musste man ja von vornherein gefasst sein, das Wohlbefinden 
der Patientin ist dadurch übrigens bis heute (Lude .1 uni) laut brief¬ 
licher Nachricht nicht gestört . 

Der entfernte Tumor war in frischem Zustande doppeltmanns- 
faustgross, durch eine querverlaufende seichte Lurche in 2 Abschnitte 
geteilt, deren vorderer eine gänseeigrosse, eitergefüllte, von After¬ 
massen unregelmässig begrenzte Hohle barg, während die hintere 
mehr solide ist und aus lappigen, kleine Zerfallsherde in sich 
schliessenden Tumormassen besteht. Der vordere Abschnitt ist von 
etwas verdicktem Peritoneum überzogen, an seiner rechten Kante 
erkennt man das Ovarium als eine bi eite Vorwölbung, die auf dem 
Durchschnitt einige Eollikelzysten aufweist. Ls ist von unten her 
durch Lindringen der (ieschwulstmassen in den HiIns entfaltet. 
Auch die Tube ist am Präparate. Nach hinten zu wird das Peri¬ 
toneum immer dünner, so dass die mehr solide, gelappte (Jeschwulst¬ 
partie immer deutlicher durchschimmert, doch ist sie überall noch von 
einem feinen Häutchen überzogen, ein eigentlicher Durchbruch in die 
freie Bauchhöhle hat noch nicht stattgefunden, wäre auf die Dauer 
aber wohl nicht ausgeblieben. Gerade nach unten ist die Geschwulst 
zerrissen, entsprechend dem durchtrennten Zusammenhang mit der 
Scheidennarbe, welche als taubeneigrosse, unregelmässige, derbe 
Gewebsmasse isoliert voriiegt. 

Dass es sich im vorliegenden Falle nicht um ein Drüsen- 
rezidiv handelt, ist schon durch den Sitz und das Verhalten 
des Tumors zur Umgebung sicher gestellt. Wie in mehreren 
anderen Fällen von Rezidivoperationen der genannten Autoren 
konnte nicht einmal jetzt eine Beteiligung der Drüsen bei der 
Operation nachgewiesen werden. Ebenso unschuldig sind die 
zurückgebliebenen Adnexa. Auch die Scheide scheint nicht 
der primäre Sitz des Rezidivs zu sein, denn in diesem Falle 
wäre es kaum denkbar, dass die Scheidennarbe fast ganz glatt, 
nur an einer minimalen Stelle exulzeriert und erst seit einigen 
Tagen blutend wäre, während darüber sich der grosse 'rumor 
entwickelt hätte. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass das 
Rezidiv von dem Beckenbindegewebe im Bereich der Ope¬ 
rationsstelle ausging, denn zwischen Peritoneum uivd Scheide 
sass ja der Knoten. Es fragt sich nur, ob das anscheinend so 
gering entwickelte Karzinom doch schon ins Parametrium 
Keime ausgesendet hatte, oder ob vielleicht erst während der 
Operation eine Implantation von Karzinomkeimen in die frische 
Bindegewebswunde statthatte. Franz hatte in zweien seiner 
Fälle den Eindruck, dass cs sich um ein derartiges lokales 
Implantationsrczidiv handelte und auch ich mochte diesen 
Modus für durchaus möglich halten, wenn seine Annahme auch 
für unseren Fall unnötig ist. Jedenfalls muss diese Möglichkeit 
dazu führen, der Vorbereitung des Karzinoms und tunlichsten 
Zerstörung der wucherungsfähigen Partien desselben vor der 
Operation, die von manchen Autoren im Gegensatz zu 
Winter für überflüssig erklärt wurde, ein erhöhtes Augen¬ 
merk zuzuwenden. Ich halte zu diesem Zweck die von 
Mackenrodt angegebene Vorbereitung für sehr zweck¬ 
mässig und wende sie seit längerer Zeit an. Das Karzinom 
wird am Abend vor der Operation ausgeschabt, thenno- 
kauterisiert und der Krater mit einem in 10 proz. Formalin¬ 
lösung getränkten (iazestreifen ausgestopft, der unmittelbar 
vor der Operation durch einen Jodoformgazestreiten ersetzt 
wird. Durch die Tiefenwirkung des Formalins, die sich bei 
der Operation oft durch ein ausgesprochenes (Jedem des Para- 


No. M 


metrium zu erkennen gibt, scheint mir der hier besprochene 
Zweck der Vorbereitung am ehesten erreicht werden zu 
können. 

Auch während der Rezidivoperation selbst sollte man 
darauf achten, womöglich eine neue Ausbreitung von Kar¬ 
zinomkeimen zu vermeiden. Ich kann mich daher mit der von 
Franz angegebenen Technik nicht befreunden; er fasst den 
Rezidivknoten nach Spaltung des Peritoneum mit einer Krallen¬ 
zange; dabei ist ihm denn auch ein Zerdrücken und Zer¬ 
bröckeln des Knotens passiert. Besonders wenn, wie m un¬ 
serem Falle, der Tumor im Innern erweicht ist. was vorher 
keineswegs immer zu erkennen ist, kann dadurch eine unnötige 
Verunreinigung des Operationsfeldes verursacht werden, die 
vermieden wird, wenn der Knoten herausgehoneii wird, ohne 
ihn anzuhacken. Das günstigste wird es immer sein, wenn 
man den Knoten in toto im Zusammenhang mit der Scheide 
exstirpieren kann, wie dies Klein gelang. In unserem Falle 
war dies unmöglich. Die eiterhaltige Hohle brach bei der 
Lösung der Verwachsung mit der Flexur auf. ähnlich wie oft 
eine Pyosapinx bei der Lösung des mit dem Darm verwach¬ 
senen und durch diese Verwachsung verschlossenen Fim- 
hrienendes. 

Dass die Rekonvaleszenz trotzdem eine so ungestörte ge¬ 
wesen ist, ist wohl mir der ausgedehnten Drainage zu danken. 
Ich hebe dies besonders hervor, weil auf dem Kieler (iymiko- 
logenkongress I0o5 von Latz ko behauptet wurde, mit Gaze 
könne man überhaupt nicht draimercn. Auch Stoeckel er¬ 
klärte bei der Erläuterung der B u m m scheu Operations¬ 
methode damals jede Drainage für überflüssig, ja sogar für 
schädlich. Inzw ischeii ist freilich die B u m tu sehe Klinik durch 
die Tatsachen eines Besseren belehrt worden, denn wie Lie p- 
m a n ii neuerdings (Berliner klm. \\ ochenschr. 1**»\ No. JJ) 
angab, hatte sie bei der abdominalen Uteruskarzinomoperation 
ohne Drainage 43 Proz., mit Drainage 17.4 Pro/. Mortalltat, 
an Sepsis ohne Drainage .k>,6 Pro/., mit Drainage 4.3 Proz. 
Ich bin mit wenigen Ausnahmefalleii bei der Drainage ge¬ 
blieben und glaube, dass diese auch bei dui Rc/idivoperationen 
wohl immer angebracht ist, wenn auch m der Regel nur du roh 
die Scheide . Als weiteres praktisches Ergebnis der Beobach¬ 
tung wäre noch hervorzuheben, dass selbst eine so beträcht¬ 
liche Grosse des Rezidivknotens die Operation nicht unmöglich 
machte. Die Grösse ist daher, wie schon v. Rost ho r n und 
Franz hervorheben, keine Koniramdikation der Operation, 
die immer berechtigt ist, wenn nur eimgcrmasseii Aussicht aui 
die Entiernnugsmoglichkeit vorhanden ist. Leber die Durch¬ 
führbarkeit der Operation wird man allerdings gelegentlich 
erst nach Eröffnung der Bauchhöhle urteilen können. I m d.e 
Rezidive möglichst frühzeitig und nodi im Stadium der 
Operabilität zu entdecken, wäre es w uiisJu nsw ert. dass die 
Patientinnen häufiger untersucht würden, als dies meist ge¬ 
schieht, mindestens vierteljährlich. 

Kehren wir zur Entstehung des Rezidivs zurück, so wird 
diese durch die nachträgliche Untersuchung des exMirpierteti 
Uterus vollkommen aufgeklart. Derselbe ist 8 cm lang, das 
Korpus klein, die Zervix dick; es hangt ziemlich x al para- 
metranes Gewebe an dem Präparat. Makroskopisch scheint 
das Karzinom noch nicht sehr weit vorgeschritten zu sein, die 
Grenze in der liefe des Zervixgew ebes ist mit blossem Auge 
nicht sicher festzustelleii. Besonders die hintere Lippe ist 
schmächtig, glatt lind man sollte meinen, dass sie noch frei von 
Karzinom wäre; die vordere Lippe ist dicker, hier geht das 
Karzinom nach oben bis in elie (legend des iiinern Mutter¬ 
mundes. Vorn und hinten findet sich noch etwas Scheide. vorn 
etwa 1 cm. Die mikroskopische Untersuchung zeigt die 
Scheide frei von Karzinom; von ihr im. x\ ie schon aus der 
Betrachtung des Re/.idix knotens selbst entnommen wurde, dass 
letztere nicht ausgegangen. Dagegen bietet die Untersuchung 
der beiden Lippen eine Ueberrasclmng. Nicht nur die voj\K re 
Lippe, an der schon makroskopisch das kurz::;**m midi dt r 
Zervixhohle zu leicht zu sehen ist. sondern atuh die hintere 
I-ippe ist weitgehend durchsetzt von h a r^r'nonimn'scn; auf der 
vorderen Lippe ist an den der MeJiattebeue entnommenen 
Schnitten der äusserste Karzmomhe rd nur um die Breite eines 
einzigen (iesichtsfeides bei schwacher \ ergro-ssermig \ on der 
Abtragungsstelle entfernt; an der lütteren Lippe aber, die für 
das unbewaffnete Auge so uiisJmld.g aussah, treffen wir an 


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4. August 190§. 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1643 


der Abtragungsstelle selbst noch Karzinomstränge, die mitten 
durchgerissen sind. Kein Zweifel, hier müssen Karzinomteile 
zurückgeblieben, sein. Die Stelle entspricht der Mitte des 
Douglas sehen Raumes. Die Entwickelung des Rezidiv¬ 
knotens, im wesentlichen nach hinten von der Scheidennarbe 
zwischen Peritoneum und Scheide, steht mit diesem Befunde 
im Einklang. Die Lymphbahnen würden von hier entlang den 
Douglasfalten nach hinten laufen. Es wird von grossem Inter¬ 
esse sein, wie sich das eigentliche Parametrium rechts und 
links verhält. Es wird noch sorgfältig in Serien untersucht 
werden. Sollte sich hier nichts von Karzinom finden, so 
hätten wir die Tatsache vor uns, dass ein klinisch noch wenig 
vorgeschritten erscheinendes Zervixkarzinom lediglich durch 
die mikroskopische Ausbreitung auf dem Boden des Dou- 
glasschen Raumes nach hinten bei freien seitlichen Para¬ 
metrien zum Rezidiv geführt hätte. Das häufige Vorkommen 
der Paraperimetritis posterior bei alten Zervixkatarrhen muss 
es eigentlich merkwürdig erscheinen lassen, dass dies nicht 
öfter vorkommt. 

Bezüglich der Operation des Primärtumors müssen solche 
Erfahrungen zu dem Schlüsse führen, dass es bei Zervix¬ 
karzinom, dessen Ausdehnung in die Tiefe klinisch so ausser¬ 
ordentlich schwer zu beurteilen ist, besser sein wird, immer 
abdominal zu operieren, wenn nicht etwa das Karzinom noch 
auf die allerobersten Schichten der Schleimhaut beschränkt ist. 
Denn bei der abdominalen Operation kann auch die hier be¬ 
fallene Gegend am Boden des Douglas sehen Raumes aus¬ 
giebiger ausgeräumt werden, als bei vaginalem Vorgehen. 

Von Interesse ist schliesslich der Vergleich des histo¬ 
logischen Bildes des Primärtumors mit dem des Rezidiv¬ 
knotens. Der erstere bietet ein Musterbeispiel für die gerade 
an der Zervix meist so hochgradig auftretende Variabilität der 
Karzinomzellen. In den obersten Schichten sind grosse drüsen¬ 
ähnliche Hohlräume vorhanden, noch im Zusammenhang mit 
normalen Drüsen, aber ganz unregelmässig gestaltet, aus¬ 
gekleidet von mehrschichtigem, bald noch zylindrischem, bald 
polymorphem, Büschel, solide Papillen und Guirlanden bilden¬ 
dem Epithel. Zweifellos handelt es sich also um ein ursprüng¬ 
liches Adenokarzinom. Dicht dabei finden sich aber solide 
Epithelzapfen, wie bei einem Carcinoma alveolare Simplex, und 
weiterhin ganz schmale, stark gefärbte Bündel spindelförmiger, 
kleiner, dichtgedrängter Zellen, die sich wie bei einem Scirrhus 
zwischen die Bindegewebsinterstitien einbohren, aber mit den 
schon erwähnten anderen Formationen der Karzinomzellen in 
direktem Zusammenhang stehen. 

In dem Rezidivknoten finden sich zumeist sehr breite 
Massen polymorpherEpithelien, wie bei einem fortgeschrittenen 
Plattenepithelkarzinom, dazwischen nur ganz schmale Binde- 
gewebsbündel. An einzelnen Stellen aber finden sich noch 
rundliche Lumina, umgeben» von einem Kranz von Zylinder¬ 
zellen, sogar schleimiges Sekret enthaltend, also immer noch 
Reminiszenzen an das ursprüngliche Adenokarzinom. Auf die 
reichlich vorhandenen Zerfallserscheinungen brauche ich nicht 
weiter einzugehen. 


Aus dem physiologischen Institut der Universität Marburg. 

Die Diazoreaktion des normalen Harns. 

Von R. E n g e 1 a n d. 

Von den für klinische Zwecke verwandten Farbenreak¬ 
tionen des Harns ist die Ehrlich sehe Diazoreaktion in den 
letzten Jahren recht häufig diskutiert werden. In zahlreichen 
Publikationen wurde zu ihr Stellung genommen. Die Angaben 
sind oft nicht gerade übereinstimmend. Viele haben sich für 
dieselbe, manche auch gegen sie ausgesprochen. Unter den 
Argumenten der letzteren findet sich eine sehr interessante 
Angabe; nämlich die, dass auch der Harn Gesunder Diazo¬ 
reaktion gebe. So fand namentlich Penzoldt 1 ), dass auch 
normaler Harn mit Ehrlich schem Reagens mitunter, mit 
einer konzentrierten Lösung von reiner Diazobenzolsulfosäure 
stets eine starke Rotfärbung ergab; zu einem ähnlichen Resultat 
kam Petri*). 


*) Berl. klin. Wochenschr. 1883 u. 1884. 

*) Zeitschrift f. klin. Med. 1884, VII, 500. 


Ich habe diese Angaben nachgeprüft und kann bestätigen, 
dass jeder mit Soda alkalisch gemachte normale Harn mit einer 
sodaalkalischen Lösung von Diazobenzolsulfosäure versetzt, 
sich sofort mehr oder minder intensiv rot färbt. 

Ich benutzte für meine Untersuchungen stets frisch be¬ 
reitete Lösungen von reiner Diazobenzolsulfosäure in Soda¬ 
lösung. Auch den Harn machte ich durch Sodalösung, nicht 
durch Natron- oder Kalilauge alkalisch. In dieser Richtung 
wich ich von der durch Penzoldt benutzten Versuchsan¬ 
ordnung ab. Zum Vergleich zog ich das Ehrlish-Fried- 
w a 1 d sehe sowie das alte Ehrlich sehe Reagens heran. 
Es sind also im normalen Harn Stoffe vorhanden, die mit 
Diazokörpern unter Bildung von rotgefärbten Kuppelungs¬ 
produkten reagieren. Diese Substanzen kennen zu lernen ist 
für Theorie und Praxis nicht ohne Interesse, denn für exakte 
klinische Untersuchungen ist die genaue Bekanntschaft 
mit ihnen erste Vorbedingung. Man muss über sie unterrichtet 
sein, um zunächst die die Diazoreaktion des pathologischen 
Harnes bedingenden Substanzen eventuell als anormal zu er¬ 
kennen. Dann aber liegt es natürlich sehr nahe, daran zu 
denken, dass bei krankhaften Zuständen keine anderen Stoffe 
abgeschieden werden, sondern lediglich eine gesteigerte Aus- - 
Scheidung der physiologisch vorhandenen stattfindet. 

Welche Bestandteile des normalen Harns kommen also für 
die Diazoreaktion in Betracht? Bereits Penzoldt 5 ) hat 
Untersuchungen darüber angestellt und neuerdings hat 
Clemens 4 ) eine zusammenfassende Beschreibung aller 
bekannten Körper gegeben, die pathologischer und normaler 
Weise im Harn auftreten können und die mit Diazokörpern 
unter Bildung roter Kuppelungsprodukte reagieren. Unter den 
abnormen reaktionsfähigen Stoffen führt er namentlich das 
Azeton und die Azetessigsäure auf. Die Fähigkeit des Trauben¬ 
zuckers, bei Gegenwart von fixem Alkali mit Diazobenzolsulfo¬ 
säure zu reagieren, ist bereits durch Penzoldt bekannt ge¬ 
worden. Doch reagiert in sodaalkalischer Lösung Trauben¬ 
zucker nicht. 

Diese Stoffe können wir bei unseren Untersuchungen ausser 
Betracht lassen, denn wir wissen aus Versuchen P e n z o 1 d t s, 
dass die bei der Diazoreaktion des normalen Harns in Wirk¬ 
samkeit tretenden Stoffe nicht flüchtig und widerstandsfähig 
gegen das Kochen mit Säuren sind. Namentlich dieser letzte 
Umstand wies auf zyklische Verbindungen hin, denen durch 
ihre eigenartige Konstitution die bemerkte hohe Widerstands¬ 
fähigkeit verliehen wird. 

Man könnte hier an die Purinbasen denken. In der Tat 
sind von B u r i a n 5 ) rote Diazoaminoverbindungen von Purin¬ 
basen beschrieben worden. Um zu ermitteln, ob die Purin¬ 
basen an der Reaktion beteiligt sind, stellte ich nach bekanntem 
Verfahren aus ca. 1 l A Liter Harn die Purinbasen als Silber¬ 
verbindungen her und führte diese mit Salzsäure in die Chloride 
über. Dieselben gaben mit einer sodaalkalischeu Lösung von 
Diazobenzolsulfosäure keine Reaktion. 

Von den übrigen zyklischen Verbindungen kommen in 
erster Linie die Abbauprodukte des Tyrosins, die Benzol¬ 
derivate in Betracht. Sie treten auf als Phenole, wohl nur 
mit Schwefelsäure oder Glukuronsäure gepaart. Penzoldt“) 
hat schon an sie gedacht und mit Schwefelsäure angesäuerten 
Harn destilliert. Das Destillat zeigte nur eine ganz schwache 
Reaktion. Auch reines Phenol reagiert schwach. Sie scheiden 
also ebenfalls aus. 

Anders die nächsten Oxydationsstufen des Tyrosins, die 
von Bau mann isolierten aromatischen Oxysäuren; die 
Paraoxyphenylpropionsäure und die Paraoxyphenylessigsäure. 

Sie geben, wde Clemens 7 ) festgestellt hat mit Diazo¬ 
benzolsulfosäure sow r ohl wie mit Ehrlich schem Reagens 
eine starke Reaktion. Sie bilden also zweifellos eine Kom¬ 
ponente der Diazoreaktion des normalen Harnes. Allerdings 
eine weniger bedeutsame Komponente, denn wenn man den 
Harn nach vorherigem Ansäuern durch Extraktion mit Aether 


3 ) 1. c. 

4 ) D. Archiv f. klin. Med 1899, 63, 74. 

5 ) Berichte der D. chem. Qesellsch. 37, 696 und Zeitschr. f. 
physiol. Chemie 51, 425. 

“) 1. c. 

7 ) I. C. 


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10-4-4 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 31. 


von den aromatischen Oxysäuren beireit 8 ), so kann man keine 
merkliche Schwächung der Diazoreaktion ieststellen. 

Es ist also noch eine weitere Komponente vorhanden. Es 
ist nun gelungen, auch diese auszumitteln. Sie wird nämlich 
gebildet durch eine Gruppe von Körpern, die ausgezeichnet sind 
durch den Besitz des Imidazolkernes. Wie die aromatischen 
Oxysäuren sich ableiten von der Oxyphyenylaminoproprion- 
säure, dem Tyrosin, so stehen jene Körper in Beziehung zu der 
lmidazolaminoproprionsäure, die unter der Bezeichnung Histi¬ 
din als Spaltungsprodukt der Eiweisskörper lange bekannt ist. 
Diese Imidazolderivate haben alle mehr oder minder stark 
basischen Charakter. Hierauf, sowie aut ihrer Fällbarkeit 
durch Silberoxyd beruht das Verfahren zur Gewinnung der¬ 
selben aus Harn. Ein grosser Teil derselben lässt sich selbst 
aus unverdünntem Harn mit heisser, gesättigter Quecksilber¬ 
chlorid- und Natriumazetatlösung niederschlagen. 

Diesen Teil kann man nach folgendem einfachen Verfahren 
gewinnen. Finge Liter Harn werden mit einer konzentrierten 
Losung von Bleizucker ausgefällt. Von der Fällung wird ab¬ 
gesaugt und aus dem Filtrat das überschüssige Blei durch Zu¬ 
satz von Natriumkarbonat als Bleixveiss entfernt. Das Filtrat 
hiervon w ird auf ein Drittel eingeengt, mit Essigsäure schwach 
sauer gemacht und dann mit heisser, wässeriger, gesättigter 
Quecksilberchlorid- und Natriumazetatlösung ausgefällt. W enn 
die Fällung beendet ist, darf die überstellende Flüssigkeit mit 
einem Ueberschusse von kalter, gesättigter Quecksilberchlorid- 
t!ud Natriumazetatlösung auch beim Stellen keine Trübung 
mehr absetzen. Die Fällung wird nach einiger Zeit abgesaugt 
und mit einem Gemisch von konzentrierter Quecksilber¬ 
chlorid- und Natriumazetarlosnug nacligew aschen. Die 
Fällung wird darauf in heisser verdünnter Salzsäure ge¬ 
hist, vom Unlöslichen durch Dekantieren und schliesslich 
durch Filtrieren getrennt und das Filtrat mit Schwefel¬ 
wasserstoff zerlegt. Vom Scliw eielquecksilber w ird ab¬ 
filtriert und das Filtrat zum Sirup eingeengt. Dann wird 
mit Methylalkohol aufgenommen. Hierbei bleiben die an¬ 
organischen Salze ungelöst zurück. Das Filtrat von diesen 
w ird abgedampft und der Rückstand mit heissem W asser auf¬ 
genommen und durch Aufkochen mit Tierkohle") entfärbt. Das 
Filtrat w ird zum Syrup eingeengt, wobei sich reichlich Kristalle 
ausscheiden. Man nimmt dann mit kaltem, absolutem Aetltyl- 
alkohol auf, in dem ein erheblicher Teil unlöslich ist. Dieser 
besteht grösstenteils aus Kreatinin, das sich nach diesem Ver¬ 
fahren ebenfalls fast quantitativ abscheideu lässt. Das Filtrat 
hiervon wird zum Sirup eingeengt und nochmals mit absolutem 
Alkohol aufgenommen. Dies wird so oft wiederholt, bis sich 
die Masse in absolutem Alkohol klar löst. Die Imidazolver¬ 
bindungen lösen sich in diesen unreinen Losungen leicht in 
Alkohol auf, so dass mau bei dem geschilderten Vorgehen 
nichts verliert, dagegen kann man das Kreatinin fast ganz be¬ 
seitigen. Die Masse wird schliesslich durch Zusatz von Silber¬ 
nitrat vom Chlor befreit. Vom Chlorsilber w ird filtriert und 
in das Filtrat noch so viel Silberuitrat gegeben, dass die 
Flüssigkeit mit Barymiihydratlösung keine weisse, sondern 
eine braune Fällung gibt. Daun wird die Flüssigkeit mit 
Baryumhydratlösung versetzt und Teingepulvertes Barytim- 
hydrat im Ueberschuss eingetragen. Man lässt längere Zeit 
unter öfterem Umriihren stehen. Durch Silbernitrat- und 
Barytlösung w ird zwar auch das Kreatinin gefällt. Das Kreati¬ 
ninsilber löst sich jedoch in einem Ueberschusse von Baryum- 
hydrat wieder auf. Darauf wird die Silberiällung abgesaugt, 
sorgfältig mit Wasser gewaschen und in verdünnter Salpeter¬ 
säure gelöst. Vom Unlöslichen w ird abfiltriert . Man über¬ 
zeuge sich davon, ob im Filtrate noch viel Kreatinin ist. Ist 
dies der Fall, so muss noch einmal nach vorherigem Zusatz 
von Silbernitrat die Barytiälluug wiederholt werden. Sonst 
gibt man in das Filtrat noch etwas Silbernitratlösung und setzt 
dann tropfenweise wässrige Ammoniaklösung zu, so lange 


') Ich benutze den von Kutscher und S t e u d c I angegebenen, 
schnell arbeitenden \ethere\traktapparat. Zeitschr. f. phvsiol. 
Chemie 49, 474. 

'■') Mau muss tadellose Tierkohle benutzen. Die Knochenkohle 
..Kahlbaum“ enthalt Kalziimisulfat. Besser ist Mercks garantiert 
leine I ierkohle, doch muss man auch sie vor dem (iebrauch mit 
’ hinnter Salzsäure auskochen. 


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als die Flüssigkeit noch eine Fällung gibt. Ein Ueberschuss von 
Ammoniak ist sorgfältig zu vermeiden. Die entstandene Fäl¬ 
lung wird abgesaugt und mit Wasser gut gewaschen. Die aus 
diesen Silbcrx erbmdungeii mit Salzsaure gewonnene Losung 
der Chloride gibt mit Diazobenzolsuliosaiire in soJaalkahsdier 
Losung eine tief dunkelrote Verfärbung. Auch mit E hrlich- 
F r i e d e w a 1 d schein Reagens gibt sic ein kralliges Rot. 
Weiter gibt die Losung, die neuerdings \ oii Knoop 1 “) an¬ 
gegebene Farbeureakttoil auf Histidin. Die für das llistidm 
charakteristische Biuretreaktion gelingt nur, wenn die zu 
untersuchende Flüssigkeit relativ rem ist. nameuthJi muss su 
frei von Kreatinin sein. Die Trennung der einzelnen an der 
Silberiällung beteiligten Verbindungen ist sehr schwierig, sc 
ist zurzeit noch nicht völlig gelungen. Soviel steht iedodi fest, 
dass eine ganze Reihe verschiedener Körper daran beteiligt 
ist. Mittels zum Teil komplizierter Verjähren, über d.e an 
anderer Stelle des näheren beruhtet wird, konnten bis jetzt 
drei verschiedene Körper isoliert werden. Namhdi die Ammo- 
imidazolpropioiisaure, das Histidin selbst, dann ein niederes 
Homologe derselben, die AminoumJazolessigsaiire und ein 
Körper von der Zusammensetzung Ci--IL»N«( h». 

Ich habe schon oben angedeutet, dass mellt alle uu Harn 
vorhandenen Imidu/oK erbm Jungen sich durch heissge sättigte 
Quecksilberchlorid und Natruimazctutlusuugcn niederschlagen 
lassen. Denn befreit man den mit Que.ksnherJi.oiid- und 
Natriumazetatlösung ausgefallen Ham mit Sdiw eielw asser- 
st«»ff vom Quecksilber und entlernt ditrdi Extraktum mit Aether 
die aromatischen Oxysäuren, darin gibt er immer ttodi Diazo¬ 
reaktion. Fallt man ihn aber jetzt mit Bin»sph.*rw «'lnamsaure 
aus, so zeigt das Filtrat dieser Fällung nur nodi ca.e selir 
schwache Reaktion, die erst heim Fmeiigui wkJer zum \ <*r- 
seliem kommt. Zersetzt man die Bltosphorw oliram^auie mit 
Barythydrat, filtriert und entlernt aus dem Filtrat den über¬ 
schüssigen Baryt mit Kohlendioxyd, so gibt die so gewonnene 
Losung der Basen eine starke Dia/nreaktnui. Dieselbe ver¬ 
schwindet vollkommen, wenn man sie mit Silbernitrat und 
Baryt uusiulll. Die mit Sal/sanre aus der S.lberialämg m Frei¬ 
heit gesetzte Lösung der Chloride zeigt dagegen e.r.e intensive 
Reaktion. 

Die Diazoreaktion der Inndazoldenxate ist \on Bau Iy M ) 
am Histidin entdeckt und naher stuJ.ert worden. Die bei der 
Kuppelung derselben mit Ihazokorpern entstellenden Brodukte 
sind äusserst intensiv gefärbt. Nadt Bau ly gibt eine Losung 
von Histidin im Verhältnis 1: Iihummi nodi eine deutliche Rot- 
larhimg mit Diazobenzolsuliosaiire. Die von mir autgeiuudeue 
Menge von InndazoK erbmdimgen (in einem Falle aus 4M later 
Ham allein 0,4 g Histidin) gelingt vollkommen, um eine ..deut¬ 
liche Rotfärbuug des Harnes mit I hazohenzolsulfosaure“ zu 
e rklären. 

Fs ist nun nodi die Frage zu beaMwoiteu. wie es kommt, 
dass normaler Harn m der Regel nicht mit F h r 1 t c h'»eben. 
Reagens eine Rotfarbung gibt, wahrend Jodt s*• n:tu;s.\ ie- 
agierende Substanzen Vorhand-.n smd. Lh glaube das viarauf 
ziiriicktuliren zu müssen, dass im Harne Substanzen \or- 
banden sind, die sidi mit Iha/okoi pe i n kidner kuppeln als 
die ImidazolderiN ate, ohne ieJodi sidt dabei rot zu färben. 
Filier dieser Körper Scheint das Kreatinin zu sein. M m kann 
sielt durch einen Versuch leidit von der Wirksamkeit der- 
artiger Substanzen liberzeugen. Wenn man e.ue l’\ros,n- 
losimg, die bekanntlich nadt Clemens ) audt mit dun 
F h r I i c h sehen Reagens sehr gute D.a/oreaktum gibt, mit 
einer starken Losung von salzs.uirem Methv kmnti. Anilin oder 
einem anderen Amin versetzt und dann d.e F h r I t c h sdie 
Reaktion anstellt, so tritt hodisteus eine Gelbfärbung ein: 
Kreatinin wirkt ebenso. Sitzt man aber letzt ur.e Losung \<m 
Diazobeiizolsiilfosänre zu, s<» tritt die rote 1 arbe nad'trag'idi 
mit grösster Kraft hervor. 

Setzt man zu normalem Harn e i e sdn \ et dui.r.te I.omi; g 
von Diazobeiiz.olsiilfosaure in Tropfui, zu. so tr.tt zunadiM 
Reine Verfärbung auf. BlolzÜdt ie Jodt t• ;tt bei wuterem 
Zusatz starke Rotiarhurg auf. F.n oder zwei Tropfet: 
haben sie hervorgi rufen, wie eti I ropvn Saure oder 

Beitr. /.. che m. I ’ I \ '-öl. w 1'. - • TI, 

11 1 Zeitseilt . f. p'"\ s!-ä Ll ein e. -td. ' 

■■■) I. c. 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1645 


Lauge die Farbe des Indikators Umschlägen lässt. Es 
sättigen sich also jedenfalls die anderen, leichter reagieren¬ 
den Stoffe mit dem Diazokörper; erst wenn diese abge¬ 
sättigt sind, reagiert der Imidazolring und in diesem Moment 
tritt die Verfärbung auf. So ist denn auch in dem E h r 1 i ch - 
sehen Reagens ein geringes Plus von Natriumnitrit von grosser 
Bedeutung für den Ausfall einer Reaktion. Ein einziger 
T ropfen mehr oder weniger entscheidet, wie ich mich des 
öfteren überzeugen konnte, für den positiven oder negativen 
Ausfall der Ehrlich sehen Probe. 

Nun ist der Gehalt des käuflichen Natriumnitrits an reinem 
Nitrit recht bedeutenden Schwankungen unterworfen. Merk¬ 
würdigerweise konnte ich in der recht umfangreichen ein¬ 
schlägigen Literatur nirgends einen Hinweis auf diese offenbar 
recht bedeutsame Tatsache finden, die vielleicht die Erklärung 
für die grossen Widersprüche abgibt, die unter den Angaben 
über die Ehrl ich sehe Diazoreaktion zutage treten. 

Es ist nun noch die für pathologische Verhältnisse bedeut¬ 
same Frage zu erörtern, ob eine gesteigerte Ausscheidung von 
Imidazol- und Benzolderivaten zu einer Diazoreaktion im kli¬ 
nischen Sinne, d. h. mit Ehrlich schem Reagens, führen 
kann. Man sollte glauben, dass dies nicht möglich sein könnte; 
denn die in dem Ehrlich sehen Reagens vorhandene Menge 
von Diazokörper reicht, wie oben gezeigt, offenbar nicht aus, 
um die anderen, keine roten Farbstoffe liefernden Körper ab¬ 
zusättigen, so dass im normalen Harne keine Reaktion zu¬ 
stande kommt. Trotzdem ist es der Fall; setzt man dem Harn 
reichlich Tyrosin oder Histidin zu, so fällt die Ehr lieh sehe 
Probe positiv aus. Es handelt sich hier eben um eine che¬ 
mische Reaktion, und bei jeder chemischen Reaktion spielt 
nicht nur die Qualität, d. h. die chemische Affinität, sondern 
auch die Quantität, also die relative Menge, in der jeder in 
Reaktion tretende Stoff vorhanden ist, eine Rolle. 

Man kann dieselben Verhältnisse im Reagenzglas an 
anderen Stoffen beobachten. Fügt man zu einer Tyrosinlösung, 
die so viel Methylamin enthält, dass sie mit Ehrlich schem 
Reagens nicht mehr reagiert, noch reichlich Tyrosin, so fällt 
jetzt die Probe positiv aus. 

Es könnte also wohl eine gesteigerte Exkretion der 
Imidazol- und Benzolderivate der klinischen Reaktion zu 
Grunde liegen. Für letztere ist schon bei manchen Krankheiten 
eine erheblich gesteigerte Abscheidung nachgewiesen; so wird 
angegeben, dass die Menge der aromatischen Oxysäuren bei 
starker Fäulnisvorgängen im Darm, bei der akuten Phosphor¬ 
vergiftung, sowie nach Verfütterung von Tyrosin aufs 6 bis 
8 fache gesteigert sein kann. Auch freies Tyrosin tritt ja be¬ 
kanntlich zuweilen im Harn auf. Wie es mit den Imidazol¬ 
derivaten steht, muss die klinische Untersuchung noch er¬ 
weisen. Man könnte für derartige Untersuchungen sich damit 
begnügen, die nach dem von mir angegebenen Verfahren ge¬ 
wonnene Silberfällung bei 100° zu trocknen und zu wiegen. 
Man hätte dann jedenfalls einen Anhalt für die Beurteilung der 
Mengen derartiger durch den Harn abgeschiedener Sub¬ 
stanzen. Auch den mit Phosphorwolframsäure fällbaren Anteil 
könnte man in der von mir angegebenen Weise auf die Silber¬ 
verbindungen verarbeiten und zur Wägung bringen. Besser 
wäre es allerdings vielleicht noch, von den Silberverbindungen 
den Stickstoffgehalt festzustellen, was ja mit dem für klinische 
Zwecke hinreichend genau arbeitenden K j e 1 d ah I sehen Ver¬ 
fahren nicht sehr schwierig ist. 

Uebrigens wäll ich nicht unerwähnt lassen, dass man sich 
die pathologische Diazoreaktion auch so erklären kann, dass 
Substanzen im Harne vorhanden sind, die ausserordentlich 
leicht mit Diazokörpern sich kuppeln unter Bildung rot ge¬ 
färbter Reaktionsprodukte 1S ). In einem von mir untersuchten 
pathologischen Harn schienen mir in der Tat derartige Körper 
vorhanden zu sein. Leider konnte ich mir keinen geeigneten 
pathologischen Ham in genügender Menge verschaffen, um 
daran diese Verhältnisse näher zu studieren. 

Die vorliegenden Untersuchungen sind auf Veranlassung 
von Herrn Professor Kutscher angestellt. 


1S ) Siehe hierzu Clemens 1. c. 


Ueber Magenstörungen bei Masturbanten. 

Von Arnold Siegmund in Berlin-Wilmersdorf. 

Unter dieser nämlichen Ueberschrift hat Prof. Hirsch von 
Göttingen in No. 12 der Berliner klinischen Wochenschrift über „n e r- 
vöse Dyspepsie“ berichtet, welche sich infolge von Onanie 
entwickele und nur heile, wenn dem Laster entsagt werde. Die 
sehr heftigen Magenschmerzen solcher Kranker und die häufig, wenn 
auch nicht immer dabei vorhandene Hyperazidität, haben wiederholt 
den erfahrenen Kliniker zu der irrigen Meinung verleitet, es handle 
sich um ein Magengeschwür. Zum Beleg teilt Hirsch den Fall 
eines Oberprimaners mit, der auf seinen Rat eine Magengeschwürkur 
mit mehrwöchigem Liegen in einem Sanatorium hatte durchmachen 
müssen. Der junge Mann kam ungeheilt zurück, heilte aber 
von selbst, als er die Onanie unterliess, deren Betreibung ihm 
H i r s c h auf den Kopf zugesagt hatte. Der Vater, der von der Onanie 
nichts weiss, konnte „sich gar nicht erklären, dass alle die teuren 
Kuren so wenig genützt hatten und die Heilung dann so plötzlich 
erfolgte“. 

Dieses Krankheitsbild ist, wie auch Hirsch meint, sicherlich 
auch von anderen Aerzten beobachtet worden. Und auch ich stimme 
der Mitteilung durchaus zu. Denn man kann die Anfälle von Magen¬ 
schmerzen mit oder ohne Uebersäurung öfters bei Onanisten, mehr 
aber noch bei Onanistinnen beobachten. Schmerzen, welche nicht ver¬ 
gehen, solange die Kranken dem Missbrauch nicht entsagen. 

Aber auch wenn sie ihm entsagen, heilen damit die Magen¬ 
leiden nicht in allen Fällen von selbst, sondern können in unver¬ 
minderter Heftigkeit weiterbcstehen und doch noch eine tatkräftige 
Behandlung erfordern. 

Diese Behandlung hat aber nicht den Magen zu 
bearbeiten, sondern die Nase, und zwar das vor¬ 
dere Ende der linken*) mittleren Muschel, eine Stelle, 
welche Wilhelm Fliess, der Entdecker dieser Beziehung zwischen 
Geschlechtsorganen und Nase, die Magenschmerzstelle der 
Nase benannt hat. Diese Stelle ist in solchen Fällen von erheblicher 
Empfindlichkeit gegen leichte Berührung, ja diese kann so 
arg sein, dass die Kranken bei der Berührung erblassen, sogar An¬ 
wandlungen von Schwäche bekommen und dass auch starke Kokain¬ 
lösungen diese Empfindlichkeit nicht immer ganz restlos aufzuheben 
vermögen. 

Ausserdem ist die Magenschmerzstelle auch gerötet, geschwollen 
und sie neigt zum Bluten, zeigt also mehr oder weniger vollständig 
das Bild der „neuralgischen Veränderung“ (Fliess). 

Die Kenntnis dieser Dinge ist für den Forscher wichtig, nicht 
minder aber für den Arzt. Denn wenn in Fällen, wie dem von 
Hirsch beschriebenen, trotz Aufhörens der Onanie die Magen¬ 
krämpfe und vielleicht auch die Uebersäurung bestehen bleiben, dann 
soll man die Magenschmerzstelle der Nase prüfen, und 
zwar am besten während eines Schmerzanfalles. Findet 
man sie „neuralgisch verändert“, so pinselt oder bebläst man sie 
einmal, oder wenn nötig, mehrere Male mit 20proz. Kokainlösung, 
der unter Umständen zweckmässig noch etwas Adrenalin zuge¬ 
setzt ist. 

Besteht wirklich der ursächliche Zusammenhang zwischen dein 
geschlechtlichen Missbrauch und dieser Nasenstelle, so erlebt man es 
dass binnen 5—15 Minuten der Magenkrampf vergeht, in sehr schwe¬ 
ren Fällen aber ungeheuer vermindert wird. 

Eine sich anschliessende Aetzung mit Trichloressigsäurekristallen 
sichert dann die Heilung der Schmerzen und der Hyperazidität, welche 
die Kranken in höchstes Erstaunen setzt. In schwereren Fällen ist 
die Aetzung zu wiederholen; in ganz schweren muss das vordere 
Ende der linken mittleren Muschel mit einem Konchotom abgebissen 
werden. 

Wer solche Heilungen gesehen hat, der vergisst sic nicht. Ich 
kenne Menschen, welche von hervorragenden Chirurgen unter der 
Fehldiagnose „Gallensteine" wegen jener Magenschmerzen operiert 
werden sollten, ja sogar operiert worden sind. Ihrer Magen¬ 
schmerzen sind sie aber erst nach dem nasalen Eingriff ledig ge¬ 
worden. 

Natürlich können auch andere Reize, die vom Geschlechtsorgan 
zur Nase wandern, die linke mittlere Muschel neuralgisch verändern 
und den Magenschmerz mit oder ohne übermässige Säurebildung 
auslösen. Bei Jungen Menschen aber, besonders bei Mädchen, ist 
man oft berechtigt, aus dem Befund der Nase auf Onanie zu schliessen 
und danach zu handeln, d. h. einerseits die Nase zu heilen und 
andererseits den Kranken den geschlechtlichen Missbrauch ab¬ 
zugewöhnen. Denn wenn dieser weitergeübt wird, wird die Nase 
wieder krank gemacht und es gibt Rückfälle der Magenschmerzen. 
Im andern Falle ist der Erfolg von zuverlässiger 
Dauer.* 

Auch der Darm wird durch Onanie geschädigt. Besonders 
bei jungen Männern findet sich oft eine so entstandene Verstopfung, 
die durch Behandlung der neuralgisch veränderten unteren Muscheln 
der Nase oder der Tubercula septi heilbar ist. 


*) Anscheinend kann bei Linkshändern die entsprechende Stelle 
der rechten Nasenscite mitschuldig sein. 


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1646 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


Bemerken will ich noch, dass der Erfolg der Nascnhehamlhmg 
auch bei solchen Onanisten ein ebenso sicherer ist, bei denen sich 
Benommenheit, Druck im Kopf, Vergesslichkeit 
und Unfähigkeit zu geistiger Arbeit entwickelt hat. 
Z. B. wenn gute Schüler durch die onanistischc Schädigung der Nase 
zu ganz schlechten geworden sind, können wir die Arbeitsfähigkeit 
durch die Nasenbehandlung, besonders die elektrolytische, völlig 
wiederherstellen — falls sie dem Laster entsagen. 

All dies ist so wichtig, dass seine Kenntnis Allgemeingut der 
Aerztc werden muss, denn wir sind zum Helfen da. 

Wer wissen möchte, warum die Nasenbehandlung so heil¬ 
kräftig ist, der wolle meinen Aufsatz über „Hcads-Zonen als Mittel 
zur Erkennung der nasalen Reflexneurosc“ lesen. Er ist erschienen 
in No. 49—51 der „Med. Klinik“ von 1907. 


Aus der I. med. Klinik München (Direktor: Prof. v. Baue r). 

Ein Angiom in der Briickengegend. 

Von Dr. E n d e r s, Oberarzt im 6. Inf.-Rcg. t vormals komman¬ 
diert zur Klinik. 

Eine etwa 60 jährige Brau wurde in der Nacht vorn 18. auf den 
19. März 1907 von der Sanitätskolonne ohne jede Anamnese in 
bewusstlosem Zustande eingchefert und hatte in der gleichen Nacht 
nach Angabe der Krankenschwester mehrere Krampfanfälle mit V er¬ 
drehen der Augen, Zuckungen in den Gliedern und unwillkürlichen 
Harnabgang. 

Die Untersuchung am 19. März früh ergab im wesentlichen: 
Grosse, kräftige, gut genährte Brau, in passiver Rückenlage, völlig 
bewusstlos. Augen halb offen; angedeutetes Nasenflugeiatmen: leich¬ 
ter Stridor. 

Haut und sichtbare Schleimhäute etwas blass, letztere mit Stich 
Ins Bläuliche. Zunge trocken, borkig. Apfclgrosse. derbe, unter das 
Brustbein reichende Struma. 

Auf den Lungen ausgebreitete trockene Bronchitis. Herz nach 
links etwas verbreitert. Herztöne durch die bronchitischen Ge¬ 
räusche fast völlig verdeckt, anscheinend rein. Puls klein, sehr be¬ 
schleunigt, unregelmässig, 120—130 in der Minute. Respiration 31 
bis 38. 

Bauchorganc ohne Abweichung. Urin — mit Katheter ge¬ 
wonnen — sauer, klar, enthält 3 Prozent Traubenzucker, kein Ei- 
weiss .kein Azeton etc. 

Pupillen eng, gleichnuissig, reagieren ziemlich gut. Beim Oeffneu 
des Mundes mit dem Spatel macht Pat. einige Kaubewegungen: sonst 
sind sämtliche Reflexe erloschen. Es bestellt komplette schlaffe Läh¬ 
mung der Rumpf- und Extremitätenmuskulatur. Bahinski negativ. 
Keine Temperaturerhöhung. 

Vormittags 11 Uhr ein Anfall, beginnend mit extremer Rechts¬ 
wendung der Augäpfel. Daun treten nacheinander ein: horizontaler 
Nystagmus beiderseits, klonische Zuckungen im rechten Bazialis, so¬ 
dann im rechten Arm. darnach in der rechten Rumpfhälfte und 
schliesslich im rechten Bein. In umgekehrter Reihenfolge hörten die 
Krämpfe auf: R. Bein, r. Rumpfhälftc. r. Arm. r. Bazialis, Augen. Die 
Zuckungen waren auf der Höhe des 2 Minuten währenden Anfalls 
So heftig, dass Pat. förmlich in dem Bett emporgeworfen wurde. 

Die nunmehr vorgenommene Lumbalpunktion ergab wasserklare, 
unter etwas erhöhtem Druck stehende Bliissigkeit ohne sonstigen be¬ 
merkenswerten Befund. Einen therapeutischen Erfolg hatte die Punk¬ 
tion nicht; vielmehr setzte 10 Minuten nachher (11 Uhr 3t0 der 
zweite Anfall ein, und cs folgten nachmittags noch fünf Anfalle, 
sämtliche vom nämlichen Charakter wie der beschriebene. Unter 
zunehmender Herzschwäche erfolgte trotz Digaleniniektion etc. noch 
am selben Nachmittag gegen 3 Uhr 30 Min. der Tod. 

Nach dem Befund und Verlauf war die klinische Diagnose auf 
einen Erkrankungsherd (Blutung. Erweichung. Zyste?) in der 
Briickengegend — darauf deutete die Zuckerausscheidung im Harn — 
und zwar linksseitig mit einiger Wahrscheinlichkeit zu stellen. Cmna 
diabeticum und verwandte Zustände Messen sich leicht ausschliessen. 

Leichenbefund (Auszug aus dem Sektionsprotokoll des patho¬ 
logischen Institutes): 

Meningen verwachsen; Arterien der Hirnbasis sklerotisch. Hirn¬ 
substanz schneidet sich derb, Schnittfläche saftig glänzend, blutarm. 
Rinde und Mark deutlich geschieden. Beide Seitenkammern etwas 
erweitert, dritte Kammer gehörig. Adergeflecht ziemlich blutarm. 
Ependym zart. Weder im Grosshirn noch im Kleinhirn irgend eine 
Herderkrankung. In der Brücke, deren Substanz wie im verlängerten 
Mark überhaupt sonst völlig unverändert erscheint, findet sich ein 
schlitzförmiger, von zartem Gewebe (Glia?) erfüllter Hohlraum, etw a 
linsengross. 

Nebenbefund: Mässige Hypertrophie und Dilatation des Herzens, 
Struma, geringe pleuritische Adhäsionen rechts. 

Die von mir vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab: 

Auf dem durch die hinteren Vierhügel und den vorderen Ab¬ 
schnitt der Brücke zugleich geführten Schnitt liegt der Hohliaum 
9 mm vom ventralen Rande entfernt, ein wenig nach links von der 
Mittellinie, so zwar, dass er diese mit einer Ecke überschreitet. Eine 


zweite Ecke ist entgegengesetzt, d. h. nach links, eine dritte Neutral 
gerichtet. Sonst ist die Bonn des < iebiides ziemlich um cgcim.issig. 
Die Neubildung nimmt annähernd die Mute der Mibst.mtia pe'mraia 
posterior ein, liegt also dorsal \oii der Britcke. Neutral von der dmt 
statthabenden Bindearmkreu/ung (siehe Skizze „A”). 



Halbschematisches Schnitlhild in Hohe der hinteren \ icriiugd, 
um die Lage des Aiumnis zu zer.m. 

A Angiom. B Bmde.miikreuzung. G (iciasM-.mdei. zu.n 
Angiom hmziehciiJ. 

Sie ist in das Gewebe eingelagert, ohne \<>n der Umgebung 
durch eine gesonderte W nnJs v hk ht abgcgrenzt zu sein, ste .t n id- 
niehr einen einfachen Dcle kt dar. dem W aftdsdiu. ht und \i;vc e idmvg 
Nollig abgehen. Die Wand sed«st cischeint picht ganz glatt, solidem 
wie ausgenagt. besonders an dfn zicmäJi zahlreichen Mellen, wo 
Gelasse m den Hohliaum eintrete n. 

Im Innern des Raumes, von der Wand etwas absidimd. sieht 
man einen Gefassknauel: dicht nebe neinander, ijuer* längs. sJr.ig ge¬ 
troffen. vorwiegend arterielle kleinere Gct.isse und kan men, .der 
auch mehrere dünnwandige, sackartig erweiterte Raume. eieren I m- 
reihung (ob Pt.»kapillaren. ob \ eilen.''I nicht ganz sicher zu treten iM. 
Bei der Mehrzahl der Gelasse ist die Wand normal gebaut und gut 
erhalten; hei einzelnen aber besteht liNaime n «>r Sc hr itte ne De¬ 
generation der Media lind Bxterna. Ks-nders dnüuJi an eimgeii 
Arterien. Die Bulliing ist mir in den dmmw atun gen, s.u k.i-tt;; K eU 
(venösen?) Raumen ausserordentlich hodgrad.g; d.e Vr lenen sind 
meist leer. 

Die schon erwähnten, au zahlreichen Mellen \<*rn um geKm!«. n 
(iewebe her einmundenden kleinen und klmmtm ( lelasse zeigen 
nichts Abw eieheiuies. IlerN «»rzuhebui ist das leihen iu klar \b- 
kmckimg in ihrem Verlauf. 

Das Bindegewebe zwischen dm cm/elnm Gelassen ist spmhdi. 
Man sieht nichts von undirier eii/K i tm (ie webst erneuten auch nicht 
im Bereich des Gelass,.rnjb|liels . nichts n.>u spo-wendeit Gelassen, 
keine Glia, keine Imiitration. keine Hutung iisw . 

In der Umgebung fallt die enorme I hang s.miihcher Gefaste, 
besonders auch der Kapillaren auf. letztere sehen aus nv ;e kinst- 
lich imizieit. Ventral Nmi der reJiän med.al* u \li ule. l.ous 
der selben zum bescbn*. heuen (ieiasskmniel Imi/iehem!. sind einige 
staikere ( iefasse sichtbar, m deren l nigibimg das » ie w t f «c etwas 
retrahiert erscheint (I i Weiterung der jh r in .isk u. ■ r eil 1 \ mph» aunc 
oder Kunstprodnkt). Me sind in der /e idmimg rr.it .di' bezeichnet. 
Die Wand lener Ge lasse- weist keine Mt ukddliN e: aiide rütUi n auf. 
Solist ml Bau der Ibiicke nichts \)' nv ek liendes. ybe :is -w emg m den 
Viciliugeln und im n er langer teil Mark m v'»e s. mde i e keine I .ao- 
erkrankiingeii. Blutungen, I t w eic hmice n. < i :aw ndu r lingeri. ze igelt 
Infiltrationen, V er lagerungen oder k < mipr esst- -'se: sc he immge n. 

Nach allem ist das beschriebene Gebilde als ent arterielles 
Angiom aii/iivpreelien; 111,111 Konnte es mit Alb recht audi 
zu den B'elilbildimgen (Mamai tnnieii) zahlen. Lin.e Neigung 
zum B'ortsclir e iteri ist nicht erkennbar nun velit keine 
11 iieliffereu z ierteii < iew ebsbestaiulk ile. m der Umgebung nichts 
von Druckwirkung, \ erlageriing, li.nitration; de zufnhren- 
deii (iefasse sind nicht abgeknickt. 

Es sind im Gegenteil sieheriweiw regressiv e Verän¬ 
derungen --- hyaline Degeneration der < ie i.i^w .n:J vor¬ 
handen. 

Bemerkenswert ist die Lage des Arg:«.ms ge rade mnut’eii 
des hinteren NebtVIele s. jenes umsdirie be ue-n rie r\er.armen Ge- 
bietes zwischen Piuelearmkren/img und ITiuke. das sdum m 
der Norm sehr gefassreich ist und eben dadurdi für d,e IVdtmg 
derartiger Angimne besonders disponiert zu cr^lk men \er- 
mag. 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1647 


Mit dieser Lokalisation lassen sich auch die wesentlichen 
klinischen Erscheinungen, die den Fall auszeichneten, unge¬ 
zwungen erklären: die Beschränkung der klonischen Krämpfe 
auf die rechte Körperhälfte bei Beteiligung beider Augen (der 
Herd sass zum grössten Teil links von der Medianlinie) und 
die Zuckerausscheidung (Gegend des Zuckerstichs!). 

Gerade durch die Glykosurie wird unsere Annahme, der 
ganze schwere Symptomenkomplex sei von dem kleinen An- 
giom ausgelöst, erheblich gestützt und die Vermutung ent¬ 
kräftet, es könnten als Ursache der klinischen Erscheinungen 
Grosshirn Veränderungen irgendwelcher Natur, aber wegen 
ihrer Feigheit mit den gebräuchlichen Methoden nicht nach¬ 
weisbar, in Betracht kommen. 

Das Angiom bestand offenbar schon längere Zeit, vielleicht 
seit Jahrzehnten, vielleicht seit der Geburt. Ein Wachstum 
scheint in letzter Zeit nicht stattgefunden zu haben, soweit sich 
dies aus dem histologischen Befund erschliessen lässt. 

Der Umstand, dass der Hohlraum, in welchem das Angiom 
eingebettet ist, deutlich grösser ist als die Geschwulst, ge¬ 
stattet die Annahme, die Geschwulst habe das Vermögen be¬ 
sessen, an 1 - und abzuschwellen. Ob aber letzteres Phänomen 
erst in letzter Zeit eintrat oder schon früher, vielleicht wieder¬ 
holt, bestanden hatte, d. h. ob die Kranke von solchen 
Krämpfen schon öfters befallen worden war, Hess sich nach¬ 
träglich nicht mehr ermitteln, da über die alleinstehende Pat. 
keine befriedigende Auskunft erlangt wurde. Wahrscheinlich 
erfolgten die Anfälle zum ersten Male bei anscheinend voller 
Gesundheit. Wir dürfen diesen Analogieschluss mit einigem 
Vorbehalt ziehen, weng wir andere Fälle, besonders die häufi¬ 
geren Beobachtungen von Amgiombildung im motorischen Ge¬ 
biet der Grosshirnrinde berücksichtigen. Bei dieser Erkran¬ 
kung, von welcher beispielsweise im Jahre 1900 Dr. S t r u p p - 
1 e r einen typischen Fall aus der Klinik des Herrn Professor 
v. B a u e r in dieser Zeitschrift — Jahrgang 1900, Seite 1276 — 
veröffentlichte, kann sich ja der Träger der Geschwulst lange 
Zeit hindurch völlig wohl fühlen, bis das Angiom eines Tages 
infolge einer irgendwie entstandenen allgemeinen oder lokalen 
Hyperämie sich akut vergrössert und stürmische Erscheinungen 
macht. Und diese hochgradige Hyperämie der Umgebung war 
ja auch in unserem Falle sehr ausgeprägt. 


Eine seltene Störung nach submuköser Nasenscheide¬ 
wandresektion. 

Von Dr. Müller in Heilbronn. 

Herr K., 28 Jahre alt, litt an heftigen Kopfschmerzen, die durch 
eine rechtsseitige Siebbeineiterung bei hochgradiger Verbiegung der 
Nasenscheidewand nach rechts verursacht waren. Ich resezierte am 
26. Juli 1907 die Nasenscheidenwand submukös nach Killian und 
räumte das rechte Siebbein aus. Die subjektiven Beschwerden ver¬ 
schwanden; der Heilungsverlauf war normal. Im September ging 
Patient zur Erholung in die Schweiz. Ende Januar 1908 suchte er 
mich wieder auf. Er klagte, dass beim Ein- und Ausatmen durch 
die Nase ein leiser hoher Pfiff ertöne, der ihn sehr störe. Am unteren 
Ende des Knorpelschnittes bemerkte ich eine kleine Granulation, die 
ich entfernte, worauf das Pfeifen verschwand. Anfangs März 1908 
kam der Patient aber wieder. Schon wenige Tage nach der Ent¬ 
fernung der Granulation war das Pfeifen zuerst ganz leise wieder¬ 
gekommen, allmählich hatte es sich aber verstärkt ijnd war, trotz¬ 
dem man den Pfiff objektiv nur als leise bezeichnen konnte, doch 
so intensiv geworden, dass der Friede des Familienlebens in Gefahr 
geriet. Man hörte bei der In- und Exspiration durch die Nase einen 
leisen Pfiff, der etwa dem Ton a 6 der sanft angeblasenen Galton¬ 
pfeife entsprach. Bei der Untersuchung fand ich folgendes: In der 
Gegend des unteren Endes des Knorpelschnittes sah man von links 
her ein rundes Loch von 2 mm Durchmesser. Von der rechten Nasen¬ 
öffnung aus sah man dieses Loch in der Nasenscheidewand nicht; 
es war verdeckt. Mit einer feinen, vorne stark gekrümmten Sonde 
konnte man eine Falte anhaken, die sich straff über das von links 
her sichtbare Loch spannte; sie entsprang in der Nähe der vorderen 
Umrandung des Loches. Diese Falte hatte sich offenbar mit der zu¬ 
nehmenden Festigkeit des vernarbenden Schnittes ausgebildet. Sie 
hatte allmählich eine immer straffere Spannung angenommen und 
da sie sich zufällig über der Perforation befand, geriet sie durch 
den ein- und ausströmenden Luftstrom in periodische Schwingungen, 
die sich in Form eines hohen pfeifenden Tones bemerkbar machten; 
es hatte sich eine eigenartige Zungenpfeife ausgebildet. Da der 
Patient sehr nervös war, liess ich mich auf keinen komplizierten 
operativen Eingriff ein, sondern machte durch die Perforation einen 
Horizontalschnitt und zwickte mit dem Konchotom ein ca. 6 mm 


grosses Loch in die Nasenscheidewand, womit auch die Falte zerstört 
wurde. Die Wunde heilte in wenigen Tagen und dem Patienten war 
geholfen. 


Oscar Liebreich f. 

Am 2. Juli 1908 ist der Geheime Medizinalrat Prof. Dr. 
Oscar Liebreich aus dem Leben geschieden. Mit ihm 
ist ein Mann dahingegangen, der mit Recht den Namen einer 
Individualität verdiente. Liebreich schwamm nicht mit 
dem grossen Strom, er wandelte seine eigenen Wege. Schon 
sein Werdegang wich von dem anderer Gelehrter ab. 

Am 14. Februar 1839 zu Königsberg i. Pr. geboren, wandte 
sich Liebreich, nachdem er anfangs Seemann gewesen, 
dann unter Fresenius in Wiesbaden sich zum technischen 
Chemiker ausgebildet, 1859 dem Studium der Medizin zu, dem 
er in Königsberg, Tübingen und Berlin oblag. Im Jahre 1865 
wurde er in, Berlin zum Doktor promoviert. Nicht lange 
dauerte hier jedoch seine Tätigkeit als praktischer Arzt. Zwei 
Jahre später wurde er chemischer Assistent am pathologischen 
Institut unter V i r c h o w. Von hier aus habilitierte er sich 
1868 für Arzneimittellehre, 1871 wurde er ausserordentlicher 
und ein Jahr später im Alter von 33 Jahren als Nachfolger von 
Mitscherlich ordentlicher Professor sowie Direktor des 
Pharmakologischen Instituts der Universität Berlin. 1891 wurde 
er zum Geheimen Medizinalrat ernannt. 

Schon während seiner Studienzeit trat Liebreich mit 
einer chemischen Arbeit hervor. Es gelang ihm der Nachweis 
des Protagons als hauptsächlichsten Träger des Phosphor¬ 
gehalts im Gehirn. 1869 entdeckte er die schlaferzeugende Wir¬ 
kung des 1832 von Justus v. L i e b i g entdeckten Chloral- 
hydrats. Abgesehen von der theoretisch-wissenschaftlichen 
Bedeutung, die seinerzeit dieser Fund beanspruchen durfte, 
musste diese Entdeckung als eine ganz besondere Wohltat für 
die leidende Menschheit angesehen werden: war doch das 
Chloralhydrat eines der ersten Mittel, das — relativ unschäd¬ 
lich — als sicheres Hypnotikum betrachtet werden konnte. In 
den weitesten Kreisen wurde Liebreichs Name bekannt 
durch die Entdeckung des Lanolins (1885). Von anderen Ar¬ 
beiten L i e b r e i c h s, die entweder neue Mittel in die Medizin 
einführten oder als grundlegend für deren Wirkung und Be¬ 
deutung angesehen werden können, seien genannt: Die 
anästhesierende Wirkung des Aethylidenchlorids, das Butyl- 
chloral, die Einführung des Hydrargyrum formamidatum 
solutum in die Therapie der Syphilis, die Studien über Ery- 
throphlein, die Wirksamkeit der Kresole, des Tolipyrins, des 
Formalins, des Methylvioletts, der Borsäure und des Borax, 
ferner des Strychnins als Antidots bei Chloroformvergiftungen, 
über die Wollfette, die Oxydation des von ihm entdeckten Neu¬ 
rins und die Synthese des Oxyneurins. Etwas abseits von der 
praktischen Medizin liegen Liebreichs Untersuchungen 
über den toten Raum sowie über den Tiefgang der Fische. Die 
zahlreichen kleineren Arbeiten Liebreichs hier zu er¬ 
wähnen, würde zu weit führen. Dagegen sei mit einigen 
Worten der Stellung Liebreichs der Bakteriologie gegen¬ 
über gedacht. Er nahm den Standpunkt ein, dass die Wirkung 
des Tuberkulins keine spezifische, sondern eine örtlich irri¬ 
tierende sei, die auch durch andere Mittel, so unter anderen 
durch Kantharidin hervorgerufen werden könnte. Die Kan¬ 
tharidinstudien, die Liebreich an Lupuspatienten anstellte, 
zeitigten die Entdeckung zweier optischer Untersuchungs¬ 
methoden für die Dermatologie: die Phaneroskopie und den 
Glasdruck, welche zur Verfeinerung der dermatologischen 
Diagnostik in hohem Masse beitragen halfen. Seine Anschau¬ 
ungen über die Wirkungen der Bakterien wichen nicht un¬ 
wesentlich von denen der strengen Bakteriologenscbule 
ab und veranlassten ihn, den Begriff des Nosoparasitismus zu 
schaffen; hiermit wollte er sagen, dass viele Parasiten ihre 
pathogene Wirkung erst dann entfalten, wenn sie auf bereits 
in ihrer vitalen Kraft alterierte, erkrankte Zellen resp. Organe 
treffen. 

L i e b r e i c h s Interesse mehr volkswirtschaftlicher Natur 
bezeugen seine kritischen Bemerkungen über Materialien zur 
technischen Begründung eines Gesetzentwurfes gegen Ver¬ 
fälschung der Nahrungs- und Genussmittel, sowie seine Ar¬ 
beiten über die Borsäure und den Borax zur Konservierung 


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1648 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. M. 


von Nahrungsmittel, in denen er seinen Standpunkt mit grosser 
Energie vertrat. 

Von Liebreichs Büchern ist auser der von ihm her¬ 
ausgegebenen Enzyklopädie der Therapie, das von ihm gemein¬ 
schaftlich mit seinem langjährigen Mitarbeiter Langgaard 
verfasste Kompendium der Arzneiverordnung am meisten be¬ 
kannt geworden, das im vorigen Jahr bereits in 6. Auflage 
erschien. Ferner gab er mit Langgaard und Rabo w 
zusammen die Therapeutischen Monatshefte heraus. 

Die Balneologie ist Liebreich zu Dank verpflichtet 
insofern er eine grosse Reihe von Quellen analysierte, des 
Weiteren als er jahrelang den Vorsitz der Balneologischen 
Gesellschaft führte und die Interessen dieser Vereinigung eben¬ 
so wie die der mit ihr eng verbundenen H u i e 1 a n d ischeu 
Gesellschaft aufs eifrigste wahrnahm und aufs erfolgreichste 
vertrat. 

Liebreich besass eine Reihe von Eigenschaften, die 
man in so ausgeprägtem Masse selten vereint findet: Klugheit, 
schnelle Auffassung und Beherrschung einer jeden Situation, 
gepaart mit eiserner Energie. Jedem Thema, das ihm auch 
noch so fern lag, gewann er neue Seiten ab und wusste auf 
den ersten Blick oder nach kurzer Ueberlegung den Kernpunkt 
der Sache zu treffen. Mit ungewöhnlicher Energie verfocht er 
seine Meinung. Hindernisse kannte er nicht; je mehr sich ihm 
solche entgegenstellten, um so mehr reizte es ihn, dieselben 
zu überwinden. Bei seinen wissenschaftlichen Gegnern war 
er gefürchtet wegen der Schärfe seiner Kritik . In der Dis¬ 
kussion vertrat er den Standpunkt: „Eine Entgegnung muss 
scharf sein wie ein mathematischer Beweis“. Seine form¬ 
vollendete Rede, oft mit eingestreutem feinen Humor und mit 
Sarkasmus gewürzt, brachte häufig die ursprünglichen Gegner 
seiner Anschauung auf seine Seite. Wenn er in der Berliner 
medizinischen Gesellschaft das Wort ergriff, lauschten die Zu¬ 
hörer mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Unerschrocken vertrat 
er die einmal von ihm als richtig erkannte Meinung gegen 
Jedermann; für Konzessionen war er — ein abgesagter Feind 
jeder Halbheit — nicht zu haben. 

Diese Gaben des Geistes erhöhte eine schöne männliche 
Erscheinung: gross gewachsen und elastisch, das geistvolle 
klassische Gesicht mit der fein geschnittenen Nase und den 
wunderbaren, faszinierenden Augen, ein wohltönendes, ausser¬ 
ordentlich modulatiorisfähiges Organ. 

Dazu kamen Umgangsformen vornehmster Art, um die ihn 
jeder Diplomat hätte beneiden können. So war es nur selbst¬ 
verständlich, dass er im geselligen Kreise, bei seiner interes¬ 
santen Art zu plaudern, bald den Mittelpunkt der Gesellschaft 
bildete. 

Die liberale Weltanschauung, der L i e b r c i ch stets 
huldigte, der er bis zuletzt treu blieb, Wisst es erklärlich er- 
^ scheinen, dass er auch ärztlichen Standesfragen Interesse ent¬ 
gegenbrachte. Zur Zeit, als die Berliner Aerzteschaft sich in 
zwei Lager spaltete, blieb er seinem alten liberalen Verein treu, 
war dann jahrelang dessen Vorsitzender und späterhin sein 
Ehrenvorsitzender. Durch das Vertrauen der Berliner Aerzte¬ 
schaft wurde er mehrmals in die Aerztekammer Berlin- 
Brandenburg gewählt. 

Dass Liebreich aber auch seinen mit Glücksgütern 
nicht reichlich gesegneten Mitmenschen zu helfen bestrebt war, 
geht aus seiner Tätigkeit beim Sanitätsverein fiir Lehrerinnen 
hervor. Lange Zeit gehörte er dem Vorstande als werbende 
Kraft an und suchte, als er in den letzten Jahren Vorsitzender 
wurde, den Verein weiter auszubauen, gleichzeitig aber auch 
die Interessen der im Verein tätigen Acrzte zu fördern. 

OscarLiebreich, der weder Rast noch Ruhe kannte, 
wurde in der letzten Zeit durch schw ere Krankheit gezwungen, 
seine Tätigkeit einzuschränken und zuletzt ganz .aufzugeben. 
Ein sanfter Tod setzte diesem an Arbeit und Erfolgen so 
reichen Leben ein Ziel. Mit Liebreich ist eine der mar¬ 
kantesten Persönlichkeiten der Berliner medizinischen Fakultät 
dahingegangen, ein Mann, der bei seinen Freunden jmd bei 
allen, die ihn näher kannten, eine tiefe Lücke hinterlassen wird. 

R. I. P. 

Edmund S a a 1 f e I d - Berlin. 


Referate und Bocheranzeigen. 

Robert Bing: Die Bedeutung der spinozerebellaren 

Systeme. Mit 8 Figuren im Text und 6 Tafeln. Wiesbaden, 
J. F. Bergmann, 1 ( X»7. *#> Seiten. Preis (>.n» M. 

Das vorliegende Buch ist dem neuen S e n c k e n b e r g - 
sehen neurologischen Institut zur Einweihung als FVstg.be viar- 
gebracht. Bing sucht unsere Kenntnisse \<>n den Fur.kti«men 
des Zerebellums, die in Anbetracht der Grosse des Organes 
als recht unbefriedigend bezeichnet werden müssen, dadurch 
zu erweitern, dass er die im Rückenmark nach dem Kleinhirn 
verlaufenden Bahnen bei Hunden durchschmtt und die Folge¬ 
erscheinungen studierte. Wie aus den nachträglich augestellten 
Untersuchungen des Rückenmarks zu ersehen w.ir, ist es ihm 
tatsächlich gelungen, diese Bahnen isoliert /u durJitreiiren. 
ohne andere Bündel, wie die PyramiJenstrange. mitzutreiieii. 
Auf Grund exakter Fragestellung wird dargelegt, wo die l r- 
sprungszellen der in Rede stellenden Systeme. d. h. der Klein- 
liirr.seitenstranghahneii und der GowerssJun Bahn zu 
suchen sind, wie ihr weiterer Verlauf im Rückenmark und m 
der Medulla oblongata vor sish gehl und wo sie im Klein¬ 
hirn endigen. 

Durch Zerstörung der Zentren dieser Stränge im 
Oberwurm des Zerebellums werden dieselben Ausfalls¬ 
erscheinungen erzeugt, wie durch die Durchtrcnnimg der Neu¬ 
tralen und dorsalen Spmozeiebeliarb.ihnen selbst, d. h. es 
kommt in beiden Fällen zu Storungen der Rumpi-, Jcr SJiu'.ter- 
giirtel- und insbesondere der BeckengurU Ibew egimgcti. dabei 
ist der Tonus der betroffenen Muskelgruppeii wesentlich 
herabgesetzt. Es sind also hauptsächlich d.e für die Erhaltung 
des Gleichgewichtes heim Stelle11 und liehen notwendigen 
Gemeinschattsbew egungen heemtrüJitigt. Die Bewegungen 
in den distalen Teilen der Extremitäten, besonders aller der 
Arme lind der Hände, sind weniger dem Kleinhirn und den 
subkortikalen Zentren als den psychomotorischen Rinden- 
abschnitten unterstellt. So ist es zu verstehen, dass d e spino- 
zerebellaren Bahnen im HaKmarkc fast gar keinen Easer- 
zuwachs mehr erfahren, vielmehr sich fast ausschliesslich aus 
dem Brust- und Lendenmarke rekrutieren. Tatsächlich 
können bei di r zerebellaren Ataxie im Gegensatz zu den Beinen 
und zum Rumpf die Arme und Hände in geordneter Weise 
bewegt werden. Die Spinnzerebeüartrakte stehen im Dienste 
der sogenannten Tieiensensibilit.it, d. h. sie leiten dein Klein¬ 
hirn jene unterbewussten Rezeptionen zu. weLlie von Muskeln. 
Sehnen. Periost ausgehend. reflektorisch auf die Innervation 
und auf die Pauererregnng der Muskeln, welche man als Tonus 
bezeichnet, von bestimmendem Einfluss sj J. Die Eir/el- 
bewegung ist intakt, die GemeinsJi.ü'tsbew egungen sind be¬ 
einträchtigt und zwar durch die Unterbrechung der zentri¬ 
petalen Aeste des Reflexbogens. Mit dem efferenten 
Schenkel dieses Reflexbogens, den zerebellumtugalen Bahren, 
welche über den Nu Jeus ruber mit dein rubrosputalen Bündel 
nach dem Rückenmark ziehen und die Ausführung der ..Prin¬ 
zipalbewegung“ gewährleisten, deren weiterer Verlaut" aber 
noch sehr umstritten ist. beschäftigt sich Bing leider gar tuJit. 
Die gestellte Aufgabe, die anatomische Anordnung und die 
physiologische Bedeutung der im Rückenmark radi dem Zere- 
bellurn zustrebenden Systeme dar/ulegcn. ist aber vollauf er¬ 
füllt und so wird das Buch für alle die. w eVbe sich mit den 
Problemen des Kleinhirns und der Neurologie beschäftigen, 
unentbehrlich sein. L. R. Müll e r. 

Dr. A. Schanz: Handbuch der orthopädischen Technik 
für Acrzte und Bandagisten. Mit läos Abbildungen im Text. 
M7 Seiten. Jena, Verlag von Gustav E i s c h e r, l‘>os. Preis 
18 Mark. 

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, ein Handbuch 
der orthopädischen Technik für die praktischen Aer/te. für 
Spezialärzte und die Bandagisten zu sdire ben. Das ist Schwer 
in einem Buch zu erreichen, denn d.e drei Gruppen stellen 
ganz verschiedene AutorJcruugen au ein solches Blich. 

Der vielbeschäftigte praktische Arzt verbogt einen 
kurzen klaren Rat, wann bei einem o-nb'manschen Leiden eine 
Bandage augezeigt ist und w eiche*' Am ■amt am meisten zu 
empfehlen ist. 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1649 


' - Den Bandagisten interessieren vorwiegend tech¬ 
nische Fragen. Er will wissen, an welchen Teilen' des Körpers 
der Apparat angreift, wohin die Gelenke zu verlegen sind, 
welches Material verwendet werden soll und wie es bearbeitet 
wird, welche Teile am Apparat unbedingt stark und fest und 
welche unbedenklich leicht gearbeitet werden dürfen u. dergl. 
mehr. 

Der Spezialarzt wird ein Handbuch der orthopädi¬ 
schen Technik am wenigsten brauchen. In der Regel wird er 
seine Studien am Patienten machen und aus der Anatomie der 
Deformität das technische Problem des Apparates zu lösen 
suchen. Dagegen wird er gern zu einem Buch greifen, wenn 
ihn historische Fragen der Technik interessieren. Dafür wird 
das Schanzsche Buch jedem Facharzt ein sehr willkom¬ 
mener Ratgeber sein, denn mit bewunderswertem Fleiss hat 
der Verfasser alles zusammengetragen, was über orthopädische 
Apparate geschrieben worden ist. Vielleicht ist der Verfasser 
in dem Wunsch, allen Autoren gerecht zu werden, zu weit ge¬ 
gangen. Zu viel Apparate, die bisher in den Katalogen der 
Bandagengeschäfte begraben waren und deren praktische Un¬ 
brauchbarkeit ohne weiteres klar ist, erleben im Schanz- 
schen Buche eine Auferstehung. Unter dieser Masse des 
Stoffes leidet die praktische Brauchbarkeit des Buches. Be¬ 
sonders der praktische Arzt, der aus einem Buche von 
637 Seiten Text und 1398 Abbildungen den brauchbarsten Ap¬ 
parat sich heraussuchen soll, ist in einer schwierigen Lage. 
Er wird sich vielleicht falsche Vorstellungen von der ortho¬ 
pädischen Technik machen, denn er kann aus dem Buch nicht 
ersehen, dass die komplizierten orthopädischen Apparate mit 
Ausnahme der Schienenhülsenaparate heute der Geschichte an¬ 
gehören. An Stelle der Federn und Schrauben, die in den 
früheren Apparaten die grösste Rolle spielen, besorgt heute 
vielfach die menschliche Hand und der Gipsverband die Kor¬ 
rektur. Dadurch ist die Zahl der Apparate, welche in der 
Praxis eine Rolle spielen, viel kleiner geworden. Mit 30 bis 
50 Apparaten dürften heute die meisten Spezialärzte aus- 
koinmen; deshalb scheint eine Beschränkung des historischen 
Teiles in einer zweiten Auflage des Schanz sehen Buches 
erlaubt zu sein und unseres Erachtens würden dadurch die vor¬ 
züglichen Ausführungen des Verfassers, die überall den viel 
erfahrenen Praktiker verraten, erst recht zur Geltung kommen 
und das Buch, das eine sehr fleissige und verdienstvolle Arbeit 
darstellt, wesentlich an praktischer Brauchbarkeit gewinnen. 

F. L a n g e - München. 

Dessauer-Wiesner: Leitfaden des Röntgenver- 
fabrens. Unter Mitarbeit von Blencke, Hildebrand, 
Hoffa, Ho ff man n und Holzknecht. Herausgegeben 
von Des sau er und W i es ne r. 3. Auflage. OttoNemmich, 
Leipzig 1908. 336 Seiten mit 113 Abbildungen und 3 Tafeln. 
10 Mark. 

Der Inhalt des Lehrbuches zerfällt in drei Abschnitte: 

Einen breiten Raum (etwa ein Drittel des Buches) nimmt 
die Darstellung der physikalischen Grundlagen des Röntgen¬ 
verfahrens, sowie die Schilderung der Erzeugung bestgeeig¬ 
neter elektrischer Stromenergieformen durch Induktion (rein 
elektrischer Teil) und der Umwandlung der Elektrizität 
in X-Strahlen (Röhrenbau) ein. Diese Kapitel sind ausser¬ 
ordentlich klar gefasst und ermöglichen eine gute Orientierung 
über theoretische Prinzipien und technischen Bau des Instru¬ 
mentariums. 

Dem gegenüber tritt die Beschreibung des Durch- 
leuchtungs- und Aufnahmeverfahrens an Um¬ 
fang (40 Seiten) wesentlich zurück. Dennoch ist sie bei aller 
Kürze unter Hervorhebung des Wesentlichen ausführlich be¬ 
schrieben. Eine gesonderte Bearbeitung haben die Stereo¬ 
skopie, sowie die Orthodiagraphie erfahren. 

In einem dritten Abschnitte wird in zwei Gruppen die 
Radiologie in der inneren Medizin und Chi¬ 
rurgie einerseits, sowie die Röntgentherapie andrer¬ 
seits abgehandelt. 

„Die radiologische Diagnostik in der in¬ 
neren Medizin“ enthält auf 15 Seiten und 3 Tafeln mit 
grösstenteils schematisierten Figuren zusammengedrängt die 
vielseitigen Anwendungsgebiete dieser Disziplin und ihre Re¬ 


sultate in meisterhafter Weise von einem Autor (Holz- 
k n e ch t) geschildert, der selbst in erheblichem Masse zu dem 
Ausbau unserer Kenntnisse auf diesem Gebiete beigetragen hat. 

Gleich prägnant und reich an wertvollen Winken ist die 
Röntgentherapie — ebenfalls von Holzknecht — 
geschrieben. 

Auch die Bearbeitung des „Röntgen Verfahrens in 
der Chirurgie“ lag in bewährten Händen, nämlich des 
unvergesslichen Hoffa, der seit Beginn der Röntgenära am 
Orte der Entdeckung reiche Erfahrung sammeln konnte, und 
B l e n c k e s - Magdeburg. In’diesem Kapitel wird der un¬ 
ermessliche Dienst der Röntgenstrahlen für die Chirurgie in 
einer vorzüglichen Uebersicht unter gesonderter Betrachtung 
der einzelnen Körperteile und Besprechung der wichtigsten 
anormalen Verhältnisse erläutert. 

Der Wichtigkeit des Gegenstandes wegen wäre es zu be- 
grüssen, wenn der Besprechung des Schutzes von Arzt und 
Patienten, sowie der Schilderung der Gefahren der Röntgen¬ 
strahlen ein eigenes Kapitel eingeräumt würde. 

Alles in allem lässt sich sagen, dass das von anerkannten 
Autoren geschriebene, in dritter Auflage vorliegende Lehrbuch 
auf verhältnismässig knappem Raume einen ausgezeichneten 
Leitfaden der Röntgenologie darstellt. Es bietet Anfängern eine 
klare Darstellung der Physik und Technik, sowie Anleitung 
zur diagnostischen und therapeutischen Ausübung des Röntgen¬ 
verfahrens; Vorgeschrittenen ist es ein Nachschlagewerk, in 
welchem sie sich bei der vielseitigen Reichhaltigkeit des In¬ 
haltes über alle Details sowie — von der aktuellen Moment¬ 
photographie allerdings abgesehen — den modernen Stand 
dieser Hilfsdisziplinen schnell und präzise orientieren können. 

Zabel- Rostock. 

Max Neuburger, Professor zu Wien: Geschichte der 
Medizin. Zwei Bände. II. Band, 1. Hälfte. 229 Seiten. Stutt¬ 
gart, Ferd. Enke, 1908. M. 5.40. 

Zwei Jahre sind seit dem Erscheinen des ersten Bandes 
verflossen, eine kurze Frist, wenn man die Fülle des Stoffes 
in Betracht zieht, den uns die neue Lieferung bietet. 

„Die Medizin in der Verfallszeit der Antike“ wird zunächst 
betrachtet. Die Mangelhaftigkeit des Unterrichts wird betont, 
die Standesgeschichte, das Eindringen der Magie, der Wunder¬ 
glaube, der Einfluss der Astrologie und des Dämonismus sind 
lebendig und geistvoll dargestellt. Die Beziehungen des 
Christentums zur Heilkunde sind in würdigster Weise be¬ 
leuchtet. Der Abschnitt über die Literatur beginnt mit 
Sereirus Samonicus; ausführlicher werden mit Recht 
Oreibasius, der Leibarzt Julians und Caelius A u r e 1 i - 
a n u s, der Uebersetzer des unsterblichen Soranus be¬ 
handelt. 

Recht lesenswert sind die Kapitel über das Medizinische 
bei den Kirchenvätern und die Medizin des Talmud. Quellen¬ 
angaben wären hier nützlich gewesen. 

Die Medizin der Byzantiner und ihre Literatur ist Seite 93 
bis 139 behandelt. A e t i u s eröffnet die Reihe. Möchte uns 
bald eine gute Edition^dieses bedeutenden Sammlers beschieden 
sein. 

Alexander v. T ra 11 es, den uns Puschmann er¬ 
schlossen hat, folgt; von den späteren Autoren werden be¬ 
sonders Paulus A e g i n e t a und Joannes A c t u a r i u s sorg¬ 
fältig analysiert. Ueber Demetrios Pepagomenos habe 
ich in den „Zoologischen Annalen“ eine kleine Notiz gebracht 
(Würmer in den Augen der Jagdfalken, feinste helmintho- 
logische Beobachtung der älteren Zeiten). 

Die Darstellung der arabischen Heilkunde (pag. 142—228) 
schliesst den Halbband des gediegenen Werkes. 

Huber- Memmingen. 

Pharmazeutische Rundschau. 

Von Dr. Max W i n c k e 1 in München. 

Es ist unverkennbar, dass die pharmazeutische Fachliteratur 
eine ausserordentlich vielseitige ist; die Disziplinen der verschieden¬ 
sten Fächer vereinigen sich hier: Chemie, Botanik, Drogenkunde, 
Physik und Hygiene. Alle sind auch der Medizin fachverwandte, 
ja zum Teil für diese grundlegende Lehrgegenstände; mithin bringen 
die pharmazeutischen Veröffentlichungen gar manche Arbeit, die auch 
für den Mediziner nicht nur interessant, ja sogar notwendig zu wissen 


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1650 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. M. 


ist, schon deshalb, weil der Verkehr von Arzt und Apotheker in der 
Praxis viele geschäftliche und wissenschaftliche Berührungspunkte 
mit sich bringt. Es mag daher wohl angezeigt sein, von Zeit zu Zeit 
über die Fortschritte auf dem Oebiete der Pharmazie eine kurze 
Rundschau zu halten und dabei auch kurz die neu erschienenen 
pharmazeutischen Spezialpräparate vom rein chemischen Standpunkt 
aus anzuführen. Letztere Zusammenstellung soll unter der grossen 
Anzahl neuer Arzneimittel nicht sichten und Kritik üben, das ist 
Siche des Pharmakologen und Klinikers, sondern lediglich kurz die 
chemische Zusammensetzung bringen. 

Die Frage nach Schaffung einer amtlichen Pi iifungsstelle für 
pharmazeutisch-chemische Präparate ist seit meinem letzten Bericht 
noch mehr in den Vordergrund getreten. Auf der Hauptversammlung 
des Vereins deutscher Chemiker in Jena tritt Lieh e n g r li n 111 
nochmals für eine recht baldige Errichtung einer solchen Institution 
ein, jedoch unter gewissem Vorbehalt. „Ls müsse verlangt werden, 
dass die Zentrale 1. kein Urteil über die Berechtigung der Ein¬ 
führung eines neuen Präparates auf (irund pharmakologischer Daten 
abgeben dürfe; 2. von einem etwaigen ungünstigen Untersuchungs¬ 
befund keinen Gebrauch machen dürfe, ehe der Labrikant be/w. 
Erfinder des Präparates in Kenntnis gesetzt worden und ihm Ge¬ 
legenheit zu einer Gegenäusserung oder Klarstellung gegeben sei; 
3. günstige, d. h. die Angaben des Labrikanten bestätigende l'nter- 
suchungsrcsultate. unter keinen Umständen veröffentlichen diirie. um 
so nicht etwa einer Benutzung ihres eigenen Gutachtens zu Reklame¬ 
zwecken Vorschub zu leisten. 

In der nämlichen Versammlung hält Bereu des (Jl einen 
Vortrag über „chemisch-pharmazeutische Industrie und die Apo¬ 
theke“, in welchem er wohl im Anschluss an die vorhergehenden 
Auslassungen Eichen griins den Werdegang dieser ganzen In¬ 
dustrie als eine zeitgemässe, natürliche Strömung kritisiert. 

Es ist eine sehr erfreuliche Tatsache, dass auch von seiten her¬ 
vorragender Aerzte der Zentralstelle die nötige Beachtung gewidmet 
wird, immerhin aber wird der Schwerpunkt einer solchen Zentrale 
auf die Tätigkeit des pharmazeutischen Chemikers zu legen sein: 
er hat zu untersuchen, ob die Angaben des Labrikanten bezüglich 
der chemischen Zusammensetzung des Mittels richtig sind, dann 
erst setzt die Arbeit des Pharmakologen ein und endlich die des 
Klinikers. Eine derartig fleissige und objektive Prüfung neuer Arznei¬ 
mittel von seiten des Chemikers und Pharmakologen in einem staat¬ 
lichen Institut ist dringend notwendig geworden, damit unlautere 
Präparate von vornherein aus dem Verkehr ausgeschaltet werden 
können und sich nicht wieder Vorfälle, die die gewissenhafte deutsche 
Grossindustrie dem Ausland gegenüber blossstellen, ereignen können. 

Ich verweise hier auf die Arbeiten Z e r n i k s. nach denen 
Pyrenol nicht, wie der Labrikant angibt. ein synthetischer.» einheit¬ 
licher Körper ist, sondern nichts anderes als eine Mischung alt¬ 
bekannter Arzneikörper. Lreriehs weist neuerdings noch nach, 
dass die Pyrenoltabletten nicht einmal die angegebene Dosis Pyrenol 
enthalten, sondern nur Ls bis *Ti der aufgedruckten Menge! 

Neben den oben angedeuteten Untersuchungen würde eine Zen¬ 
traluntersuchungsanstalt für neue Arzneimittel, die bereits von 
G o 111 i e b in No. 24 dieser Wochenschrift erwähnten physio¬ 
logischen Prüfungen solcher Arzneimittel in die Hand nehmen, welche 
im pharmazeutischen Laboratorium nicht ausgeführt werden können, 
z. B. von Digitalis, Secale cornutum u. a. 

Umfangreiches Material zur B e a r b e i t u n g des neu e n 
Arzneibuches liegt der Kommission, welche kürzlich zu einer 
Vorberatung zusammengetreten war, vor. Von verschiedenen Seiten, 
teils aus den wissenschaftlichen Laboratorien der Hochschule und der 
Grossindustrie, teils aus der pharmazeutischen Praxis hervorgegangen 
sind wertvolle Beiträge zur Aenderung und Verbesserung der be¬ 
stehenden Pharmakopoe gemacht worden, so erst kürzlich in einer 
umfassenden Ausarbeitung von der chemischen Labrik L. Merck |3|. 
In einer pharmakognostischen Arbeit empfiehlt (ii I g 141 an Stelle der 
Strophanthus Kombe in die neue Pharmakopoe die Samen von 
Strophanthus hispidus aufzunehmen. L sch bäum |5| tritt für die 
Einführung einer Tropfengewichtstabelle in das Arzneibuch ein. 
Locke |f>| tritt nochmals mit gutem Recht für seine bereits emp¬ 
fohlene Methode zur physiologischen Prüfung der Digitalisblätter 
und deren Aufnahme in die Pharmakopoe ein. C. M a n n i c h |7| emp¬ 
fiehlt, dass das nächste Arzneibuch die wichtigsten imprägnierten 
Verbandstoffe, Grundsätze zu ihrer Beschaffenheit und ihrer Beur¬ 
teilung aufnehmen sollte, da die z. Z. im Handel befindlichen Verband¬ 
stoffe sehr häufig nicht ihrer Signatur entsprechen und Enrico R i - 
mini [s| gibt an. dass auch die Suhliniatnastillen des Handels nicht 
selten zu niedrige Werte erweisen. Utz [ü| stellt in übersichtlicher, 
klarer Lorm die diesbezüglich bereits bestehenden Prüiungsmetlioilen 
von Verbandstoffen zusammen und flicht seine eigenen Erfahrungen 
auf diesem Gebiet ein. Die im vergangenen Jahre vom preussiseben 
Medizinalministerium neu erlassene Vorschrift zur Herstellung einer 
Kresolseifenlösung für Hebammen erfährt eine allgemeine Ablehnung 
sowohl von Seiten der Mediziner als auch Hvgieniker und Che¬ 
miker: sie bedeutet keinen Lortschritt gegenüber dem Lysol und 
! ii|. CresoJi saponatus. ist dazu aber noch teurer als letzteres. 


Medizinisches Interesse diirfte ein Vortrag von Thomsf|n| 
haben, in welchem derselbe seine seit Jahren veriofgten Beobadi- 
tungen über die Alkaloide an m Dahlem kultivierten MolmptLmzen 
wiedergibt. Durch geeignete Dimgungsvcrsiiche weist er ii.kIi. dass 
die Opiumproduktiou und die Zunahme des m ihm enthaltenen \i- 
kaloides gesteigert werden kann. Dieselben sind bereits fertig ge¬ 
bildet in der unreifen Pflanze vorhanden und können ans diesen 
isoliert werden. Eine rationelle ()pumigew Innung aber durfte hier 
zu Lande wegen der hohen Arbeitslöhne ausgeschlossen sein. Die 
Arbeit durfte aber den M»duibaiiein in den bisherigen Pr<>dukti"us- 
gehieten sehr wertvolle I inger/euheil bieten. 

Da die Mohnsamen ebentalls geringe Mengen Alkaloide ent¬ 
halten. diese aber un Handverkauf zulässig sind und in manchen 
Gegenden zum Einschlafen! kleiner Kinder viel begehrt werden, 
macht das sächsische Ministerium m einem Rundschreiben an Oie 
Beziiksar/te diese aufmerksam, m ihren Kreisen bei unigen Muttern. 
Hebammen etc. aber die schädlichen Lolgen der Mohnsaniciiabk«►chirng 
aufklarend zu wirken. 

Line ausführliche chemische und pharmakologische \rbeit bringt 
Windaus |lt| über das Cholesterin. Rieben [l-’l hat austihr- 
liehe Untersuchungen über den Zerfall von Pillen im Magemlarmkan.il 
angestellt 'Mid kommt zu dem Schluss, dass die mit Wadis und 
fett als Konstituens dargestellteu Pi.ieii die Schlechtesten Weite 
geben, etwas vorteilhafter ist Sace har um mit Miidiagö gummi amb. 
Wesentlich besser iedoch sind die mit Rad. Injuuiliae oder Rad. 
Althaeae und Sir. smipl. Iler gestellten Pillen. 

Von neuen Jahres- und < ieschattshericIlten verdienen an dieser 
Stelle einige besonderer W urdigtmg. Die M e r c k Sc h e n I a h r e s- 
berichte bringen m rem wissenschaftlicher, durchaus oKekttv ge¬ 
haltener l orm belehrend und anregend zugleich a le Neuerungen aui 
dem Gebiete der Pharmakotherapie und Pharmazie. Sie bieten dem 
Arzt ein w ertvolles, zuv erlässiges Nadisc hlagebuch für die gesamte 
in- und ausländische Literatur, die im vergangenen lalir auf lenem 
Gebiet veröffentlicht ist. 

Lau " ei'eres praktisches Nachsdi'agebudi für Ar/t und Apo- 
theker hat die Lirina .1. D. Riedel her ausgegeben m ihren Be¬ 
ruhten und M'-ntor. Neben einigen chemischen Arbeiten smj in 
alphabetischer Reihenfolge alle in den letzten d» Iahren als le- 
merkeuswert in den Arzneisdiatz emgeb.hr teil Präparate nebst ihrer 
Zusammensetzung, ihrer I igensc hatten und Anwendung dann ent¬ 
halten. Ebenso hat Bruckner. Lampe & Co. eine Zusamnu u- 
Stelhmg nmer Arzm imiffel erscheinen lassen. 

Liehe & Co. beruhten über die gesamte Lage des Vrziui- 
mittelmarktes im vergangenen Jahre, aus dem wir erkennen, dass 
nach der Lcberschrcitimg der IE.chhomimktur der drei letzten Ldoc. 
der pharmazeutische Grosshamlcl in die Periode eines getahr ’idu n 
Rückschlages emgetreteii ist. wora.uf nuht zum wenigsten die wrt- 
schaftliche Lage in den Vereinigten Staaten mit ihren mannigfaltigen 
folgen eingewirkt hat. Auch die neuen englischen lmiuhrbcstmi- 
mungen fur pharmazeiitisclie Produkte erschweren den Hände! m 
diesen Ländern so sehr, dass sich bereits mehrere l’irmen genötigt 
sehen, eigene Lahr ikationsstattui im I arnle seihst zu errichten. 

Die V i e r t e I i ;i h r e s s c Ii r i f t fur p r a k t i s c he Phar¬ 
mazie. welche vom deutschen Apotheker v ereil* he rausgt. geben wird, 
bringt jeweils eine Zusammensu httng der neuesten Arzneimittel so¬ 
wie der Gehe immittel und Spezialitäten. An der Hand die ser \ er- 
offentluhimgeii sowie eler phar maze utisjie n Zeitung mögen dieselben 
in folgendem kurz referiert werden. 

Arterenolum h v d r o c h I o r i c u m < Höchster L.ubw crkc'I 
ist ehe salzsaure \erlnmlimg eles ReduktiorispTuduktes des Ammo- 
acetobrenzkatee liins. Das Atterenoi. ehiorlivdr.it. bildet ein fein¬ 
körniges, geruchloses Kristallmehl, welches imdi m starker \e f dun- 
iiung anästhesier ende Wirkung her v or r ult und m Dosen vm n.i ■ »»»■ 's 
intravenös eingespr itzt Steigerung des Blutdiükkes liervomitt. s. >\\ se 
ins Auge gebracht. Pupillenerw eileruug he rv• .rbringt. Ls hat also die 
Wirkling der Nebeimiereupt äparate. ist jedoch w esentlu h imgutiger. 

C Ii i n i n u rn n n e I e i n i c u m <L. Me r ck. Dar rnst.i-.lt > besitzt 
die spezifische Wirkung des Chinins und die ieukozv lern ernährende 
Wirkung der Nukleinsäure. Ls wird von Lenz mann m ni proz. 
Aufschwemmung mit (»liveiml bei Sv plu is ange wendet. 

Lüsten in (Vereinigte Chininfaln iketi Zimmer cN Co.. Lrank- 
fii r t > ist eine Doppelv erhmöiirig von | heobrommnatr mm uud Nat’ium- 
jodid und wird von v. Nmuilen in ai’en I a ieri. v\o eine gemein¬ 
same Wirkung des Theohromms zugleich mit Jod erw iinvjit er¬ 
scheint. empfohlen. 

Ibiiiioreiioii n m h v d r o c h I o r i c u in (Höchster Labnk- 
werke) stellt das salz sau re Salz des \ethv himinohnn/katechms dar. 
es erscheint wie das A r tereiioltmi in a : c 11 I .i.ieti. m denen Suruaremn 
Anwendung findet, indiziert, mit dem Unter Sc h;ed. dass es S'ma! 

weniger giftig ist. 

Jod o m e n i u (I. A. W ii’fmg. Ber'mJ wird dargestL't di|%'h 
Einw irknng von W ismuttr podid aut I ;\uev. Is ist cm I ’-s.u./ der 
Jodalk.(Jiell. beMf/! abet dadurch, dass der b •da’d'au erst r: a ka! - 

scheu Darmtrak tus vor s: v }| ^«.ht. v > • r umn wesentmhe \ • • / :ge. 

Neofot m (Carlo | iba. Mai’aiid * ist I r: • .dpheii. i vv ;s” ,ut. ein 

gelbes, in Wasser unlösliches l'ulver. w ukt öirdi langsame b dab- 
spaltung antiseptisch. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 





4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1651 


Protan (H. K. Mulford Company, Philadelphia) eine Verbin¬ 
dung des Tannins mit Milchkasein, kommt erst im alkalischen Darm¬ 
saft zur Wirkung, welche sich hier als zusammenziehend und des¬ 
infizierend zu erkennen gibt. 

Suprareninum h y d r o c h 1 o r i c u m syntheticum 
(Höchster Farbwerke) stellt einen bemerkenswerten Fortschritt in der 
organischen Synthese dar. Es ist salzsaures Aethylaminoortobrenz- 
katechin der Formel: C.H»(OH)*CH. OH. CH a NH(CH) 3 HCl. Was 
seine Dosierung, Darreichung und Indikation betrifft, entsprechen 
diese dem natürlichen Suprarenin. 

T a n n y 1 (Gehe & Co., A.-Q., Dresden) ist Oxychlorkasein- 
tannat, es besitzt adstringierende und antiseptische Eigenschaften und 
wird in innerlichen Dosen zu 1—3 g gegeben. 

Xaxaquin (Burroughs Wellcome & Co., London) stellt das 
Chininsalz der Azethylsalizylsäure dar und vereinigt so die Wir¬ 
kung seiner Komponenten. 

Von Spezialitäten und Qeheimmitteln seien folgende 
nur kurz erwähnt. 

A1 b i n, eine Wasserstoffsuperoxyd neben Qips und Pflanzen¬ 
schleim enthaltende Zahnpasta. 

Andolin enthält: Eucain 0,5, Stovain 0,75, Supraren. 0,008 zu 
100 ccm physiologischer Kochsalzlösung, in sterilen Ampullen 
ä 0,2 ccm. 

Asclerosol enthält Rakozybrunnensalz, Blutsalze des T r u n- 
c e k sehen Serums und Sajodin bezw. Jodglidine. 

B a r t a soll Daminaextrakt, Phosphorzink und Strychnin ent¬ 
halten und kommt in 4 verschiedenen Stärken in den Handel. 

Betunephrol enthält in konzentrierter Form die wirksamen 
Bestandteile konzentrierter Birkenblätter. 

Bioglobin ist eine 5proz. weinige Lösung von Hämoglobin¬ 
extrakt. 

B i s s u 1 i n - Suppositorien und -Stäbchen enthalten Sozojodol- 
quecksilber. 

B r o m o t u s s i n ist ein dem Bromum solidificatum ähnliches 
Brompräparat zum Einatmen bei Keuchhusten. 

B r o n c h i 1 i n e ist ein Pflaster zur Linderung des Keuchhustens, 
welches Extrakte heilkräftiger Kräuter und ätherischer Oele enthält. 

Carboneol: ein Steinkohlenpräparat. 

Carboterpin: eine Lösung von Steinkohlen in Terpentinöl. 

C e 11 a s t in: ein kohlehydrat- und fettspaltendes Ferment. 

Energy ist nach den Untersuchungen von Matthes [13] 
eine Mischung einer honigähnlichen Substanz mit Ameisensäure und 
2 Proz. Nährsalzen. 

F i 11 r a s e ist ein Diffusat von Tuberkelbazillenreinkultur. 

H y g i e n o 1 soll eine Verbindung von Kresol mit schwefliger 
Säure sein. 

L a b o d a - Dragees enthalten 0,1 Terpentinöl und 0,05 Menthol. 

Merkalator: mit Quecksilbermetall getränkte Gesichts¬ 
maske zum Einatmen von Quecksilber. 

Parathyreoidin, ein Organpräparat der Nebenschilddrüse, 
welche 0,1 wirksame Epithelkörpersubstanz enthält. 

P a r a t o x i n ist ein aus der Galle durch chemische Einwirkung 
gewonnenes Antitoxin. 

Phthisoremid:Koch sehe Bazillenemulsion zum innerlichen 
Gebrauch in Form von keratinierten Leimkapseln. 

Rachisan soll bestehen aus: Ol. Jecoris-Aselli 30, Acid. Ol. 
Jec.-Aselli jodati 1, Ferrum manno destillat. 15, Aqu. dest. ad 100. 

S i 1 b e r s e i f e ist 10 proz. Lösung von Silbernitrat, Ammonium 
oleinat. 

T i m o t h e i n ist Paratuberkulin, welches durch Ausfällen aus 
den Kulturen von Timotheusbazillen gewonnen wird 

T u b e r k e 1 - S o c i n ist ein Glyzerinauszug von aus ge¬ 
trockneten, autolysierten und entfetteten Tuberkelbazillen und nach- 
heriger Fällung mit Natriumwismutjodid erhalten. 

T u s s i c u 1 i n besteht aus je 3,5 ätherischen Oels von Mela- 
leuca Leucadendron, Serpyllum, Persica vulg. und 45,0 Alcanna tinct. 

Tussinextrakt ist Malzextrakt mit kleinen Mengen von 
Eucalyptol, Menthol, Thymol. 

T u s s i r o I: Menthol, Eucalyptol, Thymol ana 0,2, Kal. brom. 5,0, 
Spirit. 10,0, Sir. Thymi comp, ad 250,0, 

Xerosin „W e i g e r t“: eine T rockenpaste, bestehend aus 
Ichthyol, Acid. boric., Zinc. oxyd., Talcurti, Gelanthum. 

Literatur: 

1. Eichengrün: Chem. Ztg. 1908, p. 581. — 2. Berendes: 
Chemikerztg. 1908, pag. 582. — 3. E. Merck: Pharmaz. Ztg. 1908, 
p. 301. — 4. Gilg: D. Pharmaz. Ges. 1908, p. 284. — 5. Esch- 
baum: D. Pharmaz. Ges. 1908, p. 297. — 6. Vierteljahrschr. f. ge- 
richtl. Med. u. öffentl. Sanitätswesen, XXXII, p. 130. — 7. Mannich: 
Ber. d. D. Pharmaz. Ges. 1908, p. 219. — 8. Enrico Ri mini: Bollet. 
Chimic. Farmaceut., Fase. 5, p. 145. — 9. Utz: Pharmaz. Zentralbl. 
1908, p. 383. — 10. Thoms: D. Pharmaz. Ges. 1908, p. 117. — 
11. Windaus: Arch. d. Pharmaz. 1908, p. 117. — 12. Rieben: 
Arch. d. Pharmaz. 1908, p. 502. — 13. Matthes: Pharmaz. Ztg. 
1908, p. 380. 


Neueste Journallitcratur. 

Archiv für klinische Chirurgie. 86. Band, 3. Heft. Berlin, 
Hirschwald, 1908. 

18) R o vsi n g- Kopenhagen: Gastro-Duodenoskople und Dla- 
phonoskopie. (Mit 1 Tafel und 1 Textfigur.) 

20) E x n e r und Heyrovsky: Zur Pathogenese der Chole- 
Hthlasls. (2. chirurgische Klinik und Institut für angewandte medi¬ 
zinische Chemie in Wien.) 

22) C z e r n y - Heidelberg: Ueber die Blitzbehandlung des 
Krebses. 

24) Trendelenburg -Leipzig: Ueber die operative Behand¬ 
lung der Embolie der Lungenarterie. (Mit 1 Tafel und 2 Textfiguren.) 

26) Braun- Zwickau: Ueber Ganglioneurome. Fall von Re¬ 
sektion und Naht der Bauchaorta. (Mit 2 Textfiguren.) 

28) S t e i n t h a 1 - Stuttgart : Zur Dauerheilung des Brust¬ 
krebses. (Mit 1 Textfigur.) 

30) C r e d 6 - Dresden: Gastroenterostomla caustica. (Mit 3 Text¬ 
figuren.) 

Vorträge auf dem 37. Chirurgenkongress. Referate s. No. 18—23 
dieser Wochenschrift. 

19) Hashimoto und Saito: Erzielung tragfähiger Amputa¬ 
tionsstümpfe durch Nachbehandlung nach H. Hirsch Im Russisch- 
Japanischen Kriege 1904 05. (Mit 6 Textfiguren.) 

Da die verschiedenen Methoden zur primären Herstellung trag¬ 
fähiger Stümpfe für den Kriegsfall meist zu zeitraubend und um¬ 
ständlich sind, kommt als Amputationsmethode für den ersten Ver¬ 
bandplatz nur die einfache Amputation mit Zirkelschnitt in Frage. Da 
diese Stümpfe aber an und für sich nicht tragfähig sind, empfiehlt es 
sich, sie durch die Nachbehandlung nach Hirsch tragfähig zu 
machen, was bei einer Behandlungsdauer von 5—6 Monaten in der 
Regel gelingt. Die Verf. hatten bei diesem Vorgehen in 38 Fällen 
sehr gute Resultate. 

21) W i n t e r n i t z: Operation der Gaumenspalte mittels Platten¬ 
naht. (Stefanie-Kinderhospital in Ofen-Pest.) (Mit.2 Textfiguren.) 

W. sichert die Gaumenspaltennaht durch zwei Plattennähte, die 
die Knopfnähte entlasten und eine ausgedehntere Berührung der Lap¬ 
penränder gewährleisten, wodurch die Nahtlinie sich förmlich kamm¬ 
artig emporhebt. Er erzielte mit dieser Methode bei Kindern unter 
2 Jahren in 62,5 Proz., bei Kindern zwischen 2 und 4 Jahren in 
42,8 Proz., und bei Kindern zwischen 4 und 15 Jahren in 90 Proz. 
vollständige lückenlose Heilung der Spalte durch einen einzigen Ein¬ 
griff. Die besseren Resultate bei kleineren Kindern als bei denen 
zwischen 2 und 4 Jahren erklärt W. damit, dass die kleinen Kinder 
«ich ruhiger verhalten als die etwas älteren. Er operiert deshalb am 
liebsten zwischen V/s und 2 Jahren, und zwar nur im Sommer, weil 
die Kinder im Winter mehr zu katarrhalischen Erkrankungen neigen. 

23) Beck: Ueber Osteoarthritis deformans endemlca Im Trans- 
baikafgeblet. 

Verf. beschreibt eine eigenartige im Transbaikalgebiete en¬ 
demisch vorkommende schwere Erkrankung der Knochen, an der 
in 11 Ortschaften 1009 Personen. 32 Proz. aller Untersuchten, litten: 
der Prozentsatz der Kranken betrug in einzelnen Orten bis zu 
46,5 Proz. der Einwohner. Das klinische Bild der Erkrankung, die 
am nächsten der Arthritis deformans verwandt ist, ohne aber mit ihr 
identisch zu sein, ist charakterisiert durch Verdickung der Gelenke, 
Knarren, Bewegungsbeschränkung und Kontrakturen, Vergrösserung 
der Knochenhöcker und der Cristae. zuweilen auch durch Wachs¬ 
tumshemmung des Skelettes oder einzelner Knochen. Am häufig¬ 
sten sind die Interphalangealgelenke der Finger und die Ellbogen, 
in zweiter Linie die Knie-. Hand- und Fussgelenke, seltener die Hiift- 
und Schultergelenke ergriffen. Die Krankheit ist gewöhnlich poly- 
artikulär. Das Leiden entwickelt sich meist schleichend bei Kindern 
zwischen 8 und 13 Jahren ohne allgemeines Unwohlsein und Fieber, 
und ohne lokale Entzündungserscheinungen. Allmählich werden 
immer mehr Gelenke ergriffen, wobei aber niemals Eiterung oder 
Ankylosen Vorkommen. Das Wesen der Krankheit sieht B. in einer 
Knochenerweichung, wobei es unter der Zugwirkung der Muskeln 
hauptsächlich zu einer Deformierung der Epiphysen kommt. Die 
Knochenhöcker und Cristae verlängern sich unter dieser Zugwirkung 
und die Epiphysen platten sich ab; die Diaphysen sind in der Regel 
unverändert. Die manchmal beobachteten Wachstumshemmungen 
scheinen durch frühzeitige Ossifikation bedingt zu sein. Die Pro¬ 
gnose quoad vitam ist günstig: oft kommt es auch zum Stillstand 
der Krankheit, während die Deformitäten sich nicht wieder zurück¬ 
bilden. Die Ursache der Krankheit ist allem Anschein nach in einer 
gewissen Beschaffenheit des Trinkwassers zu suchen, die aber noch 
nicht näher nutersucht ist. 

25) Bayer-Prag: Prostatadehnung. (Mit 1 Textfigur.) 

B. empfiehlt für gewisse Fälle von Prostatahypertrophie mit Re¬ 
tention und krampfhaftem Harndrang die Dilatation der Prostata mit 
einem von ihm konstruierten Instrumente, mit dem er in mehreren 
Fällen vorzügliche dauernde Erfolge erzielte. Die Fälle, die sich zu 
der Behandlung eignen, müssen sorgfältig ausgewählt sein; alle Fälle 
mit manifesten Abszessen, hohem Fieber und jauchiger Zystitis sind 
selbstverständlich ausgeschlossen. 


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Original frorn 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1652 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N«>. 31. 


* 27) Parlavecchio - Palermo: Ein Fall aleukämischer 

Lymphadenle von endothellomatöser Natur. (Mit 2 Tafeln.) 

P. bringt ausführliche kritische Bemerkungen zur Systematik der 
sogenannten Pseudoleukämien und beschreibt einen eigenartigen Tüll, 
dessen histologische Untersuchung ein Kndotheliom ergab. Die Aus¬ 
führungen eignen sich nicht zu kurzem Referat. 

29) Westcrgaard: Ueber Nervenläslonen bei Driisenexstlr- 
patlon am Halse. (Chirurgische Klinik in Kopenhagen.) 

W. beobachtete bei zwei Patienten, bei denen der Ak/essorius 
gelegentlich einer Drüsenexstirpation durchschnitten war, sehr un¬ 
angenehme Beschwerden, Schmerzen in der Halsseite und der 
Schultergegend, in den Arm ausstrahlend, die auf das Herabliängen 
des Armes infolge der Kukullarisparese zuriickzutiiliren waren. Durch 
Anlegen eines Korsetts mit Stütze für die Schulter Messen sich die 
Beschwerden vollkommen beseitigen. Zur Vermeidung einer Läsion 
des Akzessorius ist es w ichtig, dass die Inzisionen am hinteren Rande 
des Sternokleido nicht über die Mitte des Muskels herabgefuhrt 
werden. 

31) Peltesohn: Beiträge zur operativen Behandlung der 
Knochenbrüche und Ihrer Folgen. (Chirurg. Abteilung des Kranken¬ 
hauses am Urban in Berlin.) (Mit 37 Textfiguren.) 

Schluss folgt. H e i n c k e - Leipzig. 

Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 62, 

Heft 2. Stuttgart 1908, F. Enke. 

h. A 1 b r e c h t - München: Die praktische Verwertbarkeit der 
Leukozytenbestimmung für die Diagnose entzündlicher Erkrankungen 
des weiblichen Genitale. 

Bemerkungen zu der Erw iderung R. B I ti m e n t h a I s. 

W. W c i b e 1 - Wien: Das Verhalten der Ureteren nach der er¬ 
weiterten abdominalen Operation des Uteruskarzinoms. 

Die Schlussfolgerungen lauten dahin, dass eine nach der l'terus- 
krebsoperation iniolge Nekrose entstandene Urcterscheidcnfistel so 
lange als möglich konservativ zu behandeln ist. wobei abweichend 
von deni Standpunkt, den Franz einnimmt, systematische I ou- 
chierungen der Fistel mit Jodtinktur, eventuell Lapis vorgenommen 
werden. Zeigen sich anhaltende Symptome einer auisteigendeii Er¬ 
krankung der Niere der von der Fistel betroffenen Seite, so wnd 
uephrektomiert. Implantiert wird nur. wenn die Exstirpation der 
Niere wegen Erkrankung der anderen unausführbar ist. 

L. Adler und H. T h a I c r - Wien: Experimentelle und klinische 
Studien über die Graviditätstetanie. 

Es ist den Verff. gelungen, durch Tierversuche den geradezu 
gesetzmässigen Zusammenhang zwischen Epithelkor per und Gravkli- 
tätstetanie nachzuweisen. Diese beruht auf einem H\ poparathy reoi- 
dismus. 

P. D ü r i g - Nürnberg: Ueber den Einfluss des Selbststillens der 
Mütter auf die Neugeborenen in den ersten Lebenslagen. 

Es besteht ein unverkennbarer Einfluss der Art der Ernährung 
auf das Gedeihen des Säuglings; am wenigsten bemerkbar, wenn auch 
immerhin deutlich, ist dieser Einfluss bei gesunden, kräftigen Kindern, 
am augenfälligsten und am meisten beweisend aber bei frühreifen 
oder schwächlichen (Zwillings-) Kindern. 

G. S c h u h c r t - Breslau: Ueber die Genese der Hämatosalpinx 
bei Hämatometra unilateral!». 

Genaue Beschreibung eines dieser seltenen Talle, der \<m 
Kiistner bei einem 19jährigen Mädchen operiert wurde. Eiir das 
Zustandekommen stützt Verf. sich auf die „Refluxtheoric*’. 

W. H a r m e s - Breslau: Was leistet die Zystoskople hinsichtlich 
der Indikation»- und Prognosenstellung der abdominalen Krebs¬ 
operation? 

Die Zystoskopie gibt Aufschluss über die Beschaffenheit des 
Septum vesico-cervieale. Man kann damit fcststelleu, ob es noch 
völlig frei ist, und somit die Blasenablösung leicht sein wird, oder ob 
das Karzinom sich der Blasenwand sclnm nähere, ob es wahr¬ 
scheinlich die Zervixschalc schon durchbrochen habe, und in das 
lockere Bindegewebe des Septum propagiert sei. Damit werden 
diese Fälle nicht inoperabel, aber doch viel schwieriger zu operieren, 
da man darauf gefasst sein muss, eine Blasenw and- oder Ureter¬ 
resektion zu machen. 

K. Holzapfel - Kiel: Verbrennungserscheinungen am Epithel. 
Scheinbare Anaplasie von Krebszellen. 

Gebhard hat eine eigenartige Form hochgradig atypischer 
Karzinomzellen beschrieben, die ihre epitheliale Natur verloren haben 
und als langgestreckte, spindelförmige Gebilde Bindegewebszelleii 
ähneln. Verf. glaubt, dass diese Zellenatypie die Folge der vorher 
vorgenommenen Kauterisation ist und konnte das am lebenden und 
am eben exstirpierten Uterus experimentell beweisen. 

R. Oeri jr. -Basel: Ein Fall von Uterus pseudodidelphis rudi- 
mentarius gravidus. 

Beschreibung eines sehr interessanten, jedenfalls äussert seltenen 
Talles. Die Rat. hatte einige Jahre vorher normal geboren. Jetzt 
war sie in dem rudimentären Uterus gravida. das Kind war fast ans¬ 
getragen und dann abgestorben. Die Differentialdiagnose war sehr 
schwierig. Es wurde schliesslich durch Laparotomie der Uterus ex- 
stirpiert. Werner- Hamburg. 


Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynieofocfe.Bd.XXYH. 

Heft 5. 

1) K e r m a u n e r - Heidelberg: Das »ogen. Dekubitalgeschwür 
beim Prolaps. 

Bei den Prolapsulzcrationcti handelt es sich muh \ cri.s Ansicht 
nicht um Dekubitusgeschw ui e. Sondern um Rissverletzungcn der 
oberflächlichen altersatrophischeil >chkmih.iut. Dafür sprüht neben 
der seml-atrophischcn leidem haut. dem fernen Aussehen und der 
grossen Heilungstenden/, die Gestalt ( la-ugliah-sc h'iiztormig > und d.is 
Verhalten der Ränder. Die Riss- oder Bcrsp.ingsgcsdiw'ktc sind 
bei dei Neigung der Schleimhaut zu Atmphie und >chrumKimg im 
die Dauererfolge der operativ eil Behandlung ein günstiges /euheri 

2) Schulte-! Messen: Leber erfolgreiche SugKcstivbehandlung 
der Hypcremesis gravidarum. 

Bericht aus der Giessener Klinik über |s Tahe Die Schwanger¬ 
schaft wurde m keinem lalle unterbrochen. I me (»rganer kr .mstmg 
wurde me konstatiert, dagegen reine Hvsuric iMmall find Nervosi¬ 
tät mit „erhöhter Rcflcxcrregbarkeif tsmaib Dies mul der thera¬ 
peutische Lflckt (mit Bettruhe. Ihat. Suggestion) sprecht^ dalur, d.iss 
die Hvpcreniesis ohne nachweisbare Schädigung nmc rer (Lganc em 
rem psychogenes, durch Sc hw aiigcr Sc halt ausgeiostis >\ mptojii ist. 
das durch Suggestion mit Sicherheit zu heilen ist. 

3) M. B r e n n e r - Heidelberg: Ein Fall von beginnendem Chorio- 
eplthelioma malignum mit frischer kleiner Metastase In der Scheide. 
(Schluss im nächsten Heft.) 

41 L a ii g c - Bosen: Mitteilungen über das Puerperalfieber Im 
Regierungsbezirke Posen nach den Ergebnissen des neuen Ermitt¬ 
lungsverfahren» In der Zelt von November IWfc bis November I«MIT. 

\\ e i n b r e n n e r - Magdi 'mg. 

Zentralbtatt für Gynäkologie. No. 2 ( > 3n. !**><*. 

M. H o f m e i e r - \\ nr/bürg : Der ..extraperitoneale** und der 
„suprasymphysäre“ Kaiserschnitt. 

II. hat in 2 Fallen mit nicht um erdaytrtigcm 1 U rtismh.i,t doi 
extraperitonealeu Kaiserschnitt nadi I r a n k s \orHli,. K t'ii \csimi:. 
Im ersten (34 ialir. I. Baia» risc d.is Per itoiict.m Iw mi \!>vl: iL» 
etwas em. wurde aber gleich wieder \cruaht. Der k-,nf »i.u^’e mit 
dem Tor/eps entwickelt werden. Sonst \unei »kt I .ii: t u Mutte: 
und Kind günstig. Im 2. T.tll (2‘Hahr. I Para) bi kam M u.e B asc 
überhaupt nicht zu (iesidit; ein A bs v mdu n des Pirikkuums \.*n ihr 
war also ganz uimiogbdi. Nadi s.igittaler 1 *»-r? i ung di sv,. .h t n ze er¬ 
sieh die Lmsc hlagstelle erst lief unter di m lUvke-u i- \.u\i 
Rekonvaleszenz durch Lieber gtsp.it; Sch.iissl.vii verlul a i' 
g 111C k 11 dl. 

H. empfiehlt, bei ausgesprochener Zersetzung des l U r uvuli.i .tc s 
den unteren Wundvvmkel zu ibamiereii. Als Irsatz f , r de n k ,«s- 
sischeu Kaiser sdniitt kann H. ek n evtrape r ifo-iie ak n ^d'.mtt m*M 
anseheil. Nur emptiehlt er. den s.rgittaku Schnitt im I tenis swttt in 
den oberen Teil des Korpus m den unteren gedehnten len des [ terus 
ZU Verlegen. So bleibt der extraperitoneale k aiseu sdmitt 1 . r :.e 
unsauberen Talle um! elcr suprasv s.tre in ek m >unw. d.t^s d«e 

l ’tcrusw uiule möglichst tief in ek r vorderen Warn! und ebdt 
halb eler Sympfu se angelegt wirel. für die r einen l.ie. 

N a c k e - Bei Im : Pcrforatorium. 

Das im geschlossenen Zustande e iner I an/e am licl e Ir.st: mm :•.{ 
soll verschiedene Vorzüge v or ek m sc her e nun li ege n Pe r n i .iP"um 
besitzen. Zu haben bei 11. W indler ui Berlin. 

P. Esc h - Marburg: Leber Kernikterus der Neugeborenen. 

Ausser eien beiden gewöhnlichen Tonnen des Ikterus ne• >•’. 1 1■ ■rum, 
dem sog. emiachen oelei ph\si< .gtsdieii tmd dem s\ mptom.tr.s,.! e n. 
haben Schmoll mul Beneke nocli eine elntte l'o-jn Ins luiebeH, 
die sie ..Kernikterus” nannten, weil vl.de 1 eine intensiv c (ic b- 
farbnng bestimmter Nerv cuketngebicie im (lehirn und Rud.i om. r k, 
vorkam. Th beschreibt einen emsc hlagigcn Iah eunr _h. 1.1 r:: ;cen 
IV. Para, der am 7. Lebenslage zugrunde ging. K'imsch Iw nie 1 V e ns- 
wert waren neben eiern Ikterus toumche Krampte und h; '’.'W 
Symptome, als Rcspir.itionssp fingen mw! >chltickK sj;w e * de n. I m - 
selben Erscheinungen boten du beiden 1 ,i"e vop P. e n e k e. tberis.. 
elas Fehlen luetischer Aetmlogie. Die Prognose ist stets mi.rast 

E. M. S i m o n s - Lhar iotteiibm g Der „schneckenförmige“ 
Uterus. 

S. erinnert daran, dass er sdum im Ldrc e' M e Am m..t he 

des Uterus beseht leln-n habe, die er ..post';, Krwkmg o.h : 
Co! tapiroide der Franzosen nannte, im ! die n :t dem v • • B • ■ s 1 
kürzlich (et. diese \\ oclienschr. No. 22. > 11«M 1 lu s v ‘um n 
sclmeckenformigen 1 tenis identisch s L ui n!e. Viu h v hat d.f'WiS 
em Intrauterinpessar zur Behandlung dagegt n 1 mp* •'•h. v 

J alle- Han bmg. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrgang II. Heft 13. 

Alex. R o s n e r - Kra'.ati: 7ur Blutstillung bei Hebosteotomie. 
(Mit 2 Text figuren.) 

Beschreibung eines zaMgenfo? m ww n I• str imw s /ur Bh::s: "urg 
bei der !lehostcotonue. I'.e Brand.-. u tMan K weg’: Je Vdrbi- 
platten. welche mit einem (iiimnhp- -Sv.<■ t ^.g c n sind; die eine 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1653 


Branche wird in die Vagina eingeführt, die andere drückt von aussen 
gegen das durchsägte Schambein. Verfasser wandte das Instrument 
zweimal bei der Hebosteotomie nach D ö d e r 1 e i n mit Erfolg an. 
(Fabrikant: Georg H ä r t e 1 - Breslau.) 

Richard S c h 1 i c h t i n g - Magdeburg-Sudenburg: Zur Therapie 
der Retroflexio uteri gravid! fixata. (Aus der gynäkologischen Ab¬ 
teilung der Krankenanstalt Magdeburg-Sudenburg.) 

Verf. beschreibt nach Wiedergabe der diesbezüglichen Literatur 
2 Fälle von fixierter Retroflexio uteri gravidi (31 jährige V. Gravida, 
37 jährige X. Gravida). In beiden Fällen Laparotomie mit Lösung 
der Adhäsionen, teils scharf, teils stumpf; im ersten Falle Ventrifixur 
nach Olshausen, im zweiten intraperitoneale Raffung der Ligg. 
rotunda. 

Verf. vertritt den Standpunkt, dass bei fixierter Retroflexio des 
graviden Uterus bei beginnender Inkarzeration nach vergeblichen 
Repositionsversuchen die Lösung der Verwachsungen und Richtig¬ 
stellung auf abdominellem Wege der Einleitung des künstlichen 
Abortes vorzuziehen sei. 

G. Heinricius - Helsingfors: Ueber das Hebammen wesen in 
Finnland. 

Der Aufsatz enthält einen geschichtlichen Ueberblick über die 
Entwicklung des Hebammenwesens in Finnland, Anstellungs- und 
Gehaltsverhältnisse der Hebammen in Stadt und Land, zum Schluss 
eine ausführliche Beschreibung der Ausbildung der Schülerinnen in 
der Hebammenlehranstalt zu Helsingfors. 

A. Rieländer - Marburg. 

Archiv ffir Hygiene. 66. Bd. 4. Heft. 1908. 

1) K. B. L e h m a n n - Würzburg: Ueber die Fähigkeit der 
Schweissaufnahme von Wolle und Baumwolle. 

Cramer hatte auf Grund von Versuchen die Behauptung auf¬ 
gestellt, dass die Wolle für Schweissbestandteile eine bessere Durch¬ 
lässigkeit besitze wie die Baumwolle. Die Schweissbestandteile 
wanderten durch die Wolle hindurch nach aussen. Lehmann 
prüfte mit Siegler die Frage nach, indem nach mehrstündigem 
Gehen die wollenen resp. baumwollenen Strümpfe, das Fusswasch- 
wasser und das Waschwasser aus den Schuhen auf Chlor untersucht 
wurde. Dabei ergab sich, dass der Baumwollsocken mehr Chlor ent¬ 
hielt als der Wollsocken — wie auch Cramer fand. Durch den 
Strumpf hindurch geht aber überhaupt nur meist wenig in Einlage 
und Schuh. Das, was sich im Wollstrumpf weniger findet von Chlor, 
findet sich an der Haut des Fusses mehr. Wurde an einem Fuss ein 
Baumwollstrumpf über den Wollstrumpf und am anderen Fuss der 
Wollstrumpf über den Baumwollstrumpf gezogen, so wanderte im 
ersten Falle nur sehr wenig in dem äusseren Strumpf hindurch, im 
zweiten Falle aber noch weniger. 

2) C. Lubenau -Beelitz: Zur Säurebildung der Diphtherie- 
bazillen. 

Diphtherie- wie diphtherieähnliche Bakterien bilden auf gewöhn¬ 
licher Bouillon Säure, was auf Kohlehydratzersetzung zurückzu¬ 
führen ist. In kohlehydratfreiem Nährboden wird von Diphtherie¬ 
bazillen Alkali gebildet, aber nur bei Sauerstoffzutritt. Andernfalls 
entsteht ebenfalls Säure. Diphtherieähnliche Bakterien bilden kaum 
Alkali. Lässt man durch Koli die grösste Menge Eiweiss vergären, 
so bildet Diphtherie trotz Mangel an Kohlehydraten Säure, dies 
beruht wahrscheinlich auf Umsatz von Eiweisskörpern. Am reich¬ 
lichsten bildet Diphtherie Säure aus Traubenzucker und Dextrin, 
weniger aus Maltose und Lävulose, am wenigsten aus Laktose und 
Saccharose. Aus letzteren beiden Substanzen können aber diph¬ 
therieähnliche Bakterien unter Umständen mehr Säure bilden, wie 
die Diphtherie. Bei Glyzerinzusatz steigt die Säurebildung und 
ebenso bei stärkerer Konzentration von Kohlehydraten. 

3) Ernst Sauerbeck -Basel: Vorkommen und Eigenschaften 
der Diphtheriebazillen bei Diphtherierekonvaleszenten. 

Diphtheriebazillen können wochen- und monatelang über das 
Ende der Krankheit hinaus beim Patienten gefunden werden. Die 
Persistenz ist aber weiten Schwankungen unterworfen, sie ist an 
verschiedenen Orten und an demselben Orte bei verschiedenen Pa¬ 
tienten und in verschiedenen Epidemien verschieden. Stehen die 
Patienten in Spitalbehandlung, so enthalten diese nach des Verf. Be¬ 
obachtungen weniger lange die Bazillen als Privatpersonen an dem¬ 
selben Orte. Eine Abnahme der Virulenz ist im Verlauf der Re¬ 
konvaleszenz nicht festzustellen. Ausser den virulenten Diphtherie¬ 
bazillen können auch avirulente Diphtheriebazillen persistieren. 

Ueber die Dauer der Bakterienpersistenz und die Schwere des 
Krankheitsbildes lassen sich Beziehungen nur schwer finden. Mög¬ 
licherweise besteht doch ein gewisser Parallelismus. 

4) Walther Gaethgens-Strassburg: Ueber die Beschleuni¬ 
gung der Agglutination durch Zentrifugieren mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Meningokokkenagglutination. 

Die Agglutination lässt sich bei Meningokokken wie auch bei 
Typhus und Paratyphus durch Zentrifugieren auf eine kürzere Be¬ 
obachtungszeit von 10 Minuten abkürzen. Abgetötete Meningokokken 
werden gerade so gut agglutiniert wie lebende. Aeltere Kulturen, 
etwa 48 Stunden alt, eignen sich besser. Auch Koli- und Pneumo¬ 
kokkenagglutination lässt sich durch Zentrifugieren beschleunigen. 


5) Hans Benndorf und Wilhelm Prausnitz -Graz: Appa¬ 
rat zur Demonstration der Verteilung von Licht und Schatten bei 
Beleuchtung von Gebäuden durch die Sonne. 

Auf das kleine Tischchen des Apparates wird ein kleines Modell 
des zu bauenden Hauses gesetzt, welches bei verdunkeltem Zimmer 
durch eine Nernstlampe beleuchtet wird. Durch Drehen und Neigen 
des Apparates erzielt man die Beleuchtung, wie sie jedem Tage und 
jeder Stunde des Jahres entspricht. 

R. O. Neumann -Heidelberg. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 30. 1908. 

1) J. Hofbauer -Berlin: Grundzüge einer Antifermentbehand¬ 
lung des Karzinoms. 

2) A. Sticker -Berlin: Die Beeinflussung bösartiger Ge¬ 
schwülste durch Atoxyl und fremdartiges Eiweiss. 

3) Ed. Falk- Berlin: Injektion von Plazentarblut bei Karzinom. 

Hinsichtlich dieser 3 Vorträge vergl. den Bericht der Münch, 
med. Wochenschr. über die Sitzung der Berl. med. Gesellsch. am 
1. Juli 1908. 

4) v. Bergmann und Bamberg-Berlin: Zur Bedeutung des 
Antitrypsins Im Blute. 

Versuche an Hunden ergaben, dass subkutan oder intraperitoneal 
einverleibtes Trypsin die antitryptische Kraft des Serums steigert, 
zuweilen schon innerhalb 24 Stunden. Die Steigerung scheint nicht 
entsprechend einer längeren Vorbehandlung mit Trypsin zu steigen. 

5) L. B r i e g e r - Berlin: Entfettung und Entwässerung bei 
hochgradiger Fettsucht. 

Mitteilung der bei 2 Fällen in Anwendung gezogenen diätetischen 
und physikalischen Therapie, die in Kombination der modifizierten 
K a r e 11 sehen Milchkur mit Hydrotherapie bestand. 

6) Jul. C i t r o n und K. Reicher - Berlin: Untersuchungen 
über das Fettspaltungsvermögen syphilitischer Sera und die Be¬ 
deutung der Lipolyse für die Serodiagnostik der Lues. 

Die Verfasser prüften die lipolytische Kraft syphilitischer Sera 
in Parallele zu ihrem Komplementbinduagsvermögen. Es fand sich, 
dass fast alle Sera mit positiver Kofhplementbindungsreaktion ein 
höheres Fettspaltungsvermögen als | die negativen Sera aufwiesen. 
Ein völliger Parallelismus zwischen Wassermann scher Reaktion 
und lipolytischem Vermögen besteht übrigens nicht, doch liefert obige 
Feststellung eine Erklärung für gewisse andere Beobachtungen bei 
der Wassermann sehen Reaktion. 

7) A. W.olff-Eisner-Berlin: Ueber Versuche mit verschie¬ 
denen TuberkelbazIUenderivaten. (Schluss folgt.) 

8) Casper-Berlin: Zur Therapie der Prostatahypertrophie. 

An 5 Fällen von Prostatahypertrophie erwies sich die Röntgen¬ 
bestrahlung als vollkommen wirkungslos. Die Erklärung liegt darin, 
dass es sich bei genannter Krankheit um bindegewebige, meist nicht 
drüsige Tumoren handelt. Die moderne Therapie wird durch die 
suprapubische Prostatektomie beherrscht, daneben den aseptischen 
Katheterismus. 

9) M. O v e r 1 a c h - Berlin: Die Allophansäure und ihre Be¬ 
deutung für die Chemie der Heilmittel. 

Die Säure an sich ist für den Organismus indifferent, in ihren 
Verbindungen zeigt sie aber bemerkenswerte, besonders für thera¬ 
peutisch wirksame Stoffe wichtige Eigenschaften, z. B. Milderung 
scharfen Geschmackes (bei Santalol, Rizinusöl, Kreosot). 

10) G. D i e s s e I h o.r s t - Berlin: Ueber Bleiausscheidung nach 
innerlichem Gebrauch von Plumbum aceticum. 

Verfasser untersuchte von 2 Patienten, welche PI. acet. ein- 
nahmen, Urin und Schweiss. • Blei fand sich darin in kleinen Mengen 
vor. Eine vermehrte Ausscheidung von Blei im Schweiss durch das 
Lichtbad gegenüber anderen Schwitzprozeduren ergab sich nicht. 

11) H. E. Kanas u gi-Tokio: Ueber die Dehiszenzen der 
Kieferhöhle. 

An 3500 Schädeln fand K. 26 mal solche Dehiszenzen, deren 
praktische Bedeutung bei Erkrankungen der Kieferhöhle kurz dar¬ 
gelegt wird. Dr. Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1908 No. 30. 

1) v. Pirquet-Wien: Das Verhalten der kutanen Tuberkulin¬ 
reaktion während der Masern. 

Während der Masern reagieren tuberkulöse Kinder ungefähr 
eine Woche lang nicht auf Tuberkulin; Verf. bringt dies damit in 
Zusammenhang, dass erfahrungsgemäss die Tuberkulose während der 
Masern sehr oft an Ausbreitung gewinnt. Erhält man bei einem auf 
Masern verdächtigen Kind neben dem Exanthem eine deutliche posi¬ 
tive Tuberkulinreaktion, so kann man Masern ausschliessen. Tabel¬ 
larische Uebersicht über 24 Masernfälle. 

2) Werner Schultz-Charlottenburg und R. Chiarolanza- 
Neapel: Untersuchungen über das proteolytische AntifermenL 

Die verdauende Kraft des Eiters wurde gehemmt durch Zusatz 
von Blutserum, eiweisshaltigen Ergüssen, Zellbrei von Speichel¬ 
drüsen, Nieren, Schilddrüse, Lymphdrüsen, Muskeln, auch Tumoren, 
namentlich Karzinom. 

3) Ha mp ein-Riga: Zur Frage der Mitralstenose. 

Verf. findet, dass reine, d. h. nicht durch Insuffizienz derselben 


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1654 


MUKNCHKNHR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


Klappe komplizierte Mitralstenose verhältnismässig häufig (10 bis 
20 Proz.. sämtlicher Mitralklappenfehler) vorkommt und verhältnis¬ 
mässig gutartig ist, d. h. gut kompensiert ist. Geräusch kann gering 
sein oder fehlen, wie 3 sezierte Fälle lehrten. 

4) Rud. E h r m a n n - Berlin: lieber schweren Diabetes Infolge 
syphilitischer Infektion. 

Gesunder 46 jähriger Mann ohne hereditäre oder nervöse Be¬ 
lastung erkrankt gleichzeitig mit Auftreten eines syphilitischen 
Exanthems an schwerem Diabetes, der nach Aussetzen der Schmier¬ 
kur unter antidiabetischer Behandlung in 8 Tagen heilte. E. vermutet, 
dass vielleicht ein vorübergehendes Versiegen der inneren Sekretion 
des Pankreas durch Stoftwechselprodukte der Spirochäten zu¬ 
grunde lag. 

5) R. F o g h - Kopenhagen: Ein Fall von posttyphöser, sup- 
purativer Knochenentzündung mit ausserordentlich langwierigem 
Verlaufe. 

Das Leiden zog sich durch 23 Jahre hin; bei den operativen 
Eingriffen fanden sich im Knocheneiter Typhusbazillen in Reinkultur. 
Die erste Lokalisation des Bazillus nach dem Ileotyplins fand sich 
im linken Femur, welches 1 Jahr früher einen Stnss und dadurch einen 
Locus minoris resistentiae erhalten hatte. 

6) Leo Bornhaupt - Riga: Zur operativen Behandlung der 
Pancreatitls acuta. 

In dem mitgeteilten, mit Erfolg operierten Fall konnte die Dia¬ 
gnose schon vorher per exclusionem gestellt werden: Anhaltende 
unerträgliche Schmerzen im Epigastrium, plötzlich entstanden Er¬ 
brechen, trockene Zunge, schlechtes Aussehen, Verhaltung von Stuhl 
und Winden; guter Puls, normale Temperatur, weicher Leib, keine 
geblähte Darmschlinge, keine sichtbare Peristaltik; Zucker im Urin. 
Die Bedeutung der möglichst frühzeitigen Operation liegt nach B. 
namentlich auch in der Entspannung des infiltrierten retroperiionealen 
Gewebes und Wiederherstellung der normalen Blutzirkulation im 
Pankreas. 

7) E. K i r s c h - Magdeburg: Rachitis und Skoliose. 

Schuluntersuchungen ergaben, dass beim Eintritt in die Schule 

schon 7 Mal soviele fixierte ^koliosen — fast alle rachitisch, soweit 
nicht angeboren — vorhanden sind als während der Schulzeit hinzu¬ 
kommen. Die Schiefhaltung in der Schule führt nicht zu so schweren 
Formen. 

8) T a 1 a t - Konstantinopel: Universeller Favus. Abgebildet. 

9) Rud. Hirt- Mannheim: Präzisionssauger für kleinste Flüssig¬ 
keitsmengen. 

In einem Zylinder 2 ineinandergehender Kolben, deren Kolben¬ 
stangen in Gewinden drehbar sind; der innere Kolben wird mittelst 
Mikrometerschraube für feinste Einstellung bewegt. 

10) J. Ts u z u k i - Tokio: Das Mllltärsanltätswesen In Japan. 

R. Grashey - München. 

Österreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 30. E. P r i b r a m - Wien: Lieber Beziehungen zwischen 
chemischer Konstitution, physikalisch-chemischen Eigenschaften und 
pharmakodynamlschen Wirkungen. 

Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet. 

R. K r a u s, R. Doerr und Lohma- Wien: lieber Anaphylaxie, 
hervorgerufen durch Organextrakte (Linsen). 

Mit Extrakten aus Rinderlinsen subkutan vorbohamlcltc Ka¬ 
ninchen zeigten nach 3 Wochen intravenös mit Riiulerlinsenextrakten 
nachinjiziert die typischen Erscheinungen der Anaphylaxie. Diese 
Anaphylaxie ist nicht so spezifisch, wie die durch Serum herxor- 
gerufene. Die mit den Linsen einer Tierart vorbehandelten Tiere 
reagierten anaphylaktisch auch auf den Linsenextrakt von anderen 
Tieren. Mit Serum vorbehandelte 'Tiere reagierten auf Liusenextrakte 
nicht. Aus weiteren Versuchen ist zu schliessen. dass die Linse 
neben Präzipitinogen noch ein Antigen enthält, welches den ana¬ 
phylaktischen Reaktionskörper auslost. Der Reaktimiskorper ist 
spezifischer als das mit Linsen erzeugte Präzipitin, insofern es bei 
aktiv und passiv vorbehandelten Tieren nur auf das Antigen der 
Linsen reagiert, nicht aber auf das Serum. 

H. R e i e h e I - Wien: Die Gesetze der peptischen Verdauung. 

Uebersicht über die bisher aufgestellten Gesetzmässigkeiten mit 
11 Gleichungen. 

L. M ekler- Ufa (Russland): Zur konservativen Behandlung 
chronischer Eiterungen des Epltympanum. 

Beschreibung zweier mit Erfolg behandelter Fälle, wobei das 
Einführen der Arzneistoffe in den Kuppelraum dadurch erleichtert 
wurde, dass der Kranke in liegender Stellung mit herunterhängendem 
nach der kranken Seite umgew endeten Kopf gehalten w urde. Die 
eingeblasene Borsäure gelangt so in die äussersten Winkel des 
Epitympanums. Bei täglicher Wiederholung dieser Borsäurebe¬ 
handlung kamen die hartnäckigen Fälle ziemlich bald zur Ausheilung. 

K. v. S c h i 11 e r - Ofen-Pest: Kalter Abszess in der Glandula 
thyreoldea. 

Der siebente bis jetzt beobachtete Fall ist dadurch bemerkens- 
" h dass die Diagnose der Schilddrüsentuberkulose mit grosser 
' ■heinlichkeit schon vor der Operation gestellt werden konnte. 


Auch hier lag eine sekundäre Erkrankung an Tubcfkulr.se \ur. Xus 
dem later liessen sich nur auf dem kioinpcchcr-Zimmcr- 
m a n n scheu Nährboden Tuberkelba/illciikulturen er/ic’.cn. 

E. H oke-Prag: Streptokokkenaggressin im Blute bei Sepsis 
puerperalls. 

Vergleichende Versuche an zwei Meerschweinchen. Das eine 
erhielt normales Menschenserum und eine Mreptok->kkenb«»ui oii- 
kultur subkutan, das andere das Serum der betreuenden an Puer¬ 
peralsepsis Erkrankten lind dieselbe Menge der StrcpP >k.>kkcnkuittir. 
Alis dem Umstand, dass das crstcre her nadi 2t». das /weite bereits 
nach Hl Stunden zugrunde ging, ist auf das \. «ritande nsein eines 
Streptokokkeiiaggressms i in Blute der Kranken zu s». Iinesseti. 

M. v. Schroetter und M. W e i n h c r g e r - W ien : Zur 
Kenntnis der Kolibazillose der Respiratlonsorgane. (Schluss t< !g:3 
D. Pospischill: Ueber Diphtberietheraple. Versuche einer 
Behandlung der schwersten Fälle mit Adrenalin-kochsalzinjektionen. 
(Schluss.) 

fünf sehr genaue Krankengeschichten; drei Eu'Ic geheilt, zwei 
gestorben. P. sucht den schwersten lallen der R.ic In. mhpMhc r vc 
mit folgender Therapie bei/ukt.mmeii: Möglichst fniiie, sehr grosse, 
meist einmalige Seiumdosis <2o 3o mal I3oo Antitoxine in).eiten, 
davon einen I eil. bis höchstens je 5 I laschdien, lokal in der Kieter- 
w mkelgegeiid injiziert) und ausgiebige Adrcn.bmgabcii bei grosser 
Blasse, Brechreiz, ausset/endem. in der Spannung her al g<. set/teni 
Puls: zwei- bis xiermal täghdi Injektionen \..ji ISi g ph\sn >;• -gisc her 
Kochsalzlösung mit 3 g Adrenalin und einmal tag.idi 3 g Xdu n.t.m 
innerlich. Der Einfluss besoiideis der Adr eiialtmmektioncn aut den 
Puls ist oft ein sehr guter. Die bei den tauf Kranken xcrahrciditcii 
Adrcnalmmcngcn betrugen, bei den vir c i (leheilteii bis zu 71 g sub¬ 
kutan lind M g intern, bei den Gestorbenen Ins zu 11> g subkutan 
und S7 g intern betragen. 

Der Behandlung und Pflege solcher schwersten l alle muss and; 
im übrigen die grösste Sorgialt zugeweidet werden. P. tritt u. a. 
fiir eine frühzeitige 'Tracheotomie bei l.ar\nx- und auch Pharvnx- 
Steiiose ein und für die reishiidiere X er Wendung \mii Morphium zur 
Milderung der toxischen Unruhe mul zur Erleichterung der iju.ilvolien 
Stenosenersdieniimgen. 

P. C I a i r m o n t - W len: Chirurgische Findrücke aus Nord¬ 
amerika. tFortsetzung iolgt.) 

Wiener klinisch-therapeutische Wochenschrift. 

No. 20. H. G erber: L eber Bayers Turtopln-Pastillcn (Pa- 
stllll Turlonum pinl). 

Die Pastillen enth ilten die aus den Bl.ittkiiospen der hunnsdu n 
Koniferen gewonnenen balsamischen und albet isc tun Motte uiul 
eignen sieh zur internen Behandlung leufiterer Katarrhe der oberen 
Luftwege; ein gleichwertiger >vrup ist für die Kinderpiaxis zu emp¬ 
fehlen. 

No. 21 23. A. K r o k i e w i c z - Krakau: Ein Rückblick auf die 

Bauchtyphusfälle im letzten Dezennium. 

Die aui 3s5 Talle sich erstreikenden Angaben enthalten i'.r die 
spezielle T\phusstalistik matidics bemerkenswerte. 

No. 22. W. I Ii. B ii r g s d «i r t - Kas.ui : f in Fall von *>phi- 
litischer Reinfektion mit Nachweis von Spirochäten (Sc ha ud Inn). 

Die Reiniektion etlolgte kaum 2 Monate nadi Xb.s,.h.uss einer 
luetischen Behandlung und zeigte eine t\pisdie >k!e?ose. in deren 
tiewebssalt Spir oehaten Hau h/uw ciseil Waren. 

No. 23. X. C h a n t e m e s s e - Paris: Die Darmperforationen bei 
Abdominaltyphus und ihre Behandlung. 

Bei feststehender Diagnose der Perforation ist du Schleunigste 
chirurgische Behandlung ange/tugi; bei zw eite b.atter Diagnose wird 
man doch eine abw artende Behandlung vof/Uhun. hier zu emptu !i.t 
Ch. die subkutane Iniektum \»»n l.osjmigen \ <*u tatk ;u msaur em Natrium 
I»,5»I g 2 4 mal alle 24 3<» Munden zur 1 orderimg vier I v ukozx tose, 

ausserdem zur Erhöhung der pei itoiiealeu Ph,t s o/\:. .sc vhe w .eder- 
liolte Anwendung hoher Wamugrade auf vlas Xbdomen xermittels 
erhitzter Metailplatteii ( Besc In eibung \ e r d. im (bigaiab 

No. 24. J. Talk-Moskau: f Inklemmung eines l.aminariastiftes 
im Uterus. 

Die Eutivrmmg von Eammunasiinen. die in du r Uterus!:, dde pilz¬ 
förmig autgeipiolK n sind. ist oft so s v |iw u rrg. dass die Spa tung 
der vorderen /.ervixwand notwendig wurde. s<> audi In einem la e 
des V erfassers. I r empliehlf nun nadi einer wute r ei. E't.di'ung. du u 
Stift soweit als möglich her abzn/iehu n und a 1 ’/u^ ||fk ideu. dann dun 
Zervikalkanal mit l le garstnteu zu erweitern und dann dien Rest 
den Rest des Eammariastittes zu extrahier eil. 

Wiener klinische Rundschau. 

No. 19 21. E. B I o c h - Kattow itz : L eber einen Fall \on sen¬ 
sorischer Aphasie mit Apraxie. 

Genaue Analyse eines f ades. 

No. J** 21. K. J o s h y m u r a - Tokio: Leber den Mendel- 

sehen Fussrückenreflex. 

Nach seinen l utersiidningcn. die si v !i luer mcht naher wieder¬ 
geben lassen, cmpt'iehlt .1. das Mendeisdic Phänomen nicht nur 
am Eussrucken, Sündern auch an der m h.c und umgekehrt das Ba- 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1655 


b i n s k i sehe Phänomen nicht nur an der Sohle, sondern auch am 
Fussrücken zu suchen, um zu einem einheitlicheren und klareren Ein¬ 
blick in die Wechselbeziehungen beider Phänomene zu gelangen. 

No. 21. Qeissler-Neuruppin: Ueber seltene Tripperüber- 
tragung. 

Im Anschluss an eine eigene Beobachtung einer gonorrhoischen 
Infektion der Urethra durch Coitus per os sichtet G. die nicht sehr 
reichlichen literarischen Angaben über das Vorkommen dieses In¬ 
fektionsmodus und die Entstehung einer Stomatitis gonorrhoica auf 
demselben Wege. Ausser der häufigeren Uebertragung auf die Kon- 
junktiva erfolgt auch öfter durch unreine Finger die Infektion der 
Mund- und Nasenschleimhaut. 

No. 25. K. Schwarz- Eleonorenheim: Ein Beitrag zur Ka¬ 
suistik der primären Nasendiphtherie bei Säuglingen. 

Krankheitsgeschichte. Diphtheriebazillen fehlen im Nasensekret; 
nach 10 Tagen Rachendiphtherie. Seruminjektion. Heilung. 

Wiener medizinische Wochenschrift 

No. 18. M. B o n d i - Iglau: Ein Fall von Parinaud scher 
Konjunktivitis. 

Krankengeschichte dieses zweiten in Böhmen beschriebenen 
Falles. Er weicht von dem Typus durch die seltene Mitbeteiligung 
der Kornea ab, die in einem kleinen Defekt bestand, der später mit 
einer Bleiinkrustation verbunden war und nach Aussetzen der Blei¬ 
wasserumschläge ausheilte. Verf. betont die Häufigkeit der Pari¬ 
naud sehen Erkrankung bei Kindern. Ausserdem gibt er eine Ueber- 
sicht der bekannt gewordenen histologischen Befunde und zum 
Schluss ein Literaturverzeichnis. 

No. 18. H. H o 11 a e n d e r - Oien-Pest: Ein Verfahren zur 
quantitativen Bestimmung der Harnsäure. 

Das Verfahren ist im Original einzusehen. 

No. 18. H. Ehrlich und T. L’e nartowicz - Przemysl: 
(Jeher Färbungen der Splrochaete palllda für diagnostische Zwecke. 

Die Verff. beschreiben das Vorgehen zur Färbung mit den ein¬ 
zelnen gebräuchlichsten Farbstoffen. Es bedarf dazu nur einfach her¬ 
zustellender alkoholischer oder wässriger Lösungen derselben und 
eines kurzen einfachen Verfahren, wobei der Zusatz von Karbol¬ 
wasser als Beize zum Farbstoff von Vorteil ist. 

No. 19. L. Rethi-Wien: Amblyopie infolge von Nebenhöhlen- 
elterungen der Nase. 

Zwei Fälle von Neuritis optica bei Siebbeinhöhleneiterung und 
Nasenpolypen. Heilung durch Operation, Entfernung der Polypen und 
der mittleren Muschel, Ausräumung des Siebbeinlabyrinthes. 

No. 19/20. F. N e c k e r: Ueber die elektrochirurglsche Karzinom¬ 
behandlung des Dr. de Keating-Hart. 

Aehnlich wie Benckiser und Krumm (D. med. Wochen¬ 
schrift No. 10) hat N. an Ort und Stelle Beobachtungen über das Ver¬ 
fahren K.-H.s gesammelt und gibt eine grössere Reihe kurzer Kran¬ 
kengeschichten. Bei aller Reserve in der Bewertung sind die Resul¬ 
tate doch so beachtenswert, dass eine Nachprüfung berechtigt und 
angezeigt erscheint. 

No. 19. R. F o d o t - Trentschin-Teplitz: Zur Ausübung der 
Massage. 

F.s Ausführungen betreffen in der Hauptsache die Frage, was 
und wie nicht massiert werden soll. Er verlangt vor allem eine 
exaktere Indikation namentlich bei schmerzhaften Zuständen, eine 
grössere Rücksichtnahme auf anatomische Verhältnisse, kritisiert die 
nutzlose Massage, welche Oedeme und Exsudate lediglich von einem 
Ort zum anderen hinmassieren, warnt vor der Massage von phle- 
bitischen Herden, wendet sich gegen das schematische und pedanti¬ 
sche Anwenden bestimmter Handgriffe (auch die Anwendung von 
Fetten und Oelen ist vielfach entbehrlich) und wünscht eine be¬ 
trächtliche Einschränkung der Laienmassage vor allem bei fehlender 
ärztlicher Kontrolle. 

No. 21. M. H e r z - Wien: Ein einfacher Behelf zur Orientierung 
im Ortbodlagramm. 

H. legt um den Hals des Patienten ein Band, dessen beide 
Schenkel vom Jugulum median dem Sternum entlang aufliegen und 
durch vier verstellbare Metallplättchen zusammengehalten werden. 
An diesen Schiebern, an welchen kürzere und längere, von rechts 
nach links verlaufende Bleidrähte befestigt sind, werden nun jeweilig 
an dem oberen Ende des Sternums, in der Höhe des zweiten Inter¬ 
kostalraums, in der Mamillarhöhe und am Ende des Sternums ein¬ 
gestellt. Damit werden die individuellen Orientierungspunkte und 
-linien für das Orthodiagramm leicht gewonnen. 

A. v. Dobrzyniecky: Operatio subgingivaiis bei Zahn¬ 
fisteln. 

Das Prinzip der Operation, welche die Wurzelresektion zu er¬ 
setzen hat, ist die Eröffnung der Alveole — mit Chloräthylnarkose — 
zwischen dem mittleren und letzten Drittel der Wurzel durch An¬ 
bohrung, entweder durch eine Fistel oder das Zahnfleisch hindurch, 
worauf mittels desselben Bohrers die Wurzelspitze (die Wurzel¬ 
kanäle müssen entsprechend vorbehandelt sein) abgefeilt wird. Ab¬ 
warten der spontanen Blutstillung, Ausführung der Alveole mit einer 
Jodoformglyzerinemulsion. Näheres über die Technik muss dem Ori¬ 
ginal entnommen werden. 


No. 22. H. M a r s c h i k - Wien: Vakzine der Mund- und Raclien- 
schlelmhaut. 

Drei Fälle der Chiarischen Klinik aus der letzten Wiener 
Blatternepidemie. In allen war die Zunge beteiligt, ln dem einen, 
schwersten, sass eine Pustel auch, was noch nie beschrieben ist, 
an der Tonsille und machte schwerere Erscheinungen. Die Diagnose 
war immer ziemlich schwierig, da es sich weniger um umschriebene 
Effloreszenzen als um einen mächtigen Belag handelte. In der Be¬ 
handlung war Wasserstoffsuperoxyd ganz unwirksam, dagegen 
scheint eine Diphtherieseruminjektion den Ablauf etwas beschleunigt 
zu haben. 

K. Kafka: Die Adhäsionsmodellkappe. 

Für verschiedene Indikationen, welche den Abschluss des Uterus 
von der Vagina erstreben, dient eine aus verschiedenem Material 
genau nach einem Gipsabguss der Portio anzufertigende Kappe, wel¬ 
che durch den Arzt auf die Portio aufgesetzt wird, und auf der¬ 
selben eng anschliessend durch Adhäsionen festhaften bleibt. 

No. 23. A. S p a t z - Ofen-Pest: Therapeutische Versuche mit 
intravenösen Injektionen von Sublimat bei Syphilis. 

Von 20 behandelten Fällen konnten nur 6 bis zur Heilung den 
Injektionen (Vena mediana, cephalica, basilica oder saphena minor) 
unterzogen werden. Bei den übrigen verhinderten Thrombosie¬ 
rungen und Entzündungen im Bereich der Venen die Fortsetzung. 
Die grösste Einzelgabe war 0,014 g Sublimat. Im Urin fand sich nie 
Zucker oder Eiweiss; Diarrhöen fehlten. Die korrekt ausgeführte In¬ 
jektion ist ganz schmerzlos. Begonnen wurde mit 2 mg einer 
Lösung 1 :1000. Dann wurde alle 3 Tage um 1 mg bis zur Dosis 
von 10 mg gestiegen, dann eine Lösung von 2 :1000 verwendet. 
Langandauernde Schmerzen und Schwellung traten dann ein, wenn 
die dünne Venenwand durchstochen wurde und die Flüssigkeit in die 
Haut gelangte. Zur intravenösen Sublimatbehandlung eignen sich 
nur Leute mit breiten, dickwandigen Venen; dünne oberflächliche 
Venen werden in kurzer Zeit thrombosiert. In günstigen Fällen 
haben schon 27—54 mg Sublimat schwere hartnäckige Syphilis zum 
Rückgang gebracht. Diese mächtige Heilwirkung lässt weitere Ver¬ 
suche zur Entwicklung der Methode empfehlen. 

Bergeat-München. 

Englische Literatur. 

(Schluss.) 

Jonathan Hutchinson: Die zystische Form des Xanthelasma. 
(Brit. Med. Journ., 25. April 1908.) 

Verf. hat zuerst diese Form beschrieben und hat etwa 12 Fälle 
gesehen; von anderen Autoren sind keine Fälle beschrieben worden. 
Der Fall, den er in dieser Arbeit beschreibt, betraf eine 48 jährige 
Frau, die eine dunkle fahle Hautfarbe hat. Unter dem rechten inneren 
Kanthus findet man eine Gruppe von 4—5 konfluierenden, kleinen 
Zysten, die keinen Ausführungsgang zeigen und sich anfühlen, als ob 
sie solide wären. Sie sind von Schwanenschrotgrösse. An dem 
Augenlide der anderen Seite findet man an korrespondierender Stelle 
eine kleine einzelne Zyste von derselben Beschaffenheit. Die wasch¬ 
lederartigen Flecken, die man sonst beim Xanthelasma findet, fehlen 
in diesem Falle. Die Flüssigkeit, die in diesen Zysten enthalten ist, 
ähnelt dem Schweiss und ist wasserklar. Verf. unterscheidet zwischen 
folgenden Formen des Xanthelasma (er bezeichnet als Xanthelasma 
nur die an den Augenlidern vorkommenden hierher gehörigen Affek¬ 
tionen). Xanthelasma planum oder flavum; Xanthelasma sebaceum, 
bei dem Komedonen vorhanden sind; Xanthelasma cysticum, bei dem 
sich Zysten finden und Xanthelasma pigmentosum, bei dem dunkle Pig¬ 
mentierung das einzige Zeichen ist. Vom Xanthelasma cysticum hat 
Hutchinson in seinem Archives oi Surgery, Vol. 1, Tafel 27, 
Fig. 2 einen charakteristischen Fall abbildet. 

L. C. Peel Ritchie: Inokulationen mit Bakteriensuspensionen. 
(Edinburgh Med. Journ., April 1808.) 

Die Beobachtungen stammen aus der chirurgischen Poliklinik 
der Royal Infirmary in Edinburgh. Verf. bezweifelt durchaus das 
ständige Vorkommen einer sogen, „negativen Phase“ (W right) 
nach den Inokulationen; ferner bestreitet er die Bedeutung dieser 
Phase als Gegenindikation für weitere Einspritzungen während des 
Bestehens der negativen Phase. Die Bestimmung des phagozytischen 
(opsonischen) Index hat nach Verf. Ansicht hauptsächlich den Wert 
gehabt, zu zeigen, wie geringe Mengen von Bakteriensuspensionen 
(Vakzinen) genügen, um eine «deutliche, andauernde Immunisierung 
zu bewerkstelligen, ferner zu zeigen, wie lange die Wirkung anhält 
und wie falsch es ist, häufige Inokulationen zu machen, da es nicht 
gelingt, eine dauernd ansteigende positive Phase im Blute eines 
Kranken zu erzeugen. Versucht man dies, so findet man nach einer 
Reihe von Inokulationen, die bei noch hohem Index gegeben wurden, 
dass eine negative Phase auftritt, die wochenlang andauern kann. 
Gibt man dagegen kleine Inokulationen jedesmal dann, wenn die 
Wirkung der vorhergehenden im Verschwinden begriffen ist, so 
kann man die Behandlung ohne Risiko für Monate und Jahre fort¬ 
setzen. Es bleibt dann der Index, ohne sehr grosse Werte zu er¬ 
reichen, dauernd über der Norm. Verf. standardisiert seine Vakzine 
nach Art des Koch sehen Neutuberkulins nach dem Gewicht der 
getrockneten, gewaschenen Bakterienleiber in Kubikzentimeter. Er 


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1656 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 31. 


hat dabei gefunden, dass die gleichen Dosen verschiedener Bakterien¬ 
suspensionen die gleiche Wirkung ausüben. Es genügt für alle Vak¬ 
zinen eine Maximaldosis von ’/iooo mg der Trockensubstanz (also 
viel weniger als z B. von W right für Staphylokokken, Koli- 
bazillen etc. angegeben wird). Dabei ist es ganz überflüssig, sieh 
Vakzinen aus den vom Kranken selbst gewonnenen Bakterien her¬ 
zustellen. Nötig ist nur, die Vakzine von jungen, virulenten Kulturen 
herzustellen und sie gut auszuwaschen. Im allgemeinen empfiehlt es 
sich, alle 4 Wochen eine Einspritzung zu machen. Nur im Beginn 
sollte man die ersten 3 Injektionen ;n wöchentlichen Zwischenräumen 
geben. Dann für 6 Monate eine Einspritzung alle 4 Wochen; dann 
alle 6—8 Wochen bis zur Heilung. Bei allen chronischen Infektionen, 
besonders aber bei Tuberkulose sollten die Einspritzungen noch lange 
nach der scheinbaren Heilung fortgesetzt werden. Säuglinge er¬ 
halten Vioooo mg, grössere Kinder 1 «nuo, 14 jährige 1 20 m». Je akuter 
der Prozess, um so kleiner muss die Dosis sein. Verl, spritzt gewöhn¬ 
lich 2—3 Zoll oberhalb der Olekranonspitze in den Trizeps ein. Bei 
Mischinfektionen muss man die verschiedenen der Injektion ent¬ 
sprechenden Vakzinen einspritzen. Drüsentuberkulosen geben im An¬ 
fangsstadium sehr gute Erfolge; erweichte Drüsen sind gleichzeitig 
zu punktieren. Knochen- und Oelenktubcrkulosen geben gute Er¬ 
folge und heilen oft mit guter Beweglichkeit aus; Eistein heilen, wenn 
man die Mischinfektion behandelt. Es ist sehr wichtig, vor operativen 
Eingriffen eine Anzahl von Einspritzungen zu machen, um den Kranken 
für den Eingriff widerstandsfähiger zu machen. Es ist wichtig, fest¬ 
zustellen, ob es sich um Infektionen mit dem Typus bovinus oder 
humanus handelt und die entsprechende Vakzine zu verwenden. Be¬ 
sonders günstig werden Burunkel und Akneeruptionen durch Staphylo¬ 
kokkenvakzine -beeinflusst; man muss aber nach vollendeter Heilung 
noch einige Zeit weiterbehandeln. Ausserordentlich gute Eriolge 
erzielte Verf. bei Streptokokkeninfektionen; Lymphangitiden, Phleg¬ 
monen, Erysipel etc. werden sehr günstig beeinflusst und zwar durch 
Einspritzungen einer vorrätig gehaltenen Streptokokkenvakzine. 
Akute, aufsteigende Lymphangitis wird meist in 24 Stunden zum 
Verschwinden gebracht und zwar ohne jede Tokalbehandlung. Sehr 
wichtig sind prophylaktische Injektionen vor Operationen. Verf. gibt 
1 /4ooo bis 'muoo mg Staphyloeoecus aureus und ebensoviel Streptococcus 
pyogenes; bei Operationen au Schleimhäuten fügt er noch dieselbe 
Menge Kolibazillus hinzu. Auch bei Verletzungen wendet er pro¬ 
phylaktisch diese Einspritzungen an. Man darf aber keine Anti¬ 
septika in die Wunde bringen, da hierdurch die Phagozytose gestört 
wird. 

Dawson Turner: Elektrolyse ln Medizin und Chirurgie. 

(Ibid.) 

Verf. hat viele Bälle mit elektrolytischer Medikation behandelt. 
Besonders günstig reagieren Ulcera rodentia auf Zinkionisation; auch 
chronische Geschwüre anderer Art und Eistein heilen oft auf diese 
Weise aus. Bei Ringwurm und Sycosis barbae verwendet er Kupfer ! 
zur Ionisation; bei Ankylosen das Chlorinion; dasselbe eignet sich 1 
auch zur Behandlung der D u p u y t r e 11 sehen Kontraktur; ähnlich 1 
wirkt das Hydroxylion OH: hiermit kann man Strikturen der 
Urethra heilen. Bei Tix douloureux empfiehlt er das Sali/ylion. Es 
wird die Technik an der Hand von Krankengeschichten beschrieben. 

Norman Walker: Die Chrysaroblnbehandlung der Psoriasis. 
(Scottish Med. et Surg. Journ., April IduS.) 

Der Patient wird gebadet und es werden dabei alle Schuppen 
entfernt. Dann wird der ganze Körper (mit Ausnahme des Gesichts) 
mit 5proz. Chrysarobinsalbe eingerieben; darnach wird der ganze 
Körper mit Salbenlappen bedeckt, die mit derselben Salbe bestrichen 
sind. Am Arme genügen Binden, am Rumpf müssen die Lappen wie 
ein Hemd zusammengenäht werden. Wenn die Schuppen sich w ieder 
bilden, muss nochmals gebadet werden, doch ist dies meistens unnötig. 
Das Gesicht wird durch Tragen einer Maske vor Beschmutzung mit 
der Salbe geschützt. Diese Behandlung wird täglich wiederholt; 
schmerzhafte Dermatitis der Blexuren verhütet man durch Eiu- 
reiben mit Zinksalben. Die Behandlung soll erreichen, dass nicht 
nur die gesunden, sondern vor allem die kranken Hautstellen cry- 
thematös W'erden. Tritt an einzelnen Stellen kein Erythem auf. so 
werden dieselben noch besonders mit folgender Salbe bearbeitet. 
Chrysarobin, Ol. R"sci aa 2d.ll, Acid. salicvl. 10.0, Sapmi. \md. 
Vaselini äa 25,0. Meist dauert die Behandlung S 11 Tage. Ist 
überall erythematöse Rötung der kranken Stellen erzielt, so lässt man 
den Kranken noch 2 Tage in seinem Salbenanzug, ohne ihn ein/ 11 - 
teiben. Nach dieser Zeit werden 2 heisse Bäder gegeben und der 
Kranke ist meist für längere Zeit frei von Psoriasis. Es ist sehr 
wuchtig, gleichzeitig entweder mit Chrysarobin oder besser mit 
anderen Mitteln die Kopfhaut zu behandeln, um Rezidive zu verhüten. 

P. Lovell Gulland und D. .1. Williamson: Die Cal- 
mettesche Reaktion. (Ibid.) 

Auf Grund zahlreicher Versuche kommen die Verf. zu dem 
Schlüsse, dass ein positiver Ausfall der Reaktion ein sicherer Be¬ 
weis von im Körper vorhandener Tuberkulose ist, nur ist die Re¬ 
aktion so fein, dass manchmal sehr geringe tuberkulöse Herde eine 
Reaktion geben, die die Diagnose auf falsche Bahrte leiten. Ein nega¬ 
tives Resultat der Probe ist von geringem Werte, wenn die Probe 
nicht wiederholt wird, mehrere negative Resultate erlauben aber 


den Schluss auf Nichtv 01 handensem von Tuberkulose. Manchmal 
tritt die Reaktion erst nach 24 Stunden aui. 

Justin M. Mc. Cart hi g: Die NitroglyzerinbehaiKliung der 
Eklampsie. (Birmingham Med. Review. April Baiv) 

Verf. behandelte 5 Bälle von puerperaler Eklampsie ohne Nitro¬ 
glyzerin und hatte 3 Todesiaile, bei 2 Ballen wandete er es innerlich 
all, 1 Todestall; bei * baden subkutan, l lodesiail. Er gibt subkutan 
3 7 Tropfen per Dosis. In allen ballen hatte man andere M.ttel z. B. 

Chloroform vorher vergebens versucht. \ erf. hait cs tur sehr 
unwahrscheinlich, dass die guten Eriolge bei der N.trog.v z.erai- 
behand luiig rem zufälliger Natur waren und fordert zur W eiter- 
piuiung auf. 

iE Lockhart Mumme ry: Die Behandlung der chronischen 
Kolitis. (Practitioncr, April l'.'iis) 

Verf. empfiehlt bei Colitis tnucosa. wenn die interne Behandlung 
versagt, eine Appendikostomie zu machen. D e >p tze des W unntort- 
satzes wird m eine kleine Bauchwunde eiligen..iht und nuJi 2 lagen 
ei öffnet; der Patient kann sich daun se bst durch L.uiunren e ues 
Katheters den ganzen lbckdarm ausw aseben; d.e 1 :stei leckt nicht 
und erfordert kemeilei Verband. Man muss d.e b.stel längere Zeit 
(mindestens 1 Jahr) offen lassen; sie sch..esst sch ohne weitere*, 
wenn man einen Galvanokauter ein fuhrt und d.e >d..c;mhjui ab- 
breimt. Bei chronischer u.zeioser koi.tis kann man d.cse'bc 
Operation versuchen, doch muss man bei schwereren ballen eine 
Kolotonue machen; am besten macht man einen rechtssc.l.gen Lum- 
halafter. 

A. E. Boy cot l: l'ebcr Caissonkrankheit. (Ouartcriv Jour¬ 
nal oi Medicine, April PMs.) 

Die sehr interessante und Sorgfalt.ge Arbeit eignet sich nicht zum 
Referat, Sollte aber vmi ledern, der siv.Ii mit d.esun Gegenstand be- 
sehaltigt 1111 Original gelesen weiden. Die Propia ,a\e der Er¬ 
krankung bestellt 111 einer eigenartigen Pcko.mprcssrou des Arbeiters. 
Die Dekompression erfolgt zuerst rap.d /. B. von : 5 aui 3o Pfund 
und geht dann sehr langsam und schnttwe.se vor s di. Thera¬ 
peutisch kann man nur Von der sofort c.nge.c.tctcit Rcm mipressi. 11 
[ Nutzen erwarten. Diese muss aber be.rn Beginn der e: steil s\ :n- 
1 ptome ewige leitet Weulen; zu ibesetn /.wecke s<- tc eine ieidit er- 
j reielibare Kammer mit komprimierter l.utt zur \ertugu::g steht 11 . 

fehlt diese, so bringe man d.e Leute sofort Wieder unter Wasser, 
j W. B. H o p e und Herbert b mich: Persistierendes hereditäres 
| Oedem der Beine. (Und.) 

' Die Verl. beschreiben genau e ilen ball d.eser h--J’..i’.teressa;:ten 
i Affektion, die auch unter dem Namen Milro \ sdie Ktansheit be- 
j sein leben worden ist. In 5 Generationen JaiiJ s.di das Gedern bei 
13 von 42 Mitgliedern einer Harn.he. Merkwutdg ist n-di. dass m 
dem balle vier \ erf. der eilt opisc he Zustand durch akute Nad'Oc trabe 
unterbrochen wurde. \ erf. g.iulen. dass es sah wie bei der Rav - 
11 a u d sclien Krankheit und beim augumeurotischen Oedem um c ne 
vasoiuotonstlie Neirose handeit. Gute Abbildungen s.uJ be.gegeben. 

A. Kiiyvett Gordon: Zur Behandlung des Puerperalfiebers. 
(Ibid. Med. Journ., 25. April E>"'\) 

Verf. basiert seine Arbe.t auf 2IH nach.emamler von ihm beob¬ 
achtete Bade. Er g.aubt. elass viele 1 a. e dadurch entstehen. dass 
die Zange zu früh angelegt wird. (In I ng and ;st man sehr rasch mit 
der Zange bei der Hand.) I uter siiclniwgcu wahrend der Gehurt sind 
so selten als möglich und nur mit (lumm.hartvKgffcuhen zu machen. 
Scheideuausspuiungen nuth vier tieluirt sind eher Sch.idhdi als 1111 t/- 
lich. Verf. stellt in seinem Spitai nur sch.were ba ie. Im An taug se.ner 
latigkeil machte er l ter iisvpuiungew; v>ui 7’* so bchandetei» b.o.eu 
sta 1 ben 37 (4<> Proz.). M’.ilei kuiettierte er und wischte dann den 
Uterus mit unverdünntem l/j! aus. De Beh.and 11 : 1 g wird unter 
Kokainisierimg vier Scheide mul subkutaner iinest.oii von Morph.um 
gemacht. Der Uterus wnd ebenso w ,e J e Sdienle nut Iz.i.gaze 
tamponiert, die 24 Mumien liegen bleibt. Bt weitere Behandlung 
notig, so wird vier Itertis wieder ausgew rscht lind tamponiert, ge¬ 
spult wird me. \ <-n Uö so behandelter', lallen Marl'vn 24 Pro/. 
Abszesse werden eröffnet; a! gemeine Per. ton,;. s wird mit Hapa- 
rotouue und Drainage behände ,t; von la k--nsckutiv e n l.apar<*t-*- 
mierten genasen s. Die Bauchhöhle w,:d n.dit gx-sjvilt Nach der 
Laparotomie wird die Kranke aufgesetzt und erha.t re.dilidi Koch¬ 
salz. subkutan und per ainiin. Die Mehrzahl vi n Verfassers Kranken 
war schon ausserhalb mit l terusspu.ungen behände t wo:dem. Ariti- 
pyretika tun nur Schaden. Aik*• 1 1 < I. Kalomel und U-chsil/.ufusroncu 
sind von grossem Werte; man s**l] aber audi jeden leichten Hall 
kiirettieren und ausw isclien. An;■streptokokkenserum brir.gt nur 
selten Nutzen. Man muss ein polyv achtes >erum ne! men und minde¬ 
stens 5", noch besser I"" ccm als einmal.ge D> s s nehmen. 

G. I.eshc Bastes: Leber Inlektionen der Harnwege, ilbid » 
Verf. sah bei Ba/.llune durch Bad. c« h Be Nserufgen und Hei¬ 
lungen durch Impfungen 11 . t einer v-n vieri Ba/. len des Kranken ge¬ 
wonnenen \ akzme. 2"" M,..;< rum Ba/., en s.nd e nc gute Anfangs¬ 
dose. man ste.gt jedesmal um. 1 ,M » M: ..•■nett. Bei cm- r..scher <i*mor- 
rlioe findet man in den baden niest Map’ 1 \ ■ k--kketi und Bazillen 
vom Xerosj.stv pus. Die letzter .11 kann man ve: m.cblass gen. von 
ersteren bereite man eme \ ak/.rte. S.t. J mdi G- nok kken vor¬ 
handen, so injiziere man gle.dizc.t.* (lmiok--kketi- und Stapiiyio- 


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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1657 


kokkenvakzme. Bei Rheumatismus nach Tripper gelingt es mit sorg¬ 
fältig graduierten Einspritzungen von Gonokokkenvakzine alle Ge¬ 
lenk- und Sehnenerscheinungen zum Schwinden zu bringen. Bei chro¬ 
nischem Harnröhrentripper erzielt man vorzügliche Erfolge durch 
lokale Behandlung in Verbindung mit der subkutanen Einverleibung 
von Gonokokkenvakzine. J. P. zum Busch -London. 

Dänische Literatur. 

S. Kemp: Untersuchungen über die mikroskopische Retention. 

(Aus der medizinischen Universitätsklinik des Kgl. Frederiks Hospital; 
Vorstand: Prof. Knud Fab er.) (Hospitalstidende 1908, No. 13 u. 14.) 

Wenn der Magen 12 Stunden nach der Leube-Riegelsehen 
Probemahlzeit noch Nahrungsreste enthält, spricht man von moto¬ 
rischer Insuffizienz zweiten Grades. Der dänische Arzt Alfred Mad- 
s e n hat die Benennungen „grosse Retention“, „kleine Retention“ und 
„mikroskopische Retention“ eingeführt, je nachdem 12 Stunden nach 
der Probemahlzeit grössere Mengen von Speiseresten, kleinere 
Ueberbleibsel oder endlich nur mikroskopisch nachweisbare Mengen 
ausgehoben werden können. Während mehrere Verfasser den Fund 
von mikroskopischen Nahrungsresten in dem nüchternen Magen als 
physiologisch betrachten, wird von anderen Forschern diesem Um¬ 
stand eine pathologische Bedeutung beigelegt. Von H a y e m, 
P. C o h n h e i m u. a. wird die mikroskopische Retention als ein 
Zeichen von Pylorusstenose angesehen, Alfred Madsen hebt ihre 
Bedeutung für die Diagnose Carcin. ventriculi hervor, während end¬ 
lich der dänische Arzt B o r g b j ä r g sie als das Resultat einer Mo- 
tilitätsschwäche betrachtet; in seiner Habilitationsschrift „die Be¬ 
deutung der Ventrikelfunktionsuntersuchungen für die Diagnose des 
Magengeschwürs“ sucht der letztere Verfasser der mikroskopischen 
Retention eine grosse differentialdiagnostische Bedeutung beizulegen, 
indem er folgenden Schluss aus seinen Untersuchungen zieht: „Mikro¬ 
skopische Magenstagnation, 12 Stunden nach einer Probemahlzeit, 
spricht in hohem Grade für ein organisches Magenleiden, gewöhnlich 
Ulcus (oder Cancer), aber kann doch wahrscheinlicherweise auch 
von einer chronischen Gastritis verursacht werden. Die Wahrschein¬ 
lichkeit, dass es sich um Ulcus handelt, wird ferner vermehrt, wenn 
gleichzeitig salzsaures Sekret in dem nüchternen Magen vorgefunden 
wird.“ Der Verfasser nahm zahlreiche Untersuchungen sowohl über 
gesunde als über magenkranke Individuen vor, um die Frage zu ent¬ 
scheiden. Er weist zuerst die verschiedenen Fehlerquellen der von 
Borgbjärg angewandten Untersuchungsmethode nach. Selbst 
machte er die mikroskopische Untersuchung in dem zentrifugierten 
Spülwasser. Aus seinen Untersuchungen zieht er folgende Schlüsse: 
„Die mikroskopische Retention ist kein sicheres pathologisches Sym¬ 
ptom, da es bei übrigens gesunden Individuen gefunden werden kann; 
doch enthält 12 Stunden nach einer Retentionsmahlzeit der normale 
Magen gewöhnlich keine mikroskopischen Nahrungsreste. Bei 
Patienten mit Gastritis chronica scheint die mikroskopische Retention 
fast konstant vorzukommen. Bei den übrigen Magenkrankheiten kann 
sie bald vorhanden sein, bald fehlen, ohne dass eine bestimmte Regel 
sich aufstellen lässt; doch scheint Motilitätsschwäche das Auftreten 
der mikroskopischen Retention zu begünstigen, Hypersekretion ihr 
am ehesten entgegenzuwirken. Der mikroskopischen Retention kann 
man also keine differentialdiagnostische Bedeutung beilegen.“ 

Eiler Höeg: Ein Fall von Obliteration des Ductus choledochus 
bei einem Säugling. (Ibidem No. 21.) 

Kurz nach der Geburt entstand eine Gastroenteritis. Das Kind 
wurde am 8. Lebenstage ikterisch, in der vierten Lebenswoche wurde 
der Stuhl acholisch. Es entwickelte sich eine Leberzirrhose mit As¬ 
zites und im Alter von 6 Monaten trat der Tod ein. Die Sektion 
ergab Ektasie und Atresie des Ductus choledochus und biliäre Zir¬ 
rhose. Anlässlich des genau beschriebenen Falles bespricht der Ver¬ 
fasser die Pathogenese des Leidens, das in diesem Falle einer vom 
Duodenum aus aszendierenden Entzündung beigelegt wird. 

Alfred P e r s: Leber operative Behandlung von Ischias. (Ibidem, 
No. 22 und 23.) 

ln dieser Wochenschrift (1906, S. 832 und 834) wurde die Be¬ 
handlung von Ischias durch Neurolyse referiert. Der Verfasser hat 
jetzt diese Methode 49 mal an 47 Patienten benützt, in einigen von 
diesen hat er sie mit der von B a r a c z empfohlenen Methode (Zen¬ 
tralblatt für Chirurgie, 1902) kombiniert. Er teilt seine Krankenge¬ 
schichten mit, die Resultate scheinen ausgezeichnete zu sein. 

Kay Schaffer: Ueber rezidivierende tuberkulöse Polyarthritis 
(tuberkulöser Gelenkrheumatismus). (Mitteilung aus dem Küsten¬ 
hospital von Refsnäs. Vorstand: Prof. Schepelern.) (Ibidem, 
No. 23 und 24.) 

Mit der von Poncet verfochtenen Anschauung übereinstim¬ 
mend. zeigt der Verfasser, dass es tuberkulöse Gelenkleiden gibt, die 
klinisch verschiedenen Formen von Gelenkrheumatismus ähnlich sind; 
er ist der Meinung, dass es sich um eine direkte Toxinwirkung 
auf die Synovialis handelt. Er teilt die Krankengeschichten von 
13 im Küstenhospiz behandelten Kranken mit, die das Verhalten schön 
illustrieren. Endlich beschreibt er die Diagnose, Prognose und Be¬ 
handlung dieses Leidens, namentlich zur Unterscheidung von dem 
rheumatischen Gelenkleiden. 


Viggo Christiansen: Ueber den Einfluss hochgespannter und 
hochfrequenter Ströme auf den Stoffwechsel und die arterielle Ten¬ 
sion. (Nordisk Tidskrift for Terapi, Bd. VI, Heft 6 und 7.) , 

Der Verfasser gibt eine Uebersicht der Frage und teilt eibene 
Untersuchungen mit, teils Versuche über den respiratorischen Stoff¬ 
wechsel während der Einwirkung von hochfrequenten Strömen,«teils 
über den Einfluss der hochfrequenten Ströme auf die arterielle Span¬ 
nung. Der Verfasser hat sich nicht von dem speziell von fran¬ 
zösischen Forschern gepriesenen Einfluss dieser Ströme überzeugen 
können. Er fand keine Einwirkung der d’Arsonvalisation aui den 
respiratorischen Stoffwechsel der Versuchsindividuen, und die Re¬ 
sultate hinsichtlich des Blutdruckes waren gering und in hohem Grade 
unsicher und launenhaft. Adolph H. Meyer- Kopenhagen. 

Norwegische Literatur. 

Kr. F. Andvord: Ueber Tuberkuloseimmunität. (Norsk 
Magazin for Lägevidenskaben 1908, No. 4.) 

Auf pathologisch-anatomische, klinische und statistische Er¬ 
fahrungen gestützt behauptet der Verfasser, dass 70—80 Proz. der 
Tuberkulosefälle bei Erwachsenen einer Infektion im Kindesalter oder 
schon im Säuglingsalter seine Entstehung verdanken. Ferner be¬ 
hauptet er, dass eine durchgemachte Tuberkuloseinfektion im Kindes¬ 
alter einen gewissen Grad von Immunität hervorruft; Ansteckung in 
dem erwachsenen Alter sollte also gewöhnlich nicht stattfinden. (Die 
Abhandlung wurde als Vortrag vor der medizinischen Gesellschaft zu 
Christiania gehalten und war von einer langen, interessanten Dis¬ 
kussion gefolgt. Diese Diskussion wurde in den No. 4, 5 und 6 
der med. Wochenschr. referiert.) 

Alexandra In gier: Zur Kasuistik und Genese der Ovarial- 
dermoide. (Ibid.) 

Zuerst gibt die Verfasserin eine Beschreibung von 2 Fällen von 
Dermoidzysten im Ovarium. In einem Fall handelte es sich um 
einen nidimentär entwickelten Fötus, im anderen um eine einfache 
Dermoidzyste. Sie bespricht dann die verschiedenen genetischen 
Theorien und sucht zu beweisen, dass alle Doppelmissbildungen, so¬ 
wohl totale als partielle, symmetrische als asymmetrische, inklusive 
die Teratome als homologe Bildungen anzusehen sind. Rücksichtlich 
der Genese scheint alles dafür zu sprechen, dass alle diese Miss¬ 
bildungen von monogerminalem Ursprung sind, dass diese patho¬ 
logische Entwicklung in den ersten Entwicklungsstadien des Eies 
beginnt und entweder an die ersten Furchenstadien eines normal be¬ 
fruchteten Eies oder an die Ovogenese verlegt werden muss, wo¬ 
durch dann das Ei durch Anomalien in der Polozytenbildung zwei- 
kernig und doppelt befruchtet wird. 

Sofus Wideröe: Ueber die Anwendung des Tuberkulins als 
Diagnostlkum. (Aus dem Krankenhaus der Diakonissenanstalt.) 
(Ibid. No. 5.) 

Nach einer Uebersicht der Tuberkulinreaktionen gibt er eine 
Mitteilung über die Kutireaktion ad modum Moro (s. diese Wochen¬ 
schrift 1908, No. 5. S. 216); er nennt die Reaktion die Salbenreaktion 
und wendet eine Salbe von folgender Zusammensetzung an: Tu-ber- 
kulinum 2. Lanolinum. Vaselinum da 1. Die Salbenreaktion wurde an 
186 Individuen ausgeführt und hat sich gut bewährt. 

U s t v e d t: Anginaepiäemie In Christiania. Vortrag vor der 
medizinischen Gesellschaft zu Christiania. (Referiert ibid. No. 6.) 

Anfangs März trat in Christiania eine heftige Anginaepidemie 
auf. Mehr als 500 Fälle wurden angezeigt: die Infektion war sehr 
stark; 6 starben. Die Epidemie stammte von der Milch einer grös¬ 
seren Milchkompagnie, und es gelang in allen den untersuchten Fällen 
einen speziellen Streptokokkus nachzuweisen, der von einem Euter¬ 
abszess einer kranken Kuh herrührte, die unter hunderten anderen 
der Milchkompagnie Milch lieferte. 

Arent deBesche: Multiple Karzinome. (Aus dem pathologisch¬ 
anatomischen Institut des städtischen Krankenhauses zu Christiania.) 
(Ibid.) 

Kasuistische Mitteilung von 7 Fällen von multiplen, primären 
Karzinomen. 

Karl J. T it I e s ta d: Subkutane Knoten bei Rheumatismus 
acutus im Kindesalter (Rheumatismus nodosus) mit Sektionsbericht. 

(Ibid.) 

Nach einer Beschreibung des Leidens Mitteilung einer Kranken¬ 
geschichte. Die rheumatischen Noduli wurden bei der Sektion ent¬ 
fernt und mikroskopisch untersucht. Die zentralen Teile bestanden 
aus sehr zellarmen Gewebe und schienen hyalin degeneriert. Die 
peripheren Teile waren reich sowohl an Zellen als Gefässen, wie ein 
Granulationsgewebe mit grossen protoplasmareichen Zellen, in lang¬ 
artigen Reihen und am meisten in Spindelform; einige Zellen waren 
wohl klein und rund, aber deutliche Lympho- oder Leukozytinfiltration 
war nicht vorhanden. Die Gefässe hatten ziemlich dicke Wände 
und zeigten zum Teil auch eine hyaline Degeneration und Homo¬ 
genisierung von beinahe sämtlichen Schichten. Das ganze Bild muss 
als eine chronische Entzündung gedeutet werden. 

Robert Klositer: Alte Bandwürmer. Die Kukurbltakur. 
(Nordisk Tidskrift for Terapi, Bd. VI, No. 8.) 

Als Bandwurmmittel empfiehlt der Verfasser die in Amerikq und 
Italien angewandte Kukurbitakur. Am vorausgehenden Tag wird 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


No. 31. 


1658 

geringe Nahrung und 3 mal 15 g Ol. ricini (alle 2 Stunden) dar¬ 
gereicht, des Morgens bekommt der Patient ein Clysma aquos., dar¬ 
nach auf nüchternem Magen 500 g Dekokt (200 g Semina cucurbitae 
wird auf 1000 ccm Wasser bis zu 500 ccm eingedämpft), 2 Stunden 
später 30 g Ol. ricini, und wenn der Stuhl zu drücken anfängt, ein 
grosses Wasserklysma. Bei Kindern genügen 60—80 g Semina 
cucurbitae. Adolph H. M e v e r - Kooenhagen. 

Auswärtige Briefe. 

Briefe aus der Schweiz. 

(Eigener Bericht.) 

Hochschulbauten ln Zürich. — Volksabstimmung über die 
Absinthinitiative. — Das Krankenkassengesetz vor dem 

Nationalrat. . ■. ¥T . ...... 

Schon seit vielen Jahren leidet die Universität 
Zürich, insbesondere deren naturwissenschaftliche und ein 
Teil der medizinischen Disziplinen unter einem schliesslich 
unerträglich gewordenen Platzmangel. Im Laufe dieses Früh¬ 
jahrs ist es endlich möglich geworden, die schwierige Frage 
der Universitätserweiterung einter grundsätz¬ 
lichen Lösung zuzuführen. Sie besteht im wesentlichen darin, 
dass die Universität, die bisher mit der eidgenössischen poly¬ 
technischen Hochschule im gleichen Gebäude untergebracht 
war, dieses verlässt und ganz neue Universitätsbauten er¬ 
richtet werden, welche auf die die Stadt überragende Terrasse 
des Zürichberges neben das Polytechnikum zu stehen kommen 
sollen. Die Lösung war deshalb besonders heikel, weil die 
für die Neubauten, erforderlichen grossen Summen verfassungs- 
gemäss vom Volk des Kantons Zürich in der Volksabstimmung 
bewilligt werden mussten. Andererseits kam es dem Projekte 
zu statten, dass das Polytechnikum selber unter Raumnot 
leidet und deshalb die Eidgenossenschaft dem Kanton Zürich 
für die Ueberlassung des Universitätsflügels eine reichlich be¬ 
messene Entschädigung offerierte, sowie dass ein der Univer¬ 
sität vor Kurzem von einem „Ueberseer“ zugefallenes Legat 
im Betrage von einer halben. Million Franken für die Bau¬ 
zwecke verwendet werden kann. Zunächst hatte die Stadt 
Zürich zu entscheiden, ob sie an die Universitätsbauten eine 
einmalige Summe von IX Million Franken und zu dem Betrieb 
einen jährlichen Zuschuss von 60 000 Franken beisteuern wolle. 
Da die Stadt Zürich aus der Universität selbstverständlich 
einen grossen. Gewinn zieht, so wäre diese Abstimmung nicht 
zu fürchten gewesen, wenn nicht die sozialdemokratische 
Partei die Parole der Verwerfung ausgegeben hätte. Aus 
blindem Zorn darüber, dass gleichzeitig ein Gesetz zur 
strengeren Bestrafung der Streikausschreitungen im Wurfe lag, 
entblödete sich die Partei nicht, ihrer sonst so gerne heryor- 
gekehrten Bildungsfreundlichkeit zum Hohn eine energische 
Propaganda zur Verwerfung des Kreditbegehrens zu entfalten. 
Sie erhielt dann noch etwas Zuzug von antivivisektionistischer 
Seite, konnte es aber nicht verhindern, dass die städtische Be¬ 
völkerung am 15. März mit 14 802 Ja gegen 10 416 Nein die 
Subventionen bewilligte. Damit waren nun auch die Wege 
für die kantonale Abstimmung geebnet. Die Sozialisten fanden 
es für klüger, nunmehr offiziell die Stimmabgabe freizugeben 
und so gelangte dann der mit der Eidgenossenschaft abge¬ 
schlossene Vertrag inklusive die Baukredite im Betrage von 
mehreren Millionen Franken am 26. April mit 57 203 Ja gegen 
23 832 Nein zur Annahme. Gross war die Freude namentlich 
in akademischen Kreisen über dieses unerwartet glänzende 
Resultat und das 3 Tage nach der Abstimmung stattfindende 
75 jährige Stiftungsfest der züricherischen Universität konnte 
in ganz besonders gehobener Stimmung gefeiert werden. Einen 
besonderen Ruhmeskranz in der Abstimmungskampagne ver¬ 
diente sich Herr Prof. Lang, Zoologieprofessor, der uner¬ 
müdlich in Wort und Schrift für das ideale Werk tätig war und 
an ungezählten Volksversammlungen in Stadt und Land den 
Leuten seine Begeisterung, mitzuteilen wusste. Bei der Ab¬ 
stimmung haben auch rein bäurische Bezirke, welche sonst 
für ihre Interessen nicht direkt berührende Millionenforder¬ 
ungen wenig Sympathien zu zeigen pflegen, brillante Resultate 
geliefert. Ich führe beispielsweise an die rein agrikolen Be¬ 
zirke Meilen mit 3215 Ja gegen 710 Nein; Affoltern mit 1847 Ja 
gegen 603 Nein ; Andelfingen mit 2559 Ja gegen 659 Nein. Die 
Bauten werden nach den Entwürfen der auch in Deutschland 

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tätigen Architekten Curjel und Moser erstellt und um¬ 
fassen ein grosses allgemeines Kollegiengebäude, daran an¬ 
schliessend ein grosses biologisches Institut und auf ge¬ 
sondertem Platze mit bescheidenerem Aeusseren ein medi¬ 
zinisches Institut für Hygiene, Pharmakologie, Bakteriologie 
und gerichtliche Medizin. Für die übrigen Spezialdisziplinen 
sind vorläufig die bisher benützten Gebäulichkeiten noch aus¬ 
reichend. Wie gewaltig sich die Universität Zürich entwickelt 
hat und wie dringlich deshalb die Neubauten sein mögen, geht 
aus folgender kurzer Zusammenstellung hervor: Im Gründungs¬ 
jahre 1833 zählte die Universität 163 Studierende und 30 
Auditoren; noch 1897 waren es 713 Studierende und 153 Audi¬ 
toren, 1907 aber 1489 Studierende mit 448 Auditoren. Im 
gleichen Zeitraum ist die Zahl der Dozenten von 55 auf 141 
gestiegen. 

Am 5. Juli hat die eidgenössische Volksab¬ 
stimmung über das Initiativbegehren, be¬ 
treffend Verbot des Absinthgetränkes statt¬ 
gefunden. Bei relativ geringer Beteiligung hat das Volk die 
Initiative mit 233 000 Ja gegen 135 000 Nein angenommen und 
damit beschlossen, dass nach Ablauf von 2 Jahren die Fa¬ 
brikation und der Verkauf des Absinth, sowie von Nach¬ 
ahmungen desselben im ganzen Lande verboten sein werden. 
Sämtliche Kantone mit Ausnahme von Genf und Neuenburg 
haben zugestimmt. Neuenburg hat verworfen, weil auf 
seinem Gebiete die Absinthpflanze angebaut und der Likör 
fabriziert wird; sonderbar berührt dagegen das Votum von 
Genf, das erst vor kurzem für sein eigenes Gebiet das Absinth¬ 
verbot eingeführt hatte, die Ausdehnung auf die ganze Schweiz 
nun aber verworfen hat. Die stärksten annehmenden Mehr¬ 
heiten wurden von den ostschweizerischen Kantonen geliefert, 
wo das Getränk noch am wenigsten bekannt ist. Der Appell 
des Initiativkomitees, es möchten die noch absinthfreien Gegen¬ 
den den Welschen helfen, den für sie allein kaum durchführ¬ 
baren Kampf bestehen zu können, ist also auf fruchtbaren 
Boden gefallen. Das erfreuliche Votum des Volkes wird 
hoffentlich den Bundesrat ermuntern, mit der in Aussicht ge¬ 
stellten gesetzgeberischen Bekämpfung des Alkoholismus von 
Bundes wegen nicht zu lange auf sich warten zu lassen. 

In seiner Sommertagung hat die eine Kammer des 
schweizerischen Parlamentes, der Nationalrat, den neuen Ent¬ 
wurf für das eidgenössische Krankenversicherungs- 
g e s e t z vollständig durchberaten. Erfreulicherweise hat der 
Rat an dem Entwürfe des Bundesrates nicht nur mehrfache, im 
Interesse der Krankenkassen resp. der Versicherten liegende 
Verbesserungen angebracht, sondern er ist auch den Postulaten 
der schweizerischen Aerzteschaft in weitgehendem Masse ent¬ 
gegengekommen. Vor allem, um dies gleich vorweg zu 
nehmen, wurde, und zwar diskussionslos, die freie Wahl 
des Arztes und der Apotheke ins Gesetz aufgenommen. Es 
ist dieser Erfolg um so höher zu taxieren, als es sich, wie an 
dieser Stelle schon einmal ausgeführt, bei der im Gange be¬ 
findlichen Gesetzgebung nicht um eine obligatorische, staat¬ 
liche Versicherung nach dem Muster der deutschen Gesetze 
handelt, vielmehr um eine staatliche Subvention der bestehen¬ 
den oder neu zu gründenden Krankenkassen, sofern dieselben 
sich zu den im Gesetze aufgestellten Minimalleistungen an die 
Versicherten verpflichten und dadurch den Charakter einer 
„anerkannten“ Krankenkasse erlangen. Die Gewährung der 
freien Arztwahl ist nun also zukünftig eine der Bedingungen, 
die erfüllt sein müssen, falls die Kasse anerkannt und damit 
subventionsberechtigt sein will. 

Wie sehr der freiwillige Versicherungsgedanke auch ohne 
staatliche Nachhilfe sich bisher Bahn gebrochen hat, geht da¬ 
raus hervor, dass in der Schweiz bei ca. 3X> Millionen Ein¬ 
wohnern ca. 2000 Krankenkassen bestehen und dass jetzt schon 
von 100 Einwohnern 13 versichert sind. Die weiteren Be¬ 
dingungen, die erfüllt werden müssen, damit eine Krankenkasse 
anerkannt wird, sind folgende: 

Sie muss ihren Versicherten entweder ärztliche Behand¬ 
lung und Arznei oder ein Krankengeld von mindestens 1 Fran¬ 
ken pro Tag für eine Mindestdauer von 6 Monaten oder eine 
Kombination beider Leistungen gewähren. 

Sie muss, um es zu wiederholen, freie Wahl des Arztes find 
der Apotheke gewähren; in besonderen Fällen kann sie ver- 

Üriginal from 

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4. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1659 


langen, dass die Behandlung einem Spezialisten übertragen 
werde. Nur patentierte Aerzte im Besitze des schweizerischen 
Diploms dürfen zur Behandlung zugelassen werden. 

Das Recht der Selbstdispensation des Arztes bleibt auch 
gegenüber den Kassenmitgliedern gewährleistet, soweit nicht 
kantonale Einschränkungen bestehen. (Zu diesem Punkte hatte 
der schweizerische Apothekerverein postuliert, es solle die 
Selbstdispensation dem Arzte nur da gestattet sein, wo am 
Orte keine öffentliche Apotheke bestehe. Die vorberatende 
Kommission hatte dieser Anregung Folge gegeben, das Plenum 
des Rates aber auf Voten seiner ärztlichen Mitglieder und des 
selbst aus dem Aerztestand hervorgegangenen Bundesrats¬ 
mitgliedes Deucher, das unbeschränkte Recht der Selbstdis¬ 
pensation wieder hergestellt. Massgebende Gründe waren, 
dass man nicht ohne triftige Gründe alteingewurzelte Gewohn¬ 
heiten ausrotten wollte, dass die Versicherten im allgemeinen 
bei Selbstdispensation des Arztes billiger fahren und dass man 
nicht auf Kosten des Aerztestandes eine einseitige Vermehrung 
der Apotheken fördern wolle. 

Für die ärztlichen Leistungen gelten die vom Bundesrate 
aufzustellenden Tarife, so dass auf jeden Fall Bezahlung nach 
Einzelleistungen erfolgen wird. (Das Nähere über die Tarife 
wird erst bei den Beratungen über die Unfallgesetzgebung zur 
Sprache kommen. Der betreffende Paragraph lautet im Ent¬ 
wurf: „Der Tarif für die Entschädigung ärztlicher Leistungen 
wird unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse, nach 
Vernehmlassung der schweizerischen Aerztekommission, durch 
den Bundesrat aufgestellt. Die Namen derjenigen Aerzte, 
welche den Tarif annehmen und also von den Versicherten 
selbst keine Mehrentschädigung verlangen, sind zu veröffent¬ 
lichen.“) 

Bei Missbrauchen kann auf Antrag einer Kasse durch den 
Bundesrat dem Arzte oder Apotheker für eine gewisse Zeit das 
Recht entzogen werden, auf Rechnung der Kasse zu prakti¬ 
zieren. 

Um die noch wenig entwickelte Versicherung des weib¬ 
lichen Geschlechts zu fördern, sind die Bestimmungen getroffen, 
dass beide Geschlechter im allgemeinen zu den gleichen Be¬ 
dingungen in die Kassen aufgenommen werden müssen und 
dass Wöchnerinnen, die mindestens seit 9 Monaten vor ihrer 
Niederkunft Mitglieder der Krankenkasse sind, dieselben 
Leistungen erhalten, wie sie für Krankheiten vorgesehen sind. 

Die Karenzzeit für die Versicherten ist auf höchstens 
3 Monate festgesetzt. Um Missbrauchen vorzubeugen, müssen 
die Statuten schützende Bestimmungen gegen die Ueberver- 
sicherung enthalten, und endlich sind zur Erzielung einer mög¬ 
lichst weitgehenden Freizügigkeit umfassende Bestimmungen 
getroffen. 

Für diese Minimalleistungen erhalten nun die anerkannten 
Krankenkassen eine Subvention vom Staate, welche folgender- 
massen berechnet wird. Als Grundlage gilt der sog. „Bundes¬ 
rappen“, d. h. es wird der Krankenkasse auf jedes Mitglied 
und auf jeden Tag der Mitgliedschaft ein Rappen ausgerichtet; 
für weibliche Mitglieder wird der Beitrag auf Rappen er¬ 
höht, ebenso für Kinder unter 14 Jahren, die mindestens 
Arzt und Arznei frei erhalten und auf I K> Rappen für die Mit¬ 
glieder aller derjenigen Kassen, welche freie Krankenpflege und 
ein Krankengeld von mindestens einem Franken gewähren. 
Endlich ist vorgesehen, dass für die Gebirgsgegenden, wo einst¬ 
weilen die Gründung von Krankenkassen unmöglich und wo 
die Beschaffung ärztlicher Hilfe besonders kostspielig ist, be¬ 
sondere Staatsbeiträge zur Verbesserung und Verbilligung der 
Krankenpflege ausgeworfen werden sollen. 

Mit Befriedigung kann konstatiert werden, dass die allge¬ 
meine Tendenz des Gesetzes dahin geht, die Krankenkassen 
von der bisher zu einseitig gepflegten ausschliesslichen Ver¬ 
sicherung für Krankengeld abzubringen und ihre Fürsorge auch 
der Krankenpflege, sowie der Frauen- und Kinderversicherung 
zuzuwenden . Die schweizerischen Aerzte werden diese Wen¬ 
dung doppelt begrüssen; denn einerseits wird dem allgemeinen 
Volkswohl sicherlich dadurch besser gedient, dass dem Un¬ 
bemittelten rechtzeitige ärztliche Hilfe zur Verfügung steht, als 
durch blosse Ausbezahlung eines möglichst grossen Kranken¬ 
geldes; anderseits gewinnen auch sie dabei; gehören doch bis¬ 
her die ^iur füf Krankengeld versicherten Mitglieder nicht ge¬ 


rade zu den beliebtesten Patienten: Zwar nehmen manche von 
ihnen den Arzt wiegen jeder Kleinigkeit in Anspruch, behelligen 
ihn mit einer Menge von auszufüllenden Formularen, ziehen auf 
Grund dieser Zeugnisse ihr Krankengeld ein, vergessen dann 
aber sehr häufig, den Arzt für Behandlung und Schreibereien 
zu honorieren. 

Da die Aerzte von ihren Postulaten voraussichtlich nun die 
freie Arztwahl, die Bezahlung nach Einzelleistungen, die Bei¬ 
behaltung der Sebstdispensation und das Verbot der Behand¬ 
lung durch unpatentierte Heilkundige dauernd erreicht haben, 
so ist zu erwarten, dass von Anfang an nach Inkrafttreten des 
Gesetzes das Verhältnis zwischen Arzt, Kasse und Versicherten 
ein ungestörtes sein werde und dass uns die schweren Ent¬ 
täuschungen und die harten Kämpfe der deutschen Kollegen 
erspart bleiben. In einem Punkte allerdings muss der schwei¬ 
zerische Aerztestand noch auf der Hut sein. Das Gesetz gibt 
keine Einkommensgrenze an, welche das Recht zum Beitritt in 
eine Krankenkasse ausschliessen würde. Es werden sich also 
unter den ca. 700 000 Versicherten, auf welche gerechnet wird, 
zahlreiche bemittelte Mitglieder befinden. Deshalb müssen un¬ 
bedingt die einst abzuschliessenden Tarife auf eine anständige 
Höhe gebracht werden, damit nicht die Kassenmitglieder zu 
Taxen behandelt werden müssen, wie sie vielleicht in der 
Armenpraxis angehen können. Um dieses Ziel zu erreichen, 
ist es aber notwendig, dass sich die stellenweise noch ganz im 
Argen liegende Organisation der sclrweiz. Aerzteschaft noch 
gehörig kräftige. 

Im kommenden Herbste wird nun die zweite Kammer des 
Schweiz. Parlamentes, der Ständerat, das Krankenversiche¬ 
rungsgesetz durchberaten, an demselben aber kaum mehr ein¬ 
schneidende Veränderungen vornehmen. Der Nationalrat wird 
sich mit der Beratung des Unfallversicherungsgesetzes be¬ 
fassen, welche kaum so glatt ablaufen wird, weil über diese 
Materie die Meinungen der Parteien und Interessenten noch 
weit auseinander gehen. Das letzte Wort wird, falls das 
Referendum überhaupt angerufen wird, das Volk haben. 

Dr. N. 

Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ausserordentliche Sitzung vom 27. April 1908 
abends 7 Uhr im Hörsaal des Dr. Senckenberg ischen 

Bibiliothekgebäudes. 

Vorsitzender: Herr Edinger. 

Schriftführer: Herr Cahen-Brach. 

Herr H. Vogt: Angeborene Veränderungen bei pro¬ 
gressiver Paralyse der Kinder. 

Vortr. spricht über Untersuchungen, die Herr Dr. Rou- 
d o ro i e - Florenz im Winter 07 in der hirnpathol. Abteilung 
des S e n c k e n b e r g ischen neurol. Instituts ausgeführt hat. 
Wir kennen durch N i s s 1 und Alzheimer den spezifischen 
Prozess der progressiven Paralyse recht genau: wir müssen 
nun aber sagen, dass mit diesen Veränderungen das Bild der 
jugendlichen Paralyse nicht erschöpft ist. Vielmehr zeigen sich 
hier nach Abstraktion jener Momente noch Erscheinungen, 
die auf dem Gebiete der seit den letzten Jahren besonders 
durch die Arbeiten von v. Monakow, Probst, Ranke 
u. a. uns besser bekannt gewordenen Entwicklungsstörungen 
liegen. Das Gehirn der jugendlichen Paralytiker zeigt dem¬ 
nach die charakteristischen Bilder des Plasmazellinfiltrats, 
Gefässneubildung und regressive Veränderungen derselben, 
die Stäbchenzellenbefunde, die Gliabilder Alzheimers, an 
den Ganglienzellen Zeichen chronischer Erkrankung, Sklero¬ 
sierung usw., ausserdem aber findet mani eine unfertige Hirn¬ 
rinde, in ihrem Schichtenbau embryonal und zuweilen an den 
Brodmann sehen sechsschichtigen tektogenetischen Typus 
erinnernd, in der Rinde unfertige Zellelemente, Neuroblasten, 
im Mark zahlreiche Ganglienzellen zerstreut, also kleinste 
Heterotopien. Ausserdem fällt besonders der Befund zwei- und 
niehrkerniger Zellen auf und zwar waren solche Elemente unter 
den Pu rkinj eschen Zellen der Kleinhirnrinde häufig, unter 
den grossen Pyramidenzellen der Grosshirnrinde hie und 
da zu finden. Aehnliche Ergebnisse habep S t,r ä,u &s 1 e r, j 
O. Ranke, Raecke mitgeteilt. 


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Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MINNESOTA 




1660 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


Es ist somit sicher, dass bei der jugendlichen Paralyse 
angeborene Momente mit im Spiele sind. Es erhebt sich 
die Frage, ob vielleicht auch für die progressive Paralyse der 
Erwachsenen etwas ähnliches gilt. Für die jugendliche Para¬ 
lyse ist ja bekannt, dass sie besonders oft schon vorher im¬ 
bezille, geistig minderwertige Individuen befällt. Für die pro¬ 
gressive Paralyse der Erwachsenen hat vor allem N ä c k e 
auf Qrund statistischer Erhebungen immer wieder die Be¬ 
deutung der angeborenen Anlage betont. Es würde also nicht 
mir die Spezifität der exogenen Schädigung, sondern die endo¬ 
gene Disposition von Bedeutung sein. Dafür sprechen auch 
adidere Gesichtspunkte: die schwere Belastung vieler Para¬ 
lytiker, die Beobachtungen von „Erblichkeit“ der Paralyse 
u. a. m.; jedenfalls verdienen die Roudo nie sehen Ergebnisse 
weitere Beachtung. 

Herr S c h ü t z - Wiesbaden: Ueber chronische Magendarm¬ 
dyspepsien nnd chronische dyspeptlsche Diarrhöen. (Erscheint im 
Druck.) 


Wissenschaftliche Vereinigung am städft. Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 3. März 190H. 

Vorsitzender: Herr Rehn. 

Schriftführer: Herr A m b e r g e r. 

Herr Lüthje stellt vor: 

1. einen Fall von linksseitiger kompletter Bronchostenose nach 
Angina acuta, hervorgerufen durch einen metastatischen Abszess oder 
eine Anschwellung 1 von Bronchialdriisen. Das Röntgenbild und der 
Verlauf bestätigen die Annahme. 

2. einen Fall von Thrombose der linken Vena subclavia und 
anonyma sinistra mit plötzlich aufgetretenem Hydrothorax bei einer 
Patientin mit aplastischer Anämie. 

Herr Voss: 

1. Demonstration eines Falles, dem wegen syphilitischer Nekrose 
beider vorderen Stirnhöhlenwände und Nasenbeine die doppelseitige 
Stirnhöhlen-Siebbeineröffnung gemacht worden war. Die Diagnose 
war auf radiologischem Wege gestellt worden. Durch die Operation 
wurde gleichzeitig eine Korrektur der vorher hochgradigen Sattel¬ 
nase erzielt. 

2. Demonstration eines 28 jährigen Küfers, dem auf operativem 
Wege ein walnussgrosser Kieselstein aus der rechten Kieferhöhle ent¬ 
fernt wurde, welch letzterer durch einen Böllerschuss unter Zertrüm¬ 
merung des rechten Auges und des Orbitalbeckens hineingelangt war. 
Auch hier hatte das Radiogramm den gewünschten Aufschluss ge¬ 
geben. 

3. Vorstellung dreier geheilter Fälle otogener Allgemelnlnlektion 
ohne Sinusthrombose. 

a) Im Anschluss an akute Otitis media mit Mastoiditis bei 25 iähr. 
Mann mit hochgradiger Prostration, Tcmp. 39,9, kritischer Tcm- 
peraturabfall sofort nach der einfachen Aufmeisselung des skleroti¬ 
schen Warzenfortsatzes und fortschreitende Besserung der Allgemein¬ 
erscheinungen. 

b) Im Anschluss an chronische Otitis media mit Fpidermisein- 
wanderung ins Mittelohr, die klinisch unter dem Bilde eines Typhus 
abdominalis verlief (Roseolen, diinne Stühle), palpable Milz, Temp. 
40,0). Widal wiederholt negativ. Auch hier kritischer Temperatur¬ 
abfall sofort im Anschluss an die Totalaufmcisselung und alsbaldiges 
vollständiges Verschwinden sämtlicher beschriebenen Allgemein¬ 
erscheinungen. 

c) Im Anschluss an Osteomyelitis beider Warzenfortsätzc bei 
27 jährigem Orgelbauer, die sich gleichzeitig nach einer Kopfver¬ 
letzung und einem sich daran anschliessenden Scharlach (?) unter 
pyämischen Temperaturen und Schüttelfrösten entwickelte. Beide 
Mittelohren und pneumatische Hohlräume völlig frei von frischen oder 
vorausgegangenen Fntziindungserseheinungen. Erkrankung streng 
lokalisiert auf die spongiösen Abschnitte der Warzenfortsätzc. Nach 
deren Ausräumung Heilung. 

Als Gegenstück zu diesen Fällen Demonstration eines Präparates 
von Sinusthrombose nach chronischer Mittclohrciterung, bei dem 
Sinus und Bulbus nach dem Vorschläge des Vortragenden in eine 
zusammenhängende Halbrinne verwandelt sind. Der Kranke erlag 
seiner schweren, mit zahlreichen Lungenmetastasen einhergehenden 
Allgemeininfektion. 

Diskussion: Herr Schnaudigel, Herr Voss. 

Herr Vogt demonstriert mehrere Gliapräparate, welche nach 
der von O. Ranke in der Zeitschrift fiir Erforschung jugendlichen 
Schwachsinns, Bd. 1. 1907, pag. 133 veröffentlichten Methode gefärbt 
sind. Die dargestellten Bilder betreffen: 1. Diffuse (iliose aus der 
Hirnrinde eines epileptischen Idioten. 2. Ventrikeltumor bei tuberöser 
Sklerose mit feinfaseriger hochgradiger Gliawucherung. 3. Oefässbild 
eines Falles von juveniler Paralyse („Gcfässfiisschen“) mit zahl¬ 


reichen umgebenden Spinnenzcllen. Zur Methode bemerkt Yortr.. 
dass sie durch ihre Einfachheit, durch ihre Sicherheit und die Klar¬ 
heit der Bilder eine bemerkenswerte Bereicherung der neun'histo¬ 
logischen Technik sei. Sie ist, wie schon der Erfinder derselben 
angab, nicht quantitativ, sondern im wesentlichen aui die patho¬ 
logisch gewucherte (iha beschrankt. 

Im Schlusswort bemerkt Yortr.. dass die Ranke sJic 
Methode nicht die Wcigertsdie ersetzen kann und s*«II (wie dies 
Ranke Selbst hervorhebt), sondern an jener ihren Massstab findet. 
Aus den erörterten Gründen wird sie aber von allen Seiten, die der 
Histologie des Zentralnervens\ stems nahestehen, sehr begrusst 
werden. 

Herr C. U. Arien s Kappers: Strukturelle Gesetze Im Bau 
des Gehirns. 

Nachdem der Redner in einer Sitzung des ärztlichen Vereins im 
Oktober des vorigen Jahres einen Vortrag über die Erscheinungen 
der Neurobiotaxis gehalten hat und dabei demonstriert hat. wie die 
motorischen Ganglienzellen in der Ohlougata sowohl als dieiemgen 
des Sympathikus sich begeben in der Richtung des maximalen Reizes, 
bespricht er jetzt ausführlicher die Prinzipien des Gehiruhaues. 

Aus den Beobachtungen der Zellenw anderung in der Ohloriguta 
ging hervor, dass die Zellen sich in der Richtung der sie zentral 
beeinflussenden Bahnen begeben, eine ganz grosse Mreckt zunick- 
legend. indem Me die ganze Dicke der Oblungata durchwandern. 
Daraus folgt aber, dass die diese Zelle zentral beeinflussenden Bahnen 
in ihrem Wachstum nicht bedingt werden durch die l äge der motori¬ 
schen Zellen, da dann sonst die Zellen in ihrer ursprünglichen Lage 
liegen bleiben konnten und nicht über grosse Distanzen zu wandern 
hatten um die zentrale Bahrienendigung zu finden. Die Frage, weiche 
daraus resultiert, ist diese: Wodurch wird der Verlauf der Sogen, 
zentralmotorischen Bahnen wohl bedingt? Da es nicht die motori¬ 
schen Zellen sind, können cs nur die sensiblen Regionen sein, wie 
sich denn auch durch die Tatsachen nachw eisen lasst, und zwar 
ist es offenbar die gleichzeitige Reizung seines Aniang- und End¬ 
punktes, welche das Auswachsen der sogen, zentralen motorischen 
Achsenzy1 1 ndcr bodingt. 

Hierdurch nun werden verschiedene Eigentümlichkeiten, die bis 
jetzt als konstante, aber unerklärliche Befunde konstatiert waren, 
deutlich erklärt. 

So enden z. B. die Pyramidenbahnen im Rückenmark in einem 
Gebiet, Schaltzellengebiet (Golgj. v. Monakow», wo auch die 
hinteren Wur/eliasern aufhoren. Der Verlauf der IN ramiden m den 
Hintersträngen (ein exquisit sensibles Areal* wie er bei den Marsu- 
pialiern. Monotremen. Rndeiitia. Insektivoren. I ngulaten als fast kon¬ 
stanter Befund auttritt, repräsentiert offenbar das primäre \ erh.i'ten. 
welches erst bei den Karnivoren und Primaten durch sekundäre Kom¬ 
plikationen geändert wird. In l'ebereinstmmiung mit der Tatsache, 
dass das Auswachsen der Sogen, motorischen Bahnen durch sensible 
Reize bedingt wird. ist. dass denjenigen Nerven, vmi denen eine 
sensible Wurzel abgeht, auch eine Pvrnmide zu ihrer direkten Ein¬ 
gehung ihres motorischen Kernes feint. Beispiele: Gkuloniotorius. 
Trochleuris, Alulu/ens. (Bezüglich des H\ pogiossus liegt eine Kom¬ 
plikation vor, auf welche Redner liier nicht emgehen kann.) 

Auch bezüglich der anderen kortiko-jugaien Bahnen lasst sich 
nachweisen. dass simultane oder direkt sukzessj\e Reizung ihres 
Anfang- und Fndgeluetes offenbar der Grund ihres Auswachsens ge¬ 
wesen ist. So verbinden die kortiko-pmitmen IN ramiden Zentren, d.e 
mit der Empfindung des Gleichgewichtes in direkter oder indirekter 
Beziehung stellen. Die kortiko-mesenzephalischc Bahn aus der okzi- 
pit; len Rinde zum Tcctiim opticum verbindet zwei optische Zf't :n. 
welche beide auf verschiedenem Wege von der Retina gereizt wer¬ 
den. Die kortiko-fugale Bahn der Riechriude. der Fornix verbindet 
zwei Zentren, die beide schon Zuvor aut verschiedenem W'rgg K:ech- 
in pulse emp ; angen. 

Viel leichter als für die sogen, motorischen Bahnen l.isst sich das 
Gesetz eler simultanen Reizung nachweisen für die sensiblen Palmen. 
Sehr sprechende Beispiele sind bei den niederen Yer teVaten vor¬ 
handen. wo die Bahnen des Geruches der trigenunalen < >r aiseTisibmt.it 
und lies Geschmackes miteinander \ erbmdungen emgehen. w .dretid 
auch die sensible atifsteigende Verbindung zwischen den /ent r n’en 
(ileichgew ichtsgebieten des I.abx rintlis und den zentralen optisclu n 
Eindrücken überall deutlich ausgesprochen ist. Nchhessä h weist 
Redner noch daraufhin, dass der ausgesprochene des/endente Verlauf 
der sensiblen (Ibfotlgataw ur/eln «Trigeminus. Vestibularis) und der 
ausgesprochene aszendente Verlauf x on Rückenmark fasern »Mmter- 
strange) auch nach diesem Prinzip erklärt werden muss, indem un 
Teil der trigenunalen Nensibilu.it mit der Zerx ikaNensibi'itat in dem 
R o I a n d n sehen Keni m Verbindung, tritt, w . -hrend die G’eichge- 
xvichtsempfiudiingeu des I.abx rmfhs sich den glemh/t :tig anitret-. n- 
den statischen Empfindungen der Koffer sensd.ilii.it n.dieMi. 

Auch die Tatsache, dass das Grosshirn der Vertebraten sLh auf 
dem Vordefhirn entwickelt und nicht etwa auf dem MitteIVui. lässt 
sich nur durch die Gesetze der NVurobi. «taxis erk’a-en Für dies¬ 
bezügliche Details muss verw iesen w erden auf die f * 1 :a neuro, 
biologicn. Heft 4. Bd. 1 .l'>os. Fs ist o’N-ribar.. dass für die Mniktur 
des Gehirns die sensiblen ..reze’Moris^hi ti M Schaltze'kebiete d-e 
grösste Rolle spielen und dass das Gesetz, welches sji-.n lange in 


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4 . August 19Q& 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1661 


der Psychologie bekannt ist, nämlich, dass zwei Eindrücke sich nur 
dann assoziieren, wenn die sie hervorrufenden Reize zu gleicher Zeit 
oder in naher Sukzessivität anwesend waren, und welches die Grund¬ 
bedingung bildet für alle Formen der Assoziation, offenbar auch das 
Grundgesetz ist, welches den Bau des Gehirns in allen seinen Unter¬ 
teilen von den niederen Stufen bis zu den höchsten, von den unbe¬ 
wussten bis zu den bewussten Zentren bedingt. 


Medizinische Gesellschaft in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 8. Februar 1908 in der Augenklinik. 

Herr v. S t a r c k demonstriert einige Kinder mit v. Pirquet- 
scher Tuberkullnreaktlon. 

Herr Behr spricht über einige bemerkenswerte Fälle von 
Hemianopsie. (Erscheint später als Teil einer grösseren Arbeit.) 

Herr Reit sch stellt einen Fall von gummöser Ulzeration der 
Sklera und Kornea bei einer 40 jährigen Frau vor. Der Prozess war 
schon im Abheilen begriffen. Die Sklera war soweit exulzeriert, dass 
in zirka Bohnengrösse der Ziliarkörper bläulich durchschimmerte. 
Auf der Hornhaut kam es zur Perforation und kleinem Irisprolaps. 
Relativ günstiger Heilungsverlauf unter energischer kombinierter 
Jodkali- und Quecksilberbehandlung. 

Herr Anschiitz: Angeborene Kreuzstelssbelngeschwulst 

Das Kind wurde vor 4 Wochen kurz demonstriert. Es handelte 
sich um ein angeborenes übermannskopfgrosses Teratom der Steiss- 
beingegend, bei einem sechs Monate alten Kinde. Es wurde nach 
Entleerung der Flüssigkeit der Tumor mit Gummibinden eingewickelt, 
um den Blutverlust zu vermindern. Die Exstirpation vollzog sich 
einfach. Das Steissbein musste entfernt, der Sakralkanal geöffnet 
werden, das Rektum Hess sich stumpf lösen. Die Heilung ging glatt 
von statten. Der Tumor wog 10 Pfund, das gleiche Gewicht wie das 
Kind. 

Herr Heine demonstriert mit dem Projektionsapparat mikro¬ 
skopische Präparate und farbige Bilder der verschiedensten Formen 
von Iritis, bespricht an der Hand dieser die Differentialdiagnose und 
stellt eine grössere Reihe von Patienten mit chronischen und akuten 
Iritiden vor. 

Sitzung vom 7. März 1908 im Marinelazarett Kiel. 

Herr Kraemer: lieber die Medizin und die Anthro¬ 
pologie deF Karolinier. Mit Lichtbädern; (Die Arbeit erscheint 
im Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene.) 

Herr Meuser: Vorstellung eines Talles von Siderosis lentis. 

Der Kranke gab an, dass er seit einigen Tagen auf dem linken 
Auge schlecht sehe; Ursache unbekannt, speziell wird eine Augen¬ 
verletzung zu irgend einer Zeit negiert. Der Verletzte ist von Beruf 
Schmied. Die Untersuchung ergab am linken Auge am medialen 
Hornhautrand eine kleine Narbe, ebenso eine entsprechende Ver¬ 
letzung der Regenbogenhaut. Die Linse ergab das Bild der Cataracta 
traumatica, am Linsenäquator waren zahlreiche radiär gestellte Rost¬ 
flecken. Es bestand keine Verrostung der Iris oder anderer Teile 
des linken Augapfels. In der Literatur sind mehrere Fälle von 
Siderosis bulbi erwähnt, in welchen ebenfalls von den Verletzten an¬ 
gegeben wurde, dass sie mit Wissen nie eine Augenverletzung gehabt 
hätten. Die Therapie bestand in peripherer Linearextraktion der ge¬ 
trübten Linse. Die Prognose bei Siderosis ist zweifelhaft, da auch 
nach Entfernung des Eisensplitters in einer ganzen Anzahl von Fällen 
fortschreitende Degeneration, speziell der Netz- und Aderhaut — 
offenbar infolge des abgelagerten Rostes durch chemische Wirkung 
bedingt — beobachtet wurde. 

Herr T111 m a n n Krankenvorstellungen: 

Fall 1. Obermatrose X mit Lues III. Geheilt mit intrave¬ 
nösen Einspritzungen von Sol. Kal. jodat. 

Der Mann war wegen frischer Amöbenruhr ausserterminlich 
von seiner Station in Ostasien abgelöst worden. Die Lues war vor 
3 Jahren erworben und mit 2 Schmier- und 1 Spritzkur nebst der 
üblichen internen Jodkalikur behandelt worden. Die Lazarettauf¬ 
nahme erfolgte wegen chronischer Darmbeschwerden. Gleichzeitig 
wurden 2 Gummata an der rechten Tibia und mehrere exulze- 
rierende Gummata am rechten Arm und Bein festgestellt. Der all¬ 
gemeine Zustand war kümmerlich. Mit Rücksicht darauf und die 
chronische Darmschwäche wurde nach einer schonenden antilueti¬ 
schen Kur gesucht und nach dem Vorgänge von Doevenspek mit 
intravenösen Einspritzungen von täglich 2,0 g einer 5proz. Sol. Kal. 
jodat. (also täglich 0,1 g Jodkali) begonnen. Das Medikament liess 
sich sofort im Urin nachweisen. Die Wirkung war eine prompte, 
indem die Knochengummata sich zurückbildeten und die Geschwüre 
sich reinigten und heilten; es wurden im ganzen etwa 30 Spritzen 
abwechselnd in die linke und rechte Kubitalvene injiziert, bei den 


letzten 10 Spritzen wurde eine lOproz. Jodkalilösung verwandt, so- 
dass die Einzelgaben 0,2 g betrugen. Im ganzen sind demnach wäh¬ 
rend einmonatiger Behandlungsdauer nur 4 g Jodkali zur Anwendung 
gekommen. 

Der Erfolg war vollständig. Es traten niemals Nebenerschei¬ 
nungen auf. Das Allgemeinbefinden besserte sich erheblich. 

Fall 2. Matrose X. mit geheilter Meningitis cerebrospinalis. 

Anamnestisch ist eine in der Kindheit überstandene einseitige 
Mittelohreiterung zu erwähnen. Der Mann erkrankte Anfangs De¬ 
zember 1907 infolge einer Erkältung irn Dienste an Kopfschmerzen 
und wurde aus diesem Grunde ins Lazarett überführt. Von seinem 
Standorte Kiel hatte er sich über l A Jahr nicht entfernt. Bei seiner 
Aufnahme waren ausser einer akuten Bronchitis organische Verände¬ 
rungen nicht nachzuweisen. Es bestand kein Fieber. Trotzdem 
machte er einen schwerkranken Eindruck. Das Gesicht war lividrot 
der Ausdruck sehr müde und der Puls auffallend verlangsamt. Keine 
Leberschwellung, keine Roseolen. Stuhl normal. Ausgiessen von 
Blutplatten nach Schottmüller; nach 2 X 24 Stunden .steril. 
Bei mässiger Temperatursteigerung bildete sich am 3. Tage eine 
Empfindlichkeit der Nackengegend unter zunehmenden Kopfschmerzen 
aus. Die Lumbalpunktion ergab eine erhebliche Drucksteigerung 
und einen flockig getrübten Liquor. Die Untersuchung des Liquors 
ergab eine starke Leukozytose doch ohne nachweisbare Mikro¬ 
organismen. Das Krankenbild änderte sich bis Ende Januar wenig. 
Es traten nie irgendwelche Lähmungen oder Spasmen ein; das Bild 
des Augenhintergrundes beiderseits ergab nie eine Abweichung vom 
Normalen. Die Reflexe bleiben im allgemeinen normal. Fieberfreie 
Perioden von mehreren Tagen bei allgemeinem Wohlbefinden wech¬ 
selten mit Anfälle von grosser schmerzhafter Nackensteifigkeit bei 
oft getrübtem Bewustssein. Dieser Zustand konnte ebenfalls mehrere 
Tage anhalten. Die Pulsverlangsamung blieb auch während der Tage 
des Wohlbefindens konstant. Anfangs Januar trat gleichzeitig mit 
einer allgemeinen Verschlimmerung eine akute Schmerzhaftigkeit des 
linken Warzenfortsatzes auf, die aber nach lokalen Blutentziehungen 
und Eispackungen wieder verschwand. Hiernach wurde eine leichte 
Fazialisparese beobachtet. 

Die Therapie war im wesentlichen symptomatisch. Bei Er¬ 
scheinung von Hirndruck wurde stets die Lumbalpunktion ge¬ 
macht und Liquor abgelassen. Das Aussehen des Liquor besserte 
sich stetig. Die Leukozytose war schon bei der 3. Punktion ge¬ 
schwunden, dagegen bestand noch längere Zeit eine geringe Lympho¬ 
zytose. 

Anfang Februar trat der Kranke in das Stadium der Rekonvales¬ 
zenz. Er litt noch an zeitweisen Kopfschmerzen, die jedoch immer 
seltener auftraten. Keine Beeinträchtigung der Psyche und der mo¬ 
torischen und sensiblen Funktionen. 

Hinsichtlich der Aetiologie ist der Fall unaufgeklärt geblieben. 
Wegen der überstandenen Schwere der Erkrankung und des Aus¬ 
falles der noch zu erwähnenden chemischen Untersuchung der Spinal¬ 
flüssigkeit wurde der Mann als dienstynbrauchbar entlassen. 

Beide Fälle wurden ganz besonders auch hinsichtlich des zyto- 
logischen und chemischen Verhaltens der Lumbalflüssigkeit geprüft. 
Nonne hat gefunden, .dass wenn man Liquor zu gleichen Teilen 
mit einer neutralen Ammoniumsulfatlösung versetzt, bei bestimmten 
Krankheiten eine Reaktion in Form von Opaleszenz oder Trübung ein- 
tritt, während für gewöhnlich die Flüssigkeit klar bleibt. Er nennt 
diese primäre (Globulin) Reaktion die Phase I. 

Kocht man das Filtrat der Phase I in der üblichen Weise unter 
Ansäuerung auf, so erhält man die normal vorhandenen Albumine. 
Er nennt diesen Prozess die Phase II. (Näheres siehe Archiv für 
Psychiatrie, Bd. 43, Heft 2.) 

Die Phase I ist Nonne bei Dementia paralytica, Tabes dors., 
Lues III des Nervensystems und Lues congenita in fast 100 Proz., 
bei Lues II in 20 Proz. seiner Fälle gelungen, während sie bei ge¬ 
heilter Lues, bei Alkoholismus, bei Tumor cerebri, bei funktionellen 
Neurosen und Nervengesunden nie auftrat. 

Weniger eindeutig sind die Resultate hinsichtlich der Phase I 
bei Meningitis cerebrospinalis, doch liegen diese Fälle meist dia¬ 
gnostisch einfach. 

Mit seiner Phase I ist Nonne imstande zwischen zweifelhaften 
rällen von Dementia paralytica, Tabes und tertiärer Lues des Nerven¬ 
systems einerseits und beispielsweise einer Pseudotabes und den 
funktionellen Neurosen andererseits zu differenzieren. 

Auf die beiden vorgestellt Fälle angewandt, wurde bei beiden 
auch nach ihrer Heilung die Phase 1 für positiv befunden, was bei 
der Lues III noch der Grund für die Einleitung einer energischen 
merkuriellen Kur, bei der geheilten Meningitis Grund für die Dienst¬ 
entlassung wurde. 

Auch bei anderen geeigneten Fällen der inneren Abteilung des 
Marinelazarettes Kiel wurden die Untersuchungen N o n n e s nach¬ 
geprüft und konnten in allen Fällen bestätigt werden. 

Herr Hansen stellt einen eigenartigen Fall von Oberarmbruch 

vor. 


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Sitzung vom 9. Mai 1908 im Marinelazarett Kiel. 

Herr Knoke stellt einen Fall von geheiltem Längsbruch der 
Patella vor. (Erscheint in der Deutschen Zeitschrift fiir Chirurgie.) 

Herr Hansen: Ueber die Entstehung von Leisten¬ 
brüchen. 

Vortr. hat die Beobachtungen an dem Material des Marine¬ 
lazaretts Kiel, über deren Ergebnisse in Langenbecks Archiv, 
Bd. 78, Heft 2 berichtet worden ist, an dem operativen Material 
des Lazaretts Kiel-Wik fortgesetzt und verfügt über 114 Fälle 
von äusseren Leistenbriichen, die von ihm radikal operiert 
wurden. Vortragender hält sein Material für besonders ge¬ 
eignet zur Entscheidung der Frage, ob im einzelnen Falle ein 
angeborener Bruchsack vorlag, weil es sich um Jugendliche 
muskelkräftige Personen handelt und weil die stete Auisicht 
und die häufigen Untersuchungen eine relativ günstige Hand¬ 
habe bieten zur Beurteilung der Dauer des Bestehens der 
Brüche und zur Kritik der Angaben der Kranken. 47 Proz. 
kamen innerhalb eines Monats nach der Bruchentstehung zur 
Operation. Dementsprechend war ein hoher Prozentsatz 
(28 Proz.) noch nicht aus dem vorderen Leistenring heraus¬ 
getreten und 44 Proz. erreichten nicht Walnussgrosse, nur 
7 Proz. füllten eime Hodensackhälfte aus. Als Inhalt wurde 
in fast 70 Proz. Netz mit Sicherheit festgestellt. Als Merkmale 
für angeborenen Bruch sack wurden Handschuh¬ 
fingerform, Enge, Dünnwandigkeit, Fehlen von suhscrösem 
Fett, narbige Verdickungen, Einschnürungen, Zystenbildungen, 
vor allem aber feste Verwachsung mit den nebeneinander 
liegenden Elementen des Samenstranges angesehen und in 
84 Proz. festgestellt. Vortr. ist der Ansicht, dass die mehr 
oder weniger grosse Enge des Leistenkanales von geringerer 
[Bedeutung für die Entstehung von äusseren Leistenbriichen ist, 
als das Vorhandensein eitles ganz oder zum Teil offen ge¬ 
bliebenen Proc. vagin. Letzterer wurde nur 7 mal ganz offen 
gefunden. In der Mehrzahl der Fälle (65 Proz.) betrug die 
Länge 5— 9 cm. Von [Bedeutung ist ein weiter Leistenkanal 
für die Entstehung von direkten (inneren) Leistenbriichen und 
beruht fast immer auf einer mangelhaften Ausbildung des 
M. obliqu. int. und transv. abdom., was der Vortr. an Skizzen 
demonstriert. 

Herr Krämer stellte 2 Matrosen vor mit chronischen, aus- 
gebreiteten, nässenden und teilweise impetiginosen Unterschenkel- 
kratzekzemen, die monatelang zuvor in Behandlung gewesen waren 
ohne wesentliche Besserung. Nach 4 und 6 tägiger Behandlung erst 
mit Bleiwasser, dann mit 10 proz. Zinksalbe, w aren die ganzen 
Flächen trocken und ruhig, nur noch mit Epidermisschuppen bedeckt, 
so dass sie ohne Verband bleiben konnten. Es wurde betont, dass 
alles darauf ankommt, die Patienten vom Kratzen und Reiben der 
Flächen zurückzuhalten und energisch psychisch auf sie einzuwirken. 
Tägliche Kontrolle durch den behandelnden Arzt ist unbedingt not¬ 
wendig. Nur wenn der Kranke sein Leiden sozusagen*vergisst, heilt 
es auch, wenn es im Stadium der trockenen Schuppung ist, von 
selbst aus. 

Herr Dresler berichtet über langjährige Versuche, die er mit 
Keflrmilch als Säuglingsnahrung angestellt hat. In besonderer Weise 
hergerichtet — ausführliche Beschreibung des Verfahrens in der 
diesbezüglichen Veröffentlichung in der „Medizinischen Klinik“ — 
hat sich die Kefirmilch vorzüglich bewährt. An der Hand von <ie- 
wichtstabellen erläutert er die Erfolge, die man mit Kefirmilch als 
alleinige Nahrung gleich nach der Geburt, im allaitement mixte und 
bei Behandlung der verschiedensten Ernährungsstörungen und M:t- 
gendarmerkrankungen des Säuglingsalters zu erzielen vermag. Be¬ 
sonders beachtenswert sind die starken Gewichtszunahmen. die der 
Kefir herbcifiihrt; in einem Fall bis zu 5.S7 g pro Woche. Die Ein¬ 
fachheit, Zuverlässigkeit und Billigkeit seines Herstellungsverfahrens 
des Kefir ermöglicht die Verwendung desselben auch in den ärmlich¬ 
sten Verhältnissen. 

Physiologischer Verein in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vorn 4. Mai 1908. 

Herr Noesske: Tuberkulose und Aktlnomykosc ln 
Wechselbeziehung zu ihren Erregern. 

N. vergleicht die beiden Infektionsprnzesse von allgemein 
biologischen, experimentell-pathologischen, anatomischen und 
klinischen Gesichtspunkten. 

Den wesentlichsten pathologisch-anatomischen Unter¬ 
schied sieht N. in der dem Wachstum maligner Neubildungen 
rglc ich baren Neigung des aktinnmykotisclicu Prozesses zur 


Kontinuitätspropagation mit ausgesprochen destruktivem Cha¬ 
rakter. Die Ursache der direkten kontinuierlichen Ausbreitung 
des aktinomykotischen Prozesses liegt nach N.s anatomischen 
Untersuchungen hauptsächlich in dem \ erhalten der elastischen 
Fasern begründet, die dabei schon sehr frühzeitig Zerstört, 
gleichsam gelost werden (daher ihr Fehlen im Sputum bei 
Lungenaktinomykose), während sie sich in tuberkulös er¬ 
krankten Organen lange Zeit unverändert erhalten (z. B. bei 
der käsigen Pneumonie). 

Das eigenartige \ erhalten des Strahlenpilzes im 1 »cr- 
experiment, welch letzteres bisher nur höchst selten und m 
unvollkommener Weise gelungen ist, steht in einem diametralen 
Gegensatz zu dem \ erhalten des I uberkelba/illus. dessen 
morphologische Eigenschaften (strahlenpil/uhr.lichc \N udiMorm 
unter besonderen Ycrsiichshedmgungen, Bildung von \cr- 
zweigungcu u. a.) ihrerseits eine gewisse biologische \er- 
wandlschaft mit den Aktiimmyzes nicht v erkennen lassen. W ic 
der letztere noch heute auf der Grenze von fakultativ sapro- 
phytisch-pathogencii Mikroorganismen stellt und nur unter ge¬ 
wissen Bedingungen eine ungew ohnliJi hohe Pathogenität ent¬ 
faltet. die (wie die gelegentlich beobachteten Epidemien bei 
Rindern lehren) möglicherweise im Laufe dir Zeiten JurJi 
Anpassung eine weitere Steigerung erfahren konnte, so nimmt 
N. umgekehrt fiit den Tubcrkclbazillus eine weit zurückliegende 
Periode geringerer Tier- und Meuscheitpatliogemtat als wahr¬ 
scheinlich an. in welcher derselbe auf einer biologischen Ent¬ 
wicklungsstufe stand, auf der noch heutigen Tages der 
Strahlenpilz steht. (Der \ ortrag wird ausfuhrl; Ji in dieser 
Wochenschrift erscheinen.) 

Sitzung vom IS. Mai I90S. 

Herr Febsenfeld: Ueber die Ophthalmoreaktion in 
ihrer Beziehung zum Sektionsergebnis und zur Tuberkulin- 
injektion. (Der Vortrag ist in No. Jt» der Munch, mcd. Wochen¬ 
schrift veröffentlicht.) 

Herr Wandel ste.lt en.en 5" uh: U eil Reiser kn int \ «rtcr*.- 
irsuffi/ien/ und Arteriosklerose vor, welcher m l cme :u l.thrc 
Parä.stlicMcn, Kalte- lind I'atfbhcitseMnunidiin.ten in; tu bat des ’.isoi 
Nervus ulnaris hat. die s.di bei k*n pe:lab.er Arbeit und ge’egent- 
lich auch beim Essen /u eiium krampüutten Sdimr/ Me gern. so 
dass Gegenstände dann mehl in der Hand gehalten werden kennen. 
Diese nur )>ei den erwähnten Ge lege nhe.teil amt’et.n kn \ !.. c 
halfen meist nur wenige Minuten, längstens 1' M nuten, an. 1* 
handelt sich um die sensiblen und m**!** r:\vhcn Storungen. w e s e 
für die untere Extremität von C h a r c o t und E r b a's intenn tt :e ren- 
des Hinken oder Dysbasia arterioskkrotica beschriebt ii und für d e 
obere Extremität von D eter m a n n als D v s k i n c s : a > n t e r - 
m i t t c n s a n g i o s e 1 e r o t i c a bezeichnet sind. 

Die Besmideilieit des l.öes egt eiieise ts m vier Be¬ 
schränktheit des Dro/essts aut das Gel’et der Nervus u n i’:*, 
dessen anatomische Beziehungen zu den Xuigj.'^ni besprochen 
werden; andereiseits in der G e s e t z m a s s i g k c . t des \ut- 
t r e t e n s der l.almnings- nid sJniic-ziv.n.W'i oi. ehe • f * e m »r 
Von den Blutdruckv ei haltniss,. ii und pef .phe:e n sjusf svhe'i Zu¬ 
ständen abhängig ist. 

Herr Pfeif ler berichtet über i iu n l .i ! \ m Scharlach, de- 
einen 17 jährigen Tischler Ivhrimg betont, he: we ehern die Inte st m 
mit dem Scharlachgut v .e.leicht an einer k . e ; n e n Riss u u n ! e 
am rechten 5. bmger stattgetundeii hat. 2 läge n.ivh der \ e’\ tzurg 
l\iiiphangitische Streiten am Atm mit einer 1 ' g. t d e .diach- 

aus in Aussehen und \no» drui.g eme m .r u ie \ o::-. m g < c':t. 
A läge nach der Iniehtmn I : u p: .< >n des ui'\e'*i e:i 1 \.i:'l"ti ! \ 
Angina. ■Uluinnnurie. Schwerer \ c : ’ mf. v •• 's rrm e p.e Me m g. De r 
Lall luetet viele Analogien zu gern seme’Ze* I e ii b e 1 M'. /. 

Diagnose der mncteii K rarikbe .teil* und den .n den bester. 1 ioci 
von Inger sie v (Zeitschr. f. klm. Med;z.n. M. Mm.!. l" l C> vm.f 
S t r u b e I 1 (Mit teil, aus den < ircnzgi bieten. h'O. >. Di mit geU 
Fällen. (Demonstration mehreiei I’. der der I \ v ••*• »: g.! *.i 

Herr Wandel: Zur Frage der (ielatinefherapie. 

Nach einer UebersiJit über d;;e Anwendungs¬ 
gebiete der Gelatine, in welcher spe/ieil die I »Xuungut in¬ 
folge veränderter Ihntheschatte nhut berv orgelt« »l\ rt weide n. 
bespricht W. die Anforderungen. welche an e:r. zw eckent- 
sprcchcndes C ielatinepräparat gestuh Werden müssen. Neben 
absoluter Keimfreibeit soll die <k brate d.c einstigsten ge- 
rinniingshciordcrikk n Ege nsjiaftci: hüben l.et/tere E<>r\!e- 
rillig Seil 1 iesst ( icbitiliell. Welche taieY \bK.i.i;pr*»d :kte des 
Leims als die Gluti seil enthalte n. v.»n der Anwendung aus. I »,e 
ge\\ o|i li liehen käuflichen < iclatiifc praparatc v cf tragen laug- 


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4 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1663 


dauernde Erhitzungen auf oder gar über 100° nicht; sie werden 
durch Temperaturen, wie sie die Abtötung der Tetanussporen 
erfordert, teilweise schon bis zur Stufe der Aminosäuren ab¬ 
gebaut. Bei Verwendung der besten Handelsmarken empfiehlt 
es sich daher zur Vermeidung stärkerer Denaturierung, die 
Hitzesterilisierung nicht länger als zur Erreichung der Abtötung 
anaerober Sporen nötig ist, einwirken zu lassen. Diesen 
Zweck erfüllt in durchaus zuverlässiger Weise die Anwendung 
eines fraktionierten Sterilisierungsverfahrens, welches den an¬ 
aeroben Verhältnissen Rechnung trägt. Das seit 7 Jahren in 
der Medizinischen Klinik erprobte Verfahren, Sterilisieren der 
mit Paraffinum liquidum überschichtetem Gelatine in einem 
spritzflaschenähnlich montierten Kolben, wird demonstriert. 
Es gestattet dieses Verfahren u. a. auch keimsichere Abfüllung. 
In extenso a. 0. 

Sitzung vom 1. Juni 1908. 

Herr Hagemann stellt einen Pall von Impferkrankung 
der rechten Mamma und des rechten Auges bei einer 35 jährigen 
Schuhmachersfrau aus Wankendorf vor. (Publikation in einer der 
ophthalmologischen Zeitschriften steht noch aus.) 

Herr Wandel: Beiträge zur Glukiironsäure- und Schwefel¬ 
säuresynthese im Tierkörper. 

Im Anschluss an seine früheren Untersuchungen über das 
Schicksal in den Körper eingeführten K r e s o 1 s hat W. in 
mehreren Versuchsreihen beim Hunde Daten über die quanti¬ 
tativen Verhältnisse der Schwefelsäure- und Glukuronsäure- 
paarung beigebracht. Es wurden die Paarungsbedingungen 
einer bestimmten in den Magen eingeführten Kresolmenge unter 
verschiedenen Ernährungsverhältnissen untersucht, und zwar 
bei gemischterKost, bei Kohlehydratfütterung, 
bei reiner Eiweissnahrung, bei wesentlicher F e 11 - 
fütterung und im Hunger. Die Sulfate und Aether- 
schwefelsäuren wurden qach B a u m a n n bestimmt, die ge¬ 
paarten Glukuronsäuren wurden nach Entfernung ev. anderer 
optisch aktiver Körper nach ihrem Drehungsvermögen ge¬ 
schätzt. Dabei zeigte sich, dass der Glukuronsäurepaarung 
meist ein mindestens ebenso grosser Anteil an der Entgiftung 
eingeführten Kresols zukommt wie der Schwefelsäurepaarung. 
Durch reichliche und einseitige Kohlehydratfütterung gelang es 
die Werte für die Schwefelsäurepaarung um beinahe die Hälfte 
herabzudrücken; ein weiteres Sinken derselben trat in den 
zwei Hungerperioden ein, wobei sich die interessante Tatsache 
zeigte, dass noch am 29. und 30. Hungertage eine wesentliche 
Glukuronsäureausscheidung zustande kam. Die Glukuron¬ 
säurepaarung hatte ihren höchsten Wert bei reiner Kohle¬ 
hydratfütterung. 

Zum Schluss wurde auf die Frage der Herkunft der beiden 
Paarlinge, der Glukuronsäure und der Schwefelsäure, einge¬ 
gangen . Ein direkter Abbau eingeführter Kohlehydrate zu 
Glukuronsäure erscheint nach den Versuchen nicht wahrschein¬ 
lich, wenigstens gelang es nicht, bei gemischter Kost 
durch reichliche Zuckerzufuhr, selbst nicht durch Zuckerüber¬ 
schwemmung des Organismus die Glukuronsäuresynthese 
unmittelbar in die Höhe zu treiben. Dies gelang erst durch 
längere Zeit durchgeführte N-arme und kohlehydratreiche Er¬ 
nährung. Es muss offenbar das Kohlehydrat erst in den Zell¬ 
bestand des Organismus aufgenommen werden, ehe es das 
Ausgangsmaterial für die Glukuronsäurebildung abgeben kann. 
Da diese Neubildung auch nach so langem Hungern noch vor 
sich geht, so ist — ähnlich wie bei der Zuckerbildung aus 
Eiweiss —, die Herkunft der Glukuronsäure aus den kohle¬ 
hydrathaltigen Komplexen des Eiweissmoleküls wahrscheinlich. 

Die Aetherschwefelsäuren entstammen wohl der schwefel¬ 
haltigen Aminosäure des Eiweissmoleküls, dem Zystin. 

Die Resultate bei den verschiedenen Versuchsbedingungen 
weisen darauf hin, dass der Ort dieser beiden Synthesen im 
Bereich des intermediären Stoffwechsels zu suchen ist. Die 
Massenvorstellungen dieser Synthesen und die qualitativen 
Vorgänge bei der Paarung machen es am wahrscheinlichsten, 
dass die Paarungsstelle, wie auch Embden und Glaessner 
annehmen, in der Leber zu suchen ist, wo auch nach den 
histologischen und chemischen Untersuchungen des Verf. die 
Hauptmasse des parenteral eingeführten t Kresols gesammelt 
wird und bei ausreichender Dosis auch zu Zerstörungen, des 


Lebergewebes, von den leichtesten Graden der Zellschädigung 
bis zur Totalnekrose der Leber, führt (cf. Arch. f. exp. 
Path. und Pharm., Bd. 56). 

Die Arbeit erscheint in extenso im Archiv für experi¬ 
mentelle Pathologie und Pharmakologie. 

Sitzung vom 15. Juni 1908. 

Herr Schumacher stellt einen Kranken mit Mikulicz- 
scher Krankheit vor, der dadurch besonderes bietet, dass eine 
knötchenförmige Iritis tuberculosa und Schwellung vereinzelter 
Lymphdrüsen besteht, ohne andere nachweisbare tuberkulöse Er¬ 
krankung, aber auch ohne Zeichen einer Leukämie etc., so dass der 
von anderer Seite geäusserte Gedanke, dass es sich bei einzelnen 
Fällen obengenannter Erkrankung um „modifiziert verlaufende Tuber¬ 
kulose“ handeln könne, durch das vorliegende Krankheitsbild eine 
Unterstützung zu erfahren scheint. 

Der Fall soll noch anderweitig veröffentlicht werden. 

Herr Jastrowitz: Beitrag zum Glykokollabbau. 

Vortragender hat nach der 1907 von Glaessner -Wien 
angegebenen Methode, die praktischer und exakter wie die 
ursprünglich von Pfaundler ist, nach Gaben von 15—20 g 
Glykokoll bei schweren Lebererkrankungen (Lues, Stauungs¬ 
zirrhose, P-Vergiftung) ein« Steigerung des für gewöhnlich 
nicht erhöhten Amino-N-Gehaltes im Urin hervorrufen können. 
Bei Zirrhose war das Resultat zweifelhaft. Die Resultate 
stimmen im wesentlichen mit den von Glaessner ge¬ 
machten überein. Zur Kontrolle wurde in einem Falle das 
Glykokoll als Naphthalinsulfoglyzin aus dem Urine isoliert. Es 
war also auf diesem experimentellen Wege bei den meisten 
schweren Leberschädigungen eine sonst nicht nachweisbare 
Herabsetzung der Toleranz für Aminosäuren riachweisbar. Von 
allen Aminosäuren eignet sich Glykokoll am besten zu solchen 
Funktionsprüfungen, da es im normalen Organismus völlig ab¬ 
gebaut wird. 

Herr Eloesser: Opsoninbestimmungen bei Abszessen. 

Bei einem seit V* Jahr bestehenden abgekapselten subphrenischen 
Abszess, der Staphylokokkeneiter enthielt, bestimmte E. den op¬ 
sonischen Index vom Blutserum und vom Serum des zentrifugierten 
Eiters, sowie von deren Mischungen im Verhältnis 10 :1, 1 :1, 1 :10 
und gelangte dabei zu folgenden Zahlen. 



Tag der 
Operat. 

2 Tage 
post. op. 

4 Tage 
post. op. 

Blutserum. 

0,67 

0,83 

0,0 

Blutserum und Eiterserum 10: 1 . . 

0,57 

: 0,68 

0,94 

* » > 1:1.. 

0,36 

0,56 

0,80 

- „ . 1 : 10 . . 

_ 

0,25 

0,66 

Eiterserum . 

0 

0,40 

0,53 • 


6 Tage post op. hatte die Sekretion aus dem Drain vollständig 
nachgelassen. Der Anstieg des opsonischen Indexes folgte voll¬ 
kommen dem klinischen Heilungsverlaüf. bemerkenswert ist das 
stärkere Herabsetzen des opsonischen Index dps Blutserums durch 
das Hinzufügen geringer Mengen Eiterserums' (noch deutlicher in 
einer zweiten Versuchsreihe), sowie dass die Opsonine des Blut¬ 
serums selbst durch den Zusatz grösserer Mengen Eiterserums nicht 
vollständig inaktiviert werden können. E. zeigte eine Tabeile von 
weiteren Untersuchungen an Fällen von heissem Abszess, die obige 
Resultate bestätigen. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 11. Mai 1908. 

Vorsitzender: Herr Cahen I. 

Schriftführer: Herr Klein jun. 

Herr Reinhard stellt 3 durch die sog. Totalaufmeisselung des 
Warzenfortsatzes geheilte Fälle von chronischer Mittelohreiterung 
vor. Der 1. Fall betraf eine jetzt 30 jährige Patientin, die vor 5 Jahren 
mit schweren Allgemeinerscheinungen in das Krankenhaus ein¬ 
geliefert wurde, Kopfschmerzen, Erbrechen, Fieber und Schwindel, 
sowie heftigen Ohrenschmerzen. Es fand sich ein perisinuöser Ab¬ 
szess bei der Operation, der diese Erscheinungen erklärte, als Folge 
einer chronischen Mittelohreiterung, die angeblich seit der Kindheit 
bestand. Der Verlauf war fieberfrei, jedoch machte die Epidermi- 
sierung der Knochenwundhöhle schlechte Fortschritte. R. entschloss 
sich daher zur Einpflanzung von Hautlappen nach Thiersch, die 
er aus dem linken Oberarm nahm, wo jetzt die Narbe, wenn auch 
kaum, noch sichtbar ist. Die Instrumente, deren die Ohrenärzte sich 
hierzu bedienen, sind denen der Chirurgen nachgebildet (Demonstra¬ 
tion). Es empfiehlt sich nicht, wie es Jansen, der zuerst diese 


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1664 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Methode der Nachbehandlung anwandte, unmittelbar nach der Auf- 
meisselung die Uebertragung der T h i e r s c h sehen Lappen vor- 
zunenmen, sondern nach dem 2. oder 3. Verbandwechsel, wenn sich 
bereits frische Granulationen gebildet haben. Die Läppchen werden 
dachziegelartig übereinander gelegt, auf dieselben werden aseptische 
Silkstücke gelagert, und das ganze wird durch einen Okklusivverband 
geschlossen, der bis zu 5 Tagen liegen bleibt. Wenn auch nicht sämt¬ 
liche Hautläppchen anheilen, so bleiben doch kleine Hautinseln übrig, 
von denen aus die Epidermisierung rasch fortschreitet, ln diesem 
Falle heilten sämtliche Lappen, auch in der Tiefe der Paukenhöhle 
an, so dass Patientin nach wenigen Tagen geheilt entlassen werden 
konnte. Leider stellte sie sich nicht regelmässig vor, und nach 
ca. 3 Vs Jahren kam sie wegen eines Rezidivs mit Schwindelerschei¬ 
nungen, die auf eine Miterkrankung des Labyrinths schliessen liessen, 
abermals in Behandlung. Die Knochenhöhle wurde, soweit sie er¬ 
krankt war, ausgekratzt; bei der schwierigen Orientierung konnte 
R. eine Fazialisparese nicht vermeiden, die jetzt aber nur noch als 
geringe Spur zu erkennen ist. Im übrigen ist Patientin seitdem völlig 
geheilt. Bei dem 2. Patienten, einem jetzt 8 Jahr alten Knaben, 
war vor 5 Jahren infolge einer Ohrfeige eine Mittelohreiterung ent¬ 
standen, die auf den Knochen überging. Als R. den Fall in Behand¬ 
lung bekam, war bereits von anderer Seite die Eröffnung des Antrums 
nach Schwarze vorgenommen. Es zeigte sich jedoch, dass dieser 
Eingriff nicht genügte, es trat keine Heilung ein und R. entschloss 
sich, wenn auch ungern, zur Radikaloperation. Auch hier machte 
die Ueberhäutung keine erfreulichen Fortschritte. Deshalb ver¬ 
suchte R. nach dem Vorgang von Politzer, der dies Verfahren 
(1903), freilich nur bei der einfachen Eröffnung des Antrums, zuerst 
anwandte, die Knochenhöhle mit Paraffin zu schliessen; es ist dazu 
Paraffin von hohem Schmelzpunkt (55° C) erforderlich, die Wund¬ 
höhle muss überall frische, gesunde Granulationen aufweisen, nir¬ 
gends darf noch Karies vorhanden sein, und ferner ist eine vor¬ 
herige sorgfältige aseptische Austrocknung der Knochenhöhle notig. 
Der Versuch gelang. Das Kind konnte sofort nach dem Ausfällen mit 
Paraffin mit einem Schlussverband aus dem Hospital entlassen wer¬ 
den, dieser selbst blieb bald ganz fort, Verbandwechsel waren nicht 
mehr nötig, das Kind beteiligte sich mit der Plombe im Ohr ohne 
Schutzverband an den Spielen der anderen. Die Paraffinplombe blieb 
dann etwa 2 Jahre reaktionslos im Ohr, worauf R. dieselbe entfernte. 
Es zeigte sich, dass unter derselben sich überall eine kräftige Epi¬ 
dermis gebildet hatte. Der Fall ist ebenfalls bis heute (5 Jahre) aus- 
geheilt. Gerade bei Kindern erfordert die Nachbehandlung der Radi¬ 
kaloperationen grosse Ausdauer und Geduld. Die unzähligen schmerz¬ 
haften Verbandwechsel, der Wochen-, ja monatelange Hospitalsauf¬ 
enthalt fielen hier fort. Während in den beiden ersten Fällen die 
retroaurikuläre Oeffnung jetzt noch zu sehen ist, schloss R. im 3. Fall 
einem jungen Mädchen, die Wunde hinter dem Ohr sofort nach der 
Operation mittels der Klemmnaht. V i d a 1 war der erste, w elcher mit 
Hilfe kleiner Klammem die Wundränder schloss. In ähnlicher Weise 
geschah es bei dieser Patientin. Benutzt wurden Arterienklemmen 
(Demonstration); in einem Zwischenraum von 1 cm werden dieselben 
angelegt, so dass die Wundränder scharf aneinander passen. Ein 
Assistent hält dieselben wagerecht zur Oberfläche des Kopfes, 
zwischen dieselben und seitlich von ihnen werden kleine Tupfer ge¬ 
legt, die durch Bindentourep fixiert werden; während des Verbandes 
bleiben die Klemmen liegen, dann entfernt man sie. Die noch vor¬ 
handenen Lücken sind durch Gaze und Watte zu verschliessen. 
Nach 5 Tagen 1. Verbandwechsel. Der Erfolg ist eine feine lineare 
Narbe, die später kaum zu sehen ist. Der Vorteil dieser Behandlung 
besteht ausserdem in dem Fehlen von Stichkanälen und deren Eite¬ 
rung. Der Fall heilte in 8 Wochen aus. Bei Tuberkulose, Cholestea¬ 
tom oder in Fällen, bei denen man nicht sicher alles Krankhafte hat 
entfernen können, bleibt die W'unde hinter dem Ohr besser offen; 
hier darf die Klemmnaht also nicht angelegt werden. R. spricht noch 
die Ansicht aus, dass die sog. Schwärt ze sehe Operation, die ein¬ 
fache Eröffnung des Antrums, wohl Gemeingut sämtlicher Aerzte w er¬ 
den könnte und sollte, dass jedoch die Totalaufmeisselung des 
Warzenfortsatzes eine spezialistische Ausbildung erfordere, nicht 
nur wegen der Technik der Operation, sondern vor allem auch 
wegen der Kunst der Nachbehandlung; es sei manchmal leichter, 
solche Fälle von chronischer Mittelohreiterung zu operieren, als de¬ 
finitiv zu heilen. 

Zum Schluss erwähnt R. kurz die in neuerer eZit vorgeschlagene 
tamponlose Behandlung nach Totalaufmeisselung des Warzenfort¬ 
satzes, welche die in sie gesetzten Hoffnungen indes nicht ganz er¬ 
füllt habe. Wenigstens sind die an der Klinik Politzer damit ge¬ 
machten Erfahrungen nicht durchwegs günstig, indem wiederholt sich 
Septen über der noch eiternden Trommelhöhle gebildet hätten, die 
eine völlige Epidermisierung verhinderten und zur Tamponade zu¬ 
rückzukehren zwangen. Deshalb sei vor einem allerdings leicht be¬ 
greiflichen Optimismus in dieser Hinsicht zu warnen. 

Herr Vorschiitz: Die Exstirpation eines Kellbeinhöhlenkarzl- 
noms nach der P a r t s c h sehen Methode. 

Zwecks Freilegung von Tumoren an der Schädelbasis, der Keil¬ 
beinhöhle, der Siebbeinzellen oder im oberen Nasenrachenraum sind 
es neben den vielen Methoden, w elche das Prinzip haben, teils von der 


No.jL 

Nase und teils vom Munde aus ein/ugehen. vornehmlich 2 Methoden, 
die sich vollauf bewährt haben, nämlich die Methode nach Kocher 
und nach P a r t s c h. Letztere besteht darin, dass man oberhalb 
der Zahnwurzeln den Oberkiefer mit Meisvel durchschlagt, bis aut 
einen kleinen Rest, w elcher durch Hebelw irkuug nach unten ab¬ 
gebrochen wird. Letzteres etwas moditi/ierte \ etlahren hat den 
Zweck, die hinter dem Oberkiefer in der Fossa ptervgouka herab¬ 
laufenden Geiasse und Nerven, die Nervi und Art. palatina nicht 
scharf zu verletzen und so möglichst die Blutung zu verringern. 

Der vorgestellte Patient hatte ein Keilbemhohlcnk.ir/imun. wel¬ 
ches als Rezidiv eines vor 1 .■ Jahr evslirpicrten PlaltcncpuK lkar/i- 
nmns in der Pars vestibularis dei Nase aui/uiasscu ist. Die Opera¬ 
tion erzielte neben der vorzüglichen l ebersuhtiulikeit des Opera¬ 
tionsfeldes und freien Zugänglichkeit zu demselben kosmetisch wie 
auch funktionell ein vorzügliches Resultat. Operiert wurde in Halb¬ 
narkose bei auirecht sitzendem Oberkörper, zwecks Erhaltung der 
Reflexe, um die Schluekpmumome vermeiden zu können nach vor¬ 
heriger Darreichung von ^opnlamm-\\< r phium o.i«.n3 o.o|, 3 mal 

1 Spritze <2 Stunden vor der Operation die erste >pritze>. 

Die Blutung nach Durchtrcnnung des Knochens, die mit 
3 Meisseischlagen eriolgte, war gering; nach etwa .S Minuten langer 
Tamponade stand die Blutung. Eine pn-phv laklische l nterlundung 
der Karotin wurde nicht gemacht. 

Die Heilung der Knochenwunde war muh etwa 3 Wochen der¬ 
art. dass nur noch im vorderen Feile, im Pme. alveolaris des Kiefers 
bei starker Kraftanwendung eine kaum merkliche Beweglichkeit 
möglich war. Zwecks iester Adaptierung der Proc, alveolares 
gegen den Oberkiefer wird eine Schiene angegeben, die aus einer 
Rinne für die Zahne und 2 Bügeln besteht, an welcher 1 aden mit 
Gummiemlagen befestigt sind, die über dem Scheitel geknotet wer¬ 
den. so dass ein beständiger leichter elastischer Zug erfolgt. Nach 
etwa 5 Wochen ist absolute Festigkeit eingetreten, /ahne ohne wde 
Veränderung, fest m ihren Alveolen. Die anfangs bestehende \sensi- 
bihtat am Zahnfleisch und des vorderen Gaumens ist teilweise ruuh 
1 1 Jahr wiedergekehrt. Der Operierte hat an Körpergewicht zu- 
genommcii, sieht blühend aus und macht m den >peisen gegen früher 
absolut keinen Unterschied mehr. 

Sitzung vom I. Juni 1 ‘a>n. 

Vorsitzender: Herr Strobe I. 

Scliniliiilirer: Herr Klein jun. 

Herr Joret demonstriert: 

a) Blaienitelnc, 

b) das Präparat einer akuten gelben Leberatrophie (Phosphor¬ 
leber). 

Herr Dreesmain stellte cm Mädchen von 22 Jahren v«.r. 
welches an einer akuten Pankreatitis erkrankt war. Dasselbe hat 
am 27. November l'*>7 eine puerperale Mastitis liberstanden, die 
eine Inzision erforderte. Am 3. Dezember war Patientin geheilt, am 
8. Januar löos traten plötzlich heftige Schmerzen im ganzen l.eib und 
Rücken ein mit wiederholtem Frhrechen. Dieser Ani.iil dauerte 

2 Tage, wonach sich Patientin wieder vniiM.ift&i: wohl fühlte. 
14 Tage spater erfolgte ein gleicher Anlail. cbenta.is \>>n 2 tägiger 
Dauer. Der 3. Anfall trat am 12. Februar F>os am, der ihre Aufnahme 
ins Krankenhaus am 13. I chruur erlorderte. 

Bei der Aufnahme klagt Patientin über heftige Schmerzen unter 
dem linken Rippenbogen und in der .Magengrube. sn\ut über Racken¬ 
schmerzen. Blähungen waren seit gestern nicht mehr ahgegangen. 
Unter dem rechten Rippenbogen tulilte man eine undeutliche, sehr 
schmerzhafte Resistenz. Fs erfolgte zweimal Frhrechen. die Puls¬ 
frequenz betrug 11\ geringe Albuminurie, kein l ieber. Im \ erlaufe 
des folgenden Tages trat leichte I v mp.ime ein, die Pulsfrequenz 
stieg auf 140. Infolgedessen wurde Laparotomie gemacht, es fand 
sich typische Fettgew ebsnekmse un Omentum mauis und Mcsokol.m. 
im Abdomen eine geringe Menge blutig-sen-ser Flüssigkeit. Pankreas 
ist verdickt und zeigt nach Durchtrenming des Omentum minus 
gleichfalls gelbe 1 lecken auf seiner Ober muhe. Bei Punktion dieser 
Stellen entleert sich weder Fiter muh sonstige Massigkeit. 1 ampoii- 
drainage, ausserdem noch ein l.imnon m der Bauchhöhle muh 
Mikulicz. Fs wurden Kochsaizmnision und Kampherimektioneti 
gemacht. In der Nacht darauf und am folgenden läge wurde hier¬ 
mit fortgefaliren, mehrfaches Erbrechen er forde rte Mage nausspuhmg. 
Patientin erholte sich nunmehr. Anfang Marz begann st.rkere Sekre¬ 
tion aus der Wunde und wurde Patientin auf Zuckerdiät gesetzt. 
Am 20. Marz trat höheres Fieber ein. nachdem einige läge die >ekre- 
tion nachgelassen hatte. Am 2-4. Marz wurde ein grosser Abszess m 
der Gegend des Pankreas geofinet, worauf w eit Ohm Heber l .s<.r \ er¬ 
lauf erfolgte. Die Menge des abgesomh : teil Paris:eassekretes be¬ 
trug stellenweise bis 5oo ccm. weiche muh /ul«, t/t am 27. Mai ent¬ 
leert wurde; dann Iress die >ekretion si.hr Schnell muh und versiegte 
am 3. Juni vollständig. Zurzeit ist die Wunde gaii/.iJi gv hu ;it. Pa¬ 
tient fühlt sich vollständig w o!$„ Zinker wurde im l rin uurruils 
nacligew iesen. auch wurden keine I eto: ;! 'e beobachtet. 

Herr Kappele referiert über eure besonders b ösartige Diph- 
therleepldemie, die in den ersten Moniten des lahres im 

Augiistahospital Köln t Abteilung des Herrn P:*i. Hochhaus» bg- 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


1665 


4. August 1908. 

obachtet wurde. Während in den letzten 8 Jahren die Diphtherie¬ 
erkrankungen mittelschwerer Art waren, die Mortalität bei einer Auf¬ 
nahme von 4—600 Fällen im Jahre 12—15 Proz. betrug, setzte im 
Januar 1908 eine Epidemie mit sehr hoher Mortalität ein. Sie er¬ 
reichte den Höhepunkt Ende Februar und im März, seit Ende April 
kann sie als beendet angesehen werden. Der durchschnittliche Ver¬ 
lauf war so bösartig, dass die Mortalität zwischen 1. I. und 1. IV. 
32 Proz. betrug; es starben in den 3 Monaten fast so viele Fälle 
(nur 4 weniger) als im ganzen Jahre 1907. Die Mehrzahl der Fälle 
mit laryngostenotischen Symptomen waren relativ selten, lieber 
die Hälfte der Todesfälle fiel auf den 1. und 2. Tag nach der Auf¬ 
nahme. Für den bösartigen Verlauf ist bei einer Reihe von Fällen 
mit Wahrscheinlichkeit eine Doppelinfektion mit Scharlach verant¬ 
wortlich zu machen; dafür sprechen folgende Tatsachen: bei der 
Obduktion w r urde relativ häufig eine nekrotische Angina, ähnlich 
wie bei Scharlach, gefunden; verschiedentlich wurden bei klinisch 
echter Diphtherie und positivem Bazillenbefund Exantheme, aller¬ 
dings meist flüchtiger Natur beobachtet; einige Male erkrankten 
gleichzeitig Geschwister, das eine an Diphtherie mit Krupp, das 
zweite an einem meist bösartigen Scharlach; ferner und nicht in letz¬ 
ter Linie fiel die Diphtherieepidemie in eine Zeit sehr hoher Frequenz 
und Mortalität auch für Scharlach. Gegenüber dieser schweren Ver¬ 
laufsart der Diphtherie versagte die Therapie, die bei dem gewöhn¬ 
lichen Verlauf schöne Erfolge gibt, vollständig. Das Heilserum, 
durchweg verwendet zu 2000 Antitoxineinheiten, und mehrere Tage 
nacheinander injiziert, hielt den tödlichen Ausgang nicht auf und 
blieb auch bei den Fällen, welche die ersten Tage überlebten, ohne 
Wirkung. Ebensowenig erzielten einen Erfolg die weiteren, sonst als 
nützlich erprobten therapeutischen Massnahmen, Stauen, Wasser¬ 
stoffsuperoxydspray und die Stimulanzen: Auch die Pyozyanase- 
behandlung war erfolglos. 


Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 1. Juni 1908. 

Herr v. Baumgarten: Hämolysine, Bakterlolysine und 
Opsonine. (Der Vortrag ist in No. 28 dieser Wochenschrift in 
extenso erschienen.) 

Herr D o I d demonstriert (im Anschlus an den Vortrag von 
Herrn v. Baumgarten) Staphylokokkenplatten, aus denen hervor¬ 
geht, dass wieder der Zusatz von Kaninchenserum noch von ge¬ 
waschenen Kaninchenleukozyten, noch von Kaninchenserum + ge¬ 
waschenen Kaninchenleukozyten (je zu gleichen Mengen) zu der 
ursprünglichen Staphylokokkenaufschwemmung trotz viertelstündiger 
Einwirkung bei 37° eine Verminderung der Keimzahl bewirkt, wöh¬ 
rend die gewöhnliche physiologische Kochsalzlösung eine deutliche 
Keimverminderung hervorbringt. 

Herr Rumpel demonstriert: 

1. Einen polypösen Tumor des Oesophagus von einem 44 jährigen 
Mann. Der Tumor sass der Vorderwand des Oesophagus in Höhe 
der Bifurkation der Trachea auf und erstreckte sich als walzen¬ 
förmiges Gebilde, das Lumen desselben total ausfüllend, 7 cm weit 
nach oben. Die rechte Hälfte des Tumors war nekrotisch und hämor¬ 
rhagisch, von brüchiger Konsistenz, die linke von glatfer Oberfläche, 
derber Konsistenz. Mikroskopisch erwies sich der Tumor zusammen¬ 
gesetzt aus einem sehr reichlichen, fibrösen Stroma, in welches solide 
Zellnester eingelagert waren. Dieselben waren im allgemeinen scharf 
begrenzt, nur an manchen Stellen zogen von der Peripherie der 
Zellnester einzelne Züge in das Stroma, sich in demselben allmählich 
verlierend. Zentral fanden sich da und dort Hämorrhagien und 
Nekrosen. Die Zellen selbst waren teils kubisch, teils zylindrisch, 
teils auch mehr platt, oft zugartig angeordnet. Stroma innerhalb der 
Zellzüge liess sich nicht nachweisen. Auffallend war dagegen an 
manchen Stellen der Reichtum der Zellnester an feinen Blutgefässen, 
die häufig radiär vom umgebenden Stroma eindrangen und welchen 
die Tumorzellen innig anlagen. Metastasen fanden sich wieder regio¬ 
när noch sonst. Man wird den Tumor wohl als polypöses Karzinom 
bezeichnen müssen. 

2. ein ossifizierendes Etichondrom des unteren Femur- 
und oberen Tibiaendes vom rechten Bein eines 17 jährigen 
Mädchens. Das rechte Bein war von Geburt an diftörm 
gewiesen. Dem Mädchen war im Alter von 2 Jahren ein Enchon- 
drom der rechten grossen Zehe entfernt worden. Im Alter von 
10 Jahren war wegen einer hochgradigen Valgusstellung. hervor¬ 
gerufen durch die Enchondrome der Kniegelenksknochen eine Osteo¬ 
tomie des Oberschenkelknochens und eine Arthrodese des rechten 
Kniegelenks ausgeführt worden. Der Fall ist ein Bew eis für den kon¬ 
genitalen Ursprung wenigstens des Keims dieser Enchondrome, 
welche, ebenso wie die im ganzen von Geburt an missbildete rechte 
untere Extremität einer Entwicklungsstörung ihre Entstehung ver¬ 
danken. 

Beide Fälle werden au anderer Stelle in extenso veröffentlicht 
werden. 


Diskussion: Herr v. Brunn erwähnt ein dem demonstrier¬ 
ten Oesophagustumor ähnliches polypöses Pyloruskarzinom. Das Prä¬ 
parat wurde vor etwa 6 Jahren durch Pylorusresektion gewonnen. 
Seitdem hat v. B. weder bei Operationen noch auf dem Sektions¬ 
tisch etwas Aehnliches gesehen. Es scheint sich demnach um eine 
sehr seltene Form des Pyloruskarzinoms zu handeln. 

Herr v. Baumgarten: Ein makroskopisch sehr ähnlich ge¬ 
stalteter Tumor des Oesophagus wurde von B o r r m a n n bei der 
diesjährigen Tagung in Kiel demonstriert; die Struktur war in diesem 
Fall die eines echten Sarkoms. Borrmann excmplizierte auf 
einige dem seinigen ähnliche Fälle aus der Literatur. Der von 
Rumpel demonstrierte Fall ist trotz seiner polypösen Form wohl 
sicher ein Karzinom, jedenfalls kein Spindclzcllensarkom, wie der 
Borrmann sehe Fall. 

Herr Walther Fischer demonstriert: 

1. ein Osteoidchondrosarkom der Harnblase bei einer 62 jährigen 
Frau. Die Geschwulst sass im Trigonum und ragte polypös in die 
Blase. Es bestanden Metastasen von gleichem Charakter wie der 
Primärtumor im Ligamentum latum, im grossen Netz und in grosser 
Anzahl in den Lungen. An vielen Stellen war im Tumor richtige 
Knochenbildung mit Markräumen festzustellen. 

Die Geschwulst wird nach W i 1 m s zu erklären sein aus Sklcro- 
tomzellen, die mit dem W o 1 f f sehen Gang in die Harnblase gelangt 
sind. 

2. ein nur wenige Millimeter in der Fläche einnehmendes Uterus¬ 
karzinom. Die Diagnose auf Karzinom konnte aus dem ausgekratz¬ 
ten Material mit Sicherheit gestellt werden; wahrscheinlich ist beim 
Curettement die grösste Menge des nur oberflächlich entwickelten 
Tumors entfernt worden. 

3. ein Plattenepithelkarzinom der Portio mit retroperitonealen 
Metastasen. Im Tumor wie in der Metastase äusserst zahlreiche 
Riesenzellen, die als Fremdkörperriesenzellen aufzufassen sind 
(Tuberkulose war nach dem Obduktionsbefund, dem Fehlen von Ver¬ 
käsung und dem negativen Ausfall der Bazillenfärbung auszu- 
schliessen). Wenn den Riesenzellen wohl auch eine gewisse phago¬ 
zytäre Eigenschaft beizulegen ist, so beschränkt sich diese doch 
rein auf nekrotisches, zumal verhorntes Tumorgewebe. Die Bildung 
der Riesenzellen ist nur ein Symptom eines offenbar chemischen Rei¬ 
zes, den das zerfallende Karzinomgewebe auf die Umgebung ausiibt. 
Die Bildung solcher Riesenzellen ist bisher nur bei Plattenepithel¬ 
krebsen mjt Verhornung bekannt. 

Diskussion: Herr Seil heim: Der demonstrierte Tumor 
der Blase liess sich durch die Zystoskopie mit nachfolgender mikro¬ 
skopischer Untersuchung einer Probeexzision als harte maligne Ge¬ 
schwulst mit Sicherheit feststellen. Eine so präzise Diagnose des 
sehr seltenen und interessanten Tumors, wie sie uns der Herr Vor¬ 
tragende bekannt gegeben hat, konnte natürlich nicht gestellt werden. 

Die Unmöglichkeit, die entlang dem rechten Ureter nach hinten 
gewachsene Partie total zu entfernen, liess mich von dem Versuch, 
die Blase zu exstirpieren, abltehen. Bei Durchführung der Total¬ 
exstirpation der Blase hätte ich die beiden Ureteren in den gesunden 
Uterus eingenäht und dann die Portio vaginalis in den Mastdarm 
implantiert. Ich hätte auf den im Kampf gegen die Scheidenbak¬ 
terien bewährten pilzsicheren Verschluss der Zervix auch zur Ab¬ 
haltung einer aufsteigenden Infektion vom Mastdarm aus spekuliert. 

Der Eingriff hatte noch ein besonderes operationstechnisches 
Interesse. Obwohl bis zum Aufgehen des Exstirpationsplanes ziem¬ 
lich weitgehend intraperitoneal operiert worden war und auch die 
jauchende Blase eröffnet wurde, um dem Urin, der nur unter unsäg¬ 
lichen Schmerzen durch die Harnröhre entleert werden konnte, einen 
schmerzfreien Ausweg nach den Bauchdecken hin zu verschaffen, 
gelang es eine Peritonitis fernzuhalten. Ich glaube, 
diesen Ausgang einer besonderen Abkammerung der Plica vesico- 
uterina von der freien Bauchhöhle verdanken zu müssen: Quere In¬ 
zision von Haut und Faszie mehrere Zentimeter oberhalb des oberen 
Schossfugenrandes, Spaltung der Musculi recti in der Linea alba, Ver¬ 
ziehen der Muskeln in die seitlichen Wundwinkel, quere Inzision des 
Bauchfelles bis nach der Gegend der inneren Leistenringe. Vorziehen 
des unteren Uteruskörpersabschnittes mit einem, durch seine vor¬ 
dere Wand geführten Fadenzügel, Vernühung des oberen Schnitt¬ 
randes des Peritoneum parietale auf die Ligamenta rotunda von der 
Gegend ihrer Einstrahlung in den Leistenkanal bis in die Nähe des 
Uterus und auf die Vorderfläche des unteren Utcruskörperabschnittcs 
mit doppeltem, fortlaufendem Katgutfaden. Deckung der Bauchfell¬ 
naht durch eine feuchte Kompresse und Entlastung von Zug und Druck 
durch Straffung des Fadenzügels. 

Ich habe in ähnlicher Weise schon einmal mit gutem Erfolg bei 
einer Blasenscheidenfistcl. der man von unten nicht beikommen 
konnte, operiert und halte dieses Verfahren für Fälle, in denen man 
die Verunreinigung der Bauchhöhle bei Blasenoperationen fürchtet, 
aber den Weg durch die Plica vesico-uterina gehen möchte, für 
brauchbar. 

Herr-Ho I z b a c h fragt an. ob nicht eine gewisse Analogie 
dieser ausserordentlich seltenen Blasentumoren mit den häufigeren 
Mischgeschwiilsten des weiblichen Generationsapparates, speziell der 
Scheide und der Cervix uteri. bestehe. Vielleicht müsste dann der 


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1666 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


primäre Sitz dieser Mesoblastabkömmlinge im umgebenden 
Beckenbindegewebe gesucht werden, während ein Durchbrechen der 
Geschwülste in die Beckenhohlorgane, in denen sie sich meist als 
polypöse Tumoren manifestieren, erst sekundär zustande komme. 

Herr Fischer: Nach dem makroskopischen und mikroskopi¬ 
schen Verhalten der Basis der Tumoren liegt kein Grund vor, an¬ 
zunehmen, dass der Tumor vom Beckenbindegewebe aus erst sekun- 
dür in die Blase hineingewachsen wäre. Natürlich ist diese Möglich¬ 
keit nicht ohne weiteres zu bestreiten. Doch spricht die Ueber- 
einstimmung der genannten Zervix-Scheiden-Tumoren in ihrem kom¬ 
plizierten histologischen Bau mit dem Blasentumor nach der 
Wilmsschen Theorie gerade für eine Entwicklung in dem Hohl¬ 
organ, nicht im Beckenbindegewebe. 

Herr v. Baumgarten bemerkt, dass im vorliegenden Falle 
kaum ein Zweifel darüber bestehen könne, dass der Tumor direkt 
aus der Blasenwand hervorgewachsen sei. Hinsichtlich der 
Histogenese des Tumors teilt er die bezügliche Auffassung 
Fischers. 

Herr Do Id spricht über: Altes und Neues zur Unter¬ 
scheidung von tuberkulösem und andersartigem Eiter. 

Neben dem klinischen, makroskopischen und mikroskopi¬ 
schen Verhalten des Eiters muss die Kultur und das Tierexperi¬ 
ment zur Differentialdiagnose herangezogen werden. Da das 
Tierexperiment wegen seiner langen Dauer bisher nur selten 
verwertet werden konnte und der direkte Nachweis des 
Tuberkelbazillus im tuberkulösen Eiter fast nie gelingt, so 
stützt sich die Diagnose nur auf negative Befunde. Den An¬ 
gaben von Much, dass in kalten Abszessen neue, nur nach 
Gram färbbare Formen und Entwicklungsstadien des Tu¬ 
berkelbazillus nachzuweisen seien, dürften mit Recht vorerst 
noch einige Zweifel entgegengebracht werden, die sich be¬ 
sonders auf die von Much angewandte Methode beziehen. 
Das Bloch sehe Verfahren der Quetschung der regionären 
Lymphdrüsen unmittelbar vor oder nach der Verimpfung des 
fraglichen Materials ermöglicht schon nach 10—12 Tagen die 
Diagnose. Ebenso hat sich die Müller-Kolaczek sehe 
biologische Reaktion (beruhend auf der verschiedenen proteo¬ 
lytischen Fähigkeit der genannten Eitersorten) als eip brauch¬ 
bares Hilfsmittel zur Unterscheidung von tuberkulösem und 
andersartigem Eiter erwiesen, während diese Unterscheidung 
vermittels des M i 11 o n sehen Reagens (Müller) nach 
eigenen weiteren Erfahrungen nicht zuverlässig getroffen 
werden kann.. 

Diskussion: Herr Kolaczek will nur auf die fermenta¬ 
tiven Unterschiede zwischen tuberkulösem und andersartigem Eiter 
eingehen. Was zunächst die von E. Müller angegebene chemisch¬ 
physikalische Methode mit dem M i 11 o n sehen Reagens anbelangt, 
so glaubt er auf Grund seiner Erfahrungen, dass die Methode doch 
in vielen Fällen praktisch wertvoll sei, vorausgesetzt, dass die von 
dem Autor angegebenen Bedingungen — dünnflüssiger Eiter, Fehlen 
von Blutbeimengungen und nekrotischen Gewebsfetzen — erfüllt 
seien. 

Exakter und objektiver sei seiner Meinung nach allerdings die 
von E. Müller und Jochmann angegebene Methode zum Nach¬ 
weis proteolytischer Fermentwirkungen, die gerade bei der Diffe¬ 
renzierung von Eiter verschiedener Herkunft Hervorragendes leiste. 
Da das eiweisslösende Ferment im Gegensatz zu allen übrigen Blut¬ 
zellen und den weitaus meisten fixen Körperzellen an die polymorph¬ 
kernigen Leukozyten geknüpft ist, mit deren Absterben es frei wird, 
so lässt sich die Proteolyse auf der Blutserumplatte überall da nach- 
weisen, wo Leukozyten vorhanden sind oder waren. Darauf beruht 
der fundamentale Unterschied im Ausfall der Methode bei rein tuber¬ 
kulösem und Kokkeneiter: bei ersterem Fehlen jeder Verdauung, bei 
letzterem stärkste Verdauung des Eiters auf der Blutserumplatte. 
An zahlreichen Platten demonstriert K. dann die Bedingungen, unter 
denen auch tuberkulöser Eiter Verdauungserscheinungen zeigen kann, 
wie sie von ihm gemeinsam mit E. Müller seinerzeit festgestellt 
worden waren: 1. Auch bei rein-tuberkulösem Eiter kann Proteo¬ 
lyse auftreten, wenn der Prozess unter dem Einfluss der Jodoform¬ 
behandlung steht. 2. Auch unbehandelter tuberkulöser Eiter kann 
proteolytisch wirken, wenn eine Mischinfektion anzunehmen ist: das 
gilt für alle Fälle mit Fistelbildung und die tuberkulösen Erkran¬ 
kungen der Halslyrnöhdriisen. 3. Unter dem Einfluss dieser beiden 
Faktoren kann die Eiweissverdauung schliesslich Grade erreichen, 
die eine Unterscheidung des tuberkulösen von reinem Kokkencitcr 
bezüglich der Fermentwirkung nicht mehr gestattet. 

Wie die Heilwirkung des Jodoforms darauf beruht, dass es 
einen kalten Abszess in gewissem Sinne zu einem heissen macht — 
nämlich durch Zuführung von Fermenten —. so eröffnen sich auch 
Aussichten für die Behandlung akuter Eiterungen, nämlich ihre über 
das Ziel hinausschiessenden Fermentwirkungen durch das im Blut- 
s*_‘r 1 !::i 1 enthaltene Antiferment günstig zu beeinflussen. 


Berliner medizinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 29. Juli 1908. 

Herr Carl Reicher: Beziehungen zwischen Adrenal- 
system und Niere. 

Adrenalinämie wurde von Schur und Wiesel bei vor¬ 
geschrittener Nephritis konstatiert, vom Vortr. nach Erzeugung 
einer Abkühlungsnephritis mit der biologischen Probe am 
Froschauge. J o n e s c u hat entdeckt, dass durch Adrenalin 
die Nierengefässe elektiv gereizt werden. Die anhaltende 
Kontraktion derselben erklärt sich durch Ischämie, Ernährungs¬ 
störungen des sezernierenden Epithels, Eiweissabsonderung 
urfd Zylinderbildung. Amylnitrit, Digalen hindern nach Ab¬ 
kühlung Adrenalinbildung und Nephritis, Theophyllin nicht. Bei 
Urannitratvergiftung tritt schnell Adrenalinämie auf. 

Herr L. Pick: Ueber die Anhäufung doppeltbrechender 
fettähnlicher Substanz bei chronischer Eileitervereiterung. 

Vortr. fand bei allen Salpingitiden teils schon makro¬ 
skopisch sichtbar, teils bei mikroskopischer Untersuchung 
kolossale Anhäufungen fettähnlicher, doppeltbrechender Sub¬ 
stanz, gebunden an grosse Zellen von wabenartigem Charakter. 

Bei gewöhnlicher Einbettung lässt sich die Substanz nicht 
nachweisen, nur auf Gefrierschnitten nach Formalinhärtung. 

Die Substanz gibt alle Fettreaktionen.(Sudan, Osmium) und 
unterscheidet sich nur durch die Doppeltbrechung, die im Po¬ 
larisationsapparat nachweisbar ist. Es handelt sich um die 
gleiche Substanz, wie das sogen. Protagon. Vortr. demon¬ 
striert makroskopische und mikroskopische Präparate und 
weist auf die Verbreitung der die doppeltbrechende Substanz 
enthaltenden Zellen im menschlichen Körper hin. 

Tagesordnung: 

Herr Friedenthal: Zur Wirkung der Schilddrüsen¬ 
stoffe. 

Vortr. bespricht den Apparat, mit dem die Aufnahme der 
von Kraus demonstrierten Kurven erfolgt ist. Er hat den 
Vorzug, dass das Gefäss nicht eröffnet wird, so dass das Tier 
für mehrere Versuche benutzt werden kann. 

Er hält es für möglich, dass Myxödem in wesentlicher 
Weise durch Minderfunktion der Nebenniere bedingt sein kann. 
Bisher fehlte ein Reagens auf Schilddrüsenwirkung; es ist jetzt 
gefunden durch Wiederherstellung des Vagustonus, der durch 
Einwirkung von Nebennierensubstanzen verloren gegangen 
war. 

Diskussion über die Vorträge der Herren Kraus und 
Friedenthal: Ueber die Wirkung der Schilddrüsenstoffe. 

Herr Magnus Levy: Herr v. Hansemann hat nach bio¬ 
logischen und anatomischen Befunden (Vergrösserung der sekre¬ 
torischen Fläche) schon früher vor der Schilddrüsentherapie bei 
Basedow gewarnt. Seine Befunde finden sich mit den Lubarsch- 
schen in Uebereinstimmung. In vielen Fällen von Basedow ist auch 
die Thymusdrüse vergrössert. Die Wirkung für den Patienten be¬ 
trachtet er als eine mechanische Schädigung. 

Herr Kraus (Schlusswort) weist auf das Basedowäquivalent 
und das thyreotoxische Kropfherz hin. 

Herr Senator bemerkt, dass seit langem fast einstimmig 
Schilddrüsendarreichung bei Basedow für kontraindiziert erachtet 
werde. 

Herr Schmieden: Ueber Ellbogenresektionen mit Er¬ 
haltung* der Beweglichkeit. 

Das Brisement force ist fast allgemein verlassen und ist 
nur für ganz leichte Fälle von Ellbogenversteifung anzuwenden. 
B a r d e n h e u e r hat bei Resektion eine Kontraktur in Beuge¬ 
stellung künstlich zu erzielen gesucht. Nach H e 1 f e r i c h wird 
an der Bier sehen Klinik nach sparsamer Resektion ein aus 
dem Trizeps gebildeter Muskellappen zwischen den Knochen¬ 
spalt hineingelegt. Grundbedingung des Erfolges ist eine sehr 
gute Nachbehandlung. 

Der Erfolg wird beeinträchtigt durch mangelnde Asepsis 
infolge vorhandener Fisteln, ferner durch schon früher ein¬ 
getretene Muskelatrophie. 

Kontraindikation des Verfahrens ist allein floride Tuber¬ 
kulose des Gelenkes. 

’Dte Resultate sind, Avie aus den dfemonstrieHert Patienten 
hervorgeht, günstig. 


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4 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1667 


Herr t G 1 u c k hat früher die Einpflanzung eines Hautlappens in 
resezierte Qelenkenden zur Verhinderung der Ankylose vor¬ 
geschlagen. 

Zum Schlüsse demonstriert Herr Reicher eine kinemato- 
graphische Aufnahme eines bei Dunkelfeldbeleuchtung aufgenommenen 
Blutpräparates. Es sollen dabei besonders die in der letzten Sitzung 
erwähnten Veränderungen der Kernstruktur an lebenden Leukozyten 
demonstriert werden. 

(Letzte Sitzung vor den Sommerferien!) Wolff - Eisner. 

Aus den französischen medizinischen Gesellschaften. 

Soci6t6 de Chirurgie. 

Sitzung vom 6. und 13. Mai 1908. 

Die Rachistovainisatlon. 

B e u r n i e r verfügt über 87 genau beobachtete Fälle dieser 
Art Anästhesie, wo 5—8 g Stovain zwischen 3. und 4. Lendenwirbel 
injiziert wurden, ln 15 Fällen war die Anästhesie eine mehr weniger 
unvollständige, an Folgeerscheinungen stellten sich heftige Kopf¬ 
schmerzen, Erbrechen und ziemlich häufig Harnverhaltung ein. B. 
hat einen Todesfall (6 Minuten nach der Injektion) bei einer 62 jähri¬ 
gen Frau erlebt, die 1 Monat vorher unter Chloroformnarkose ohne 
Zwischenfall operiert worden ist. Die Nebenerscheinungen und Ge¬ 
fahren dieser Methode veranlassten ihn, sie nicht mehr zur Anwen¬ 
dung zu bringen. 

Bazy möchte diese Methode nur dann anwenden, wenn die 
Allgemeinnarkose kontraindiziert ist, da häufig länger anhaltende 
Harnverhaltung und besonders leicht Blaseninfektion darauf folgt. 

Moty scheint die lokale Kokainanästhesie für eine grosse An¬ 
zahl kleinerer Eingriffe vorzuziehen zu sein, und er benützt sie häu¬ 
fig, ohne Zwischenfälle zu erleben. 

Tuffier hat die Rachistovainisation (seit 1904) in 565 Fällen 
ausgeführt und dabei in der Tat zuweilen die schon angeführten leich¬ 
ten Nebenerscheinungen erlebt, immerhin aber beobachtet, dass Kopf¬ 
schmerzen und Erbrechen seltener sind als mit der Rachikokaini- 
sation, Harnverhaltung aber häufiger. Was die Technik betrifft, so 
wendet er das reine Stovain an und hat hiervon niemals die Dosis 
von 0,05 g überschritten; ausbleibende Anästhesie ist auf fehlerhafte 
Technik zurückzuführen. Die Methode scheint ihm bloss für Opera¬ 
tionen anwendbar zu sein, welche über den Rumpf nicht hinausgehen, 
niemals hat er sie bei Bauchoperationen angewandt. 

S e g o n d sieht die Rachistovainisation als eine gefährliche 
Methode an, die nur ausnahmsweise in besonderen Fällen anzuwen¬ 
den sei. 

C h a p u t erklärt, eine grosse Anzahl von Zufällen werden mit 
Unrecht der Rachistovainisation zugeschrieben: auch habe dieselbe 
niemals bei einem gesunden Menschen zum Tode geführt, wie es 
beim Chloroform der Fall sei. Die Todesfälle, von denen man be¬ 
richtet habe, seien bei alten, schwächlichen Leuten vorgekommen, 
die ziemlich hohe Dosen (6—10 g) Stovain erhalten haben: ausserdem 
haben die Kranken nicht die intravenösen Serum- und Koffeininjek- 
tioner^ welche Ch. für solche Fälle empfiehlt, erhalten. Die häufig 
beobachteten Fälle von Harnretention verschwinden leicht durch 
regelmässiges Katheterisieren, adstringierende Injektionen und Elek¬ 
trisieren der Blase. Die Lähmungen heilen immer, entweder spontan 
oder durch Suggestion; sie sind immer hysterischer Natur. Die 
plötzlichen Todesfälle sind sehr häufig nach den verschiedensten 
Operationen (Laparotomien, Appendizitis, Frakturen), wurden häufig 
nach den Operationen unter Chloroformnarkose beobachtet und haben 
nichts für Stovain Spezifisches. Die Misserfolge sind auf Furcht zu¬ 
rückzuführen; man wird sie vermeiden können, indem man die Kran¬ 
ken mit aufmunternder Suggestion umgibt; um die Harnverhaltung 
und Lähmungen der Beine zu verhüten, muss man die Lumbalpunk¬ 
tion ziemlich hoch oben machen, wenig konzentrierte Lösungen an¬ 
wenden und vermeiden, die Cauda equina anzustechen. Ausserdem 
muss man wenigstens 4—10 Tage Rückenlage anordnen und bei 
schwachen und alten Leuten prophylaktisch intravenös Serum und 
Koffein injizieren. Die vollständigen Statistiken zahlreicher kom¬ 
petenter Autoren bringen mehr als 7000 Fälle ohne Todesfall: besser 
als alle Worte beweisen diese Zahlen den Wert und die Gutartigkeit 
der Methode. 

Walther. Beurnier, Demoulin, Delbet. Hartmann. 
Reynier u. a. protestieren aufs lebhafteste gegen die Schlussfolge¬ 
rungen Chaputs. 

Die weniger ausgedehnte Bettruhe der Laparotomlerten. 

F a u r e lässt nach dem Beispiele von T 6 m o i n seit 2 Jahren 
seine Patientinnen nach Laparotomie am 12. Tage bereits aufstehen 
und am 15. das Spital verlassen: seit- und trotzdem sind die Narben 
ebenso fest wie früher und die Embolien nicht häufiger wie ehedem. 
Es sind keine wissenschaftlichen Gründe vorhanden, welche eine Bett¬ 
ruhe von 3 Wochen, die man bis jetzt gehalten hat, rechtfertigen; 
andererseits besteht die Gefahr, die Magen- und Darmfunktion un¬ 
tätig r zu ma(;he$ upd die , Krankenhatispatjentenr • belegen in 
unnötig langer Weise einen Platz. F. hält es also in jeder Be¬ 


ziehung für vorteilhaft, die Bettruhe bei den Laparotomierten ab¬ 
zukürzen. 

S e g o n d möchte zwar bei manchen Fällen einfacher Operation 
mit 14 tägiger Bettruhe zufrieden sein, im allgemeinen hält er es 
aber für gefährlich, sie nicht auf wenigstens 3 Wochen auszudehnen 
und Laparotomierte im Herumgehen zu behandeln. 

Moty wurde an Appendizitis operiert und ist am 7. Tage ohne 
weiteren Zwischenfall aufgestanden; er lässt seine Kranken gegen 
den 9. oder 10. Tag aufstehen. 

Delbet hält es bei Appendizitis für zweifellos richtig, 
die Kranken früh aufstehen zu lassen; anders verhält es sich bei 
medianer Laparotomie, wo man fürchten muss, dass die färben 
weniger solid seien. Trotzdem lässt er jetzt die Kranken nicht mehr 
so lange unbeweglich liegen wie früher, sondern erlaubt ihnen, in den 
ersten Tagen sich sachte zu bewegen und vom 14. bis 18. Tage an 
sich aufzusetzen. 

H a r t m a n n verhält sich ebenso und glaubt, man könne damit 
Lungenkomplikationen vermeiden. 

Le De n t u glaubt, dass man nach einem kurzen und einfachen 
Eingriff die Kranken am 15. Tage aufstehen lassen kann, dass aber 
nach einer schweren und langwierigen Operation zu frühes Aufstehen 
ihre Rekonvaleszenz nur länger und schwieriger gestalten würde. 

M a u c 1 a i r e ist nach seinen Erfahrungen bei Radikalopera¬ 
tionen von Hernien der Ansicht, dass zu frühes Aufstehen Embolien 
veranlassen könnte. 

F a u r e erklärt in seiner Replik, dass er nicht unveränderliche 
Gesetze aufstellen wollte, aber dass man im allgemeinen Unrecht 
habe, die Kranken zu 3 wöchentlicher Bettruhe zu verdammen; die 
Narbe ist nüch 10—12 Tagen solid, und dann hat man keine Zufälle 
mehr zu fürchten. 

Soctete m6dicale des höpitaux. 

Sitzung vom 15. Mai 1908. 

Comby berichtet bezüglich der Kutlreaktlon bei Tuberkulose 
über Fälle, wo dieselbe trotz ausgesprochener Tuberkulose nicht vor¬ 
handen war. Die Variationen der Reaktionsresultate haben übrigens 
eine prognostische Wichtigkeit, besonders in den vorgeschrittenen 
Fällen: ist das erste Mal die Reaktion positiv gewesen und dann 
negativ, so bedeutet das eine Verschlimmerung des Zustandes, um¬ 
gekehrt bedeutet eine positive Reaktion, nachdem^ sie vorher negativ 
gewesen ist, eine Besserung.. J 

Appert kann durch seine Beobachtungen diese Schlussfolge¬ 
rungen C.s bestätigen. 

Ueber den Schllddrüsenrheumatlsnius. 

Claisse, bezugnehmend auf die Mitteilungen von Lövi und 
H. de Rothschild, erklärt, dass manche Fälle von chronischem 
Rheumatismus nur von der Schilddrüsentherapie Vorteil haben und 
diese zu einer Art pathogenen Kriteriums wird. Es ist jedoch not¬ 
wendig, wegen der mit der Schilddrüsendarreichung verbundenen 
Gefahren, vorsichtig zu sein und die Kur zu unterbrechen, sobald 
die Zahl der Pulsschläge 90 übersteigt. Unter diesen Bedingungen 
sollte man bei Rheumatikern, deren Schilddrüsenfunktion vermindert 
zu sein scheint, nicht zögern, diese Therapie einzuleiten: sie er¬ 
fordert nur viel Geduld von seiten des Patienten und etwas Auf¬ 
merksamkeit von seiten des Arztes. 

Vincent nimmt eine von der Schilddrüse ausgehende Ursache 
beim akuten fieberhaften Gelenkrheumatismus an (Schwellung. Klop¬ 
fen, Schmerzen an der Schilddrüse) und betrachtet diese Reaktion als 
eine Art Verteidigungsreaktion, nach der man immer fahnden muss. 
Die Schilddrüsentherapie gibt oft vorzügliche Resultate, besonders 
wenn man sie mit äusserer Jodbehandlung kombiniert: immerhin hat 
sie bei zu alten Fällen von Rheumatismus oder bei Fällen von Tuber¬ 
kulose. Blennorrhagie oder gichtische Diathese versagt. V. schlägt 
die Bezeichnung „Rheumatismus durch mangelhafte Funktion der 
Schilddrüse“, welche genauer die Ursache angäbe als der kurze obige 
Name (SchilddriisenrheumaFsmus), vor. ^t. 

Aus den englischen medizinischen Gesellschafter 

Liverpool Medical Institution. 

Sitzung vom 30. April 1908. 

Perlcolltis sinistra. 

J. L. Roberts meint, dass diese Affektion nicht ganz so selten 
ist, wie im allgemeinen angenommen wird. Es ist eine akute und eine 
chronische Form zu unterscheiden. Erstere, gewöhnlich zirkum¬ 
skript, entsteht durch Ulzeration der Schleimhaut des Kolons durch 
sterkorale, traumatische, tuberkulöse, dysenterische, typhoide oder 
bösartig neoplastische Einwirkungen. Die weitere Folge ist nach 
Durchbohrung der Darmwand die Entstehung von umschriebenen 
Tumoren an der Aussenseite derselben mit gelegentlicher Einschnü¬ 
rung mul Verlegung des Lumens. Verwechslung mit einer Neubil¬ 
dung ist häufig vorgekommen. - Unter geeigneter’ Behandlung kann 
auch Resorption eintreten, wie Redner an 2 von ihm beobachteten 


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1668 


MUFNCHFNFR MFDIZINISCHF WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 21. 


Fällen demonstriert. Andererseits findet aucli ein W eiterbohren der 
Eiterung längs der Darnwand gelegentlich statt. So gelang d»m 
Redner die operative Eröffnung eines solchen Abszesses einmal in 
der Nähe der Flexura lienalis, ein anderes Mal am Colon iliacum. 
Die chronische Form tritt gewöhnlich mehr diffus auf. Die Ent¬ 
zündung kann sowohl von der Darmschleimhaut wie von den Nach- 
barorganen ausgehen. Im ersten Falle ist meist das Colon ascemlens 
t der das Colon iliacum affi/iert. Perisigmoiditis oder Pericolitis 
' inistra. Solche Fälle hat Redner V beobachtet, d bei Männern und 5 
bei weiblichen Kranken. Am häufigsten ist das Alter vom 21. bis 
28. Jahr beteiligt. Die Einleitung bildet meist eine lang anhaltende 
Obstipation. Auf der Aussenfläche der infiltrierten Darmwand findet 
ein Niederschlag von Lymphe und Verklebung mit den Naehbar- 
organen statt. Im Anfangsstadium, der spastischen oder hyper¬ 
tonischen Phase, fühlt sich der entleerte Darm fest und verengert an 
und lässt sich leicht umherwälzen. Später, im atonischen Stadium, 
fühlt sich der Darm nach Verlust des normalen Tonus w ie ein dickes 
Band mit verdickten Rändern, aber weich und teigig an. Die ’l he- 
rapie besteht in der Verabreichung von intestinalen Antiseptika bei 
äusserlicher Applikation von Belladonna und Ouccksilber. namentlich 
aber in der durch mehrere Wochen hindurch fort/uset/eiideii An¬ 
wendung von heissen antisemitischen Irrigationen. 

A. 0. (iullan bemerkt, dass der Schmerz bei der Colitis 
sinistra gewöhnlich sehr genau am S romanuni oder am angrenzen¬ 
den Kolon lokalisiert ist. 

K. M o n sarrat konstatiert, dass die schlimmeicii Fälle dieser 
Art nicht ohne chirurgische Fingriffc zur Ruhe kommen. 

B. Bell erwähnt die Perimetritis als häufige Ursache der zur 
Rede stellenden Aifcktion. Man finde bei Laparotomien erstaunlich 
oft Adhäsionen an diesem Teil des Darmes, welche sowohl endogenen 
wie ektogeuen Ursprungs seien. 

Aus den italienischen medizinischen Gesellschaften. 

Medizinisch-chirurgische Akademie zu Neapel. 

Sitzung vom 26. Januar 1VU8. 

Gauthier: Ueber Radioaktivität der Mineralwässer und den 
Mechanismus Ihrer Wirkung. 

G. erwähnt, dass er die von manchen Acrzten bislu-r gezogenen 
therapeutischen Schlüsse für übereilt hält, auch sind die bisherigen 
Untersuchungsresultnte nicht übereinstimmend. Zunächst galt es zu 
entscheiden, ob die Radioakti\ität an die Wasser oder an das < ias, 
welches in ihnen enthalten ist. gebunden ist. <i. untersuchte mit 
dem Apparat von F I s t e r und O eitel die verschiedensten Mineral¬ 
wässer vulkanischen Ursprungs und fand, dass der wechselnde Grad 
der Radioaktivität an das mit dem Wasser der Frde entströmende 1 
(ias gebunden ist. Die Radioaktivität sinkt in den Wässern innerhalb | 
45—ftll Minuten auf die Hälfte und ist nach 24 Stunden vollständig 
verschwunden; auch das dem vulkanischen Boden allein entströ¬ 
mende Gas hat den gleich hohen Grad von Radioaktivität. 

Akademie für Medizin und Naturwissenschaften zu Ferrara. 

Sitzung vom II. Januar 1908. 

Miner bl und Alessandri: Ueber Akromegalie und 
A d a m 8 - S t o k e 8 rches Symptom (Pulsus rartis permanens). 

Der Fall betraf eine 67 jährige Frau. Die Erscheinungen der 
Akromegalie boten sich im 52. Lebensjahre nach der Mcnopame. Ausser 
den charakteristischen akromcgalischcti Lrselieimmgen im GcsiJit 
und an den Händen kam es zu Schw mdclamallen, epileptischen In¬ 
sulten. vorübergehenden Kopfschmerzen und einer enormen ll\pcr- 
trophie des Herzens bei reinen Tönen. Das bemerkensw erteste aber 
war eine arterielle Hypertension. welche die Skala des R i v a - 
R o e c i sehen Sphygmomanometer überragte und ein dauernder 
harter Puls von dl) Schlägen. 

Bei Abwesenheit aller anderen erklärenden Momente: Hvrz- 
block. Arteriosklerose, glauben die Autoren dass der Pulsus rarus 
permanens durch die Hypertension im Gefässvstem mul diese wie¬ 
derum durch Hvpertimktion der Nebennieren zu erklären sei. Sonnt 
glauben sie eine Beziehung zwischen Veränderungen in der Limkt'on 
der Nebenniere, Akromegalie und Pulsus rarus permanens annelimen 
zu können. 

Medizinische Gesellschaft zu Perugia (Is'ituto umbrlco). 

Sitzung v o m 25. I a n u a r lötis. 

Baude!: Die endovenöse Therapie des akuten Gelenkrheuma¬ 
tismus (Bac cell sehe Methode). 

Diese Behandlungsmethode ISPS durch Tranguilli auf dem 
italienischen Kongress für innere Medizin empfohlen, hat in Italien 
viele Anhänger, und auch in der Klinik zu Perugia gute Resultate 
ergeben. Sie besteht in der intravenösen Injektion von Sublimat 
1 ■ cg pro dosi tmd über den anderen Tag so lange Fieber und 
Schmerzerscheimmge,] dauern. Gerade die schwersten Lalle mit 
eii Jokai diiisehen Symptomen, hohem Fieber. Schmerzen tmd Sclrw cl- 


lung in allen Gelenken lilusti iei en am besten die Wirkung dvr Me¬ 
thode. B. berichtet genauer über diei lade sJiwcrcr \rt. in w t k l.eu 
die Rekonvaleszenz eine auffallend prompte w ar. I r sjilicsst daim;, 
dass diese vollständig gefahrlosem intravenösen >ub!imatmtcktiom i 
ein vorziigliches Heilmittel tiai steilen, nameiitii«. h auJi m ad di u 
Fallen, welche der Sali/\Ibeliandhmg irot/eti. Bemerkenswert er¬ 
scheint die nach diesem \crt.iliren cmtrelvr le Leuko/\tose, d.e be¬ 
trächtliche \ eUlie Lr img der \ leikeni: .'eil Lenk« z\len. 

Medizinisch-chirurgische Gesellschaft In Modena. 

Sitzung v o m 2J. I a n u a r löos. 

Gazzettl berichtet über einen Fall \>m hysterischem Meteo- 
rifmuF, de r jeder Behandlung trotzte und dtnji ein K \ sma \ a 
dH Tropfen Parag.tnglm auf 4m ■ g Wasser leiJit überwunden wurde. 
Das Mittel wirkt naJi dem Autor m dieser Weise angewandt zu¬ 
verlässig und intensiv auf die glatten Musi, c Maser n des Dartr.es, 

Medizinische Akademie zu Genua. 

Sitzung v o tu in F e b r u a r 

Rublno: l'ebcr Frühdiagnose der Herzlnsuffl/ien/. 

Die Her zinsuiti/ienz ist /u dmgn«.sti/u ren ditrJi Bestaun.eng 
der \ iskositat des deITr meu teil Hintes. Die \ er mehr img vier \ ts- 
kosjf it tles Blutes muss als eines der Initials'mptomc vier Her/- 
iusuHi/ieiiz aiiigelasst werden. 

Praktisch ist dtc'e l ulet suebung emtaJj m| !e J.t. be> mvlt's 
wenn su- mit d-mi Detiaiii;i n n sd;eii \ isf osimetv f auv.eldnt 
| wird. Dieselbe hat uegeimber dem Mstw a 1 dsJ h n ilen \ ..r/u •. 
j nur eine kleine (.»nantilat Blut m.Ji ce nt) w ei Jic siJi kisät aus dem 
i Gllrlappv heil entgehen lasst. /u erf-uderii. 

i Medizinische Akademie zu Padua. 

S 1 1 z u n g v o m dl. I i n u a r |m»s. 

Jona beruhtet uber zwei Fälle \ on schwerer Anämie, bei 
| welchen die Autopsie als einzige Gszeralc Läsion eine schwere 
| Laönncc sehe Leberzirrhose ergab. 

Der Mn rbus Bann konnte dm«. reiitiaMiagiiostis^h m beulen I .« in 
nicht m I raee kommen. Das k iuk in. nmark vier I vmur di tph\sen P-a 
Zeichen erhöhter Aktiv itat, aber mJit metai> «sicher \;t. | g .ud 

dass vliese Leberzirrhosen zu der k tögen Imin gr!n*ien. wekhe \ - >a 
Autoren w ie M e i \ ii e r. U u r s v h m a u n und A , l> ti a s jii.rnivd,: 
Zirrhose vier Leber beschrieben worden ist urut suilt vlie Ar.s^.t auf. 
dass es m dieser Form zu einer sjiw eien H.imoU se kommt, weiJic 
zu akuter Anämie fuhrt. I Diagnose L. i r r !i <» s i s ii c P a t : s 
a naemica w nute gere Jitter t gt ctsjte.ncn ui udvii I ,i \ sö::\u:er 
Anämie mit dunkler Aeti-dogic mit grosse! und h.nttr I dui. 

Hager- Magdeburg. 


80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte 

in Köln a. Rh. vom in. bis 26. September 

Der Aorstand ist für inos f. ,|- ( ink t masseii 'i:s untm n v s< t/t 

I. \ orsit /ende • Prot. Pr W «• t t s t e t P \ W e s t e r s Ii e i m m 

Wien I. \ orsit/eruler Prof Dr R u b n e r m Hv • im. 1. stv !i\v r t« etcti- 

vlcr \ oi sit/cmle«. Ihof. Dr. W. W ien m Wer/ö-rg, 2. ste.xer- 
1 1 elender \ or sitzender. 

II. \'irsoindmitglit der ‘ Pn>* I »r t i a r r e in P.. :m Pmf. Dr. 
M o I i s c h m Prag. Piof. lö Neider in Inpsbnuk. Prof. Dr. 
v. I' r e v in WurJuire. Prot. Dt. h fehl m 11. birg Piof. pr. 
M. PI a n c k m Bet Im. 

III. Schatzmeister : Karl I nedr Iji I a u; p e - I i s v. !i e r. \ erkus- 
biichhaiull«T m Leipzig. 

IV. Die Gesv hatfslulirrr d«-r Neu it'Ma'M \ ers.inmtlung: po.i 
Dr. F. v. M <“ v c r m Devi n I < iv vv hältst,,i;: er. Prof. [ >r 
Leo iinld in Dresden. 2. < ii s^ h.tltsn.'i! er. 

V. Dm GesJiotsT.du er der neu« u \ er s.ijumiung • P r of Dt. I i I - 
rti a it n m Köln. |. GesJi nismi'rer. >t. ( d*ce^ r :»>eter Lhemiket K i .! 

in Köln, 2. < i'-s^ h.ntsbdi! er. 

\ I 1 g e in e i n e 1 a g e s o i d u n n g 

Sonntag, vl e n 2". S e t> t e m b e r. \ ■>< Mittags; Mijing >!v s 

\ «u staiules. 1 loMiiimg der \iiVSu , img. \bv:\ls s l n. ILs'usMmg 
m vier Burgei geseilsc lialt. 

M o n t a g. d e n 21. S e p f e m e r. \ >' u ’t.i..s 0 . I |o \ rst c 
allgemeine \ et Sammlung "i ’/tiaJi': 1. tiv*,' .ssn:i s v.it:\:>' a Jtett. 
2. \ ortrage. Nav hmittags 5 I h» • K . •iivizim ' tmg n”d e'ste Mt/tmgv r* 

vier A btt flu itgen. \bcffrjs s l In . < i.i ■ tv mi ^t u t ’v s; . J:v' P.-Jv u Jöa'.g 

t/oo|«<gis Jier Garten). I m'a Itmg i!-. • v. 1 :.»* t L \ev "v S 

Dienstag, d e n 22. > v p ! v :r ! m r . \ ■ u - uni muht: m.^s 
Sitzungen der Vbfyiiimgcu. \buds 7 1 r ’ 1 v >'tes>vn im < mrze n\!i. 

M i t t w o v h. d e n 2d. s v p f i :t J ■ \ • ■- - im I n.u^-i ::. !k s; 

Sitzungen vier \bfi iluuge.i. \'>en 1s 7 1 •: bg \..-.s 

Madt'schv n Ihvateui: ();h'i:!.ois um.; .n.v-,., 


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4. August 1908. 


MÜKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1669 


Donnerstag, den 24. September. Vormittags 8VL* Uhr: 
Geschäftssitzung der Gesellschaft. Vormittags 10 Uhr: Sitzung der 
beiden Hauptgruppen (Gürzenich). Einzelsitzungen der beiden Haupt¬ 
gruppen: Nachmittags 3 Uhr: t. Naturwissenschaftliche Hauptgruppe 
in der Aula der Handelshochschule. Nachmittags 4 Uhr: 2. Medi¬ 
zinische Hauptgruppe in der Aula der Akademie für praktische Medizin 
im Krankenhause Lindenburg. Abends 8% Uhr: Empfang in den 
Räumen des Gürzenichs, veranstaltet von der Stadtverwaltung. 

Freitag, den 25. September. Vormittags 9‘/i Uhr: Zweite 
allgemeine Versammlung. Vorträge. Nachmittags: Besichtigungen 
oder Sitzungen der Abteilungen. 

Sonnabend, den 26. September. Tagesausfliige: 1. Rhein¬ 
fahrt nach dem Siebengebirge, 2. Ausflug nach der Gemünder Tal¬ 
sperre, 3. Ausflug nach Bad Neuenahr und Apollinarisbrunnen (Ein¬ 
ladung der Badedirektion). 

Plan der wissenschaftlichen Verhandlungen. 

I. Allgemeine Sitzungen im grossen Saale des Gürzenichs. 

Montag, den 21. September, vormittags 9 l A Uhr: 
Begrüssungsansprachen. Prof. Dr. Stadler- München: Albertus 
Magnus von Köln als Naturforscher und das Kölner Autogramm 
seiner Tiergeschichte. Major v. P a r s e v a 1 - Berlin: Motorballon 
und Flugmaschine. 

Freitag, den 25. September. Prof. Dr. R u b n e r - Berlin: 
Kraft und Stoff im Haushalt des Lebens. Prof. Dr. He im-Zürich: 
Ueber den Deckenbau der Alpen. Prof. Dr. H a s s e r t - Köln: Vor¬ 
läufige Ergebnisse einer landeskundigen Forschungsexpedition ins 
Kamerungebirge und nach Nordwest-Kamerun. 

II. Gesamtsitzung beider Hauptgruppen im grossen 

Saale des Gürzenichs. 

Donnerstag, den 24. September, vormittags 
10 Uhr: Prof. Dr. Wiener- Leipzig: Die Entwicklung der Farben¬ 
photographie. Prof. Dr. D o f 1 e i n - München: Die krankheitserregen¬ 
den Trypanosomen, ihre Bedeutung für Zoologie, Medizin und Kolo¬ 
nialpolitik. 

Sitzung der medizinischen Hauptgruppe. 

Donnerstag, den 24. September, nachm. 4 Uhr 
in der Aula der Akademie für praktische Medizin im Krankenhaus 
der Lindenburg: Prof. Dr. Einthoven - Leyden: Ueber das Elektro¬ 
kardiogramm. Prof. Dr. W r i g h t - London: Ueber Vakzinetherapie 
und die Kontrolle der Behandlung mittels des opsonischen Indexes. 


Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. 

Zweite Jahresversammlung am 3. und 4. Oktober 
in Heidelberg. 

Programm. 

Freitag, den 2. Oktober: Von 8 Uhr abends an zwang¬ 
lose Zusammenkunft und Begrüssung im „Artushof“ (Hotel Lang), 
Rohrbacherstr. 13. Um 8’A Uhr: Vorstandsitzung im Hause des 
I. Vorsitzenden, Riedstrasse 4 (neben Hotel Lang). 

Samstag, den 3. Oktober: Von 9—12 Uhr: Erste Sitzung. 
Eröffnung der Versammlung im Hörsaal der medizinischen Klinik 
(Akademisches Krankenhaus). — Geschäftliche Mitteilungen, Beratung 
und Feststellung der Geschäftsordnung für die Jahresversammlungen 
usw. — Wissenschaftliche Verhandlungen: Erstes Referat mit an¬ 
schliessender Diskussion. Dann Vorträge und Demonstrationen. — 
12 Vs Uhr: Gemeinsames Frühstück (Lokal wird später bekannt ge¬ 
geben). — Nachm. 2—5 Vs Uhr: Zweite Sitzung. Zweites Referat mit 
anschliessender Diskussion. Fortsetzung der Vorträge und Demon¬ 
strationen. — Abends 7 Uhr: Gemeinsames Festmahl im Grand Hotel 
(Gedeck M. 6.—). 

Sonntag, den 4. Oktober: Vormittags 9—12 Uhr: Dritte 
Sitzung. Geschäftliches. Dann Fortsetzung der Vorträge und De¬ 
monstrationen. — 12 Vs Uhr: Gemeinsames Frühstück. — Nachm, von 
2 Uhr ab: Vierte Sitzung. Erledigung der Vorträge und Demon¬ 
strationen. — Für den Abend ist noch eine gesellige Zusammenkunft 
in einem, von der Witterung abhängigen Lokal geplant. 

Auch Nichtmitglieder der Gesellschaft sind als Teilnehmer will¬ 
kommen. 

W. Erb, I. Vorsitzender. S. Schoenborn, I. Schriftführer. 

Referate: 

I. Die Stellung der Neurologie in der Wissenschaft und Forschung, 
in der Praxis und im medizinischen Unterricht. Referent: Herr 
H. Oppenheim. 

„ II. Die Diagnose der Syphilis bei Erkrankungen des zentralen 
Nervensystems, mit besonderer Berücksichtigung a) der zytologischen 
und chemischen Ergebnisse der diagnostischen Lumbalpunktion; b) der 
serodiagnostischen Untersuchungen am Blut und an der Lumbalfhissig- 
keit, speziell bei Tabes und Paralyse. Referenten: Die Herren 
W. Erb, M. Nonne und A. Wassermann. 

Ausserdem sind bisher 34 Vorträge angemeldet. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Abteilung für freie Arztwahl des ärztlichen Bezirksvereins 
München. 

Mitgliederversammlung vom 29. Juli 1908. 

Es kommt zunächst ein Beschluss der Vorstandschaft zur 
Sprache, wonach zum internationalen Arbeiterversicherungskongress 
in Rom 3 Delegierte geschickt werden sollen, und zwar die Herren 
F. Bauer, Epstein und Rehm. Herr K a s 11 hält auf Grund 
seiner Erfahrungen auf dem letzten derartigen Kongress in .Wien 
einen Delegierten für hinreichend. Herr A. M u e 11 e r ist aus prin¬ 
zipiellen Gründen gegen die Beschickung des Kongresses durch 
3 Delegierte, da die Afcbeiterfürsorge nicht Sache der gewerkschaft¬ 
lichen Organisation für Aerztefürsorge sei. Herr S a c k i weist 
darauf hin, dass auf Grund eines früheren Beschlusses die Delegation 
zu Kongressen Sache der Vorstandschaft sei. Der Vorsitzende, Herr 
F. Bauer, besteht auf dem Beschluss der Vorstandschaft. 

Herr Perutz berichtet sodann über die Ausführung des An¬ 
trages Dr. M u e 11 e r, der in der Sitzung vom 23. V. 08 angenommen 
wurde und die Einweisungsbedingungen von Mitgliedern der Ge¬ 
meindekrankenversicherung in Privatheilanstalten betrifft. (Siehe 
letzten Bericht.) Der Briefwechsel mit dem Magistrat wird verlesen. 
Es geht daraus hervor, dass die Verwaltung der Gemeindekranken¬ 
versicherung tunlichst rasche Verbescheidung der Gesuche verspricht, 
sich aber auf eine bestimmte Frist nicht festlegt, ebensowenig auf eine 
Präzisierung der Bedingungen, unter welchen sie die Einweisung von 
Kranken in die erwähnten Anstalten genehmigt. Es soll hier je nach 
der Lage des Falles entschieden werden. Verzögerungen in der Be¬ 
antwortung der Gesuche mögen zur Kenntnis der Behörde gebracht 
werden. 

Ferner referiert Herr Perutz über die Ausführung des Antrages 
K 1 a a r vom 23. V. 08 bezüglich des Vertrages der Gemeindekranken¬ 
versicherung mit der S c h 1 ö s s e r sehen Augenklinik. Hienach be¬ 
steht ein solcher Vertrag, wovon seinerzeit auch der Abteilung durch 
Herrn Prof. Schlösser Mitteilung gemacht wurde. An der Dis¬ 
kussion über diesen Punkt — es handelt sich um die Einweisung eines 
Kranken in jene Klinik, der in Behandlung eines anderen Augenarztes 
stand — geht hervor, dass ein solches Vorgehen von allen Seiten 
scharfe Missbilligung erfährt, insbesondere weist Herr A. M u e 11 e r 
darauf hin, dass hier die Gemeindekrankenversicherung ihr eigenes 
Prinzip durchbricht, wonach sie Kranke nur im städtische Anstalten 
verwiesen wissen will. 

Bezüglich der Aufhebung der Karenzzeit liegt ein 
Schreiben von der Ortskrankenkasse vor und ferner ein solches vom 
Magistrat, das sich mit der Verneinung der Bedürfnisse anlässlich 
der Aufnahme eines Naturheilarztes in die Abteilung befasst (siehe 
frühere Berichte). Letzteres lautet: „Im Vollzug einer Regierungs- 
entschliessung vom 4. VII. 08 ersuchen wir um baldgefällige Aeus- 
serung, ob und eventuell welche Aerzte in München das Naturheil¬ 
verfahren in ähnlicher Weise wie der verstorbene prakt. Arzt Walter 
List anwenden“ gez. v. B o r s c h t. Es wurde beschlossen zu er¬ 
widern, dass List kein eigenes Heilverfahren besass und nur physi¬ 
kalisch diätetische Heilmethoden anwandje, deren sich jeder andere 
Arzt in geeigneten Fällen bedient. Herr Perutz wünscht den Zu¬ 
satz „dass aber die Aerzte ablehnen, durch die Bezeichnung ,Natur- 
heilarzt* sich auf ein bestimmtes Heilverfahren zu verpflichten“. 
Dieser Zusatzantrag wurde nach längerer Debatte angenommen. — 
Die Ortskrankenkasse hat bekanntlich in ihrer Generalversammlung 
beschlossen, die Aufhebung der Karenzzeit zu verlangen. Sie will 
der Abteilung insofern entgegenkommen, als sie an Stelle der zwei¬ 
jährigen Karenz die Bedingung einer zweijährigen Tätigkeit in der 
Praxis zulässt. Die Debatte über diese Frage ergibt Folgendes: 
Herr Hecht betont, dass eine Aufhebung der Kasse selbst nur 
Schaden bringen kann, indem sie eine grosse Mehrbelastung für die 
Kasse bringen wird. Er ist nicht gegen die Aufhebung, sobald die 
Karenz auch im übrigen deutschen Reich aufgehoben wird. Diese An¬ 
schauung vertreten auch die folgenden Redner. Herr Epstein hebt 
hervor, dass jener Beschluss die Folge der Beschlüsse der Kranken¬ 
kassentage sei. Herr A. Müller mahnt zur Vorsicht. Er 
ist zur Zeit noch gegen die Aufhebung mit Rücksicht auf die 
besonderen Verhältnisse in München. Herr Perutz erwähnt, 
dass wir hier eben ganz andere Arbeitsbedingungen haben und andere 
Verträge mit den Kassen, als jene Städte, die bereits die Karenz auf¬ 
gehoben haben. Ref. verliest einen Brief von Dr. Alexander- 
Nürnberg, der die Beibehaltung der Karenz missbilligt. Herr Hecht 
betont, dass es sich hier nicht um eine Brotkorbpolitik handelt, sondern 
allein darum, dass im jetzigen Augenblick die Aufhebung dieser Mass- 
regel den Ausbau der freien Arztwahl in München sehr schädigen 
würde. Herr F. Bauer hebt hervor, dass München zur Zeit sogar 
Berlin an Aerztezahl überflügelt habe, dass ferner gerade für junge 
Aerzte eine Karenz kaum bestehe, da ihnen ja die Assistentenzeit an 
den Münchener Krankenanstalten angerechnet werde. Die Aufhebung 
der Karenzzeit wurde mit allen gegen 4 Stimmen abgelehnt (3 Stimm¬ 
enthaltungen). Auf Anregung des Herrn Hecht wird der Orts¬ 
krankenkasse dieser Beschluss mit ausführlicher Begründung - 
geteilt werden. 


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1670 


MUHNCHFNHR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Die Generalversammlung der Ortskrankenkasse hat ferner die 
Beibehaltung des Bezahlungsmodus nach der Kopfzahl abgelehnt. Da 
die Frage, ob Bezahlung nach Kopfzahl oder nach Finzelleistungen 
bereits früher schon *) anlässlich eines Antrages S e n e s t r e y ein¬ 
gehend erörtert wurde, so erübrigt es sich auf die Diskussion zu dieser 
Frage, die keine neuen Gesichtspunkte brachte, einzugehen. Fs wurde 
mit allen gegen 4 Stimmen beschlossen, die Bezahlung nach Fmzel- 
leistungen auf Wunsch der Kasse wieder einzuführen, jedoch eine 
modifizierte Durchschnittsziffer entsprechend einem früheren Antrag 
F pst ein anzunehmen, die nicht unter 4 herabgehen soll. Zum 
Schluss entspann sich noch eine längere Diskussion über Missstände 
im S'anitätsverband, dem Leute angehören, deren Finkommen die 
vorgeschriebene Orenze überschreitet. 

Schluss der Sitzung 11' » Uhr. Präsenzliste 55 Mitglieder. 

N a d o 1 e c / n y. 


*) Sitzung vom 29. II. OK. 


Aerztlicher Bezirks verein Nürnberg. 

Sitzung vom 27. Mai 1908. 

Vorlagen zum Aerztetag. 

Herr Schuh referiert über die Leitsätze der Kommission fiir 
Schulgesundheitspflege, die die Zustimmung des Plenum linden. 

Herr Koch referiert über die Anträge der Kommission zur Be¬ 
ratung des Kurpfuschergesetzes, er beantragt Zustimmung zu ihren 
Vorschlägen; das Plenum stimmt zu; ebenso stimmt die Versammlung 
einem Antrag zu, statt des Verbots der Behandlung der (ionor- 
rhöe etc. zu setzen: Behandlung von Tripper, Schanker, Syphilis, 
sowie jede irgendwie geartete Behandlung an den (ieschlechtsorganen 
ist untersagt. 

Herr Schuh referiert über die Verträge mit den Lebensver¬ 
sicherungsgesellschaften Fs wird dem Vorschlag der Kommission 
zugestimmt. 

Herr Alexander stellt den Antrag auf Wiedereinbringung 
des Antrags auf Aufhebung der Karenz. Antrag angenommen. 

Kaufmännische Kassen. Die Versammlung beschliesst, ihren Ver¬ 
trag mit den kaufmännischen Kassen mit Vi jährlicher Kündigung auf¬ 
zugeben, wenn ein allgemeiner Tarifvertrag der kaufmännischen 
Kassen mit dem L. V. zustande gekommen ist. 

Herr Staude r stellt den Antrag, den zentralisierten freien 
Hilfskassen die Verträge zu kündigen und auf Grund eines vorgeleg¬ 
ten Vertragsentwurfs neue Verträge mit ihnen ahzuschliessen. An¬ 
trag angenommen. Dr. Mainzc r. 


Verschiedenes. 

ftranßofcnfudü.*) 

Ävurfftf &u bid> an fd)timnif ®rttrtn obrr ,$urrit*(9ffinb/ fp barffrft bu 
Feiner anbern 0traff/ al< torlchev bu frlbftru nacbqebefb/ tmb bavfffl beu FVwimi 
ale miserabilis scortatorum flagelli, nid« mir mir theilen/ bann bu mir 
felbfl unter bir Ä'anb fomnirn wurbrfl/ alt< «i einem T'rpfcfeu/ ba idi bid' tum* 
melu muft wie ein fpppeubetf i'r'erb/ ober 3tarriib(tiTrv/ baft bie Tabu im 4)imib 
(leben/ al$ roie tu einem $Hora(l' bau bu feinet 3ahnbrrd'rr» bebarffeil/ uub 
feifferd mehr atä ein ifeirbuub. Zo fduniert mau bid> mit Mercurial-£alben/ 
baft mann bu babefl/ ba$ (rbrnbigr C.uerfülber in ber Vafc'i&aniini umlaunet 
unb gefuuben mir ti fpmmefl bu bann au beit Vufft/ fp pttrifl bu aut^ allen 
beineit Öebeineu/ tbufl bu bann einen falten 2runcf/ fp fallet bir ba# 3äpflein 
herab/ laurfen bir bie Glaubet hinten an bem >>al* auf/ uub gcfd'wilirt bir ba* 
5K«ul mie einer 0arten=Kroten/ fand faum ein V6fiel rotier warmer i^ruhe 
fchliugeu/ alfo baft man mit bir «t fd'affen hat/ fold>e Wcid'wulfl mit JRpfeu* 
Jponig' 3HaiiIbrrrs0affr/ unb Roh nucum ober $urgflwaffmi/ ron ben Floribus 
Ligustri ober Ntytiumnttxl £olb««H6hvkin/ mittler iJtiubrn ber £aurad'- 
fBeerlein Pber 'üßeinuageln/ fonflrn Cfrbftdt genannt/ unb mit Wann verfeuert 
$u flillen. VaiTffl bu bann biefe ^adt ber bir veralten/ fp frmmet f* bir in 
ba* Örbein/ allba lauftt/ £ir»fd\ilrn/ ttnnefdmtben/ WcMrtflrtg' ?Kürfarab/ 
©düeubeiit' Wrmfptnblrn/ uub alle* au/ wie ein fauler Kar/ fp nidu mehr ui-- 
vedtt gebradtt werben mag/ fpttbern man muft bid> mit Cfnen/ trennen/ wilbem 
Jener/ von bem gelben Mercurial-2i : afTer/ Sluffenung ber £paunifd'en Sit inj ip 
fonflrn ein fd>6ue^ JrefTen tfl/ peinigen unb plagen/ ober wel/ mie gar ont ge- 
fdrid't/ bie deiner mit (£ifcn h^auö (lämmen/ mit f8ei|T3angen abtwirfen/ ober 
mit ©eiiuEägeu/ ba bid> (3ott ppv behüte/ vom Veib nehmen, gitann f* b»r 
mol geiaht/ unb bu eilten glimpfflicheu gütigen Chirurgum rneid>e|l/ fo nuklne 
bir bief* Wnab gefd'ehcn/ baft er bidt «i ^ilbcrung beitte* Hilf««# mit Tun ober 
räuchert/ baft bu in bem Mcrcurialischen Dampft letdrtlid) erflicfen mfdueil. 
Dein Diaeta wirb fd?lcd)t fepn/ von ungefaßten uttb ungefdjmaßten 'BafiVv-- 

*) 9(n*: Pharmacopoliolum campcstrc et itinerarium, Pbcv ,Yrlb* 
uub ffteife='?lpprf)ccflein/ ^egreiffenb bar vor biefeni von J>u. D. bunterer tuv 
bie ^Üolbaten gedeutet oomefflidteb Mrifg*='Jlvnncn=3tfid'lcin/ Medicina Mili- 
taris genannt/ Zp anino mit vielen vpvtvefflid'cn Experimenten unb fdu'uen 
s «?lrtmer= Z tuef eu vermehret unb abmnal au*acfeitiaer worben vvu JOB AN NF 
H1SKIA CARDILUCIO, Com, Pal. Phil. & Med. Doct. Oinrnberg/ Tn 
Verlegung '-hrolttgang üJlcvin Cutter/ unb Tehanu Witbveae Cubtcrv fei. wohnen. 
'»Inno MÖCLXX1X. 


No. M. 


fuppen / Werden brühe/ -ImetfiMen/ arbämpftmi ober gebratenen r rT eln bann 
feilt ,Tlfüd' fand bu faueu/ weil bie iiamprt 'iXi'ihl beiuer Tähn/ wie ctru m 
nielbet.' in einem ?)lprad liehet. 

.Öiermnen fplted bu feihch uub rem ferti'* aller »alhFeu Zetteln 
gehen/ unb bid' beft uugebühriid'en '^erlaaerp eimnaüen unid wud tu Mmiv.vI' 
Mradt-lvp» Nota hene, map ift' ba iaae/ bann ber uralte Hip-p«»cralcs unirr 
breven cad'en/ ip laugep t'ebeu/ -fiärcf uub Werni-theit erhalten >vrr:n;:s 
suhstantiae conserv atioucrn, btuia uub red't ae>ehlef. VU'v Heibed tu 
gefunb' mit fand vielem Hebel eiuumini,' ant trin Chi m t^vif u::b ter 
'’l'eit ui tieü'in ,yall erhatteiw ba bu »bud veinhuuhel uub veiailurt and' 'm 
einen VhiuMaMaen iud*t mibitäa arhalten nuLtid aliv tat; iiimniub brr tir am 
'^ett lieaen/ uteniaut um be item i'r ’el rreum. niemant mit tir baten niemant 
au# bemem t'Ma# vter Reiter üntüni will F. L. 

üalcrit* hervorragender Aer/te und Naturforscher. 
Der heutigen Numim r hegt d.is 2d*. Bi.itt der tja’ene Fei: l K».ar 
Liebreich. Vergleiche den Nekroi<*g aut S. 11* 17 duvr Nnnvai. 

Therapeutische Notizen. 

Zur O p h l h a I m o r e a k t i o n äußern mJi m der Vpri'iuimiiic ? 
der ’I hei*. M«»iutsh. 2 Augen.i: zle. > i e g i i s t - I h i n WiiNt d,t:ai.I 
hin. dass das gesunde Auge duidi die I wbei ktiliüc mtf .»uleiung er¬ 
heblichen Schade« kivlui kann. Bei 4 k tanken sah er ausser der 
Koiiiunktn a der Lider auJi die k a.ninkti .a des Bu.!v.:s m w :i e:;t- 
znnden und mit /aiiiteiJiin kleinen mmareii ku-»Kl'en ube'v« wer¬ 
den; mik i *>sk« ipisc ii boieis Mk'M.l'Ul das t\pralle Biid utiev I ube: ke <s 
ilar. Benutzt winde das l.n.ei luberkuliu de r lir.na l'nuluia - ircres. 
sowohl das flüssige wie das trockene. 

> c h ii I t z - Z e h d e n - Ber Im lullt t die h.idigiingen d<.s \u K es 
aiis>ch!iesshch auf das Pruparat zurnck. Ikm Auge n.ichui..g ist 
das C a I m e t t e sehe Trockettpr.iparat mul das \‘>n den lh»wbstt' 
Farbwerken hergestelitc glweiiu- und akoh-Mlteie lubetkuni. Das 
1 pro/. Alttuberkuh« hat dagegui bei lko lallen mir 2 mal zu lut- 
tigen koiinmktiN alen Reizersc lieiumi gi n gePihrt. V..n einer da.ie ro- 
ilen >chadrgimg war in keinem dei lalle die Rede. Audi Anteil nnt 
abgelauteiieii und fnseheii k r auk heitspr o/t sseii blieben Non den I u- 
bei kiiliiieiutraiiK iungeii unbe i tniiusst. Auge« mit Irischen Ver- 
let/imgen oder irischen llornlt nitge s L hw n r e u und I «rl\ kt.nieii misst« 
«atiiriich voll den 1 nitraiileiimgeii ausges w !i,. >ssei| b ie i be ti. kr. 

Das Au tan ist bekatatlch ein I t mal.np: u;.irat. das herge¬ 
stellt wurde, um durch einiadies V eunis, 1 k n mit Wasser Forma :n>- 
dämpfe zu erzeugen, mit ziemlich statker I c tnpet atur er n-diung ilvs 
Wassers, ohne /uluijyiiahme einer Lampe. Das \ut.m k<>M mt in 
Packungen von 2 .• -liä um k’aummliait m den Maiuk i. 1 in iiet.isN, 
dessen Inhalt mindestens sn \iel I «ei betragt, als das Zimmer kutnk- 
meter hat, wird am den Bode« des Zimmers gtsiedl und m« deo, 
Inhalt der Packung getuilt. Aul das Autati giesst man ir.itte st r 
leeren Blee hbue bse watnus Wasser; die Menge |i sh bin ist dirdi 
eine au der Blechbüchse angebrachte V\aike angtgcb.e«. V\an ridtrt 
nun mit einem Modi das \utanpm\ er um und \ e: lasst das Zimmer. 
Die F‘ormaUiida«>{)tentw ick'ung begiimt soiort mit gr.-sser Met:^.kett. 
Nach 4 5 Stunden ist ihe beMtn^tion l'eeud.et. Man füllt nt/t die 

leere AiitanblechbucIlse Ins zut Marke mit W.is^r mul s.ls de« 
der Packung beige geb.meii Vmnu'iiakl'emel hinein. Das sich aisi .nd 
entwickelnde Ammuiiak bimlet das in der I ult \ • r‘\mdene I •»rma’.- 
deliyil. Nach I : • sturuhger l.ntwicklung eie s \Jiim* -maks kann man 
den Raum lutteii. 

< i a I I i - V a I e r i o ( J'her. M> *n.-lkitr !‘> , s . hat ihe Do- 
infektioiiskraft des Autans nochmals e\pe im.eilte :I gep: dt und d.e- 
selbe nicht absolut sicher, aber d-<ch t ir geisse I ’.aktenet.arte« 
recht kraltig getumk u. I r e-mp'uhit das I'esirtektmnse i rtalme« mit 
Autiin in de i Praxis inr /immer, aus w eiche« du evge« <iege!i- 
stande entfernt worden sind, welche in Damptdesmiekti< nsapparateii 
oder durch Allskochen Met ihyett Werden kennen. kr. 

Die D i t f e r e n t i a I d i a g n o s e zwischen der ortli-*. 
statischen AIb u min u r i e und der chronische« 
Nephritis im Kindesalter gunukt s; v h n.uh Längstem 
auf ehe M e s s u n g des Blutdruckes mul die Unter- 
s ii c h u « g d e s A u g e n h i n t e r g rund e s. In keinem I al.e x <■« 
ortln »statischer Albuminurie ist eler Buitduick er h»»!.t »Der der Vugeft- 
hmtergriind verrmdert. Die ortiiotisdie \ i ummur ie als s. k’ c t> ' r: 
niemals zum Tode und geht nie ma s m c iir-»ms v !:e Ne pi • !;s ;:«er. 
L. warnt energisch davor, die k unter mit ci:*«»msjK-r Vi-ummm ie 
im Bett liegen zu lassen oeler sie mit Mich zu über t ttern. ki: .er 
mit chronischer MTrtmimiti.e sollen in keiner Weise aruk-rs bebaiuk',: 
mul ernährt w erde«, wie gesunde k «n-k r de 'se.ben A'.tersstutk. 
Lediglich vor Lrknitimgeii mul l eber.insüeini-'geii müssen s:c u- 
schiit/t werden; eme massige < ivmnastik ist >ed<uh ebenso am l’iat/c 


wie gi-mischte 
mieden w er Jen. 

F.r nahrung. Me*iik^.iu-nt» 
i l iier. .Mi'iialsh. d. os ) 

■se Bei: 

a': nimg s».*i vef- 
Kr. 

Die 

B e h 

an dIu u g der Des 

i c r; t s n 

c u r a ' g i e m : f 

1 o k a I e r 

Alk 

o h o 1 i u i e k t i o ii (p.iJi 

Sch’ » 

i s s e ' S Me'h' elrl 

empiieh! t 

S i c a 

r d unter genauer Ht'd; 

* e g 

d.e' dabe. ai Be- 


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4 . Äugüst 10O& 


MÜENCHENEfc MEDfZMSCHE WOCHENSCHRIFT. 


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tracht kommenden Technik (Presse mödicale 1908, No. 37). Seine 
Statistik umfasst nun (seit 2 Jahren) 63 Fälle, wovon 41 Frauen, 
22 Männer. In 48 Fällen sass die Neuralgie rechts, in 14 Fällen links. 
Ein Teil der Fälle war schon vorher chirurgisch (Resektion des Ner¬ 
ven, Durchschneidung desselben, Knochenausräumung usw.) be¬ 
handelt worden und bei diesen war die Alkoholbehandlung viel 
weniger erfolgreich, wie bei den noch nicht behandelten; bei diesen 
hat die tiefe Alkoholiniektion immer vorzügliche Resultate gegeben, 
zwei Fälle ausgenommen, wo es unmöglich war — wahrscheinlich 
infolge abnormer Knochenbildung — mit der Nadel an die Austritts¬ 
stelle des Nerven aus dem Foramen ovale zu gelangen. Drei der 
Kranken sind nun seit 17, 19 und 24 Monaten geheilt geblieben, 
andere haben nach 4—6 Monaten Rezidive gehabt, die aber auf er¬ 
neute Injektionen wieder zurückgegangen sind. S. ist übrigens über¬ 
zeugt, dass jede gut ausgeführte Injektion, d. h. jede Injektion, die 
den Alkohol in den Nervenstamm möglichst nahe an seinen Austritt 
aus der Schädelhöhle gelangen lässt, von sehr lange währender, wenn 
nicht vollständiger Heilung gefolgt ist. Bei Versuchen an Hunden hat 

S. festgestellt, dass es durch die tiefe Alkoholiniektion gelingt, das 
Gasser sehe Ganglion vollständig zu zerstören und das wäre das 
ideale Ziel für die seltenen Fälle, wo die Alkoholeinwirkung auf die 
Nervenstämme ohne Erfolg ist. Die lokale Alkoholinjektion bleibt 
also die Methode der Wahl bei der Behandlung jeder Gesichts¬ 
neuralgie, die nicht einer syphilitischen Kur, einer Kur gegen Zucker¬ 
krankheit oder Malaria zu unterwerfen ist. Aber wenn diese Me¬ 
thode durch ihre Einfachheit, ihre Anwendungsmöglichkeit ohne All¬ 
gemeinnarkose durch das Fehlen jeder entstellenden Narbe im Ge¬ 
sicht bei Trigeminusneuralgie angezeigt ist, so muss man sich hüten, 
sie als Allheilmittel bei jeder Art von Neuralgie und besonders der 
Neuralgien gemischter Nerven zu bezeichnen. St. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 3. August 1908. 

— In der Münchener Abteilung für freie Arztwahl stand am 
29. v. Mts. die Abschaffung bezw. Abänderung der 
Karenzzeit abermals auf der Tagesordnung. Die Ortskranken¬ 
kasse, auf deren Wunsch, wie früher oft betont wurde, die Karenzzeit 
seinerzeit eingeführt worden war, hat jetzt selbst den Wunsch nach 
ihrer Abschaffung geäussert. Aus diesem Grunde sah sich die Vor¬ 
standschaft veranlasst, die Frage auf die Tagesordnung zu setzen, er¬ 
klärte jedoch, selbst zu dem Antrag keine Stellung nehmen zu wollen. 
In der Diskussion trat der Vorsitzende Dr. Bauer sogar lebhaft für 
die Beibehaltung der Karenzzeit ein. Unter diesen Umständen wurde 
der Antrag auf Abänderung der Karenzzeit mit grosser Mehrheit ab¬ 
gelehnt. Das Verhalten der Vorstandschaft ist um so auffallender, als 
Herr Dr. Bauer auf der Hauptversammlung des Leipziger Verbandes 
in Danzig (nach dem Bericht in No. 29 d. W.) folgendes erklärte: 
„Die Vorstandschaft der Abteilung für freie Arztwahl in München 
habe wiederholtem den letzten Jahren den Antrag auf Abschaffung 
der Karenzzeit gestellt. Leider habe sich in der Mitgliederver¬ 
sammlung; nicht die Majorität gefunden, das letzte Mal fehlten nur 
wenige Stimmen. Die Vorstandschaft werde in ihren 
Bemühungen fortfahren.“ Mit dieser Erklärung stimmt das 
Verhalten der Vorstandschaft der Abteilung in der letzten Sitzung 
schlechterdings nicht zusammen. Mit welcher Energie die Vorstand- 
schait sonst, wenn sie will, ihre Wünsche durchzusetzen weiss, davon 
gab sie in derselben Sitzung einen Beweis, indem sie trotz des ent¬ 
schiedenen Widerspruchs aus der Versammlung an ihrem Beschluss, 
drei Delegierte zum internationalen Arbeiterversicherungskongress 
in Rom zu entsenden, festhielt. Ein Bruchteil dieser Energie auf die 
Abschaffung der Karenzzeit' verwandt, und diese würde der Ver¬ 
gangenheit angehören. 

— Zwischen der Ortskrankenkasse Köpenick -Berlin 
und ihren Aerzten war ein Konflikt ausgebrochen, der nach er¬ 
folgreichen Einigungsverhandlungen jetzt durch Abschluss eines neuen 
Vertrags beendet wurde. Das Honorar, das die Krankenkasse bisher 
zahlte, betrug 3.50 M. pro Kopf und Jahr, die Forderung der Aerzte 
4.50 M. In dem neuen, auf 5 Jahre abgeschlossenen Kontrakt wurde 
das Honorar auf 4 M., jährlich um 10 Pf. steigend, festgesetzt. Die 
Fahrgeldentschädigung, die bisher 1 M. pro Kilometer ausmachte, 
wurde auf 1.20 M. erhöht. Für Nachtbesuche sollen für die Zukunft 
5 M. statt 4 M. gezahlt werden und für geburtshilfliche Leistungen 15 M. 
anstatt 10 M. Vor Ablauf des Vertrages, spätestens aber in der 
zweiten Hälfte des Jahres 1912 sollen erneut Verhandlungen über 
Beibehaltung oder Aenderung des jetzigen Vertrages gepflogen 
werden. 

— Für den Bezirk der Oberpostdirektion Kiel ist freie Arzt¬ 
wahl für die Mitglieder der Postkrankenkasse ein¬ 
geführt worden auf Grund eines zwischen der Oberpostdirektion und 
der Aerztekammer für Schleswig-Holstein abgeschlossenen Tarif¬ 
vertrages. Der Vertrag läuft zunächst bis zum 1. Januar 1910. Er 
erlischt, wenn zwischen dem Aerztekammerausschuss und dem 
Reichspostamt ein allgemeingültiger Vertrag abgeschlossen werden 
sollte. Als Honorar sind die Mindestsätze der preussischen Gebühren¬ 
ordnung festgelegt, bei auswärtigen Besuchen werden ausserdem 


Fuhrkosten und für jede angefangene halbe Stunde 1.50 M. für Zeit¬ 
versäumnis gezahlt. 

— Auf vielfach geäusserten Wunsch von Vertrauensmännern des 
L. V. — besonders aus entfernteren Gegenden —, welche die ärzt¬ 
lichen Fortbildungskurse der Universität Leipzig im Oktober (12. bis 

24. Oktober) zu besuchen beabsichtigen, wird die diesjährige Haupt¬ 
versammlung der Vertrauensmänner voraussichtlich bereits am 

25. Oktober stattfinden. Als Beratungsgegenstände sind vorläufig vor¬ 
gesehen: 1. Die Stellung der Aerzte zu den akademischen Kranken¬ 
kassen. 2. Die Frage der „Ortsärzte“. 3. Die Honorierung der Spe¬ 
zialisten in der Kassenpraxis. 4. Die Lorenz sehen Anträge betr. 
Mitgliedsbeitrag. 5. Gründung einer Zeitschrift „Der Mediziner“. 

6. Der Kölner Kampf. Etwaigen Wünschen oder Anträgen für die 
Tagesordnung seitens der Vertrauensmänner wird bis spätestens 
1. Oktober eiitgegengesehen. 

— Der schweizerische Nationalrat hat den Entwurf für 
das eidgenössische Krankenversicherungsgesetz 
durchberaten. In diesem Entwurf sind die Wünsche der Aerzte 
weitgehend berücksichtigt und insbesondere Festlegung der freien 
Arztwahl und Bezahlung der Einzelleistung vorgesehen. Der Entwurf 
dürfte im Herbst ds. Jrs. Gesetz werden. (S. den Schweizer Brief auf 
S. 1658 dieser Nummer.) 

— Der diesjährigen Prüfung für den ärztlichen 
Staatsdienst in Bayern haben sich 17 Aerzte unterzogen: 
2 erhielten die Note I, 11 die Note II, 1 die Note III. 3 haben die 
Prüfung nicht bestanden. 

— Die mit Ministerialbekanntmachung vom 9. Dezember 1880 
(Just.-Min.-Bl. 1881 S. 6, M.-A.-Bl. 1880 S. 431) erlassene Instruktion 
für das Verfahren der Aerzte im Königreich Bayern bei der gericht¬ 
lichen Untersuchung menschlicher Leichen ist im Anschluss an die 
in anderen Bundesstaaten getroffene Regelung umgearbeitet worden 
und wird in einer Beilage su No. 14 des Amtsblattes der K. Staats¬ 
ministerien des Aeussern und des Innern unter dem Titel „Vor¬ 
schriften für das Verfahren der Aerzte bei der ge¬ 
richtlichen Untersuchung von Leichen“ veröffentlicht. 
Sie sind im Verlag der Akademischen Buchdruckerei von F. Straub 
in München erschienen und zum Preis von 1 M. zu beziehen. 

— Für den im September lfd. Jrs. stattfindenden II. inter¬ 
nationalen Koqgress für Chirurgie sind jetzt die ersten 
gedruckten Referate versandt worden. Die Referate erscheinen in 
der Sprache, in der sie gehalten werden, die Schlussfolgerungen aber 
in den 3 Kongressprachen, französisch, deutsch unds englisch. Mit 
dem Kongress wird eine Ausstellung von Instrumenten und Apparaten 
sowie eine Ausstellung von Gegenständen, die sich auf das Studium 
des Karzinoms beziehen, verbunden sein. Das Präsidium des Kon¬ 
gresses führt Exz. Czerny. 

— Dr. Arthur L i s s a u e r, Assistenzarzt an der Lungenheilstätte 
Holsterhausen-Werden bei Essen-Ruhr, wurde zum Direktor des neu¬ 
erbauten grossen Sanatoriums der allgemeinen Ortskrankenkasse 
Düsseldorf bei Hösel ernannt. 

— Die bisher von Pollatschek herausgegebenen „Thera¬ 
peutischen Leistungen“ sind für das Jahr 1907 von Pollatschek 
und N a d o r bearbeitet (Wiesbaden, Bergmann, 1908, Preis 
Mk. 8.60). Die sattsam bekannten Vorzüge des Werkes kommen auch 
der diesjährigen Ausgabe zu. Das Buch bietet eine ausgezeichnete 
Möglichkeit, sich schnell über irgend welche neue Fragen der 
Therapie zu unterrichten. 

— Eine Monatsschrift für das Gesamtgebiet der Desinfektion, 
Sterilisation und Konservierung hat unter dem Titel „Desinfek¬ 
tion“ soeben zu erscheinen begonnen. Die Schriftleitung liegt in den 
Händen der Herren Dr. Lentz und Dr. Lockemann, Abteilungs¬ 
vorstehern im K. Institut für Infektionskrankheiten in Berlin. Verlag: 
Deutscher Verlag für Volkswohlfahrt. Preis 10 M. pro Jahr. 

— Cholera. Britisch-Ostindien. In Kalkutta starben vom 

7. bis 20. Juni 90 Personen an der Cholera, in Moulmein vom 30. Mai 
bis 20. Juni. 6. 

— Pest. Aegypten. Vom 11. bis 17. Juli sind an der Pest 
28 Personen erkrankt (und 19 gestorben). — Britisch-Ostindien. 
Während der am 13. Juni abgelaufenen Woche sind in ganz Indien 
926 Erkrankungen (und 817 Todesfälle) an der Pest zur Anzeige 
gelangt. — Hongkong. Vom 3. bis 30. Mai wurden in der Kolonie 
307 Pesttodesfälle festgestellt. — Mauritius. Nachdem die Insel längere 
Zeit pestfrei geblieben war, sind zufolge einer Mitteilung vom 11. Juni 
2 neue Pestfälle in ihrem südlichen Teile ermittelt worden. — Britische 
Kolonie an der Goldküste. In Accra sind seit dem Wiederauftreten 
der Pest während der ersten Juniwoche 5 Personen an der Seuche 
gestorben. — Brasilien. In Rio de Janeiro wurden vom 20. April bis 
21. Juni 5 Erkrankungen, aber kein Todesfall an der Pest gemeldet. 

— In der 29. Jahreswoche, vom 12. bis 18. Juli 1908, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Königshütte mit 29,6, die geringste Bielefeld mit 6,1 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Masern und Röteln in Flensburg, an Keuchhusten in Mül¬ 
heim a. Rh., Oberhausen. V. d. K. G.-A. 

(H o c h s c h u 1 n a c h r i c h t e n.) 

Berlin. Den Privatdozenten Dr. med' Heinrich v., Barde¬ 
leben (Geburtshilfe) und Dr. Richard O e s t r e i c h (Pathologische 
Anatomie) wurde der Titel „Professor“ verliehen. — Dem Privat- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1672 


MUFNCMLNLR MKI H/.INISCMF \V( >aiFNSCNRIM. 


M. 


do/cnten iiir Anatomie Pr. Friedrich Kops c h ist der „Profcssortitcr 
verliehen worden, (he.) 

Breslau. Zum Rektor der Universität wurde der Ophthalmo¬ 
loge Oeh. Medizinal rat U h t h o f f new füllt. 

[Düsseldorf. IDer Direktor des Institutes für experimentelle 
Therapie, Prof. Dr. \\ e n d e I s t a d t, «st um Lntlassung aus seinen 
Aeintern einnekornmen. Ls ist zu hohen, dass es gelingen wird, ehe 
Ursache, durch die derselbe zu diesem Lntschlusse gedrängt worden 
ist, zu beseitinen und dadurch den tüchtigen und allgemein beliebten 
(leiehrten der Akademie zu erhalten. 

Greifswald. Der 1. Assistent der chirurgischen Universitäts- 
Klinik, Dr. Trust Heller, hat sich mit einer Probevorlesung über 
Transplantation von Geweben lind Organen m der Clin urnic habilitiert. 

H e i d e I b e r n. Habilitiert: Dr. Otto Ranke, Assistent der 
psychiatrischen Klinik. 

M a r I) u r n. Pmf. (i ii r b e r - W iirzburg wurde zum ord. Proi. 
der Pharmakolonie als Nachfolner M e f f t e r s e r n a n n t. 

München. Am 31. Juli habilitierte sich für Augenheilkunde 
Dr. (iustav L r e y t a n. Die Habilitatioiisschriit fnlut den Titel: Die 
Brechungsindiccs der Linse und der fliissinen Augc'iimedicn des 
Menschen und höherer Tiere iti verschiedenen Lebensaltern m ver¬ 
gleichenden Untersuchungen. Das Thema der Probevorlesung lautete: 
Diagnose. Prognose und Therapie der durch \ crgiittmgcn veran- 
lassten Augenkrankheiten. 

J eil a. Anlässlich des 35t I jährigen Jubiläums der Universität und 
der Einweihung des neuen Universitätsgcbändcs sind von der medi¬ 
zinischen Lakultät folgende Herren zu Doktoren der Medizin honoris 
causa ernannt worden: Prot. William Ratnsay in London. Prof. 
Butsch li in Heidelberg. Prof. Baumeister in Karlsruhe, Prot. 
Over t» n in Lund, Pr. Otto Schott in Jena. Staatsmuuster Lrlir. 
v. Z i I I e r in Meiningen, Staatsrat V o I I e r t in Weimar, < ieh. Re- 
gierungsrat S c h m i d t - B a r y k in W eimar, Verw altungsdirektor 
der klin. Landesheilanstalten. 

S t r a s s h u r g. Liir das Lach der inneren Medi'in habilitierte 
sich Herr Dr. Leon Blum mit einer Antrittsvorlesung über die Be¬ 
handlung des schweren Diabetes. 

T ii bin« e n. Als Nachfolger H ii f n e r s wurde, nachdem Prof. 
Abderhalden- Berlin abgelehnt. Prof. T hier i e I d e r aut den 
Lehrstuhl fiir physiologische Chemie berufen. 

Chicago. Dr. A. N. Richards wurde zum Professor der 
Pharmakologie an Northwestern University Medical School zu 
Chicago ernannt. 

Genua. Der Privatdozent an der med. Lakultät zu Bologna 
Dr. L. Partie hi habilitierte sich als Privatdozent für allgemeine 
Pathologie. 

0 f e n - P c s t. Als Privatdozenten wurden zugelassen: Dr. med. 
Lugen Polya, ordinierender Arzt des St. Margareten Spitals für 
chirurgische Anatomie und der Adjunkt Dr. Bela Lenyvessy für 
Lehre der Untersuchungsmethoden der Hygiene. 

Rennes. Dr. Ch. Leie uv re jun. wurde zum Professor der 
Physiologie an der Lcole de medicine ernannt. 

W i c n. Dr. R. Kaufmann habilitierte sich als Privatdozent 
für innere Medizin. Zum Nachfolger des Hofrats Prot. Dr. K. Toldt 
auf dem Lehrstuhl der Anatomie an der Wiener Universität ist, wie wir 
hören, der Professor Dr. Lerdinand Höchst e d t e r in Innsbruck 
ausersehen. — Als Privatdozenten w urden zugelassen: Der Rcgimeuts- 
arzt Dr. med. Robert Poerr iiir allgemeine und expei imeiitelie 
Pathologie, Dr. Alfred Brau d w e i n e r für I »ermatologie und 
Syphilidologie, Dr. med. Klemens Lreiherr v. P i r i| u e t mr Kinder¬ 
heilkunde und Dr. Joseph W iesel fiir innere Medizin, die.) 
(Todesfälle.) 

Dr. H. H c r v o u e t, Professor der medizinischen Klinik zu Nantes. 

Dr. Krank H. Mongom mery, Professor der Dermatologie 
und Syphiligraphie am Rush Medical College zu Chicago. 

Dr. Louis A. D e m e r s, Professor der internen Pathologie an der 
medizinisch-chirurgischen Schule zu Montreal. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Offen sperger in Oggersheim. 

Dr. Isidor Preyfuss wurde als Stellvertreter mit bc/irks- 
ärztlicher Kompetenz für den Laiidgerichtsarzt Dr. Zahn in Kaisers¬ 
lautern aufgestellt, mit der Aufgabe, den Laiidgerichtsarzt Dr. Zahn 
in seiner Ligenschaft als Bezirksarzt in Verhinderungsfällen zu ver¬ 
treten. 

Verzogen: Dr. Schott von Rheinzabern. Pr. Ludwig 
Bronner nach Rheinzabern; prakt. Arzt (i r o n a u von Trulben. 
Dr. G a g g e I, k. Bezirksamt a. D. von Pirmasens nacii Trulben. 

L rledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Stadtsteinach. 
Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriitsmassig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung. Kammer des Innern, bis zum 
15. August lfd. Jrs. ein/fjreichen. 

\ ersetzt: Der Bezirksamt I. Klasse Dr. Lugen Miller in 
Stadtsteinach, seiner Bitte entsprechend, in gleicher Ligenschait nach 
Ingolstadt. 


Vt?l«K o»ti I r LcOnmn m Mim,hrn - Druck *im 


Amttichet. 

(Bayer n.) 

K. Staatsmlnisterlum des Innern. 

Betreti: I)lt» Verhandlungen der Aer/tekainmcrn im Jahre l*>07. 

Auf die \ ei handlungeii der Art / lek.iiwm t n B.iVcmis \»-m - 4 . No¬ 
vember L>o7 ergeht nach 1 mv er n.dime de s K. ( li'crmch/io.i'.ius- 
schusses nachstehende \ ei besc heidimg : 

1. Der Antrag des Be/if ksv ereins I reivng-Moosl^tg. d.e imk:*«. 
skopischen und bakteriologischen l nicrMichingen von den cm- 
schl.igigeii staaiiichen \nstaiteii nm'i! s i it^uli V'iiuüiimi zu i.o'm. 
wo es im öffentlichen Interesse w ’insJu i;s\\ eit i ! s v lio:!t. ist v -n c :t 
\erziekammerii untei stutzt, von cm/eäieu erweiti.it Worden. P:c 
Anlegung wird bei der m Gang beimd idtv ii Nnnudiuu des bak¬ 
teriologischen 1 lltersiic Iniilgsw esc ns eutsp’ ec hend gevv r.; .gt w e’den. 

2. Der Antrag des Be/n ks\yfe ms N-tfds v iiw .iheil» die l'Uv.ur.g 
der I .ekchensc hange bullt en. w :e sie m den obt-rp.m/e. uäcii \ • 
schrilteii vom Jo. November l ss 5 lest „esc t/l s;:ut, in I rvi .i K u:.s zu 
ziehen, ist von allen Ae mukämmet u iiiüe • st.ii/t vv.»r de n. 

Nach den liJähnmgen bei Besetzung v**tj 1 cuhv uv haut rste'ä n 
kann zui Zeit bei Beiiic ksu litigung ik i vers.luokn ge .t^e'ien. ört¬ 
lichen \ ei haltmsse ein allge meines Ihd-rims t- r eine l i -v.ng der 
( ie buhl en nicht anerkannt werden; es wird de sh.i.b .ml die M m Me: ..t. - 
eiltsc llllessmig vmil 22 . Juli 1’ I. Ule \ er h.iinl.mue ll der Ve'Zte- 
kaninieiii vom Jahre M'3 betreuend, /diel 1 11 vovuhii 

3. Der \ntiag des Be/n ks\e i e ms N n nbet g. a eil Aer/teu. 
welche den Maatsdienst anstieben. den Beit-itt zutn l’i "s|.|isu'e,,i 
fur W itw en und Waisen Ikav ensjicr Acr/tc zu eupteti.en. ist \. n 
7 Aemtekammern untei stutzt worden. 

Diese m Antrag w ml dadurch i ntvpn.Jiei! vv t r dcn, dass den 
Zeugnissen uher ehe bestandene Prutting lat den ar/l.:d.en M.t.ilv 
dieiist eine l.miadnng eles genannten IVtKnmse e • e n:s /tun Beitritt bei- 
gelegt wird. 

■4. Der Antrag des Be zu Ks\ereins 1 .nidsher g. zur Be Ii.uk! ui; ^ 
Voll Mitgliedern staatlich geleiteter K r aiikenkassc n in der Regel imu 
M itglieder der ar/tlu heil Be zu ksv ereine /ii/iu.owii. L.at die l nte r - 
stut/ung iler Aerzte k.immer n von ( M-e r l’.iv er n. der < »Pe' pt.i'z. v- n 
()bei iianken mul von Schwaben und Ncuburg gelinden. Dieser An¬ 
trag eignet sich nullt zur Berric ksuh’igung 

5. I*er Antrag eles Be/ir ksv ererns M diJort-Ne iiofting. den bei 
gerichtlichen Mktloiien ZUce/ogtneu /Wellen M kante ll bei e:i:eU’ 
durch Vor nähme dieses Amtsgesc lüttes bedingten l ng'.-.vks- oder 
Iodesf tll Voll Maatswegen eine entsprechende I ursorge zu sj..i:'eu, 
ist iletn K. M.iatsmmister mm der lusti/ zur /uvt.tm, igelt \\ ir,;-gtu\ 
übermittelt worden. 

<«. Die Aer ztekammer de r Pfalz hat de n \ntr.ig gesteht. d. ; s 
Asthmamittel eles I >r. Da a ms aus De Bit bei l treu nt in ehe 1 mc 
der Gehe imimtte l aiil/mie Innen. Dieser Xiit-.ig vvud be i n.u!:s; u 
Revision ek r Geheiumutte I listen gewuulugt werden. 

7. Dem Antrag e! e i \et ztekamidc r n i.er |’!a /. den \p t) m k e * M e ü’e 
Kopie der amtlichen Remple aut dt r Mgn.it ui v .o /ns. hr e .Km. ka;.;i 
in Lrmangeiung eures luur e u heil k n Be dar miss,, s eme K *,e nun: 
ge gebe n w eitlen. 

N. Der Antrag der \e r zte kämme r \.on NUttt ’f> ani e u. fas Pcsni .d 
für eme aussenu de nt u he Tn'Ussur 1 . r cendd ulie Medi/m und 1 ;n- 
riclitmig eines geruhliuii uu (piniv T.e n lustduts an de r l v.w erv.t.it 
I i langem wieder m den I tat en:/iis l t/efl. > s: ,'k m K Maa tsrr mist e' ■ in o 
eles Innern Im Kirchen- und Mhulange t K i:ilu t.n zui ZÄM.nrd: K cn 
Würdigung ube-t imttelt worden. 


Uebsrtlcht der Starbeflll« In HOnchnn 

während der 2ö. Jahreswoche vom 12. b.s IK. Juli 
Bcvölkerungsrahl 55<« OoO. 

Todesursachen: Angeborene I.ebrnsschw. (I. Leb-M ) 11 ')), 
Altersschw. (üb. 60 J.) 2 ou. Kmdbcttfieber - , and Folgen der 

Geburt 2c Scharlach l »3i, Masern u. Röteln 2 1 1 Diphth. o. 
Krupp l (k\ Keuchhusten 2 (— »,Tvphus 1 ( kiibertragb. TierkranKh. 
— (-), Rose (Lrvsipel) 1 (Ji, anel. W undinfcktmnskr. (emschl. Blut- 
u. Litervergift.» 2 (li. Tuberkul. d. Lungen 2 1 ' -J'i, Tuberkul. and. 
Org. 5 s), Miliartubcrkul. Jt—i. l.ungen^ntzijnd tlhicimon.) 5 
Influenza — ( and. iibertragb. Krankh. 2 U», L’ntzund d. Atmuncs- 
organe 1 (-4 c sonst. Krankh. derselb. - <J». organ. Hcrzleid 1 4 d'J), 
sonst. Kr. d. Krcislaufsorg. (emschl. Hcmschlagi ^ s '. Gch'rnschlae 

b (10*. Geisteskrankh. I -J», Fraisen, Lklamps. d. Kinder «» 1 1), and. 
Krankh. d. Nervensystems ! po, Magen- u Parm.-Kat. Brechdurchfall 
(einschl. Abzehrung) 3s (J7>, Krankh. d. Leber 4 <3.. Krankh des 
Bauchfells I (1). and. Krankh. d. Verdauungsorg, s im, Krankh. d. 
Harn- u. Geschlechtsorg 5 ( m t Krebs (Karzinom. Kankro.d) M (lst t 
and. Ncubildg. (einschl. Sarkom» 3 Hi, Selbstmord 1 .-4», Tod durch 

fremde Hand —( — ). Unglücks! die 3 <-4>. a ie übrig. Krankh. -4 i5> 

Die Gesamtzahl der Merbeiulle ls| iJ o. Verh.dtmszahl auf das 
Jahr und lmxi Linwohncr im allge menen b-.o <,o3), für die über 
dem 1 . Lebensjahre stehende Bevölkerung iln yj* l . 


• *) Die eilige’-.I.imrr.n * L n Za 1 , er I t k ;k? I I > r \ ^vi'<c ! c. 

t. MuhlUt*lrr« UnOi un.i Kun.'.lM.iir» AO ... n 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Münchener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich 
Im Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. • Preis der einzelnen 
Nnmmer 80 -f. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich* 
•4t 6.—. • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. 


MÜNCHENER 


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Medizinische Wochenschrift. 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

l.r.liftrer, Ch.Blomler, I.r.Bolliiger, LlmeluDi, H.BeKsrieh, V.v.Leibe,G.r.Herkel,J.r.lichel, P.Peozoldt, fLr.Banke, I.Spatz, f.i.lloekel, 

Nürnberg. Berli 


München. Freiburg i. B. 


Leipzig. 


Würzburg. 


Erlangen. 


München. München. 


No. 32. II. August 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gest a t t et) 


Originalien. 

Balkenstich bei Hydrozephalien, Tumoren und bei 
Epilepsie. 

Ein therapeutischer Vorschlag. 

Von Prof. Anton und Prof. v. Bramann in Halle a/S. 

Es besteht kein Zweifel, dass die Ernährung der Nerven- 
masse im Innerschädel sehr häufig-durch mechanische Ver¬ 
hältnisse dauernd gestört wird. 

Es sind daselbst 1250—1480 g funktionstüchtig zu halten, 
doch es gibt auch Gehirne von 1800 g und höherem Gewichte. 
Als Normalmenge der Gehirnflüssigkeit können ungefähr 60 bis 
150 g angesehen werden, doch kann diese Menge sich kolossal 
steigern, auf das vielfache, so dass auch mehrere Liter Zerebro- 
spinalflüsigkeit entleert werden konnten. 

Die gesteigerte Ansammlung von Flüssigkeit in den Ge¬ 
hirnhöhlen geht zum Teil auf Kosten der Hemfephärenwand vor 
sich, besonders wird der Gehirnbalken und seine Ausbreitungen 
an der inneren Ventrikelwand (Tapetum) sehr stark in Mit¬ 
leidenschaft gezogen. Aber auch fernere Teile werden relativ 
stark beschädigt; so ist es eine sichere Tatsache, dass bei 
Wasserkopf und bei intrakranieller Steigerung des mittleren 
Druckes das Kleinhirn nach dem Rückenmarkskanal verlagert 
und deformiert wird (Chiari); ebenso ist es eine stetige Er¬ 
fahrung, dass die Kleinhirnbrücke samt Umgebung dabei platt¬ 
gedrückt erscheint. Es werden also dabei die einzelnen Ge¬ 
hirnbestandteile und Systeme in verschiedenem Grade 
in Mitleidenschaft gezogen, wodurch im Vorhinein eine Ab¬ 
änderung, eine Verschiebung in den Funktionsbeziehungen der 
einzelnen Gehirnteile gegeben ist. 

Aber auch die Störung der arteriellen Zir¬ 
kulation betrifft in solchen Fällen die Hirnteile nicht in 
gleichem Masse. Bei der Formveränderung, insbesondere bei 
der Expansion des Grosshirns wird* das Zirkulationsgebiet des 
Arteriennetzes an der Grosshirnoberfläche viel mehr verändert, 
als das Gebiet der basalen Ganglien, welche von den End¬ 
arterien des Circulus Willisii versorgt werden. Auch hier wird 
also das Funktionsverhältnis der niederen und höheren Nerven- 
stationen zu einander weitgehend abgeändert. Beim Hydro¬ 
zephalus ist übrigens zu bemerken, dass sich bei längerer Dauer 
bei kindlichen Gehirnen gewöhnlich die obersten Gross- 
himteile des Stirn-Scheitelhirnes am meisten verdünnen, ob¬ 
wohl sie der Schwerewirkung der angesammelten Flüssigkeit 
am wenigsten ausgesetzt sind. Dies dürfte daran liegen, dass 
sie in der direkteren Richtung des Anstosses der arteriellen 
Blutbewegung liegen, und dass nunmehr (wie in der Flüssig¬ 
keit überhaupt) der Stoss sich dorthin ungehemmter physi¬ 
kalisch fortpflanzt. 

Auch bei den Störungen des venösen Blutlaufes 
können die einzelnen Gehirnteile verschieden betroffen werden. 
Ein direkter Druck auf die Vena Galeni, welche aus den ba¬ 
salen und ventrikulären Gebieten ihre Aeste bezieht, wird 
Stauung und Transsudation in diesen Gebieten bewirken. Der 
Abfluss der Venen an der Oberfläche nach dem Sinus der Ge¬ 
hirnsichel und nach dem Sinus transversus bis zur Vena jugu- 
laris braucht damit zunächst nicht erheblich beeinträchtigt zu 
sein. 

Ueber die Allgemeinwirkung einer gesteigerten Flüssig¬ 
keitsansammlung im Ventrikel soll noch später berichtet 

werden. 

No. 32. 


Zur Venenblutströmung in der Gehirnsichel darf folgendes 
bemerkt werden. 

Das Lumen des Sinus des Stirnhirns ist ungefähr viermal 
so enge wie das im Scheitel-Hinterhaupthirne. Von den 
Engländern* (Mott u. a.) wurde geltend gemacht, dass die 
Venen der Gehirnoberfläche vom Stirnhirn zumeist entgegen 
oder senkrecht zum Blutstrome in den Sinus daselbst siqh 
entleeren, während die Venen des parieto-okzipitalen Gross¬ 
hirnes sich schon der Blutstromrichtung des Sinus daselbst in 
spitzem Winkel nähern. Es steht also zu erwarten, dass bei 
Hindernissen die Frontalvenen leichter stagnieren . Schon 
wurde eine Beziehung hergestellt dieser anders gearteten 
Venenversorgung mit der so häufigen prävalenten Erkrankung 
des Stirnhirns bei der Paralyse. Auch Ranke hat in seiner 
letzten Arbeit über Gehirnsyphilis beim Fötus und Kinde die 
Veränderungen der Pia vornehmlich in den frontalen Gross¬ 
hirnteilen gefunden. 

Wenigstens ist auch hier mit der Möglichkeit zu rechnen, 
dass bei Stauungen im Gebiete der Venenblutleiter der Hirn¬ 
sichel die Grosshirnteile ungleich in Mitleidenschaft gezogen 
sind. 

Was nun die Ursachen der vermehrten Flüssigkeits¬ 
ansammlung in den Gehirnhöhlen betrifft, so sollen dieselben 
nur in Kürze skizziert werden. Zunächst kann 1. die Ver¬ 
legung der Abfuhrwege des Liquor cerebralis zur 
Retention führen. Als Wahlstellen kommen besonders in 
Betracht der SyIv'iussche Kanal, also die Vierhügelgegend, die 
Recessus laterales ^Foramen Luschka) des 4. Ventrikels und 
die Gegend des Foramen Magendi. Leicht verständlich 
ist die Wirkung von Geschwülsten in der hinteren Schädel¬ 
grube,-welche durch Nah- oder Ferndruck, durch kollaterales 
Oedem und Schwellung die genannten Stellen verengen. Die 
Tumoren der Brücke, ebenso die nicht so seltenen des Re¬ 
cessus acustico-cerebellaris (Akustikustumoren), lassen häufig 
die Symptome der Stauung, sowie den Hydrozephalus ver¬ 
missen, ebenso der basale flächenhafte Tumor. 

Weiterhin sind es aber entzündliche Schwellungen oder 
Narbenbildungen, welche daselbst die Abfuhr sowie das Hin- 
und Herströmen des Liquors verhindern. 

Die Entzündungen können sowohl die Gehirnhäute 
mit dem Gefässknäuel, als auch die Hirnsubstanz betreffen. 
Nach Böninghaus gibt es bei rascher Exsudation einen 
aktiven automatischen Abschluss dieser Wege im 3. und 4. Ven¬ 
trikel; der gesteigerte Wanddruck an sich hebt die beweglichen 
Teile (Tela), welche die Zirbeldrüse und die Vierhügel mit 
emporziehen und so den S y 1 v i u s sehen Kanal spaltförmig 
verengern; endlich kommt es zu komplettem Verschluss durch 
Anpressen an das starre Tentorium cerebelli. Ein ähnlicher 
Mechanismus soll auch den aktiven Verschluss des 4. Ven¬ 
trikels nahe dem Foramen Magendie durch gesteigerten Wand*- 
druck und* durch Anpressen an das Hinterhauptbein er¬ 
möglichen. 

Wenn diese Annahme zutrifft, dann würde die zeitweise 
Entlastung des Ventrikel-Wanddruckes auch eine Ursache der 
Stauung überhaupt hinwegschaffen. 

2. Vermehrung der Gehirnflüssigkeit: Weiterhin sind irri- 
tative Einflüsse innerhalb der Ventrikelwandungen imstande, 
die Flüssigkeit rapide zu vermehren, z. B. ein flottierender 
Zystizerkus, eine »infektiöse oder toxische Entzündung der 
Wandungen oder des Inhaltes der Gehirnhöhlen (Menim 
ventricularis). Das Ependym ist ein Abkömmling des I 

l 


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1674 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


derms und es spricht doch vieles dafür, dass ihm eine aktive 
drüsenähnliche Funktion zukommt, kurzum, dass das Fpendym 
lebt, und zwar nicht bloss beim Fötus und beim Kinde. 

Ob nun der Hydrozephalus durch Entzündung oder durch 
Retention verursacht ist — es muss dabei mit der Tatsache ge¬ 
rechnet werden, dass die im Ventrikel vorhandenen Vorrich¬ 
tungen für Resorption und Filtration des Liquors also die 
Plexus chorioidei und die grossen Venen nicht ausreichend 
sind, der Flüssigkeitsvermehrung und der Druckerhöhung vor¬ 
zubeugen und genügend zu steuern. 

Nach Q u i n c k e ist es auch wahrscheinlich gemacht, dass 
die Absonderung des Liquor unter dem Einfluss der Innervation 
sich steigern kann. Auch bei paroxysmalem Kopfschmerz und 
bei Migräne wird Steigerung der Absonderung durch angin- 
neurotische Einflüsse angenommen. Endlich kommen ursäch¬ 
lich jene Prozesse in Betracht, welche zu Hirnschwellung 
führen, aber auch Hydrozephalus veranlassen können, prak¬ 
tisch kommen hiebei besonders oft vor das Trauma und 
die allgemeine Kopferschütterung. 

Beim Hydrozephalus der Kinder kommt es bei Fortdauer 
der Ursachen zu grosser Schädel- und (iehirnexpansion mit 
weitgehender Verdünnung der Hemisphärenwandung; dann zu 
schw eren psychischen Fehlern, zu Bew egungsstorung, mitunter 
zu Erblindung. Bei Tumoren entwickeln sich trotz aller Be¬ 
mühungen Stauungsneuritis mit Erblindung, schwere Kopf¬ 
schmerzen und Allgemeinstörung der (iehiruiunktion mitunter 
— auch ohne besondere Erkrankung der motorischen Region 
epileptische Krämpfe. 

Die V e n t r i k e 1 p u n k t i o n e n schaffen oit kurz¬ 
dauernde Erleichterung —- doch es braucht keines Beweises, 
dass dieser Erfolg nur ein kurzdauernder ist und dass diese 
Operation nicht zu oft wiederholt werden darf. Das gleiche 
gilt von der zeitweiligen Entlastung durch die Lumbal¬ 
punktion, welche übrigens bei (ieschwiilsten in der hin¬ 
teren Schädelgrube ernste (iegengriinde gegen sich hat. Wir 
wollen nun folgende Erwägungen und o p e r a t i v e Vor¬ 
schläge darlegen: 

Die freie Kommunikation der Ventrikelflüssigkeit mit dem 
Subduralraum des (iehirns und Rückenmarkes ist eine Not¬ 
wendigkeit für die intakte Ernährung und iiir die ungestörte 
gleichmässigc Funktion der Nervenkomplexe des (iehirns. 
Diese Kommunikatiorswege passieren bekanntlich den 
Sylvyschen Kanal und beim Menschen d^us Foramen Magen- 
die. Letzteres ist beim Fötus nicht vorhanden und wird erst 
allmählich durch (iewebsdehiszenz und Lockerung der zarten 
Häute am Uebergange zum Rückgratkanal, also an der Stelle 
intensiver F 1 ii s s i g k e i t s b e w e g u n g gebildet, und 
zwar im extrauterinen Leben. Das Bedürfnis des (iehiru- 
organes ist auch hier nach dem Pflüger scheu (iesetze die 
Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses. 

Diese Selbsthilfe des () r g a n i s m u s w ird bei ver¬ 
schiedenen Erkrankungen unmöglich gemacht, welche die freie 
Zirkulation der Oehirntlüssigkeit an einer „Wahlstelle" be¬ 
hindern. Um nun mit möglichster Schonung der Oehirnsub- 
stanz eine Kommunikation des Liquor der grossen Hirnhöhlen 
mit dem Subduralraum möglich zu machen und einen Ausgleich 
der örtlichen Druckverhältnisse anzubahnen, erscheint es am 
aussichtsvollsten den Balken zu öffnen, und zwar so zu 
öffnen, dass dieser neue Weg dauernd erhalten bleibt. Um dies 
zu erstreben, empfiehlt es sich, mit einem stumpfen Instrumente 
den Stich und die Erweiterung vorzunehmen; damit wird auch 
die Gefahr der Verletzung der Balkenarterie (Arter. cerebr. 
anterior) tunlichst vermieden (in der Regel am rechten Ge¬ 
hirne.) 

Wegen der geringeren Breite des venösen Sinus in der 
vorderen Gehirnsichel, empfiehlt es sich, im allgemeinen den 
Stiruhirnteil zu wählen, und zwar die Ouerebene der präzeu- 
traleu Furche, weil diese schon hinter der Verdickung des 
Balkens im Genu corporis callosi zu liegen kommt, andererseits 
noch nicht in die Mitte der motorischen Zentralregion fällt; be¬ 
sonders aber, weil man hier mit Sicherheit in die Seitenven¬ 
trikel gelaugt und nicht wie bei der hinteren Balkenpunktion 
riskiert, zwischen den Ventrikel in die Vierhügel zu gelangen. 
Es können aber nach Bedarf auch andere Balkenpunkte, z. B. 
die Parietalregion gewählt werden. Das stumpfe Instrument 


No. A?. 


mit dem der Balkenstich vorgeuommen wird, soll am besten 
hohl sein, weil man dann durJi HeraiiMhessui oder Heraus¬ 
schiessen des Liquors ein sicheres oder rasches Signal erhalt, 
dass der Balken nach dem Ventrikel zu durchtrennt ist. Die 
Stichoitniu.g kann nach Belieben nach vorne und rückwärts 
stumpf erweitert werden. 

Behufs Eröffnung des Hirnschadeis ist zur Schot.urig des 
Sinus seitlich der Mittellinie (Sagittalnaht) entweder e.ne kleine 
I repanatiouM'ffuung anzulegen oder aber daselbst ein grosse¬ 
res Bohrloch (nach Doyen) zu benützen. In letzterem Falle 
genügt eine subkutai e Infusion von Kokain unter die Kopfhaut¬ 
stelle ohne Narkt'■e. Mit dieser Operation ist der \entrikel- 
fliissigkeit die Kommunikation wieder gegeben mit dem Sub¬ 
duralraum und damit auch bis zum Rimkgratskaual und bis zu 
den Nervenscheiden. F.s steht zu erwarten, dass die stumpfe 
Oeffuung, besonders m Fallen stärkeren Hirndnkks dauernd 
bestehen bleibt, und zwar vermöge des Wanddriukes un \en- 
trikel und durch die Strömung der Flüssigkeit, welche durch 
die arterielle Pulsation, aber auch durch das Hm- und Her- 
tliessen vermöge der Atmung (venöse Füllung) bewirkt wird. 

Es sei nun eine Skizze über folgende Falle berichtet: 

I. .1. .)., 11* Jahre ait. \ rbcitcrskmd. 

Diagnose: ll\droerphaius internus congenitus o »mpressio 
et iigcticsia ccrcbcili. 

lieber erblühe Anlage ist nichts zu ermitteln: die gegenwärtige 
Erkrankung: aullalb.ge timssc des Kopfes bestellt Non Jugend aut. 
im 5. I.ebensialue sollen suh die Bewegungsstörungen an den Armen, 
besonders aber an den Beinen starker ausgeprägt haben. \ oiii 
Autnahmebeiimde sei folgendes erwähnt: Der Schädel ist stark aul¬ 
getrieben. die Mitnilocker stark \orgcwoibt. ebenso die beulen 
Scheitelbeine. Der grösste Schadeluinlang betragt »ö cm. der 
biternporale Durchmesser 15 cm. der biparietale Durchmesser 17 cm. 
die l'ontanellen sind \ erst riehen. Der < ie sic htss v hadel ist re atu ge¬ 
ringer entwickelt. Die Augen hegen aun.iihg tiet mtoige des stark 
entwickelten Augenbr auerihogeiis. Das (icr iu h\e r möge n ist \<«r- 
liamlen. I>ie Augenhew egungen sind frei, die Akkommodation ist gut 
erhalten. Es besteht die Neigung den Kopf muh reshts /u drehen. 
Die grolie Kraft in der linken Band schwacher als redits. heim Vus- 
streeken zittern heule Arme m gr obsc hiagiger Weise. Der Be- 
w egungseflekt ist sehr geling. Beim Ergieiieu der Nadel zeigt suh 
starker Intentionstremor. Bat. vermag sieh aiuh mit t nie rstut/urrg 
der Arme nicht aus der Rückenlage zu erheben. Das I Dieben der 
Beine erfolgt nur ungenügend unter lebhaltem Mm- und Mer- 
scliw unken. 

Der linke Arm und das linke Beirr sind deutlich parctisdi un 
\'ergleicli zur rechten Mite. Die Kmc^chne nrcr'c\c beiderseits Sehr 
lebhaft und mein sc hiagig; henkrseits bestellt \micuturg u<n lirss- 
klonus. Die grossen /.eben sind beiderseits in li. >chgradi K er Dors.il- 
flevion. Die Sensibilität ist m allen Dualitäten ungestört. 

Beim passiNen Autset/en und bei sitzender Medung schwankte 
der Kranke hm und her. Beim <ich\crsiuh geraten die Kusse in 
Spit/fiissstelliing. die Kniegelenke sind überstreckt, so dass die Beine 
eine Konvexität muh rückwärts bilden. 

Eis besteht totales l riNcrmogcn zur aufrechten Kor[urb.iianz. 
Der Kranke muss dabei Vollständig gehalten w er vielt 

Eis fehlen auch ehe \ ersuche zu t iel'bew egungen d. h. Vorw arts- 
bew egungen der Beine. 

Zu Bette gebracht bleibt Der Kranke \olltg hilflos hegen um! 
muss auch passiv in ehe entsprechende Lage gebracht werden. Es 
bestellt zeitweise Erbrechen. 

l'eber den Augeiibcfund ist folgendes zu erwähnen: Die Pupiiiem 
sind weit Intel reagieren gut aut I uhts^ hw ankting. dagegen massig 
auf Akkomodation. Die Spanbung De r Ang.ipicl Scheint benlerseits 
deutlich erhob». 

Die Net/haut\eilen sind breit. Die* \rterien eng. Die temporale 
Paiulleiihallte ist etwas abge blasst. Die Ze ntralcvkavalio« der 
Papille ist beträchtlich, doch nullt sicher glaukom.it. .s. die zentrale 
Sehschärfe ist sicher vernmidert. 

In ps\ chischer Beziehung kann das t\ pischc Verhalten eler 
I h elro/ephaleii konstatiert weiden. Der kleine Buticmt erfasst lang¬ 
sam. seine Antworten Mild aiisscrst primitiv. Er vermag nur über 
die einfachsten I e'bens\erliaItmsse Auskunft zu gelum. I r hat 
keinerlei Schulbildung auf/iiw eisen. Seiner Umgehung ist er a*?a- 
eliiert und beurteilt sie imuihaih pinmtiver <i r cn/en /utrc’Vnd. 
Spontan bringt er selten W mische vor. 

Operation am Jn. \. ns. in Lhiorofor mnarkocc wird etwa I cm 
voll der Sagittalnaht und etwa ebensoweit \oii der hÖD-nu.naht em 
etwa J em langer und ebenso breiter MnutpcrloM'appeti mit lateraler 
Basis gebildet unD un \ er laut dieser Mimittc em ebenso grosser 
Knochenlappen mit Sudecksdier Er.ist ge bildet und mit vlcn 
\\ eiditeilen in Zusammenhang midi aii'-'un umgek'apnt Darauf 
wird die anscheinend normale, nur stra’t gespannte Dura dicht 
am Rande des Mnus und nahe von dem \ ordere« und hmte-en 
Knodieiirande emgesdmitteii und der so gebildete’ viereckige 


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-Original fröm- 

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11 August 1$08. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1675 


Lappen nach aussen umgeschlagen. Dem Versuche, nun den 
medialen Rand der Hemisphäre durch vorsichtiges Einschieben 
eines stumpfen Hakens in den Längslongitudinalspalt nach aussen 
abzuziehen, stellten sich zwei grosse, von der Arachnoidea 
zum Sinus ziehende Venen entgegen, die doppelt ligiert und 
dann durchschnitten wurden. Nun liess sich der Rand der Hemi¬ 
sphäre so weit abziehen, dass die Falx sichtbar wurde und eine dünne 
und etwas gebogene Kanüle mit stumpfer Spitze an der Falx entlang 
vorsichtig tastend bis zum unteren Rande derselben eingeführt und 
dann durch weiteres Vorschieben der Kanüle nach unten der Balken 
perforiert werden konnte, worauf Liquor im Strahle aus der Kanüle 
herausfloss. Nach Entleerungen von etwa 15 ccm wurde durch Ver¬ 
schieben der Kanüle in der Richtung von vorn nach hinten und umge¬ 
kehrt das Loch im Balken in einen etwa 1— fVa cm langen Längsspalt 
verwandelt und die Kanüle entfernt. Es folgt dann noch die Naht der 
Dura und nach Zurückklappen des Weichteilknochenlappens die Naht 
der ganzen Wunde. 

Der Wundverlauf war vollkommen reaktionslos, nur am 3. Tage 
nach der Operation einmal Temperatursteigerung bis 38,1 infolge 
einer leichten Angina. Am 6. Tage wurden die Nähte entfernt. Die 
Wunde war glatt geheilt, das Allgemeinbefinden sehr gut. Kopfschmer¬ 
zen und Erbrechen verschwanden. Die Arme konnten besser gehoben 
werden. Am 30., 10 Tage nach der Operation wurde der Kranke 
nach der Nervenklinik zurückverlegt. 

Befund nach der Operation (Mitte Juni). Der Kranke ist im¬ 
stande, sich prompt aufzusetzen und er balanziert in der sitzenden 
Lage ohne viel Schwanken. 

Der rechte Arm und die rechte Hand zeigte bei verschiedenen 
Verrichtungen viel weniger Tremor. 

Links ist noch Zittern hachweisbar, ebenso eine Parese der 
Hand. Er vermag sich nach rechts und nach links zu drehen, die 
Beine werden in liegender Lage in grösserem Ausmasse erhoben. 
Auch'hier bleibt die linke Seite im Verhältnis zur rechten zurück. 

Die Kniesehnenreflexe sind noch gesteigert, der Fussklonus ist 
nicht auslösbar. ' 

Die Beugungen in den Hüftgelenken werden noch mit Schwan¬ 
kungen vollzogen. 

Der Patient ist imstande, sich nicht nur aufzusetzen, sondern 
auch die Beine selbst über den Bettrand zu heben und dort sitzen 
zu bleiben. Auf die Beine gestellt vermag er noch nicht in aufrechter 
Stellung zu verharren. Dagegen unternimmt er wenigstens die ent¬ 
sprechenden Bewegungen der Beine zum aufrechten Gange. Auch 
hierbei bleibt das linke Bein einigermassen zurück. 

In seinem Gestell mit Achselstützen hält er sich viel besser 
aufrecht. 

Die Kopfhaltung ist aufrechter, die Kopfwendungen ausgiebiger, 
Ueberhaupt hat die Zahl der Spontanbewegungen beträchtlich zu¬ 
genommen. 

Ueber den Augenbefund ist folgendes zu berichten: Von der 
Zentralexkavation der Papille ist rechts nichts mehr zu sehen, links 
besteht noch ganz flache Exkavation. 

Bezüglich der Funktionsprüfung ist zu erwähnen, dass er nun¬ 
mehr auf 5 m Entfernung kleine Gegenstände z. B. ein Markstück 
richtig erkennt. 

Auffällig war die Aenderung im psychischen Verhalten. 

Der Patient ist in der Mimik viel regsamer, in der Unterredung 
ist die Aufmerksamkeit viel prompter, die Antworten erfolgen auf¬ 
fällig rascher. Er zeigt Interesse für die Umgebung, äussert spontan 
Wünsche und Pläne. Sein rascheres und regsameres Wesen fällt 
auch der Umgebung auf. Die zeitweisen Apathien haben einer gleich- 
massigen Stimmungslage Platz gemacht. Es fehlen die Klagen über 
nächtliches Bettpissen, ebenso über Kopfschmerzen.*) 

II. Vinzenz R., 50 Jahre alter Arbeiter. 

Diagnose: Meningitis serosa (Intoxikation?). 

In der Familie sollen keine Geistes- und Nervenkrankheiten er¬ 
weisbar sein. Patient ist seit 5 Jahren in einer Anilinfabrik tätig. 
Seit einem Jahre traten Kopfschmerzen auf, von der Stirn ausgehend 
über den ganzen Kopf sich hinziehend. Vor drei Monaten waren 
wiederholt Attacken von Kopfschmerz, Schwindel und Unsicherheit 
auf den Beinen. 

Von den Befunden bei der Aufnahme seien folgende erwähnt: 
Es besteht beiderseitige Geruchlosigkeit (angeblich seit 10 Wochen), 
der Schädel ist klopfempfindlich; das linke Auge zeigt an der Horn¬ 
haut eine weisse ausgebreitete Narbe; die rechte Pupille ist eng 
und reagiert auf Lichteinfall nur minimal. Rechts ist Sehschärfe fast 


*) Bei diesem Patienten hat die öfter wiederholte Untersuchung 
einen Befund ergeben, welcher wegen der geringen Intelligenz des 
Untersuchten noch der Bestätigung bedarf. Es erschien vor der 
Operation der zentrale Farbensinn insofern gestört, als blau und gelb 
in kleinen Flächen zentral nicht erkannt werden. Auch Prüfung mit 
Holmgreen-Wollproben Hessen annehmen, dass Blau und Gelb un¬ 
sicher erkannt werden. Auch trotz der Besserung nach der Operation 
blieb die Farbenempfindung für Gelb und Blau etwas unsicher 
(Dr. Fischer). Es ist nicht entschieden, wie weit die bessere 
Attentio hier in Betracht kommt. 


normal, dagegen ist das Gesichtsfeld konzentrisch eingeschränkt für 
weiss und für Farben. Mit dem Augenspiegelbefund wurde folgendes 
erhoben: Die Papille ist rot-graugeblich verfärbt, sehr leicht ge¬ 
schwellt, nach aussen verwaschen. Die Venen sind breit und an 
einigen Stellen leicht geschlängelt. Die Arterien erscheinen dagegen 
enge. 

Diagnose: Neuritis optica (Schmidt-Rimpler). 

Der Patient selbst klagt über deutliche ständige Abnahme des 
Sehvermögens. Die Augenbewegungen sind frei. Das Ticken der 
Uhr wird beiderseits angeblich nur 5 cm vom Ohre gehört. Die 
Hinterhauptsnerven und das Halsdreieck beiderseits stark druck¬ 
empfindlich. Ebenso die Austrittspunkte des Trigeminus. Von den 
übrigen Befunden ist zu erwähnen ein beiderseitiges Zittern der Hand; 
die Schlundwand ist glatt und ohne Vorwölbung. Wegen Zunahme 
der Beschwerden und wegen der Klagen über die zunehmende 
Undeutlichkeit des Sehens wurde die Operation vorgeschlagen, welche 
in kurzem hiermit geschildert wird: 

Operation am 30. VI. 08. In Chloroformnarkose wird aus dem 
vordersten Teil des Scheitelbeines, etwa 13Vb cm von der ülabella 
entfernt, durch einen viereckigen wagerechten Weichteilknochen¬ 
lappen in 5 cm Länge und 4 cm Breite der Schädel etwa 1 cm von 
der Mittellinie entfernt eröffnet. Der Knochen ist enorm (1,7 cm) ver¬ 
dickt, die Dura ebenfalls verdickt, wird mit Kreuzschnitt gespalten. 
Die Wandungen der Gefässe der Arachnoidea markieren sich als 
breite, weissgrau verfärbte Stränge. Mit stumpfem Haken wird der 
Rand der rechten Hemisphäre etwas nach aussen abgezogen und nun 
eine gebogene Kanüle der Falx entlang bis zu dem Rande derselben 
vorgeschoben und dann der Balken wie im ersten Falle eröffnet. Unter 
mässig starkem, aber zweifellos erhöhtem Druck entleeren sich etwa 
25 ccm Liquor, worauf nach Dilatation der Punktionsöffnung im Balken 
die Kanüle entfernt, die Dura genäht und nach Zurückklappen des 
Hautknochenlappens auch die Kopfwunde geschlossen wird bis auf 
eine kleine Lücke am hinteren Winkel, in welche wegen der 
abnormen Dicke des Schädels und des erheblichen Gefässreichtums 
d^r Diploe ein kleiner Jodoformgazestreifen eingelegt wird. 

Die Wundheilung verlief ohne Störung. Am 3. Tage nach der 
Operation war ein leichtes Oedem des rechten oberen Augenlides 
zu konstatieren, das offenbar durch den Austritt von Liquor cerebro¬ 
spinalis durch die mit der Fräse geschaffene spaltförmige Knochen¬ 
rinne unter den Weichteilen des Kopfes entstanden war und 
nach Entfernung des Tampons die Entleerung einer geringen Menge 
schwach blutig gefärbten Liquors wieder verschwand. Am 7. Tage 
nach der Operation wurden die Nähte entfernt, die Wunde ist an¬ 
standslos geheilt und die Kopfschmerzen sind verschwunden. Patient 
wird zur weiteren Beobachtung in die Nervenklinik zurückverlegt. 

Befund nach der Operation: Der allgemeine Kopfschmerz sowie 
der Schwindel ist seit der Operation nach täglich wiederholter Aus¬ 
sage verschwunden, der Patient ist im Sensorium freier und mit¬ 
teilsamer. 

Die Geruchstörung ist andauernd. Dagegen gibt Patient an, dass 
es mit dem Sehen wenigstens beim gleichen bleibe. Mit dem Augen¬ 
spiegel lässt die wiederholte Untersuchung der Papille überhaupt 
keine Vortreibung mehr erkennen. Die Netzhautvenen zeigen keine 
Abweichung von der Norm. 

Die Pupillenbewegungen sind eben wahrnehmbar, bei Lichtein¬ 
fall, besser bei Akkommodation, die Distanzschätzung ist vorhanden. 

Beim Gehen besteht leichtes Schwanken. Die Kniesehnenreflexc 
sind eben nachweisbar. 

III. O. St., 26 Jahre alter Schiffer. 

Diagnose: Tumor in der hinteren Schädelgrube. Hydro- 
cephalus internus. 

Der Kranke war wegen Stauungspapille durch längere Zeit in 
augenärztlicher Behandlung. Er kam darauf in die Halle sehe 
Blindenanstalt, wo er im Verlaufe einiger Monate vollständig er¬ 
blindete. 

Im November 1907 litt er an Kopfschmerz, Erbrechen und 
Schwindelanfällen. Deswegen kam er am 7. April 1908 in die Be¬ 
handlung der Nervenklinik. 

Aus dem Untersuchungsprotokoll sei in Kürze folgendes 
entnommen: 

Die Schädelform zeigt nicht auffällige Anomalien. Der Schädel 
wird nirgends als klopfempfindlich bezeichnet. Der Geruch ist beider¬ 
seits kaum nachweisbar. Die Nervenaustrittspunkte des Trigeminus 
sind nicht druckempfindlich, ebenso das Genick und das Halsdreieck. 

Der Patient ist vollkommen erblindet, im beleuchteten Zimmer 
besteht die Empfindung von grau. Nachts die Empfindung von 
schwarz. Die Augäpfel sind in fortwährender, zuckender Unruhe. 
Die rechte Pupille ist etw r as wxiter als die linke. Pupillenreaktion 
auf Licht fehlt beiderseits vollkommen. Die akkommodativen Mit¬ 
bewegungen sind erhalten. Der Augenspiegelbefund ergibt beider¬ 
seits deutliche Stauungspapille mit eingetretener Atrophie. 
Von den übrigen Befunden sei erw r ähnt. dass die Hände beim Vor¬ 
strecken zittern: die grobe motorische Kraft ist aber nicht erheblich 
gestört. Die Trizepsreflexe sind beiderseits schwach, der Knie¬ 
sehnenreflex ist .rechts flicht auslösbar und links nur spurenw^eise vor¬ 
handen; das Muskel- und Lagegefühl an den Gliedmassen ist nicht 


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1676 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3.\ 


erheblich gestört, wie der Versuch der Imitation passiver Stellungen 
nachweisen lässt. Eussklonus, ßabinskisyrnptorne sind nicht vor¬ 
handen, kein Schwanken beim eichen und beim Stehen. Im Verlauie 
traten öfter häufige Anfälle von Kopfschmerz auf. sowohl an der 
Stirne wie am Hinterhaupt. Die intensiven Kopfschmerzen wurden 
schliesslich ständig. Die Kniesehnenreflexe wurden wieder beider¬ 
seits gleich eben merklich. Hei liegender Lage steigert sich der 
Kopfschmerz intensiv. Ende Juni trat häufiges Erbrechen, 
taumelnder Qang (nach beiden Seiten gleich) dabei sehr hart¬ 
näckige Hinterhauptskopfschmerzen und Schwindel ein. Die Hintei- 
hauptsnerven und oberen Zervikalnerven sind äusserst druck¬ 
empfindlich. Die Kniesehnenreflexe fehlten dabei beiderseits. Da 
diese Beschwerden anhielten, so wurde zur Operation geschritten, 
welche in Kurzem folgendermassen verlief: 

Die Operation des Patienten St. wurde auf (irund der 
bei den vorangegangenen Operationen gemachten Erfahrung, dass 
bei Vorschieben der Punktionsnadel unter Führung der Ealx der 
Balkenstich auch ohne grössere Schädellücke gelingen musste, ohne 
Bildung eines Periostknochenlappens, in folgender, einfacherer Weise 
ausgeführt. Etwas hinter demBregma und etwas rechts von der Mittel¬ 
linie wird ein etwa 3 cm langer, durch die Weichteile und das Periost 
bis auf den Knochen dringender Schnitt geführt, die Wundräiidcr 
werden auseinandergezogen, das Periost lateralwärts etwa 1 1 -■ cm 
weit zurückgeschoben und nun mit stärkstem Doyen sehen Bohrer 
der Schädel, der an dieser Stelle nur 4 mm dick war, bis auf die 
Dura durchbohrt, so dass eine etwa K mm breite und 14 mm lange 
schräg verlaufende Rinne im Knochen entstand. Durch ein kleines 
Loch der Dura wird zwischen dieser und der Hirnoberfläche eine 
etwas gebogene Hohlnadel ohne Verletzung des Sinus bis zur Ealx 
vorgeschoben und an dieser entlang senkrecht nach unten zum Balken 
geführt und dieser dann durchbohrt. Unter starkem Druck entleerte 
sich ein kräftiger Strahl Liquor. Nach Abfluss von etwa 2 5 g und 
nach Dilatation des Stichkanals im Balken wird die Nadel entfernt 
und die Wunde vernäht. 

Der Verlauf gestaltete sich ganz reaktionslos. Am 6. Tage 
wurden die Nähte aus der geheilten W unde entfernt. Kopfschmerzen. 
Schwindel. Erbrechen sind verschwunden. Das subjektive Befinden 
auffallend gebessert. 

Am 10. Tage nach der Operation erfolgte die Rückverlegung 
des Pat. nach der Ncrvenklinik. 

Von den Befunden nach der Operation sei folgendes 
hervorgehoben: 

Zunächst hat der Kranke seit dem Tage der Operation Kopf¬ 
schmerz und Schwindel verloren, auch das Erbrechen blieb aus. Da¬ 
mit hat sich auch die Benommenheit gebessert. Seine Auffassung ist 
viel rascher, die Antworten prompt, sein Verhalten, seine Stimmungs- 
lage gleichmässig. Auch die raschen Lageveränderungen werden 
gut vertragen. 

Von körperlichen Befunden folgendes: Die Pupillen sind weit 
und reaktionslos; die Atrophie der Papille und die unscharfe Kontur 
besteht weiter. Dagegen ist die Vortreibung der Papille sehr er¬ 
heblich zurückgegangen. Rechts ist überhaupt keine Refraktions¬ 
differenz zwischen Papille und Netzhaut zu konstatieren, links noch 
Andeutung davon. 

Die Herabsetzung des Oeruehes besteht fort, links wird Pfeffer¬ 
münz wahrgenommen und bezeichnet. Keine Druckpunkte an den 
Nervenaustrittsstellen des Kopfes und Halses. Die Hände zittern 
weniger, greifen viel prompter zu; au der rechten Hand ist das 
Zittern noch deutlicher, die Beine werden in horizontaler Lage sicher 
und beweglich gehoben, rechts ist das Zittern deutlicher. 

Das Stehen erfolgt ohne Schwanken, beim (lange ist noch Ab¬ 
weichen nach rechts ersichtlich. 

Die Kniesehnenreflexe fehlen beiderseits, das Lagerungsgefühl 
(mittelst Imitationsversuch geprüft), lässt erhebliche Störung nicht 
erkennen. 

Im allgemeinen ist der Kranke weniger ermüdbar geworden 
und vertrug seither unbequeme Transporte ohne Storung. 

In dem vorliegenden Falle ist der Balkenstich nicht auf dem 
Wege der Trepanation, der Schaffung einer grösseren Schädeldecke, 
sondern von einem ganz kleinen Defekt des Schüdclkuocheus aus 
erfolgt, der für sich allein eine Herabsetzung des gesteigerten Hiru- 
druckes herbeizuführen nicht ausreichend war. Die Beseitigung der 
Drucksteigerung ist also in diesem Falle einzig und allein Folge des 
Balkenstiches. Ob und wie lange dieses Resultat vorhält, lässt sich 
noch nicht Vorhersagen; bei der hier bestehenden erheblichen Druck- 
Steigerung ist wohl anzunehmen, dass die in dem Balken geschaffene 
Lücke dauernd bestehen bleibt. 

IV. Lieselotte S., II Monate alt. 

Diagnose: Hydrocephalns internus. 

Patientin ist das (>. Kind, die Oeschw ister sind angeblich gesund. 
Die (ieburt soll sehr schwer gewesen sein. Kurz nach der (ieburt 
wurde nichts auffälliges am Kopf bemerkt; erst 3 Wochen nach der 
(ieburt war auffällig, dass der Kopf grosser wurde. Damals traten 
zeitweise blitzartige Zuckungen im ganzen Körpergebiete aui. welche 
seither seltener w urden. 

Im H. Monate soll der Kopfumtang 4b cm betragen haben; seither 
vergrösserte sich der Kopf zusehends; nähere Angaben waren bisher 


nicht erreichbar, insbesondere auJi nicht über das Körpergewicht 
bei der (ieburt. 

Der derzeitige Bciund ist m Kurze folgender: Die Koi perlange 
beträgt 73 cm. Das Kind ist auliallig stark gebaut, mit sehr starker 
Fettbildung. Der Schädel ist abnorm gi«»ss und zeigt einen l'mtang 
von öl cm. | s besteht As\ mmetrie. da der Ding«uiaulurchmesser am 
rechten Stirnhocker zum Scheite lliocke r links mcrkmii grosser ist. 

Die Stirn- und Schlafegegend ist stark vorgewolbt; die Distanz 
der Augenwinkel auftalhg gross, das Hinterhaupt breit und steil. \ mi 
den Schadelmassen seien angeiulirt: l.augsdur Jimesser lio mm. bi- 
temporaler Durchmesser I4n mm. bipui letaler Durchmesser 155» mm. 
Diagoiiladurchmcsser 17o mm »Imker >chciteihockcr und rechter 
Stirnhocker). 

Die Augen sind in den Hohlen herabgedruckt und werden zum 
grössten Teile vom unuien Augeiilide gedeckt. (ier u«. hsw ahr - 
iiehmungen scheinen vorhanden zu sein. 

Die grosse Fontanelle ist weit often. Längs- und Oucrdurchmesscr 
je b cm. Beim aufrechten Mt/en sinkt die Eoiuanei.e ein. beim 
Liegen wölbt sie sich sehr stark hervor. Neben viert Nasenbeinen 
bilden sich beim Schreien starke \ or w olbungmi. welche ausgedrjekt 
werden können. 

Bei den mimischen Bewegungen scheint vier linke (iesuhtsnerv 
etwas besser unters ic rt als der rechte. Die hintere Ruchcnw.uid ist 
etwas vorgewolbt. Die Pupillen sind gleich weil und reagieren auf 
Lichteinfall. Bei Annäherung des Lichtes unternimmt das Kind Orcif- 
bew egungeti. Der Bmdehaiitretlex ist beiderseits vorhanden. 

Der Brustkorb ist jassiornug, die Nerdickung der Rippenknorpel 
ist nicht aufiaihg. An den inneren Oigaiien sind keine abnormen Be¬ 
funde. Die Knieselmeiiretleve sind eben nachweisbar. Eussklonus 
ist nicht vorhanden. 

Bestreichen vier Fussnhle bewirkt rechts Mrgckung der Zehen 
(Ba bi ns kib Empfindung auf Berührung und Mkmcrz mt vor¬ 
handen. Die Nahrungsaufnahme ist normal. 

Die Augenuntersuchung »wiederholt v orgeiiorntneti durch Herrn 
(ieh. Rat S c h m i d t - R i rn p I e r) ergab foiguulcs: Die Augen¬ 
bewegungen sind nach oben zu bcvhr.mkt. Die Aug.tpfel meist muh 
links gedreht. Beule Augaple! fühlen suh gesp.omt au. 

An vier Sehnerv enpapille ist keine Abnormität festzusteden; sie 
ist normal gefärbt, nicht vorgeWoll)t. Die (ictnsse vks Au»:enhmter- 
grundes sind gut gelullt. Der Augeiilimtergrund enthalt vvemg 
I hginent. 

Operation am 11. Juli l'xis; Am lateralen Rande der grossen 
Fontanelle rechts wird ein bogenförmiger, etwa 4 cm langer Mhmtt 
durch Haut. Periost »geführt und die Dura un Bereuh der rechten 
Hallte der Fontanelle an einer venenfreien Meile eroünet. In diese 
Oeffnung wirvi nun eine in Form einer Ms r t e■nbiattsonde ange fertigte 
Kanüle mit ohverifor migem Knöpfende parallel vier Hir fiobv.-rti.ig he bis 
zur Ealx eiugefuhrt und au dieser entlang muh unten so weit vor¬ 
geschoben. bis Liquor sich entleert. Dieser fiiesst aber nicht durch 
das Lumen des emgefuhrten kleinen Rohres, sondern nebenbei in 
reichlicher Menge ab, was sich i.i nach phs sik.bisc hc n Regem 
auch ohne weiteres erklärt. Das mit knopitor ungern Ende ver¬ 
sehene Röhrchen hat beim \ or schieben durch den otrenbar sehr ver- 
dunnten Balken in diesen ein grosseres l.odi gistosseii. als dem Ka¬ 
liber des dem Knopf folgenden Rohrcheiiabschmttes entspricht. Der 
Liquor entleert sich deshalb bequemer neben dem Rohr, ais durch 
dessen Lumen. Nachdem ca. dir ccm Flüssigkeit abgetiossen und vbe 
Punktioiisofiiiung im Balken entsprechend erweitert ist. wird die 
Kanüle entfernt, das Perikiamum sowie vlie \\ eichiebw unde durch 
Naht geschlossen. 

Die (iegend der Fontanelle erscheint midi der Operation ein¬ 
gesunken. nicht, wie früher, vorgewolbt. Dieses Emgesnnkenseiri 
bleibt auch wahrend vier midisten läge bei gutem \ bgemv. inbi imJcfi 
des Kindes, vlas vlie Brust der Amme vom 2 . Jage nadi der Operation 
mit regem Appetit nimmt, bestehen. Zugleich zeigt ehe Fontanelle 
sehr viel deutlichere Mir npulsation wie vor der Operation, und 4 läge 
nach vier Punktion erscheint vlas Kind lebhatter und reger wie vorher. 
Ob auch hier vlas Resultat nachhaltig sein. d. h. die (»erniung im 
Balken zur Kommunikation des Liquor vier \ entrikel und vles Mih- 
durallaumes bestehen bleiben wirvi. kann erst die weitere Beob¬ 
achtung des Falles lehren. 

Der \\ unvlver lauf war auch hier durchaus normal. Ehe Nahte 
wurden am (>. Jage entfernt. 

Die unter I 3 mitgeteilten Fälle konnten im vorhinein 
nicht gerade als günstige bezeichnet werden. Sie sind aber 
doch geeignet, zu erweisen, dass die vi»rgeschlageiie Operation 
gut durchführhar ist, dass sie vmi Patienten ohne Nachteil 
vertragen wird, ja es kann ansgesagt werden, dass in allen 
3 Fällen subjektiv und obiektiv eine belangreiche Besserung 
erzielt worden ist. 

Der Fall J. betraf einen Hydm/ephalus mit Schweren 
Bewegungsstörungen und eine Reihe von Symptomen, 
welche wir auf Druck unJ Aplasie des Kleinhirns be¬ 
ziehen konnten. Trotzdem wurde der kleine Kranke naJt der 
Operation unzweideutig verändert. Er war bald imstande, 


zea 


~6o gle 


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II. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1677 


sich selbst aufzurichten, an dem Bettrand sich aufzusetzen und 
wenigstens eine Mithilfe bei der Lokomotion zu leisten. Es 
war weiterhin zweifellos, dass die Apathie einer grösseren 
Regsamkeit gewichen ist, dass er für die Unterredung zugäng¬ 
licher und tauglicher wurde, insbesondere dass seine Ant¬ 
worten weniger verlangsamt und präziser geworden sind. 
Dergestalt wurde er auch geeigneter für die weitere, ortho¬ 
pädische Behandlung. 

Der Fall St., nicht lokalisierbarer Tumor mit Atrophie des 
Sehnerven nach Stauungspapille, also ein Fall, bei dem sich 
die ärztliche Hilfeleistung gewöhnlich resigniert vorbeizu- 
schleichen pflegt. Hier haben die intensiven Kopfschmerzen 
bisher dauernd sistiert, das Erbrechen' hat aufgehört, ebenso 
ist das Schwanken beim aufrechten Gang gebessert. Der 
Kranke ist in seinem ganzen Sensorium freier geworden. Die 
Druckentlastung ist evident und braucht nicht durch Lumbal¬ 
punktion bestätigt zu werden. Hier ist wohl die Annahme ge¬ 
rechtfertigt, dass die Erblindung durch Stauung vermieden oder 
wenigstens hinausgeschoben wäre, wenn die Operation um ein 
Jahr früher stattgefunden hätte. In diesem Falle bleibt aller¬ 
dings noch übrig, die nunmehr frustrierter gewordenen Klein¬ 
hirnsymptome zu verwerten: durch eine Punktion des Klein¬ 
hirns den Ort d-es (nicht malignen) Tumors zu bestimmen und 
eventuell an die Exstirpation der Ursache, nämlich der Kleine 
hirngeschwulst heranzutreten. Der Fall ist deswegen be¬ 
merkenswert, weil er eben häufig vorkommt. 

Wie oft unterbleibt die Trepanation und die Ausschaltung 
eines Tumors, weil er nicht präzis lokalisiert werden kann; 
während dieser Zeit des Zauderns aber vollzieht sich das 
wesentliche Unglück, nämlich die totale Erblindung. 

Es wäre also von eminentetn Vorteile, bei Behandlung der 
Tumoren, wenn es wenigstens gelänge, die Erblindung be¬ 
trächtlich hinauszuschieben, bis die Oertlichkeit erkannt und 
die Gedanken des Arztes geklärt sind. Jedenfalls wurde auch 
in diesem Falle Beachtenswertes geleistet. 

per zweite Fall Rz. ist desgleichen kein günstiger; schon 
deswegen nicht, weil er diagnostisch nicht klar war. Die hart¬ 
näckigen Kopfschmerzen mit Neuritis optica ohne lokalisier¬ 
bare Symptome Hessen an irgend eine Intoxikation oder an 
seröse Meningitis denken. Bei der Probetrepanation schien 
sich die letztere Diagnose zu bestätigen, denn die Gefässe der 
zarten Hirnhäute waren von weisslichen Streifen umgeben. 

Wir wollen den Fall zunächst verweisen in jene Sammel¬ 
gruppe, welche von Nonne, Weber u. a. als Pseudotumoren 
beschrieben wurden. Auch hier wurde zunächst erreicht, dass 
die nach Tagen progressive Abnahme des Sehvermögens auf¬ 
gehört hat und dass die schweren Kopfschmerzen verschwun¬ 
den sind. Falls unsere Diagnose richtig ist, dann kann erhofft 
werden, dass die Meningitis serosa, wie so oft beobachtet, sich 
allmählich zurückbildet und dass inzwischen das Sehvermögen 
keine weitere Einbusse erleiden wird. Auch im Falle eines Re¬ 
zidivs steht zu erhoffen, dass die Folgen für das Sehvermögen 
nicht so verhängnisvolle sein werden und dass die intensiven 
Kopfschmerzen und die Benommenheit wegen ausbleibender 
Stauung viel milder sich gestalten. 

Nach den obigen Erwägungen und nach den — durch das 
Material leider begrenzten — Erfahrungen erachten wir uns 
berechtigt, für die beschriebenen Operationen folgende Er¬ 
krankungen in Vorschlag zu bringen: 

1. Hydrozephalus. 

Hierbei wird durch die mangelnde Kommunikation die 
Ventrikelflüssigkeit vermehrt und die Gehirnhöhlen erweitern 
sich in grossen Dimensionen. Dadurch wird das gesamte 
Grosshirn, besonders die Marksubstanz, expandiert, gedrückt 
und atrophisch, und dadurch eine schwere Schädigung der gan¬ 
zen Gehirnanlage hervorgerufen. Bei Kindern, wo der Schädel 
noch vom Gehirn aus geformt wird, kommt es mitunter zu 
kolossalen Schädelvergrösserungen. Durch die vorgeschlagene 
kompensatorische Oeffnung im Balken wird voraussichtlich 
jenes Resorptionsgebiet ganz beträchtlich erweitert, nach wel¬ 
chem zu die Ventrikelflüssigkeit ausweichen kann. 

2. Tumoren mit Hydrozephalus und Stau¬ 
ungsneuritis. 

Auch hier wird bei entsprechender Lokalisation der Ge¬ 
schwulst die Ventrikelflüssigkeit abgesperrt von der Kommuni¬ 


kation und — wie trotz Adamkiewicz vielfach er¬ 
wiesen ist — unter erhöhten Druck gesetzt. Das Grosshirn 
mit den Windungen wird platt gedrückt und an den Schädel 
gepresst . Der Schädel wird verdünnt und sogar stellenweise 
lückenhaft. Die siubdurale Flüssigkeit weicht bis in die peri¬ 
vaskulären Scheiden aus, welche sie erweitert; durch alle diese 
Folgen wird begreiflicherweise die Tätigkeit des Grosshirns 
schwer geschädigt. Frühzeitig gibt es hier Stauung nach der 
Sehnervenscheide und konsekutive Erblindung. Auch hier er¬ 
heischt es der Gesamtzustand des Gehirnes dringend, dass 
durch eine kompensatorische Oeffnung der Ventrikelflüssigkeit 
ein viel weiteres Kommunikationsgebiet ermöglicht wird. 

Wenn damit auch noch nicht die Grundursache, das ist die 
Geschwulst, hinweggeräumt ist, so steht doch zu erwarten, 
dass hiermit neue diagnostische Anhaltspunkte gewonnen wer¬ 
den, dass weiterhin die Zeit der Erblindung hinausgeschoben 
wird, bis durch die Symptome und durch die lokale Gehirn¬ 
punktion der Ort und die Art der Geschwulst eruiert sind. 

3. Hypertrophie des Gehirnes. 

Diese Krankheit besteht sicher häufiger, als sie beschrie¬ 
ben ist. Unsere Kenntnisse von den Entwicklungsstörungen 
gestatten die Annahme, dass Gehirn und Schädel sich keines¬ 
wegs proportional und harmonisch im Wachstum entwickeln. 

Es ist gewiss nicht Zufall, dass weitaus die grösste Zahl 
der enorm hypertrophischen Gehirne (bis 2800 g) Epilepti¬ 
kern angehörten. Unsere bisherigen Erfahrungen haben uns 
gezeigt, dass bei genuiner Epilepsie der Schädel häufig ent¬ 
weder papierdünn oder ganz ungewöhnlich verdickt bei den 
Trepanationen erschien. Im ersteren Falle waren auch sonst 
die Symptome der Raumbeengung des Schädelinhaltes nach 
dem Tode nachweisbar. 

In solchen Fällen kann wohl für das dauernd oder zeit¬ 
weilig beengte Gehirn nicht anders Raum gewonnen werden, 
als nach den Ventrikeln zu, wenn der Ventrikelflüssigkeit die 
Möglichkeit geschaffen wird, entsprechend auszuweichen. 

4. Endlich kommen hier jene vielfachen Erkrankungen mit 
Raumbeengung des Gehirns in Betracht, welche mit dem Sam¬ 
melnamen des Pseudotumors zusammengefasst sind. 

Viele davon scheinen nach N o n n e s Beschreibung auf 
Ueberresektion im Ventrikel zu beziehen zu sein, eine andere 
Kategorie scheint zu Meningitis serosa nach Böninghaus 
zu gehören. 

Wie weit dabei das allgemeine und das umschriebene Ge¬ 
hirnödem mit in- Betracht kommt, muss weiteren Unter¬ 
suchungen überlassen bleiben. 

Desgleichen sind wir in der Lage für weiterhin zu erörtern, 
wie der Gefahr eines falschen Weges vorzubeugen ist in Fällen 
von Tumoren im oder nahe dem Balken sowie in jenen Fällen, 
wo die Gehirnschwellung zu einer Kompression der Ventrikel 
geführt hat. 


Aus der medizinischen Klinik in Göttingen. 

Wie prüfen wir in der Sprechstunde die Funktion des 
Herzens? 

Von Professor Dr. Waldvogel. 

Von- einer für die Sprechstunde idealen Funktionsprüfung 
des Herzens werden wir verlangen müssen, dass der durch die 
Systole geschaffene Kraftzuwachs in Zahlen bestimmbar ist, 
dass Einflüsse des Herznervensystems ausgeschaltet werden, 
dass die Methodik derselben relativ einfach und für die Sprech¬ 
stundenpraxis geeignet ist. Diese Gedanken leiteten mich, als 
ich im Oktober vorigen Jahres anfing, den systolischen Blut¬ 
druck in der horizontalen Lage und gleich darauf im Stehen 
zu bestimmen und zwar stets am Schluss der Untersuchung. 
Ich übergebe die an 130 Patienten der medizinischen Poliklinik 
gewonnenen Resultate der Oeffentlichkeit, um festzustellen, 
ob diese Methodik sich zu einer Funktionsprüfung des Herzens 
eignet. Ueber den Wert der Bestimmung des systolischen 
Blutdrucks als Kraftmass für die Leistung des linken Ven¬ 
trikels werden sich Diskussionen kaum erheben. Eine andere 
Frage war, ob diese einfache Veränderung der Körperhaltung 
als Arbeitseinheit genügend grosse Ausschläge bei der Messung 
des systolischen Blutdrucks ergibt. Wir werden an den mit¬ 
geteilten Zahlen sehen, dass das in der Tat der Fall ist. Unter- 


Digitized b' 


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1678 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 82. 


suchungen gerade der letzten Zeit haben ja ergeben, wie gering 
die körperliche Leistung sein kann und wie deutlich trotzdem 
Ausschläge in der Pulszahl, ja der örösse des Herzens zutage 
treten. Wenn dieser Ausschlag des systolischen Hlutdrueks 
beim einfachen Erheben aus der horizontalen Lage zum Stehen 
so deutlich hervortritt, so hat diese Arbeitsleistung als Mass 
vor den bislang geübten Methoden den Vorzug einmal, dass sie 
nie zur Ueberanstrengung des Herzens führen kann, ferner 
dass nervöse Einflüsse fast völlig ausgeschaltet sind und dass 
diese Arbeitsleistung für alle Menschen die gleiche ist. Nur 
bei Aerzten, denen der Zweck der Methodik bekannt war und 
die ausserordentlich leicht erregbar waren, kam ich mit der Be¬ 
stimmung erst zum Ziel, wenn ich die grossen Schwankungen 
ihres systolischen Blutdrucks durch Ablenkung beseitigen 
konnte. Bei den bislang zur Prüfung der Herzfunktion heran- 
gezogenenEinwirkungen liegen die störenden Momente w ie z. B 
bei der Arbeit am Ergostaten, dem Aufenthalt im Kohlensäure- 
bad, einmal in der langen Dauer derselben, in der verschiedenen 
Art der Ausführung der Arbeit, in der nicht auszuschaltenden 
Mitwirkung der Psyche und in den unübersehbaren Ver¬ 
änderungen der peripheren Gefasst* namentlich bei Bädern. 
Bei meinem Verfahren wird den auf einem 60 cm hohen Sofa 
liegenden Patienten die R e c k I i n g h a ti s e n sehe Binde 
umgelcgt, das Manometer von R i v a - R o c c i auf die Herz¬ 
gegend gestellt. Der Patient hält das Manometer mit der freien 


1 Hand, man bestimmt schnell zweimal hintereinander den 
systolischen Druck. Dann fordert man den Patienten ruhig auf. 
aufzustehen, er hält das Manometer mit der freien Hand m Herz¬ 
hohe. man bestimmt wieder an dem schlapp herahhangerden. 
im Ellbogen gebeugten, vom Entersuclicr am Handgelenk ge¬ 
stützten Arm schnell zweimal den systolischen Druck. 
Diese Schnelligkeit ist notwendig, weil sehr bald der ursprüng¬ 
lichen Steigerung resp. dem (ileichbleiben des Drucks rach dem 
Erheben eine Senkung folgt. 

Ich habe nun, um test/nstellen, wie das normale und das 
pathologische Herz auf diese Eimktu nsprtifung reagieren, 
Bestimmungen ohne Wahl an gesunden und mit den ver¬ 
schiedensten Krankheiten behaftete” Menschen vorgenannten 
und es wird daher aus den folgenden dm Resultate ei tlhi’:en¬ 
den Tabellen hervorgehen k<»ne.en. welche Zahlen für d.e 
Leistungsfähigkeit des Herzmuskel* als Norm zu gelten haben 
und ob sich eventuell für die verschiedenen Aeti"|ngieii der 
Erkrankungen des Herzmuskels bestimmte Reaktionen ergeben. 
Die erste Tabelle eii’liab die Angaben bei gleiJlbleibendem 
syst! Iisehen Blutdruck im Liegen und im Stehen. 

Was die Zahlen unter „Her/grosve“ anlargt. so sa d sie 
mit der E b s t e i n sehen Resistcii/bcstimmuug gewonnen, 
deren völlige Eehercinstimmung mit den Zahlui dis normalen 
Orthodiagramms ich stets feststellte. Sie bezeichnen d;e Ent¬ 
fernung von der Mitte des Sternums. 


Tabelle 1. (j 1 c i c h b I c i b c n d c r Bruck. 


Fortlauf. 

No. 

Druck¬ 
zahlen 
im Liegen 
u. Stehen 

Diagnose 

1 

1 

Herzgrösse 1 

Puls 

Auskultationsbefund 

1 

i 

Bemerkungen 

1 

105-105 

Abgelaufene Tuberkulose, Ein- 

l. u r. dilatiert 

regelmässig 

Humple I oue 




physem, Arteriosklerose 





2 

, 130-130 

Arteriosklerose, Koprostase 

1. 1(1,5 cm, r. 5,0 

104, regelmässig 

l nreiner 1. Ton. Beringe Ver- 







Stärkung des 2. Pulmonaltuns 


3 

120—120 

Arteriosklerose 

1. 8,5, r. 0,5 

110 

Reine loiie 

Herz nach r. ver/ogen 

4 

1 10—110 

Adipositas, Arteriosklerose 

1. 9,0, r. 0,5 

92 

Svst"|. Berausch an der Basis. 







verstärkt. 2. 1 hilmon.ilton 


5 

105-105 

Hysterie 

normal 

-- 

Humple lune 


6 

140 140 

Anämie, Hysterie 

normal 


keine I une 


7 

110-110 

Bronchitis, Arteriosklerose 

1. 9,0, r. 0,0 

92 

keine 1 une 


8 

170-170 

Adipositas, Arthrit. rheum. 

nicht zu bestimmen 

— 

keine dumple luiie, 2. Aurten 




chron., Arteriosklerose ! 



tun etwas verstärkt 


9 

115—115 

Koprostase 

normal 

90 

— 


10 

110 — 110 

Adipositas, Arteriosklerose, 

1. verbr., r. normal 

104 

1. Tun unrein 


11 

120-120 

(lastroptose 

Hysterie Bronchitis 

normal 


1. Tun etwas unrein 


12 

155 -155 

Alkoholismus, Arteriosklerose 

1 15,5, r. o 


1 kule 2 1 um- \ erstar kt 

1 >uivh l.ungenschrumptg. 







Her/ nach 1. ver/ugen 

J3 

135—135 

Hysterie 

normal 

— 

2. \urtentun etwas verstärkt 


14 

140-140 

Adipositas, Alkoholismus 

1. normal, r. \cil>r 

— 

2. Bulmunaltun verstärkt 


15 

115—115 

, Chlorose, Koprostase 

normal 

— 

Sv stoliM.lies (lerausdi 



Unter diesen 15 Fällen sind 2 (No. 8 und 12) mit abnorm 
hohen Anfangswerten 18 Proz., bei Adipositas und bei 
Arteriosklerose, die Grenze des normalen Druckes wurde bei 
140 mm angenommen. Die Herzgrösse war normal in 7 Eällen, 
in 2 weitern zeigte der linke Ventrikel keine Verbreiterung, 
normal grosser linker Ventrikel fand sich demnach in 9 von ( 
14 Fällen — in einem war die Grösse des Herzens unbestimm¬ 
bar —, das ist in 64 Proz. 

(Tabelle 2.) 

Uebcrblicken wir die Daten dieser Tabelle, so erkennen , 
wir, dass die Erwartung, eine Blutdrucksuikung sei das 
Zeichen von Insuffizienz des linken Herzens, sich nicht be¬ 
stätigt. W 7 ir finden unter den 18 Patienten mit allerdings nur 
5 mm betragender Senkung des systolischen Blutdrucks nach 
dem Aufstellen 12 mit normal grossen Herzen, ein linker Ven¬ 
trikel ist bei Skrofulöse verkleinert (Fall 7), das sind 66* Proz., 
also ebensoviel wie bei den Patienten mit gleich bleibendem 
Druck. In 2 Fällen (8 und 12) sind die W erte für den Blutdruck 
hoch bei Schrumpfniere und Hypcrglobulic, das ist in 11,1 Proz., 
auch hierin wieder gute Ucbereinstimiming mit den Resultaten 
in Tabelle 1. Dass wir es hier trotz der Senkung des systo¬ 
lischen Blutdrucks beim Uebergang in die aufrechte Stellung 
mit normal funktionierenden Herzen zu tun haben, diese Ansicht 
wird ferner gestützt dadurch, dass die Pulszahlen m der 2. Ta¬ 


belle normaler sind als in der ersten, dass weniger Abnormi¬ 
täten der Tone notiert sind bei den Patienten tmt Senkung um 
5 mm als bei denen mit gleiclihk ;lu ink m B’iitdriuk, dass 
mehrere Patienten in dieser zweiten Tabelle auJi sonst völlig 
gesund sind, und durch die Kontrolle mittels der Alteration 
der Pulszahl bei bestimmten Bewegungen (entsprechende Er¬ 
höhung der Pulszahlen nach 6 Kniebeugen. nnJi k 1 Minute 
Pulszahl etwas niedriger als zu Begum der Prüfung). In 
2 Bällen (4 und ln) wurde e.aJi 14 lagen ehe I>ruckmessiing 
wiederholt und ergab Gleichheit desselben im Biegen und 
Stellen; im 8. (12. tlyperglnbulie und Adipositas) stieg bei der 
nach 14 Tagen vorgenommeneu W lederbe^tmimung der Druck 
im Stellen um 15 mm. Her\ orge hoben zu werden verdaut 
bei der Mitralinsuffizienz der Widersprach zwischen den \om 
reellteil Ventrikel ausgehenden Mniiiij.gsersJk mutigen und der 
erhaltenen Funktion des Imkern \enti:keN. 

■ Tabelle T) 

Während unter eien Fallen mit gle i JiMe ibei äem Pnuk 
lind unter denen mit 5 mm Senkung nach dem Aufstehe n sich 

18 und 11 Pro/, mit pathologisch erhöhtem DruA im Liegen 
finden, beträgt die a 1 Zahl hier |o Proz. Euter den 82 Patienten 
dieser Tabelle sir.J n< di 5 mit normal grossem He izer, d.i/ti 
noch einer irti' normal gn sson Imker \e: tr,kel; das s j 

19 Broz. mit in rmalem linken \em:T I. Et .ruh die Ab- 


gle 


~-Original frörri- 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 








11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1679 





Tabelle 2. 

Senkung um! 

5 mm. 


'S . 
So 

tz 

Druck¬ 
zahlen 
im Liegen 

Diagnose 

Herzgrösse 

Puls 

Auskultationsbefund 

Bemerkungen 

£ 

u. Stehen 





i 

l 

1 120—115 

Taenie 

normal 


Reine Töne 


2 

135-130 

Icterus catarrhalis, leichte 

normal 

72 

Reine Töne 



i 

Arteriosklerose 





3 

! 225 -220 

Schrumpfniere, Urämie 

r. u. 1. verbr. 

— 

Dumpfe Töne 


4 

| 135—130 

Arteriosklerose Bronchitis 

1. 9,0 r. 4,5 

— 

Svstol. Geräusch an der Basis, 

Nach mehreren Wochen 






2. Aortenton verstärkt 

Nephritis acuta. Druck 


1 





165-165. 

5 

140—135 

Hysterie 

normal 

— 

Systol. Geräusch an der Basis, 






verstärkt. 2. Pulmonalton 


6 

: 135—130 

Anämie, D.latat. cordis 

r. u. 1. verbr. 

— 

1. Ton unrein, 2. verstärkt 


7 

j 130-125 

Skrofulöse 

1. 8,2, r. 3,3 

— 

Svstol. Geräusch, 2. Pulmonal- 


8 

105-100 

Chlorose 

normal 

_ 

ton klappend 

Reine Töne 


9 

j 110-105 

Phthisis pulmonum et laryngis 

normal 

152 

Reine Töne 


10 

110—105 

Anämie, Koprostase" 

1. verbr. 

88 

Unreiner 1. Ton, 2. Pulmonal¬ 

2. Bestimmung nach 14 





ton verstärkt 

Tagen 110—110. Puls 
nach 6 maligem Aufrichten 
92. 


ii i 

135—130 

Anämie, Mitralinsuffizienz 

1. u. r. verbr. 

148 

Systol. Geräusch, 2. Pulmonal¬ 
ton klappend 

Zyanose, kühle Extremi¬ 
täten, Leber vergrössert, 






druckempfindlich. 

12 

195—190 

Adipositas, Hyperglobulie 

1. u. r. verbr. 

— 

Reine dumpfe Töne 

2. Best. 185—200 nach 

14 Tagen 

13 j 

140-135 

Beginnende Arteriosklerose, 

normal 

_ 

2. Aortenton verstärkt, 



Hysterie 



1. Aortenton unrein 


14 l 

110—105 

Nihil 

1. 9,0, r. 4,0 

— 

Schwaches systol. Geräusch 


15 

130-125 

Pharyngo-Laryngitis, Arterio¬ 

1. u. r. verbr. 

80 

Dumpfe Töne 

Nach 6 Kniebeugen Puls 
108, nach ‘/ 2 'Min. Ruhe¬ 



sklerose 










lage 72. 

16 

125-120 

Nihil - 

1. 9,0, r. 4,0 

72 

Unreiner 1. Ton 

Nach 6 Kniebeugen 88, 
nach 1 Min. Ruhe 68 Pulse. 

17 

125-120 

Alte Perikarditis, Pleuritis 

normal 

100 

Reine Töne 

Nach 6 Kniebeugen 120. 



adhaesiva, Neurasthenie 



.nach 1 Min. Ruhe 96 Pulse. 

18 

140—135 

Koprostase 

normal j 

— 

Reine Töne | 



nähme der Zahl der normal grossen linken Herzen gegenüber 
den beiden, ersten Tabellen eine eklatante, so muss sich doch 
die Frage erheben, ob wir nun in jedem Fall von Blutdruck¬ 
senkung um 10—20 mm eine geschädigte Funktion des Herzens 
annehmen dürfen, wenn es sich bei einem solch relativ hohen 
Prozentsatz um Herzen handelt, deren Grösse völlig normal 
ist. Normal gross ist der linke Ventrikel aus Tabelle 3 in den 
Fällen 1, 11, 13, 18, 24 und 28, die entsprechenden Werte für 
den Blutdruck im Liegen und Stehen sind 120—110, 110—90, 
130—120, 125—105, 135—118, 130—120. In 3 von diesen Fällen 
beträgt die Senkung nur 10 mm, in 2 von diesen (13 und 28) ist 
das Herz wohl als absolut intakt anzusehen. Im 3. (No. 1) 
mit Pericarditis tuberculosa erholt sich das Herz später, wir 
bekommen nur 5 mm Senkung, dementsprechend tritt jetzt eine 
physiologische Pulsbeschleunigung nach 6 Kniebeugen ein, 
während bei der ersten Prüfung durch 6 Kniebeugen nur eine 
Beschleunigung um 8 Pulse erzielt wurde. Letzteres ist jeden¬ 
falls auch ein Zeichen gestörter Funktion, womit übereinstimmt, 
dass die bei der ersten Untersuchung gefundene Senkung eine 
pathologische war, während bei der zweiten Bestimmung die 
normale Senkung von 5 mm eintrat. Die Zahl 10 ist also wohl 
die physiologische Grenze der normalen Senkungswerte für 
den systolischen Blutdruck im Liegen und im Stehen und wie 
alle physiologischen Grenzen unscharf. Das wird schon illu¬ 
striert durch den Fall von Pericarditis tuberculosa, vor allem j 
aber dadurch, dass unter den übrigen 8 Fällen mit 10 mm 
Senkung 6 ein beiderseits verbreitertes Herz, 2 eine Ver- 
grösserung des linken Ventrikels aufweisen, dass in 6 von 8 
Arteriosklerose der Gefässe bestand, dass in 3 Fällen der An¬ 
fangsdruck pathologisch gesteigert war, in 4 Geräusche resp. 
unreine Töne bestanden, in einem der Puls irregulär und in¬ 
äqual war. Ich bin mir bei dieser Beweisführung be\vusst, 
dass der Nachweis einer Funktionsuntüchtigkeit des Herzens 
durch den objektiven Befund an Herz und Gefässen Einwände i 
möglich macht, aber ich konnte mich nicht entschliessen, meine j 
Funktionsprüfung in allen Fällen durch die bislang publizierten j 
Methoden anderer Autoren zu kontrollieren, da deren Richtig- 
keit mindestens ebenso wenig erwiesen ist, als die meiner, ja , 
die mir alle weniger ein^andsfrei erscheinen als meine. I 
Die beete Kon'trollmethode für meine Methodik bleibt die i 


Wiederholung derselben in einem Stadium, in dem das Herz 
objektiv und subjektiv durch therapeutische Massnahmen er¬ 
holt ist, nachdem vorher meine Funktionsprüfung eine Ver¬ 
minderung der Herzkraft ergeben hatte. Solche Gelegenheiten 
haben sich mir einige Male geboten, aber gerade in dieser 
Richtung sind weitere Prüfungen erwünscht. 

Eine Senkung des Blutdrucks um 10 mm beim Erheben aus 
der horizontalen Lage kann also physiologisch und pathologisch 
sein. Wir haben nur noch die Frage zu beantworten, wie sich 
in der Tabelle 3 die Fälle 11, 18 und 24 erklären, bei denen 
der systolische Blutdruck um mehr als 10 mm sank, ohne dass 
der Befund am Herzen diesem Resultat entsprach, ln Fall 11 
besteht eine progressive Paralyse, vielleicht ist diese Krank¬ 
heit die Ursache der starken Senkung von 20 mm bei intaktem 
Herzen; in Fall 18 erschwerte Adipositas die Untersuchung des 
Herzens; in Fall 24 glaube ich ebenfalls, dass der linke Ven¬ 
trikel nicht intakt war, zumal Arteriosklerose vorliegt. Diese 
Ausnahmen werden uns demnach nicht berechtigen, von dem 
Satz abzugehen, dass eine Senkung des systolischen Blutdrucks 
um 10—20 mm nach dem Aufstehen eine pathologisch ver¬ 
änderte Herzaktion anzeigt, während eine Senkung um 10 mm 
in einigen Fällen noch normal sein kann. Für die Richtigkeit 
des ersten Teils dieses Satzes spricht ausser den angeführten 
Tatsachen (hoher Anfangsdruck, abnorme Grösse des Herzens) 
ferner, dass in dieser Tabelle zuerst unter der Rubrik „Puls“ 
die Ausdrücke irregulär, inäqual, wenig gefüllt, niedrig, klein 
auftauchen, dass in einigen Fällen deutliche Stauungssymptome 
nachweisbar werden (4, 5, 6, 8), dass bei geeigneter Therapie 
die pathologische Senkung verschwand (Fall 1 und 30). 

(Tabelle 4.) 

Mit dieser Abtrennung in dieser Tabelle 4 haben wir offen¬ 
bar die insuffizienten Herzen bei vermehrtem Seitendruck aus 
einer ziemlich umschriebenen Krankheitsgruppe ztmmmen- 
gefasst; die Diagnosen in allen Fällen drehen sich nur um 
Arteriosklerose, Alkoholismus, Adipositas und Nephritis inter- 
stitialis chronica. Damit stimmt überein, dass der Druck im 
Liegen bei zwei Drittel aller Fälle in Tabelle 4 schon patho¬ 
logisch erhöht ist, das sind 66 *73 Proz.; in den ersten 3 Tabellen 
betrug diese Zahl 13, 11,1 und 19 Proz. Das Vorkommen 
solcher Fälle in den Tabellen mit glcichbleibendem Druck, mit 


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1680 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


Tabelle 3. Senkung um 10—20 mm. 


ll 

£ 

Druck¬ 
zahlen 
im Liegen 
u. Stehen 

• Diagnose 

Herzgrösse 

Puls 

Auskultationsbefund Bemerkungen 





irregulär u. inäqual 


1 

120—110 

Pericarditis tuberculosa 

normal 

76 

Perikarditisches (ieräusch Puls nach8 Kniebeugen 54 






2. Best, nadi 2 Monaten 






1! 5—1 ln. Puls nadi h 






Kniebeugen b>". Trauma 






10 läge \or d. 1. Best. 

2 

105—95 

Arteriosklerose 

1. verbr. 

irreg. 

Unreiner I. Ton am d Basis Hebender >pit/eiistoss 

3 

125-105 

Arteriosclerosis cordis 

1. 10, r. 5 

» _ 

Sehr dumpfe Dme 1 abakabusus 

4 

110-95 

Mitralinsuffizienz u. -Stenose, 

1. 13, r. 4 

128. klein 

l eberall (ieräusche Stauimgsharn. Mauungs- 



Aorteninsuffizienz 



bmiK hitis 

5 

130-115 

Emphysem, Arteriosklerose 

1. 12, r. 6 

80 

Nur 2. Tone hörbar. 2. Aorten- Stauung in den Mals- 






ton verstärkt umicii 

6 

125-105 

Arteriosklerose 

1. u. r. etw. verbr. 

— 

— Z\anosc 

7 

120—105 

Angina pectoris 

1. u. r. verbr. 

_ 

2. Tom* verstärkt 

8 

145-130 

Arteriosklerose, Hysterie 

1. u. r. verbr. 

— 

Acusserst dumpfe Tone Etwas Zyanose 

9 

140-120 

Alkoholismus 

1. u. r. verbr. 

niedrig, wenig 

l nremer 1. Ton 2. Best, nach 3 Wochen. 





gefüllt 

Digitalis. Ruhelage, Ab- 






stinenz. 1—b»5. 

10 

120—105 

Arteriosklerose 

1. verbr 

wenig gefüllt 

Sehr leise lone 2. Best, nach 0 Wochen 






liier : Ruhe u. Jod. 






1 15 - 1 ' * '. 

11 

110-90 

Paralvsis progressiva 

normal 

— 

Dumpfe Tone 

12 

140-125 

Arteriosclerosis cordis 

1. 13, r. 3 


Svstol.(ieräusch uberm Sternum. 1 abakabusus 






2. Aortenton verstärkt Her/ \er/<gen 

13 

130-120 

Hysterie 

normal 

— 

Reine lone 

14 

135-115 

Anämie, Dilatatio cordis 

1. verbr. 

niedrig, wenig 

Lauten svstol (ieräusch an der 





gelullt, 12o 

Basis 

15 

130—110 

Arteriosklerose 

1. u. r. verbr. 

— 

2. Aortenton verstärkt 

16 

135-125 

Arteriosklerose 

1. 11, r. 4,5 

— 

Tone dumpf, 1. unrein 

17 

135—125 

Dilatatio cordis, Koprostasc 

1. u. r. verbr. 

88 

Sehr diitnpie lone Trockene Bronchitis 

18 

125-105 

Adipositas 

1. norm., r. verbr. 

— 

Sehr duinpie lone 

19 

145-130 

Enteroptose. Beginn. Arterio- 

1. verbr., r. norm. 


l nremer 1. Ton 1 

20 

125-105 

Dilatat. et insufficientia cordis, 1. verbr., r. norm. 

i 

104, niedrig, wenig Unreiner 1. Ion, \ erst. 2. Pulm.- Hebender 8pit/enstoss 



Mitralinsuffizienz? 


gefüllt 

I Oll 

21 

125—115 

Hysterie, Dilatat. ventriculi 

1. verbr., r. norm. 


1. Ton etwas unrein 

22 

115-95 

Chlorose, Eragnientärer Base- 

1. verbr. 

88 

Unreiner 1. Ton. verst. 2 Pulm.- Nach (> maligem Aut- 



dow 



Ton richten b 2 Pulse 

23 

230—215 

Schrumpfniere, Emphysem 

1. u. r. verbr. 


Verst. 2. Aortenton. Sehr 






dumpfe lone 

24 

1 135-118 

Arteriosklerose 

normal 

— 

Verst. 2. Aorlcnton, 1. etwas 






unrein 

25 

; 155—145 

Arteriosklerose, Emphysem 

1. u. r. verbr. 

_ 

Reine lone 

26 

! 145-135 

Arteriosklerose 

1. u. r. verbr. 

irreg. u. inäqual. 

Reine Tone 

27 

: 175-165 

Diabetes mell. Arteriosklerose 

1. 11, r. 5 

— 

Keine Angabe 

28 

| 130-120 

Chlorose 

l. 9, r. 4 

100 

Reine lone Nach h Kniebeugen 14". 






nuc h 1 Mm. Ruin, b 1 ’u.se 

29 

110-97 

Arteriosklerose 

1. 10, r. 4 

— 

Unreiner 1. Ton, gespaltener 2. 






Diastolisches (ieräusch über d. 






Aorta 

30 

140-120 

Dilatatio cordis 

1. u. r. verbr. 

— 

I. Ton unrein, 2. Pulm Dm 4 läge vorher Radwett- 






klappend rennen. Druck nach 






Mtaguer Bettruhe 






; 185-13" 

31 

115-95 

Dilatatio cordis 

1. u. r. verbr. 

108 

2. Aorteiiton verstärkt 

32 

135-125 

Enteroptose, Cor adiposum 

1. u. r. verbr. 

— 

1 2. Aortenton verstärkt. 






1 1. unrein 




Tabelle 4. Senkung um mehr 

als 2ti mm. 


Druck¬ 



1 

i 

Jo 

tz 

zahlen 
im Liegen 

Diagnose 

Herzgrösse 

I Puls 

Auskultationsbefund Bemerkungen 

£ 

u. Stehen 



i 

1 


1 

120-95 

Arteriosclerosis cordis, 

1. u. r. verbr. 

niedrig, % 

Tone unhorbar Zvatn sc 



Bronchitis 


j 


2 

125-95 

Alkoholismus 

1. u. r. verbr. 

i 76 

— N.icil 14 lagen Bettruhe 

3 

215—180 

Schrumpfniere, Alkoholismus 

1. u. r. verbr. 

— 

— 115—115. nach weiteren 

4 

180-150 

Arteriosklerose 

normal 

beschleunigt, regel- 

Systolisches ( ieräusch über der 14 Tagen 1"s — 1"\ mich 





massig 

Aorta weiiereiil4lag.il"- ID*. 

5 

145-120 

Alkoholismus 

1. 10,5, r. 4,5 

irregulär. 

Unreiner 1. Ton 

6 

165-140 

Adipositas, Koprostasc, 

1 1. 10,5, r. 5,5 

84 

| — Starke Zvamse 



Arteriosklerose 



1 

7 

190—165 

Schrumpfniere, Emphysem 

1. verbr., r. norm 

88 

Unreiner 1. Dm, verstärkte 2. Diastolischer \cneiipuls 

8 

175-145 

Arteriosclerosis cordis, 

1. u. r. verbr. 

— 

1 Paukende Tone, 1. unrein 



Emphysem 

I 


I 

9 

180—155 

Adipositas, Arteriosklerose 

! 1. u. r. verbr. 

! — 

Leber Aorta svstol (ieräusch 

10 

135-105 

Alkoholismus 

1. u. r. verbr. 

— 

■ 2. Aortenton verstärkt 

11 

175—150 

Adipositas, Arteriosklerose 

1. stark dilaticrt, 

— 

Svstol. < ieräusch über d. Aorta. Minima’e » >{'.i!es/eip im 




1 r. dilatiert 


verstärkter 2. A"rtcut u l • m 

12 

125—95 

Adipositas 

| 1. u. r. verbr. 

76 

Dumpfe 'Dme 


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II. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1681 


Senkung um 5 mm zeigt, dass diese starke Senkung in dieser 
Tabelle 4 nicht die Folge des vermehrten Druckes im Gefäss- 
system allein sein kann; das Steigen der Prozentzahlen in den 
Talbellen 1, 2, 3 und 4 beweist, dass bei Arteriosklerose, Adi¬ 
positas, Schrumpfniere, Alkoholismus diese Art der Funktions¬ 
prüfung alle Uebergänge vom physiologischen Verhalten bis zu 
schwerer Insuffizienz des linken Herzmuskels aufdeckt. So ist 
denn auch unter diesen 12 Fällen der Tabelle 4 nur einer mit 
normal grossem Herzen = 8,3 Proz.; in den Tabellen 1, 2 
und 3 waren an normalgrossen Herzen 64, 66 2 /» und 19 Proz.; 


in 9 der 11 Fälle mit Verbreiterung ist <t*s Herz nach beiden 
Seiten verbreitert. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Pulse 
die Insuffizienz nicht erkennen lässt, si£ kommt der normalen 
nahe; wir wissen, dass das bei den erwähnten Krankheiten 
ein häufiges Ereignis ist. Interessant ist das Verschwinden 
der grossen Druckdifferenz im Fall 2 nach Entziehung des 
Alkohols und nach Einhaltung der Ruhelage; durch die wieder¬ 
holten Bestimmungen mit demselben Resultat wird die Exakt¬ 
heit der Methodik dargetan. Die stärkste Senkung beträgt 
35 mm in Fall 3 (Schrumpfniere, Alkoholismus). 


Tabelle 5. Steigender Druck um bis 10 mm. 


h 

i 

DruCk- 
zahlen 
im Liegen 
u. Stehen 

Diagnose 

Herzgrösse 

Puls 

Auskultationsbefund 

Bemerkungen 

l 

110-120 

Neurasthenie 

1. 9,0, r. 4 


Unreiner 1. Ton 

Hebender Spitzenstoss 

2 

115—125 

Arteriosklerose, Koprostase 

normal 

normal 

1. Ton unrein, verst. 2 Pulm.- 
Ton 

Dumpfe Töne 

3 

130-135 

Emphysem, Arteriosklerose 

1. u. r. dilatiert 

_ 


4 

110—115 

Phthisis pulm., Arteriosklerose 

normal 

— 

— 


5 

135—140 

Arbeitshypertrophie d. Herzens 

1. 10,5, r. 5,0 

128 

Systol. Geräusch, verstärkter 
2. Pulm.-Ton 

Schlosser. 2. Best, nach 
14 Tagen 135—145,3. Best. 
5 Mon. später 130—140, 
Puls 88, nach 6 Knie¬ 
beugen 108, 1 Min. spät 88 

6 

110-115 

Adipositas 

1. 10,0, r. 7,5 

68 

Dumpfe Töne 

7 

110—120 

Hysterie, Herzneurose 

normal 

— 

Dumpfe Töne 


8 

125—135 

Mitralinsuffizienz 

1. dilatiert 


Systol. Geräusch, verstärkter 
2. Pulm.-Ton 

Puls dikrot, wenig ge¬ 
füllt. Stark erweiterte 
Halsvenen. Dyspnoe 
trocken. Bronchitis, Leber 
vergrössert 

9 

115—120 

Koprostase, Anämie 

normal 

_ 

Dumpfe Töne, unreiner 1. 

10 

140-150 

Arteriosklerose 

1. dilatiert 

— 

Dumpfe Töne 

Nikotinabusus 

11 

160—165 

Adipositas, Arteriosklerose 
Alkoholismus, Bronchitis 

normal 

— 

Reine Töne 


12 

115-125 

1. u. r. verbr. 

96, wechselnd in 
Füllung und Span- 

Reine, dumpfe Töne 


13 

145—150 

Mitralinsuffizienz 

1. u. r. verbr. 

irreg. u. inäqual 

Systol. Geräusch, verstärkter 
2. Pulm.-Ton 

Zyanose, Halsvenen¬ 
stauung 

14 

115—120 

Arteriosklerose, Emphysem 
Skrofulöse, Koprostase 

1. verbr. 


2. Aortenton verstärkt 

15 

130—140 

I. stark dilatiert 

— 

Systol. Geräusch, laut klap¬ 
pender 2. Pulm.-Ton 

Als Landwirt schwer 
arbeitend 

16 

120—125 

Adipositas, Koprostase 

1. u. r. dilatiert 

108 

Dumpfe Töne 


17 

110 115 

Anämie, Koprostase 

1. 9,0, r. 4,0 

80 

Ueber d. Basis lautes systol. 
Geräusch 

Systolisches Geräusch 


18 

115—125 

Anämie 

1. 10,0, r. 5,0 

72 

Undulierende Halsvenen. 

19 

110-115 

Anämie 

1. 12, r. 4,0 

80 

Unreiner 1. Ton 

Dyspnoe 

Hebender Spitzenstoss 

20 

125—135 

Hysterie, Psoriasis vulg. 

normal 

— 

Systol. Geräusch, leicht ver¬ 
stärkter 2. Pulm.-Ton 

21 

125—130 

Anämie, Enteroptose 

Dilat. ventriculi atonica, Hyper¬ 
azidität 

normal 

84 

Systol. Geräusch a. d. Basis 


22 

120—125 

normal 

— 

Reine Töne 


23 

125—130 

Bronchitis, Arteriosklerose 

I. verbr. u. ver¬ 

76 

2. Aortenton verstärkt 


24 

110—120 

Hysterie 

längert 

Geringe Verbr. 1. 

100 

Unreiner 1. Ton 

Nach 6 maligem Auf¬ 
richten 100 Pulse 
Nach 6 Kniebeugen 96, 

1 Min. später 7o Pulse 

25 

140-145 

Koprostase, Neurasthenie 

normal 

80 

- 

26 

110—115 

Bronchitis acuta 

normal 

— 

Unreiner 1. Ton 

27 

85—90 

Alkoholismus 

l. u. r. 1 cm verbr. 

68 

Systolisches Geräusch 


28 

160-165 

Nephritis par. chronica 

1. 10,0, r. 4,0 

irreg. u. inäqual 

— 

Starke Zyanose, diastol. 
Venenpuls 

Nach 6 Kniebeugen 72, 
nach 1 Min. 58 Pulse 

29 

140—145 

Abgelaufene Myokarditis nach 
Trauma 

1. 9,5, r. 4,5 

60 

1. Ton etwas unrein 

30 

125-130 

Arteriosklerose, Alkoholismus 

1. u. r. dilat. 

— 

Unreiner 1. Ton, verstärkter 
2. Aortenton 


31 

125-130 

Neurasthenia gravis 

normal 

— 

Etwas unreiner 1. Ton 


32 

105-110 

Skrofulöse, Bronchitis 

normal 

— 

Systol. Ger. a. d. Basis, verst. 
2. Pulm.-Ton 


33 

110-115 

Hysterie, Koprostase, Chlorose 

normal 

88 


Nach 6 maligem Auf¬ 
richten 96, nach 1 Min. 48 


Betrachten wir zunächst die Zahlen für den Anfangsdruck 
im Liegen, so ist derselbe pathologisch gesteigert nur in Fall 11, 
13 und 28, das ist in 9 Proz., das ist die niedrigste Zahl von 
allen Tabellen, doch ist der Unterschied gegenüber den Ta¬ 
bellen mit gleichbleibendem Druck (13 Proz.) und mit Senkung 
um 5 mm (11,0) nicht ebenso gross. Normalgrosse Herzen 
fanden sich in 16 Fällen = 48 Proz., in einem Fall war die Ver¬ 
größerung des linken Ventrikels zudem gering (24), weniger 
No. 32. 


als 1 cm, wir können daher wohl mit Recht 52 Proz. Herzen 
in dieser Tabelle mit Blutdruckerhebung um bis 10 mm bei 
Uebergang aus der horizontalen Lage zum Stehen als normal 
ansehen; die Zahlen von normalen Herzen in den ersten beiden 
Tabellen (64 und 66*/* Proz.) werden also in dieser Tabelle 5 
nicht erreicht. Unter den 16 normal grossen Herzen haben 
12, also *A, eine Blutdrucksteigerung von 5 mm, die übrigen 
4 von 10 mm. Wir werden nun von vornherein geneigt sein, 

2 


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MUENCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


i6s 2 

alle Herzen, welche bei dieser Reaktion noch eine Steigerung änderter Herzen heim Erheben aus der Inmz.nmalcii Lage 
des Druckes aufweisen, als normal funktionierend anzusehen, mit einer Erhöhung des Blutdruckes antwortet. Bei der Bc- 
und es erhebt sich daher die Frage, lassen sich nicht aus dem antwortung dieser Frage fallen die eben besprochenen 4 Falle 

Befund an diesen Herzen Zeichen auffinden, welche gegen eine natürlich aus, da wir eine Erklärung iur die Erhöhung des Blut¬ 

normale Funktion des Herzens sprechen und weiter, woher druckes trotz des Vorhandenseins von Stauuugssymptomen be¬ 
kommt es, dass eine Ueberzah! pathologisch veränderter ' reits gegeben haben; 17 Falle zeigen normale Her/grosse, es 
Herzen auf das Erheben aus der horizontalen Lage zum Stand bleiben also für die Beantwortung Id. Als LrsaJie für die nun 
mit einer Erhöhung des systolischen Druckes anworten. Was also als Zeichen der Hypertrophie des Herzens anzusdiende 
den ersten Teil der Frage anlangt, so finden wir unter der 1 Erhöhung des Blutdruckes bei unserer Art der Funktions- 
Rubrik „Bemerkungen“ in den Fällen 8, 13, 18 und 28 Zyanose, I Prüfung finden wir in diesen Id Fallen 5 mal Arteriosklerose. 
Venenstauung, Venenpuls, Dyspnoe, Zeichen der Stauung in I mal mit Alkoholismus, d mal Adipositas. .Dual Alkoliohsmus 

Leber und Lungen; damit steht die Druckzunahme doch zu- (1 mal mit Arteriosklerose, schon gezahlt), 1 mal Arbeitshypcr- 

nächst in Widerspruch. Nun handelt es sich aber in Fall 8 trophie bei einem Schlosser, 1 mal Anämie mit hebendem 

und 13 um Mitralinsuffizienzen mit hypertrophischem linken Spitzenstoss. Mit Ausnahme der letzten beiden Falle, von 

Ventrikel, so dass die Druckerhöhung trotz der Stauungs- denen der zweite (Anämie) mir nach dem Protokoll nicht ganz 

Symptome verständlich wird; im Fall 18 fanden sich nur geklart erscheint, hegen hier also dieselben Ursachen vor. 

undulierende Halsvenen, die Beschleunigung der Atmung war welche in Tabelle *1 bei Insuffizienz des Herzens zu einer 
nicht aufs Herz zu beziehen, wohl durch die Anämie und ner- Senkung um mehr als 2n mm geführt haben, nämlich Arterio- 
vöse Momente bedingt, die Pulszahl war 72; im Fall 28 war | Sklerose, Adipositas und Alkohohsmus. Diese den Widerstand 
bei chronischer parenchymatöser Nephritis der rechte Yen- i im Arteriensystem erhöhenden Faktoren eizeugen aber bei 

trikel vorwiegend insuffizient, vor allem aber lässt die In- einem Herzen, das sich ihnen angepasst hat. eine vennehrte 

äqualität des Pulses die Möglichkeit exakter Blutdruckbestim- | Arbeitsleistung, bei dem insuffizienten das stärkere Zutage- 

mungen, welche für die Funktion des Herzens verwertbar sein | treten der mangelhaften Tätigkeit, zudem haben wir in 3 

sollen, nicht zu. Diese 4 Fälle sind also keineswegs imstande, ; dieser 12 Fälle sJion in der horizontal«. | Lage, in der alle 
den Wert meiner Methode für die Funktionsprüfung des Her- unsere Kranken untersucht werden, einen \ erstarkten zweiten 
zens herabzusetzen. j Aortenton, in 2 Fällen war der zweite Pulmonalton verstärkt, 

Wir haben also jetzt die Frage zu beantworten, ' in einem ist der Spitzenstoss hebend, 
w'oher es kommt, dass eine Ueberzahl pathologisch ver- I 


Tabelle 6. Drucksteigerung um in—2n in m und d a r ii b c r*. 


| Fortlauf. 
No. 

Druck¬ 
zahlen 
im Liegen 
u. Stehen 

Diagnose 

Herzgrosse 

! 

Puls 

1 

Auskultatioiisbcfuiid 

ln me kn,een 

1 

140—160 

Pharyngitis, Koprostasc 

1. 9 cm, r. 4.u 


Peine I oiie 


2 

115-135 

Abgeläufene Myokarditis, 
Neurasthenie 

1 11,5, r. 4,n 

7b 

t nreiner 1. I ori 

1 r aller 1 \ j hus ,»Kb • t::. 

3 

145—165 

Arteriosklerose, Purpura 

1. 11.5, r. 4,5 

i 

— 

1. I '>n iinrem, 2. Amtenbm 
\erstarkt 


4 

155—175 

Nephritis chronica 

1 1. 11,5, r. 5,(1 

bs 

— 

1 rain.s^ he >\ nipbune 

5 

140-155 

Arteriosklerose 

1 1. dilat, 

bS 

-- 

6 

120-145* 

Adipositas, Bronchitis 

! 1. ln.n, r. b,n 

— 

Dumpfe 'Luie 


7 

■130—160* 

Arteriosklerose 

1 1. u. r. dilat. 

i 

— 

Marker k’auJier 

8 

i 

95-120* 

Skrofulöse, Albuminurie 

1. 6,5, r. 3,8 

— 

Svstol. Geräusch an d. >pit/e 
2. 1 one verstärkt 


9 ' 

110—135* 

Arteriosklerose 

1. in,u, r. 5.0 

— 

2. Tone etwas laut. 


10 | 

115-135 

Neurasthenie, Albuminurie 

normal 

94 

_ 


11 ! 

100—115 

Neurasthenie 

normal 

; Ml 

keine Tone 

N.kIi <i k Mit brui.e;r Puls 

12 ! 

85-105 

Skrofulöse 

1. 7,n, r. 3,5 

_ 

* l ii reine r 1. 'L>n 

P m 

13 

110—125 

Potatorium, Anämie 

1. ii. r. verbr. 

— 

Sehr dumpfe Lme 


14 

95—110 

Aneurysma ? 

1. verbreitert 

1 SS 

Svstol. Geräusch an d. Basis 


15 

110—125 

Adipositas, Hysterie 

1. norm., r. verbr. 

iuaiiual 

1. Lui unrein 


16 

110—140* 

Myokarditis 

1. Hi, r. 4 an 

irregulär u. inuipial Svstol. Geräusch, 2. Pulnion.il- 
i ' ton verstärkt 

Vn h 1 v p 1 us 

17 

95—125* 

Neurasthenie, Koprostasc 

normal 


1 l nremer 1. 1 on 


18 

120-135 

Alkoholismus 

1. u. r. verbr. 

1 bb 

Svstol. Gerauseh an d. Spitze 

Vnh b k im-beiiceti Sm . 
tun h : ; Mm. kuhe N< 1 ’uise 

19 

130 —150 

Alkoholismus, Mitralinsuffizienz 

1. 11), r. 5 

144 

■ Svstol. Gerauseh. verstärkt, 
r; '2. Pulmoiialton 


20 

110-130 

Adipositas, Arteriosklerose 

1. dilat. | 


Leicht unreiner 1. 1 mi. ver¬ 
stärkter 2 Pulniouaitoii 

I lederne der Beine, n.nh 
b KraebellCen 1SJ. muh 
! .• Min kuhe 1 -H 1 hnse 


Erhöhte Anfangsziffern für den Blutdruck finden wir in Die Tatsache, dass nur in dieser Tabelle die niedrigen Anfangs- 

dieser Tabelle 6 in 2 Fällen — 10 Proz., an der oberen Grenze werte sich finden, erhält ihre Stutze ferner darin, dass unter 

des normalen liegt er in weiteren 2. Auffällig ist die grosse den 11 Fällen mit normalen Werten 5 mit 1 ln mm Druck sich 

Anzahl der abnorm niedrigen Werte für den systolischen Blut- finden, dass die Zahlen also an der unteren Grenze des Nor¬ 
druck bei horizontaler Lage nämlich 25 Proz., während wir malen sich halten. Dies Zusammentreffen illustriert den Wert 

solchen kleinen Werten sonst nur einmal, nämlich in Tabelle 5 unserer Methode auch für die Abgrenzung bestimmter Krank- 

begegnen. Und dabei also die starke Erhebung des Druckes beim ; lieitsbilder. 

Uebergang zur aufrechten Stellung! Ja in Fall 8 und 17 ' Natürlich müssen wir in der Tabelle mit hohem Anstieg 
werden 20 mm dabei überschritten. Diese Herzen müssen ; der Druckzahl beim Lebergang aus der horizontalen Lage in 
demnach ausserordentlich ansprechbar sein und wenn wir uns I die aufrechte Stellung die Krankheiten finden, die in 'labeile 4 
die Diagnosen ansehen, so handelt es sich in der Tat um Krank- die starken Senkungen um mehr als Jn nun verursacht haben, 

heiten, in denen solche Verhältnisse durch das Wesen der So war Arteriosklerose vorhanden in 5 Fallen. Adipositas in 3. 

Erkrankung durchaus verständlich erscheinen, in Fall 8 handelt Alkohohsmus in 3, Nephritis in 1 ; daneben bestanden \ibu- 

es sich um Skrofulöse und Albuminurie, in Fall 11 um Neu- minurien in 2 Fällen, Myokarditis in 2, Neurasthenie in 4 . In 

rasthenie, in Fall 12 wieder um Skrofulöse, in Fall 14 ist ein den Fällen, in denen die Steigerung des Blutdrucks 2u nun 

Aneurysma fraglich, in Fall 17 liegt wieder Neurasthenie vor. überschreitet, lauten die Diagnosen : Adipositas. Arteriosklerose, 


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11. August 1008. 


MUfeNCHfeNEk MEDlZiNtSChE WOÖHENSCHkti*?. 



Skrofulöse mit Albuminurie, Arteriosklerose, Neurasthenie. 
Im Fall 16 ist der Puls bei Myokarditis inäqual und irregulär, 
so dass die starke Erhebung des Drucks hierauf zurückzu¬ 
führen ist . Die andere Myokarditis (Fall 2) ist abgelaufen. 
Die Mitwirkung nervöser Momente an dem Zustandekommen 
der grossen Druckdifferenzen zwischen horizontaler Lage und 
aufrechter Stellung ist also bei unserer Prüfungsmethode 
überhaupt sehr gering. Ich hob das schon in der Einleitung als 
einen Vorteil dieser Methode hervor. 

Normal grosse Herzen finden sich unter den 20 Fällen mit 
stärkerer Erhebung des Blutdrucks nur in4, das sind in 20 Proz., 
in 1 ist der linke Ventrikel normal, wir müssen also 25 Proz. 
rechnen. Diese Zahlen stehen sehr nahe denen in Tabelle 3 
mit 19 Proz., wo es sich um eine Senkung von 10—20 mm 
handelt. In 3 von den 4 ganz normalen Herzen dieser 6. Ta¬ 
belle handelt es sich um Neurasthenie. Bei den kleinen Herzen 
der Skrofulöse (Fall 8 und 12) ist die Drucksteigerung 25 und 
20 mm, das kleine Herz macht eine grosse Anstrengung, um 
den vermehrten Widerständen im Kreislauf bei aufrechter 
Körperhaltung gerecht zu werden. 

Nur in der vorigen Tabelle finden wir ebenso wie hier die 
Tendenz zu niedrigen Pulszahlen. Allein bei der Mitralinsuffi¬ 
zienz ist die Pulszahl wesentlich erhöht, trotz des ausserdem be¬ 
stehenden Oedems steigt bei der Funktionsprüfung wie in 
Tabelle 5 und zwar hier wie aus dem dort angeführten Grunde 
der Druck um 20 mm. Die beiden in dieser Tabelle aufgeführten 
anderen Funktionsprüflingen ergaben, dass die Pulszahl nicht 
der Anstrengung entsprechend stieg, was ja mit der schon 
hervorgehobenen Tendenz zur Pulsverlangsamung im Einklang 
steht. 

Fasse ich die Resultate meiner Methode, die freilich nur 
in der Sprechstunde gewonnen sind und der Bestätigung durch 
Nachprüfung auch im Krankenhausbetriebe harren, noch einmal 
zusammen, so finden sich normal grosse Herzen ohne Zeichen 
einer Klappenerkrankung und ohne eine sonst erkennbare Kom¬ 
pensationsstörung des Herzmuskels bei gleichbleibendem systoli¬ 
schen Blutdruck in horizontaler Lage und beimStehen in 64Proz., 
bei Drucksenkung um 5 mm unter denselben Verhältnissen in 
66 Proz., bei Senkung um 10—20 mm im 19, bei Senkung 
um über 20 mm in 8,3, bei Steigerung des Druckes um bis 
10 mm in 52 Proz., bei solcher um 10—20 mm und darüber in 
25 Proz. Gesteigerter Blutdruck im Liegen findet sich bei 
gleichbleibendem Druck im Stehen und Liegen in 13 Proz., bei 
Senkung um 5 mm unter gleichen Bedingungen in 11,1 Proz., 
bei Senkung um 10—20 mm in 19 Proz., bei Senkung 
um mehr als 20 mm in 66 2 /a Proz., bei Erhebung des 
Druckes im Stehen um bis 10 mm in 9 Proz., bei 
solcher um 10—20 mm und darüber in 10 Proz. Die¬ 
selben Ursachen, welche in Tabelle 4 eine Senkung des Blut¬ 
drucks beim Aufrichten um mehr als 20 mm hervorrufen, sind 
auch in erheblichem Masse an dem Zustandekommen starker 
Erhebungen der Blutdruckzahlen beim Uebergang aus der 
horizontalen Lage zum Stehen beteiligt in Tabelle 6, so lange 
das Herz suffizient ist, nämlich Arteriosklerose, Adipositas, 
Alkoholismus und Nephritis. Stauungszustände vom rechten 
Herzen aus können wie bei der Mitralinsuffizienz mit Senkung um 
5 mm, Steigerung um bis 10 mm, um 10—20 mm einhergehen, 
mit Werten also, aus denen wir eine normale Funktion des 
linken Ventrikels anzunehmen berechtigt erscheinen. Ein 
inäqualer Puls macht die Anwendung dieser Funktionsprüfungs¬ 
methode unmöglich, während nervöse Einflüsse nur in sehr 
geringem Masse bestehen und höchstens zu einer starken 
Steigerung des Blutdrucks im Stehen führen. Die Methode 
erscheint fast einwandsfrei und ist leicht zu handhaben. 

Aus dem hygienischen Institut zu Halle a. S. 

Untersuchungen zur Entstehung des Keuchhustens. 

Von C. F r a e n k e 1. 

Auf S. 731 ff. der Annales de llnstitut Pasteur 1906 ver¬ 
öffentlichten B o r d e t und G e n g o u als Ergebnis ihrer durch 
mehrere Jahre fortgesetzten Erhebungen über dieUrsache 
des Keuchhustens eine Arbeit, in der sie zu folgenden 
Schlüssen gelangten. Danach konnten sie ein Stäbchen als 


[ den Erreger der genannten Krankheit ansprechen, das nuf 
auf besonderen, namentlich mit Blut vom Kaninchen oder 
besser noch vom Menschen beschickten Nährböden gedieh, die 
Gram sehe Färbung nicht annahm und sich als spezifisch vor 
allen Dingen durch seine Komplementablenkung er¬ 
wies, indem das Serum von Keuchhustenrekonvaleszenten 
sensibilisierte Ziegenblutkörperchen nicht auflöste, während 
andere eine kräftige Hämolyse zeigten. Im Jahre 1907 teilten 
die beiden Verfasser dann an der gleichen Stelle, in den An¬ 
nales Pasteur S. 720 ff. weiter mit, dass das Serum von kranken 
Menschen nur eine wechselnde Agglutination bei dem Bazillus 
hervorruft, dass dagegen das vom künstlich immunisierten 
Pferde stammende sich durch sehr bemerkenswerte spezifische 
Eigenschaften auszeichnet, und dass man endlich auch mit Kul¬ 
turen dieses Mikroorganismus bei Meerschweinchen eine In¬ 
fektion auslösen könne, die sich am besten von der Bauch¬ 
höhle aus einleiten lässt und die als eine eigentliche Vergiftung 
erscheint. 

Ohne Zweifel mussten die damit ganz kurz berichteten 
Untersuchungen zweier so hervorragender Bakteriologen, wie 
es die genannten Forscher sind, die allgemeine Aufmerksamkeit 
erregen. Zwar war man gerade auf dem hier betretenen Ge¬ 
biet vor Enttäuschungen und Fehlschlägen nicht sicher; hatte 
doch im Gegenteil schon eine reiche Fülle von Mitteilungen 
der allerverschiedensten Art bald ein Bakterium, bald ein 
Mikrobium des Keuchhustens beschrieben, von denen allen es 
nach verhältnismässig kurzer Zeit jedoch schon wieder stille 
wurde und die sich als apokryphe Erreger dieser Krankheit 
erwiesen. Auf der anderen Seite trug freilich kaum irgend eine 
andere Affektion so den Stempel eines ansteckenden, eines 
übertragbaren Leidens an der Stirne, wie eben der Keuch¬ 
husten, und also musste es als ein bedauerliches Armutszeugnis 
unserer Wissenschaft angesehen werden, dass es gerade hier 
nicht gelingen wollte, zum Ziele zu kommen. Deshalb bedarf 
es wohl auch keiner weiteren Erklärung, um es verständlich zu 
machen, dass nach den Veröffentlichungen von Bordet und 
Gengou auch in meinem Laboratorium sich die Neigung 
regte, die Zuverlässigkeit der gemachten Mitteilungen nach¬ 
zuprüfen und also die Ursache der hier in Rede stehenden 
Krankheit aufzuklären. 

Leider war gerade in der hier in Betracht kommenden Zeit 
der Keuchhusten in Halle nur verhältnismässig schwach ver¬ 
treten; ausserdem sei betont, dass das Sputum von Kindern, die 
schon einige Wochen oder gar Monate an dem Uebel leiden, 
nur ein ungünstiges und ungeeignetes Material liefert, dass 
vielmehr schon in den ersten Tagen, ganz im Beginn des 
Uebels, also zu einer Zeit, wo erfahrungsgemäss der Arzt 
häufig noch gar nicht hinzugezogen ist, die besten Bedingungen 
für eine weitere Verarbeitung des Auswurfes vorliegen. So 
wird es sich verstehen, dass ich in 8 Monaten, d. h. seit No¬ 
vember 1907, nur in 8 Fällen aus dem Sputum von keuchhusten¬ 
kranken Kindern den gleich genauer zu besprechenden Mikro¬ 
organismus gewinnen konnte, während wohl 30 oder mehr 
Versuche dieser Art misslangen. 

... D * e Bakterien wurden gezüchtet, indem der schon durch 
Waschen in sterilisiertem Wasser von allen anhaftenden, 
namentlich aus der Mundhöhle stammenden Kleinwesen be¬ 
freite Auswurf alsdann auf feste Nährböden der verschiedensten 
Art ausgestrichen wurde, die nur sämtlich in dem einem Punkt 
übereinstimmten, dass sie mit reichen Mengen von 
m.enschliehern Blut versetzt bezw. bestrichen waren. 
Anfangs beschränkte ich mich hier auf ein Substrat, das ganz 
nach den Angaben von Bordet und Gengou angefertigt 
worden war, d. h. aus einem Glyzerinkartoffel- 
e x t r a k t m i t Agar und menschlichem Blut be- 
stand. Später, als ich mich davon überzeugt hatte, dass der 
mer behandelte Bazillus auch auf einem gewöhnlichen 
n U l . eiS o C ,j ,extrak 4 t* Pepton und Kochsalz auf¬ 
gebauten, 2A proz. Agar, das mit menschlichem 
. yermischt worden war, ohne weiteres gedieh, 
wandte ich auch diesen Nährboden an, und hier wie dort konnte 
“*em zunächst langsames und zögerndes, meist aber schon 
nach 2—3 Generationen üppiges und reichliches Wachstum 
wahrnehmen. Die Kultur bezw. die einzelnen Kolonien zeich¬ 
neten sich durch einen gelblichen oder gelblichbraunen Farben¬ 
ton aus, waren anfänglich meist in zarter Schicht über die ganze 

2 * 



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1684 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. .LU 


Oberfläche des Substrats ansgebreitet und Hessen erst später, 
mit ihrer gesteigerten Anpassung an das Leben ausserhalb 
des Körpers, aut unseren toten Nährböden einen etwas dickeren 
und massigeren, über ihre Nachbarschaft hervorragenden Auf¬ 
bau erkennen. Nach durchschnittlich 8 Tagen habe ich jedes¬ 
mal eine Uebertragung der Bakterien auf frische Nährböden 
vorgenommen. Kein einziges Mal habe ich bis jetzt eine auch 
nur andeutungsweise vorhandene Fähigkeit dieses Bazillus be¬ 
obachtet, auf blutfreien Nährböden zur Vermehrung zu 
schreiten; selbst in den älteren, jetzt schon seit 7 -8 Monaten 
dauernd ausserhalb des Körpers gezüchteten Kulturen bleibt 
jedes Wachstum aus, sobald an die Stelle der blut¬ 
haltigen gewöhnliche Substrate treten. 

Auch in Fleischbrühe, und zwar gewöhnlicher oder 
Olyzerinbouillon, die mit Blut versetzt ist und nun nach An¬ 
gabe von Bordet und (iengou in tunlichst dünner Lage 
zur Verwendung kommt, um so dem Sauerstoff der Luft den 
gehörigen. Eintritt zu ermöglichen, gedeiht der Bazillus ohne 
besondere Schwierigkeiten, meist sogar üppig und in reich¬ 
licher Weise. 

Den I n f 1 u e n z a b a z i 11 u s, dessen Unterscheidung von 
den hier in Rede steheirden Stäbchen B o r d e t und <i e n g o u 
in ihren zwei Veröffentlichungen des eingehenderen behandeln, 
haben wir hier im Laufe der letzten Zeit überhaupt nur noch 
selten angetroffen, so dass die Notwendigkeit einer Differen¬ 
zierung keineswegs so dringend erforderlich schien. Im 
übrigen sei aber erwähnt, dass sie nötigenfalls unschwer mög¬ 
lich ist; der Influenzabazillus wächst anders, in feineren, 
zarteren, blässeren Kolonien, und, vor allen Dingen, er hat ein 
durchaus abweichendes Aeussere, er sieht schlanker, kleiner 
und schmächtiger aus, als der hier auftretende Keuchhusten¬ 
erreger. Freilich kommen ihm diese letzteren Eigenschaften 
nur anfangs, nur unmittelbar nachdem er aus dem menschlichen 
Körper gewonnen ist, zu; später dagegen legt er einen mehr 
oder minder ausgesprochenen Pleomorphismus an den Tag, 
und häufig genug kann man aus älteren Influenzakulturen 
Formen von mannigfachstem Aussehen zur Darstellung 
bringen. 

Der Keuchhustenerreger indessen zeichnet sich 
durch eine bestimmte, auch im Laufe der Dinge kaum 
veränderliche Gestalt aus. Er erscheint als ein ziemlich 
kleiner Bazillus, unbeweglich, nach dem Gram sehen Ver¬ 
fahren nicht darstellbar, der die Färbung meist in toto an¬ 
nimmt und nur selten einmal die von Bordet und G e n g o u 
hervorgehobene Achnüchkeit mit dem Bazillus der Hühner¬ 
cholera zeigt, d. h. also die Mitte nahezu ungefärbt lässt und 
nur an den Polen eine starke Tinktion aufweist. 

Dieser Mikroorganismus wurde, wie erwähnt, i n 
8 F ä 11 e n v o n K e u c h h u s t e n, und zwar i n d e n e r s t e n 
l agen der Krankheit gezüchtet. Mit seinen Rein¬ 
kulturen wurden dann auch T ierversue h e angestellt und 
zwar an Meerschweinchen, Kaninchen und an Affen. Bei den 
ersterwähnten. Geschöpfen konnten w ir nach Einspritzung einer 
Oese des Kulturrasens in die Bauchhöhle nach 1 2 lagen 

den Tod. der Tiere hervorrufen. Wie Bordet und G e il g o u 
fanden alsdann auch wir die Zeichen einer stattgehabten Ver¬ 
giftung in Gestalt eines blutigserösen Exsudats in der Bauch¬ 
höhle, Verdickung der Leber usw\, jedoch ohne Vermehrung 
der Bakterien, ja in der Regel sogar mit ihrem vollständigen 
Untergange: die Flüssigkeit der Bauchhöhle erwies sich als 
steril. Bei Kaninchen konnten w ir einige Male ähnliche Vor¬ 
gänge wahrnehmen, die jedoch längst nicht so ausgesprochen 
waren, wie wir diese eben vom Meerschweinchen beschrieben 
haben. 

Besonders bemerken s w e r t waren die Ergebnisse, 
die wir bei Affen erzielten. Zwei dieser Tiere wurden einem 
dicht zerstäubten Schleier oder Nebel der Mikroorganismen 
ausgesetzt und etwa 15 Minuten in dieser Wolke belassen. 
Nach 5 oder 6 Tagen erkrankten di e T iere u n d z w a r 
unter dem Bilde des Keuchhustens, d. h. mit 
kurzen, krampfhaften, bellenden Hustenstössen, die etwa 8 bis 
10 läge anhielten, in der letzten Zeit bereits seltener wurden 
und dann verschwanden. Irgend eine Expektoration seitens 
der Tiere wurde w ährend der ganzen Zeit nicht beobachtet. 


i 1 s t d e r d a m i t g a n z k u r z g e s c h i I d e r t c Mikro- 
o r g a n i s m u s nun als der Erreger des Ken c Ii - 
h u s t e n s a n z u s e h e ii? Ohne Zw eitel sprechen eine An¬ 
zahl von Tatsachen für eine solche Annahme, namentlich die 
Eigenart des Bazillus, der au sich gewiss manche Besonder¬ 
heiten eines pathogenen Mikroorganismus besitzt, sowie ferner 
und vor allen Dingen das Ergebnis der l'ebertragiingen aut den 
Affen. Auf der anderen Seite aber fehlt es doch auch nicht an 
j Gründen, die eine solche Auffassung mindestens als vor- 
schnell n n d ii h c r e i 1 t erscheinen lassen. Namenti. di ml 
! hierbei der Befund genau der gleichen und ohne Frage \oi;.g 
identischen Bakterien bei 2 nicht Keuchhusten- 
k ranken Kindern zu rechnen. über den wir beruhtei. 
können. Beide Male handelte es suh um Kranke, die der 
i Tuberkulose verdächtig waren, ohne d.ms jednJi. wie nebenbei 
bemerkt sei, Tuberkelbazilkn in ihrem Auswurf hatten nadi- 
gewiesen werden können. Dagegen gelang es, die Bazillen des 
Keuchhustens in freilich spärlicher Menge aui/utinden. m.d 
wenn auch dieser Tatsache gegenüber an das Vorkommen der 
Memngitiskokkeii, der Diplithe rieba/;llen. der 1 > phiislwilk n. 
der Influenzabazillen u. s. i. bei ganz gesunden oder ander¬ 
weitig erkrankten Menschen erinnert werden kam;, s * han.de i: 
es sich hier doch jedenfalls um eine Erscheinung, die muh 
weiterer Prüfung bedarf und an der wir nullt ohne weiteres 
\ oriibergclien dürfen. 

Eiwahnt sei dann ferner noch, dass wir die \oi; Bordet 
mal (iengou hervorgelu»bene und in ätiologischem >imie 
verw ertete K o m p I e m e n t a h 1 e n k u n g des Blutserums 
von keuchhusteiigeheilten Kindern unter 5 Fallen nur ein 
einziges Mal zu bestätigen imstande waren. Es w urde 
0.1 U,ö erhitztes, also inaktiviertes derartiges Menschen- 
serum mit n,U5 (U ccm Akxin, d. h. Meerschw eiiuheuserum, 
i und mit U,J ccm einer Aufschwemmung der Keuchhusten¬ 
bazillen vermischt; nach 4 ständigem Stehenlassen bei Z.mmcr- 
wärme kamen darauf sensibilisierte Ziegenblutk*tfperdieii hin¬ 
ein, und nun sollten also die Röhrchen mit dem Serum der 
Keuchhustengeheilten klar bleiben, wahrend suh m den anderen 
eine starke Hämolyse zeigte. Indessen hess sich, wie schon 
erwähnt, nur einmal eine derartige Erscheinung in ganz 
zweifelloser Weise wahrnehmen, wahrend die übrigen A Male 
das Ergebnis unsicher war odtgr \eilig ausblieb. 

Endlich sei bemerkt, dass zu eben so u n s i c h e r e n Re¬ 
sultaten auch die Prüfung der agglutinierend e u 
Eigenschaften sowohl des Krankenbiutes. wie auch des 
Serums Veranlassung gab, das von immunisierten Fieren her¬ 
rührte. Das erstere kam von Kranken und Geheilten, das 
letztere von Tieren, nämlich von Eseln und Kaninchen zur 
Verwendung, die mit allmählich steigenden Mengen von Rein¬ 
kulturen des hier in Rede stellenden Bazillus behandelt worden 
waren. Sowohl bei 87". wie bei 22% als auJi endlich bei 55° 
wurden die Versuche äuge stellt und wiederholt, ohne dass suh 
jedoch hier eine regelmässig j gU ichbk ibettde Beeiu- 
tiiissung der Bakterien zu erkennen gegeben hätte. Unter Um¬ 
standen trat eine ganz deutliche und fraglose Agglutination ein. 
in anderen Fällen dagegen, d. h. bei Anwendung eines anderen 
8erums oder auch einer anderen Kultur demselben Serum 
gegenüber, blieb jede Wirkung aus. und ich habe mich deshalb 
des Eindrucks mellt entschlagen können, dass L -s suh hier um 
ebenso regellose und willkürliche Wirkungen handelt, wie w;r 
sie beispielsweise beim B. coli oder beim Tuberkelhazillus 
ii. s. t. beobachten können. 

In jedem Falle wird es also muh w eite rer. an tun¬ 
lichst z a h 1 r e i c h en vers c h i c d e u e n Stell e n u. te r- 
nommener Arbeiten bedürfen, um über d,e R.cie des har be¬ 
schriebenen Mikroorganismus für die Entstehung des Keuch¬ 
hustens ein sicheres und abschliessendes Urteil abgeben zu 
können. Mag man von der ursächlichen Uedeinmg des K,_ 
zillus auch im Innern seines Her/ens sdion uberzeugt sein. 

wie das Verfasser dieser Zeilen i;i der Fat ,>t so w . rJ 
doch noch einer ganzen Reihe genauerer l ntcfsndm gen be¬ 
dürfen, um die letzten hier bestehenden und gewiss bere d'mga n 
Zweifel zu beseitigen. 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1685 


Aus der Kgl. dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau 

(Direktor: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. A. Ne iss er). 

Experimentelle Untersuchungen über „tuberkulöse“ Ver¬ 
änderungen an der Haut ohne Mitwirkung von Tuberkel¬ 
bazillen (toxische Tuberkulosen) und die Bedingungen 
ihres Entstehens. 

Von Privatdozent Dr. Karl Zieler, Oberarzt der Klinik. 

Da in der Literatur der letzten Monate immer wieder eine 
von Wolff-Eisner herrührende einseitige bezw. irrtüm¬ 
liche Anschauung über das Tuberkulin und seine Wirkung auf 
den menschlichen Körper bei Hautimpfungen nach v. Pir¬ 
quet zustimmend oder wenigstens ohne Widerspruch zitiert 
wird 1 ), möchte ich schon jetzt kurz über experimentelle und 
anatomische Untersuchungen berichten, die diese Frage be¬ 
treffen und die ich mit mikroskopischen Demonstrationen auf 
der 2. Tagung der freien Vereinigung für Mikrobiologie in 
Berlin (Pfingsten 1908), z. T. auch schon auf der 12. Tagung 
der deutschen pathologischen Gesellschaft in Kiel (Ostern 1908) 
vorgeführt habe. Efa der experimentelle Teil dieser Arbeit 
wohl in der Hauptsache, aber noch nicht in allen Einzelheiten 
abgeschlossen ist, muss ich die eingehende Darstellung einer 
späteren Veröffentlichung (im Archiv f. Dermatol.) Vorbehalten. 

Seit etwa 2 Jahrzehnten hat die Frage der sog. „toxischen 
Tuberkulosen“ die Gemüter besonders der Dermatologen be¬ 
wegt. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Frage kli¬ 
nisch eine Erledigung nicht finden konnte, so dass schliesslich 
von manchen Seiten die Möglichkeit toxischer Tuberkulosen 
überhaupt bestritten worden ist. Die Erkrankungen, bei denen 
man an eine Entstehung durch gelöste Stoffe („Toxine“) des 
Tuberkelbazillus gedacht hatte, betrafen eben stets Patienten, 
die an irgend einer Form chronischer Tuberkulose litten. Man 
Ist deshalb jetzt mehr geneigt, diese Erkrankungen als auf 
hämatogenem Wege entstanden und durch wenig virulente 
oder abgestorbene Bazillen bedingt anzusehen. Denn man hat 
dabei gelegentlich Tuberkelbazillen gefunden. Wir denken ja 
aber auch gar nicht daran, die histologischen Veränderungen 
bei Tuberkulose allein auf die Wirkung der Bazillenkörper 
zurückzuführerr. Wir nehmen vielmehr an, dass gerade den 
löslichen Stoffwechselprodukten' und Leibessubstanzen 
hierbei eine wesentliche Bedeutung zukommt, ja wir sind so¬ 
gar der Meinung, dass diffusible und resorbierbare Stoffe sich 
im Körper verbreiten und so an weit entfernten Stellen, wo 
sie gerade günstige Bedingungen vorfinden, Veränderungen 
hervorrufen können, die wir dann ebenso zur Tuberkulose 
rechnen müssen, wie das, was der Tuberkelbazillus selbst be¬ 
wirkt (J. Ort h). 

Diese Frage hat nun in letzter Zeit ein erhöhtes Interesse 
dadurch gewonnen, dass man bei Tuberkulinhautimpfungen 
nach v. Pirquet Veränderungen beobachtet hat, die histo¬ 
logisch das Bild der Tuberkulose darbieten. Die infolge dieser 
Hautimpfungen entstehenden Reaktionen können bekanntlich 
in wenigen Tagen ablaufen, nicht selten bleiben sie aber 
wochen- und selbst monatelang als fühlbare Knoten bestehen. 

So haben B a n d 1 e r und K r e i b i c h, sowie Dou- 
trelepont (bezw. König) wenig charakteristische, tuber¬ 
kuloseähnliche Veränderungen beschrieben. Ich selbst habe 
dann weit über die Impfstelle hinausreichend im Verlauf der 
Gefässe aus Epithelioid- und Rundzellen bestehende Tuberkel 
(ohne Verkäsung) mit typischen L a n g h a n s sehen Riesen¬ 
zellen bis tief in die Subkutis hinein beobachtet. Ueber ähn¬ 
liche Befunde haben später Pick und D a e 1 s berichtet, doch 
sind auch die von Daeis gegebenen Abbildungen nicht ge¬ 
rade sehr charakteristisch. Von Pick und Daeis ist nun 
behauptet worden, „dass ein Tuberkulin, das von abgetöteten, 
mit unseren gewöhnlichen Mitteln nachweisbaren Tuberkel¬ 
bazillen oder Tuberkelbazillenteilen frei ist und das lediglich 
die in Lösung gegangenen Stoffwechselprodukte und Leibes¬ 
substanzen der Bazillen enthält, echte tuberkulöse Strukturen 
nicht zu erzeugen vermag“; dass also nur lebende oder tote 


1 ) Soviel ich sehe, widerspricht nur W. C z a s t k a (Beziehung 
der Pirquetreaktion zum Gehalt an Antikörpern. Perlsucht-Pirquet. 
Wiener klin. Wochenschr. 1908, No. 24 ) mit guten Gründen dieser 
Anschauung. 


färberisch nachweisbare Tuberkelbazillen das histologische 
Bild der Tuberkulose erzeugen könnten. Bekanntlich hatte 
Jadassohn zuerst die Vermutung ausgesprochen, dass ein 
Tuberkulin, das tuberkulöse Strukturen erzeuge, wohl 
wenigstens unsichtbare (ultramikroskopische) Bazillentrümmer 
enthalte. Pick sagt sogar ausdrücklich, dass die Knoten¬ 
bildung der Dauerreaktion nach Tuberkulinhautimpfungen 
„stets durch tote, nicht propagationsfähige Bazillen erzeugt“ 
werde; D a e 1 s meint, „dass die Papelbildung der Spätreaktion 
im Sinne Stadelmanns nur den Ausdruck einer Bazillen¬ 
leiberwirkung darstellt“. Dass diese Auffassung, die eigent¬ 
lich schon vor mehreren Jahren von K I i n g m ü 11 e r wider¬ 
legt worden war, nicht genügend begründet ist, hoffe ich dar¬ 
legen zu können. 

Von den erwähnten Dauerreaktionen nach Hautimpfungen 
habe ich im Laufe der letzten Monate eine ziemliche Anzahl 
(26) untersucht, die 6 Tage bis VA Monate nach der Impfung 
exzidiert worden waren. Die histologischen Veränderungen 
waren im Beginn wenig charakteristisch, doch traten sehr bald 
aus Epithelioidzellen bestehende und von einer Rundzellenzone 
umgebene Knötchen auf, die in wechselnder Anzahl Riesen¬ 
zellen verschiedener Form, vielfach ganz ausgesprochen vom 
L a n g h a n s sehen Typus, enthielten. Ganz besonders be¬ 
merkenswert ist, dass diese Veränderungen in den ersten 3 bis 
5 Wochen nach der Tiefe und in die Breite zunehmen, so dass 
der Prozess nach allen Richtungen hin ein Gebiet von reich¬ 
lich 1 cm Radius einnimmt. Sehr charakteristisch ist nun 
meines Erachtens das Auftreten der erwähnten histologisch 
typischen Tuberkelknötchen im Verlauf der Gefässe, und zwar 
besonders der Venen, deren Wand vielfach von ihnen auf¬ 
gelockert und durchwuchert wird, so dass dn teilweiser oder 
völliger Verschluss der betreffenden Gefässe zustande kommt. 
Diese Veränderungen finden sich ausserordentlich schön und 
deutlich noch in weiter Entfernung vom Impfstich, z. B. in der 
Tiefe der Subkutis direkt über der Faszie. In der Nähe des 
Impfstiches sind sie, abgesehen von den zahlreichen Lang- 
h a n s sehen Riesenzellen ,meist weniger charakteristisch, doch 
besteht hier oft noch nach Wochen eine teilweise Nekrose 
(Verkäsung), die in weiter entfernten Knötchen nirgends beob¬ 
achtet wurde. Diese Veränderungen heilen allmählich, doch , 
finden sich selbst nach VA Monaten noch immer Epithelioid- 
zellentuberkel in der Wand der Gefässe, während die Narbe 
an der Stelle des Impfstiches (in einem Falle) noch reichlich 
Langhanssehe Riesenzellen enthielt. 

Gelegentlich meiner oben erwähnten Demonstration hatte 
ich schon darauf hingewiesen, dass für die Entstehung dieser 
weit über den Impfstich hinausreichenden Dauerreaktionen 
nur gelöste, diffusionsfähige Stoffe 9 ) (Toxine 
im weitesten Sinne) verantwortlich gemacht werden könnten. 
Erwähnen möchte ich gleichzeitig, dass wir in der Bres¬ 
lauer Hautklinik dauernd mit einem von den Höchster 
Farbwerken hergestellten, alten Koch sehen Tuberkulin ge¬ 
arbeitet haben, das durch sorgfältige Filtration von Bazillen 
befreit worden ist. Ausserdem habe ich mehrfach grössere 
Quantitäten (10 ccm) ununterbrochen 72 bezw. 84 Stunden 
zentrifugieren lassen; dann wurde der grössere Teil der 
Flüssigkeit vorsichtig mit der Pipette abgesaugt und durch 
Reichelkerzen filtriert. Die letzten Tropfen im Zentrifugier¬ 
glas wurden nach gründlichem Aufschütteln und Aufrühren mit 
der Platinöse auf Objektträger ausgestrichen und gefärbt. Es 
gelang hierbei niemals, trotz sorgfältigsten Suchens in den 
Ausstrichen Tuberkelbazillen oder deren Trümmer nachzu¬ 
weisen, was ohne Schwierigkeit bei gleicher Behandlung 
anderer Tuberkuline möglich war. Wir haben also sicher mit 
einem nach den Pick sehen Ansprüchen absolut bazil¬ 
lenfreien Tuberkulin gearbeitet, das nach dem Zentri¬ 
fugieren und nachdem es nochmals durch Tonkerzen filtriert 
worden war. im klinischen Versuch eher stärkereReak- 
t i o n e n hervorrief als das ursprüngliche, direkt aus Höchst 
gelieferte Präparat. 


*) Neuerdings berichtet S i e g r i s t über Dauerreaktionen nach 
Anwendung der Ophthalmoreaktion. Er fand Knötchen aus Epithe¬ 
lioidzellen und Rundzellen; in einigen auch typische Langhans sehe 
Riesenzellen und selbst zentrale Verkäsung, 


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1686 MUENCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. T?. 


Von einer Abschwächung durch die Filtration, wie sie 
Wolff-Eisner von dem Tuberkulin (R u e t e - E n oc h) 
berichtet, das zu den von Pick und D a e 1 s untersuchten 
Reaktionen geführt hatte und das grosse Mengen toter Bazillen 
enthielt, war also bei unseren Untersuchungen, über deren 
klinischen Teil Herr Dr. Meirowsky berichten wird, keine 
Rede. Nach der Anschauung von Pick und Dacls hätte 
daher unser Tuberkulin überhaupt keine tuberkulösen Ver¬ 
änderungen hervorrufen dürfen! 

Der theoretische Einwand, dass ultramikroskopische Ba- 
zillentrümmer von den gewöhnlichen Filtrierkerzen nicht 
zurückgehaltcn würden und dass auf diese der tuberkulöse j 
Bau zurückzuführen sei (J a d a s s o h n), erledigt sich dadurch, \ 
dass inan Bazillenreste nur dann ultramikroskopisch diagnosti- j 
zieren kann, wenn sie grösser sind als die (irenzc des Ab¬ 
bildungsvermögens des Mikroskopes und eine bestimmte ne¬ 
stalt haben. Andernfalls erscheinen sie wie die übrigen Beu¬ 
gungsscheiben. Demgemäss hat auch eine auf meine Bitte in 
der Ze iss sehen Werkstättc von Herrn Dr. Ehlers vor- I 
genommene ultramikroskopische Untersuchung des in Höchst ! 
hergestellten alten Koch sehen Tuberkulins nichts ergeben, 
was als Bazillenreste hätte angesprocheii werden können, ; 
w eder vor noch nach tagelangem Zentrifugieren und erneuter 
Filtration. Jener Einwand ist daher weder zu beweisen noch 
zu widerlegen. 

Des Vergleiches halber hatte ich gemeinsam mit Herrn 
Dr. Meirowsky bei einer Reihe von Patienten neben dem 
alten Koch sehen Tuberkulin (vom Typus humanus und Typus 
bovinus) und der Koch sehen Bazillenemulsion die Filtrate der 
Kulturen menschlicher (Vacutim-Tuberkulin und T. A. O.) und i 
Perlsuchttuberkelbazillen (P. T. O.) verwendet. Hierbei zeigte 1 
sich nun, dass gerade Hautimpfungen mit der K o c h sehen 
Bazillenemulsion (rein und zehnfach verdünnt), die doch 
reichlichste Bazillen massen enthält, du r c h a u s 
keine besonders starken Reaktionen hervorrieten. Auch 
waren hier Riesenzellen nicht besonders häufig; jedenfalls 
niemals häufiger als bei Hautimpfungen mit dem filtrierten alten 
Tuberkulin. 

Auf Qrund der erwähnten Befunde von Pick und D a e I s 
haben nun Wolff-Eisner und nach ihm auch andere 
Autoren angenommen, dass das Tuberkulin seine Wirkung 
nur den in ihm enthaltenen Baktcrienleibern verdankt und dass 
die La ngha ns sehen Riescnzellen „sich im Tuberkel dort 
einfinden, wo eine langsame Bakteriolyse unter Freiwerden 
von giftigen Leibessubstanzen stattfindet“, mit anderen 
Worten: „dass die Tuberkelwirkung auf Tuberkelbazillen¬ 
splittern beruht, dass das Tuberkulin nicht weiter ist als 
kleinste Tuberkelbazillensplittcr“. Demgemäss wird das Ent¬ 
stehen tuberkulöser Strukturen bei Hautimpfungen nach 
v. Pirquet darauf zurückgeführt, dass sichtbare oder un¬ 
sichtbare Tuberkelbazillensplittcr in die Haut gelangen und 
hier gelöst werden, dass also die „Endotoxine“, die man für 
die beschriebenen Veränderungen verantwortlich macht, erst 
im Körper unter dem Einfluss bakteriolytischcr Stoffe in Frei¬ 
heit gesetzt und zur Wirkung gebracht werden. 

Diese Annahme scheint mir nach den Er¬ 
gebnissen unserer Versuche ebenso ge¬ 
zwungen wie überflüssig. Die allgemeine Bak¬ 
teriologie lehrt uns ja, dass schon in älteren Kulturen Bazillen- 
Iciber gelöst werden, also „Endotoxin“ frei wird, wie viel mehr 
wohl bei Eingriffen, wie sie z. B. die Herstellung des alten 
Tuberkulins darstellt. Der Gedanke an unsichtbare, ungelöste, 
aber filtrierbare Bazillensplitter zur Erklärung der Tuberkulin¬ 
wirkung ist also ganz unnötig. Denn sonst dürften die Filtrate 
aus keimfreier Tuberkelbazillenbouillon (Vakuumtuberkulin, 

A* D., P. T. O.) nicht histologisch dieselbe Wirkung haben, 
aie sich von der des alten Tuberkulins nur quantitativ unter¬ 
scheidet. Bei ihrer Herstellung kann jedenfalls von einer 
irgendwie nennenswerten Auflösung oder Zertrümmerung von 
Bazillen keine Rede sein. Wenn diese Filtrate Endotoxine ent- 
1 alten, die vielleicht die histologische Wirkung bedingen, so 
missen sie vor der Filtration gelöst gewesen sein. Es wäre 
sonst auch nicht verständlich, weshalb gerade die Bazillen- 
emuLsion weit schwächer wirkt, als bazillenfreics Tuberkulin, 
as Umgekehrte miistc der Fall sein, wenn jene Anschauung ■ 


richtig wäre. Es kann sich also bei unseren Befunden nur um 
die W i r k u n g gelost e r, i m T u b e r k u I i n ent¬ 
haltener Stoiie handeln, die allerdings keine Toxine im 
engeren Sinne zu sein brauchen und die sehr wohl Endotoxine 
sein können, denn Endotoxine sind im Tuberkulin zweiielhs 
schon in Lösung vorhanden. 

Fs entsteht nun die Frage, ob zur Erzeugung tuberkulöser 
Strukturen Endotoxine im gew uhnlichen Sinne notig sind. Diese 
f rage muss verneint werden, ebenso wie wir nicht a n - 
e r k e n n e u k ö n n eil, dass die w i r k s a m en Stoffe 
erst i m K ö r p e r ge! ö st w erde n. Es genügt voll- 
k o m m c n, dass zu d e n H a u t i m p f u n g e n gelost e 
c h e m i s c h e. a u s d e n T u b e r k e I b a z i I I e n s t a m - 
m e n d e S u b s t a n z e n v e r w e u J e t wer d e n b e i 
völlig e m Ausschluss k o r p u s k u I ä rer (selbst un¬ 
sichtbarer) Bestandteile. Diesen Nachweis glaube i<Ji 
auf folgendem Wege erbracht zu haben: In Kollodiums.uk- 
eben wurden folgende Substanzen angebracht und nadi zu¬ 
verlässigem \erschhiss (d. h. das mit den MuKen verbunden,. 
(ilasrohrchcii wurde zugeschmol/en) zur Dialyse bei ö7 " C in 
mii all ccm (No. III nur gegen Jo ccm Wasser) sterilem destil¬ 
lierten Wasser gefüllte Reagenzgläser au einem Se-dc i.fadetl 
aufgehängt, doch so, dass sie nur teilweise eintaiic fiten. 

I. 4 ccm Alttuber'kiilm (Nn. Js fbu hsii. 

II. .0 .■ ccm Aittuberkulm (No. Js Mi» eilst», 

III. 2 sein Alt-Tuber kiilm < R ii e t e - 1 n u c ii). 

IV 4 ccm Nentuber kn!m k’ocli < H.i/illeiiemiUsii in r. 

Lilie h w luge I uberkclb.i/ilieiikultnr auf < iIa /t r um. J - 
mit 4 ccm pli\ sp >1o;js«Jict Koehs.ii/loMnig verrieben v\ - 
den war. 

I\' und \' blieben völlig steril, m dein Röhrchen I 111 
wuchsen nach einigen Tagen Staphylokokken Deshalb wurden 
die \ ersuche I und III nach A Tagen. II nach 1 r Tagen abge¬ 
brochen, IV und V erst nach SV Tagen. Die zur Dialyse ver¬ 
wendete 1 liissigkvit der \ersuche I III wurde u.uh Filtration 
durch Reichelkcrzcn, die sterile Flüssigkeit der \ ersuche l\ 
und \' direkt im Vakuum eingeengt auf etwa ’ • des ursprüng¬ 
lichen Nolumeiis. Mit diesen eingeengten Dia!\zateu wurden 
mm Haiitimpiiiugeri nach v. Pirquet bei Tuberkulosen 
(Lupiiskranken) und einigen klinisch nicht tuberkulösen er¬ 
wachsenen Personen vorgeiiomnieiu Als Kontrolle d.eu.ten 
Hautimpfungell mit *.• proz. KarboIk*sung und mit gewöhnliche?! 
Nährbouillon. die nach 10 tägigem Auien’halt im Brutschrank 
,iiif io ihres ursprünglichen Volumens eingeengt worden war. 
Diese letzte Kontrolle wurde herangezogen, weil man meinen 
könnte, die Reaktionen auf I uberkulinhautunpiun.ee n seien mit 
j Reaktionen auf körperfremde Fiw eissubst.ti.ze n, \ <»n den.en 
I 111 * 1 u* weiss, dass sie F.iteruug und Nekrose erzeugen können, 
i ^_its^cn wir ja doch, dass ähnliche Dauernaktionvu m;t fil- 
liierten Lxtrakteii aus eler Leber sypluhtis«. her l oten erzeugt 
w erden können (Neisser und M e i r o w s k y). Audi hier¬ 
bei treten, wie ich gezeigt habe, tuberkuWahuliche Verände- 
ruugen auf. Die Impfungen mit eingeengter Bouillon bewirke” 
i nun ebensowenig DaiierreakMouen wie eile mit Mallem und 
j Staphylokokkento\m (filtrierte eingeengte Bouiüorkmturen). 

| Die Impfungen mit den Dialysaten ergaben hägende Re- 
j sultate: Die schwächste Wirkung wurde erzielt mit dein 
| 1 halysat II (JO mal posöiv s7 Proz.. önial negativ), dann 
i fo, Ht I (1-Dnal positiv st, Proz., 2 mal negativ), etwas starker 
j wirkte III ( Id mal positiv Proz., I mal negativ). Weit 

deutlicher, d. h. länger dauernd und intensiver war die W ir- 
kung des Dialysates IV (JJ mal positiv ss Rroz.. -Dual 
negativ) und besonders die des I bal\ sates \ (J5 mal jx.Mtiv 
-- 100 Proz., niemals negativ). IV und V erzeugten audi Re¬ 
aktionen. die den Dauerreaktionen nadi Tuberkuünhaut- 
impfungen entsprachen. 

Die Datier der Dialyse scheint also ebenso w R J| c Menge 
der verwendeten toten oder lebenden Tuberke'baz.Ücn \..u 
Einfluss auf den Gehalt an wirksamer Substanz zu se : n. D.e 
Reaktionen waren allerdings ganz erheb”Ji sJiwächer. .,'s w ,r 
sie nach TTiberknhnhautimpfürgcii s, lieg und sind m :h-er 
Stärke nur als ganz schwache zu bezeichnen: sie wurd. u 
aber nur dann als positiv gerechnet. wenn s :c sich gai 7 Jvutl.Ji 
von der Kontrolle mit Karbol!« >s:n:g ur*ersJm den de in 
sämtlichen JS Fällen negativ au-bc!. Die Koutnäle ’int ein¬ 
geengter Nahrboinläm (in 2> Kn'len) war 7ina' p n vo- 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1687 


= 28 Proz., aber stets schwächer oder wenigstens weit 
schneller ablaufend, als die mit den Dialysaten. Dazu wären 
noch 4 zweifelhafte Fälle zu rechnen (= insgesamt 44 Proz.), 
in denen eine Art positiver Reaktion eintrat, die aber nach 
24 Stunden schon verschwunden war. 

Bei 12 Fällen wurde gleichzeitig eine Hautimpfung mit un¬ 
verdünnter Bazillenemulsion vorgenommen, die zu einer er¬ 
heblich stärkeren Reaktion führte als die Impfung mit den 
Dialysaten, aber in ihrer Stärke nicht die der Hautimpfungen 
mit Tuberkulin erreichte, mit dem einige der Patienten früher 
geprüft worden waren. 

Die anatomische Untersuchung derartiger Reaktionen mit 
Dialysat V von 3 Patienten, die auf die Impfung mit ein¬ 
geengter Bouillon gar nicht reagiert hatten, ergab nun das 
bemerkenswerte Resultat, dass herdförmige Rundzellen¬ 
infiltrate, besonders im Verlaufe der Qefässe, zum Teil mit 
epithelioiden Zellen, auftraten, in denen sich auch typische 
Langhanssehe Riesenzellen finden. In einer 12 Tage nach 
der Impfung exzidierten Impfstelle fand sich unter dem Epithel 
von derartigen Zellinfiltraten mit Riesenzellen umgeben ein 
nekrotischer Herd (Verkäsung), ein Bild, wie wir es auch bei 
heilenden tuberkulösen Prozessen finden, besonders bei den 
sogen, papulo-nekrotischen Tuberkuliden, die in erster Linie 
als toxische Tuberkulosen angegeben worden sind. Es sind 
das Veränderungen, die zwar weniger charak¬ 
teristisch sind, als die nach Tuberkulinhaut- 
impfungen entstehenden, die aber von diesen 
nur graduell verschieden sind und histo¬ 
logisch ebenfalls als tuberkulöse Strukturen 
bezeichnet werden müssen. 

Mir scheint hiermit der Beweis geliefert 
worden zu sein, dass auch dialysierbare, aus 
den Tuberkelbazillen stammende Stoffe fähig 
sind, echte tuberkulöse Strukturen zu er, 
zeugen und dass dazu weder Bazillen und ihre 
Trümmer, noch gelöste Leibessubstanz (Endo¬ 
toxine) nötig sind. Damit ist auch bewiesen, dass nur ein 
Teil (wenn auch vielleicht der grösste) der Wirkung des 
Tuberkulins auf gelöste Eiweiss- bezw. einweissähnliche Stoffe 
(Endotoxine, Kolloide) zurückgeführt werden und dass diese 
Wirkung auch durch echte Lösungen erzeugt werden kann. 
Vielleicht können zu diesen auch Abbauprodukte der Endo¬ 
toxine gehören, über deren Natur wir ja bishen eigentlich nichts 
wissen. 

Diese Frage ist zurzeit nicht zu entscheiden und für unsere 
Untersuchungen auch von nebensächlicher Bedeutung. Das 
Wesentliche ist, dass auch ohne Anwesenheit 
von kbrpuskulären (selbst ultramikroskopischen) Be¬ 
standteilen der Tuberkelbazillen, also allein 
durch echte Lösungen aus Tuberkelbazillen 
stammender Stoffedas histologische Bild der 
Tuberkulose erzeugt werden kann. 

Was nun die Bedeutung meiner Befunde für die mensch¬ 
liche Pathologie anlangt, so ist, glaube ich, dadurch erwiesen, 
dass „toxische“ Tuberkulosen Vorkommen können. Fast regel¬ 
mässig erweisen sich die sogen, toxischen Tuberkulosen (Ery¬ 
thema induratum, papulo-nekrotische Tuberkulide) im Tierver¬ 
such als avirulent, selbst wenn grosse Qewebsmengen verimpft 
werden, trotzdem sie nicht selten sehr deutlich auf Injektionen 
alten Koch sehen Tuberkulins lokal reagieren. Dass aber der 
positive Ausfall der lokalen Tuberkulinreaktion nichts für eine 
bazilläre Entstehung der Veränderungen beweist, geht auch 
daraus hervor, dass Hautimpfungen nach v. Pirquet nicht 
selten in weiter Ausdehnung (5 cm im Durchmesser und mehr) 
auf solche Reaktionen reagieren und ebenso die Narben noch 
monatelang nach erfolgter Exzision 3 ). 

Die Lehre von den „toxischen Tuberkulosen“ hat jeden¬ 
falls damit eine Grundlage gewonnen, die ihr bisher fehlte. 
Allerdings hat diese Frage mehr allgemein-pathologisches und 
überhaupt theoretisches Interesse als praktische Bedeutung. 
Es ist aber die Möglichkeit des Entstehens tuberkulöser Ver¬ 
änderungen ohne Mitwirkung korpuskulärer, aus den* Tuberkel- 


fl ) Auch Impfungen mit Dialysaten aus Tuberkulin (histologisch 
„Tuberkulose“) reagieren gelegentlich auf subkutane Injektionen 
alten Kochschen Tuberkulins. 


bazillero stammender Stoffe mit solcher Energie bestritten 
worden, dass unsere Ergebnisse wohl der Mitteilung wert sind, 
obwohl der von uns vertretene Standpunkt durchaus kein neuer 
ist, sondern seitJahren den der allgemeinen Pathologie darstellt. 
Es sei hier nur auf das Referat von J. Orth auf der 4. Versamm¬ 
lung der Deutschen pathologischen Gesellschaft hingewiesen 
(Welche morphologische Veränderungen können durch Tu¬ 
berkelbazillen erzeugt werden? Hamburg 1901). 


Aus dem Allgemeinen Krankenhause Eppendorf. 

lieber die Much sehe granuläre Form des Tuber¬ 
kulosevirus.*) 

Von Dr. Moritz W i r t h s, Volontärassistenten am patho¬ 
logischen Institut. 

M. H.! Im Januar d. J. hat Herr Much im ärztlichen 
Verein einen Vortrag gehalten über eine von ihm entdeckte 
eigenartige granuläre Form des Tuberkulosevirus, über die er 
bereits früher in den Beitr. z. Klinik d. Tuberkulose eingehend 
berichtet hatte. 

Much fand in Fällen von Tuberkulose, in denen trotz typi¬ 
scher histologischer Veränderungen und durch Kultur oder 
Tierexperiment festgestellter Virulenz säurefeste Bazillen nicht 
gefunden werden konnten, regelmässig verschieden grosse, 
feine Körnchen, teils diffus zerstreut oder in Haufen zusammen¬ 
liegend, teils zu einer feinen Stäbchenform angeordnet. Diese 
Körnchen unterscheiden sich von allen bisher gekannten For¬ 
men des Tuberkelbazillus dadurch, dass sie nur nach Gram 
darstellbar, nach Z i e h 1 oder mit den sonstigen üblichen Me¬ 
thoden nicht färbbar sind 1 ). Ueber die Stellung dieser Körn¬ 
chen in der Biologie des Tuberkelbazillus gehen die Meinungen 
auseinander: v. Behring erklärt sie gelegentlich einer Be¬ 
stätigung der Much sehen Befunde für auf bakteriolytischem 
Wege entstandene Zerfallsprodukte des Koch sehen Tuber¬ 
kelbazillus, Much dagegen hält sie für eine Entwicklungsform 
desselben, und zwar deshalb, weil er experimentell einmal 
säurefeste Bazillen in die granuläre Form, dann diese wieder 
in säurefeste Bazillen überführen konnte. 

Much säte nämlich in Perhydrase-, also völlig keimfreie Milch 
immunisierter Kühe eine Rindertubcrkelbazillenkultur ein; nach län¬ 
gerem Stehen bei 37° verschwanden die säurefesten Bazillen und es 
waren nur noch die gramfärbbaren Körnchen übrig. Als jetzt der 
Milch 2 proz. Glyzerin zugefügt wurde, traten wieder reichlich säure¬ 
feste Bazillen auf. 

Die Much sehen Untersuchungen erstreckten sich haupt¬ 
sächlich auf tierische Tuberkulose; über einige weitere Gra¬ 
nulabefunde beim Menschen will ich Ihnen bereits heute be¬ 
richten, wenn auch die Untersuchungen noch nicht völlig ab¬ 
geschlossen sind. 

Was zunächst die Untersuchungstechnik betrifft, so erweist 
sich diese als bedeutend schwieriger und komplizierter, als es 
nach den Much sehen Angaben den Anschein hat; diesem 
Umstande ist es auch wohl zuzuschreiben, dass die Entdeckung 
der Much sehen Granula so spät geschah. 

Zur Darstellung der säurefesten Formen des Tuberkel¬ 
bazillus benutze ich die gewöhnliche Zrehl-Neelsen sehe 
Methode: Färben mit konzentriertem Karbolfuchsin, Ausstriche 
2 Minuten über der Flamme bei mehrmaligem Aufkochen 
Schnittpräparate 1—24 Stunden bei 37° oder Zimmerterm 
peratur; Differenzieren in verdünnter Schwefelsäure und abso¬ 
lutem Alkohol, bei Ausstrichen Gegenfärbung mit Löffler- 
schem Methylenblau. Ich beschränkte mich auf diese Methode, 
da sie nach vergleichenden im v. Behringseben Institut 
ausgeführten Untersuchungen den übrigen, auch der Ehrlich- 
schen völlig gleichwertig sein soll. 

So sicher die Ziehl-Neelsen sehe Färbung, so unzu¬ 
verlässig die nach Gram. 


*) Nach einem in der Biologischen Gesellschaft des Acrztlichen 
Vereins Hamburg am 2. Juni 1908 gehaltenen Vortrage. 

*) Auch die von E h r 1 i c h in den Charitee-Annalen, XI. Jahrgang. 
1886 beschriebenen, mit Anilinfärbung und Differenzierung mit Na- 
triumbisulfit dargestellten, an den Enden der Tuberkelbazillen ge¬ 
legenen eiförmigen Körperchen haben mit der Much sehen granu¬ 
lären Form nichts zu tun, da sie auch leicht bei starker Färbung nach 
Ziehl gefärbt werden können. 


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1688 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 32. 


Von den von Much angegebenen, zum Teil von anderen 
modifizierten 3 Methoden: 

1. Anilinwassergentianaviolett, 

Lugo Ische Lösung, 

Entfärben in Alkohol abs. und Nelkenöl 
= Gram-Methode 1. 

2. Methylviolett B. N-, 16 ccm gesättigte alkoholische Lösung in 

100 ccm 2 proz. Karbolwasser (Aufkochen über der Flamme 
oder 24 —48 Stunden bei 37 # ). 

Jodjodkaliumlösung 1—5 Minuten, 

5 proz. Salpetersäure 1 Minute, 

3 proz. Salzsäure 10 Sekunden, 

Azeton-Alkohol (ana) 

— Qram-Methode 2. 

3. Methylviolett B. N., Lösung wie oben (Aufkochen oder längere 

Zeit bei 37°). 

Jodkaliumwasserstoffsuperoxydlösung (5 g Jodkaliuni, 100 ccm 
2 proz. H>0>) bis 2 Minuten, 

Alkohol, abs. 

~ Oram-Methode 3. 

erwies sich mir die zweite als die einfachste und sicherste. 
Es genügt aber meiner Erfahrung nach eine Färbedauer von 
24 Stunden bei Zimmertemperatur. Bei längerer Einwirkung 
der Farblösung treten leicht nicht mehr ganz zu entfernende 
Niederschläge auf. Dagegen ist eine Verstärkung 
der Jodierung auf 10—15 Minuten Dauer sehr zu 
empfehlen; nur ist zu beachten, dass dann die an sich schon 
rasche Differenzierung im Azetonalkohol noch schneller vor 
sich geht. Zur Qegenfärbung bei Ausstrichpräparaten benutzte 
ich eine stark verdünnte Karbolfuchsinlösung (1 Tropfen der 
konzentrierten Lösung auf 1 Reagenzglas Wasser). Selbst¬ 
verständlich müssen sämtliche Lösungen kurz vor dem Ge¬ 
brauch stets von neuem filtriert werden. 

Auch bei genauer Beobachtung dieser Vorschriften gelingt 
die Färbung nicht immer. Es können natürlich nur völlig 
durchdifferenzierte Präparate in Betracht kommen, da sonst 
der Einwand erhoben werden kann, die Granula seien nichts, 
als Niederschläge. Andererseits tritt schon bei geringer Ueber- 
schreitung der Differenzierungszeit eine Entfärbung der Körn¬ 
chen ein. Erst nach längerer Zeit und Uebung gelingen die 
meisten Präparate, auch dann hat man noch mit 
häufigen Misserfolgen zu rechnen. 

Von Bedeutung ist ferner die Tatsache, dass wie bei allen 
Grampräparaten auch hier mit der Zeit Entfärbung eintritt; 
und zwar erfolgt diese Entfärbung um so schneller, je stärker 
die Jodierung war. Bei der angegebenen Jodierungszeit von 
10—15 Minuten ist bereits nach 24 Stunden ein grosser Teil der 
Granula entfärbt. Diese Entfärbung bietet aber wieder ein 
nachträgliches Unterscheidungsmittel der Granula von Kohle 
und anderem Pigment. 

Man kann aber jederzeit die Präparate von neuem färben, 
ohne dass Güte und Deutlichkeit darunter leidet. 

Während bei der Tier- und zwar namentlich bei der 
Rindertuberkulose säurefeste Bazillen verhältnismässig häufig 
zu fehlen scheinen, ist dieser negative Befund bei menschlicher 
Tuberkulose äusserst selten. Wenigstens fand ich unter dem 
reichlichen Tubcrkulosematerial des Eppendorfer Kranken¬ 
hauses nur wenige Fälle, in denen eine sorgfältige Unter¬ 
suchung zahlreicher Präparate negativ ausfiel. 

Eine Reihe von Fällen, in denen die Untersuchung nach 
Z i e h 1 ein positives Resultat ergab, färbte ich auch nach 
Gram. Ich fand regelmässig, wie ja auch von Much an¬ 
gegeben, mehr Stäbchen als nach Z i e h 1, ausserdem auch die 
Much sehen Granula in ihren einzelnen Formen. Ich be¬ 
merke dabei, dass nur solche Fälle berücksichtigt wurden, in 
denen durch die postmortale Blutuntersuchung eine Misch¬ 
infektion ausgeschlossen werden konnte. Die Granula lagen 
stets intrazellulär, sowohl in den Riesen- wie auch in den 
Epitheloidzellen, öfters auch in grossen, an der Peripherie der 
Tuberkel gelegenen, an Makrophagen erinnernden Zellen. 

Besonders schon war ein Fall von Miliartuberkulose bei einem 
7 jährigen Kinde. Das Lungengewebe ist durchsetzt von teilweise 
konfluierenden Fpitheloidtuberkcln mit zahlreichen Riesenzellen, aber 
nur sehr geringer zentraler Nekrose. Kohlcpartikelchen sind reich¬ 
lich vorhanden, nicht aber im Zentrum der Tuberkel und in den 
Riesenzellen. Im Ziehlpräparate finden sich typische Bazillen haupt¬ 
sächlich ln der Peripherie, nie mehr als 4-6 im Tuberkel, ganz ver¬ 
einzelt auch in den Riesenzellen, die meisten von diesen sind 
aber frei. 


Im Gram präparat sind ausser in der Peripherie auch 
fast in allen Riesenzellen blauschwarz gefärbte Stäbchen und 
Körnchen sichtbar, in geringerem Grade auch in den Epi¬ 
theloidzellen. Die Granula liegen stets intrazellulär, teils 
isoliert, teils zu zweit oder zu dritt in einer Reihe, teils zu einer 
feinen Stäbchenform angeordnet. 

Interessant war auch ein Fall von isolierter Milztubcrkulnsc bei 
einer 60 jährigen Frau. Bei der Sektion waren ausser alten Krcide- 
herden in beiden Lungenspitzen sowie Verwachsungen beider Pleura¬ 
blätter keine tuberkulösen Veränderungen makroskopisch erkennbar. 
In der Milz fand sich ein etwa erbsengrosses, derbes Knötchen mit 
feiner strichförmiger Zeichnung, das das Aussehen eines Angmms 
hatte, wofür cs auch anfangs erklärt wurde. Die mikroskopische 
Untersuchung ergab das überraschende Resultat, dass der Tumor aus 
kleinen Epitheloidtubcrkeln mit Riescnzellcn bestand: der tuberkulöse 
Herd war scharf gegen die Umgebung abgesetzt, Riesen/cllen und 
Zentrum der Tuberkel sind frei von Pigment. Nach Zieh! finden 
sich keine Stäbchen, nur nüissig zahlreiche reihenweise angeordnete 
feine Körnchen in den Epitheloidzellen. Im (i r a m - Präparat er¬ 
scheinen die Körnchen viel zahlreicher, sie liegen z. T. auch in 
Reihen- und Stäbchenform, meist aber diffus zerstreut m den F.pi- 
theloid- und den nach Ziehl freien Riesen/ellen. Beide Romchcn- 
formen finden sich nur im tuberkulösen Gewebe. 

Ich komme nun zu den Fällen, in denen eine genaue 
Durchsuchung zahlreicher Präparate nach Ziehl negativ 
ausfiel, in denen also weder Bazillen noch Körnchen gefunden 
wurden. Es handelt sich um 3 Fälle von Drusentuberkulose 
und 6 kalte Abszesse: bei letzteren ist das Fehlen säurefester 
Bazillen ja das Gewöhnliche. Die Drüsen (2 mal Hals-, 1 mal 
Mesenterialdriiscn) waren verkäst, teils mit hartem Käse, teils 
mit flüssigem Eiter angefüllt. Das Vorhandensein anderer 
Bakterien wurde stets durch genaue bakteriologische Unter¬ 
suchung (Ausstrich auf Blutagar. Glyzerinagar und Prygalski- 
nührboden) ausgeschlossen. 

In allen diesen Fällen fanden sich im G ram präparat die 
M u c h sehen Granula, meist diffus zerstreut, seltener in Haufen 
zusammenliegend, in einem Falle auch zu einer feinen Stab¬ 
ehenform angeordnet. 

Bei einem Fall von Drusentiibcrkulosc. wo nur diffus zerstreut 
liegende Granula sichtbar waren, brachte ich Stückchen der ver¬ 
kästen Drüse in Serumrohrchen. Nach s l agen oüncte ich ein Röhr¬ 
chen und untersuchte das (iew ebsstuckchen nach / i e h I und (i r a m. 
Die Untersuchung nach Ziehl fiel rugativ aus. dagegen landen sich 
nach Gram ausser den isolierten Granulis bereits ieme Mabchen- 
forrnen. Nach weiteren 8 Tagen öffnete ich ein zweites Röhrchen: 
die Stäbchenformen hatten im (i r a m - Praparat an Menge bedeu¬ 
tend zugenommen, nach Ziehl fand sich wieder nichts. Zweifeiios 
werden sich bei den nächsten Fntnahmen auch nach Ziehl tarbbare 
Stäbchen nachweisen lassen, wie dieses Much bei gleichen Ver¬ 
suchen mit Lungenstückchen perlsuchtiger Rinder gelungen ist. 

In 5 anderen Fällen wurde zum Nachweis der Virulenz 
3 resp. 4 ccm einer Boiiillonauischw emmimg des betreffenden 
Drüsen- resp. Abszesseiters je 2 Meerschw emchen iniiziert. Bei 
allen Tieren ergab die Sektion eine ausgedehnte Tuberkulose 
der inneren Organe und zwar entsprechend der lnicktions- 
weise der Mesenterialdriiscn, des Netzes. Milz. Leber. Hron- 
chialdriiscn, in geringerem Grade auch d< r Lungen, ln Jen 
Organen waren säurcieste Bazillen in Menge zu finden. In 
sämtlichen Fällen gelang es ausserdem, im Peritoncalexsudat 
nach einiger Zeit nach Ziehl färbbare Bazillen nach/uw eisen. 
Das Peritonealexsudat wurde in Abstanden \on I 3 lagen 
regelmässig entnommen und nach Ziehl und Gram unter¬ 
sucht. 

Die Exsudatentnahmc erfolgt so, dass nach gründlicher 
Reinigung der rasierten Bauchhaut mit Sublimat die Maut mit 
kurzem Scherenschlag diirchtrcnut. dann mit einer über der 
Stichflamme zu langer Spitze ausgezogener Glaspjpettc m die 
Bauchhöhle eiugestocheu wird, worauf tlas Exsudat unter 
stetem Heben und Senken der Pipette langsam in diese auf¬ 
steigt. Die kleine Wunde wird mit Kollodium verschlossen. 

Anfangs fanden sich in den Exsudatzellen nur dieselben 
Granula wie im injizierten Eiter, häufig aber schon zu einer 
feinen Stäbchenform angeordnet: in der ruJiMcn Zeit traten 
immer mehr nur rach Gram iärbbare Stäbcher.formen aut. 
bis zuletzt auch im Z i e h I präparat typische Baz;!!cu sicht¬ 
bar wurden. 

Es stimmt also das Ergebnis genau mit dem der gleichen 
M u c h sehen \ ersuche überein : es wird die n u r n a c h 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1689 


Gram färbbare granuläre Form in die säure¬ 
feste uni ge wandelt. 

Das Umgekehrte trat ein, als ich gelegentlich einer anderen 
Versuchsreihe einem Meerschweinchen eine Aufschwemmung 
einer Reinkultur von säurefesten Bazillen injizierte 2 ). 

Nach 24 Stunden fanden sich in den Exsudatzellen reichlich 
nach Ziehl färbbare Stäbchen, aber bedeutend weniger als 
man bei der injizierten Bazillenmenge erwarten musste. Nach 
2 mal 24 Stunden hatte ihre Zahl noch mehr abgenommen, so 
dass man annehmen konnte, ein grosser Teil wäre zu Grunde 
gegangen oder bereits verschleppt worden. Wie irrig diese 
Auffassung gewesen .wäre, zeigte das Gram präparat. In 
den Exsudatzellen finden sich massenhaft Stäbchen mit allen 
Uebergängen bis zu den isolierten Körnern. In den nächsten 
Tagen wurde der Unterschied zwischen Gram- und Ziehl- 
präparat immer geringer, doch war auch bei der letzten Ent¬ 
nahme noch eine deutliche Differenz zu erkennen. 

Es wandelt sich also hier die nach Ziehl 
färbbare Form in die nur nach Gram färbbare 
granuläre um. 

Das Peritonealexsudat bestand bei diesen Fällen aus poly¬ 
morphkernigen Leukozyten, grossen einkernigen Zellen und 
Makrophagen — letztere in der Minderzahl. Stäbchen wie 
Körnchen, bei Ziehl wie bei Gram, lagen fast ausschliess¬ 
lich in den grossen einkernigen Zellen und Makrophagen, häufig 
von hellglänzenden Vakuolen umgeben. Aus der oben 
beschriebenen intrazellulären Rückwand¬ 
lung der nur nach Gram färbbaren granulären 
Form in die säurefeste ergibt sich meines Er¬ 
achtens für diese Fälle eine konservierende 
Wirkung der grossen einkernigen Zellen und 
Makrophag en. 

Ein ganz anderes Bild erhielt ich, als ich einem anderen 
Meerschweinchen Tuberkelbazillen in Reinkultur (0,01 g Tb., 
B. K. vom 8. IV. 08) + 2 ccm tuberkulösen Abszesseiter in¬ 
jizierte und das Peritonealexsudat mit dem zweier Kontrolliere 
verglich, von denen das eine dieselbe Menge Tuberkelbazillen 
+ 2 ccm NaCl, das andere 2 ccm desselben Eiters allein er¬ 
halten hatte. Hier waren die polymorphkernigen Leukozyten 
bei weitem in der Mehrzahl und sie waren es hauptsächlich, 
die Bazillen wie Granula aufgenommen hatten, während bei 
den Kontrollieren der gewöhnliche obige Befund erhoben 
wurde. 

Mit demselben Eiter wiederholte ich einen Versuch, den 
Much mit perhydratisiertem Streptokokkeneiter vorge¬ 
nommen hatte. Ich füllte je 2 com in 12 sterile Reagenz¬ 
röhrchen und fügte zu ledern 0,01 g Tuberkelbazillen (Tb., B. K. 
vom 8. IV. 08) hinzu . In Abständen von 24 Stunden entnahm 
ich regelmässig Proben, indem ich täglich ein Röhrchen mehr 
öffnete. Bereits nach 24 Stunden stellte es sich heraus, dass 
die säurefesten Bazillen zum grössten Teile verschwanden, 
während das G r a m präparat, das alle Formen von Stäbchen 
bis zu den isolierten Körnchen aufwies, annähernd gleich blieb. 
Nachdem die Differenz in den nächsten 4 Tagen immer mehr 
zugenommen hatte, vermehrte sich auf einmal die Zahl der 
säurefesten Bazillen, wieder; bei der letzten Entnahme war eine 
Differenz zwischen Ziehl und Gram nicht mehr zu er¬ 
kennen. Eine Wiederholung des Versuchs mit anderem tuber¬ 
kulösem Abszesseiter ergab das gleiche Resultat. 

Wir haben also hier dasselbe Ergebnis, das Much bei 
dem anfangs beschriebenen Versuche (Einsäen von Tuberkel¬ 
bazillen in Perhydrasemilch immunisierter Kühe) erhalten hatte, 
d. h. es wandelt sich anfangs die nach Ziehl 
färbbare säurefeste Form in die nur nach 
Gram färbbare granuläre, später diese wieder 
indiesäurefesteum. Dagegen stimmt es nicht mit dem 
bei diem oben erwähnten Versuche Muchs mit Strepto¬ 
kokkeneiter erhaltenem überein; hierbei konnte Much kein 
Wiederauftreten von nach Ziehl färbbaren Bazillen nach- 
weisen, vielmehr verschwand hier auch der grösste Teil der 
Granula. 


*) Während es sich bei Muchs Versuchen um vom Rinde 
stammende Tuberkelstämme handelte, benutzte ich stets vom Men¬ 
schen stammende Kulturen. 

No. 32 . 


Demonstration der Mikrophotogramme. 

Fassen wir die Ergebnisse der Much sehen und meiner 
Untersuchungen zusammen, so müssen wir zu folgenden 
Schlüssen kommen: 

Die Differenz im Z i e h 1 - und Gram präparat beruht, wie 
Much bereits in seiner ersten Arbeit angab, darauf, dass der 
I Tuberkelbazillus zwei färbbare Substanzen besitzt; von diesen 
ist nach Much die eine nach Gram, die andere nach Ziehl 
oder wie mir wahrscheinlich scheint, beide nach Gram, aber 
nur die eine nach Ziehl färbbar. Diese nach Ziehl färb¬ 
bare Substanz geht unter gewissen Bedingungen verloren, die 
nur nach Gram färbbare bleibt, indem die solide Stäbchen¬ 
form unter den beschriebenen Uebergängen in die isolierte 
Körnchenform umgewandelt wird. Diese Körnchenform bleibt 
virulent, ist also die resistenteste aller bisher bekannten Formen 
des Tuberkelbazillus. 

Die Umwandlung der säurefesten in die M u c h sehe Form 
tritt ein, wenn säurefeste Bazillen in Perhydrasemilch oder 
perhydratisierten Streptokokkeneiter wie bei den Much sehen 
Versuchen oder wie bei meinen in die Bauchhöhle resp. das 
Peritonealexsudat von Meerschweinchen oder tuberkulösen 
Abszesseiter gelangen. Die Umwandlung muss also in Zu¬ 
sammenhang stehen mit gewissen in diesen Körpersekreten 
suspendierten Substanzen, d. h. durch sie herbeigeführt 
werden. 

Dass ein Teil der Granula zerstört oder auch in eine andere 
noch unbekannte Form überführt wird, erscheint wahrschein¬ 
lich, ist aber noch nicht bewiesen. 

Wie dem auch sei, ein Teil der Granula hält sich konstant 
und widersteht den einwirkenden, die nach Ziehl färbbare 
Substanz auflösenden Stoffen. Haben sich diese erschöpft und 
werden keine neuen produziert, so tritt eine Rückwandlung in 
die säurefeste Form ein. So erklärt sich das Wiederauftreten 
von nur nach Ziehl färbbaren Bazillen in M u c h s Milch- und 
meinen letzten Eiterversuchen. Dasselbe geschieht, wenn nur 
nach Gram färbbare Granula enthaltender Eiter in die Bauch¬ 
höhle der Versuchstiere gelangt: die Granula, die den ein¬ 
wirkenden Stoffen im Abszesseiter widerstanden haben, halten 
auch den Angriff des Bauchhöhlenexsudates aus, und da sie 
nachUeberstehendiesesAngriffesvor weite¬ 
ren Einwirkungen etwa neu produzierter 
Stoffe im Zelleib der Exsudatzellen sicher 
sind, steht auch hier einer Rückwandlung in die säurefeste 
Form nichts im Wege. 

Andererseits kann diese Rückwandlung im tuberkulösen 
Abszesseiter in vivo nicht erfolgen, da ja immer neuer Eiter 
und damit stets wieder neue Stoffe produziert werden, die die 
etwa sich bildende nach Ziehl färbbare Substanz auflösen. 

Es geht aus allem diesem ferner hervor, dass die an¬ 
fangs erwähnte Muchsche Auffassung zu 
Recht besteht: die nur nach Gram färbbare 
granuläre Form des Tuberkulosevirus ist 
kein Zerfallsprodukt, sondern eine virulente 
Entwicklungsform und zwar die resistenteste 
allerbisher gekanntenFormendesKochschen 
Tuberkelbazillus, sowohl des sogenannten 
Typus humanus wie des Typus bovin us. 

Die Bedeutung der Much sehen Entdeckung Hegt auf der 
Hand. Sie erklärt uns manche bisher unverständliche Er¬ 
scheinungen im Verlauf der Tuberkulose, so das Fehlen oder 
zeitweise Verschwinden von Bazillen trotz sicher bestehender 
tuberkulöser Erkrankung. Sie ist ein weiterer Beweis gegen 
die in anderen Ländern noch immer von vielen aufrecht er¬ 
haltene Behauptung, die Tuberkulose werde nicht durch den 
Koch sehen Bazillus, sondern durch einen ganz anderen Er¬ 
reger hervorgerufen. 

Durch sie wird auch vielleicht die noch immer strittige 
Aetiologie der als glatte, gelatinöse Pneumonie 
bekannten Form der Lungentuberkulose entschieden werden. 
Es finden sich in solchen Fällen häufig weder Tuberkelbazillen, 
noch andere Bakterien, und man betrachtet jetzt auf Grund der 
Untersuchungen von F r ä n k e 1 und T r o j e diese Lungenver¬ 
änderungen als Effekte der giftigen Stoffwechselprodukte der 
Tuberkelbazillen. Leider fand sich in den letzten Monaten kein 
geeignetes derartiges Material, so dass ich die Anregung 

3 


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1600 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. !?. 


von Herrn Fraenkel, diese Lungenveränderungen auf ; 
Much sehe Granula hin zu untersuchen, noch nicht ausführen 
konnte; ich behalte mir aber entsprechende Untersuchungen ! 
für die Zukunft vor. 

Auf eine weitere, in letzter Zeit wieder aufgeworfene Frage 
will ich noch kurz eingehen. 

Bekannt ist die Idee M e t s c h n i k o f f s, die Larven der 
Bienenmotte, die in ihren Körpersäften Wachs zu lösen im¬ 
stande ist, zu prüfen, ob sie auch die wachsartige Hülle der 
Tuberkelbazillen auflösen könne, und diese gegebenenfalls zu 
Immunisierungszwecken praktisch zu verwerten. M e t a 1 n i - 
koff stellte tatsächlich ein Verschwinden der Bazillen fest; 
Konstantino witsch, der die Versuche nachpriiite, 
konnte dieses auch bestätigen, wies aber gleichzeitig nach, dass 
ihre Virulenz bestehen bleibt. Dieser bisher unverständliche 
Widerspruch erscheint mir jetzt geklärt: die injizierten säure- , 
festen Bazillen haben ihre nach Zichl färbbare Substanz ver- ! 
Ioren, sich in die nach Gram färbbare granuläre Form um¬ 
gewandelt und in dieser ihre Virulenz behalten. Den Beweis ! 
für diese Hypothese hoffe ich Ihnen demnächst erbringen zu j 
können. | 

Bekannt ist die vielumstrittene Lehre v. Bau nigartens | 
von der kongenitalen Entstehung der Tuberkulose. Neuer- j 
dings hat diese geistvolle Ansicht auf Grund klinischer Be¬ 
obachtung und anatomischer Erfahrungen durch K ra einer . 
eine wichtige Stütze gefunden. Die als Erklärung für die re- | 
lative Seltenheit tuberkulöser Veränderungen bei Neu¬ 
geborenen herangezogene Latenz der Tuberkelbazillen lässt j 
sich vielleicht ebenfalls auf die granuläre Form zurückführen. ; 

Die Entdeckung der M u c h scheu Granula gewährt uns ( 
also weiteren neuen Einblick in die Biologie des Tuberkel- | 
bazillus. Sie bekräftigt ausserdem die alte Forderung, dass j 
aus dem Fehlen oder Verschwinden von säurefesten Tuberkel- j 
bazillen eine Tuberkulose weder für ausgeschlossen, noch für , 
geheilt erklärt werden darf, sondern dass hierfür einzig und 1 
allein das Tierexperiment entscheidend ist. Aber eine 
Reihe von Fällen, in denen begründeter Ver- ! 
dacht auf Tuberkulose besteht, säurefeste 
Bazillen aber fehlen un d in denen es a u f ei n e 
schnelle Diagnose a n k o ni m t, w i r d d u r c h d e u 
Nachweis der nur nach Gram färbbaren g r a - ' 
n u 1 ä r e n Form des T u b e r k e 1 b a z i 11 u s künftig- ! 
hin zweifellos sofort entschieden werden 
können. Diese konnte von S c h o 11 m ii 11 e r in¬ 
zwischen schon demonstriert werden. 

Während der Drucklegung dieser Arbeit wurden mit 
meinen die M u c h sehen Angaben bestätigenden Unter- 1 
suchungen übereinstimmende Resultate von englischer Seite ' 
veröffentlicht. j 

B i s Ii e r i g u L i t e r a t ii r. ! 

1. Much: Ucbcr die granuläre, nach Zichl nicht färbbare i 
Form des Tuberkulosevirus. Beitr. z. Klinik d. Tuberkulose, Bd. VIII, | 
H. 1. — 2. v. Behring: Beitrag zur Lehre von den Infektions¬ 
wegen der Tuberkulose. Tubcrkulosis, Vol. (>, September 1907. -- 
3. Michaelides: Line durch Ziehlfärbung nicht darstellbare l'orm 
des Tuberkelbazillus. Beitr. z. Klinik d. Tuberkulose. Bd. VIII, M. 1. 

— 4. Much: Ueber die nicht säurefesten bormen des K o c h sehen 
Tuberkelbazillus. Beitr. z. Klinik d. Tuberkulose, Bd. s. 11. 4. - 

5. Much: Die nach Zichl nicht darstellbaren bornien des Tuberkel- | 
bazillus. Bcrl. klin. VVochcnschr. 1908, No. 14. — (>. C. A. I reu- i 
holtz: Form of tubercle Bazils, which cannot bc coloured bv Ziehl j 
System. Medical Record, January 11, 19ns. 

Aus der Infektionsabteilung des Rtid. Virchow-Krankenhauses 1 
(dirig. Arzt: Privatdozent Dr. J o c h m a n n) und der bakterio- | 
logischen Abteilung (Vorsteher: Dr. T ö p i e r). j 

Zur Frage der Spezifizität der Komplementbindungs- j 
methode bei der Syphilis. 

Von Privatdozent Dr. J o c h m a n n und Dr. T ö p f e r. j 

Auf Grund ihrer Untersuchungen mit der Komplement- ' 
bindungsmethode bei nicht syphilitischen Kranken machten 
Much und Eichelberg in der No. LS der medizinischen j 
Klinik dieses Jahres die Mitteilung, dass im Serum von | 
Scharlachkratiken in vielen Fällen Stoffe auftreten, die mit j 
Wässerigem Luesextrakt die typische Komplementablenkungs- 
■ klioii geben. Diese Mitteilung war geeignet, die praktische 1 


Verwendbarkeit der W a s s e r m a n n sehen Syphihsreaktion 
ganz erheblich zu beeinträchtigen. 

Dass bei einzelnen, hierzulande nicht vorkommenden 
Krankheiten, z. B. der Frambosie, die Reaktion positiv ausiallt, 
ist für die Praxis nicht von grosser Bedeutung. Auch die 
bereits wiederholt gemachte Beobachtung, die auch wir in 
einem Falle feststellen konnten, dass bei der Lepra die Kom¬ 
plementablenkungsmethode positiv ausfallt, würde, wenn sie 
sich als typisch für diese Krankheit erwiese, nicht so viel be¬ 
deuten als die Möglichkeit einer positiven Reaktion iniolge von 
überstandenem Scharlach. 

A priori wäre es ja denkbar, dass bei der noch unbekannten 
Aetiologie des Scharlachs solche Erreger eine Rolle spielen, 
die zu dem S\ philisv uns in naher verwandtschaftlicher Be¬ 
ziehung stehen, so dass hier eine Art Gruppenreaktion auftreten 
könnte. Insofern hatte die Beobachtung von M u c h und 
E i c h e Iber g, die sie unter 25 Fallen 15 mal gemacht haben, 
auch ein ätiologisches Interesse. Aber stutzig musste man doch 
werden bei der Ueberlegung, dass von den vielen Kontroll- 
untersuchungen bei nichtsyphilitischen Kranken, die bei dem 
Ausbau der Methode vorgenommen worden waren -- 
W a s s c r m a n n hat allein über Khki zusammengestellt -- 
niemals ein positiver Ausfall gesellen wurde, und doch hat 
sicherlich ein hoher Prozentsatz dieser Nichtsyplulitischeii 
früher Scharlach uberstanden. 

Nun wäre es freilich noch denkbar, dass beim Scharlach 
die Reaktion nicht so lange bestehen bleibt wie bei der Lues, 
sondern bald nach Ablauf der KrankheitsersJieinungcii ver¬ 
schwindet. Jedenfalls war eine Nachprüfung der Angaben \on 
A\ u c h und E i c h e I b e r g un Interesse der Brauchbarkeit der 
Methode dringend erforderlich. Wir haben uns dieser Auf¬ 
gabe an dem Material der Infektionsabteilung des Rudolph- 
Virchow-Krankenhauses alsbald unterzogen und können jetzt 
über 33 Falle berichten. 

Es wurden sämtliche in die Abteilung aufgen«•mmeiieii 
Scharlachfalle untersucht, sowohl leichte wie schwere mit den 
verschiedensten Komplikation«, n. Die Proben wurden an den 
verschiedensten Kraukheitstagen entnommen, s.» dass w ir Unter¬ 
suchungen vom 1. bis zum 134. Jage nadi Beginn der akuten 
Erscheinungen besitzen. In 12 Fallen wurde in verschiedenen 
Stadien der Krankheit untersucht und festgestjlt, ub vielleicht 
ein Serum, das im Anfang der Erkrankung negative Resultate 
gab, im weiteren Verlauf des Scharlachs pos;u\ wurde. I eher 
das Alter und den Krankheitstag der Geprüften gibt folgende 
Aufzählung Rechenschaft: 




Alter 

KrlUg. 




Alt- r 

KrWtg. 

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L «iss 

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16. 

L m m e r m a n n 

5 

3 u. 23 

33. 

Martha Lange 

) 

31 

17. 

Mise h 

7 

41 







Wir wendeten die von Wassermann angegebene 
Technik an, die auch Much und Eichelberg benutzten. 
Als Antigen diente wässeriger Extrakt einer kongenitalen syphi¬ 
litischen Leber 1:5, der mit sicher luetischem Serum stets 
Komplemeiitbindung gab, dagegen mit vielen Kontrollseris ver¬ 
schiedenster Herkunft keine Hemmung der Hämolyse ver¬ 
ursachte. Als Komplement wurde frisdies Serum von Meer¬ 
schweinchen verwendet, als hämolytisches System Serum 
eines mit Hammelblntkorperchen behandelten Kaninchens nebst 
einer 5 proz. Aufschwemmung von Manimcihiutkorpercheii in 
physiologischer Kochsalzlösung. 

Die zu untersuchenden Sera 1 ) wurden in Mengen von 0.4, 


'I Lat I eil der Sera w urde gkich/«. ::,g /ur Km'tro .c vn 
Pt. (i. M vier im Kgl. Institut für Infekt»i:>kran.r.he.lcn untersucht, 
stets mit dem gleichen Resultat. 


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11. August 1908 . 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1691 


0,3, 0,2 ccm zur Reaktion verwendet. Als Kontrollen dienten 
die gleichen Serummengen zusammen mit Extrakt einer nor¬ 
malen Kinderleber. Zur Bindung Hessen wir Komplement, 
Serum und Extrakt eine Stunde bei 37 0 stehen. Darauf wurde 
das hämolytische System hinzugesetzt und die Mischung so 
lange im Brutschrank gelassen, bis die Kontrollen gelöst 
waren. Nunmehr kamen die Gläser in den Eisschrank und am 
nächsten Tage wurde das Resultat festgestellt. 

Bei dieser Versuchsanordnung zeigten in 32 Fällen die 
Röhrchen mit den Scharlachseris die gleiche Hämolyse wie die 
Kontrolle; ein Fall (Gahr) verhielt sich etwas abweichend, hier 
trat bei 0,4 ccm Serifm mit luetischem Extrakt eine volh- 
kommene Komplementablenkung auf, bei 0,3 ccm geringe 
Hämolyse, dagegen bei 0,2 ccm vollkommene Hämolyse, 
während sämtliche Kontrollen dieses Falles mit 0,4, 0,3, 0,2 ccm 
Serum und Normalextrakt vollkommene Hämolyse zeigten. Die 
Untersuchung dieses Falles wurde nach 8 Tagen wiederholt 
und gab diesmal auch bei Verwendung von 0,4 und 0,3 ccm 
Serum ebenso wie mit 0,2 ccm vollkommene Hämolyse. 

Es ist also zu betonen, dass auch in diesem Falle nur 
vorübergehend und nur bei höheren Serummengen ein Unter¬ 
schied erkennbar war, während die bei der Syphilisreaktion 
gebräuchliche Menge von 0,2 ccm Serum keine Spur von 
Hemmung hervorrief. 

Wir können also auf Grund der Untersuchungen von 
33 Fällen die Angaben von Much und Eichelberg nicht 
bestätigen. Die Komplementablenkungsmethode ist daher nach 
wie vor für die Diagnose der Syphilis als praktisch brauchbar 
und zuverlässig zu betrachten. 


Ueber die Behandlung scharlachkranker Kinder/) 

Von Karl Oppenheimer in München. 

M. H.! Die Ankündigung eines Vortrages über die Be¬ 
handlung scharlachkranker Kinder könnte in einem Kreise von 
Kinderärzten als ein merkwürdiges, fast als ein unbescheidenes 
Unterfangen erscheinen. Die Tatsache aber, dass die Be- 
handJungsweise beim Scharlach, wie ich sie in nunmehr 
18 jähriger Praxis bei zahlreichen Fällen ausgeprobt habe, sich 
wesentlich von der in sämtlichen Lehrbüchern angegebenen 
Therapie unterscheidet, mag meinen. Wunsch begreiflich er¬ 
scheinen lassen, eine Aussprache unter Fachkollegen herbei¬ 
zuführen. 

Zwei wichtige Fragen sind es, die bei der Scharlach¬ 
behandlung auftauchen: 

1. Sollen Bäder gegeben werden? 

2. Wie soll die Diät geregelt werden? 

Heubner 1 ) gibt Bäder mit Uebergiessungen nur bei stärkerer 
Benommenheit und heftigen Delirien; sonst rät er, wo das Bedürfnis 
vorliegt, das Fieber zu beeinflussen, „fleissig kühle Umschläge über 
Vorderfläche von Brust, Leib und Oberschenkel machen zu lassen“. 

B a g i n s k y *) empfiehlt bei hohen Temperaturen kühlende 
Bäder, „vorausgesetzt, dass Bäder überhaupt ertragen werden; ist 
dies nicht der Fall, so rät er zu kalten Einpackungen“. 

F i s c h 1 s ) empfiehlt bei hohem Fieber laue oder langsam abge¬ 
kühlte Bäder mit kühler Uebergiessung des Kopfes als sehr be¬ 
ruhigend. Kalte Bäder erklärt er für kontraindiziert. 

Bohn 4 ) hält Eisblase bei 39 0 für genügend, eventuell Ab¬ 
waschungen mit kaltem Wasser; sowie aber die Temperatur 39,5 
übersteigt, sollen kalte Bäder in Anwendung kommen. Seifert, 
Unger und Frühwald empfehlen auch Einpackungen; bei 
höherem Fieber dagegen Bäder. Nach Seitz s ) ist das initial hohe 
Fieber zu bekämpfen nicht notwendig, doch erweisen sich weiterhin 
laue Vollbäder von guter Wirkung. 

Schick 6 ) hat Verordnung von Bädern mit kühlen Ueber¬ 
giessungen verlassen, weil sie keinen nachweislichen Nutzen boten. 
Als Antipyretikum empfiehlt er bei Temperaturen von über 39,5 
Packungen mit 15—20gradigem Wasser, doch seien diese mit Vor¬ 
sicht anzuwenden wegen der Gefahr der Unterkühlung. 


*) Vortrag, gehalten in der Münchener Gesellschaft für Kinder¬ 
heilkunde. 

*) Lehrbuch für Kinderheilkunde, 1903, Bd. 1 , S. 387. 

*) Lehrbuch für Kinderheilkunde, 1902, S. 160. 

*) Lehrbuch der Kinderkrankheiten von Biedert und F i s c h 1, 
1902, S. 675. 

*) Gerhardt: Handbuch der Kinderkrankheiten, 1877, S. 289. 
5 ) Grundriss der Kinderheilkunde, 1894, S. 175. 

®) Handbuch der Kinderheilkunde von Pfaundler und 
Schlossmann, 1906, S. 702. 


Die meisten deutschen Autoren raten also bei hohen 
Temperaturen zur Verabreichung von Bädern mit kühlen 
Uebergiessungen, wenn sie auch nicht so radikal Vorgehen 
wie Leichtenstern 7 ), der täglich mehrmalige kühle Voll¬ 
bäder empfiehlt und zwar vorwiegend ihrer Fieber herab¬ 
setzenden Wirkung wegen. 

In ausserdeutschen Lehrbüchern ist diese Therapie nicht 
vertreten. J a k o b y 8 ) präzisiert seinem Standpunkt mit den 
Worten: „Hohe Temperaturen bedingen kein Eingreifen, so 
lange Herz und Hirn nicht in Mitleidenschaft gezogen sind“. 
Dieselbe Ansicht vertreten auch R i 11 i e t und B a r t h e z 9 ). 

Bei mir finden Bäder, Uebergiessungen und kalte Stamm¬ 
umschläge in der Behandlung Scharlachkranker keine An¬ 
wendung. 

Ich bekenne mich zu den Anhängern der Anschauung, 
dass im Fieber die erste natürliche Heilwirkung zu erblicken 
sei, eine Ansicht, von der K r e h 1 10 ) sagt, sie habe die Geister 
beherrscht bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts und sie 
fange jetzt an, wieder modern zu werden. 

Bäder mit kalten Uebergiessungen schätze ich sehr hoch 
ein; ich wende sie aber nur an, wenn ich eine Einwirkung auf 
das Nervensystem, besonders auf das Atemzentrum erzielen 
will. Diese Indikation aber könnte beim Scharlach doch nur 
in den schwersten Fällen in Frage kommen und da ist, wie wir 
wissen, jede Therapie so ziemlich machtlos “). Manche 
Autoren sind von der Anwendung der Bäder zurückgekommen, 
weil sie einen schädigenden Einfluss auf das Herz befürchten. 
Eimer anderen Gefahr, nämlich der Möglichkeit einer Er¬ 
kältung wird nirgends Erwähnung getan. Das ist um so auf¬ 
fallender, als der vielfach für veraltet angesehene Begriff der 
Erkältung z. B. durch Heubner an anderer Stelle noch auf¬ 
recht erhalten wird. Heubner 12 ) lässt seine Masernkranken 
nicht baden, „der möglichen Erkältung wegen“. 

Was nun Heubner bei den Masern- offenbar für die 
Lungen fürchtet, das fürchte ich beim Scharlach für das, bei 
dieser Erkrankung am meisten gefährdete Organ, für die Niere. 
Aus demselben Grund wende ich auch keine Stammumschläge 
an. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass durch die 1 bis 
2 stündlichen kalten Umschläge, wie sie von den meisten 
Autoren empfohlen werden, eine beträchtliche Abkühlung der 
Nieren hervorgerufen wird und das umsomehr, als ja diese 
Umschläge gerade in der Nierengegend appliziert werden. 

Die Richtigkeit dieser Vermutung ist gerade in den letzten 
Wochen durch Siegel 13 ) in der Kraus sehen Klinik experi¬ 
mentell bewiesen worden. 

Siegel legte bei Hunden Eis auf die Nierengegend; durch 
dieses Verfahren konnte er bei sämtlichen Versuchstieren 
Nephritis hervorrufen. 

Er fasst die Resultate seiner Arbeit in die These zusammen: 
„Die Tatsache der Entstehung einer akuten Nierenentzündung 
durch Erkältung und zwar Durchnässung ist experimentell be¬ 
wiesen“. 

Was aber bei einem gesunden Tier durch Applikation von 
Eis bewirkt werden kann, das kann wohl bei einem zur Nieren¬ 
entzündung disponierenden Menschen durch weniger inten¬ 
sive Kälteeinwirkung auch erreicht werden. 

Ich möchte hier erwähnen, dass ich in der Erkältungsfurcht 
so weit gehe, dass ich ein scharlachkrankes Kind z. B. bei der 
Untersuchung niemals ganz entblösse und dass ich laue 
Waschungen nur in der Weise erlaube, dass Glied um Glied 
rasch abgewaschen und sofort tüchtig abgetrocknet und wieder 
bedeckt wird. 

Im ersten Fieberstadium ist meine Behandlung rein expek- 
tativ; sie passt sich vollständig dem Bedürfnis des scharlach- 
kranken Patienten an; meist hat ein derartiges Kind nur das 
einzige Verlangen, man möge es in Ruhe lassen. Diesem 
Wunsch nun suche ich in weitgehendstem Masse Rechnung zu 
tragen. Hat das Kind Kopfschmerzen, so lasse ich ihm kühle 
Tücher auf den Kopf legen; wirft es die Kompressen unwillig 

7 ) Deutsche med. Wochenschrift, 1882, S. 599. 

8 ) Therapeutics of infancy and childhood, 1898, S. 236. 

9 ) Traitö des maladies des enfants, 1843, S. 658. 

10 ) Pathologische Physiologie von Ludolf Krehl, 1906, S. 495. 

u ) Heubner: 1. c.. S. 389. 

la ) 1. c. S. 308. 

13 ) Deutsche med. Wochenschrift, 1908, No. 11. 

■V 


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1692 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


weg, was häufig vorkonimt, so lasse ich den Versuch nicht 
mehr wiederholen. Wenn das Kind Durst hat, lasse ich es 
nach Belieben trinken und zwar Zitronenwasser, Himbeer¬ 
wasser oder reines Brunnenwasser, das manche Kinder vor¬ 
ziehen. Häufig überwiegt das Ruhebedürtnis den Durst; in 
diesem Fall lasse ich natürlich das Kind nicht zum I rinken 
nötigen. Ebenso wenig erlaube ich, dass die Eltern in ihrer 
grossen Angst vor einer Entkräftung das Kind zum Essen 
zwingen. Oft bedarf es grosser Ueberredungskünste, um 
den Leuten begreiflich zu machen, dass das Kind nicht so 
schnell Gefahr läuft, zu verhungern. 

Uebrigens versuche ich schon am 2. oder 3. Tag dem 
Patienten mit Thee verdünnte Milch zu reichen. Wird diese 
verweigert, was häufig der Fall ist, so stehe ich nicht an, das 
Kind ohne jede Nahrung zu lassen, bis nach wenigen 'lagen 
mit dem Sinken des Fiebers und dem Abklingen der akuten, 
schweren, toxischen Erscheinungen der Appetit zurückkehrt. 

Nun beginnt ein wichtiger Teil der Behandlung: die Rege¬ 
lung der Diätetik. Bei keiner Infektionskrankheit spielt die 
Diät eine so wichtige Rolle wie beim Scharlach und zwar 
wegen der hier bestehenden bekannten Disposition zu Nieren¬ 
entzündungen. Als hauptsächlichste Nahrung für Scharlach¬ 
kranke wird von allen Autoren Milch empfohlen, obgleich von 
den meisten der prophylaktische W ert dieser Diät bestritten 
w ird. So sagt z. B. H e u b n e r "): „Zw ar ist die Behauptung 
sicher falsch, dass man durch diese Massregel die Entwicklung 
der Nephritis hindern könne, aber es ist nicht ausgeschlossen, 
dass man durch zu frühzeitige Zufuhr von extraktivstoffreicher 
Eiweissnahrung die Nieren reizt und so die Nephritis herbei¬ 
führen hilft“. Einzelne, wie Biedert*') geben ausschliess¬ 
lich Milch. 

Fi sch 1 hält nicht viel von der ausschliesslichen Milch¬ 
diät, weil sie so häufig zur Inanition führt. Diese Ansicht wird 
wohl die meisten Autoren bestimmt haben, neben Milch auch 
Milch und Mehlspeisen einzuführen. Schick erlaubt neben 
Milchspeisen auch Butter, falsche Suppen und Kompot. 
Seitz gibt in der ersten und zweiten Woche vorwiegend 
Milchdiät, dazu Getreidemehlsuppen und Eier, später Brei und 
erst nach der dritten Woche Fleischkost. Baginskv 
empfiehlt vorwiegend vegetabilische Kost; er leugnet den Wert 
der prophylaktischen Diät, wenn er auch den Eindruck hat, 
dass die bei vegetabilischer Kost entstandene Nephritis einen 
leichteren Verlauf nimmt, eine Anschauung, die auch Schick 
teilt. 

Ziegler" 1 ) tritt lebhaft für die prophylaktische Diät ein. 
Er gibt Milch bis zu 3 Liter, daneben Zwieback und Semmeln. 
Bei Durchführung dieser Diät hat Ziegler keinen einzigen 
Fall von Nephritis nach Scharlach beobachtet. Vergleichende 
Untersuchungen haben den deutlichen Beweis für die Superiori- 
tät der prophylaktischen Diät ergeben. Bei SU mit dieser 
Diät behandelten Scharlachkranken kam kein Fall von Nephritis 
vor, während unter den Patienten, die andere Kost erhalten 
hatten, in 21 Proz. aller Fälle eine Nierenentzündung sich an 
den Scharlach anschloss. Ein Resümee aus den gesamten 
Literaturangaben zeigt, dass dem Scharlachkranken in erster 
Linie der Genuss von Fleisch verboten wird. Wodurch aber 
das Fleisch schaden soll, ob durch sein Eiwciss oder vielleicht 
durch seine Extraktivstoffe wie H c n b n e r und Schick an¬ 
nehmen, wird zumeist nicht angegeben. Darüber, ob Eier 
gegeben werden sollen oder nicht, finden sich in den meisten 
Lehrbüchern überhaupt keine Angaben. 

Einzelne Autoren, w ie Seitz und S t r ii m pell 17 ) 
führen sie direkt neben der Milch als erlaubt an; die meisten 
aber tun, wie schon hervorgehoben, der Eier überhaupt keine 
Erwähnung. Es ist dies umso merkwürdiger, als gerade über 
die Beziehung des Eiergenusses zur Albuminurie und zur 
Nephritis eine ziemlich umfangreiche Literatur besteht. 

Als einer der ersten hat Senator |s ) für den Nephritiker 
reine Milchdiät verlangt und sich gegen die Darreichung von 
Eiern energisch ausgesprochen. Dieses strikte Verbot des 


n ) 1. e. S. 387. 

*’’) Lehrbuch der Kinderkrankheiten, ls‘M. S. 515. 

’“) Berliner klinische Wochenschriit. I.xu2, S. 25. 

1 *) Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, l ( >u7, S. 5s. 
Js ) Berliner klinische Wochenschrift, iss>, S. 7-42. 


«ns Co gle 


No. 32. 


Eiergenusses bei Nephritis gründet er auf die Resultate der 
Tierexperimente von Stock vis und Lehmann, d. h. auf 
die Tatsache, dass nach Iniektion von Mul: .ereiw eiss eine 
Albuminurie aufgetreten war. 

Diese Versuche wurden des Heileren nachgepfuit unter 
anderen auch von P r i o r. ,w ) 

Dieser Autor fand bei Darreichung \ koaguliertem 
Eiweiss in der Regel keine Albuminurie. dodi kann eine 
solche auftreten. 

Wurde das Hühnere iw eiss in rohem Zustand gegeben, so 
sah er schon bei Darreichung von kleinen Mengen Albuminurie 
auftreten, wenn die Tiere gehungert hatten, also geschwächt 
waren. 

Beim chronisch nierenkranken Der rufen weder koagu¬ 
liertes noch rohes 1 luhucreiw eiss eine \ermdirung der Ei- 
w eissaiisscheidung hervor. Ist dagegen die Nephritis akut, 
z. B. durch Kantharidin hervorgeruien. so tritt bei E.weiss- 
genuss erhöhte Albuminurie auf. 

In neuerer Zeit wurden die betr. \ ersuche wieder aufge- 
nonunen und durch A s c o 1 1 ;,, 1 mittels der biologischen Prä¬ 
zipitin renktion nachgeprüft. 

Ascoli kommt zu dein Schluss: 

„1 >as Liw eiss \ crur s.u lit. m massigen Mengen gestirnten In !i- 
\ nliieil per os verabreicht, keine Albuminurie. Bei SiefenKranke n 
hingegen kann es unter denselben Bedingungen \otn B.ute ui tän 
Harn, das Niereiitiite r passierend, uhe i geben; dasselbe trp’t t. r d:e 
alimentäre A Ihunnnnr ie nach < lemiss c\/essi\ er Mengen r« »her Der 
bei Individuen mit sehembar intakten Nieren /u um! /war ist es in 
beulen ballen möglich, im Harn sow.dil Dereiweiss a;s Blute iwensv 
nach/uw eisen." 

K I c m p e r c r *') zitiert die Ascolisdun \ ersudie: er 
gesteht zu. dass der Nierenkranke empfindlicher ist für in 
seinem Blut kreisendes natives Ovalbumm. aber er zieht aus 
dieser Tatsache eine Schlussfnlgei img, die smh bei \scoli 
nicht findet; Klein purer erklärt iiamlkh im \ erbot des 
Fiergeimsses für den Nierenkranken nicht für gerechtfertigt, 
sondern nur eine Einschränkung und auch diese eigentlich nur 
in bezug auf rohes Eiweiss. 

In Sperrdruck hebt er hervor, dass das Etv\eis> m massigen 
Mengen genossen, dem Nierenkranken erlaubt ist; der Genuss 
roher Eier mag ihm vorsichtshalber verboten werden. 

Mit dieser These nun kann suh. glaube kh. der Praktiker 
nicht einverstanden erklären. Wenn es sich darum handelt, 
einen chronisch Nierenkranken zu ernähren, mag d,e Auf¬ 
fassung Klein perers zu Recht bestehen. Gerade beim 
chronischen Nephritiker zeigt sich oft die Notwendigkeit, in der 
Diät möglichst zu variieren, um Appetit und Stimmung dis 
Patienten auf der Hohe zu erhalten. 

Bei der prophylaktischen Di.it der S Jur Lu bk ra:;ke*t 
kommen diese Bedenken kaum m Erage. weil es skh ia nullt 
um eine lange Zeitdamr. sondern im Inubsun Fall JoJi nur 
um b Wochen handelt. Ein Schaden für die < iesim.ihei! w ird dem 
Patienten aus der Verordnung der prophv laktisdien I bat kaum 
erwachsen. Wenn Prior bei liefen, die gehungert hatten, 
also geschwächt waren, durch Darreichung Von geringen 
Mengen Eiweiss hat Niplmtis erzeugen konm.ii. so kann ich 
| mir vorstellen, dass der Sdiarludikranke. eiessen Niere durch 
die Erkrankung an und für suh geschwächt ist. auf Eier eben¬ 
falls anders reagiert als der Gesunde. 

I c h v erbiete als n d e m Schar! a c Ii k r a n k e n 
v o n v o r n h e r e i n d eil G e miss v o n E i e r n und gehe 
darin so weit, dass ich selbst Mehlspeisen. J.e mit Ehern zu- 
bereitet werden, aus seinem Speise/eitel aussjiahe. 

E.me Kost, die ausschliesslich aus Mi!di und Milchspeisen 
besteht, würde ich fur altere Kinder für viel zu emtomg halten*, 
sie würde auch auf die Dauer von b Wochen Schwerlich mit 
Appetit genommen w erden. 

Ich erlaube deshalb mit Ausnahme von Ehern. ELisdi und 
Eleischsiippe. alles. Was ein gesucht, s Kind audi essm darf. 
„Liegen Kdhlehv Jrate und Eeiie bestellen, w :e K I e m p e r e rd 
sagt, von Seiten der erkrankten Niere kurte Bedenken. da die 

’ Zeitschrift für klinische Mi •!: on. 1 s, B.mJ. S. 'b\ 

L '") Mimcli. ineil. \\ «>c Ia nsciir.. l'/o2. S. -Du. 

•') Handbuch der Ernahf«ngstlierap:c und Ib.itet'tk. P *-4. II. BJ.. 
S. Dl. 

-Ü I. c. 


OflgEnab ftorri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Niere mit ihrer Verarbeitung direkt nichts zu tun hat.“ Auch 
gegen Gemüse ist nicht das geringste einzuwenden; Schädi¬ 
gungen durch den Genuss von Gemüsen sind nicht bekannt. 
Würde sich irgend ein Stoff als gefährlich für die Niere heraus- 
stellen, so würde er natürlich sofort aus dem Speisezettel 
eliminiert werden. Auf Grund der neueren Erfahrungen habe 
ich z. B. seit 3 Jahren den Kochsalzgenuss noch mehr ein¬ 
schränken lassen. Eiin sehr starkes Salzen der Speisen kommt 
ja ohnedies bei fleischloser Diät kaum in Frage. 

Was ein scharlachkrankes Kind nach meinem Regime 
ungefähr zu essen bekommt, mag aus folgenden Stichproben 
hervorgehen, die ich den Aufzeichnungen einer Mutter ent¬ 
nehme. 

Am 13. Tag ihrer Erkrankung bekam das 8jährige Mädchen: 

Morgens 8 Uhr: Va Liter Milch, ein Butterbrot. 11 Uhr: Vi Liter 
Milch, ein Zuckerbrot. 2 Uhr: 100g Spinat mit 15g Butter und 
etwas Mehl zubereitet, 100 g Kartoffel, 2 Brote, 80 g gedünstete 
Aepfel. 5 Uhr 30 Min.: 1 Butterbrot, !4 Liter Milch. 8 Uhr: 2 Zwie¬ 
back, Va Liter Milch. 

Am 14. Krankheitstag: 

6 Uhr: V* Liter Milch. 8 Uhr: Va Liter Milch, 2 Butterbrote. 
11 Uhr: V i Liter Milch, ein Brot. 2 Uhr: 50g Reis mit Vz Liter 
Milch und 25g Zucker zubereitet, 80g gedünstete Aepfel. 6 Uhr: 
Va Liter Milch, ein Butterbrot. 8 Uhr: 50g Spinat mit 15 g Butter 
und etwas Mehl, 2 Brote. 

Um diesen Speisezettel möglichst variieren zu können, 
habe ich seit ca. 8 Jahren eine Anzahl von Rezepten für Mehl¬ 
speisen ohne Eier gesammelt, die von den Kindern gern ge¬ 
nommen werden . 

Bezüglich der übrigen Massregeln bei Behandlung der 
Scharlachkranken kann ich mich sehr kurz fassen. Ueber das 
Scharlachserum stehen mir Erfahrungen nicht zu Gebote. 

Selbstverständlich bleibt der Scharlachkranke im Bett und 
zwar, und darin gehe ich vielleicht etwas zu weit, 5 bis 
6 'Wochen lang. Zu dieser weitgehenden Massnahme veran¬ 
lasst mich die Erwägung, dass nach 4—5 Wochen noch eine 
Nierenentzündung entstehen kann. So lange diese Gefahr, 
wenn auch nur entfernt besteht, halte ich den Patienten im 
Bett. In der 5.-6. Woche pflege ich das Kind warm zu baden; 
der Körper und der behaarte Kopf werden nach tüchtiger Ab- 
seifung mit einer 1 proz. Sublimatlösung abgewaschen. 

Bei der Scharlachbehandlung, wie ich sie eben dargelegt 
habe lege ich das Hauptgewicht auf die Ausschaltung von 
2 Faktoren, die meiner Ansicht nach eine Schädigung der beim 
Scharlach ohnedies gefährdeten Niere hervorrufen könnten, 
das sind: 

1. die Bäder und kalten Einpackungen, 

2. die Darreichung von Fleisch, Fleischsuppe und Eiern. 

M. H.! In den 18 Jahren, seit ich Praxis ausübe, hatte ich 

sicher schon über 150 Scharlachkranke zu behandeln; ich habe 
alle erdenklichen Komplikationen gesehen, ich habe 3 Fälle 
durch den Tod verloren — noch niemals aber habe 
ich eine Nierenentzündung entstehen sehen. 

Einer unserer hervorragendsten Kliniker, mit dem ich über 
diese Erscheinung einmal sprach, führte sie auf einen Zufall 
zurück. 

Ich vermag natürlich nicht zu entscheiden, ob mir in der 
Tat der Zufall so hold war. ob vielleicht die günstigen Resul¬ 
tate damit Zusammenhängen, dass es sich ausschliesslich um 
Kinder gutsituierter Eltern handelt, da ich andere dem Spital 
zu überweisen pflege oder ob die Vorsicht bei der Behandlung 
das ausschlaggebende Moment darstellt. 

Jedenfalls habe ich durch meine Therapie niemals einen 
Schaden entstehen sehen und das ist fiir mich Grund genug, 
nicht <nur diese Behandlungsweise weiterhin selbst beizu¬ 
behalten, sondern sie auch Ihnen, m. H., hiermit zur Nach¬ 
prüfung zu empfehlen. 

Am Schluss meiner Ausführungen angelangt, sei es mir 
nun noch vergönnt, eine Anregung bezüglich der Durchführung 
der Prophylaxe zu bringen. 

Die Verfasser unserer gebräuchlichsten Lehrbücher sind 
ausnahmslos darin einig, dass bei Behandlung des Scharlachs 
das Bestreben nach Einschränkung der Ansteckungsgefahr als 
eine der wichtigsten ärztlichen Massnahmen zu gelten haben. 
Wie Sie alle wissen, ist es oftmals sehr schwer, dieser theore¬ 
tischen Erkenntnis praktisch zur Durchführung zu verhelfen. 

Will man die gesunden Geschwister eines scharlachkranken 


169 3 


Kindes ausserhalb des elterlichen Hauses unterbringen, so er¬ 
geben sich alle möglichen Schwierigkeiten . Da man niemals 
mit Bestimmtheit sagen kann, ob derartige Kinder nicht schon 
infiziert sind, werden sie nirgends gern aufgenommen; Familien, 
in denen Kinder sind, scheiden von vornherein aus. 

Eine Trennung der gesunden von den erkrankten Kindern 
im elterlichen Hause selbst ist nur unter grossen Unbequem¬ 
lichkeiten durchzuführen und gewährt sehr geringe Garantien. 

Unter diesen Umständen kann ich Heubners Vorschlag 
vollkommen gutheissen, der dahin lautet, man möge das schar¬ 
lachkranke Kind sofort nach Feststellung der Erkrankung in 
ein Spital verbringen. Dies würde mir in der Tat als die 
glücklichste Lösung der Frage erscheinen. Praktisch wäre 
diese Massregel, wenigstens in besser situierten Kreisen, mir 
unter zwei Bedingungen durchzuführen: 

1. Müsste der Mutter gestattet werden, ihr krainkes Kind 
zu begleiten und es im Spital selbst zu pflegen. 

2. Müssten die Eltern die Möglichkeit haben, dem Arzt 
ihres Vertrauens auch weiterhin die Behandlung zu überlassen. 

Wären diese beiden Voraussetzungen erfüllt, so würde 
sich,-wie Heubner meint, tatsächlich nur der Ort des 
Krankenzimmers ändern. Die Privatindustrie, die Heubner 
für ein solches Unternehmen interessieren möchte, wird meines 
Erachtens kaum für die Sache zu haben sein. Vor kurzem 
erst kam ich selbst in die Lage, einer Dame, die die Idee hatte, 
eine Klinik für Infektionskranke einzurichten, von diesem 
Unternehmen abzuraten, weil ich den finanziellen Zusammen¬ 
bruch voraussah. 

Es besteht nach meiner Ansicht das dringende Bedürfnis 
mach einer solchen Anstalt, aber sie müsste aus öffentlichen 
Mitteln errichtet werden. 

Der Gesellschaft für Kinderheilkunde möchte ich deshalb 
die Erwägung anheimgeben, ob nicht an den Magistrat der An¬ 
trag zu richten wäre, bei Erbauung des neuen Krankenhauses 
möge der Pavillon für Infektionskranke in der Weise ausser¬ 
halb des Reglements gestellt werden, dass dort jeder Arzt die 
von ihm eingewiesenen Patienten weiter behandeln dürfte. 

Zur Behandlung der Sommerdurchfälle der Kinder. 

Von Dr. Max G o e t z in Leipzig-Plagwitz. 

Mit der heissen Jahreszeit stellen sich, in ihrer Menge 
ganz der Witterung entsprechend, die Durchfälle der Säuglinge 
ein; ist der Sommer heiss, so ist die Sterblichkeit gross, ist 
er kühl, so ist sie gering. 

Die Erfolge der Behandlung mit Arzneien sowohl, als mit 
sogen, physikalischen Heilmitteln sind die denkbar schlech¬ 
testen, am schlechtesten in den Krankenhäusern, selbst in gut 
geleiteten. 

Das einzige Mittel, was, bei Zeiten angewendet, helfen 
kann, ist Entfernung der Kinder aus der Hitze! 

Ich rate in jedem Falle von Brechdurchfall, das Kind von 
früh 7 bis abends 10 Uhr in den Keller zu stellen, lasse, je 
nach dem Fieberzustande, ein oder mehrmals baden und 
1—2 Tage lang nur Thee mit Saccharin und etwas gutem Rum, 
bei eintretender Besserung Grützenschleim, dem später konden¬ 
sierte Milch beigefügt wird, geben. Im übrigen können 
selbstverständlich alle anderen geeigneten Mittel (gestrickte 
wollene Leibbinde — bei armen Leuten aus einer in der Naht 
aufgeschnittenen Strumpflänge billig herzustellen —, hydro- 
pathische Dreiviertelseinpackungen, Kalomel, Resorzin, Wis¬ 
mut etc.) angewandt werden; nach jedem Bade lasse man die 
Füsse, die nicht kalt bleiben dürfen, gut frottieren. Die Erfolge 
sind, wenn meine Vorschläge ungefähr 4—8 Tage befolgt 
werden und der Zustand noch nicht sehr lange besteht, vor¬ 
züglich; die Sache hat nur einen Haken, unter zehn Müttern 
ist kaum eine dazu zu bringen, dass sie sich mit dem Kinde 
in den Keller setzt; der ist entweder zu dumpf oder zu feucht 
oder er enthält Ratten oder die Nachbarn sind nicht einver¬ 
standen — kurz, das durchschnittliche Arbeiterpublikum hie¬ 
siger Gegend ist nicht einsichtig genug, meinen Rat zu befolgen ; 
bei verständigen Eltern und in Krankenhäusern sollte aber der 
Versuch meines Erachtens entschieden gemacht werden. Die 
Keller der Wohnhäuser in Leipzig haben durchgängig auch im 
Hochsommer selten eine Temperatur über 18° C. 


Digitized b" 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1694 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32 . 


Ich füge noch ein Wort über die eingedampfte Milch 
(Cham oder Pfund) bei, die ich seit vielen Jahren mit bestem 
Erfolge als sommerliches Nahrungsmittel für kleine Kinder an¬ 
wende. Durch Billigkeit, Haltbarkeit und gute Bekömmlichkeit 
übertrifft sie meines Erachtens alle anderen künstlichen Milch¬ 
präparate; noch nie habe ich nach ihrem — auch längerem 
Gebrauche Rhachitis oder Barlowsche Krankheit entstehen 
sehen. Trotzdem höre ich nicht selten, dass Herr Dr. X oder 
Herr Dr. Y die „Schweizermilch“ für schädlich erklärt habe. 

Ich kann nur jedem Arzte raten, den Versuch zu wagen; 
man braucht dann weder einen teuren S o x h 1 e t sehen Ap¬ 
parat, noch die noch teuerere „Kindermilch“ oder „Trocken¬ 
fütterungsmilch“ in plombierten Flaschen; die kondensierte 
Milch bewährt sich — wenigstens in meiner Praxis — gut für 
Proletarier- wie für Bürgerkinder; als Zusatz verwende ich 
am häufigsten, wie schon erwähnt, Gerstcnschleim *); man 
kann aber selbstverständlich auch eines der vielen Kinder¬ 
mehle verwenden. 


Zur Radikaloperation der Leistenbriiche. — Faszien- 
Knopfnähte. 

Von Dr. Hackenbruch, dirigierender Arzt am St. Joseph- 
Hospital in Wiesbaden. 

Die vielfachen Bestrebungen, die bei Leistenbrüchen zu¬ 
meist üblichen Radikaloperationsmcthoden (wie dieselben 
grundlegend durch Czerny, Küster, L u c a s, Cham¬ 
pion n i 6 r e, Bassini und Kocher gegeben sind) mehr 
oder weniger zu modifizieren, lassen deutlich erkennen, dass 
eine ungetrübte Befriedigung bezüglich der Endresultate noch 
nicht besteht. Wenn auch die erreichten Dauerresultatc gegen¬ 
über denen der letzten Jahrzehnte zurzeit ganz erheblich 
bessere geworden sind, so dass nach Grasers Berichten, 
fussend „auf dem Durchschnitt grosser Zahlen, nicht mehr als 
5 bis höchstens 10 Proz. Rezidive zustande kommen“, so lehren 
doch diese Ergebnisse, dass dieselben noch sehr besserungs¬ 
fähig sind. 

Die Wege zur Erreichung dieses erstrebenswerten Zieles 
sind gegeben: 

1. in Anwendung strengster Asepsis (Gummihandschuhe, 
Gesichtsschleier), 

2. in Versorgung des Bruchsacktrichters im Sinne der 
lateralen Verlagerung (Kocher), 

3. in Benutzung von alleinigen Faszienknopf¬ 
nähten unter möglichster Zuhilfenahme 
eines aponcurotischen Lappens (Faszien¬ 
verdoppelung). 

Von ausserordentlicher Wichtigkeit für die Erreichung 
einer Dauerheilung bei der radikalen Bruchoperation ist der 
Eintritt einer völlig glatten Wundheilung durch prima intentio, 
da nur die aus derselben hervorgehende Narbe erfahrungs- 
gemäss von dauernder Haltbarkeit zu sein pflegt. Die Er¬ 
zielung dieser primären Wundheilung liegt jetzt fast aus¬ 
schliesslich in der Macht des Operateurs, welcher nach ent¬ 
sprechender Vorbereitung und unter Verwendung von Gummi¬ 
handschuhen sowie Gesichtsschleiern seitens aller bei der 
Radikaloperation beteiligten Personen für den Eintritt glatter 
Heilung eine so weitgehende Bürgschaft leisten kann, als dies 
überhaupt menschenmöglich ist. Die Erkenntnis, dass die 
Verwendung von Gummihandschuhen und Gesichtsschleiern 
ein so überaus wichtiger Faktor zur Erzielung primärer Wund- 
heilung ist, macht es uns zur Pflicht, dieser Hilfsmittel uns bei 
den Radikaloperationen von Hernien stets zu bedienen, wenn 
denselben auch mancherlei unleugbare Unbequemlichkeiten 
anhaften. 

Was nunmehr die Wahl der Operationsmethode bei der 
Radikaloperation der Leistenbriiche anbelangt, so gibt ohne 
Zweifel die Bassini sehe, zumal wenn die Leistenbrüche 
nicht gross sind, recht befriedigende Erfolge, wie dies auch 
bei der durch ihre Einfachheit sich besonders auszeichnenden 
lateralen Bruchsackverlagerung Kochers der Fall ist. 
Während Kocher bei der Radikalopcration der in Rede 
stehenden Brüche für den springenden Punkt die laterale Yer- 


*) I--2 Kaffeelöffel auf PLiter Wasser. 


lagerung des Bruchsacktrichters gegen die intakte Rauchwand 
und die straffe Anspannung des Peritoneums in der Gegend 
der früheren Bruchpforte hält und auch C. H o f m a n n in einem 
exakten Peritonealverschluss im Bereich des früheren inneren 
Bruchringes ein w irksames Unterstützungsmittel gegen spätere 
Rezidive erblickt, legt Bassini grösseren Wert auf die Naht 
der Bruchpforte und die Herstellung eines die Bauchwand 
schräg durchlaufenden Leistenkanals. 

Seit vielen Jahren habe ich beide Methoden vereinigt bei 
der Radikaloperation der Leistenbriiche angewendet in der 
Weise, dass ich zu der Kocher sehen Bruchsackverlagerung 
die Pfortennaht nach Bassini hinzufügte. Bei w eiten Bruch- 
pforten lehrte aber die Erfahrung, dass cs nicht immer gelang, 
eine befriedigende Bassini sehe Pfortennaht anzulegen, weil 
in solchen Fällen die Spannung zu gross war. um eine sicher 
schliessendc Vereinigung der Bruchpfortenpfeiler zu erzielen. 
Da mir aber zur Erzielung guter D merresultate auch die 
Pfortennaht von grösster Bedeutung erschien, so versuchte ich 
zuerst am Kadaver den Gedanken einer Lappenbildung aus der 
Aponeurose des M. obliqu. abd. extern., ohne Kenntnis von 
dem Verfahren Girards zu haben, der in ähnlicher Weise, 
wie weiter unten besprochen werden soll, schon einen apo- 
neurotischen Lappen zur Verstärkung der Kanalnaht empfohlen 
hatte. Beim praktischen Verfolgen dieser Idee durch Ver¬ 
suche an der Leiche und späteren Operationen am Lebenden 
drängte sich mir der Gedanke auf. dass es zur Erzielung eines 
dauernden, widerstandsfähigen Kanalverschlusses ausser der 
Verwendung dieses aponcurotischen Lappens wichtig sei. nur 
F a s z i e n k n o p f n ä h t e bei der Kanalnaht zu verw enden. 

Die bis jetzt erzielten Resultate an 6N Radikaloperationcn 
von Leistenbrüchen, welche in einem Zeitraum von gut 
3 Jahren gewonnen wurden, sind so überaus günstige da bei 
primärer Heilung in keinem der Fälle später ein Rezidiv zur 
Beobachtung kam , dass ich glaube, es wagen zu dürfen, 
das angewendete Operationsverfahren den Fachgenossen zur 
Nachprüfung und Kritik vorlegen zu können. Was die Vor¬ 
bereitung der zu operierenden Kranken selbst anbelangt, so 
sollen dieselben zweckmässig vor der Operation tüchtig ab- 
fiihren, damit sie nach derselben etwa 4 5 Tage ohne das 
Bedürfnis der Stuhleutleerung ruhig zu Bett liegen können. 

In der üblichen Weise wird durch Schrägschnitt die silbrig 
schimmernde Aponeurose des M. obliqu. abd. extern, frei¬ 
gelegt; die genannte Aponeurose wird sodann, am äusseren 
Leistenring beginnend, von einem neben dem Scheitelpunkt der 
äusseren Bruchpforte etwas medial hegenden Punkte b aus 
(Figur 1) bis hoch über die Gegend des inneren Leistenringes 



I »K. I. 


gespalten, so dass die Schnittlinie a b mit dem medialen 
Bruchpfortenpfeiler einen stumpfen, nach der .Mittellinie zu 
offenen Winkel bildet. Von diesem Schnitt aus wird der 
laterale Teil der durchtrennten Apor.eiitose von der Unter¬ 
lage stumpf gelost; den dadurch gebildeten Literalen aponeu- 
rotischen Lappen fasst man zweckmässig an seinem freien 
Rande mit ein oder zwei Peritonealklemmen und schlägt ihn 


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Örrgiraal fro-m 

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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1695 


seitwärts um (a—b Fig. 2). Die jetzt freiliegende Muskel¬ 
platte des M. obliqu. abd. intern, und transvers. wird vom 
Bruchsackhals gelöst und abgeschoben, der Bruchsack selbst 
vom Samenstrang und den Qefässen weit nach oben isoliert. 
Nach eventuell erforderlicher Eröffnung des Bruchsackes und 
Reposition seines Inhaltes wird derselbe stark vorgezogen und 
möglichst hoch oben mittels Durohstechungsligatur abge¬ 
bunden, bei weitem Bruchsackhalse ebenfalls möglichst hoch 
oben durch Tabaksbeutelnaht geschlossen. 

Nach Abtragung oder auch Resektion des Bruchsacks 
werden die beiden lang gelassenen Fäden der Durohstechungs¬ 
ligatur — bei primär gelegter Tabaksbeutelnaht entweder deren 


Bruchsackknotens — beginnend durch einzelne Knopfnähte 
(Katgut) auf die mediale Fläche der Aponeurose des M. obliqu. 
abd. extern, so befestigt, dass der Samenstrang zwischen diese 
beiden Faszienblätter zu liegen kommt (e—f Figur 4). 

(Zuweilen und besonders bei mageren oder älteren Pa¬ 
tienten lässt sich die Gegend der Verlagerungsligatur noch 
durch einige Invaginationsnähte (Kocher) verstärken, doch 
dürfen diese Nähte nicht zu weit über die Gegend des Aus¬ 
trittes des Samenstranges fortgeführt werden, weil derselbe 
dann an dieser Stelle zu sehr gedrückt werden kömite.) 

Nach nochmaliger Kochsalzspülung wird jetzt die variabel 
dicke oberflächliche Faszie samt bedeckender subkutaner Fett- 





lang gelassene Enden oder die Fäden einer dicht an der Tabaks¬ 
beutelnaht angreifenden zweiten Ligatur — mit stumpfen halb¬ 
kreisförmigen Nadeln (von 4 cm Durchmesser) armiert; jede 
dieser stumpfen Krummnadeln wird auf untergeschobenem 
Finger nach oben aussen unter und durch die intakte Bauch¬ 
wand geführt, durch die Aponeurose des M. obliqu. abd. extern, 
nach vorn durchgestochen und auf dieser Aponeurose unter 
festem Zug geknüpft, so dass der Bruch sackstumpf im Sinne 
Kochers nach oben und aussen von der Gegend des inneren 
Bruchringes verlagert ist. 

Während die kleineren und unverwachsenen Bruchsäcke 
stets völlig entfernt werden, pflege ich die grösseren oder ver¬ 
wachsenen und zuweilen weit ins vergrösserte Skrotum hinein¬ 
ragenden Bruchsäcke nach vorheriger breiter Spaltung und 
Jodierung der schimmernden Innenfläche unter Umkrempelung 
in das zugehörige Skrotalfach zu reponieren. 

Das Samenstrangbündel mit. den zugehörigen Gefässen 
wird jetzt zweckmässig auf einen stumpfen Roux sehen 
Haken genommen (Figur 3) oder in eine Samenstrangfasszange 
gefasst und über den medialen Teil der Aponeurose des M. 
obliqu. abd. extern, nach der Mittellinie zu weggezogen, so 
dass der freie mediale Schnittrand dieser Aponeurose sowie 
der in ihrer Verlängerung nach unten hinziehende mediale 
Bruchpfortenpfeilerrand gut zugänglich wird. 

Durch aufwärts gerichteten Zug an den Peritoneal¬ 
klemmen, welche den lateralen, vorher seitlich umgeschlagenen 
aponeurotischen Lappen an dessen freiem Rande fassten, lässt 
sich jetzt das Leistenband zuweilen über Erwarten weit auf- 
rollen. Nunmehr wird, von der Gegend des Tuberculum pubis 
beginnend, der mediale Bruchpfortenpfeiler sowie der gleich¬ 
seitige Rand der M. obliqu. *abd. extern.-Faszie durch einzelne, 
gleich zu knüpfende Knopfnähte (Katgut) an die Hinterfläche 
des aufgerollten Leistenbandes so weit befestigt, dass oben 
aussen eine kleine Lücke für den Samenstrang übrigbleibt. 
Hierauf wird der Samenstrang aus dem Roux sehen Haken 
resp. der Fasszange genommen, auf die Aponeurose des M. I 
obliqu. abd. extern, gelegt und gegen die eben geknüpfte Naht¬ 
reihe d—e (Figur 3) geschoben, wo er willenlos liegen bleibt. 

Nach Abspülung der Wunde mit steriler physiologischer 
Kochsalzlösung wird der laterale aponeurotische Lappen über 
den Samenstrang hinweg nach der Mittellinie geschlagen und 
von oben — unterhalb des Fadenknotens des verlagerten 1 


Schicht durch einige Katgutnähte zur Vereinigung gebracht, 
darauf die Hautwunde vollständig ohne jede Drainage durch 
Michel klammern geschlossen. 

Ein einfacher aseptischer Gaze-Durana-Pflasterverband 
deckt die liniäre Naht, ein darüber gelegtes Wattestück zum 
Schutze gegen etwaigen Stoss oder Druck wird durch Hand¬ 
tuchverband befestigt. 

Sämtliche Ligaturen und Nähte pflege ich 
stets mit Jod-Katgut (Claudius) auszuführen, das sich 
mir bei über achtjährigem Gebrauch allemal aufs beste so 
bewährt hat, dass ich die immerwährende Empfehlung der 
Seidenfäden zur Ligatur und Nahtzwecken seitens unseres 
Meisters Th. Kocher nicht recht begreifen kann, zumal ich 
es relativ häufig an Beobachtungen auswärts operierter 
Kranker erfahren habe, dass selbst primär in die Bauchdecken 
eingeheilte Seidenligaturen später fistulöse Eiterungen verur¬ 
sachen, die erst nach Herausnahme nicht einheilen wollender 
Fadenschlingen versiegten. 

Die bekannten Vorzüge der Michelklammern gerade bei 
der Radikaloperation der Leistenbrüche bedürfen keiner be¬ 
sonderen Empfehlung mehr; dieselben werden 6—7 Tage nach 
dre Operation entfernt und ein gleicher kleiner Duranaheft- 
pflasterverband schützt jetzt die junge Narbe. 

Die Patienten selbst müssen nach der Operation 3 Wochen 
lang das Bett hüten; denn erst nach Ablauf von 3 Wochen halte 
ich — wohl mit den meisten unserer Fachgenossen — die 
primär geheilte Narbe für widerstandsfähig genug, um den 
Druck der Bauchpresse auf die Dauer ohne Veränderung aus¬ 
zuhalten. Alle Kranken werden ohne Bandage entlassen, und 
die Patienten der arbeitenden Klassen werden bei der Ent¬ 
lassung besonders darauf aufmerksam gemacht, noch etwa ein 
Vierteljahr lang sich des Hebens schwerer Laststücke zu ent¬ 
halten. ' 

Ausser der lateralen Verlagerung des Bruchsacktrichters 
gegen die intakte feste Bauchwand im Sinne Kochers halte 
i ich es zur Erzielung eines kräftigen Pfortenverschlusses für 
sehr wichtig, als Angriffsgewebe für die anzu¬ 
legenden Nähte nur die Faszienblätter zu be¬ 
nutzen. Denn es wird manchem Fachgenossen, wie auch 
früher mir, nicht so selten passiert sein, dass beim Vernähen 
der Muskelplatte des Obliqu. abd., intern, und transvers. mit 
1 dem Leistenbande nach B a s s i n i s Methode erstere leicht ein- 


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1696 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


rissen oder beim Fadenschluss einzureissen drohten, so dass 
solche Muskelfasziennähte mutmasslich später nicht fest ge- 
blieben sind. Muskelfasern sind ja an sich kein Objekt für eine 
zuverlässige Naht, da sie fast stets einzureissen pflegen und nur 
dann einigermassen Halt gewähren, wenn in ihnen verlaufende 
Qefässe oder Nervenstämmchen in die Naht mitgefasst werden, ! 
was aber aus Gründen der dadurch leicht eintretenden Nekrose , 
mit konsekutiver Störung des Wundheil Verlaufes oder spä- i 
terem Eintritt von Schmerzempfindungen (Neuralgien) zu ver¬ 
meiden ist. 

Wie bereits oben kurz erwähnt wurde, hat schon Girard 
zur Verstärkung des Pfortenverschlusses bei der Radikal¬ 
operation der Leistenbrüche einen lateralen Faszienlappen aus 
der Aponeurose des M. obliqu. abd. extern, benutzt, wie auch 
Graser „von dem Prinzip der Verdoppelung der Aponeu¬ 
rose sehr befriedigt ist, so dass er cs oft verwendet". 
Girard lagert jedoch den Samenstrang unter diese Fas¬ 
zienblätter, nicht zwischen dieselben; auch ist die Schnitt¬ 
richtung bei der Ablösung des Faszienlappens eine andere wie 
bei unserem Vorgehen, da dieselbe am Scheitelpunkt der 
äusseren Bruchpforte beginnt und mehr dem Leistenband 
parallel läuft. Durch unsere Schnittführung w ird nämlich der 
laterale Lappen etwas grösser, während gleichzeitig dadurch 
erreicht wird, dass durch das Herabziehen des medialen Randes 
der Aponeurose des M. obliqu. abd. extern, die hinter und unter 
ihr liegenden Muskelplatten des intern, und transvers. weit 
heruntergezogen werden und indem dieselben ein mehr oder 
weniger dickes, weiches Polster im Bereich der früheren 
Bruchpforte bilden, so den Anstoss des durch die Bauchein¬ 
geweide beim Pressen sich vorwölbenden Peritoneums erheb¬ 
lich abstumpfen und mildern. 

Eine Schädigung des zwischen die beiden Faszienblätter 
gelegten Samenstranges habe ich bis jetzt in keinem meiner 
Fälle beobachten können. 

In ähnlicher Weise wie Girard verfährt auch Hal- 
stedt, der bisweilen auch einen Faszienlappen aus der vor¬ 
deren Rektusscheide zur Verstärkung der Kanalnaht lateral 
umschlägt. Es erscheint mir jedoch nicht zweckmässig, durch 
mehr oder weniger breit greifende Matratzennähte (Mal¬ 
stedt) die Vereinigung der abgelösten Faszienblätter zu be¬ 
wirken, weil es durch diese leicht zu Ernährungsstörungen der 
ohnehin gefässarmen Gewebe mit nachfolgenden Gewebs- 
nekrosen kommen kann. Es empfiehlt sich daher, nur einfache 
Knopfnähte (Katgut) bei den Faszien zu benutzen, zumal die 
Erfahrung bei sonstigen Laparotomien uns gelehrt hat, dass 
dadurch — primäre Heilung vorausgesetzt - - stets eine feste 
und auf die Dauer widerstandsfähige Narbe erzielt wird. 

Die Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit der durch 
alleinige Faszienknopfnähte nach unserem Vorgehen 
erzeugten Narbe illustriert ganz besonders ein Fall von Radi¬ 
kalheilung eines über doppeltfaustgrossen Skrotalbruches bei 
einem 34 jährigen Potator. Am Tage nach der unter Rücken¬ 
marksanalgesie ausgeführten Radikaloperation trat bei diesem 
Manne ein heftiger Anfall von Säuferdclirium auf, in welchem 
sich der Patient seinen Verband abriss und sich so ungebärdig 
benahm, dass er 6 Tage lang in der Tobzelle des städtischen 
Krankenhauses gehalten werden musste, wohin er wegen 
seines heftigen Tobens verlegt war. Nach der Rückver¬ 
legung in unser Hospital nach etwa 10 Tagen hatte er ein dick 
geschwollenes, entzündlich gerötetes Skrotum, so dass ein 
Einschnitt zur Entleerung oberflächlich gelegenen Liters nötig 
wurde, worauf nach etwa 3 Wochen Heilung eintrat. Die 
Faszienknopfnähte der radikalen Bruchoperation aber hatten 
gut gehalten, und ein Rezidiv des Bruches die Radikal¬ 
operation wurde vor 2 Jahren gemacht ist bis jetzt nicht 
eingetreten. 

Auch bei den übrigen wegen Leistenbruch radikal nach 
unserem Verfahren operierten Patienten ist bei primärer 
Heilung bis jetzt, wie schon vorher gesagt, noch kein Rezidiv 
beobachtet worden. Doch in einem unserer Fälle (der 7. in 
der Operationsliste), als w ir noch nicht unter Verwendung von 
Gummihandschuhen und Gesichtsschleiern operierten, trat eine 
Eiterung ein, in deren Folge sich nach etwa einem Jahre ein 
Rezidiv entwickelte. 

Zu erwähnen bleibt noch, dass von unseren 6N Fällen 
17 in allgemeiner Narkose (Aetherchloroform) und die übrigen 


51 Fälle unter Verwendung der Rückenmarksanalgesie (Bier) 
operiert wurden. 

Anfangs habe ich nur grossere Brüche oder solche mit 
weiteren Bruchpforten dem beschriebenen ()perationsveriahreii 
unterworfen, später jedoch alle Falle so operiert. Zu einer 
etwaigen Nachprüfung mochte ich zuerst die Anwendung an 
grösseren oder w eitpfortigen Brüchen empfehlen, da bei 
grosseren Schnitten die Technik eine entsprechend leichtere 
ist. Zur Erzielung guter Resultate spielt ja bei allen operativen 
Eingriffen das technische Können sowie die Gewissenhaftig¬ 
keit des jeweiligen Operateurs eine grosse Rolle; denn es lagt 
klar zutage, dass die beste Operationsmethode einen guten 
Erfolg nicht haben kann, wenn dieselbe nicht ganz bestimmt 
nach gegebener Vorschrift ausgefuhrt wnd oder nicht ge¬ 
nügende* Erfahrung in solchen Operationen seitens des die 
Operation ausfiihrendeii Arztes besteht. 

Literatur. 

Th. Kocher: Chirurgische (Ipcrati«uivkhrc. Jena l'X'7. — 
Stlicki-Girard: Beitrage /ur Radikal« «per ati"M der l.e'Men- 
hriiche. Thun isu.S. -- \\. S. Malsted: j he eure »>i the iti*« r e dm.- 
cult as well as the simpler inguinal Ruptures. Ba tiumre l’>"v — 
F. (Iraser: I he lehre vmi den Hernien. Mandl Mich der praknvj’.en 
Chirurgie. Stuttgart WT. C. ID» i mann: Zur RaJis.D perata»n 
der Leistenhernien mit besonderer Benu ksiehiignng der anatomischen 
Verhältnisse. Zentral!'!, i. Clur. l'*»\ >. 11dl. Derselbe: Zur 
Radiknioperation der Leistenhernien mittels der Puimiie%m usjituss- 
methode. Zentral!’!, t. Chir. I'X'L >. .=>77. 

Bemerkungen zur Behandlung der Hydrozele. 

Von Dr. Heinrich Mohr in Bielefeld. 

I. A d r e n a 1 i n e i n s p r i t z u n g e n in de n Hydro- 
z e I e ii s a c k. 

Die sekretionshemmende be/w. aufhebende Wirkung des 
Adrenalins und ähnlicher Präparate bei Einspritzung in seröse 
Hohlen wurde zuerst von Barr |l| bei verschiedenen Fallen 
von Pleuritis exsudativa, welche nach Punktion rasdi re/idi- 
vierte. mit Erfolg benutzt. Auf Barrs Arbeit hissend, haben 
dann Ruptle |J| und D z i e w oneki |3| m ie 3 Fallen von 
Hydrozele, welche nach der Punktion sich sehr rasch 
wieder füllte, Adreiiahiilosmigen in den Mv dm/elens.u k ge¬ 
spritzt. Ruptle sah nach Punktion, Entleerung und luicktmn 
von 2 ccm einer Adrenalmlosung 1 : sooo zunächst leichte Fnt- 
ziindmig und dann innerhalb weniger Wochen Aufsaugung des 
mtzmullicheu Ergusses; ein Rezidiv war nach D Jahre noch 
nicht wiederaufgetreten. D z i e w oncki l;css nach Punktion 
des kleine n Sacks nur wenige Kubikzentimeter ahlaufen und 
injizierte dann ccm einer Losung 1 : |»hn i ; zunächst keine 
Reaktion, kein Schmerz; 5 b Jage spater Wiederholung der 
Einspritzung, wonach vorübergehende eii r zni:d':Jie Reaktion 
auftrat; nach 5 Monaten noch kein Rezidiv. Ganz ähr.hdi. 
nur mit etwas grosseren Dosen (1 3 cun). verfuhr 
D'M a e n e n s |-4]. erzielte iedoch in 13 Fallen nur 3 Heilungen. 
Auch D'M a e n e ii s gibt an, dass in einzelnen Fallen eine er¬ 
hebliche Reaktion umritt. 

In zwei Fällen umfangreicher Hvdro/de bei messer- 
scheuen Individuell habe ich nadi Rn pi les \org.mg muziert; 
es handelte sich um Falle, bei deren vorher jahrelang alle 
3 5 Monate punktiert werden musste. und der frühere Ein¬ 
fang rasch wieder erreicht wurde. Bereits nadi der ersten 
Einspritzung, welche stets in den völlig entleerten Sack vor- 
genommen wurde, erfolgte die W ie de ransammlung langsamer, 
die zweite Injektion war nach ö. die dritte nadi etwa 7 Monaten, 
die vierte erst nadi ea. 1'» Jahren notwendig; dabei war der 
w iede rerreiehte l mfang kaum halb sn gross. v\ ie früher v or 
den einfachen Punktionen, dementsprechend waren anch d;e 
Beschwerden in der Zwischenzeit geringer (eine Reaktion habe 
ich nicht beobachtet. Schmerzen traten überhaupt nicht auf. 
während bei früheren Jodiniekti neu der eine Ba' .ut sehr 
heftige Schmerzen gehabt hatte. Etile wirkliche Me Jung habe 
ich bisher nicht erzielt. 

Demnach scheinen Adrenalininiehtame n in den Mvdro- 
zelensack bezüglich dauernder Heilung ebenso m s;dier zu 
wirken, wie alle übrigen ln : ektir.Msme , li< 'den. Wohl aber 
scheint regelmässig ehe W iede run.sgrmmm g langsamer e:n- 
ziitreten, und zwar um so langsame r. ie öfter in uz:ert wurde; 


Digitized by L^QuOle 


Original fram 

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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1697 


die Punktionen werden seltener nötig, der Umfang der Ge¬ 
schwulst bleibt kleiner. Ein grosser Vorzug vor den meisten 
anderen Injektionsverfahren ist die viel geringere Schmerz¬ 
haftigkeit und Reaktion; beides scheint -- wenigstens bei Ein¬ 
spritzung in den völlig leeren Sack — manchmal sogar ganz 
auszubleiben. Daher verdient die Adrenalininjektionsmethode 
bei Hydrozelen, welche aus irgendwelchen Gründen nicht 
operiert werden können, und sich nach der Punktion rasch 
wieder füllen, weitere Anwendung, als sie bisher gefunden hat. 

II. Operation der Hydrozele nach Klapp. 

K1 a p p [5] berichtete 1904 über gute Erfolge bei folgender 
Operationsmethode: Der gespaltene Hydrozelensack wird 
aus der Hautwunde hervorgekrempelt und nun werden mit 
feinen Seidennähten, welche nur die Tunica vaginalis propria 
fassen, die Hydrozelenhüllen vom Schnittrand bis an den 
Samenstrang zusammengerefft, wobei die serösen Falten der 
Propria fest aufeinander gepresst werden. 

Das Verfahren scheint bisher von anderer Seite nicht in 
grösserem Umfang verwendet worden zu sein. 

In zwei Fällen von seit langer Zeit bestehender, mittel- 
grosser Hydrozele habe ich nach Klapp operiert, und zwar 
unter regionärer Anästhesie und ambulant. Die 
Patienten verhielten sich einige Tage ruhig, und nahmen nach 
8—10 Tagen ihre Beschäftigung wieder auf. Die Hämatom¬ 
bildung im Skrotum war trotz der ambulanten Behandlung ge¬ 
ring, was ja auch bei der durch feste Reffnähte bewirkten 
Blutstillung zu erwarten war. Die reponierten Konvolute der 
gefalteten Hüllen resorbierten sich — wie auch in Klapps 
Fällen — im Laufe einig*er Monate fast vollkommen, so dass nur 
eine unbedeutende Verdickung des Hodens an der operierten 
Seite zurückblieb. 

Das Verfahren hat gegenüber den älteren Methoden von 
Volkmann 1 und v. Bergmann den Vorteil, dass es be¬ 
quem unter Lokalanästhesie und ambulant durchgeführt werden 
kann. Ein Vorzug vor der Winkelmann sehen Methode 
ist, dass Rezidive ausgeschlossen sind, auch eine Knickung der 
Samenwege und Blutgefässe mit Funktionsstörungen des 
Hodens nicht Vorkommen kann. 

Literatur. 

1. Barr: British medical journal 1904, 19. März. — 2. R u p f I e: 
Münch, med. Wochenschr. 1904, No. 48. — 3. D z i e w o n c k i: Revue 
francaise de med. et de chir. 1905, No. 6. — 4. D’H a e n e n s: Progres 
med. beige 1905. — 5. Klapp: D. Zeitschr. f. Chir. 1904, Bd. 74. 

Aus dem Städtischen Krankenhause zu Bad Nauheim. 

Zur Technik der Nadelextraktion. 

Von Dr. Carl Haeberlin, leitendem Arzt. 

Ein Vorkommnis, dessen Folgen der Arzt häufig zu sehen 
Gelegenheit hat, ist das Eindringen von Nadeln in die Gewebe. 
Fast immer handelt es sich dabei um Personen, die sich beim 
Reinigen des Bodens den Fremdkörper „unter die Haut ge¬ 
fangen“ haben, wobei sehr häufig die Nadel zerbricht und ihr 
eines Ende im Körper verbleibt. In der grossen Mehrzahl der 
Fälle ist die Hand Sitz des Fremdkörpers, seltener die Sohle, 
der Unterarm oder eine andere Körpergegend. 

Nach Erfahrungen, die ich im Laufe der letzten Jahre mehr¬ 
fach gemacht habe, glaube ich auf ein einfaches, wie mir aber 
scheint, nicht allgemein bekanntes Verfahren hinweisen zu 
dürfen, das mich in einer ganzen Reihe von Fällen, die vorher 
ohne dasselbe ergebnislos behandelt worden waren, nicht im 
Stiche gelassen hat. Nicht selten lassen sich Aerzte durch die 
Deutlichkeit des Einstichs und die in seiner Umgebung vor¬ 
handene Schmerzhaftigkeit dazu verleiten, auf ihn, als den 
vermeintlichen Sitz der Nadel, einzuschneiden, dann weiter zu 
sondieren, die Wunde zu vertiefen und zu erweitern, ohne aber 
immer trotz langen Suchens den Fremdkörper dann finden zu 
können. Ebenso falsch aber ist es, den Patienten in ein 
Röntgenkabinett zu senden, dort eine Aufnahme machen zu 
lassen, und nun, wenn man auf der Platte die Nadel sieht, auf 
ihren scheinbar so deutlichen Sitz einzuschneiden — für Aerzte 
und Patienten ist so schon manche Enttäuschung zustande ge¬ 
kommen, denn das flächenhafte Bild kann natürlich keinen Auf¬ 
schluss über die wirkliche Lage des Fremdkörpers zu seiner 
Umgebung im dreidimensionalen Raume geben. Etwas weiter 


kommt man, wenn- man Röntgenbilder in verschiedenen Ebenen 
aufnehmen lässt und kombiniert, oder mit stereoskopischen 
Aufnahmen. Aber während das erstere noch durchaus un¬ 
vollkommene topographische Resultate gibt, so erfordert das 
letztere Verfahren wieder kompliziertere Apparate, die nicht 
jedes Röntgenkabinett besitzt, und es erfordert vor allem auch 
eine erhebliche, nicht jedem zu Gebote stehende Uebung im 
Sehen. Die von manchen Seiten empfohlenen Kombinationen 
von Operationstisch und Röntgeninstrumentarium dürften nur 
selten zur Verfügung stehen. 

Viel bessere Einsicht in die Topographie des Fremdkörpers 
als die Röntgen Photographie ergibt die Durch¬ 
leuchtung vor dem Schirm, aber sie muss nicht nur in einer, 
sondern in vielen Ebenen durchgeführt werden. Ich verfahre 
stets folgendermassen: Die Gegend, welche den Fremdkörper 
enthält, meist die Hand, wird vor den Durchleuchtungsschirm 
gebracht und mit der Vola flach auf denselben aufgelegt, so 
dass die Röntgenstrahlen zunächst senkrecht auf die Streck¬ 
seite auffallen. Erblickt man die Nadel, so stellt man zunächst, 
indem man sie in den Zentralstrahl bringt, fest, über welchem 
Knochen sie liegt und merkt sich dabei genau die Höhe des 
Knochens, die dem Fremdkörper entspricht. Sodann wird die 
Hand, die hier weiter als Beispiel diene, langsam um ihre 
Längsachse gedreht; die dabei allmählich stattfindende Ver¬ 
schiebung des Fremdkörpers im Schattenbild gibt eine voll¬ 
kommene Vorstellung von der Tiefe, in der zwischen Haut und 
Knochen in den Weichteilen das Objekt sitzt. Weitere Be¬ 
wegungen um die sagittale Achse, dann Flexion und Extension 
im Handgelenk lassen allmählich auch die Richtung der grössten 
Längsausdehnung erkennen. So prägt man sich durch längeres, 
systematisches Hin- und Herbewegen des den Fremd¬ 
körper enthaltenden Gliedes das Bild seiner Topographie besser 
ein, als es hier selbst mehrere kombinierte Plattenaufnahmen 
ergeben können. 

Palpiert man sich nun unmittelbar vor dem der Durch¬ 
leuchtung folgenden Eingriff die Knochen genau ab, so wird 
man nach senkrecht zur Längsachse des Fremdkörpers er¬ 
folgter Spaltung der Haut bei stumpfem Vorgehen auf die 
wohlgemerkte Stelle, auch in tiefen Muskelschichten, ohne 
Schwierigkeit den Fremdkörper schnell fassen und dadurch die 
besten Bedingungen für schnelle Heilung nach dem in Es- 
marchscher Blutleere und strenger Asepsis vorgenommenen 
Eingriff setzen können. 

Beginn der Ophthalmozytoreaktion auf Tuberkulin. — 
Natur des Exsudats. 

Von Dr. J. S a b r a z 6 s und Dr. Ch. L a f o n in Bordeaux. 

Wir haben mit Genugthuung konstatiert, dass die jüngst er¬ 
schienene Arbeit von Herrn Dr. Rudolf D i e t s c h y (Münch, med. 
Wochenschr. No. 24, 16. Juni 1908, S. 1275) unsere ersten Feststel¬ 
lungen Punkt für Punkt bestätigte; nur hinsichtlich der Frage der An¬ 
wesenheit von Fibrin oder Muzin im Exsudat neigt der genannte 
Verfasser zu dem Fibrin hin im Gegensatz zu uns. Wir teilen des¬ 
halb nachstehend einige neue Feststellungen mit und benützen die 
Gelegenheit, um auch einige noch nicht veröffentlichte Konsta¬ 
tierungen über den Beginn der Ophthalmozytoreaktion mitzuteilen. 

Die Färbetechnik war die folgende: 

L May-Grünwald-Giemsa-Jenner oder Leishmannmischung; 

2. Fixierung mit 1 proz. Chromsäure 2 Sekunden lang; waschen 
in fliessendem Wasser auch 2 Sekunden, Färbung im polychromen 
Methylenblau (Unna) 2—3 Minuten lang; Differenzierung in 90° 
Alkohol. Dieses Verfahren wurde von F. Besang on und 
I. de Jong 1 ) zum histochemischen Studium des Auswurfes benutzt; 
mit diesem Verfahren erscheint der Schleim (Muzin) rötlich-violett, 
das Albumin bläulich-violett und das Fibrin griin gefärbt. 

Der Konjunktivalausfluss wird mittels Kapillarität in einer 
Pasteurpipette entnommen. 

Bei einem 16 jährigen jungen Manne (Gelenktuberkulose am 
linken Knöchel) enthielt der Ausfluss vor der Instillation von Tuber¬ 
kulintest sehr wenig zellige Elemente: ungefähr in einem Gesichtsfeld 
unter 5 und dann höchstens 3 Elemente. Der Prozentsatz ist folgender: 
Polynukleäre neutrophile Leukozyten 14; Epithelzcllen 86, Poly¬ 
nukleäre oft stark beschädigt, Epithelzellen in gutem Zustand; hie und 
da etwas faseriger Schleim, der hyaline ist selten. 

Ophthalmoreaktion vorgenommen um 9 Uhr morgens. 


') S. Israels de Jong: Etüde histo-chimique et cytologique des 
crachats. These de Paris 1907, G. Steinheil, editeur, 2, rue Casimir 
Dclavigne. 


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1698 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .1?. 


Ausstrich nach 1’4 Stunde (keine klinische Reaktion): die zelli- 
gen Elemente sind zahlreicher; man trifft solche ungefähr in 3 Gc- 
sichtsfeldern unter 5; Anzahl nicht über 5. Ausserdem, was bemer¬ 
kenswert ist, findet man in jedem Ausstrich 1 oder 2 Anhäufungen 
von 20—30 Elementen. Prozentsatz: Polynukleäre Leukozyten 62; 
Lymphozyten 19; Epithelzellen 19. Der faserige Schleim ist in 
kleiner Menge vorhanden. Ausnahmsweise trifft man einige kleine 
Haufen von körnigem grünem Fibrin. 

.Abermaliger Ausstrich VA Stunden später (keine klinische Re¬ 
aktion). Die Ausstriche ähneln sehr den vorherigen. Prozentsatz. 
Polynukleäre Leukozyten 68; Lymphozyten 26; Epithclzellcn 6. Viele 
Polynukleäre haben einen pyknotischcn Kern. 

Ausstrich VA Stunden später (keine klinische Reaktion). 
Ausserordentlich viel polynukleäre neutrophile Leukozyten, oft in 
sehr schlechtem Zustand; man kann in einem einzigen Gesichtsfeld 
bis 80 Leukozyten antreffen. Prozentsatz: Polynukleäre Leuko¬ 
zyten 98; Lymphozyten 1; Epithclzellcn 0,69. Viele Polynukleäre 
sind vollständig desorganisiert und bilden nur noch eine formlose 
Masse mit einem Rest von neutrophilen Granulationen. Der Kern 
der Epithelzellen erleidet eine violette Metachromasie (polychromes 
Methylenblau). Sehr wenig Schleim, welcher faserig Ist. Dies ist 
das Resultat 3 ! H Stunden (1 2 3 U Uhr nachmittags) nach Instillation. 

Sehen wir. nun weiter: 

Erneuter Ausstrich 3‘/ a Uhr nachmittags (keine klinische Re¬ 
aktion); gleiches Resultat wie oben. Prozentsatz: Polynukleäre 
Leukozyten 98; Lymphozyten 1.74; Epithelzellen 0,35. 

6. Ausstrich 5 Uhr abends (Beginn der klinischen Reaktion); viele 
zellige Elemente, besonders in krümeligen Haufen; Mischung ver¬ 
schiedener Typen; man unterscheidet deutlich die neutrophilen Ele¬ 
mente von den Lymphozyten und den Mononukleären. Prozentsatz: 
Polynukleäre Leukozyten 94; Lymphozyten 1,34; Mononukleäre 3.49; 
grosse Mononukleäre mit gelapptem Kern 0,53; Epithelzellen 0,26. 
Etwas Schleim. Einige Tropfen Albumin oder Seroschleim. 

Ausstrich am nächsten Morgen um 10 Uhr. Die klinische Re¬ 
aktion ist auf ihrem Höhepunkt und immer finden sich viele 
Zellen im Exsudat. Viel entartete Zellen mit violetter Meta¬ 
chromasie. Freiliegende, schwer zu identifizierende Kerne. Pro¬ 
zentsatz: Polynukleäre Leukozyten 96; Lymphozyten 2.50; Mono¬ 
nukleäre 0,71; Mononukleäre mit gelapptem Kern 0.35; Epithcl¬ 
zellcn 0,35. Etwas mehr faseriger Schleim als früher; einige Tropfen 
hyaliner Schleim. 

Also schon VA Stunden nach der Instillation tritt die zellige Re¬ 
aktion auf. das heisst fast 7 Stunden vor der klinischen Reaktion; 
und die zellige Reaktion ist charakterisiert durch eine Vermehrung 
der Polynukleären und auch durch Auftreten einer ziemlichen Anzahl 
Lymphozyten. Diese beiden Zellarten vermehren sich dann noch 
ungefähr in gleicher Weise während VA, d. h. 2 1 1- Stunden nach der 
Instillation. Nach 3*» Stunden findet man überhaupt fast nur noch 
die Polynukleären; indessen ist noch keine klinische Modifikation 
wahrnehmbar. Die Polynuklcose dauert auch weiterhin an. 

Zudem haben wir konstatiert, dass immer mehr oder weniger 
Schleim vorhanden ist, aber nur ganz ausnahmsweise Spuren von 
Fibrin. 

Im Augenblick, wo die Ophthalmoreaktion auf ihrem Höhepunkt 
ist, haben wir in ca. 10 Fällen folgendes gesehen: Schleim ist immer 
vorhanden, aber wenig reichlich. Man findet den Schleim haupt¬ 
sächlich in Form von kleinen faserigen Häufchen (violett mit einem 
Stich ins kastanienbraune). Der hyaline Schleim in Tropfen oder als 
Fläche (rötlich-violett) ist seltener: oft dient ein Tropfen als Grund 
für einen faserigen Haufen. Manchmal sieht man einige Tröpfchen 
oder Flächen von albuminösen Substanzen (blau-violett) mehr oder 
weniger mit hvalinem Schleim vermischt, was sehr verschiedene 
Farbenkombinationen (seroschleimige Tropfen) hervorbringen kann. 

Es ist ganz ausnahmsweise, dass man kleine grünliche körnige 
Häufchen (Fibrin) findet. 

Es ist zu bemerken, dass man genau dasselbe Resultat mit dem 
Ausfluss der akuten Bindehautentzündung erhält (akute Konjunkti¬ 
vitis); der Schleim ist hier immer wenig reichlich. 


Aus der Kgl. Chirurg. Universitäts-Klinik Berlin (Direktor; 
Geh. Rat Bier). 

Ueber Verwendung von Gummi als Zusatz zum Anästheti- 
kum bei Lumbalanästhesie. 

Bemerkungen zu E r h a r d t s Artikel in No. 26 d. Wochenschr. 
Von Dr. Dönitz, Assistent der Klinik. 

In Erhardts Artikel sind Behauptungen aufgestellt, die nicht 
unwidersprochen bleiben können. Die von Erhardt in der hiesi¬ 
gen Klinik während des Chirurgenkongresses ausgeführte Anästhesie 
hielt nur so kurze Zeit an. dass die Hautnähte nach der Appcndizek- 
tomic schmerzhaft empfunden wurden. Der weitere Verlauf bot ein 
höchst betrübendes Bild: einige Stunden nach der Einspritzung ant¬ 
wortete der Kranke nicht mehr auf Anrufen, bald trat völlige Besin¬ 
nungslosigkeit ein. Durch Lumbalpunktion wurde am Abend stark 


getrübter Liquor entleert, aus dem nach kurzem Stehen grosse dicke 
Flocken sich abschieden; sie bestanden fast ausschliesslich aus Eiter¬ 
körperchen. Bakterien nicht nachweisbar. Liquordruck •> m mm im 
Liegen. Nachts Schüttelfrost und Erbrechen. Ausserordentlich starke 
Unruhe, so dass Patient gefesselt werden musste. Alle Sehnen- unJ 
Hautreflexe, desgleichen Korneareflex, waren erloschen. Am 3. ‘läge 
machten sich die ersten Zeichen des wiederkehrenden Bewusstseins 
bemerkbar. Vom 4. läge ab legte sich die auffallende Unruhe, Pa¬ 
tient erkannte den Arzt und wusste, wo er war. hatte aber eine 
völlige Amnesie für die Operation und die Vorbereitungen dazu. Der 
Puls w ar in der ganzen Zeit langsam, voll und kräftig. 
Die weitere Besserung schritt nur sehr langsam fort, und noch heute, 
etwa 3 Monate nach der Einspritzung bestehen zeitweilige Wallungen 
nach dem Kopf mit Angst/uständen. (Die näheren Daten s<>!!en bei 
einer anderen Gelegenheit mitgeteilt werden.) Es handelt sich dem¬ 
nach um eine eitrige aseptische Meningitis schwerster Art, die den 
Kranken für 2 'läge an den Rand des Grabes gebracht hatte. 

Mit diesem traurigen Ereignis findet sich Herr Erhardt sehr 
leicht ab; er meint, die Spritzen und Kanülen seien in — Sodalosung 
ausgekocht worden, entgegen seiner am l äge vorher ausgesprochenen 
Bitte. „Der Aiisserachtlassung der notigen Kautelen“ Schreibt er das 
schlechte Gelingen zu. Nun. ich habe selbst die Vorbereitungen 
zur Injektion getroffen, und ich stehe dafür ein, dass die im Instru¬ 
mentenkocher sterilisierten Spritzen mul Kanülen, wie es in unserer 
Klinik stets geschieht, auf das sorgfältigste mit steriler Kochsalz¬ 
lösung ausgespritzt worden sind, um eben jede Spur Soda zu ent¬ 
fernen. Den Yorwuri der „Ausceraehtlascung der notigen Kautelen’’ 
muss ich demnach zurückweisen. Die Kenntnis dieser Schulweisheit 
von der Schädlichkeit der Soda hatte Erhardt um so mehr bei 
unserer Klinik voraussetzen dürfen, als Bier und ich Schon vor 
mehr als 4 Jahren auf diesen Punkt hingewiesen haben (s. diese 
Wochenschrift 1904, No. 14). 

Welche Erfahrungen E r h a r d t berechtigten, mit dieser Be¬ 
stimmtheit die Soda als Ursache der Meningitis zu beschulJigcn, 
w eiss ich nicht, da ja alle (nimtmunusthesiem nach seiner eigenen 
Angabe bisher gut verlaufen sind. 

Ich fasse das Gesagte dahin zusammen: die Soda kann fiir die 
unglückliche Meningitis nicht verantwortlich gemacht werden, erstens, 
weil sie lege artis aus der Spritze usw. entfernt worden war. zwei¬ 
tens, weil eine tausendfältige Erfahrung dagegen spricht. 

Demgegenüber führe ich zwei weitere Ealie an. bei denen nach 
lumbaler Injektion von Mueilaginosis sehr heftige Nuchersc Meinungen 
auftraten. Der erste stammt aus unserer Klinik; Klapp, der zuerst 
den Gedanken hatte, die Mucilagiriosa für die l umbalan.istliesie 
zu verwenden und die Rcsorptionsx erhaltnissc experimentell fest¬ 
zulegen. inii/ierfc einem Patienten eine Gelatine-Kokain-! osung. Der 
Kranke litt 4 Tage lang unter derart heftigen Nacherschcimmgen. 
dass wir von weiteren Versuchen bis auf weiteres absahcii. 
Der zweite Fall ist von Erhardt selbst in Nu. 19 dieser Wochen¬ 
schrift |90S beschrieben: Kürette bei stark mazerierter, totfauler 
Erlicht; Plazenta faul, stinkende, dunkelbraune Elusvi^Keit. 3 Stun¬ 
den nach der Injektion: Erost. Temperatur 3'>.n °. Delirien. Bin-.mmen- 
lieit. Puls langsam, voll hebend (Verlauf s. Origm.d). Die 
Frage, ob diese Folgezustümle durch einen septischen Prozess oder 
durch eine aseptische Meningitis bedingt sind, lasst sich leicht ent¬ 
scheiden. Zunächst fällt die Aehnlichkeit auf mit dem EaM vom 
Chirurgenkongrcss. bei dem die Meningitis durch l umbalpunktion 
objektiv naeherw iesen war. Die Delirien sprecht n für eine Menin¬ 
gitis. Schliesslich ist die in beiden lallen beobachtete Inkon- 
g i u enz zwischen Puls (längs a m. voll) u n d T e m ncra- 
t u r (erhöht) höchst auffällig. Dieses Verhalten findet sich gewöhnlich 
im Beginn der Meningitis (Vagus-Puls). Bei septischen Zuständen ist 
der Puls fast a"snahms|us beschleunigt. Wir sind demnach ge¬ 
zwungen. auch in diesem Fall eine aseptische Meningitis anzunehmen. 

Es besteht demnach die Tatsache, dass in mir einigen Dutzend 
Mucilagiriosaanästhesien 3 Schwere Meningitis!.-fix* anfgetreten sind. 
Demgegenüber ist die Zahl der v«»n E r h n r d t Publizierten Eaüe so 
gering, dass eine allgemeine Empfehlung de«- Methode d.oanfhm nicht 
angängig ist. auch wenn keine l’neliic ksf.dle vor gekommen wären. 
Wir empfehlen deshalb, zunächst von totalen Anästhesien abzu- 
sehen. deren Zustandekommen übrigens mit dem Gummizus.itz nichts 
zu tun hat. lind erst grossere Erfahr urig im Gebiet der unteren 
Korperhälfte zu sammeln: hier sind die Gefahren einer aseptischer» 
Meningitis v er seine inde#vl gegenüber denen am llrn und verlängerten 
Mark. W ir haben es uns deshalb zum IVmpp gemacht, neue Mittel 
stets erst bei Hämorrhoidem und \riaFisteln zu erproben, und sind 
stets gut dabei gefahren. W ir w erden das Verfahren mit Vorsicht 
prüfen, denn wir können nur .w iinsc b*m. dass Klapps schöne Idee 
auch fiir die Praxis brauchbare Früchte* zeitigt. 


Schlusswort von Dr. Erhardt. 

Auf dem sachlichem Teil obiger Ausführungen habe ich i-Igendes 
zu erwidern: 

Es genügt, dass Herr Pönitz zugibt, das InAfrume-ntarium in 
Soda ausgekocht zu haben, entgegen meiner ausdrücklichen Bitte, 
dies zu unterlassen. Nun ersuche ich Herrn D e< n i t z. e:n nicht zur 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1699 


Lumbalanästhesie benutztes Instrumentarium z. B. mit Eosin- oder 
Fuchsinlösung zu behandeln und einen darauffolgenden Spülvorgang 
genau zu verfolgen. Seine Ansicht über die radikale Entfernung von 
Substanzen durch Ausspritzen wird sich dann ändern. 

Ueber Klapps Versuche habe ich in meiner Dissertation be¬ 
richtet. Es war nicht seine Idee, sondern es war in Fachkreisen all¬ 
gemein erkannt, dass nach geeigneten resorptionsverhindernden Mit¬ 
teln gesucht werden müsse. Klapps Versuche, die übrigens wegen 
der ungenauen Angabe von Tiergewicht und Dosierung nicht den An¬ 
spruch auf volle Exaktheit machen können, wurden resultatlos ad acta 
gelegt. Gelatine ist auch nach meinen Untersuchungen der un¬ 
geeignetste Stoff zu derartigen Experimenten. Bei Verwendung von 
Gummi war ein ganz selbständiges Problem zu lösen, das auf chemi¬ 
schem Wege lag. Die Klapp sehe Gelatineanästhesie kann mit 
meinem Verfahren nicht zusammengeworfen werden, letzteres hat 
mit der Klapp sehen Idee nur das allen vorschwebende Ziel gemein, 
sonst nichts. Gegen die Behauptung, der Gummizusatz habe mit dem 
Zustandekommen der Totalanästhesie nichts zu tun, spricht schon die 
Statistik. Bei höhergehenden Anästhesien ohne Gummizusatz traten 
fast stets schwerste Atmungsstörungen, oft Respirationslähmung ein. 
(Vergl. Bosse: Die Lumbalanästhesie, Urban & Schwarzenberg, 
1907; auch wieder Spielmeyer, Münch, med. Wochenschr. 190S, 
N °. 31.) 

Nun komme ich zum Beweis für die Schädlichkeit der Soda: 

Bei Klapps Gelatineanästhesie war wohl sicher das Instru¬ 
mentarium, wie es in Berlin üblich ist, auch in Soda sterilisiert; 

die von mir beim Chirurgenkongress demonstrierte Anästhesie 
war mit ebenso behandeltem Instrumentarium gemacht und 

gerade bei dem von Dönitz zitierten Fall aus meiner Ver¬ 
öffentlichung in No. 19 dieser Wochenschrift kam auch ein in Soda 
ausgekochtes Instrumentarium zur Verwendung, wie ich dies bereits 
Herrn Geheimrat Bier gegenüber erklärt habe. In diesem Falle 
war die Nachspülung wohl eine gründlichere, denn die Erscheinungen 
waren dabei verhältnismässig so gering, dass es eine geradezu exorbi¬ 
tante Uebertreibung ist, bei dieser Anästhesie von schwerer Menin¬ 
gitis zu reden. 

Die Zahl der jetzt vorgenommenen Gummianästhesien ist in¬ 
zwischen ziemlich gewachsen. Soweit ich unterrichtet bin, sind bei 
denselben keine derartigen Fälle mehr zu verzeichnen. 

Ich glaube, dass diese „drei schweren Meningitisfälle“, bei denen 
allein ein in Soda ausgekochtes, mit Kochsalzlösung nachgespültes 
Instrumentarium zur Verwendung kam, dem objektiven Leser das 
richtige Urteil aufdrängen werden. 

Zur Frage der Heilstättenbehandlung und der Anzeigen 
für? dieselbe. 

Entgegnung auf Dr. Frankenburger. 

Von Dr. Bräutigam, Leiter der Heilstätte Engelthal. 

In den Nummern 17 und 18 der Münch, med. Wochenschr. hat 
Herr Dr. Frankenburger, der Leiter der Nürnberger Fürsorge¬ 
stelle für Lungenkranke und zugleich des Walderholungsheims 
Rückersdorf, einen Artikel unter der Ueberschrift: „Zur Frage der 
Heilstättenbehandlung und der Anzeigen für dieselbe“ veröffentlicht, 
in dem er sich speziell mit den Heilstätten Fürth und Engelthal be¬ 
schäftigt. Herr Dr. Frankenburger wendet sich vor allem da¬ 
gegen, dass zum grössten Teil solche Kranke Aufnahme in die Heil¬ 
stätten finden, die sich im ersten Stadium der Krankheit befinden. 
Obgleich er selbst zugibt, dass er bezüglich der Dauererfolge bei 
Kraiiken im II. Stadium sehr skeptisch ist, verlangt er, es seien die 
Heilstätten besonders den Kranken des II. Stadiums zugänglich zu 
machen, weil dadurch der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit immerhin 
noch auf längere Zeit hinausgeschoben werden könne; die Kranken 
im ersten Stadium hätten keine Heilstättenbehandlung nötig, sie wür¬ 
den teilweise von selbst ausheilen; jedenfalls genüge es, wenn sie 
Tageserholungsstätten (dem Walderholungsheim Rückersdorf) über¬ 
wiesen würden. 

Wenn man nun bedenkt, dass die grosse Mehrzahl der Kranken 
des II. Stadiums sich doch auch eine Zeitlang im I. Stadium befunden 
haben und dass die Aussichten auf Dauererfolge bei den Kranken im 

I. Stadium ungleich günstiger sind als bei denen im II. Stadium, so 
ist schwer einzusehen, warum man die günstigste Zeit verstreichen 
lassen und erst eingreifen soll, wenn es schon zu spät ist. Wir 
haben überdies in den Heilstätten immer noch genug Fälle des II. Sta¬ 
diums und ich in Engelthal in diesem Jahre sogar mehr Fälle des 

II. Stadiums als solche des I. Stadiums zur Aufnahme erhalten. Die¬ 
selben würden aber sicherlich weit günstigere Heilungsaussichten 
bieten, wenn sie in ihrem I. Krankheitsstadium der Heilstätten¬ 
behandlung zugeführt worden wären. Denn der wichtigste Faktor 
bei Heilung der Tuberkulose ist die Zeit, zu welcher die Behandlung 
einsetzt. 

Für die Heilstättenbehandlung stehen uns durchschnittlich nur 
3 Monate zur Verfügung; bei dem langsamen Heilungsvorgang der 
Lungentuberkulose ist diese Zeit so kurz bemessen, dass eigentlich 
nur Fälle im allerersten Beginn für eine erfolgreiche Behandlung 


auf so kurze Dauer in Betracht kommen. Abgesehen davon, dass 
die Walderholungsstätte niemals die Heilstätte ersetzen kann, kommt 
hinzu, dass die durchschnittliche Behandlungsdauer in der Wald¬ 
erholungsstätte nach dem Bericht des Herrn Dr. Frankenburger 
28 Tage dauert und dass eine derartig kurze Frist für die Behandlung 
der Tuberkulose absolut unzureichend ist, Es Hesse sich ja an dem 
Betrieb der Walderholungsstätte aussetzen, dass Rekonvaleszenten 
mit Tuberkulösen zusammengebracht werden, da die Neigung zu In¬ 
fektionen bei geschwächten und in der Wiedergenesung begriffenen 
Personen in erhöhtem Grade vorhanden ist. Wenn die Wald¬ 
erholungsstätte aber Tuberkulöse aufnimmt, so soll sie dieselben auf¬ 
nehmen während der Wartezeit, bis die Aufnahme in die Heilstätte 
erfolgen kann, oder als Nachkur nach der Entlassung aus der Heil¬ 
stätte. aber niemals als Ersatz für die Heilstätte. 

Herr Dr. Frankenburger spricht ferner den Wunsch aus, 
dass die Voruntersuchung für die Prüfung der Aufnahmefähigkeit in 
die Heilstätte Engelthai der Fürsorgestelle für Tuberkulose über¬ 
tragen werden möge. Die Erfüllung dieses Wunsches aber müsste 
ich aufs tiefste beklagen, da ich bei den Anschauungen, die der der¬ 
zeitige Leiter der Fürsorgestelle hat, fürchten müsste, die Heilstätte 
Engelthal würde ihrem eigentlichen Zweck vollständig entfremdet, 
sie würde zu einer Pflege- und Versorgungsanstalt herabgedrückt 
werden und alle die Mühe und Opfer des Heilstättenvereins wären 
vergebens gebracht worden. 


Zur Masernprophylaxe. 

In No. 21, 1908 der „Münch, med. Wochenschr.“ glaubt Prof. 
Langer in Graz nach Erfahrung an seinen eigenen Kindern in 
Inhalationen von Wasserstoffsuperoxydlösung ein Mittel gefunden zu 
haben, welches imstande wäre, die Infektion mit Masernvirus zu 
verhindern. 

Ohne bestreiten zu wollen, dass die Möglichkeit, auf diese Weise 
die Infizierung mit Masern zu verhindern, vorhanden ist, möchte ich 
nur kurz zwei einschlägige Erfahrungen mitteilen, welche beweisen, 
dass ein Verschontbleiben von Masern auch ohne jegliche prophy¬ 
laktische Massnahme bei Kindern vorkommt, die im innigsten Kontakt 
mit masernkranken Kindern sich befinden. 

Vor 2 Jahren herrschte im Orte, wo ich meine Praxis ausübe, 
eine ausgebreitete Masernepidemie. In einer Familie erkrankte der 
8 jährige Knabe Franz H. an Masern und infolge beschränkter Woh¬ 
nungsverhältnisse und in der sichern Aussicht, dass bei der grossen 
Empfänglichkeit der Kinder für Masern eine unvollkommene Isolierung 
überhaupt unnütz sei, riet ich der Mutter, den 3 jährigen Bruder Karl 
des erkrankten Franz ruhig im selben Zimmer zu lassen, da er ja 
ganz sicher auch an derselben Krankheit erkranken werde. Die 
Mutter aber tat noch ein Uebriges! Um den Ausbruch der Masern 
beim zweiten Knaben zu beschleunigen und so gleichsam beide Krank¬ 
heiten in einem Aufwaschen durchzumachen. Hess sie den jüngeren 
Bruder im selben Bett mit dem älteren schlafen und siehe da, die 
täglich erwarteten Masern kamen nicht und erst bei der gegen¬ 
wärtig hier herrschenden Masernepidemie ist der jüngere Bruder von 
den Masern wirklich ergriffen worden. 

Bei der gleichen Epidemie vor zwei Jahren erkrankte in einer 
Familie mit beschränkten Wohnungsverhältnissen von den zwei Kin¬ 
dern derselben der jüngere Knabe. Isolierung wurde gar nipht ver¬ 
sucht und trotzdem blieb das ältere von den zwei Geschwistern 
damals von den Masern verschont und ist auch erst bei der heurigen 
Masernepidemie von den Masern ergriffen worden. Dass weder 
im ersten noch im zweiten Falle irgendwelche prophylaktische Mass- 
regeln vorgekehrt wurden, brauche ich nicht eigens zu erwähnen. 

Dr. Hans Degle, Kindberg (Steiermark). 

Eine neue Anwendung der RSntgenstrahlen. 

Schlusswort auf die Bemerkungen des Herrn Dozenten 
Dr. Holzknecht. 

Von Ingenieur Friedrich Dessauer in Aschaffenburg. 

Mit Rücksicht auf die Geduld der Leser dieser Wochenschrift 
und auf das doch immerhin beschränkte Interesse an einem Prioritäts¬ 
streite zwischen zwei Autoren, begnüge ich mich im nachfolgenden 
mit Richtigstellung der wesentlichsten Punkte der Aus¬ 
führungen des Herrn Holzknecht. Auch das Unwesentliche der 
Ausführungen des Herrn Holzknecht enthält zahlreiche Unrichtig¬ 
keiten — dass ich sie hier nicht erwähne, soll nicht bedeuten, dass 
ich sie gutheisse: 

1. Perthes hat sich nie das Problem gestellt, in der Tiefe so 
wie auf der Oberfläche zu bestrahlen. Er erklärt es vielmehr in seiner 
Arbeit als nicht gelungen, trotz verschiedener Modifikationen, eine 
der Oberflächenwirkung nahekommende Tiefenwirkung zu erzielen. 

2. Das Problem, in der Tiefe unter physikalisch gleichen Be¬ 
dingungen zu bestrahlen, wie letzt auf der Haut, dn« Problem der 
Homogenbestrahlung findet sich zuerst in meiner Arbeit ..Beiträge 
7Ur Bestrahlung tiefliegender Prozesse". Med. Klinik 1905. H. 21/22. 
In dieser Arbeit findet sich auch die vollständige physikalische Lösung 


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1700 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 . 


des Problems, und zwar so erschöpfend, dass ihr nichts mehr hin/.u- 
zufügen bleibt. Diese Lösung besteht in der gleichzeitigen und kom¬ 
binierten Benutzung sämtlicher zur Erreichung der Homogenität not¬ 
wendiger Mittel und einiger weiterer, die zur Sache nicht er¬ 
forderlich, aber nützlich sind. (Notwendige Mittel: Betrieb sehr har¬ 
ter Röhren aus sehr grossen Abständen; nützliche Mittel: geeignete 
Filtration, Betrieb mehrerer Röhren gleichzeitig. Verlagerung der Pa¬ 
tienten, so dass die Strahlung von verschiedenen Seiten eindringen 
kann.) 

3. Diese Methode ist in Och. Rat C z e r n y s Klinik in Heidel¬ 
berg 6 Monate 1905,06 in Betrieb gewesen -- Holzknecht be¬ 
schäftigte sich 1907 mit der Sache. 

4. Holzknecht hat meiner Methode auch nicht das Geringste 
hinzugefügt. 

5. Holzknecht irrt, wenn er glaubt, die Homogenbestrahtung 
sei nur von mehreren Seiten möglich. Aber auch wenn er recht hatte, 
würde dadurch die Homogcnbestrahlung nicht weniger meine Arbeit 
sein, da es offenbar ganz gleichgültig ist. ob man den Patienten von 
mehreren Seiten durchstrahlt oder seine Lage verändert — ihn auf 
den Rücken, auf die Seite usw. legt und die Strahlung von einer 
Seite wirken lässt. 

6. Hol zkn echt hat während der ganzen Dauer unserer ge¬ 
meinsamen Versuche nie bestritten, dass es sich um meine Methode 
handle, er hat vielmehr ausdrücklich in enthusiastischen Ausdrucken 
von dem gesprochen, was er bei mir sah. Die Angabe, dass 
„Dessauers“ Apparat kein räumlich homogenes Licht liefere, be¬ 
zieht sich lediglich auf einen fehlgeschlagenen Versuch mit von dritter 
Seite auf meinen Wunsch gebauten Rohren (siehe 10). 

7. Der vollständig neue Weg, den Herr Heinz B a u e r auf Ein¬ 
ladung Holzknechts beschritten hat. d. i. die Benutzung von 
Hochfrequenzströmen zum Betriebe von Röntgenröhren ist uralt. So¬ 
weit es sich aber um den Mehrfachbetrieb von Röntgenröhren mit 
Hochfrequenzströmen zum Zwecke der Tietcnbestrahlung handelt, so 
ist dieser ..neue Weg“ Herrn Holzknecht in meinem Labo¬ 
ratorium vor Zeugen viele Monate v o r h e r gezeigt worden. 

8. Wenn H o I z k u e c h t also P e r t h e s benutzt, um eine Vor¬ 
erfindung der Tiefenbestrahlungsmcthode zu konstruieren und so sein 
eigenes Verhalten zu rechtfertigen, so macht er den gleichen Ver¬ 
such, der fast bei jeder Neuerung von einiger Bedeutung gemacht 
wird. Helfen wird das gar nichts, denn es ist nur notig, die 
Perthes sehe und meine eigenen Arbeiten nachzulescn, um den 
Sachverhalt einzusehen. Perthes’ Arbeit enthält weder das Pro¬ 
blem noch seine Lösung, meine beides. 

9. Auch von einer Seite gibt es eine zureichende Tiefen- 
bestrahlung. Dass Holzknechts diesbezügliche Ausfuhrungen 
falsch sind, davon kann er sich aus jedem grosseren Physikbuch 
unterrichten. Ich konstatiere also ausdrücklich: bei Bestrahlung von 
einer Seite, auch dann, wenn man Patienten nicht wie ich es 
tat, verlagert, gibt cs eine Tietcnbestrahlung, bei der hinreichend 
absorbiert wird. 

10. Holzknecht sagt, was er bei mir technisch gesehen habe, 
sei unbrauchbar gewesen. In Wirklichkeit ist die Sache so: Als 
Holzknecht zu mir kam teilte er mir mit. dass er meine Me¬ 
thode auf (irund meiner Publikation improvisiert habe und zu mir ge¬ 
kommen sei, um im Interesse seines Patienten Auskünfte zu holen. 
Ich zeigte ihm u. a. wie ich zur damaligen Zeit bestrebt war. den 
Funkeninduktor bei der Homogenbestrahlung durch eine andere Be¬ 
triebsart, einen Transformator und die Rohren durch Npczialrohrcn 
zu ersetzen. Die Ausführung in Holzknechts Artikel, ich hatte 
nach dem alten Prinzip Induktoren dabei verwandt, ist natürlich auch 
irrig. Ich versprach mir von diesen Neuerungen viel. H olz- 
k riecht und sein Patient baten mich, im vorliegenden Falle diese 
neue Betriebsart zu versuchen. Ich w illigte ein. Der Transformator 
ging gut, die neue Röhrentype, die Herr X auf meinen Yoischlag /u 
diesem Zwecke angefertigt hatte, versagte. Da ausserdem bei den 
Versuchen durch einen Angestellten des Patienten der Transformator 
beschädigt wurde — der Kranke aber auf unsere Versuche nicht 
warten konnte — machten w ir, II o I z k n e c h t und ich. w leder von 
Funkeninduktoren Gebrauch. Daraus wird mm bei Holz kn echt 
„Unverwertbarkeit, Unbrauchbarkeit des Technischen" usw. — eine 
amüsante Umstellung der Tatsachen. 

Zum Schluss: Die Geschichte der Tiefeiibestrnhlimg lässt sich in 
Wirklichkeit folgeiidermasseu skizzieren: 

1. Perthes untersucht, wie die biologische Wirkung der 
X-Strahlen in die 'liefe geht und kommt dabei zu einem negativen 
Resultat. 

2. Einige Monate darauf stellt Dessauer das Problem auf. in 
der Tiefe physikalisch so zu bestrahlen, wie jetzt auf der Oberfläche, 
diskutiert das Problem, löst es physikalisch auf (Definition als Homo¬ 
genität der Penetration und Absorption) und findet die technische 
Lösung durch Kombination, d. h. gleichzeitig e Anw endimg einer 
Reihe von neuen und alten Mitteln. 

3. Des sauer führt kurz darauf im Jahre 191)5 und Anfang 1 ( >n6 
6 Monate lang einen solchen Betrieb in einer deutschen Universitäts- 

ik durch und veröffentlicht die Ergebnisse in der deutschen 
lischen Gesellschaft. 


A. M o I z k n e c h t kommt P ■ Lilire nach diiwai praktischen Be¬ 
trieb zu Dessauer und teilt ihm mit. dass er auf t irund \on 
Dessauers Publikation einen s.klun Pa trieb tmpr.A isitre und 
bittet Dessauer um seine V Hat beit. Diese Mitarbeit eri-Lle 
mehrere Monate lang an einem eliiUen Ort. 

5. Holzknecht publiziert die ..end : ntige I osung des Pro¬ 
blems der Tiefenbest!ahlur.g” als eigene Leistung aut dem Roiitgen- 
kongress luos. 

laue ausfi.diiiiehe 1 Gr Stellung aller Vorgarne unter Beigabe der 
Korrespondenzen wird in einer der ii.klisiiii Nummern des .. Archiv 
für plu sikahsche Medi/m und niedizmis v he ledinik’ erfolgen. 

Zum Schluss bedauere uh autr u uig. die < »ct'vnt :u hkeit mit 
dieser leidu.eii Geschuhte notgedrungen m Npsprudi nehmen zu 
müssen. Die Verspätung der I ntg.'gmmg rührt \on einer längeren 
Auslandsfahr t hm. 

A s v. h a i I e n b u r g. ihn 3!. Juli 1 ( >' V 

__ _- —.— — r wE r~ --- 

Dr. Karl Singer t- 

Seit einigen J.ihren ist ein Zweig der Ihgicne zu Be¬ 
sonderer Entw 'ckking ge langt. d;e soziale Mvgtciie. Wah¬ 
rend Jahrzehnte lang der < icsnndheitspilege infolge der ep<»sbe¬ 
machenden Entdeckungen P e t t e n k o t e r s und Kochs so¬ 
wie deren Mitarbeitern mul Schule r 11 fast ausschliesslich v<m 
der Chemie und Bakteriologie der Weg gebahnt 
wurde, stutzt sich neuerdings die M>gicnc \ ieüadi audi aui 
die Ergebnisse der V o I k s w i r t s c li a i t und Statistik. 
Dieser junge Ast der h\giet is die ti W iss t rsdiatt. ehe Sozial¬ 
hygiene, verdankt zahlreiche Vhti’en. die zu tatkrattigem 
Handeln die Grundlage bildeten. dem kur/lull lu ange gangenen 
Direktor des statistischen Amtes der Stadt Muudicii. Dr. K a r I 
Singer. 

K a r I S i n g e r w urde im Jahre 1 s n> als Sohn eines Stuhl¬ 
stechers in Nürnberg geboren: nachdem er das Realgymnasium 
absolviert hatte, bezog er ehe Unix erspar Muudieu, um sidi 
dem Studium der Mathematik und Dh\s;k zu widmen. Nadi 
bestandener Staatsprüfung war er als Ass.sjuit bei der 
Kgl. Meteorologischen Zentralstation in Mnrdien tätig, wo er 
bis /.um Jahre IVJO verblieb. Wahrend dieser Zeit \ erfasste 
er mehrere meteorologische Arbeiten, ehe ä.ikli für eleu Hygieni¬ 
ker von Interesse sind, so „Die Bodciitemperutiiren an der 
Kgl. Sternwarte zu München" (1 v n>) < ..Die Witterung in Sud 
deiitsehland ls<d l v «'“ (erschienen 1 S ‘U). ..W < !keu täte in" 

(1N‘C) u. a. m. 

Im Jahre l^n trat er in das Statistische Amt der Stadt 
München ein, dessen Leitung ihm im Jahre übertragen 

wurde. Die neue Tätigkeit veranlasst»; ihn zu umfangreichen 
volksw irtschaftlicheii und statistischen Studien; zahlreiche Rei¬ 
sen im Inland und Ausland, besonders m England, gaben ihm 
Gelegenheit, sidi eingehende Kenntnisse über mustergültige 
Einrichtungen von Stadtverwaltungen und gemeinnützigen 
Vereinen an/iieige.eii. Das Ergebnis seiner mühevollen Arbeit 
sind zahlreiche Schriften snziaihv gieiusdieii Inhaltes und dm 
Gründung mehrerer Vorbild 1 1 die r Vereine, die der Volks- 
gesiindimg dienen. Die \ er* üe nliidiurge n Singers haben 
neben der auf griiiieUiybster Sachkenntnis beruhenden Ge¬ 
diegenheit noch zwei Vor/uge: sic beschäftigen skIi mit sn/ial- 
I)\gietiischen Erageit. deren Lrmtei’uig düngend geboten ist 
und doch von anderen EnrsJic-rii gar nidit oder imziireidicnd 
in Angriff genommen worden wat; mul weiter zeiJmen sic 
sich dadurch aus. elass sie zur V e rw itkhJiung der darge leg¬ 
ten Gedanken führten oder nodi führen werden, und allen, 
die auf dem Gebiete de! V olksgc■sundheitsptk ge tätig sind, zu¬ 
verlässige Leitung und Rat zuteil werden lassen. 

Wir können hier bei eier Beschränktheit des u's zur Ver¬ 
fügung stehenden Raumes nur einen kurzen l’eberbtick über 
die* wichtigsten Arbeiten des Verstorbenen bieten. Seme Ver¬ 
öffentlichungen bestellen teils m statistischen Darlegungen, zu 
denen seine amtliche Stellung die Veranlassung gab; hierzu 
sind vor allem die permd.sdi ersJietuenden .. Wundicrcr 
Jahresiibersiditen" zu rechnen. Aber andi über seine beruf¬ 
lichen Verpflichtungen hinaus hat er eine grosse Anzahl be- 
deutender statistischer Arbe nett publiziert; wir Heimen nur 
„Die Abmiiielermg der Sierbhdike itsz.ü'e r VV.iiichens" tl vi.h, 
„(ieburten und Sterbcfaile in deiitsdieii Gross- und Mittel¬ 
städten löo.v* und ganz zuletzt ip'di ..Armenstatistik 

Münchens; Untersuchungen aber die persMiihdiett V e i ha'tnisse 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1701 


der von der Armenpflege unterstützten Personen im Jahre 
1906“ (erschienen 1908). — Bei der umfassenden Kenntnis der 
wirtschaftlichen Lage und bei dem starken Willen, Abhilfe zu 
schaffen, soweit dies nur irgend möglich war, erkannte Sin¬ 
ger schon vor Jahren die Bedeutung der unverschuldeten 
Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit eines öffentlichen 
Eingreifens zum Schutze der Betroffenen. So entstanden seine 
Veröffentlichungen, die sich mit der „Schaffung eines Ge¬ 
meindefonds zur Förderung der Arbeitslosenversicherung in 
München“ (1903 und 1905) befassen. Vor einigen Wochen 
erst hat sich* der Arbeiterfürsorgeausschuss der bayerischen 
Abgeordnetenkammer mit der Arbeitslosenversicherung be¬ 
schäftigt; man beschloss, die Regierung zu ersuchen, dass diese 
bei den grösseren bayerischen Stadtgemeinden die Errichtung 
einer Arbeitslosenversicherung für ihr Gebiet anrege. Jeder 
Kenner der einschlägigen Verhältnisse wird hier die Lücke, die 
durch den Tod Singers entstanden ist, sofort empfinden. 
Niemand hätte es besser als er vermocht, für die bayerische 
Residenz ein vorbildliches System der Unterstützungs¬ 
gewährung für unverschuldete Arbeitslose ins Leben zu rufen. 
Sein umfangreiches Wissen und sein praktisches Verständnis 
hätten ihn dazu befähigt, auf diesem Gebiete etwas muster¬ 
gültiges zu schaffen; zu dieser Erwartung berechtigen seine 
Massnahmen zur Verbeserung des Wohnungswesens. In der 
Wohnungsfrage hat er, unterstützt von Prof. Max G r u b e r, 
besonders Grosses geleistet. Auf seine Anregung hin entstan¬ 
den treffliche Arbeiterwohnungen, die bei verhältnismässig ge¬ 
ringen Mieten allen Ansprüchen der Hygiene gerecht werden, 
und die sich durch die bedeutungsvolle Verwaltungsmassregel 
der Unkündbarkeit und Unsteigerbarkeit sehr vorteilhaft von 
ähnlichen Bauunternehmungen unterscheiden. Im Verein mit 
Gruber ging sein Bestreben vor allem dahin, die Dezen¬ 
tralisation des Wohnens zu erwirken; diesen Bemühungen ver¬ 
danken die neuesten Münchener Bauten des „Vereins für Ver¬ 
besserung der Wohnungsverhältnisse in München“, dessen 
langjähriger Leiter der Verstorbene war, ihre Entstehung; es 
sind dies die gefälligen Häuser an der Rosenheimerstrasse, die 
aus Erdgeschoss und nur zwei Obergeschossen bestehen und 
neue Typen von Arbeiterwohnungen darstellen. Nicht un¬ 
erwähnt sei, dass S i n g e r als Schriftleiter der „Zeitschrift für 
Wohnungswesen in Bayern“ sich grosse Verdienste um die 
Aufklärung in allen Zweigen des bayerischen Wohnungs¬ 
wesens, das arge Missstände aufweist, erworben hat. — Von 
nicht zu unterschätzendem Werte ist auch die wirtschaft¬ 
liche Frauenschule, ein Unternehmen, das seine Exi¬ 
stenz ebenfalls der Initiative Singers verdankt, und dessen 
Vorsitzende die Gattin des Verstorbenen, Frau Gertrud 
Singer ist; dieses Institut bietet jungen Mädchen eine un- 
gemein hygienische Tätigkeit und gewährt ihnen eine gründ¬ 
liche wirtschaftliche Ausbildung, wie sie von der künftigen 
Hausfrau dringend gefordert werden muss. — Auf seinen 
häufigen Reisen, die dem Studium sozialer und hygienischer 
Fürsorgeeinrichtungen gewidmet waren, lernte Singer in 
London, Frankfurt a. M., Bremen und anderen Städten 
Institute kennen, die für alle Zweige sozialer Arbeit eine 
Sammelstätte darstellen. 

Solche „Institute für soziale Arbeit“ sind in jeder Gross¬ 
stadt eine Notwendigkeit, einmal um alles einschlägige Material 
zu sammeln, dann aber auch um Anregungen zu bieten und allen 
Fragenden, besonders auch den Auswärtigen Antwort erteilen 
zu können. Singer empfand sehr richtig das Bedürfnis nach 
einer Belehrung über die wichtigsten sozialen und hygienischen 
Einrichtungen, von deren Existenz nur sehr wenige Kenntnis 
hatten. So entstand sein vortreffliches Buch „Soziale Fürsorge, 
derWeg zumWohltun“(1904),das in knapperForm einenUeber- 
blick über die gesamten Probleme der sozialen Fürsorge, ins¬ 
besondere über deren Organisation gibt; so veröffentlichte er 
im Jahre 1907 eine ausgezeichnete Arbeit „Hygiene und soziale 
Fürsorge in München“, die eine Ergänzung zu den üblichen 
Reisehandbüchern dadurch gewährt, dass der Verfasser 
hier eine Anzahl der wichtigsten Wohlfahrtseinrichtungen 
Münchens, die in jenen Büchern recht stiefmütterlich behandelt 
sind, ihrem hohen Werte gemäss gebührend würdigt und mit 
Hilfe von Bildern und Zahlen für sie Interesse erweckt. Dies 
Werkchen ist für jeden Besucher Münchens, der auf dem Ge¬ 


biete der sozialen Fürsorge tätig ist, ein ebenso wertvoller wie 
notwendiger Führer. — Mit Recht strebte Singer jedoch vor 
allem danach, dass in München ein Institut für soziale Arbeit 
geschaffen werde, nach dem Vorbilde der erwähnten Ein¬ 
richtungen. Schon hatte er für dieses Institut alle Vorbe¬ 
reitungen getroffen, schon hatte er eine Propagandaversamm¬ 
lung einberufen und hierbei die Zustimmung von sozialhygie¬ 
nisch tätigen Aerzten, Volkswirten, unter ihnen auch Bren¬ 
tano, und anderen Interessenten gefunden, so dass die Eröff¬ 
nung dieses für die sozialhygienische Arbeit wichtige Institut in 
Bälde zu erwarten war - da ereilte am 19. Juni den schaffungs¬ 
freudigen Forscher im besten Mannesalter nach kurzem 
Krankenlager ein unerwarteter Tod. — Die Wissenschaft, vor 
allem die Sozialhygiene, wird dem tüchtigen Manne ein ehren¬ 
volles Andenken bewahren; alle, die ihm persönlich nahe ge¬ 
treten sind, werden sich seiner stets mit Hochachtung erinnern. 

Alfons Fischer- Karlsruhe. 

Referate und BQcheranzeigen. 

R. Tigerstedt: Handbuch der physiologischen Me¬ 
thodik. Leipzig 1908. S. H i r z e 1. I. Band. 2. Abteilung. 
7.50 M. 

Vor mehr als 30 Jahren haben nahezu gleichzeitig und 
unabhängig von einander E. C y o n und R. Gscheidlen den 
Versuch gemacht, die Forschungsmethoden der Psychologie 
zusammenzustellen, wobei sie sich teils auf die in zahlreichen 
Zeitschriften und Monographien zerstreuten literarischen An¬ 
gaben, teils auf die Tradition einzelner Laboratorien stützten 1 . 
Gscheidlens Werk war von vornherein zu breit angelegt, 
um die Fertigstellung zu erleben, während C y o n s Methodik 
unter Beschränkung auf die rein physiologischen und nament¬ 
lich vivisektorischen Verfahrungsarten sich jahrzehntelang als 
ein unentbehrliches, auch heute noch brauchbares Nachschlage¬ 
werk bewährt hat. Bei der raschen Entwicklung, welche in^- 
zwischen die experimentelle Biologie nach Breite und Tiefe 
erfahren hat, sind diese Werke längst unzureichend geworden 
und es ist daher sehr zu begrüssen, dass R. Tigerstedt es 
unternommen hat, im Verein mit zahlreichen Mitarbeitern ein 
Handbuch der physiologischen Methodik nach ihrem gegen¬ 
wärtigen Stande herauszugeben. 

Von dem auf 3 Bände berechneten Werk ist nunmehr die 
zweite Abteilung des ersten Bandes als erste Lieferung aus¬ 
gegeben worden. Sie enthält die Methoden zur Erforschung 
des Lebens der Protisten bearbeitet von V ü 11 e r - Göttingen, 
die für wirbellose Tiere ausgearbeiteten Verfahrungsarten be¬ 
arbeitet von B e t h e - Strassburg und die in der Physiologie 
gebräuchlichen physikalisch-chemischen Methoden bearbeitet 
von A s h e r - Bern. 

Bei der Durchsicht dieser Beiträge wird man sich über¬ 
zeugen können, dass das Studium der Lebensäusserungen der 
niedersten Formen sowie der wirbellosen Tiere sich in sehr 
erfreulicher Weise entwickelt hat, dass aber gerade auf diesem 
Gebiete noch unzählige Fragen der Beantwortung harren. Der 
letzte Abschnitt lässt erkennen, welche grosse Bedeutung die 
physikalisch-chemischen Methoden innerhalb kurzer Zeit in der 
Physiologie erlangt haben. 

Man wird nicht fehl gehen in der Annahme, dass das Er¬ 
scheinen dieses Handbuches allen willkommen sein wird, die 
sich mit den Lebenserscheinungen, normalen wie pathologi¬ 
schen, in experimenteller Weise befassen. 

v. Frey- Würzburg. 

The Bacteriology ol Dlphteria by Löffler, New¬ 
sholme, Mallory, Graham Smith, Dean, Park, 
B o 1 d u a n. Edited by N u 11 a 1 and Graham Smith. Cam¬ 
bridge at the University Press 1908. 718 Seiten. Preis 20 M. 

Das vorliegende grossangelegte Werk gibt eine um¬ 
fassende Darstellung unserer Kenntnisse von der Diphtherie 
unter Ausschluss der Klinik. Im einleitenden Kapitel behandelt 
Löffler die Geschichte der Erkrankung. Der zweite Ab¬ 
schnitt, der von' Newsholme stammt, beschäftigt sich, unter 
Heranziehung eines grossen statistischen Materials, mit dem 
Einfluss des Klimas und anderer meteorologischer Komponenten 
auf das Auftreten und die Mortalität der Erkrankung. Gegen¬ 
stand des dritten Teils ist die pathologische Anatomie dr • 


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1702 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Diphtherie (M a 11 o r y) sowohl wie der sie begleitenden Misch¬ 
infektionen, wobei der anatomischen Grundlage des Herztodes 
wohl nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird. 
Den grössten Teil des Buches nimmt die umfassende Dar¬ 
stellung der Bakteriologie des Diphtheriebazillus von Graham 
Smith ein. Im Mittelpunkt derselben steht, nach ausführ¬ 
licher Schilderung der bakteriologischen Diagnose, die Be¬ 
gründung einer scharfen Trennung des Diphtheriebazi Uns vom 
Pseudodiphtheriebazillus (Hoffman n), der nach dem Ver¬ 
fasser durch das Fehlen der Polkörperchen, sein elektives 
Wachstum auf gewissen Nährböden, seine Nichtpathogenität 
für Laboratoriumstiere leicht vom eigentlichen Diphtherie¬ 
bazillus abzutrennen ist und der, im Gegensatz zu diesem, einen 
nicht ungewöhnlichen Befund in den Hals- und Rachenorganen 
noch nicht infizierter Individuen darstellt. Ein Uebergang des 
einen Bazillus in den anderen ist auszuschliessen. 

Es folgen die Ausführungen über die Diphtherie bei Tieren, 
die Arten der Uebertragung der Diphtherie, wobei die Infektion 
durch Bazillenträger eingehend gewürdigt wird, die Diphtherie- j 
ähnlichen Erkrankungen, die aber durch andersartige Erreger 
he rvorge rufen sind, das Scharlachdiphtheroid und die 
Diphtherie bei Geisteskranken. 

Die serologischen Fragen werden von Dean unter aus¬ 
führlicher Darlegung ihrer theoretischen Grundlagen erörtert. 
Den Schluss bilden, die beiden Kapitel über die Sterblichkeit 
der Diphtherie und die Serumkrankheit von Park und 
B o 1 d u a n. 

Dem vortrefflichen Werk sind eine Reihe von Tafeln bei¬ 
gegeben, unter denen die bakterioskopischen, was Klarheit und 
Schärfe der Darstellung betrifft, den ersten Platz entnehmen. 

Benjamin- München. 

G. Maillard: Gonsidärafions sur la Maladle de Par¬ 
kinson et sur quelques fonctions nerveuses (tonus, equilibration, 
expression). Paris, Jul. R o u s s e t, 1907. 155 Seiten. Preis 

3 fr. 50. 

Die Lehre von der Schüttellähmung bietet hinsichtlich der 
Aetiologie umi der pathol. Anatomie grosse Lücken. Wissen 
wir doch noch nicht, ob eine Erkrankung der Muskeln, der ! 
peripherischen Nerven oder des zentralen Nervensystems j 
diesem Leiden zu Grunde liegt. Der Autor legt nun nach etwas j 
langatmigen Auseinandersetzungen über das Wesen des Tonus, 
des Gleichgewichtes und des Gesichtsausdruckes seine Theorie 
dar, nach welcher eine Erkrankung des roten Kernes und 
seiner Umgebung als Ursache für die Schüttellähmung anzu¬ 
sprechen ist. Tatsächlich kann M. aus der Literatur Beweise 
dafür erbringen, dass Geschwülste (Solitärtuberkel, Gliome) 
in dieser Gegend, dort also, wo vom Kleinhirn Fasern zu den 
Hirnschcnkcln ziehen, die den Tonus der Muskeln beeinflussen 
und welche das Gleichgewicht regulieren, auch schon bei 
jugendlichen Individuen das Bild der Paralysis agitans ver¬ 
ursachen können. Wenn nun aber hauptsächlich alte Leute 
von dieser Krankheit befallen werden, so ist der Grund dafür 
in der Arteriosklerose der Gefässe, welche zum Mittel¬ 
hirn führen, zu suchen. Durch mangelnde Blutversorgung des 
roten Kernes und seiner Umgebung wird der Tonus der Mus¬ 
keln (das Zittern ist nach M. auch auf eine Störung des Tonus 
zurückzuführen) und das Gleichgewicht beeinträchtigt. 

Da es sich meist nicht um eine isolierte Sklerose der Ge¬ 
fässe des Mittelhirnes, sondern um eine solche zahlreicher 
Gehirngefässe handelt, so ist es verständlich, dass zu der 
Hypertonie, zu der Steifigkeit der Muskeln, häufig auch see¬ 
lische Störungen treten. Stumpfheit, psychische Depression, 
Gedächtnisschwäche, Erschwerung der Ideenassoziation sind 
Symptome, die sich bei der in Rede stehenden Krankheit fast 
regelmässig einstellen, die sich aber in keiner Weise von den 
arteriosklerotischen Gehirnstörungen der alten Leute unter¬ 
scheiden. 

Es lässt sich nicht leugnen, dass die hier entwickelte 
Theorie viel, sehr viel für sich hat. Leider ist der Autor, ob¬ 
gleich ihm 4 Sektionen von Parkinson scher Krankheit zur 
Verfügung standen, nicht im Stande, auf anatomisch-histo¬ 
logischem Wege den strikten Bew eis für die Richtigkeit seiner 
Hvnnthese zu bringen. Falle von Einseitigkeit der Paralysis 
von Kombination mit Erkrankung der Pyramiden¬ 


bahnen, von Vereinigung mit Kleinhirnstormigcn und schliess¬ 
lich von schwerer allgemeiner Arteriosklerose lassen aber die 
von Maillard ausgesprochene Vermutung als redit plau¬ 
sibel erscheinen. Es wäre wünschenswert, wenn die I heorie 
von der arteriosklerotischen Erkrankung der über den Hirn- 
schenkeln gelegenen Partien des Mitte Humes auch in die 
deutschen Lehrbücher mitgenommen wurde. Es ist damit doch 
wenigstens der \ersuJi einer Erklärung gemacht, wahrend 
mit dem Einruhen der Paralysis agitans unter die ,,Neu¬ 
rosen“ nur unsere mangelnde Kenntnis von der Aetiologie und 
von dem Wesen dieser Erkrankung bemäntelt wird. 

L. R. M ü 11 e r. 

Dr. Wilhelm Stekel, Spezialarzt iur Psychotherap.c in 
Wien: Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung. Mit 
einem Vorworte von Prof. Dr. Sigmund Freud. Berlin und 
W ien. Urban und S c h w a r z e n b c r g, löus. 315 Seiten. 
Preis N M. 

In der Psychopathologie äussert sich ein unterdrtukter 
resp. „verdrängter" sexueller Wunsch als Angst. Diese druckt 
sich nicht nur in dem bekannten psychischen Affekt aus, son¬ 
dern auch in körperlichen Storungen, die bisher nur zum Ted 
hichergezahlt worden sind. Abgesehen von den bekannten 
Arten von Angstanfallen und von den Erscheinungen von Seite 
des Herzens und der Atmung geboren Indier auch gewisse 
Storungen der Verdauung, nervöses Erbrechen. Kongestionen. 
Ohnmächten, Schwindel, Zittern, Muskelkrampfe, Parastliesieii, 
Schlaflosigkeit, vasomotorische und trophisjie Phänomene. 
Auch im frühen Kmdesalter ist die Sexualangst nicht selten. 

Die Angst kann auch ein Kouversionssymptom im F r e u d- 
schen Sinne sein. d. h. eine unerträgliche Norsteüung kann wie 
in körperliche Symptome so audi in Angst ..konvertiert“ 
worden sein. Sehr häufig mischen sich die Angstsymptome 
mit Konversionss\mptomen. oder die Angst ist in einem ur¬ 
sächlichen Zusammenhang mit der Konversion. Dann haben 
w ir die „A n g s t h y s t e r i e“ Mir uns, v ahrend Stekel die 
Formen mit bloss körperlichen Zeichen der Angst ..Angst¬ 
neu rose“ nennt. Zu den Symptomen der Angsthv sterie ge¬ 
hören u. a. audi die Obsessionen, viele Phobien, Berufs¬ 
neurosen, Eisenhahnangst, Pitifungsaugst, psydnsche Impo¬ 
tenz, Stottern. 

Beide Krankheitsformen lassen sich durch Psvdianalv se 
auf ihre meist recht komplizierten und immer in d.e Sexualität 
reichenden Wurzeln veriolgen und dadurch zugleich heilen. 
Bei den therapeutischen Massregelu wird man aber deshalb 
nicht auf die Unterstützung von Ihat, Luft, Wasser und Medi¬ 
kamenten verzichten, wenn diese Mittel audi nicht das wesent¬ 
liche der Behandlung sind. 

Diese Darlegungen des Verfassers sind illustriert durdi 
öS Krankengeschichten und gefolgt von einer allgemeinen 
Diagnostik der Angstzustande, einer Besprechung der Therapie 
und von Ausblicken ins Normale einerseits und in die' eigent¬ 
lichen Psychosen anderseits. 

Wie es auf einem so neuen und komplizierten Gebiete nicht 
anders sein kann, enthält das Buch nodi viel fliessendes und 
nicht allseitig bewiesenes. Die Ableitung der Angst aus unter¬ 
drückten sexuellen Wünschen ist theoretisch durchaus nicht 
fettig und klar. Es finden sich in dieser Beziehung audi mehr¬ 
fache Auffassungen, die mit einander nicht ohne weiteres ver¬ 
einbar sind. Ref. vermag auch nicht zu glauben, dass das 
Buch dem „hartherzigen Tyrannen Materudismus“ viel an- 
haben wird; psychologische Vertiefung und Materialismus 
können ja sehr gute Freunde sein. Ich halte cs ferner nicht 
für gut, dass Verfasser mehrfach auf Flicss zuriickgreift, 
dessen Mathematik doch nichts weniger als überzeugend ist.' 
Vor allem aber empfinde ich es als Mangel, dass Stekel 
nirgends vor verfrühter Verallgemeinerung der an Neu¬ 
rotischen gewonnenen Resultate warnt. Vergisst man. nach 
welchen Gesichtspunkten sein .Material gewählt ist, so konnte 
man leicht geneigt sein zu glauben, die geringste Keuschheit 
sei auch dem Gesunden gefahrlub. Das wäre ein bedauer¬ 
liches Missverständnis. - - Audi mit des Verfassers Auffassung 
einzelner Psychosen bin ich nicht ganz einverstanden. Demen¬ 
tia präcox lässt sich überhaupt nie sicher ausschhessen und auf 
keinen Fall so billig, wie Veriasser tun niodite. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


li. August 190& 


MU£NCH£NER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1703 


Diese Ausstellungen sind aber Neben¬ 
sachen. Ich halte Stekels Buch für eine hoch¬ 
wichtige Erscheinung. Das Material, das er uns da 
bringt, ist ein sehr interessantes, mag man es deuten, wie 
man will. Ich glaube aber, dass er in der Hauptsache 
recht behalten wird, d. h. dass pathologische Angst und 
Sexualität in irgend einem nahen Zusammenhang stehen. Ich 
weiss, dass gute Beobachter das auch früher schon geahnt 
haben, aber der Nachweis wird doch eigentlich erst auf diese 
Weise geleistet. Ich weiss auch, dass es neben der Sexual¬ 
angst eine Individualangst gibt, aber ich habe diese trotz allem 
Suchen in der Pathologie noch nicht gefunden. Gewiss werden 
nicht alle der vielen Geistesblitze auf die Dauer der Kritik stand 
halten können, aber welche untergehen werden, das zu ent¬ 
scheiden, hält Referent im gegebenen Moment noch für unmög¬ 
lich. Man wird auch die „Deutekünsteleien“ bei den Traum¬ 
analysen tadeln wollen. Da möchte ich aber folgendes zu be¬ 
denken geben: wer Traumanalysen selbst gemacht hat an 
sich und an andern, der weiss, dass solche Deutungen, wie 
Verf. sie bringt, im Prinzip richtig sind, und dass es ein Ding 
absoluter Unmöglichkeit ist, in einem Buche, das auch ein 
Ende haben muss, alle die Gründe anzugeben, auf die sich die 
sogenannte Deutung stützt; gedeutet werden nämlich nur 
nebensächliche Details; im wesentlichen handelt es sich nicht 
um Deutung, sondern um Zusammenfassung von durch den 
Patienten gegebenem Material . Es ist auch vollstän¬ 
dig gleichgültig, wie viele der Auslegungen 
von kleinem Detail nur als geistreiche Ap- 
per<?us aufzufassen sind, die das Bild vervoll¬ 
ständigen. Ob diese richtig oder falsch sind, 
die Hauptsache bleibt doch bestehen, die Be¬ 
obachtung, dass unsere intimsten und uns 
selbst oft unbewussten Gefühle und deren 
komplizierte Verbindungen sich in den T räu¬ 
men ausdrücken und dase1bstdurch Analyse 
aufzudecken sind. 

Wer psychologisch denken und beobachten kann, der lese 
das Buch, ohne Vorurteil aber mit Kritik; massgebende Kritik 
wird allerdings nur der anwenden können, der sich im Laufe 
von Jahren in die Eorschungsweise hineingearbeitet haben 
wird. ' Bleuler- Burghölzli. 

J. Ebner: Selbsthilfe in Frauenleiden. Hausärztliche 
Winke für Frauen' und Jungfrauen. 192 Seiten, Preis 2.80 M. 
Verlag von M. B e r g e n s, Tilsit 1907. 

Das in der zweiten Auflage vorliegende Büchlein soll als 
Ratgeber in Fällen der Krankheit, gleich wie ein Kursbuch auf 
Reisen, die Frau durch Zeiten des Bangens und Leidens be¬ 
gleiten, also in der Hauptsache den Zweck eines Nachschlage- 
buches erfüllen. In gedrängter Kürze und übersichtlicher 
Form ist zunächst ein Ueberblick über die normale Schwanger¬ 
schaft . gegeben, das Verhalten darin vorgeschrieben, ihre 
wichtigsten Unregelmässigkeiten kurz dargelegt mit ge¬ 
nauer Anweisung, in welchen Fällen sofort ohne vorherige 
Anwendung von Hausmitteln der Arzt zu rufen ist. Ein 
Anhang zu diesem Abschnitt enthält die Zeichen, an welchen 
die Schwangere Leben oder Absterben des Kindes während der 
Schwangerschaft erkennt, und eine Beschreibung der Entwick¬ 
lung der Frucht in den einzelnen Monaten. Hieran schliesst 
sich eine kurze Anatomie der Genitalien, sowie der der Frucht 
zugehörigen Teile, Beschreibung des Geburtsverlaufes, der 
Vorbereitung dazu, der Tätigkeit der Hebamme und der 
Fälle, in denen der Arzt unverzüglich nötig ist, auch ge¬ 
gen den Willen der Hebamme, Störungen während der Geburt 
und Nachgeburtszeit. Der Schilderung des Wochenbettes 
folgt ein Kapitel über die Vorbeugung der Empfängnis; den 
Schluss bilden die normale Periode und die Unterleibserkran¬ 
kungen mit einem Anhang über Onanie und Sterilität. 

Dem Buche gebührt zweifellos in der populär-medizini¬ 
schen Literatur eine hervorragende Stellung, es kann wegen 
seiner Leichtverständlichkeit jeder, auch der weniger gebildeten 
Frau in die Hand gegeben werden und wird sicher da, wo es 
gebraucht wird, Gutes stiften. Eine ausgedehnte Verbreitung 
ist dem Buche um so mehr zu wünschen, als heute in den 
Familienbibliotheken die medizinische Literatur meist nur aus 


den von Nichtärzten, häufig im Gegensatz zur ärztlichen 
Wissenschaft geschriebenen, durch geschickte Reklame ver¬ 
breiteten, vielbändigen, wertlosen Büchern besteht. 

A. Rieländer-Marburg. 

Bericht über urologische Forschungsergebnisse aus dem ersten 
Halbjahr 1908. 

Von neueren Werken unseres Spezialgebietes sind der zysto- 
skopische Atlas von Stöckel sowie der von Kn eise, welcher 
den besten bis jetzt erschienenen Handatlas darstellt, an erster Stelle 
zu nennen; sie sind hier bereits besprochen worden. „Die Zysto- 
skopie und Urethroskopie beim Weibe" behandelt ein jüngst er¬ 
schienenes Werk R. Knorrs, das in einer der nächsten Nummern 
eingehender gewürdigt werden soll. Eine hübsche Monographie ist 
ferner von E. Enderlen („Ueber Blasenektopie“ in Volkmanns 
Sammlung klinischer Vorträge 1908) veröffentlicht worden, welche die 
mannigfachen instrumentellen und operativen Massnahmen, die bei 
Blasenektopie vorgenommen werden, kritisch beleuchtet. 

Eine ganz ausserordentlich grosse Anzahl von Arbeiten des 
letzten Halbjahres beschäftigt sich mit der Pathologie, Dia¬ 
gnose und Therapie der Nierenerkrankungen. 

Dr. Keersmacker stellt sich in seiner Abhandlung „Les 
albuminuries, les nephrites chroniques et le bacille de Koch" Fol. 
urol., Bd. II, No. 1, 1908 auf einen ganz neuen Boden. Er geht 
von der Tatsache aus, dass eine Infektion mit Tuberkelbazillen 
eine einfache Entzündung nichtspezifischen Charakters hervorrufen 
kann, die ohne Tuberkelbildung zu Sklerose führt. Diese Entzündung 
ist auf die im Gewebe vorhandenen Tuberkelbazillen zurückzuführen. 
Eine Tuberkulose im wahren Sinne des Wortes kann man diese Ent¬ 
zündung nicht nennen; K. bezeichnet sie mit „Tuberculo-Ba- 
z i 11 i e s". Jede zur Sklerose führende Entzündung unbekannter 
Ursache kann also durch Tuberkelbazillen erzeugt worden sein. 
Hieher rechnet Verfasser die Prostatitis, Nephritis, Hepatitis etc. 
dunklen Ursprungs (Albuminurie, Diabetes, Prostatismus). 

Die A e t i o 1 o g i e der verschiedenen Arten von Albumin¬ 
urie und von chronischer Nephritis ist uns in den meisten 
Fällen noch unbekannt. Diese Erkrankungen, welche einfache, zu 
Sklerose führende Entzündungen darstellen, können der Infektion 
mit dem Tuberkelbazillus zuzuschreiben sein. Abgesehen von Ei- 
weiss mit Zylindern finden wir meist noch Eiterzellen, welche den 
gewöhnlichen Nährboden steril lassen. Nun reagieren nach K.s Ver¬ 
suchen alle diese Kranken in klassischer Weise auf Alttuberkulin 
Koch und werden durch die Behandlung mittels der Tuberkuline auch 
beeinflusst. Als „Tuberculo-Bazillies“, welche einerseits aus dem 
Harnbefunde, andererseits aus dem Symptomenkomplex: Schmerzen, 
Temperaturkurven und Albumenkurven diagnostiziert werden, spricht 
der Verf. an: Die meisten Fälle Brightscher Krankheit, die 
einseitige Nephritis, dann die orthostatische, phy¬ 
siologische und Schwangerschaftsnephritis, endlich 
die zyklischen oder Pavyschen Nephritiden usw. Ihre 
Behandlung sei die gleiche wie die der anderen Tuberkulosearten. 
Zu verwerfen ist hier die absolute Milchdiät und Bettruhe in her¬ 
metisch geschlossenem Zimmer, sowie eine empirische Therapie. 

Zum Gegenstände sehr eingehender, praktisch recht wichtiger 
Untersuchungen macht Albarran die Veränderungen, welche 
bei einseitiger Nierentuberkulose die andere Niere auf¬ 
weisen kann. (Lösions du rein du cote opposö dans la tuberculose 
renale unilaterale". Annal. des malad, des org. gönit.-urin., Bd. 26, 
H. 2, 1908.) Er teilt sie in 5 Gruppen ein. In 1. eine ganz wenig 
ausgesprochene Albuminurie mit oder ohne Polyurie; sie vermindert 
sich kurze Zeit nach der Operation des tuberkulösen Schwester¬ 
organs und verschwindet dann nach einiger Zeit: die zurückgelassene 
Niere scheint zu ihrem normalen Zustand zurückzukehren. 2. Eine 
Albuminurie mit oder ohne Polyurie und Zylindrurie; sie bleibt 
mehrere Jahre bestehen; durch geringe Ursachen kann sie sich ver¬ 
schlimmern. 3. Eine parenchymatöse oder „hydropigene" Nephritis 
mit langsamen oder rascherem Fortschreiten. 4. Eine hämorrhagi¬ 
sche Nephritis und endlich in 5. eine einfache Zylindrurie. Alle 
diese klinisch verschiedenen Zustände scheinen verschiedenen Graden 
ähnlicher Affektionen zu entsprechen. 

Vom klinischen Standpunkte aus ist es wichtig, die Dif¬ 
ferentialdiagnose zwischen beiderseitiger Tuberkulose und 
den aufgezählten nichtspezifischen Läsionen der anderen Nieren zu 
stellen; es ist ferner wichtig, die gutartigen Formen von den 
schweren zu unterscheiden. Folgende Merkmale sind es besonders, 
durch welche sich die beiden Affektionen unterscheiden: der ge¬ 
sondert aufgefangene Harn der obengenannten Gruppen (mit oder 
ohne Polyurie und Zylindrurie) ist schön klar und von bernstein¬ 
gelber Farbe. Mikroskopisch findet man keinen Eiter, höchstens ein 
paar Zellen nach Zentrifugieren. Keine Tuberkelbazillen. Bei der 
funktionellen Untersuchung durch die experimentelle Polyurie sieht 
man in der Mehrzahl der Fälle, dass diese Nieren das Wasser gut 
ausscheiden. Die Ausscheidung von Phloridzin ist normal ebenso 
wie die des Harnstoffes und der Chloride; Methylenblau erscheint 
prompt. In schweren Fällen sieht man, dass eine solche Niere we¬ 
niger gute Ausscheidungsverhältnisse zeigt als eine normale. $ 


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1704 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. .1?. 


sonders dem Phloridzinzucker gegenüber. Im Gegensatz dazu findet 
man bei der doppelten Nicrentuberkulose auf der weniger kranken 
Seite einen Harn, der blass und trübe ist und oft kleine Krümmel in 
Suspension enthält. Zahlreiche Leukozyten; Bazillenbeiund positiv 
oder auch negativ. Die Eunktionsprüfung ergibt eine mehr weniger 
grosse Schädigung dieser Niere. 

Bei den Eiillen vno einfacher Albuminurie kann die Exstirpation 
der anderen Niere ohne Gefahr vorgenommen werden; und zwar 
sollte dieses so bald als möglich geschehen, um den schädlichen Ein¬ 
fluss auf die andere Niere hintanzuhalten. Pie Operation ist dagegen 
kontraindiziert in den nicht allzuhäufigen Eällen einer schweren 
Affektion der anderen Seite: abundante Albuminurie mit Zylindrurie 
und Polyurie sowie schlechtes Ergebnis der verschiedenen Arten der 
funktionellen Prüfung. 

Ueber „Diagnosen und Operationen bei ver¬ 
schmolzenen Nieren“ spricht der bekannte Berliner Chirurg 
Israel in den Eolia urolog., Bd. I, No. ft, löns. Während Hufeisen¬ 
nieren in nur 0,1 Proz. der Sektionen gefunden wurden, begegnete .1. 
unter ca. 800 Nierenoperationen 7 mal verschmolzenen Nieren. Pie- 
Missbildung wird vor der Operation nur selten erkannt; dass dies 
aber auf Orund sorgfältiger Palpation möglich ist, bew eisen 3 seiner 
Beobachtungen, auf welche sich allerdings die Zahl der bisher über¬ 
haupt diagnostizierten Bälle beschränkt. Die sichere Diagnose der 
Hufeisenniere ist nur durch Palpation zu erbringen, sie w ird möglich 
sein bei einem mageren Individuum mit nachgiebigen Bauchdecken 
und leeren Därmen. Entweder lässt sich dann das ganze Organ 
abtasten oder man fühlt den unteren Nierenpol einer Niere in einen 
schmalen, wurst- oder walzenförmigen Portsatz ausgehen, der ipier 
vor die Wirbelsäule zur anderen Körperhälfte zieht. Unterstützen¬ 
des Moment ist der radiographische Nachweis einer charakteristi¬ 
schen Abweichung des Ureterverlaufes; besonders bei einseitigen 
Langnieren ist die Darstellung wertvoll. Aufmerksam wird man 
werden müssen durch eine auffällig mediane Lage einer Nieren¬ 
geschwulst sowie von Nierensteinen, die durch Palpation oder Radio¬ 
graphie erkennbar wurden; auszuschliessen ist dabei, dass es sich 
um Geschwulst oder Stein einer dislozierten Niere handelt. 

Die Erkennung einer Hufeiscnnicre während der Operation er¬ 
gibt sich aus dem Verlaufe des Ureters über die Vorderfläche des 
Organs; ausserdem liegt sie gewöhnlich tiefer und medianer als nor¬ 
male Nieren. J. hat an den 7 verschmolzenen Nieren 11 Operationen 
mit Glück ausgeführt: Nephrektomien, Nephrotomien. Pyeloliilm- 
tomien und Dekapsulationcn. Der Gefahr der Blutung aus der 
Nierenschnittfläche kann in verschiedener Weise begegnet werden: 
durch Kompression mit dem Gazebauschen, durch Berührung durch 
den Thermokauter, durch partienweise Umstechung vor der Durch¬ 
trennung, durch isolierte Unterbindung blutender (iefässe nach der 
Durchschneidung oder durch die Vernähung der Ränder der Schnitt¬ 
fläche. Nach Resektion einer Nierenhälfte ist die Wunde zu drai- 
nieren, weil die Trennungsfläche bisweilen einige Zeit Urin absondert. 

Zur nichtoperativen Behandlung der Nicrentuberkulose 
werden auch diesmal vereinzelte Vorschläge gemacht. So empfiehlt 
E. B i r c h e r (diese Wochenschrift 1 öo7. No. 51) die B e h a n d - 
Jung mit Röntgenstrahlen; er hatte in 2 Eällen eine er¬ 
hebliche Besserung erzielt. 

J. Go dl ec („Prognosis in relation to treatment of tuberculosis 
of the genito-urinary organs“. British med. .lourn., Dez. I‘>n7) be¬ 
fürwortet für die Nierentuberkulose ein mehr konservatives 
Verfahren; die kranke Niere sei bloss bei ausgedehnten, scliw eren 
Veränderungen zu entfernen; bei leichteren Eällen gelinge die Ent¬ 
fernung des Krankheitsherdes allein. Dieser von den gewöhnlichen 
Anschauungen abweichende Standpunkt ist im Interesse der Kranken 
nicht zu teilen. Wer je das Präparat einer mit Tuberkulose durch¬ 
setzten Niere genau studiert hat, wird zugeben müssen, dass es 
meist unmöglich ist. sicher alle Herde zu entfernen; und bleibt 
auch nur einer zurück, so liegt für die weitere Infektion der Niere 
die grösste Wahrscheinlichkeit vor. Dagegen ist dem Vcrf. nicht 
Unrecht zu geben, wenn er sagt, die Blasentuberkulose gebe eine 
um so bessere Prognose, je weniger lokale Eingriffe gemacht werden. 

O. P i e 1 e k e spricht der A 111 u b e r k u I i n b e h a n d I u n g 
das Wort (Tuberkulin gegen Nierentuberkulose“, Vörtr. geh. in der 
Berl. med. Gesellsch. s. diese Wöchenschr. S. lsu). In der Dis¬ 
kussion wendet sich Israel gegen diese Therapie. Bei dem Charak¬ 
ter der Erkrankung sind Besserungen ohne Beweiskraft: eine wirk¬ 
liche Heilung der Erkrankung ist bis jetzt noch nicht erwiesen. 
Dagegen habe er selbst durch die Verzögerung der operativen Be¬ 
handlung schwere Schädigungen beobachtet; jedenfalls sei die 
andere Niere immer in Gefahr. Tuberkulin solle man bloss anwen¬ 
den für Nachbehandlung nach der Exstirpation. 

Demnach bleibt, nach den Resultaten, die bis jetzt veröffentlicht 
wurden, voll und ganz der Satz bestehen, dass eine als sicher er¬ 
kannte Nicrentuberkulose der chirurgischen Behandlung unterworfen 
werden müsse. 

Eiir den Praktiker höchst interessant sind die Ausführungen 
R. Lichtensterns „U eher die Resultate der opera¬ 
tive n B e h a n d 1 u n g der Nicrentuberkul o s e“ (Zeitsdir. 
f. Urol., Bd. 11, H. 3, 1908). Wenn wir frühere Statistiken über diesen 
I unkt befragen, so finden wir ausser in einem Bericht Israels 


kaum irgendwo systematische l ntci su Jiungui in dieser Richtung. 
L. wählte zur Nachprüfung aus der Zahl der Nun < >. Z ii c k e r k a n d I 
und ihm selbst operierten Nierentuberkuh>scn 17 I .nie. die sich des 
besten Wohlseins erlreuteu und nach unseren früheren Anschau¬ 
ungen als geheilt betrachtet wurden. Zum Nachweis von Bazmen un 
Harn bediente er sich der einzig einwandfreien Methode, des I icr- 
experinients. Diese 17 so untersuchten Labe konnte er m drei 
Gruppen cmteileii. Einmal m Kranke, bei denen die In piuug der 
Meerschweinchen stets negatives Ergebnis hatte <7 laich Bei 
einem Teil dieser Gruppe standen die I l.u nbesciiw er den im Hinter¬ 
gründe des Krarikhcitshiidcs, ihre Blasen zeigten nur geringe \ er- 
anderungeri vor der Operation. Dass diese Kranken keine Ha/d en 
mehr ausscheulen wurden, war also wohl /n erwarten. Dem stellen 
4 andere lalle derselben Gruppe gegenüber mit Schweren eiit/unJ- 
lichen Veränderungen der Blase, die nach der Operation andauerten, 
ja sogar exazyrInerten. Die hier amtrete:ndeii Beschwerden müssen 
nun bei dem negativen Baznlenbe imid aut emi.iche Z.vstitis /uriuk- 
gefuhrt werden, die sich in der iriiher tiiherk.nl- s v eraiidc rten Base 
entwickelt hat. Dieser Befund ist deshalb wichtig, weil er über 
spater aultretende Blutungen, die ein I «uisdireiten der spe/üisdieii 
Infektion Vortäuschen konnten, beruhigt: sie können sehr wohl durch 
/estnische \ eraiiderungen licrhcigclüiöt sein. Bei der zweiten 
Gruppe (3 Lalle) ergaben die ersten Impfungen ein posm\es, ehe 
weiteren ein negatives Resultat. Wir weiden nnht tehiccheu. wenn 
wir anriehmen, dass Meide, welche entweder im l lc r usstumple oUcr 
in der Blase noch vorhanden waren, zur Ausheilung gekommen sind. 
Die dritte Gruppe endlich betnitt 7 l aiie, in denen die Impimuen 
dauernd ein positives Resultat ergabe n. \ it.ihs/iis, hu Ken ist hier, 
dass eine Infektion eie*r zweiten Niere, soweit unsere bisherigen Mills- 
mittel dies diagnostizieren lassen, aus/uvehhesseu ist. Die Patien¬ 
ten erfreuen sich 5, 3 und 2 Jahre nadi der Operation des besten 
Wohlbefindens. Körpergewicht normal. Ar beitslaingkent erhalten, der 
Harnbefund spricht für völlige I imktionstalugke it der Testierende u 
Niere. Nach unseren früheren Anschauungen mussten diese Kranke 
als geheilt betrachtet werden; die Nachprüfung des Harns aut Bazillen 
zeigt, dass diese Annahme falsch ist. \mi diesem M.mdpunkt aus 
darf auch einem wegen Nicie ntuber kulose operierten Kranken nur 
dann ein Meiratskoiisens erteilt Weiden, wenn sein harn dauernd 
frei von Bakterien ist. 

Ueber seine Erfahrungen mit der von V oelcke r und Joseph 
in die Diagnostik der Nierenkrank heilen cingel ihrteu Indigkar- 
tu i n ui e t h o d e referiert I. Suter (..Wert des Indig -kar mms zur 
iimktioneflVn Niereiuliagmisnk' , Zeitsdir. f. I roh. Bd. II. M. 5. l'A's». 
Auf Grund eines gi oss V i ei) operativen Materials »das sich ledodi 
hauptsächlich auf lalle von Nierentuberkuiose erstreckt) sehucsst 
sich S. der von den meisten Lioiogcn anerkannten Ansicht an. elass 
das Indigkarmm ein braudibares Mittel zur I unkfi -uspniitmg der 
Niere ist. Gesunde Nieren Scheiden mich seinen E r tahruu gen den 
E'arbstoff (in ö3 Proz. der lalle) <► 12 Minuten nadi der lircktum 

aus. bei 7 Proz. verzögert sich der Moment des Ausscheidens ins aut 
15 Minuten. Die lnteusit.it der Aussdieudimg ist auch normalerweise 
stark wechselnd, tdimir gisdi kranke Nie re n Seheule n je nadi der 
Grosse des zerstörten Bezirkes den larbstotj weniger intensiv aus 
als d.is gesunde Sdiw esterm gan. Nieren, welche d.e Barbe spate-' 
als 15 Minuten aus-sdie ideal. sind nach Ss Irtahnmgen der operier¬ 
ten Lalle ausgedehnt t-. krankt. Nicien. die gar kernen Barbst-.n aus. 
scheiden, sind schwer krank. Bei <> beobachte Je n Mv daom. phn-s^n 
konnte S. eine Aussdieuiimg mdit bemerken, obwohl bei einem I eil 
derselben noch leadmdi Ni. r cupa i e ru h v rn vorhanden war; cs 
scheint, dass die eh l) iarbsyr .«ussdie .dendeii lene des Niere n - 
parenclivnis durdi Stauung i.isdi .-'diaden U .de n. 

Auch I h e I e ii (.3 d’cr eleu diagnostische n Wed eie r Cir-ano- 
zystoskopie bei ciiirur grsdien Nie-rencr k t am, urteil“. Zeitsdir. f. I r«* 1.. 
Bd. II, 11. 7) ist v on den Leistungen dieser l nte Tsudmr.gsmeth--de- 
äusserst befriedigt. Er hat sie bei al.cii nn-didicri Erkrankungen 
der Niere diagnostisch verweilet, bei Nu r cn.tibe r kulose. bei grossen 
Abehnnmaltumoi eil. um ft stzustc ilcn. weichem (»r gan elcr I nnio- 
angehort. bei l te r uskat ziin>m zur 1 ntsdie i lung emer Koiuprtssinii 
eines Ureters durdi Metastasen und \ er vv .-.chsungin. bei X retero- 
vagmalfistein usf. I s bot ihm diese- Methode in vielen E dlen die¬ 
selben funktionell diagiiostisdi-.il \ orteile, w ie die Kr v oskopic und 
die Phlnridzmprobe, deren Resultate audi mdit immer eiuw.in.lirci 
und deren Austuhiung für den Pr akt'scr icdit zeitraubend lind kom¬ 
pliziert Seien. 

E x p e r i in enteil sudit-n sidi ul-er eleii Wert der Indig- 
karmmprobe N. I’ctr o w und >. I’crischive k i n (..Zur I rage dm 
eliagnostisclien Bedeutung elcr ln.!i s karn.mpr.-l>e“. Rusk. W ratsgn 
1‘xis. S. 355) zu orientieren. An Mumien und kanindcn wurde nadi 
I arbstoffmiektion der normale Aussd+^upji-gstv pus elcr Nieren fest- 
gestellt, hierauf die eine Nut«- cnn. rnt: der I v pus des ztinick- 
gclasscneu Scliw esteroigans Hieb derselbe. Nachdem diese Niere 
durch chemische Mitei geschädigt wurde, raten jetzt, je nadi de r 
Schwere elcr herbeigefnhi teil Erk rankimg. \ erandc r ungeri elcr Aus¬ 
scheidung auf: bei pureiichv niatoscr Nephnfs waren sie gering, bei 
Uebergang der Ent/iufdung am das Inte 'sptialge w che dagegen war 
die Ausscheidung schwer gesdwidtgt. Audi durdi klmisdie Ik-obaJi- 
tungen konnten die beiden Verfasser zu ähnlichen Rcsu,taten kmn« 


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Original fro-rri 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 





11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1705 


men, wie sie bereits von einer Reihe deutscher Forscher berichtet 
wurden. 

Eine grössere Reihe von Versuchen hat D. P. Kusnetzky 
(„Ueber experimentelle Polyurie“, Zeitschr. f. Urol., Bd. II, H. 6, 
1908) angestellt, um den Wert der von A1 b a r r a n 1905 angegebenen 
Methode der funktionellen Nierendiagnostik nachzu¬ 
prüfen. Bekanntlich besteht diese in der vergleichenden Funktions¬ 
prüfung beider Nieren vor und nach einer vermehrten Wasserzufuhr, 
wonach die Sekretionsfähigkeit jeder einzelnen Niere bestimmt wird. 

K. gibt zu, dass diese experimentelle Polyurie eine theoretisch recht 
interessante, physiologische Untersuchungsmethode für die relative 
Funktionstüchtigkeit gesunder und kranker Nieren sei; es sei aber 
nur dann auf absolut zuverlässige Werte zu rechnen, wenn man den 
Harn aus beiden Nieren auf die nämliche Weise, d. h. durch beider¬ 
seitigen Ureterenkatheterismus gewinnt ,im Gegensatz zu Albar- 
r a n, der nur einen Ureterkatheter einführt und durch einen zweiten, 
in die Blase eingelegten gewöhnlichen Katheter den Harn der anderen 
Seite auffängt. Eine bedeutende Einschränkung erfährt diese Methode 
durch den Umstand, dass es bei Männern oft unmöglich ist, beide 
Harnleiter mit genügend starken Kathetern zu sondieren, was zur 
Vermeidung des Vorbeifliessens von Harn ja notwendig ist. Zudem 
ist ihre Ausführung mit manchen technischen Schwierigkeiten ver¬ 
bunden, benötigt einen grösseren Aufwand von Zeit und kann in ein¬ 
zelnen Fällen sogar zu Fehlschlüssen führen. Aus diesen Gründen 
sollte die experimentelle Polyurie nur in denjenigen, diagnostisch be¬ 
sonders schwierigen Fällen zur Anwendung kommen, in denen die 
einfachen Untersuchungsmethoden im Stiche lassen. 

Bereits von A 1 barran wurde der Harnleiterdauer¬ 
katheter zu präventiver und auch zu kurativer Behandlung der 
auf Nephrostomie folgenden Nierenfisteln angewendet. Nun macht 

L. Cardenal („Ueber Dauerkatheterismus der Ureteren in der 
chirurgischen Behandlung verschiedener Blasenleiden und der Pro¬ 
statahypertrophie“, Zentralbl. f. Chir., No. 21, 1908) auf neue An¬ 
wendungsgebiete aufmerksam. Aus eigenen Versuchen schliesst C., 
dass die Harnleiter des Menschen und der Tiere ganz gut mehrere 
Tage und sogar besser als die Harnröhre einen Dauerkatheter ver¬ 
tragen, ohne dass bei einigermassen guter Asepsis eine aszendierende 
Infektion hinzutritt. Dieses Verfahren bietet besondere Vorteile bei 
Blasenoperationen, die leicht heftige Blutungen im Gefolge haben, bei 
suprapubischer Prostatektomie, Blasentumoren u. a. Wird wegen 
einer solchen Blutung die Blase tamponiert, so macht der hinzu- 
fliessende Harn, der die Gaze durchtränkt, die Tamponade illu¬ 
sorisch. Ferner wird bei offen gelassener Blase eine schnellere 
Wundheilung garantiert, wenn die Wundränder durch den Harn nicht 
durchfeuchtet werden. C. geht nun in der Weise vor, dass er nach 
beendeter Blasenoperation unter Leitung des Auges beiderseits einen 
Ureterenkatheter (9—10 Charr.) in den Harnleiter und das schräg ab¬ 
geschnittene Ende in die Harnröhre einführt. Während der nächsten 
Tage sind die Katheter sorgfältig auf ihre Permeabilität zu prüfen, 
indem man häufig kleine Mengen 4 proz. Borsäure oder 1 prom. 
Argentumlösung einspritzt. 

Gerade letzterer Punkt scheint mir jedoch die Hauptschwierig¬ 
keiten zu bereiten. Wer auf der Abteilung eine grössere Zahl von 
Harnröhrenverweilkathetern liegen hatte, wird mir zugeben, dass 
trotz guten Sitzes und weiten Lumens des Katheters ein Verstopfen 
recht oft vorkommt. Wie viel häufiger wird dies der Fall sein, bei 
den dünnen Ureterenkathetern! Auch das doch nötige Wechseln 
über dem Mandrin wird sich nicht immer glatt bewerkstelligen 
lassen. 

(Schluss folgt.) 

Neueste Joumalllteratiir. 

Zentralblatt für Innere Medizin. 1908. No. 29 bis 31. 

No. 29. H. C. T. 01 r u m - Kopenhagen: Die Funktionsprüfung 
der Nieren, besonders mit Jodsalzen. 

Die Prüfung der Ausscheidung von Jodsalzen ist ein gutes und. 
praktisch recht brauchbares Verfahren zur Bestimmung der Nieren¬ 
funktion. Der Patient erhält 2 Tabletten mit 25 egr Jodkalium. Der 
Gesamtharn wird gesammelt und gemessen. Man löst nun in einer 
der Gesamtharnmenge entsprechenden Menge Wasser eine Tablette 
zu 25 egr und befreit aus dieser Lösung und aus dem Harn das Jod 
mit rauchender Salpetersäure. Darauf schüttelt man mit Benzin 
(10—20 ccm) Proben von beiden Flüssigkeiten in zwei gleichweiten 
Reagenzgläsern aus. Man stellt nun kolorimetrisch einen Vergleich 
an und verdünnt, wenn nötig, das Benzin der wässrigen Lösung bis 
die Farben gleich sind. Die Methode der kolorimetrischen Bestim¬ 
mung der Jodmenge der ersten 24 Stunden ergab bei etwa 50 Nieren¬ 
kranken folgende Resultate: 

1. Bei Granularatrophie bedeutend verspätete Ausscheidung 
(Dauer bis 187 Stunden), bei parenchymatöser Nierenentzündung da¬ 
gegen eine normale oder vermehrte Ausscheidung, ausgenommen Fälle 
mit sekundärer Schrumpfung. 

2. In 12 Fällen von orthostatischer und zyklischer Albuminurie 
war die Ausscheidung normal oder vermehrt. 

3. Arteriosklerose ohne Granularatrophie ist ohne Einfluss auf 
die Ausscheidung. 


4. Die funktionelle Prüfung mit Jodsalzen lässt sich bei der 
azetalbuminurischen Form chronischer Nierenentzündung, der sog. 
latenten Nephritis, anwenden, und die Unterscheidung der inter¬ 
stitiellen und parenchymatösen Nierenentzündung ist dadurch sehr 
erleichtert. • 

No. 30. Ohne Originalartikel. 

No. 31. Wiens: Weitere Untersuchungen über die Antlterment- 
reaktlon des Blutes. (Aus der med. Klinik in Breslau.) 

An Stelle des früher zu den Untersuchungen benützten Kokken¬ 
eiters verwendet W. jetzt eine Fermentlösung (Leukoferment Merck), 
welche normales Blutserum im Verhältnis von 2:1 verdaut. W. wen¬ 
det die Oesenverdünnung an. Jede mit einer schweren Allgemein¬ 
schädigung des Organismus verbundene konsumierende Krankheit 
(z. B. Karzinom, Tuberkulose) führt zu einer Vermehrung des Anti¬ 
fermentgehaltes, zu einer Steigerung der hemmenden Kraft des Blut¬ 
serums. W. Zinn- Berlin. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 93. Band, 4. u. 5. Heft. 

Juni 1908. 

20) W i 1 m s - Basel: Eine neue Methode der Prostatektomie. 

W. empfiehlt einen an 3 Fällen erprobten Schnitt zur Prostatek¬ 
tomie, der am absteigenden Schambeinast 4—5 cm lang angelegt 
wird; der M. ischio-cavernosus und die A. pudenda interna werden 
nach median verschoben. Die totale Aushülsung geschieht wie bei 
der vesicalen Methode, eine Verletzung des Rektums ist ganz un¬ 
möglich. 

21) R. M i 1 n e r - Leipzig: Historisches und Kritisches über 
Knochenzysten, Chondrome, fibröse Ostitis und ähnliche Leiden. 

In der umfassenden historisch-kritischen Arbeit kommt M. zu 
folgenden Schlüssen: Virchow hat weder für seinen eigenen Fall 
von Knochenzyste, noch für die Fälle Froriep. Langenbeck 
die Entstehung aus echten Chondromen gelehrt. Die Fälle gehören 
zur Ostitis fibrosa. Auch alle anderen Fälle der Literatur lassen sich 
wahrscheinlicher aus der Ostitis fibrosa ableiten. 

Eine Identifizierung der Ostitis fibrosa in ihren verschiedenen 
Typen mit der Osteomalazie ist erst nach der Kenntnis der Ursache 
der Osteomalazie möglich. 

„Die Erfahrungen bei Ostitis fibrosa und bei Knochenzysten 
erinnern daran, dass Knorpelinseln im Knochen nicht ganz selten 
metaplastisch ausgebildet werden und vielleicht auf diesem Wege die 
erste Anlage mancher Chondrome zustande kommt.“ 

22) R. V ö c k 1 e r - Magdeburg: Eine seltene Form Innerer In- 
karzeratlon. 

Bei einer 63 jährigen Frau fand sich eine durch Schlingenbildung 
der lang ausgezogenen Tube bewirkte Strangulierung zweier Dürin- 
darmschlingen. Die strangulierten, kaum veränderten Schlingen wer¬ 
den gelöst und können zurückgelassen werden. 

3 ähnliche Literaturfälle. 

Auffallend war das Missverhältnis zwischen Dauer des Ileus 
(ca. 8 Tage) und dem guten Aussehen der inkarzerierten Schlingen 
nach Art der „schlaffen Einklemmung“ (W i I m s), die noch nicht 
genügend geklärt ist. 

23) Enrico M a r t i n i - Turin: Ueber einen neuen Apparat für 
die Behandlung der Frakturen des Armes. 

Portativer Apparat zur Behandlung der Frakturen des Ober¬ 
arms, der durch Extension und Gegenextension wirkt, eine gute 
Adaption der Bruchenden, Kontrolle und Massage der Bruchstelle und 
eventuell gute Behandlung offener Frakturen ermöglicht 

24) I s e 1 i n - Basel: Tetanie Jugendlicher Ratten nach Para- 
thyreoldektomie. Steigerung der tetanlschen Reaktionsfähigkeit 
jugendlicher Ratten bei Nachkommen parathyreoldektomlerter Ratten. 

J. fand, dass bei 5—12 Wochen alten, gefleckten, gesunden Rat¬ 
ten nach doppelseitiger Exzision der Epithelkörperchen eine akute, 
innerhalb 2 Tagen tödlich verlaufende Tetanie auftritt; ferner, dass 
die jugendlichen Nachkommen parathyreoidektomierter Ratten diese 
Empfindlichkeit in weit stärkerem Grade besitzen. 

25) B1 e c h e r - Strassburg: Ueber die-Behandlung akut ent¬ 
zündlicher Erkrankungen mit künstlicher Hyperämie (auf Grund von 
500 Fällen). 

Bl. behandelte 505 Fälle akuter Entzündung mit Stauung. 

Die Erfahrungen sind im allgemeinen günstige bei Behandlung 
der Furunkel, Lymphdrüsenentzündungen. Panaritien. Gelenkeite¬ 
rungen, Zellgewebsentzündungen, Lymphangitiden, weniger günstig 
bei Osteomyelitiden. 

Bei Streptokokkeninfektionen hatte auch Bl. zahlreiche Miss¬ 
erfolge. 

Ausserdem wandte Bl. noch in 66 Fällen frischer Verletzungen 
prophylaktische Stauung an mit zufriedenstellendem Erfolge. 

26) Albert Dreifuss -Hamburg: Beiträge zur Pankreas¬ 
chirurgie. 

Anschliessend an einen Fall von subkutaner Verletzung des Pan¬ 
kreas durch stumpfe Gewalt, der durch Tamponade geheilt wurde, 
bespricht D. Kasuistik (23 Fälle), Genese (das Organ wird gegen die 
Wirbelsäule gedrückt); Symptomatologie und Diagnose (Lokalisation 
der Krafteinwirkung, eventuell isolierte Blutansammlung in der Bursa 


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1706 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. .U. 


nmentalis). Die Therapie kann nur in möglichst frühzeitiger Opera¬ 
tion bestehen. 

Ob man die Pankreaswunde näht oder tamponiert, immer soll 
drainiert werden. 

Sodann bringt Dr. einen Fall von akuter hämorrhagischer Pan¬ 
kreatitis mit Ausgang in Erw eichung und Platzen des Exsudats in die 
freie Bauchhöhle, der Eall ging nach 2 maliger Laparotomie in Heilung 
über.- 

Weiter beschreibt Dr. einen Fall von akuter Pankreasnekrose 
mit Ausgang in Abszedierung. Spaltung des Abszesses brachte 
Heilung. 

Zur Pankreasnekrose können führen: Entzündungen, Blutungen 
und schwere Traumen des Pankreas und eventuell Erkrankungen in 
der Umgebung der Drüse. 

Findet man Fettgewebsnekrose in der Bauchhöhle, so ist man 
berechtigt, auf das Pankreas bezw. dessen Umgebung loszugehen. 

Die Pankreasnekrose ist ein Leiden des Alters zwischen 3) bis 
60 Jahren. 

Akute Pankreatitis und traumatische Erkrankungen befallen zu¬ 
meist kräftige Männer. 

Diagnostisch von gewissem Wert für die gewöhnlich nach der 
Mahlzeit mit paroxvsmalen Schmerzen einsetzende Erkrankung ist 
Schmidts Säckchenorobe. lieber andere Reaktionen (Carn- 
m i d g e, Sahli) fehlt dem Verf. die Erfahrung. 

Eine grosse Anzahl aller Fälle geht an Trypsinintoxikation zu¬ 
grunde. Bei Ausbildung einer pcripankrcatischen Nekrosehohle tritt 
die Krankheit in ein subakutes Stadium. Durch Infektion der Ne- 
krosehöhlc kann cs zu peritonitischen und pyämischen Prozessen 
kommen, falls nicht operiert wird. 

Der moderne therapeutische Weg ist die sofortige Laparotomie 
und Drainage eines etwa vorhandenen Exsudates gegenüber den 
früheren Warnungen vor Operation im ersten Stadium. 

Interessant ist, dass auch Verf. im Verlauf der Nachbehandlung 
seines 3. Patienten eine Fistel nach Darreichung der Wohl¬ 
gemut h sehen Diät sich prompt schliessen sah. 

27) E. v. F C‘ I c g y h ä z i - Klausenburg: Beiträge zur Erklärung 
der Wirkungsweise der BIersehen Stauung Im Granulationsgewebe 
fistulöser funoröser Herde. 

F. untersuchte tuberkulöse Fisteln. Lymphome und Granula¬ 
tionen. die durch Stauung und Saugen behandelt wurden, histologisch 
und bakteriologisch und glaubt, dass die günstige Wirkung der 
Hyperämie in der Einwirkung wiederholter passiver Hyperämie auf 
das Bindegewebe zurückzuführen ist. 

28) Ernst Hagenbach: Symmetrische Lymphangiome der 
Mundspeicheldrüsen. 

Bei dem 5 Monate alten Kinde fanden sich im vorderen Hals- 
dreieck und vor dem Ohr aufwärts symmetrische Tumoren von im 
ganzen schwammiger Konsistenz, die bei der Adspektion an Miku¬ 
licz sehe Krankheit erinnerten. 

Nach der mikroskopischen Untersuchung handelte cs sich um 
ein in und um die Submaxiilaris entwickeltes Lymphangioma caver- 
nosum. 

Bei der Sektion des unter Diarrhöen zugrunde gegangenen Kin¬ 
des fanden sich überall in den Speicheldrüsen und im Sinus pvriformis 
Zysten von der gleichen histologischen Beschaffenheit. 

Aus der Literatur erhellt das seltene Vorkommen von Lymph¬ 
angiomen der Speicheldrüsen. 

29) Hans I s e 1 i n - Basel: Wachstumshemmung infolge von Para- 
thyreoldektomie bei Ratten. Ein Beitrag zur Kenntnis der Epitliel- 
körperchcnfunktion. 

.1. stellte fest, dass bei Ratten, bei denen die Entfernung der 
Epithelkörperchen gelang. Verzögerung, ia sogar Stillstand in Ge¬ 
wichtszunahme und Wachstum auftritt. Sektionsbefund fehlt vor¬ 
läufig. jedoch glaubt J. Schädigungen der Schilddrüse, die den Wachs¬ 
tumsausfall erklärten, ausschliesscn zu dürfen. 

30) Kurze Mitteilung. 

A. Kirchner - Göttingen: Tahisluxatlon oder Luxatio pedls 
sub talo? 

Entgegnung auf den Aufsatz des Herrn Geheimen Sanitätsrates 
Reismann im Maiheft 1908. H. E I ö r c k c n - Wiir/burg. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. Bruns 
58. Band, 1. Heft. Tübingen, Lau pp. 1908. 

H. v. Bayer bespricht aus der Münchener Klinik Fremdkörper 
Im Organismus, Einheilung etc. und teilt die Ergebnisse von auf 
Prof. Langes Anregung unternommenen Experimentalunter¬ 
suchungen mit, um den Zusammenhang zwischen der eliemisch-physi- 
kalischcn Natur der Stoffe und ihre Wirkung auf den Organismus 
zu studieren. B. kommt nach seinen Versuchen am Kaninchen mit 
Einführung 15 mm langer Walzen mit abgerundeten Enden oder 
kurzer 5 10 mm langer Dralitstiickcheu nach eingehenden histo¬ 

logischen Untersuchungen zu der Ansicht, dass es eigentlich chemisch 
"der phvsikalisch indifferente Fremdkörper nicht gibt, dass auch 
chemisch völlig inaktiv geltende Stoffe doch noch immer eine ge» 
'■mge Reizwirkung entfalten können. B. untersuchte den Einfluss von 
Gewicht, Grösse, Konsistenz. Porosität. Oberfläche, Bewegung und 


elektrische Eigenschaften und prüfte Silber, Aluminium. Eisen. 
Kupfer etc. in ihrem Verhalten als Fremdkörper und studiert die ver¬ 
schiedenen histologischen Befunde der Kapselbiidtmgen. Scliaum- 
zcllen und eigentümlich epithelartig angeorduetc Bmdegcw ebs/ellui. 
auch den Einfluss des Gewebes, des Oites auf die Einheilung ‘das Ver¬ 
halten im lockeren Bindegewebe, im Muskel, m der freien Bauch¬ 
höhle. im Gelenk und Knochen). Er kommt u. a. /um Schluss, dass 
das Bindegewebe um grosse chemisch aktive Fremdkörper einen 
hyalinen Charakter aiiniiiinit, dass weiche Fremdkörper i Paraffin) 
lind pomse Fremdkm per durchwachsen, harte cnigehapscit werden, 
dass verschiedene < »bei IG chciibeSehatü nhc it «Rauheit oder <i;:itte) 
bei ruhenden Fremdkur pem nur wenig Wirkung hat und erst /ur 
Geltung kommt, wenn sich der Fremdkörper im Gewebe bewegt. Im 
letzteren Fall entsteht meist eine tlussigkeitshaltigc Zvste oder bei 
phvsikalischen oder chemischen Besonderheiten des Lremdkor p t -rs 
kommt es noch zu Veränderungen der Wände der Kapsel. zu W an Ir¬ 
rung resp. Ausstossung des Fremdkörpers. I he Bmdegew ebskor ver¬ 
dien seheinen sich mit ihrer Laugsachse: in die Richtung c'ektns,. her 
Kraftlinien zu stellen. I he Kapseln um Nienbeiu imd Hartgummi 
bestehen aus einer schmalen Schicht parailcitascrigcn Bindegewebes 
(Orthohlille): Mornwal/eri rufen dickere zweischichtige Kapsel her¬ 
vor; Silberw alzcn bewirken meist zw ciscluchtige Kafsei; ähnlich 
Aluminium, in dessen Umgebung an Parasiten erinnernde ZU'en in.it 
starker Färbbarkeit des Protoplasmas und homogenen, stark tarb- 
baren. kugeligen Kernen) auffallen. Bei den Kapseln um 1 isen ist be¬ 
sonders das Verhalten des Fremdkor perpigmentes beachtenswert. 
Bei chemisch stark differenten Fremdkörpern besteht die eigent ije; 
Kapsel aus 2 Sehictiieii der Ortholmlle m.uli aussen gegen die ge¬ 
sunde Umgebung hm), gegen den Fremdkörper hm die Metahu ! e. 
Zwischen der Kapsel und dem Fremdkörper liegt eine metaahn,:.he 
Fiillmasse (Basthuffy). Die Metalmüe bietet in ,i leren Kapse ln meist 
das Bild spongiusen Bindegewebes, die (»rthofmiie bestellt aus pa¬ 
rallelfaserigem Bindegewebe, die I ’aralm i 1 e aus nicht ana!\sicrha'cm 
Detritus, letzter kann allmählich v o tfeg verschwinden. Vn Video Prä¬ 
paraten um chemisch aktive Fremdkörper f.olt eine den I ntemzedeti 
ähnliche Zellform auf. ehe oft mit Pigment beladen. meist zu ha'b- 
moiulfoimigen Gruppen an vier Peripherie der Kapsel angeorduet 
sind "iid sieh von ehn Polv bias»m abieiteii. Besonders grosse 
Mannigfaltigkeit herrscht in den Vorgängen an den Muskcdek menten 
nach kur/ erfolgter Fiuv eflviburig der l'remdkvdper. Zw ischcn einer 
Kapsel und de-r Muskulatur sieht man häufig ein an Fettgewebe 
erinnerndes Net/ge-webe. das auf leere Sarkolemmsch ,uu he zuruck- 
/ufnhron ist. In der Bauchhöhle lagen ehe Fiemdkorper n.uli langem 
Verweilen entweder ohne Kapsel oder eilige kapselt, mit B.tUchwarul 
oder einem Organ verklebt neler m freier Kansel (ähnlich treten 
Unleiikkor pei n). Di*- Fremdkörper winden in der Bauchhöhle we¬ 
niger angegriffen als im Muskel oeler lockeren Binde ge vv c be Der 
ausführlichen Arbeit ist eine grossere Ruhe histoh>gischer Tafe’r. bei¬ 
gegehen. 

Aus der Tiibinger Klinik berichtet Max v. B r u n n über die 
schnellende Hüfte und schildert einen durch Operation geheilten 
Fall dieses Leidens bei 1.5 lahrtgem Mädchen «bei dun die \fnktioii 
nach Operation der einen Seite auch auf der anderen anttr.it und 
hier ebenfalls erfolgreich operiert wurde), v. Br. stellt aus der Li¬ 
teratur ö genauer beschriebene Falle zusammen, schildert Aeti*ö*>gic. 
Mech anismus. Svmptniiie und Behandlung des I udetis. 

Blauei referiert aus der gleichen Klmik über die Entfernung 
von Gebissen aus der Speiseröhre mit Hilfe des Oesophagoskops 
und weist an der Hand zweier naher milgeteiiter gegluckter 1 x- 
traktionen von 2 resp. 35 läge im Oesophagus steckender Piecen 
und den Mitteilungen von Starek etc. die Vorgänge der os .phag*>- 
skopisehen Extraktion gegenüber der Oesophag*•tomie nach, beson¬ 
ders trägt Bemnsehmg der Sc hleimhaut mit ln pro/. Kokamlosmeg. 
zu der 3 4 Tropfen einer 1 pr*»m. Vdiuiahnlosung zugeset/t sind, 

durch Altschwellung der Schleimhaut /ur l rleichtenmg der Extrak¬ 
tion b»-i (ein ringförmiger Wulst geschwellter Schleirwiliaut. der den 
F'remdkor [>er z. T. bedeckte, w ar nach der Fmpinselurig w osenPich 
ziiriickgvgangen). Die Sonde ist nur ein sehr wenig verläseäuies 
diagnostisches Hilfsmittel; in S von ln Fallen gelangte selbe neben 
einer feststeckenden Piece vorbei m dui Mau n. auch die Röntgen¬ 
durchleuchtung kann im Stiche lassen, iedt utn .s dar f der negative 
Ausfall der Untersuchung nicht zu dem Schluss berechtigen, dass ein 
F’renulkorper nicht im Oesophagus sei: nur das Ogsoph.igoskop kann 
hier EiPscheidung bringen und ist zu vermeiden, dass durch Ver¬ 
schuldet? des Ar/tes die Entfernung des F’rem dk or«>ers hm.iusge* 
schoben werde, ie frulier die «»sophagosk ■ i * i s ^ Ir- Fxöakti >n ausgcP.Vt 
wird, um so besser werden die Resu'rate sein, /um Sdihiss ste’lt 
Bl. kurz ID Fälle gelungener osopha/oek-tpisc her Gc bise»uin\ r mmgen 
und 10 misslungene ösopliagoskopische F\traktions\e r siic 1 e bei ( ie- 
bissen zusammen. 

F.berhard Krieg berichtet aus der Tdunger Klinik über die 
primären Tumoren der Trachea und gdt da in eine Entsetzung de* 
v. B r li n s sclien Statistik der Trach- a dirm ( u (147 Falle? fuhrt 2 
neue Fälle (1 der brtr. Klinik. 1 aus f r e \ s Br Gm htiuig) rüd er au 
lind bringt zur Statistik ( ns) .5.; Fdd'e .ms der I :!e f afi;r weitv-Gti 
bei (2 zu den Fibromen. 5 /\\ den 33 Pam "■ -m, n d.r v. Bru nsvh'ii 
Statistik. 1 Lipom. 13 Cfpunirf^stemuc zu den jv Ea'Vn der Bru r. s - 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1707 


sehen Statistik, 7 intratracheale Strumen zu den ebensoviel schon 
von v. Bruns gesammelten Fällen, 7 zu den 14 Sarkomen, 9 zu den 
31 Sarkomen der v. Bruns sehen Statistik). Auch nach der so er¬ 
örterten Statistik ist die Frequenz der bösartigen Geschwülste eine 
ungünstige, indem sie Va der Gesamtzahl ausmachen, während sie 
im Kehlkopf nur Vs beträgt. Für die gutartigen, zumal etwas ge¬ 
stielten Tumoren ist die Operation durch den Tubus ein sehr scho¬ 
nendes, technisch elegantes Verfahren, im grossen ganzen besonders 
bei erwiesener Bösartigkeit bleibt das Eingreifen von aussen (ev. 
Wegnahme einer ganzen Reihe von Knorpelringen) allem anderen 
überlegen. 

Aus der gleichen Klinik berichtet Meissner (über Hautdesin¬ 
fektion nur mit Alkohol) über die guten Erfolge der an der 
v. Bruns sehen Klinik seit ca. VI* Jahr geübten Desinfektion 
des Operationsfeldes und der Hände ausschliesslich mit 96 proz. Al¬ 
kohol, die er in tabellarischer Uebersicht betreff ihres bakteriellen 
Verhältnisses mit den bisherigen Desinfektionsmethoden (Für¬ 
bringer, Heusser, Döderlein etc.) vergleicht. Er. hält das 
5 Minuten lange Abreiben der Haut mit 96proz. Alkohol (sterilen 
Tupfern) für das einfachste und zur Zeit beste Verfahren. Stich¬ 
kanaleiterung ist geradezu zur Rarität geworden, die Gummihand¬ 
schuhe werden für den klinischen Betrieb beibehalten. Die Alkohol¬ 
desinfektion ist berufen, das Desinfektionsverfahren des Praktikers 
zu werden, als einfach, schonend und billig, da sich nach Schum¬ 
burg auch der gewöhnliche, überall erhältliche Brennspiritus (90 
proz. Alkohol) verwenden lässt. M. empfiehlt dieses Verfahren vor 
allem dem Praktiker und Kriegschirurgen. 

Des weiteren berichtet Meissner über Frakturen beider 
Femurkondyien und bespricht im Anschluss an 5 betreffende Fälle 
der v. Brunsschen Klinik, sowie 3 Präparate der Sammlung. Aetio- 
logie und Entstehungsmechanismus dieser Brüche unter Mitteilung 
eigener experimenteller Forschungen; 1 grosser Teil der Fälle ist 
jedenfalls als Stauchungsfraktur aufzufassen (Fall auf die Füsse oder 
Knie). Bezüglich der Behandlung reicht bei starker Verkürzung und 
Npigung zur Dislokation der Fragmente die gewöhnliche Volk- 
ni ann sehe Extensionsmethode nicht aus und sind die Extensions¬ 
methoden mit flektiertem Knie (Zuppinger, Henschen) vor¬ 
zuziehen. Zur Verhütung von Funktionsstörungen des Kniegelenkes 
ist eventuell orthopädische Nachbehandlung angezeigt. Von 26 zu¬ 
sammengestellten Fällen Hess sich nur in 6 Heilung mit gutem funk¬ 
tionellen Resultat berichten, 6 (meist durch Infektion komplizierte 
Frakturen) endeten tödlich. 

Max v. Brunn gibt (ebenfalls aus der Tübinger Klinik) weitere 
Erfahrungen über die Behandlung der appendizitischen Abszesse mit 
Naht und plädiert anschliessend an seine Arbeit im 52. Band der 
Beiträge warm für die R e h n sehe Behandlungsmethode. Diese 
hat allerdings zur Voraussetzung die Entfernung des Wurmfortsatzes, 
die Lösung möglichst aller Verwachsungen und die gründliche Ent¬ 
fernung des infektiösen Materials mittels Kochsalzlösung mit Ab¬ 
leitung der Spülflüssigkeit durch ein ins kleine Becken geführtes 
Drain. Unter diesen Voraussetzungen ist die breite Eröffnung der 
freien Bauchhöhle während der Abszessoperation ungefährlich. Nach¬ 
teile für die Nachbehandlung ergeben sich aus der Beckendrainage 
nicht, v. Brunn geht sogar noch weiter als Reh n, indem er ge¬ 
wöhnlich auf die Drainage der eigentlichen Abszesshöhle verzichtet, 
resp. nach Lösung der Verwachsungen und Spülung nur den Drain 
ins kleine Becken legt, das Peritoneum wird mit nicht zu grossen 
Abszessresten fertig. Anderes Verfahren (Drainage der Abszess¬ 
höhle) ist nach v. Brunn dann nötig, wenn bei sehr starken Adhä¬ 
sionen Netz und Darm mit der Umgebung fest verwachsen ist, so dass 
eine Lösung der Adhäsionen sich als unmöglich erweist. Hiebei ist 
Drainage wie bei jedem anderen Abszess nötig, bis Verkleinerung der 
Höhle durch die Heilungsvorgänge eingetreten ist. v. Br. stützt sich 
jetzt auf 78 nach der R e h n sehen Methode behandelte Fälle (davon 
24 bei Kindern, 9 Frühoperationen, 19 im intermediären Stadium, 
49 im Spätstadium ausgeführte Operationen). Die Operation ist um 
so leichter und ungefährlicher, je früher der Abszess in Behandlung 
kommt und empfiehlt es sich, jeden abszessverdächtigen Fall sofort 
zu operieren. Eine besondere Gefährlichkeit des Intermediärstadiums 
(3.—5. Tag) ist durch Br.s Material nicht zu erweisen; bei 21,1 Proz. 
der Fälle wurden Bauchdeckenabszesse beobachtet, die in der Hälfte 
der Fälle eingetretene Primaheilung ist aber immerhin ein weiter 
Vorteil zu gunsten der Methode. Kotfisteln rechnen zu den Selten¬ 
heiten danach und wurden bei 2,6 Proz. beobachtet (gegenüber 
7,4 Proz. der offen behandelten Fälle). Die Zahl der Douglas¬ 
abszesse ist keine grössere. Die Mortalität, die bei den offen be¬ 
handelten Fälle 15,5 betrug, ist bei den genähten Fällen nur 5,1 
Proz. Somit ist die Behandlung der appendizitischen Abszesse mit 
Naht der offenen Behandlung weit überlegen durch ihre Gründlich¬ 
keit und den kürzeren und leichteren Heilverlauf. Die 4 letalen Fälle 
(2 mit subphrenischem Abszess) werden näher angeführt, ebenso 
einige seltenere Fälle (retrozoekale Abszesse der Lumbalgegend, Fälle 
mit multiplen Abszessen). Schreiber. 

Zentralblatt für Gynäkologie, No. 31, 1908. 

P. E s c h - Marburg: Zur Klinik des Sklerema neonatorum. 

Neuerdings unterscheiden die Autoren das Sklerema 
oedematosum vom a d i p o s u ni, die allerdings beide nur atro- 


| phische Säuglinge befallen und fast stets zum Tode führen. E. be- 
I schreibt einen Fall, wo sich beide Arten des Skierems an demselben 
Kinde vorfanden. Dasselbe war sehr kräftig, aber scheintot zur Welt 
gekommen. Durch längeren (12 Tage dauernden) Aufenthalt im 
Wärmeofen und Massage nebst kräftiger Ernährung (Backhausmilch) 
gelang es, das Kind am Leben zu erhalten. 

K. W i 11 h a u e r - Halle a. S.: Jothion als Hautdesinfiziens bei 
Operationen. 

W. empfiehlt an Stelle der üblichen Jodpräparate (Jodtinktur, 
Jodbenzin) das Jothion in 12 proz. spirituöser Lösung zur Desinfek¬ 
tion der Bauchdecken bei Operationen. Bauchdeckenabszesse oder 
Stichkanaleiterungen hat er seitdem nie wieder beobachtet. 

L. Friedmann -Krakau: Ein neues Pessar gegen Uterus- und 
Scheidenvorfall. 

Das Pessar besteht aus 2 Teilen, einem Ringe und einem Bügel, 
durch Scharnier miteinander verbunden und aus Stahl mit Hart¬ 
gummiüberzug angefertigt. Zu haben bei H. Reiner in Wien. 

' J aff € - Hamburg. 

Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie. 

5. Bd. 1. Heft. 

1) A. O r g I e r: Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung 
auf den Stickstoffwechsel von Kindern. (Aus der Breslauer Uni¬ 
versitäts-Kinderklinik.) 

Bei 4 Kindern im Alter von 7—9*/* Jahren wurden die Ein¬ 
nahmen an N in der Nahrung, w r elche aus Milch und Zwieback be¬ 
stand, sowie die N-Ausfuhr in Harn und Kot während mehrerer Tage 
und die Harnsäure bestimmt, dann zur Nahrung mehrere Tage lang 
je 20 g frischer, von Fett und Bindegewebe freipräparierter Schild¬ 
drüsen zugelegt, ausserdem wurde noch bei 2 von den Kindern je 
ein Versuch mit Jodkalium, Jodeigon und Thymusdrüsen (150 bis 
250 g) gemacht. Allgemeinbefinden, Puls und Atmung wurde bei 
keinem Versuch durch die Schilddrüsendarreichung beeinflusst; da¬ 
gegen traten beträchtliche Schwankungen des Körpergewichtes bei 
einem Teil auf, dieselben waren hauptsächlich durch Veränderungen 
des Wassergehaltes veranlasst, da häufig bei gleichzeitiger negativer 
N-Bilanz das Körpergewicht zunahm, ohne dass nach der Menge der 
zugeführten Kalorien auf einen Fettansatz hätte geschlossen werden 
können. Negative N-Bilanz nicht unbeträchtlichen Grades wurde bei 
allen Schilddrüsenversuchen beobachtet. 

2) A. A 1 b u : Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Exkrete 
des Körpers (Magensaft, Fäzes, Sperma). (Aus der chemischen Ab¬ 
teilung des pathologischen Institutes der Universität in Berlin.) 

Der Magensaft eines Falles von Hypersekretion und Hyper- 
chlorhydrie (0,33 Proz. freie HCl) enthielt 97,47 Proz. Trocken¬ 
substanz. Von der Asche bestanden 98,31 Proz. aus Chloriden der 
Alkalien, ferner trafen 52,87 Proz. auf Chlor, 34,83 Proz. auf KaO, 
22,87 Proz. auf Na-O; von SOa, PaO» und Ca, Mg und Fe w r aren 
Spuren vorhanden. In dem Magensaft, der von der bekannten 
Bickel sehen Magenfistel stammt, waren 49,73 Proz. CI; 35,62 Proz. 
KaO; 22,65 NaaO vorhanden. Die Analysen des Kotes von 3 ver¬ 
schiedenen Personen, welche die Schmidt sehe Probediät genossen 
hatten, (bei einer war 1 Liter Milch durch 1 Liter Kakao, mit 60 g 
Kakao V* Liter Milch und 20 g Zucker ersetzt worden) ergaben 
folgendes: In 100 Teilen Gesamtasche waren bei Kot I 5,66 g CI; 
13,90 g NaaO; 27,25 g KaO; 24,11 g Pa0 6 ; 10,89 g CaO; 3,53 g MgO; 
2,03 g SOa; 0,52 g SiOa; bei Kot II 5,62 g NaaO; 7,26 g KaO; 39.59 g 
Pa0 5 ; 33,22 g CaO; 7,87 g MgO; 2,89 g SOa; 1,59 g SiOa; bei Kot III 
2,92 g NaaO; 12,42 g KaO; 22,18 g PaO s ; 19,98 g CaO; 5,11 g MgO; 
2,97 g SOa; 1,29 g SiOa. Die Aschenbestimmung von menschlichem 
Sperma ergab: 16,6 Proz. Gesamtasche, davon waren 3,17 Proz. S; 
9,828 Proz. P; 1,91 Proz. Ca; 2,14 Proz. Mg; 0,269 Proz. K; 
9,3 Proz. Na. 

3) J. B i b e r f e 1 d: Pharmakologische Studien über einige 
Pyrazolonderivate. (Aus dem pharmakol. Institut in Breslau.) Zu 
einem kurzen Referate nicht geeignet. 

4) R. Quest: Ueber die Bedeutung der Nebennieren in der 
Pathologie und Therapie der Rhachitis. (Aus dem Institut für allge¬ 
meine und experimentelle Pathologie in Lemberg.) 

Der Verfasser bestimmte in 3 Versuchen an jungen Hunden die 
Ausgaben und Einnahmen an N und CaO. Die Hunde erhielten als 
Futter Maisabkochung, im 3. Versuche auch Milch. Nachdem der 
N- und CaO-Stoffwechsel unter normalen Verhältnissen in der 

I. Periode festgestellt worden war, erhielten die Tiere in der 

II. Periode bei der gleichen Ernährung 1—2 g Adrenalinlösung 
1:10 000 subkutan: in dieser Periode machte sich starke Unruhe be¬ 
merkbar, in der III. Periode wurde die Adrenalinzufuhr wieder weg¬ 
gelassen. Eine günstige Beeinflussung des Kalkstoffwechsels im Sinne 
einer Retention war nicht zu beobachten; meist war sogar eine ver¬ 
mehrte CaO-Ausscheidung zu konstatieren. Der N-Ansatz in der 
Adrenalinperiode war meist vermindert; es ist demnach vom Adre¬ 
nalin keine günstige Wirkung auf rhachitische Prozesse zu erwarten. 

5) A. Hei mann: Vergleichende Untersuchungen über den 
Komplementbestand im Körper natürlich und künstlich ernährter 
Tiere. (Ans der Universitäts-Kinderklinik in München.) 

Der Verfasser injizierte jungen Hunden desselben Wurfes 8 Tage 
nach der Geburt inaktiviertes durch Vorbehandlung von Kaninchen 
mit Hundeblut gewonnenes Immunserum; der eine Teil des Wurfes 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1708 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


wurde an der Mutterbrust ernährt, der andere Teil vom 3. bis 5. Tage 
ab künstlich mit Kuhmilch. Ein analoger Versuch wurde auch an 
Kaninchen gemacht. Die natürlich ernährten Tiere erlagen den 
Injektionen mit Immunserum rascher und zeigten bei der Sektion 
schwerere Veränderungen als die künstlich ernährten Tiere. Es ist 
demnach anzunehmen, dass die Hämolyse intra vitam bei den natür¬ 
lich ernährten Tieren stärker ist als bei den künstlich ernährten, dass 
demnach der aktuelle und potentielle Komplementbestand bei den 
künstlich ernährten Tieren ein reduzierter war. 

6) L. H o f b a u e r - Wien: Zur operativen Behandlung gewisser 
Lungenkrankheiten (Emphysem und Tuberkulose). II. Teil. 

Nur in den Fällen, bei welchen durch Verknöcherungen die Be¬ 
hinderung der respiratorischen Beweglichkeit der oberen Thorax¬ 
partien anatomisch.,»begründet ist, bei Verknöcherung der Rippen¬ 
knorpel und bei Immobilisierung des Sternalwinkels ist eine opera¬ 
tive Behandlung indiziert, und zwar womöglich vor Abschluss der 
Wachstumsperiode, um den phthisischen Habitus zu beseitigen und 
dauernde Kräftigung der Lungenspitzen zu erzielen. Für das Em¬ 
physem wird die Mobilisation des Thorax durch chirurgischen Ein¬ 
griff kaum jemals nötig. Die hauptsächlich nötige Förderung der 
Ausatmung wird, wie auch Tierversuche von Aron erweisen, durch 
Kompression des Bauches und die dadurch bedingte Hochtreibung 
des Zwerchfells physiologisch richtiger und wirkungsvoller als durch 
Mobilisierung des Thorax herbeigeführt. Auch die Förderung der 
Zirkulation wird hauptsächlich durch die Bewegung des Zwerchfells 
bewirkt. 

7) H. Eppinger und E. v. K n a f f 1: Ueber Herzinsuffizienz. 
(Aus dem Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie in 
Graz.) 

Die Verfasser prüften die Leistungsfähigkeit des Herzens beim 
Kaninchen dadurch, dass sie den Blutdruck in der Aorta durch ein 
in die Karotis eingeführtes Manometer aufzeichnen Hessen, während 
die absteigende Aorta abgeklemmt wurde. Der Blutdruck steigt 
dabei am normalen Tier sehr bedeutend an, oft fast bis aufs Doppelte, 
fällt dann aber allmählich wieder und erreicht nach 40 Minuten den 
ursprünglichen Wert. Beim hungernden Tier erfolgte der Abfall meist 
steil, d. h. die Insuffizienz der Herzmuskulatur setzte früher ein. 
Von Tieren mit Hypertrophie des linken Ventrikels infolge von künst¬ 
lich erzeugter Insuffizienz der Aortenklappen, welche hungerten, 
wurde die Aortenabklemmung meistens nicht ertragen; nach kurzem 
Anstieg sank der Blutdruck sofort. Da aber anatomische Verände¬ 
rungen in der Herzmuskulatur auch bei nicht hungernden Tieren sich 
finden, so ist die mangelhafte Ernährung nicht allein die Ursache der 
Abnahme der Herzkraft. Durch intravenöse Injektion von Dextrose, 
Lävulose, Glykogen, nicht aber von Rohrzucker oder von Gelatine, 
beim hungernden Tier, gelang es nicht nur, das Sinken des Blut¬ 
druckes nach Aortenkompression aufzuhalten, sondern auch den schon 
gesunkenen Blutdruck wieder zu steigern und dann einige Zeit auf 
beträchtlicher Höhe zu erhalten. Beim Aorteninsuffizienztier war 
Dextroseinjektion wirkungslos. 

8) L. Hess und P. S a x 1: Die Einwirkung des Arsens auf die 
Autolyse. (Aus der I. med. Klinik in Wien.) 

Zusatz 5 ccm einer lVaproz. wässerigen Aufschwemmung von 
arseniger Säure zu Leberstückchen, welche der Autolyse überlassen 
waren, ergab deutlich hemmenden Einfluss der arsenigen Säure in 
den ersten Stadien der Autolyse. Auch ganz verdünnte Lösungen 
von arseniger Säure waren noch wirksam. Auf die gewöhnlichen 
Verdauungsfermente, Pepsin, Trypsin, Erepsin, war arsenige Säure 
ohne Wirkung. Arsen wirkt demnach wie der Phosphor nur in den 
Anfangsstadien der Autolyse, aber in entgegengesetzter Richtung als 
hemmender Katalysator. 

9) W. Spitta t: Ueber Morphiumdiabetes. (Aus der med. 
Klinik der Akademie für prakt. Med. in Düsseldorf.) 

Aus dem Harn eines Morphinisten konnte die reduzierende Sub¬ 
stanz als kristallisierendes Chininsalz isoliert werden; aus dem 
Chininsalz konnte die freie Substanz nicht in trockener Form dar¬ 
gestellt werden; die freie Substanz war mit basischem Bleiazetat fäll¬ 
bar, reagierte starke sauer, reduzierte alkalische Kupferlösung, bildete 
ein Osazon, gärte mit Bierhefe, drehte aber nicht. Die Reaktionen 
für Pentosen und Glykuronsäure waren negativ, die Seliwanoff- 
sche Reaktion war positiv: die Substanz war demnach eine der Fruk¬ 
tose sehr nahe stehende Säure. 

10) H. G e r h a r t z - Berlin: Die Aufzeichnung von Schaller¬ 
scheinungen, insbesondere des Herzschalles. 

Zu einem kurzen Referate nicht geeignet. 

11) H. K i o n k a: Beiträge zur Kenntnis der Gicht. 8. Das Auf¬ 
treten von Glykokoll im Blute. (Aus dem pharmakologischen Institut 
in Jena.) 

Die Untersuchungen des Verfahrens ergaben, dass noch ge¬ 
ringe Mengen von #-NaphthalinsuIfoglykokolI und ß-Naphthalinsulfo- 
jeuzin,' sowie ß-Naphthalinsulfamid auf kristallographischem Wege zu 
identifizieren sind, während dies bei ß-Naphthalinsulfoalanin nicht ge¬ 
lang. Dass nach Zusatz von Harnsäure zum Blute Glykokoll in dem 
Blute auftreten kann, wurde dann durch Identifizierung der mit ß- 
Naphthalinsulfochlorid aus dem Blut gewonnenen Kristalle nachge¬ 
wiesen. Durch alleinige Behandlung von Harnsäure mit Natronlauge 


in verschiedenen Konzentrationen konnte jedoch kein Glykokoll er¬ 
halten werden. 

12) Derselbe: Beiträge zur Kenntnis der Gicht. 9. Weiteres 
über das Ausfallen der Urate. 

In Harnsäurelösungen mit oder ohne Zusatz von Soda bewirkt 
Zusatz von Glykokoll, Leuzin, Alanin oder Allantoin früheres Aus¬ 
fallen der Urate; am schwächsten wirkt Leuzin; Glykokoll kann 
wegen seiner leichten Löslichkeit in grösseren Konzentrationen an¬ 
gewendet werden und damit die stärkste Wirkung entfalten. Die Sub¬ 
stanzen wirken als Katalysatoren, den schon normalerweise ein¬ 
tretenden Fällungsvorgang beschleunigend. 

13) P. Knapp: Experimenteller Beitrag zur Ernährung von 
Ratten mit künstlicher Nahrung und zum Zusammenhang von Er¬ 
nährungsstörungen mit Erkrankungen der Kon]unktiva. (Aus dem 
Laboratorium der med. Klinik in Basel.) 

Die Versuche des Verfassers ergaben folgendes. Es gelingt nicht, 
Ratten mit künstlicher Nahrung dauernd am Leben zu erhalten, haupt¬ 
sächlich weil die reizlose einförmige Kost Appetitlosigkeit verursacht 
und auch weil die Nahrung bei zunehmendem Appetitmangel immer 
schlechter ausgenützt wird. Ratten, welche in ihrer Nahrung nur 
einzelne Eiweisskörper, Fett, Kohlehydrate und Salze bekommen, 
zeigen gegen Ende des Lebens Neigung zu starker Konjunktivitis. Bei 
Ernährung mit komplizierteren künstlichen Gemischen oder bei natür¬ 
licher Nahrung besteht diese Neigung nur ausnahmsweise und in ge¬ 
ringerem Grade. Es scheint demnach auch die Art der Nahrung 
für derartige Konjunktivitiden prädisponierend zu wirken. Bei länger 
fortgesetzter Fütterung mit nukleinsaurem Natron können sich 
schwere Nephritis, sowie fettige Degenerationen in der Leber ein¬ 
stellen. 

14) G. Diesselhorst: Beitrag zur Quecksilberausscheidung 
nach Thiopinolbädern bei Schmierkur. (Aus dem Laboratorium der 
hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin.) 

Die Untersuchungen des Verfassers an einem Fall von tertiärer 
Lues, welcher neben der Schmierkur mit Schwefelbädern behandelt 
wurde, ergab, dass die Ausscheidung des Hg in Harn und Stuhl durch 
das Schwefelbad nicht völlig verhindert, aber weit unter jene Grösse 
herabgedrückt wird, welche sie bei reiner Schmierkur annimmt. 

15) J. Meine rtz: Ueber das Venenphänomen. (Aus der 
II. med. Klinik in Berlin.) 

Der Verfasser prüfte das Gärtner sehe Venenphänomen an 
34 Fällen, bei welchen kein Grund für die Annahme einer Zirkulations¬ 
störung vorlag. Bei 11 davon zeigte sich, dass der Venenkollaps nach 
körperlicher Arbeit (Drehen an einer Zentrifuge) auf höherem 
Niveau erfolgte als vorher; diese Niveauerhöhung war aber * nur 
an den Venen derjenigen Hand zu beobachten, mit welcher die Zentri¬ 
fuge gedreht worden war. Diese Erhöhung beruht also auf peri¬ 
pheren Ursachen (veränderter Füllung der Gefässe). Bei 67 Patienten 
mit Zirkulationstörungen waren die Werte ebenfalls innerhalb der 
normalen Grenzen. Man kann also aus dem Venenphänomen keinen 
Schluss ziehen auf die Höhe des Druckes im rechten Vorhof und auch 
nicht den Grad eventueller Stauung beurteilen. 

16) D. Pletnew: Vergleichende Ausnutzungsversuche an nor¬ 
malen und habituell obstipierten Menschen. (Aus der II. med. Klinik 
in Berlin.) 

Die Versuchspersonen erhielten Schmidtsche Probediät; es 
wurde in der Nahrung und in den Ausscheidungen N, Kohlenstoff, 
Fett und Kohlehydrate, sowie der kalorische Wert der Nahrung und 
des Kotes bestimmt. Die Untersuchungen ergaben gewisse Unter¬ 
schiede zwischen den Normalen und den Obstipierten; diese Diffe¬ 
renzen fallen aber noch in den Bereich des Normalen und sind dem¬ 
nach als individuelle Schwankungen aufzufassen, die wohl haupt¬ 
sächlich von den individuellen Unterschieden in der Sekretion des 
Darmes herriihren. 

17) E. H a r n a c k - Halle: Ueber die Wirkungen des Physostig¬ 
mins auf muskuläre Organe. Mit Beziehung auf die Untersuchungen 
von Dr. H. W i n t e r b e r g. 

Zu einem kurzen Referate nicht geeignet. 

Linde mann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1908. No. 31. 

1) C a s p e r - Berlin: Einige diagnostisch bemerkenswerte Fälle 
von Nierentuberkulose. 

Vortrag im Verein für innere Medizin zu Berlin, 1. VI. 08, ref. 
Münch, med. Wochenschr. No. 23, S. 1261. 

2) Wechselmann und Georg M e i e r - Berlin: Wasser¬ 
mann sehe Reaktion in einem Falle von Lepra. 

Obwohl in dem beschriebenen Lcprafall kein Anzeichen für Lues 
vorhanden war, gab das Serum starke Komplementbindungsreaktion; 
auch die Lezithinausflockungsreaktion fiel positiv aus; mit Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit blieben diese Reaktionen negativ. 

3) Curt Seidel- Dresden: Die Behandlung septischer Erkran¬ 
kungen mit Kollargolkiysmen. 

S. gab bei über 100 zum Teil sehr schweren Fällen Kollargol, 
anstatt intravenös, per Klysma in den vorher gut gespülten Darm 
und hatte überraschend gute Erfolge, nicht nur bei eigentlicher Sepsis 
sondern auch bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. Arthritis gonor¬ 
rhoica. 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1709 


4) Dörrien-Metz: lieber Lähmung des N. suprascapularis. 

Bei einem Soldaten entwickelte sich nach Fall auf die ausge¬ 
streckte Hand eine isolierte Supraskapularislähmung, offenbar infolge 
Quetschung des Nerven zwischen Schlüsselbein und erster Rippe. 
Infolge Atrophie des Supra- und Infraspinatus blieb eine Stellungs¬ 
anomalie der Schulter zurück. , 

5) Munter- Berlin: lieber Pneumokokkenaffektion des Magens. 

Beschreibung eines Falles von Gastritis phlegmonosa, hervor¬ 
gerufen durch Pneumokokken. Klinisch war, ausser Fieber und Leib¬ 
schmerz, blutiges Erbrechen, Unruhe und stärkere Vortreibung der 
Magengegend auffällig. Sektionsbericht. 

6) O e 1 s n e r - Berlin: Ueber das erschwerte Decanulement 

Verf. empfiehlt, nach der Tracheotomia inferior (Operation der 

Wahl bei Kindern) möglichst bald mit Decanulementversuchen zu be¬ 
ginnen. Erschwerend wirkt die Gewohnheitsparese der Kehlkopf¬ 
erweiterer, welche durch systematische Versuche und Uebungen 
unter Aufwand von viel Zeit und Geld zu bekämpfen ist. 

7) M i n t z - Moskau: Eine eigenartige Form progressiver seit¬ 
licher Kieferdeviation myogener Natur. 

Bei der geschilderten Kranken hatte sich im Anschluss an eine 
2'/-* ständige zahnärztliche Sitzung eine Verschiebung des Unterkiefers 
nach links entwickelt. M. erörtert die Frage, welche Muskeln infolge 
Ueberdehnung gelitten haben mussten (r. Pterygoideus ext. und 1. 
Pterygoideus int.). 

8) E. Scheidemandel -Berlin: Ueber Pyelitis bei Frauen 
und ihre Beziehungen zur Menstruation. 

Beschreibung des Krankheitsbildes, das oft verkannt wird: plötz¬ 
liche Temperatursteigerung, Schmerzanfälle; Febris continua 5 bis 
6 Tage, dann lytischer oder kritischer Abfall. Nach 2—3 Anfällen in 
der Regel Heilung. Ursache meist aszendierende Infektion vom Anus 
her, am häufigsten mit B. coli comm., das auch im Harn zu finden ist. 
Die Anfälle kommen gerne 3 Tage vor der Menstruation. 

9) V. Z i m m e r m a n n - Duisburg: Die Bedeutung des Pfan¬ 
ne n s t i e I sehen Faszienquerschnitts. 

Verf. wandte den Faszienquerschnitts in 134 Fällen an und 
rühmt dessen Vorzüge; auch eitriger Inhalt der Adnextumoren bildet 
keine Gegenindikation. Verf. mahnt, bei chronischen adhäsiven 
Beckenperitonitiden und bei entzündlichen Adnextumoren von oben 
einzugehen, namentlich mit Rücksicht auf etwaige Beteiligung der 
Appendix. 

10) M. A 1 s b e r g - Berlin: Das ärztliche Berufsgeheimnis. 

R. Grashey - München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 31. M. Benedikt-Wien: Johann Oppolzer. 

Ein Gedenkblatt zum hundertsten Geburtstage (4. August). 

A. v. Eiseisberg und L. v. F r a n k 1 - H o c h w a r t - Wien: 

Ein neuer Fall von Hypophysisoperation bei Degeneratio adiposo- 
genitalis. 

Der dritte Fall dieser Art, nach Schloffer operiert: Angio- 
sarkom. Das Befinden hat sich durch Abnahme des Kopfschmerzes 
und Zunahme des Sehvermögens gebessert. Ueber einen früher ope¬ 
rierten Fall wird berichtet, dass 10 Monate nach der Operation sich 
die früher fehlenden Erektionen einstellten und Scham- und Achsel¬ 
haare auftraten. 

A. v. Reuss: Sehnervenleiden infolge von Gravidität. 

Krankengeschichte eines Falles. Erhebliche Abnahme des Seh¬ 
vermögens, welches besonders nach Eintritt der 15. Schwangerschaft 
eine starke Verschlechterung, nach der Geburt wieder eine Besserung 
erfährt, im Beginn der nächsten Gravidität neue Verschlechterung. 
Diagnose: genuine Sehnervenatrophie und temporale Hemianopsie. 
Einleitung des Abortus. Das Sehvermögen besserte sich etwas und 
hat sich in den letzten 34 Jahren nicht weiter verschlechtert. Viel¬ 
leicht handelt es sich bei dem Leiden um abnorme Schwellungen der 
Hypophyse oder um anatomische Abnormitäten der Sella turcica. 

K. Ha rt-Schöneberg-Berlin: Thymushyperplasie bei Morbus 
Addisonii. 

Krankengeschichte eines kurze Zeit nach einer explorativen 
Kolpotomie an Herzschwäche gestorbenen Mädchens. Die Sektion 
ergab totale käsig-fibröse Entartung der Nebennieren, Hyperplasie der 
persistierenden Thymusdrüse und des lymphatischen Apparates. 
Hypoplasie des Herzens und des Arteriensystems. Der Fall kann zur 
Bestätigung der von Wiesel und H e d i n g e r betonten häufigen 
Kombination von Morbus Addisonii und Status thymolymphaticus 
dienen. 

E. Zak- Wien: Ueber die diagnostische Verwertbarkeit der Zu¬ 
sammensetzung des Harns bei der Lungenentzündung. (Schluss folgt.) 

H. v. Schroetter und M. W e i n b e r g e r - Wien: Zur 
Kenntnis der Kolibazillose der Respirationsorgane. (Schluss.) 

Abschluss der genauen Beschreibung eines Falles (vergl. No. 14, 
24 und 30 der Wiener klin. Wochenschr.) Der Fall zeigt, dass das 
Bacterium coli als selbständiger Erreger einer Bronchopneumonie vor¬ 
kommt. Die Infektion erfolgte vermutlich vom Rachen oder Darm 
aus auf hämatogenem Wege. Möglicherweise spielt der Bazillus öfter 
eine Rolle bei Fällen von katarrhalischer Pneumonie bei Erwachsenen. 


Der Nachweis der Kolibazillose erfolgte durch eingehende bakterio¬ 
logische Untersuchung, welche auch durch verschiedene Kulturver¬ 
fällen, die Einwirkung von Radiumstrahlen und Pyozyanase gewisse 
Variationen des zur Polymorphie neigenden Bazillus erzielte. Die Ein¬ 
wirkung der Radiumstrahlen rief regelmässig eine Fadenbildung, 
Filidien bis zu 40 ß Länge, hervor. 

P. Clair mont-Wien: Chirurgische Eindrücke aus Nord¬ 
amerika. (Fortsetzung.) Bergeat - München. 

Französische Literatur. 

O e 11 i n g e r und Fiessinger: Ueber die B a n t i sehe 
Krankheit mit 2 Fällen primärer Milzvergrösserung und Endo- 
phlebitls spleno-portalis. (Revue de mödecine, Dezember 1907.) 

In den beiden Fällen, einen 65 jährigen und einen 51 jährigen 
Mann betreffend, handelte es sich um eine primäre hypertrophische 
Zirrhose der Milz, kompliziert mit Endophlebitis der Milzvene, welche 
auf die Vena portarum in deren Verlauf ausser- und innerhalb der 
Leber überging und ein mit Lebererkrankung identisches Symptomen- 
bild hervorrief, während die Leber selbst beinahe frei von jeder 
Art zirrhotischer Veränderung war. Das Symptomenbild dieser 
beiden Fälle, die nicht operiert wurden und allmählich tödlich ende¬ 
ten, ist ähnlich dem von Hayeffi unter dem Namen „chronischer, 
infektiöser, mit Lebervergrösserung verbundener Ikterus" beschrie¬ 
benen (Milzvergrösserung, Ikterus, Anämie). Die Frage der Opera¬ 
tion kommt in solchen Fällen stets in Betracht, sollte aber erst 
nach genau festgestellter Diagnose (Blut-, Stoffwechselunter¬ 
suchungen usf.) entschieden werden, da die Milzexstirpation nur bei 
ganz bestimmten Fällen indiziert ist, bei Leukämie, Lymphadenitis 
usf. aber ganz klägliche Resultate liefert. 

Michel Mar morst ein-Odessa: Beitrag zum Studium des 
Pankreaskarzinoms und der Leberdegeneration Im Verlauf des letz¬ 
teren. (Ibidem.) 

In beiden Fällen von Pankreaskarzinom, welche M. beobachtete, 
war das klinische Bild besonders ausgezeichnet durch das Vorwiegen 
einer hartnäckigen Lumbalneuralgie und in dem einen der Fälle liess 
sich sowohl die Fettentartung der Leber wie das Uebergreifen des 
karzinomatösen Prozesses auf den Psoas feststellen. M. kommt 
daher zu folgenden Schlussfolgerungen. Im Verlaufe des mit völliger 
Zerstörung des normalen Gewebes einhergehenden Pankreaskarzi¬ 
noms kann man nach einer Grössenzunahme eine beträchtliche Atro¬ 
phie der Leber, die auf Degeneration des Leberparenchyms beruht, 
konstatieren. Diese Leberentartung ist auf toxische Produkte, welche 
durch die Vena portarum eintreten, zurückzuführen. Neben einer 
Neuralgie des Coeliacus findet man auch eine Pseudoneuralgie des 
Plexus lumbalis, welche durch Uebergreifen der krebsigen Erkran¬ 
kung auf den Psoas entsteht. Der Umstand, dass trotz völliger Zer¬ 
störung des normalen Gewebes kein Zucker im Urin vorhanden ist, 
lässt annehmen, dass es andere Wege, andere Organe gibt, welche 
die Eigenschaft haben, ein glykolytisches Ferment zu bilden. 

E. Sacquepöe: Die paratyphoiden Infektionen. (Ibidem.) 

Kurz zusammengefasst bezeichnet man unter diesem Namen 
Krankheiten, welche durch die Paratyphusbazillen, A und B, hervor¬ 
gerufen werden; diese Mikroorganismen sind beide verschieden vom 
E b e r t h sehen Bazillus und vom Bacillus coli, während ihre Ver¬ 
wandtschaftsbeziehungen mit verschiedenen Erregern alimentärer 
Intoxikation sehr nahe, aber noch wenig genau definierte sind. Das 
gewöhnliche klinische Bild ist das des Typhus mittleren Grades, 
mit einigen kleinen Variationen, die für den einen und anderen 
Typus (A oder B) etwas verschieden, aber immer ungenügend sind, 
um dem praktischen Arzte eine sichere Diagnose zu ermöglichen. 
Die paratyphoiden Infektionen nehmen oft auch das gewöhnliche 
Aussehen einer gastrischen Erkrankung an. Die Diagnose kann nur 
vermittels bakteriologischer Untersuchung (Reinkultur aus dem 
Blute) gestellt werden; die anderen Methoden (Untersuchung der 
Stühle, Agglutination) sind viel trügerischer und ihre Resultate dür¬ 
fen nur mit grosser Vorsicht und Reserve verwandt werden. 

Maurice Patel: Slgmoldltis und Perisigmoiditis, einfache ent¬ 
zündliche Erkrankungen des S romanum. (Revue de Chirurgie, Okto¬ 
ber und Dezember 1907.) 

P. unterscheidet hiemit zwei Hauptkategorien einfach entzünd¬ 
licher Erkrankung des S romanum. Die Sigmoiditis ist charakteri¬ 
siert durch Veränderungen, welche innerhalb des S romanum bleiben; 
sie kann dreierlei Art sein: eine akute, nicht eitrige oder chronische. 
Die Perisigmoiditis zeichnet sich durch Veränderungen aus, welche 
vom Innern des S romanum ausgehen und sich dann in dessen 
äusserer Umgebung weiter verbreiten; es kann auch hier eine eitrige 
(mehr akute) und eine chronische, nicht eitrige Form unterschieden 
werden. Zum grossen Unterschied von der Appendizitis kommt die 
Sigmoiditis beinahe in jedem Alter vor, das weibliche Geschlecht, 
besonders zur Zeit des Puerperiums, scheint mehr dazu disponiert 
zu sein. Prädisponierende Ursachen bilden ferner habituelle Obsti¬ 
pation, allzu starker Gebrauch der Abführmittel. Eingeweidewürmer 
und auch die anatomische Disposition, wie die physiologische Rolle 
des S romanum und in demselben vorhandene Divertikel. Die Dia¬ 
gnose der Sigmoiditis erfordert in erster Linie, dass man überhaupt 
an diese Affektion denkt; die Hauptsymptome sind heftiger, fixer 


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1710 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. Ä>. 


Schmerz an der linken Seite, plötzlicher Beginn und deutliche 
Schwellung an der schmerzhaften Stelle, zuweilen Erbrechen und 
Schüttelfrost in ganz akuten Füllen. Bei der physikalischen Unter¬ 
suchung konstatiert man, dass der Unterleib meteoristisch auf- 
getrieben, unbeweglich ist, die Palpation ergibt eine vhiiuse Re¬ 
sistenz an der linken unteren Bauchseite (etwa 4 Finger unterhalb 
und ausserhalb des Nabels), die Perkussion absolute I kimpfuug im 
Bereich der Schwellung. Immerhin können bei vorhandener Eite¬ 
rung je nach dem Sitz des Abszesses die physikalischen Zeichen 
verschieden sein, die Reaktion von seiten des Bauchfells ist zwar 
stets eine sehr ausgeprägte. Ebenso verschieden w ie der Sitz ist 
der Verlauf der eitrigen Fälle: selten resorbiert sich der Eiter, meist 
bricht er nach dem Darm (häufig), nach aussen, ins Peritoneum oder 
(selten) in die Blase durch. Komplikationen sind relativ selten, es 
ist nur von einer linksseitigen Phlebitis bis jetzt berichtet woideii. 
Die chronische Sigmoiditis kann auf die akute iolgen, ihr Ver¬ 
lauf ist jener der Enterocolitis muco-membranacea, d. h. von beinahe 
unbestimmbarer Art, so dass zuweilen die Diagnose Schwierigkeiten 
macht. Bei der chronischen Perisigmoiditis sind die 
Symptome nahezu dieselben, wie bei der vorhergehenden, die linke 
Fossa iliaca scheint vielleicht hiebei von Anfang an noch mehr aiii- 
ziert, der Schmerz mehr lokalisiert und die Zeichen von spastischer 
Obstruktion noch ausgeprägter zu sein. Die e n t z ii n d I i c he Ste¬ 
nose der Schleimhaut scheint das Endstadium der Sigmoiditis und 
besonders der Perisigmoiditis zu sein, mag es sich hiebei um akute 
oder chronische Entwicklung handeln: klinisch unterscheidet sich 
das Bild in keiner Weise von irgend einer Stenose des S romanum. 
Die Rolle des Divertikel scheint aber auch bei der Entstehung dieser 
entzündlichen Verengerungen eine bedeutende zu sein. Diffe¬ 
rentialdiagnostisch kommen bei der chronischen Sigmoi¬ 
ditis besonders das Karzinom des S romanum. aber auch Aktmo- 
mykosis u. a. m. in Betracht. Bezüglich der B e h a n d I u n g 
kommen bei der akuten, nicht eitrigen Form Eis und Opium. Rizinus¬ 
öl erst am 3. oder 4. Tag in Betracht, bei vorhandener Eiterung ist 
operativer Eingriff angezeigt. Bei der subakuten Perisigmoiditis, 
ebenso bei den chronischen Formen ist die Behandlung in erster 
Linie eine medikamentöse, nur bei ausgesprochener Obstruktion, all¬ 
gemeiner Peritonitis und Erscheinungen von Darmruptur käme 
wiederum Operation in Erwägung. Der ausführlichen Arbeit schliesst 
sich die Zusammenstellung der Literatur und der aus derselben ge¬ 
sammelten 70 Fälle an. 

Massabu au-Montpellier: Die histologische Struktur und der 
embryonale Ursprung der Mischtumoren der Speicheldrüsen. 

(Ibidem.) 

Im Anschluss an 6 selbst beobachtete und histologisch genau 
untersuchte Fälle, welche die Parotis, die (llandiila submaxillaris, 
den Gaumenbogen betrafen, stellt Verfasser eine Reihe von Be¬ 
trachtungen über diese Mischgeschwülste an und kommt zu folgen¬ 
den Ergebnissen. Die Mischgeschwülste der Speicheldrüsen werden 
von zweierlei (lewebsarten: Bindegewebe und Epithel, zusammen¬ 
gesetzt. Letzteres hat wiederum 2 verschiedene Formen: Platten- 
und reines Drüsenepithel, die an manchen Stellen sich vermischen 
und decken. Wenn man die Beziehungen des polymorphen Binde- 
gewebsstroma mit den Epithclmassen genau untersucht, so kon¬ 
statiert man, dass zwischen beiden (lewebsarten keine Kontinuität, 
sondern einfache Kontiguitüt, wenn auch innig verbunden, besteht. 
Weder die epithelio-glandulüre noch die endotheliale Theorie können 
die histologische Struktur dieser Mischtumoren erklären, sondern 
nur jene Theorie, welche deren Entwicklung auf Kosten der Ekto- 
Mesodermreste des zur Bildung dieser Drüsen selbst bestimmten 
embryonalen Keimes annimmt. Mit dieser Theorie wird ebenso die 
Neubildung von Plattenepithel wie von normalem Drüsen- oder 
adenomatösem Epithel verständlich. Der Arbeit sind eine Anzahl 
Abbildungen zur Erklärung der histologischen Einzelheiten bei¬ 
gegeben. 

Maurice B o u r c a r t - Genf: Der vergleichende Wert der ver¬ 
schiedenen Operationen bei der Retroverslo oder Retroflexlo uterl. 

(Annales de gynecologie et d’obstetriquc, Dezember 1907). 

In dieser allgemeinen vergleichenden Uebersicht, wobei die zahl¬ 
reichen gegen die Riickwärtslagcrung der Gebärmutter empfohlenen 
Operationen einer kritischen Besprechung unterzogen werden, führt 
Verfasser aus, dass die noch häufig vorkommenden schlechten Resul¬ 
tate darauf beruhen, dass viele Operateure nur den rein anatomi¬ 
schen Gesichtspunkt und viel zu wenig den Allgemeinzustand und 
die früheren Leiden berücksichtigen. Wenn die Operation nicht nur 
genau nach der S c h u 11 z e sehen Vorschrift ausgeführt w ird, son¬ 
dern nach den durch den Allgemeinzustand verlangten Bedingungen 
und den Gesetzen des intraabdominalen Gleichgewichts, so werden 
die Resultate viel befriedigender sein und das würde die Indikationen 
der Operation erweitern und nicht mehr notig machen, abzuwarten, 
bis sich durch die Verlagerung schwere lokale oder Allgemein¬ 
störungen entw ickelt haben. Die moderne A I C x a n d e r s c h e 
Operation eignet sich vorzüglich für junge Frauen, die noch 
Kinder haben können, und junge Mädchen, bei denen ernstere Arten 
von Verlagerung vorhanden sind; auf dem vaginalen Weg konnte 
man die erkrankten Organe (Thromben und Ovarien) erreichen, 
wenn die Verwachsungen gleich Null oder relativ geringfügig sind. 


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Die V e n t r o t i x a t i o n hingegen verdient den Vorzug bei Frauen, 
die in der Menopause sich beieits heimden oder durch eine not¬ 
wendige Operation steril geworden sind; die beste Methode der 
Yentrotixalion w ird von den l mMandeii abtmngen und soiite d.e 
Möglichkeit von Komplikationen, wie /. B. Dar m\c i w achMingeii oj-, r 
Einschnürungen, berücksichtigen. Die V a g i n ! i \ a t i *• u vü 
eine Ausnahmeoperation oder den kimstktn des Messers überlass, a 
sein, die mit Absicht sich >chw leiigkeiteii sjia':e:i. 

E. E o r g u e und II. Roger- Montpe.nei : Die chirurgische 
Intervention bei der nekrotisierenden S> philis des Schädeldaches. 
(Arcluves provinctalcs de Chirurgie. Dezember 1 '* s i 

Verfasser hatten Gelegenheit, m ä 1 allen \oii ausgehrcite-ter 
svphilitischer Nekrose des >chadei<laches Operationen \o«t smTener 
Ausdehnung vornehmen zu müssen in einem der I .d.e uu lawty 
die Kramektomie beinahe die ganze Knoehenlmiie und s :L - 

sehhessen aus diesen erfolgreich operierten I a.ieii. dass zu oft d.e 
()steos\ plnlorne des >chadels vier meJik.muntosui lUhau.'.in.g 
allem überlassen w erden, der dmtirgische I tngr m derseben "I! zu 
spat oder m zu gelinget Aus U hmmg \ or gemutum n und und last 
alle Ins jetzt vcrotieutlkIlten balle einfache >equestrot. .not n. di\ vdi 
aui Abtragung frei beweglicher oder lekht enlk r nburcr . ikle... 
t iscli.gr Eragmente beziehen, i'etreften. \ er lasser besprechen ind: 
des näheren die Indikationen vier ()pt r atmiu n ie nach dem Grade 
vier S\ phllltisellell Elkrailkllllg. vlie Resultate der Operation und deren 
Technik. Die Antisepsis vier \ er bamle muss der i uvenst.-.'id g-oss- 
ter Sorgfalt sein und die bestell Ei lahm:.gen bezu K .kh \v:r uoi:y 
septischer Komplikationen haben I. und R. n.it <iaze. w o«.:;e mit 
antiseplischer \ aseim durchtrankt ist i\.ist,in Ree üs-i er gi:es i ge¬ 
macht. Nach dem Eingriff muss die spi / i! sJu 1 herapie ui/wtl.* gt 
fortgeset/t w erden, da sonst neuerdings I rvliqiuingen autt'e'Te n. 
Die Knoeliv ns\ philis bet.nlt selten die >J»ade basis g'r.c- kKer- 
WeiseWeise, da es hiebei sehr /weileihalt w.re. m Wem* er W eme 
ein chirurgischer Eingriff \ orzmiehmeii ist; troi/.;i:ii konnte n an 
m dem balle, wo ein nekrotisches und bewegliches >b.kk, z. B. \ o-t 
Osteitis vles Spheiioidale vor handelt wäre, dasse.be aut retropha: \ rv- 
jg ea I e m Wege entfernt w erde n. Ist vlie k ink iuiiv' k < aukung aut das 
I elsenbem ovler vlen W .if/enio» ts.itz lokalisu. it. so kommt die spe¬ 
zielle bei diesem Knochen an/uw endende ledimk in Betracht. In 
dem Falle \'>n Bari v, wo ein operativer I ngnii /iirt.*kgew lesen 
wurde, trat vier 1 od durch Thromb -piiielntis des >inus iaieraus ein. 
Literaturverzeichnis und einige «G Abbildungen zur I . u s t r ie r mig 
der operieTteii balle. 

B r e t o n - Dijon ; Eine Influen/acpldemie bei Kindern. 'Re\u, 
mensiielle des maladies ile l'eiitaru e. Novni.t i i 1 •>< s.) 

B. hatte < ielegenheit. eilte sehr grosse \ • • /. t:. 1 \ mt Inütien/a - 
fällen, die im Laute vles Winters Inno 1 >7 \m'Eit.> ii. zu beobach¬ 

ten; zwei Drittel eler I aiie betiaien via bei h tnder ie dv u Alters, und 
zwar schon vom dritten Lehensmonate an bis zu 14 Jahren. Trotz 
aller Nachforschungen war es nicht möglich. bei vier Imnien/a ein 
Stadium der Inkubation festzuste Ken. Die Zaimm mmg spielt eine 
pradispnuiereikle Rolle, daher ehe liaiüukeit vier < r ip:»e t'ei den 
kleinen Kmvlern zur Zeit der Dentition. \oii den n<• k.iüern hatten 
ein I mI einfache Influenza, ein aiulei er Komp.ikat; neu. wie f e- 
sonders Bronchopneumonie, Lvtnphademns, Angma. Der Verlaut 
war in vielen ballen ein ;*horti\cr. ui anderen. Wo besonders |.up. 
roiiren- und Limgenkomphkatuneu vorhanden wäre 1 ', trat vke Hei¬ 
lung kaum m dn 3H l agen ein, erfolgte aber Sc'mess.kh m sämt¬ 
lichen behandelten <H 0 ) ballen. Die I herapie umiasste a ge me ne 
und für teilen lall augepasste Indikationen; in Zeiten \ori f m \ v 
sinvl Isolierung der Kranken mul sogar vier Re kom \ s/e me m Des. 
infekimn vier Krankenzimmer tisw. angezeigt. Man muss c.- ,.t 
den ersten Ausgang überwachen; die gegen die Lungern.- >r..\ ■■ ■* a- 
tionen anzuwymleiuieii Mitte! sind die gebräuchlichen. wie ivikik- 
Wkkel. Seiilpapier. Von vlen inneren Mitteln schien e;u einziges. 
Guaiakolphosphit in vier Dosis von 0,15 n.5 pro lag. zügle uh aut 

Lunge und Temperatur zu wirken, «legen ehe Magi "sp.mngen hat 
die Wasserehat Wunder gewirkt: das Erbrcehy.it \ e: s v Lw mdet rasch 
ovler bessert sich m kurzem, (legen vlie I >t isenscbw cKuege U gd't 
rohes Knochenmark, m vier I >osis \,.n 15 d5 g lange Zeit b>rt- 
gegebeu. vorzügliche Resultate und sollte in ausgede iintern Masse 
angewamlt werden. 

(i u i n o u mul V i e I I i a r d : Die schmerzhaften Darmanlallc Im 
Verlaufe der Purpura im Kindesalter. •Revue n envu de des um.a- 
dies de I cnfaiicc. Dezember l'X'7 ) 

Diese schmerzhaften Darmaiiiude kommen Ksonders bei Kindern 
im Alter von S 15 Jahren, bei iimgeu I ernten und üeuropatbischeu 
Individuen vor. Der Verlaui ist gew ohuikh .kr. dass piotzlkh vlie 
kleinen Patienten, die seit einigen lagen >ch:ner/en m der Um¬ 
gebung der Gelenke, besonders der Unte'evfcmitaten. und -g'.e.ch- 
zeitig in deren Nachbarschaft Hedem ur\! k vme rote-, et" a in;s L u- 
grosse blecken haben, von aussiroukm g 'i>. ttigen. k" mrigvii 
L e i b s c h m e r z e n ergriifeu werden; se nr f .• ! tritt w iedt -''.es 
Erbrechen, zuerst mit Blut, viaun nur < i.o e geur.s^ht. aut m. I 
schliesslich vliarrlmischc. blutig g e i a r b *. e >* b i e. \m n.ich- 
Sten lag ist der Anfall vorüber, aber wa ; '-:.j - \. iv bt bat s u 

eine Eruption liischer Uiirtün afie.cken eine«, sp. :it. V*. der \u- 

fälle befinden sich die l’aticntcn in cuiem seb.r ,.u«. regten. 


OriginBl from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





)L August 1903. 


• MUENCHENEfe MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ruhigen Zustande, werfen sich hin und her usw. Bei der Unter¬ 
suchung des Leibes findet man zweierlei verschiedene Zustände: 
entweder er ist stark eingezogen, die Bauchwand unbeweglich, resi¬ 
stent oder — was weniger häufig der Eall ist — es besteht mehr 
weniger ausgesprochener Meteorismus. Die Temperatur ist oft nor¬ 
mal oder nur in geringem Masse erhöht. Die ganze Dauer des 
schmerzhaften Anfalls wechselt von einigen Stunden bis zu 1 bis 
2 Tagen; selten bleiben sie aui einen beschränkt, sondern es stellen 
sich nach Tagen oder auch mehreren Wochen immer wieder neue 
Anfälle ein, die meist mit Purpura, Gelenkschmerzen, blutigem Er¬ 
brechen koinzidieren. In der Zeit zwischen den Anfällen ist das 
Allgemeinbefinden ein ziemlich gutes, mit Ausnahme der zuweilen 
beträchtlichen Abmagerung. Zur Diagnose genügt meist nur eine 
geringe Spur des Ausschlages. An Komplikationen wurde, wenn 
auch nur in wenigen Fällen, Darminvagination und hä¬ 
morrhagische Nephritis beobachtet. Mit Ausnahme dieser 
Zufälle bieten diese schmerzhaften Krisen der Purpura rheumatica 
eine relativ gute Prognose. Was die Pathogenese dieser An¬ 
fälle betrifft, so neigen Verfasser von den 2 Haupttheorien (Bildung 
blutiger Ergüsse in Darm und Peritoneum und rein nervöser Ur¬ 
sprung) mehr der letzteren zu. Was die Behandlung betrifft, 
so genügen gegen die leichten Formen feuchtwarme Wickelungen, bei 
schwereren muss man zu Morphiuminjektionen (0,1 :20,0, 2 Tropfen 
pro Lebensjahr) greifen; gegen die hämorrhagische Erkrankung hat 
Chlorkalzium (1,0—2,5 g pro Tag) keine konstanten Erfolge gegeben, 
vielmehr jedoch gepulverte Schweinsleber (5 g) oder noch besser 
dieselbe in Natur (50 g) als Einlauf in physiologischer Kochsalzlösung. 
Vielleicht könnte man, wie Verfasser schliesslich meinen, subkutane 
oder intravenöse Injektionen normalen oder antitoxischen Serums 
anwenden. Anführung der (5) selbst beobachteten und (weiteren 11) 
aus der Literatur entnommenen Fälle. 

Osswald Goebel: Prophylaktische und Heilwirkung des Men- 
schenbtutserums bei der Trypanosomeninfektlon Nagana. (Annales 
de l'institut Pasteur, November 1908.) 

Das vom Menschen stammende Blutserum besitzt, wie La- 
v e r a n und M e s n i 1 zuerst erkannt haben, eine gewisse präventive 
und eine beschränkte heilende Wirkung gegen die Trypanosomen¬ 
infektion der Mäuse. Nach den neuerlich eingehenden Unter¬ 
suchungen G o e b e 1 s aus dem hygienischen Institut der Universität 
Gent hat dieses Blutserum dieselbe prophylaktische* Wirkung gegen 
die Infektion des Meerschweinchens mit diesem Parasiten, aber es 
sind dazu gewisse Bedingungen, wie längerer Kontakt der Para¬ 
siten mit dem Serum bei Brutofentemperatur, Injektion der Mischung 
unter die Haut usf. nötig. Das vom Menschen stammende Blut¬ 
serum, bei 37° mit den Trypanosomen verrieben, verliert weder seine 
prophylaktische noch Heilwirkung, es verliert aber erstere, wenn 
es auf etwa 64° erhitzt und wenn es mit einem Alkali behandelt 
worden ist; es behält seine Eigenschaften, nachdem es mit Hefe in 
Berührung gebracht wurde. Die präventive Substanz verhält sich 
wie eine Globuline, sie wird mit gesättigtem Magnesiumsulfat prä- 
zipitiert. Die prophylaktische und Heilwirkung des vom Menschen 
stammenden Serums ist nicht auf einen Mechanismus, der jenem 
der hämolytischen Sera durch Zuhilfenahme einer Alexine- und einer 
sensibilatorischen Substanz entspricht, zurückzuführen. Der Verlust 
seiner Eigenschaften durch Erhitzung, durch Einwirkung von Al¬ 
kalis usf. kann anders als durch eine Alexinzerstörung erklärt wer¬ 
den. Das Menschenserum zeigt keinerlei opsonische oder zyto- 
tropische Wirkung gegenüber den Trypanosomen, jedenfalls modi¬ 
fiziert es nicht in der Weise die Parasiten, um daraus eine leichte 
Beute für die Leukozyten zu machen. 

Cazalbou: Beitrag zum Studium der Trypanosomenerkran- 
kung Westafrikas. (Ibidem.) 

Die in den letzten Jahren unternommenen Forschungen in West¬ 
afrika ebenso wie die Arbeiten Laverans aus dem Institut Pa¬ 
steur haben gezeigt, dass die durch die Trypanosomen bewirkten 
Krankheiten die erste Stelle in den nosologischen Reihen dieser aus¬ 
gedehnten Landflächen einnehmen. Die Untersuchungen, welche C. 
vor allem bezüglich Veränderung der Virulenz an Tieren mit 3 Arten 
von Trypanosomen vornahm, ergaben folgende Hauptschlüsse. Die 
aus der endemischen Zone stammenden Hunde boten im Krankheits¬ 
verlaufe eine chronische Entwicklung, dieselbe ist jedoch eine akute 
bei Tieren derselben Art, welche aus wahrscheinlich krankheits¬ 
freien Gegenden stammten, wenn man ihnen Gift, das im Augen¬ 
blick des Todes entnommen wurde, injiziert. Trypanosoma dimor- 
phon, welches in Gambien und Guinea existiert, kann im ganzen 
oberen Teil des Niger, vielleicht bis Timbuktu, angetroffen werden, 
aber es dürfte im Wüstenteil (Sahara) dieses Flusses sehr selten 
sein, Trypanosoma Evansi und Trypanosoma sudanense sind letz¬ 
terer und der Suaheligegend eigentümlich. Obige Tatsachen könnte 
man mit der Beobachtung erklären, dass die Hunde durch Genuss 
von Toxinen, die in den Leichenabfällen der Haustiere (Dromedare, 
Herde) eingeschlossen sind, in der endemischen Zone dem Immuni¬ 
tätszustande sich nähern und in den epidemiefreien Gegenden ihre 
ganze Empfindlichkeit für das Virus bewahren. Die Virulenz ver¬ 
stärkt sich durch eine Reihe von Ueberimpfungen bei derselben Art 
(Ratte, Hund), unter der Bedingung, dass diese mit Blut, welches im 
Augenblick des Todes entnommen wird, ausgeführt werden. 


M e s n i 1 und N i c o 11 e: Behandlung der experimentellen In¬ 
fektionen mit Trypanosoma gambiense, Spätresultate. (Annales de 
l’institut Pasteur, Dezember 1908.) 

Auch die Spätresultate, d. h. bei den nach 1—2 Jahren wieder 
kontrollierten Tieren, Ratten, besonders aber den (12) geimpften 
Affen, ergaben die völlige Heilung mit Atoxyl, wie es sich auch bei 
den Frühresultaten gezeigt hatte. 

A. Calmette und L. Masso 1: Die Beziehungen zwischen 
dem Kobragift und seinem Antitoxin. (Ibidem.) 

Trotz der zahlreichen wichtigen Arbeiten, welche im Laufe der 
letzten Jahre über die Beziehungen zwischen Toxinen und Anti¬ 
toxinen veröffentlicht worden sind, ist bis jetzt noch nicht genau 
ermittelt worden, ob sich bei der Mischung beider Stoffe eine 
neue chemische Substanz bildet, deren Eigenschaften von jenen 
seiner Komponenten ganz verschieden sind oder ob die letzteren, 
einfach einander beigesellt, ihre speziellen Charaktere bewahren. 
Verfasser fanden nun bei ihren vorliegenden Untersuchungen, dass 
ersteres der Fall ist und dass man die Hypothese einer dissoziablen 
Kombination zwischen Toxin und Antitoxin annehmen muss. Von 
allen toxischen Eiweisskörpern, welche imstande sind, Antikörper 
zu bilden, schienen die Schlangengifte am geeignetsten zur Lösung 
des vorliegenden Problems. Die toxische Substanz des Kobragiftes 
ist löslich in Flüssigkeiten, die mit 50—80 Proz. Alkohol titriert sind, 
in Gegenwart des Antitoxins hingegen beginnt das Gift in 50 proz. 
Alkohol unlöslich zu werden und die Unlöslichkeit wird bei 64 Proz. 
eine beinahe vollständige. Das Antitoxin allein ist in Alkohol un¬ 
löslich und wird nach kurzer Berührung von diesem zerstört. Die 
toxische Substanz des Kobragiftes wird durch Erhitzen bei 76—80" 
nicht koaguliert, das Antitoxin wird bei 68° zerstört. In Gegenwart 
von Aethylalkohol (50 proz.) und von freien Mineral- oder organischen 
Säuren kann die ungiftige Verbindung: Serum + Gift bei Labora¬ 
toriumstemperatur aufgelöst werden: das Antitoxin ist nach 10—15 
Minuten genügend modifiziert, dass es möglich ist, wenigstens zum 
Teile die primäre atoxische Verbindung wiederherzustellen, das Gift 
ist durch das Antitoxin nicht zerstört und man kann es quantitativ 
fast völlig wieder finden. Die ungiftige Verbindung Serum T* Gift 
besitzt also Eigenschaften, die ganz verschieden von jenen seiner 
Komponenten sind. 

J. G. Sleeswijk-Leyden: Beitrag zum Studium der Opso¬ 
nine. (Ibidem.) 

Wenn man sich die Zusammensetzung und Wirkungsweise der 
Opsonine im allgemeinen vorstellen will, so dünkt es Verfasser ge¬ 
mäss seinen Untersuchungen, dass man sehr wohl der figürlichen 
Sprache E h r 1 i c h s sich bedienen kann: Das Opsonin ist eine Sub¬ 
stanz mit 2 Gruppen: eine, die bakteriophile Gruppe, mit einer spe¬ 
zifischen Affinität versehen, heftet sich an den Mikroorganismus und 
gerade durch diese Fixation wird die andere, die phagozytophile 
Gruppe in Tätigkeit gesetzt, der Phagozyt wird angezogen und kann 
seine Arbeit verrichten. S. fand ferner bei seinen Untersuchungen 
mit Froschserum und Milzbrandbazillen, dass in ersterem eine Sub¬ 
stanz, welche die Milzbrandbazillen zur Phagozytose vorbereitet 
(Opsonin) und eine Substanz, welche die Milzbrandbazillen agglu- 
tinieren lässt, vorhanden sind; erstere wird bei 56° Hitze, letztere 
erst bei 70 0 zerstört. Das Opsonin fixiert sich in gleicher Weise aui 
die virulenten und die toten Bazillen, aber nicht auf einen indifferenten 
Körper, wie Karminpulver. Die Lymphe des Lymphsackes und das 
peritoneale Exsudat haben opsonische Wirkung wie das Serum. Man 
kann die Phagozyten des Frosches ihrer phagozytären Wirkung be¬ 
rauben, indem man sie zweimal 5 Minuten lang mit gewöhnlicher 
physiologischer Kochsalzlösung oder mit wässerigem Rindssaft 
wäscht; durch frisches Froschserum können die Phagozyten wieder 
ihre Wirkung erhalten, während das erhitzte Serum sie indifferent 
lässt. 

Belonovsky: Einfluss des Milchferments auf die Darm¬ 
bakterien der Mäuse. (Ibidem.) 

In vorliegender Arbeit wird der Versuch gemacht, experimentell 
die Wirkungsart des speziellen, unter dem Namen Yoghurt in Bul¬ 
garien und Rumänien bekannten Milchfermentes festzustellen. B. 
fand, dass dieses Ferment die Zahl der Bakterien im Darm der 
Mäuse vermindert, deren Fähigkeit, Fäulnis zu bilden, herabsetzt und’ 
die Exkremente weniger virulent macht. Die Wirkung des Fer¬ 
ments kann nicht ausschliesslich auf die Bildung von Milchsäure zu¬ 
rückgeführt werden, sondern die von den Bakterien des Ferments 
sezernierten Substanzen spielen dabei ebenfalls eine bedeutende 
Rolle. Das Ferment akklimatisiert sich nach einer gewissen Zeit 
(10 Tage für ausgewachsene Mäuse). Hat man aufgehört, es weiter 
zu geben, so verbleibt es im Darm noch mehr weniger lange Zeit 
(bis zu 6 Wochen). In weiteren Tierversuchen hat B. die heilsame 
Wirkung des Bulgarenfermentes auf einige Darmerkrankungen fest-, 
gestellt. Stern. 

Inauguraldissertationen. 

Stäbchen zellen bei progressiver Paralyse. 
Von Margarete D u p r 6. Freiburg i. Br. 1908. 31 S. 

Bei der progressiven Paralyse findet sich regelmässig eine Zell¬ 
art, die auf Grund ihrer Gestalt von Nissl Stäbchen zellen 


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No. 32. 


genannt wurden. Nach Nissl und Alzheimer sind sie mesoder¬ 
malen Ursprunges, nach CerlettiundSträussler sind es Glia- 
elemente. Ihre Bedeutung ist noch unbekannt. Cerletti schreibt 
ihnen phagozytäre Eigenschaften zu. Ihre Verteilung in der Gross- 
hirnrinde erfolgt nach demselben Gesetze, das von Nissl über die 
Topographie des paralytischen Prozesses aufgestellt worden ist: die 
Hauptmenge der Zellen tritt in Frontal- und Zentralwindungen auf, 
geringere Mengen im Temporal- und Okzipitallappen. Eine grössere 
Ansammlung von Zellen ist in der Schicht der grossen Pyramiden¬ 
zellen und eine geringere in den äussersten Randpartien. In den 
Randteilen der Rinde zeigen die Zellen keine bestimmte Richtung, je 
näher die grossen Pyramidenzellen liegen, umso regelmässiger liegen 
die Zellen. In der dritten bis fünften Reihe der grossen Pyraniiden- 
zellen liegen sie parallel dem Achsenzylinderfortsatz. Im Marke 
liegen sie wieder unregelmässig. Die Grösse und Form ist wechselnd. 
Es scheinen aber fast immer die grössten Zellen im Gebiete der 
grossen Pyramidenzellen zu liegen. Nach dem Marke und der Rand¬ 
zone zu finden sich die kleineren Formen. Einer starken Beteiligung 
der Adventitia scheint zahlreiches Vorkommen von Stäbchenzellen 
parallel zu gehen. Oft findet sich Uebereinstimmung im Bau der 
Adventitialzellen und der Stäbchenzellen. Bildung'von Stäbchenzellen 
scheint unabhängig zu sein von starker Intimawucherung und Nei¬ 
gung zu Gefässsprossbildung. Infiltration der Gefässscheiden ist auch 
ohne Einfluss. Da die Stäbchenzellen hauptsächlich bei 
der progressiven Paralyse Vorkommen, kann ihr Vor¬ 
handensein dazu dienen, die Annahme zu unterstützen, dass pro¬ 
gressive Paralyse vorliegt. Fritz L o e b. 

Alexander Avsarkissoff stellt auf Grund seiner patho¬ 
logisch-anatomischen Studien zur Genese der 
Coryza syphilitica folgende Thesen auf: Die Bindegewebs¬ 
wucherung in der Nasenschleimhaut bei Coryza syphilitica ist bedingt 
durch die Anwesenheit von Spirochäten. Die Vermehrung des Binde¬ 
gewebes in der Nasenschleimhaut bei Koryza kann als Heilungsvor¬ 
gang angesehen werden. (Berlin, 1908, 30 S.) Fritz L o e b. 

Neu erschienene Dissertationen. 

Universität Berlin. Juli 1908. 

Nathansohn Joseph-Girscha: Ueber die Methoden und Resultate 
der operativen Behandlung des Kryptorchismus. 

Funk Otto: Ueber die Richtung des Bauchschnittes bei der Laparo¬ 
tomie. 

Br au de Isaak: Elephantiasis der unteren Extremitäten. 
Schweikert Alexander: Ein Beitrag zur Kenntnis der melano- 
tischen Geschwülste. 

Wossidlo Erich: Experimentelle Untersuchungen über Verände¬ 
rungen der Nissl sehen Granula bei der Lumbalanästhesie. 
Janulaitis Veronika: Ueber die Tarsalfollikel beim Trachom. 
Sandberg Jakob: Ueber einen Fall von angeborenem partiellen 
Riesenwuchs. 

Wagner Franz: Beitrag zur Frage der kongenitalen Hüftgelcnks- 
verrenkungen und deren Behandlung. 

Universität Erlangen. März-Juli 1905. 

Holzinger Joseph: Ueber Assoziationsversuche bei Epileptikern. 
Lotthammer Hans: Kraniometrische Bearbeitung der Schädel¬ 
sammlung des Erlanger Anatomischen Institutes. 

Giesen Rudolf: Mit Erfolg operierte Einklemmung einer Hernia 
Treitzii. 

Krempl Alfons: Ueber Patellarfrakturen. 

Hafermann Caspar Egbert: Ein Fall von allgemeiner Argyrie 
durch innerlichen Gebrauch von Höllenstein. 

Nagel Martin: Der physikalische Nachweis vergrössertcr Bronchial- 
und Mediastinaldrüsen. 

Mebert Fritz: Ein Fall von Lupus erythematodes disseminatus acu¬ 
tus (Kaposi). 

Zrenner Bernhard: Ein Fall von traumatischer Hämatomyclic. 
Förster Heinrich: Ueber einen Fall von doppelseitiger kongenitaler 
Zystenniere mit angeborenem Verschluss der Harnröhre. 
Weylandt Ludwig: Ueber interparoxysmale transitorische Sym¬ 
ptome der Epileptiker. 

Universität Freiburg. Juli 1908. 

Harms Christoph: Zur Prophylaxe der Thrombose und Embolie 
im Wochenbett. 

David Erna: Beitrag zur Atmokausis uteri. 

Duprg Margarete: Stäbchenzellen bei progressiver Paralyse. 

Hey mann Hans: Ueber die moderne chirurgische Behandlung der 
diffusen eitrigen Peritonitis. 

Chwiliwizkaja Paulina: Ueber die klinische Stellung der 
Involutionsmelancholie. 

Ter-Mowsisjanz Johannes (Melik Nubarjanz): lieber die 
Enteroptose. 

Langenbach Wilhelm: Implantation der Ureteren ins Rektum. 
Henius Kurt: Ueber die Abhängigkeit der Empfindlichkeit der Netz¬ 
haut von der Flächengrösse des Reizobjektes. 


Auswärtige Briefe. 

Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Zur Eröffnung der zwei neuen Frauenkliniken. — Erhöhung 
der Verpflegungstaxen an den neuen Kliniken. — Eine neue 
Heilstätte für Ltipuskranke. — Reichsorganisation der Heb¬ 
ammen. — Gesetzliche Regelung der Kinderarbeit. — „An 
unsere Frauen." 

Die zwei neuen geburtshilfiiJi-gynäkolugischcn Kliniken, 
welche seit Monaten fertiggestellt waren und mit schwangeren 
resp. kranken Frauen hätten belegt werden können, werden 
nun endlich eröffnet werden, zunächst iur die hilfesuchenden 
Frauen, zu Beginn des Wintersemesters in feierlicher Weise 
auch für die Studenten. Wir haben vor Wochen an dieser 
Stelle die Differenzen in den Anschauungen des L’nterrichts- 
und Finanzministers einerseits und des mederostcrreichischen 
Landesausschusses anderseits bezüglich der Stellung der drit¬ 
ten, sog. Hebammenklinik dargelegt und wollen darauf hin- 
weisen, dass wir es schon damals iur angezeigt hielten, dass 
auch die dritte geburtshilflich-gynakolngische resp. die Heb- 
ammenklinik verstaatlicht wurde. Das ist nunmehr ge¬ 
schehen, die Verhandlungen haben dahin geführt, dass der 
Wiener Krankenanstaltenfonds auch den Betrieb der mit der 
Hcbammenlehranstalt verbundenen dritten (iebarklimk über¬ 
nimmt. Ein zwischen den beiden neuen Frauenkliniken stellen- 
gebliebenes Gebäude wird baulich adaptiert, zwei Flugeitrakte 
werden dazugebaut und so die entsprechenden Raume ge¬ 
schahen für die Installierung vollkommen modern ausgestatte¬ 
ter Kreiss- und Wochnerinnenzmimer, einer gynäkologische» 
Abteilung und der eigentlichen hebammenschule. Die dritte 
Klinik erhält die Bezeichnung „Niederosterreichische Landes¬ 
gebärklinik und k. k. Hebammenlehranstalt". Was die Haupt¬ 
sache anbelangt, weshalb die mehrmo.nailichen Verhandlungen 
zwischen Staat und Land gepflogen wurden die Aufteilung 
des geburtshilflichen Materials - so wurde sie ebenfalls 
in einer für beide Teile befriedigenden Weise vorgenommen; 
die Aufnahmskanzlei wurde schon bei den zwei neuen Frauen¬ 
kliniken eingerichtet. Der Landesausschuss muss schliesslich 
dem Staate dafür, dass ihm der Neubau einer Landesgebar- 
anstalt erspart bleibt, einen vereinbarten Betrag von 
840(XX) Kronen bezahlen. Bisher waren alle drei Gebar- 
kliniken im allgemeinen Krankenhause in der Alserstrasse in¬ 
stalliert; mit dem Auszuge der drei (iebärklmiken wird der 
erste gewichtige Schritt getan, der mit der völligen Nieder¬ 
legung des riesigen Komplexes von Hufen und Gebäuden 
enden wird. 

Die Verpflegstaxen in den öffentlichen Spitalern Wiens 
sollen erhöht und die Eröffnung der zwei neuen Frauenkliniken 
soll mit dieser odiosen Neuerung verknüpft werden. I he all¬ 
gemeine Teuerung, die wachsenden Kosten für Verbandzeug, 
die strenge Durchführung der Antisepsis und die individuali¬ 
sierende Behandlung werden vom Wiener Krankenaiistalten- 
fonds als Gründe für die Erhöhung der Spitalstaxen angeführt. 
Die Kranken der III. Vcrpflegstaxe müssen schon jetzt täglich 
2 K 40 h bezahlen und wenn sie es nicht bezahlen können, so 
wird die Heimatsgemeinde herangezogen resp. werden die 
Krankenkassen für ihre Mitglieder zur Zahlung verpflichtet. 
Als vor einigen Jahren die Taxe der allgemeinen Nerpflegs- 
klasse von 2 K auf 2 K 40 h erhobt wurde, da waren es vor 
allem die sozialdemokratischen Organe, welche sich im Inter¬ 
esse ihrer Krankenkassen dagegen auflehnten; es ist also zu 
erwarten, dass sic gegen die neuerlich geplante Erhöhung der 
Spitalstaxen noch ärger Sturm laufen wer Jen. Die Taxe iur 
die II. und I. Klasse, derzeit schon ö resp. 12 K täglich, soll, 
da die Zahlstöckc jetzt an den neugebauten Kliniken „sana- 
tot iumartig" ausgestaltet wurden, ebenfalls in entsprechender 
Weise erhöht w erden. 

Im heurigen Jahre soll auch mit dem Neubau einer zur 
Aufnahme von (>4 Kranken bestimmten ..Heilstätte für Lupus¬ 
kranke" und eines sich hieran anschliessenden eigenen ..Heim 
für Ltipuskranke“ begonnen werden. Das neue Ltipusspital 
und das „Heim", in welch letzterem die zur ambulatorischen 
Behandlung geeigneten Luposeti Unterkunft finden sollen, wer¬ 
den sieh an das Wilhehninenspital in Ottakring baulich an- 


DiqTUzsc by 


r Go* igle 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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schliessen und von der Verwaltung dieses grossen Spitals 
auch adriiinistriert werden. Die Baukosten von mehr als einer 
halben Milion Kronen sind durch öffentliche Sammlungen auf¬ 
gebracht worden. Hofrat Prof. Dr. Eduard L a n g hat sich um 
das Zustandekommen dieser segensreichen Anstalt bleibende 
Verdienste erworben. 

Die Hebammen haben in Wien und in anderen grossen 
Städten seit Jahren Vereine gegründet, in welchen sie über die 
Besserung ihrer traurigen Existenzverhältnisse Beratungen pflo¬ 
gen* und sich von gefälligen Aerzten über Neuerungen auf 
dem Gebiete der Antiseptik oder der Kinderpflege Vorlesungen 
halten Hessen. Nun haben sie sich zusammengetan und in 
einer grossen, von nahezu 700 Hebammen Wiens und der 
grösseren* Provinzialstädte besuchten Versammlung die Grün¬ 
dung einer Reichsorganisation beschlossen. Die 
Regelung des Honorars für eine Entbindung streben die Heb¬ 
ammen in der Weise an, dass in den Städten, besonders Wien, 
als Massstab der jährliche Mietzins der hilfesüchenden Partei, 
auf dem Lande die Anzahl der Joch Grund, welche die Familie 
besitzt, genommen werden. Das Mindesthonorar für eine Ge¬ 
burt wurde mit 10 Kronen bestimmt, ein Honorar, welches auch 
die Gemeinde Wien für eine sog. Armengeburt bezahlt. Wei¬ 
ters streben die Hebammen an, dass ihr Lehrkurs nicht wie 
bisher nur 6 Monate, sondern ein volles Jahr andauere, wo¬ 
durch sie einerseits besser ausgebildet würden, anderseits der 
Zuzug zu diesem Berufe eingeschränkt werden könnte. In 
ärmeren Familien müssen die Hebammen bei ihren Visiten 
auch die beschmutzte Kinderwäsche waschen. Diese Be¬ 
schäftigung betrachten sie als eine für ihren Beruf unpassende 
und die Reinhaltung ihrer Hände beeinträchtigende, weshalb 
die Reichsorganisation beauftragt wurde, die Hebammen in 
Stadt und Land von dieser Verpflichtung zu entheben*. Die 
Versammlung verlief ernst und friedlich, man wählte einen 
Zentralausschuss, welcher die Aufgabe haben wird, diese und 
noch andere Wünsche und Forderungen der Hebammen an ge¬ 
eigneter Stelle geltend zu machen. 

Der sozialpolitische Ausschuss des Abgeordnetenhauses 
hat den Entwurf eines Gesetzes über die Kinderarbeit 
fertiggestellt, der Entwurf kam jedoch wegen Vertagung des 
Hauses noch nicht zur Beratung. In diesem Gesetze wird unter 
anderem bestimmt: Kinder dürfen nur insoweit zu Erwerbs¬ 
arbeit verwendet werden, als sie dadurch weder in ihrer Ge¬ 
sundheit geschädigt, noch in ihrer geistigen oder körperlichen 
Entwicklung gefährdet oder in der Erfüllung ihrer Schulpflicht 
behindert werden. Die Verwendung der Kinder vor vollende¬ 
tem 12. Lebensjahr ist verboten und nur zu leichteren land¬ 
wirtschaftlichen Arbeiten gestattet; doch dürfen auch in der 
Landwirtschaft Kinder vor vollendetem 10. Lebensjahr zu Er¬ 
werbsarbeit nicht verwendet werden. In weiteren Para¬ 
graphen des Gesetzes werden die Arbeitszeiten und -pausen 
genau geregelt, die Verwendung der Kinder zu bestimmten 
Arbeiten verboten, die Beschäftigung der Kinder bei öffent¬ 
lichen theatralischen Vorstellungen und sonstigen öffentlichen 
Produktionen und Schaustellungen untersagt (Ausnahmen für 
besondere Fälle werden zugelassen), endlich werden scharfe 
Bestimmungen für die Verwendung fremder Kinder (sol¬ 
cher, die nicht zum Familienhaushalt gehören) getroffen. Wer 
solche Kinder verwenden will, hat der politischen Behörde 
genaueste Anzeige zu erstatten und ein Verzeichnis der ver¬ 
wendeten Kinder der Behörde stets bereit zu halten. Hegt 
die Gemeindebehörde oder die von ihr einvernommene Schul¬ 
leitung Zweifel an der körperlichen oder geistigen Eignung des 
Kindes, so ist auf Kosten des Arbeitgebers die ärztliche Unter¬ 
suchung des Kindes zu veranlassen und nur, wenn kein Scha¬ 
den für das Kind zu befürchten ist, dem Arbeitgeber für jedes 
Kind eine besondere Arbeitskarte, die für ein Jahr gilt, aus¬ 
zustellen. Die Verabreichung gebrannter geistiger Getränke 
an Kinder — mögen es eigene oder fremde sein — ist unter¬ 
sagt. Die politischen Behörden sollen die Aufsicht über die 
Einhaltung des Gesetzes haben und Uebertretungen sogar mit 
Arrest, mit Entziehung des Verwendungsrechtes fremder Kin¬ 
der etc. bestrafen. Die Gemeindebehörden, die Schulleitungen 
und die Gewerbeinspektoren haben die Mitaufsicht über die 
Beobachtung des Gesetzes. 

„An unsere Franc n“ betitelt sich eine kleine Schrift, 
welche Belehrungen* und Ermahnungen enthält, herausgegeben 1 


von der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. Auch die Frauen 
sollen zur zielbewussten Bekämpfung weit verbreiteter Volks- 
krankheiten, in erster Linie derjenigen, welche sie selbst und 
ihre Kinder bedrohen, der Geschlechtskrankheiten, heran¬ 
gezogen werden. Sie sollen über das Wesen der ansteckenden 
Geschlechtskrankheiten und über die Folgen derselben auf¬ 
geklärt werden, um rechtzeitig die Hilfe gewissenhafter Aerzte 
in Anspruch nehmen resp. sich und ihre Kinder vor der An¬ 
steckung bewahren zu können. 

Es wird also vorerst das Wesen der Infektion erörtert, 
speziell das Wochenbettfieber, dessen Häufigkeit und Gefähr¬ 
lichkeit. Sodann wird auf die Geschlechtskrankheiten selbst 
eingegangen und der Modus ihrer Uebertragung besprochen. 
„Man schätzt die Zahl der in Wien alljährlich (an Geschlechts¬ 
krankheiten) Erkrankenden auf ca. 7000 Menschen, sie ist aber 
sicher eine viel grössere.“ Die Lues und die Gonorrhöe, die 
Vererblichkeit der Syphilis, die grosse Verbreitung des Trip¬ 
pers, das traurige Schicksal der von den Männern angesteck¬ 
ten Frauen, die wichtigsten Erscheinungen einer Tripper¬ 
erkrankung des Weibes, die Sterilität der Weiber und die Er¬ 
blindung der Neugeborenen infolge gonorrhoischer Affektion, 
die Notwendigkeit sorgsamer Behandlung dieser Leiden, „die 
Mission der wissenden Mutter, die physische und moralische 
Reinheit ihrer Söhne und Töchter zu pflegen und zu schützen“: 
all dies wird eingehend und gemeinverständlich erörtert. „Die 
statistisch erwiesene Tatsache, dass 7—8 Proz. unserer Mittel¬ 
schüler bereits vor Ablegung der Reifeprüfung infiziert sind, 
muss die Eltern mit den schwersten Sorgen erfüllen. Sie zeigt, 
wie gross und stark die Versuchungen sind, die ausserhalb des 
Hauses auf die heranwachsenden Knaben hereinstürmen, sie 
enthüllt den Abgrund von Leichtsinn, Genussucht und Un¬ 
wissenheit, in dem die Jünglinge untertauchen, ahnungslos, 
dass sie dabei ihr Bestes, ihre physische und moralische Ge¬ 
sundheit verlieren“. Es wird die Abstinenz junger Männer vor 
der Ehe, das Eingehen früher Ehen, die Untersuchung der Be¬ 
werber durch einen der Familie vertrauenswürdigen Arzt bei 
Verheiratung einer Tochter etc. etc. gepredigt. „Die wissende 
Frau, das wissende Mädchen übt eine zutreffendere Auswahl 
als die AhnungslQse, die Wahlfremde.“ Dann werden auch die 
Männer nicht mehr jene unehrliche Scham besitzen, das Be¬ 
stehen ansteckender Geschlechtskrankheiten den* Frauen mög¬ 
lichst zu verheimlichen, ihre Ehre wird es ihnen verbieten, 
Gesundheit und Glück eines unberührten Mädchens, der unge¬ 
borenen Kinder auf das Spiel zu setzen. 

Die 20 Quartseiten starke Broschüre ist um den Preis 
von 30 Hellern von der Buchhandlung Wilh. Braumüller 
erhältlich. Sie verdient wahrlich die grösste Verbreitung in 
Frauenkreisen. 


Römische Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

„Folia ginecologica“. — Leonardo GI g 11 t. — Das zm- 
rückgewiesene Gesetz der Professorengehaltsaufbesserung. 

Zu den verschiedenen „Blättern“, die in den letzten Jahren 
in England und Deutschland erschienen sind, gesellt sich nun 
auch ein italienischer Genosse: „Folia ginecologica“ 
geleitet von Prof. Clivio, Direktor der Frauenklinik zu 
Pavia. Vor mir liegt die erste Nummer der Zeitschrift und ich 
kann nur sagen, dass sie, sowohl was Inhalt und Ausstattung, 
als auch Zahl und Wert der Mitarbeiter betrifft, den denkbar 
besten Eindruck macht. Ich bin überzeugt, dass dieses neue 
italienische Periodikum einen ehrenvollen Platz neben den 
anderen „Blättern“ jenseits der Alpen erringen und behaupten 
wird. Die Leiter der meisten gynäkologischen Kliniken zählen 
zu seinen Mitarbeitern und das erste Heft enthält wichtige 
Arbeiten aus der Klinik von Pavia: Ueber Wanderung der 
Darmparasiten bei Aetiologie des Wochenbettfiebers — 
Innervation der Gebärmutter — aus jener von Turin: 
Graduelle und spontane Expulsion des Eies in einer an 
Fibromyom erkrankten und extrahierten Gebärmutter; 
Venedig: Spontangeburt bei engem Becken. Zahlreiche, 
gute Illustrationen sind dem Text beigefügt, Druck, Papier 
und Format sind vorzüglich und elegant. Diese gynäko¬ 
logischen Blätter füllen in Italien eine Lücke aus, denn es fehlte 
bei uns eine gynäkologische Veröffentlichung, die ein wahres 
Archiv für nur originale Arbeiten bildete. Sie erscheinen in 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


zwanglosen Perioden (nicht zu bestimmter Zeit), werden jähr¬ 
lich einen Band von ca. 500 Seiten bilden und kosten in Italien 
10 L, im Ausland 12 L Ich weiss nicht, ob cs in der Absicht 
der Redaktion liegt, nur die italienische Sprache zuzulassen, 
aber ich meine, dass Artikel in anderen Sprachen der Zeit¬ 
schrift einen internationalen Charakter geben würden, der 
nicht ohne Nutzen für die Bildung der Leser und den Fort¬ 
schritt der Wissenschaft wäre. 

Die genannte Nummer enthält auch einen kurzen Nachruf 
für Leonardo Q i g 1 i. Dieser bedeutende Gynäkologe hat 
seinen Namen durch eine Operation verewigt, die in diesen 
letzten Jahren zahlreiche Diskussionen hervorgerufen und sich 
auch das praktische Feld erobert hat, gestützt besonders von 
der Florentiner Schule und vielen Publikationen G i g I i s 
selbst; ich meine den Lateralschnitt des Beckens. Fs ist be¬ 
kannt, dass durch die Anwendung seiner Drahtsäge die Hebo¬ 
steotomien eine grosse Förderung erfahren haben. Gigli 
wurde durch einen Zufall auf die Idee dieser Drahtsäge ge¬ 
bracht, nämlich durch die Beobachtung, wie die Schnur, die 
ein Packet zusammenhielt, in den Finger einschnitt. Fr erhob 
seine Stimme zur Bekämpfung der Symphysiotomie, als diese 
Operation gerade in den italienischen und auswärtigen Kliniken 
ihren Höhepunkt erreicht hatte, indem er auf die häufigen post¬ 
operativen Komplikationen hinwies. Gigli beobachtete, dass 
der Knorpel schlechter heilt als der Knochen und dass die 
Symphyse, die ein Gelenk ist, nicht so gut heilen könne wie 
der Knochen und andererseits auch die Asepsis schwerer zu 
w r ahren sei. Dem tüchtigen, auch in Deutschland hoch- 
geschätzten Forscher, den leider in noch jungen Jahren eine 
kurze Krankheit dahingerafft hat, unser treues, wehmütiges 
Gedenken. 

Gelinder Aufruhr herrschte im verflossenen Monat in den 
Universitäten wegen der Frage der Gehaltsaufbesserung und 
der Neuorganisation der Universitätsstudien. In einem meiner 
letzten Briefe hatte ich schon Gelegenheit, ausführlicher über 
die vom Minister des öffentlichen Unterrichts dem Parlament 
eingereichte Gesetzvorlage zu sprechen. Die Vorlage hatte 
schon heftige Kritiken erregt, sei cs bei denen, die sich durch 
die neuen Bestimmungen betroffen fühlten, als auch bei jenen, 
die eine durchgreifendere, mutigere Reform zum Besten des 
Universitätsstudiums wünschten. Vielen lag auch besonders 
die Gehaltserhöhung der Professoren am Herzen, die zurzeit 
so wenig ausreichend bezahlt sind, dass viele durch Neben¬ 
beschäftigungen ihr Einkommen zu verbessern gezwungen 
sind, w enn sie nur einigermassen den erhöhten Anforderungen 
des Lebens genügen wollen. Ein grosser Fehler der Vorlage 
war auch der, dass man zum Teil die Privatdozenten geopfert 
hatte, indem man die Einschreibungen zu ihren Kursen be¬ 
schränkte, und dass man, sehr mit Absicht, die Assistenten 
ihrem durchaus nicht beneidenswerten Schicksal überlassen 
hatte, ungeachtet der zahlreichen Versprechungen einer ver¬ 
nünftigen Regelung ihrer juristischen und finanziellen Position. 
Davon abgesehen enthielt das neue Gesetz aber doch sehr viele 
Bestimmungen, die man als erste und wichtigste Schritte auf 
dem Weg der Reform unbedingt gutheissen musste. Nun 
wurde das (iesetz aber in einer der letzten Sizungen der schon 
sehr arbeitsmüden Kammer vorgelegt und in der Diskussion 
erhob sich sogleich sehr lebhafte Opposition und ziemlich 
schwere Anklagen gegen das Milieu der Universitäten. Laut 
einigen dieser Oppositionsredner ist die Untätigkeit und Nach¬ 
lässigkeit die Regel an unseren Universitäten, und diese Ver¬ 
allgemeinerung einiger beklagenswerter, aber zum Glück ver¬ 
einzelter Fälle, verfehlte nicht, ihren Eindruck auf die Kammer 
zu machen. Die Herren Professoren sollen erst einmal brav 
und regelmässig ihre Vorlesungen halten, dann kann man über 
die Verbesserung sprechen; das war das Leitmotiv der Ver¬ 
handlungen! Aber trotz dieser gegnerischen Redner kam es 
bei der offenen Abstimmung der einzelnen Artikel der Vor¬ 
lage doch zu deren Annahme, so dass man denken musste, dass 
das Gesetz auch in der geheimen Abstimmung durchgehen 
würde. Bei der geheimen Abstimmung gaben aber viele Ab¬ 
geordnete, die damit allerdings sehr wenig Mannesmut be¬ 
wiesen, schwarze Kugeln ab, so dass das Gesetz abgelehnt 
wurde. Die Ueberraschung war eine allgemeine. Das war 
eine moralische Ohrfeige, welche die Kammer den Universi¬ 


täten gab, und zw ar feige und hinterrücks, durch das Geheimnis 
der Urne gedeckt, statt ehrlich, mit offenem Visier zu kämpfen. 
Dieser Vorfall erzeugte einen wahren Aufruhr; der Minister 
des Unterrichts reichte seine Demission ein, die aber vom Mi¬ 
nisterrat nicht angenommen wurde, der akademische Rat. die 
Rektoren der Universitäten, einzelne Professoren erhoben 
einen Chor von Protesten, offenen Briefen, Demissionen und 
unendliche Polemiken in den Zeitungen, in welchen die merk¬ 
würdigsten Vorschläge zutage gefordert wurden. Schliesslich 
vereinigten sich zahlreiche Professoren, die Repräsentanten 
der verschiedenen Universitäten, in Rom und machten in einer 
Tagesordnung ihrem Merzen Luft. ..entrüstet die ungerechte 
Anschuldigung zurückw eisend, die leichtfertig gegen die All¬ 
gemeinheit der l’ni\ersitatsproiessoreii geschleudert worden 
war und den Wunsch aussprechenJ. dass zum Wohl der natio¬ 
nalen Kultur bald der Tag kommen möge, welcher der Klasse 
der Universitätslehrer die gerechte Ehrenerklärung bringt, auf 
welche sie Anspruch erheben dürfen." 

Jetzt ist die Frage wieder m das Anfangsstadium zunuk- 
getreten; der Minister hat versprochen, wahrend der Ferien cm 
neues und verbessertes Gesetz aus/uarhuten; die Professoren 
haben weitere Zusammenkünfte für den Oktober bestimmt und 
den \\ misch ausgesprochen, dass in den Eröffnungsreden für 
das kommende Studieniahr die einzelnen Professoren die Ge¬ 
legenheit wahrnehmen, die Fortschritte der Wissenschaft in 
den letzten 40 Jahren zu beleuchten, um so besonders auch 
dem Laienpublikum zu zeigen, dass die Universu.iisprofessorcn 
im allgemeinen stets ihre Pflicht getan und dass eine für das 
Wohl und die Kultur des Landes so wichtige Klasse, wie jene 
der Universitätslehrer die Anerkennung und Unterstützung 
jedes Gutdenkenden verdient. Hoffen wir, dass die Bewegung 
ein günstiges, reelles Resultat zeitigt! 

Giovanni Galli. 


Aerztlicher Verein in Frankfurt a. ■. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ordentliche Sitzung v o m 4. M a i löns abends 7 Uhr 
im Hörsaal des Dr. Senckenbe rgschen Bihhothekgvbäudes. 
Vorsitzender: Herr E d i n g e r. 

Schriftführer; Herr S c h e v e n. 

Herr Goldtchnid: Demonstrationen. 

Herr SippeL: Bradykardie und Arrhythmie nach Myom¬ 
operation. 

Hei einer robusten -14 jährigen vullsaitigen Frau musste ein 
grosses Myomkonglomerat \uan raschen Wachstums und zu¬ 
nehmender Beschwerden durch 1 anarotorme entfernt werden. Per 
teilweise in die Ligamente entw.ckc te Tumor, welcher bis ä Oucr- 
finger über den Nabel reichte., wurde unter Aether narkose supra- 
vaginal amputiert. Pie Opera: mi \erlief g alt und ohne rede 
Blutung. 1 he Narkose war ungestört. Per \ er aut war ein v.d g 
reaktionsloser. Temperatur me aber TT.r Parm- und B'userittmkton 
traten Sofort in Eiligkeit. Ms aun.i'T mies >\ u pt«>m entw ekelte v di 

im Anschluss au die (Ip'-ratnm « m • |* u I s \ e r I a n g s a m u n g, 

welche sich ständig unter t*n hn.lt, bis auf 5_> l’ef^bgnv: und s läge 
dauerte. Palm hob sich der Ihi’s auf norrr.Le Immen/. Weiche auch 
Nor der Oper ation bestand und fortan anhie't, 1s war schwer, cne 
Fiklurung für d’ese FT sehe irnmg /u fr*.len. I me :m d. kauten tose l.m- 
w ir kling war ausgeschlossen. Mens., bestund kette MoghJ’keit 
einer sonstigen \ agusr ei/uiig sei es zentral oder im peripheren Ver¬ 
lauf. Auch licss sich eure Reflex w ir k in g nuht amtebmen. da alle 
Mvomoperationen bei uns m uTtcher We.se aus.’emhrt werden, ohne 
dass je eine solche Mi euiilti.ssue.g des llt t/uis aiiUifrifm wäre. Man 
hafte daran denken komm, dass jn- | hl s\et. rngs.irmmg m gleicher 
Weise zustande gekommen Ware, w c man dies bei W-h hnentmen 
aummmt. Wenn man g'aitht. d..ss bei d men d e ITuTlkard e da¬ 
durch entsteht, dass nach der Oeburt durch de Kontraktion des 

Uterus ein grosses artendes <ietasvgi b:et ansgesc haltet wird imd 
infolge dessen m dem grossen Kreis aut e ne zur W'angsamung der 
Mei/aktiou führende Pr ricksterge r uug auitrdt. so konnte man auch 
anriehmeii. dass durch die bnt!einii''g der grossen, stark \askuian- 
siei teil ,Mvotmnassen ein gleicher I.UeH erreicht se.. um so mehr, 
als die Operation ohne jeden Büx i: hist ausgc'hrt wurde und 
vor Schluss der Bauchhöhle ein I , t e r ph\ swe .-softer Kod’sa'/- 
losung emgegossen wurde. Pme zunächst gefasste Annahme er¬ 
wies sich iedoch als unhaltbar, dum es bestand n dit mir e.ne Ihils- 
n erlaiigsamiing. sondern auch eine regi'ose \ r r v t h m i e. Vus- 
1 ultatorisch waren die Herztöne recht \ eramk rt. Ibensowcn.g war 
das Befinden der Operierten s * • 1 ’ j e T1 1 \ oder oheMix It '"ilinst. 
(iieicliw oh| zwang die Beschaffenhe.t des l’.ih.s, e . ir e w i r k I . c b e 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1715 


Schädigung des Herzens selbst einzunehmen. Wir wissen 
aus einer Reihe von genauen, durch Autopsie bestätigten Beob¬ 
achtungen, dass es namentlich die Erkrankungen des Septum der 
Vorhöfe sind, welche zu solcher verlangsamten, unregelmässigen 
Herzaktion führten. Auch die vorliegende Beobachtung weist auf 
eine Schädigung dieses Teils des Herzens hin. Theoretisch ist sie auf 
folgende Weise möglich: Die Frau war sehr robust und vollsaftig. 
Die Operation wurde mit vorgängiger Ligatur der Spermatica und 
Uierinae ohne jeden Blutverlust ausgeführt. Sie fand statt in steiler 
Beckenhochlagerung. Auch nach der Operation wurde die Ope¬ 
rierte in, wenn auch weniger steiler, Beckenhochlagerung belassen, 
wie dies bei mir grundsätzlich zur Prophylaxe von Thrombosen in 
den Beckenvenen geschieht. 

Wenn man alle diese Umstände berücksichtigt, so muss man es 
für möglich halten, dass bei der vollsaftigen,durch keinen Blutver¬ 
lust gecshwächten Frau, deren Gefässintiendruck durch die peri¬ 
toneale Infusion von 1 Liter Kochsalzlösung nach der Operation noch 
gesteigert wurde, infolge der Beckenhochlagerung bei und nach der 
Operation ein so starker venöser Zufluss zu dem rechten Vorhof statt¬ 
fand, dass dadurch eine Ueberdehnung dieses Vorhofs, eine Schädi¬ 
gung des Septum und somit Bradykardie und Arhythmie hervorge¬ 
rufen wurde. Die eingehendsten Erwägungen über diesen Fall und 
das Fehlen jeder anderen Erklärung für das Auftreten der ge¬ 
schilderten Herzsymptome lassen mich in der Tat die gegebene Er¬ 
klärung für zutreffend halten. Auch in dem. nach 8 Tagen spontan 
zur Norm zurückkehrenden Verlauf bin ich geneigt, eine Bestätigung 
der Annahme zu sehen, dass es sich um eine reparabele 
traumatische Schädigung des Septum atriorum 
gehandelt hat. Es ist selbstverständlich, dass der Beweis für 
die Richtigkeit dieser Annahme mit mathematischer Sicherheit nicht 
erbracht werden kann. Jedenfalls aber fordert die mit- 
g,e teilte Beobachtung dazu auf, mit der steilen 
Beckenhochlagerung bei solchen vollsaftigen Individuen 
vorsichtig zu sein, namentlich aber mit der.längere 
Zeit nach der Operation fortgesetzten Becken¬ 
hochlagerung, wie dieselbe von mir zur Prophy¬ 
laxe der Embolie nach gynäkologischen Ope¬ 
rationen empfohlen wurde. 

Der entfernte, myomatöse Uterus mit zugehöriger Pulstem¬ 
peraturkurve wird vorgezeigt. Im Anschluss daran wird vom Vor¬ 
tragenden weiter demonstriert: 

1. Kindskopfgrosses links vorn vom Uterus ausgehendes voll¬ 
kommen extraperitoneal zwischen Uterus und Blase entwickeltes 
Myomi durch Laparotomie bei einer 51 jährigen Frau ent¬ 
fernt. f Die Geschwulst wuchs nach eingetretenem 
Klimakterium weiter und veranlasste die heftigsten Blasen¬ 
beschwerden. Der, Uterus wurde erhalten. Ursache des im 
Klimakterium fortschreitenden Wachstums: Schleimige Ent¬ 
artung des Myom in seinen peripheren Teilen. Heilung. 

2. Hühuereigrosfes submuköses Myom mit zugehörigem Uterus. 
Das unter Wehentätigkeit und sehr profusen Blutungen mit 
seinem unteren Pol bis in das Orificium externum geborene 
Myom wird auf vaginalem Wege enukleiert. 
Wegen anhaltender, durch keine Tamponade zu stillender Blutung 
muss der Uterus 8 Stunden später total exstirpiert 
werden. Dies geschieht, um jeden weiteren Blutverlust zu verhüten, 
bei dem unbeweglichen Organ durch Laparotomie. Als Ursache der 
nach Enukleation des Myoms anhaltenden Blutungen ergaben sich 
multiple erbsen- bis kirschgrosse kleine Myome im Geschwulstbett, 
die schon vor der Totalexstirpation nachgewiesen waren, sich aber 
in ihrer enormen Multiplizität nicht entfernen Hessen. Heilung. 

3. Uterus mit apfelgrossem submukösem Myom von einer 
33 jährigen Frau, das beinahe zum Verblutungstod geführt hatte. 
Wegen der hochgradigen Anämie zum Sparen jedes Tropfen Blutes 
supravaginale Amputation. Heilung. 

4. Uterus mit grossem Sarkom von der Innenfläche 
der linken Korpusseile ausgehend, welches unter 
dem Bilde eines verjauchten Myoms in Erscheinung 
trat. 

Die 56 jährige, gesund aussehende Frau erkrankt nach 5 jährigem 
Klimakterium unter heftigen Wehenschmerzen an enormen Blutungen. 
Ausfluss oder blutiger Abgang hatte vorher nicht bestanden. Der 
Hausarzt sendet die aesgeblutete Frau mit der Diagnose: In die 
Scheide geborenes gangränöses Myom. Man findet einen bis in 
den Introitus herabragenden, aus dem weit eröffneten Uterus kom¬ 
menden, faulig zerfallenen, aashaft stinkenden Tumor. Derselbe 
wird mit der Hand in Stücken entfernt. Er ist so zerfallen, dass 
es einer instrumenteilen Nachhilfe nicht bedarf. Im ganzen handelte 
es sich um eine gut doppeltfaustgrosse Geschwulst. Es bleibt eine 
flache, gesund sich anfühlende, rauhe Erhabenheit zurück. Man 
fürchtet, durch eine Beseitigung auch dieser geringen Reste bei der 
fieberfreien Kranken Eingangspforten für infektiöse Vorgänge von 
dem stinkenden Uterusinhalt aus zu schaffen. Da ein verjauch-.es 
Myom angen >mmen wurde, konnte n.an seine nichtveriauckten Reste 
unbedenklich im Uterus lassen. Am Schluss br Operation hatte 
man eitlen 7 offenstehenden Uterus, dessen Inncnilä :'ie- überall ent 


glatter Schleimhaut ausgekleidet war. Links hinten im Korpus war 
eine im kontrahierten Zustand talergrosse raune Stelle, das 'ver¬ 
meintliche Myombett mit kleinen Myomresten. Jodolormgazetampon 
in den Uterus. Reaktionsloser Verlauf. Nach 12 Tagen wird ‘die 
Patientin mit gut zurückgebildetem Uterus ohne Ausfluss und Blutung 
scheinbar gesund in vollem Wohlbefinden entlassen. Nach 6 Wochen 
erscheint die Kranke wieder mit der Angabe ihres Arztes, dass 
ein neuer Polyp aus dem Uterus herabgetreten sei. In der Tat 
findet man einen aus lockerem Geschwulstgewebe und Blutkoagulis 
zusammengesetzten, mehr als hühnereigrossen, von der alten Ge¬ 
schwulststelle ausgehenden, neuen Tumor, der zum Teil in die Scheide 
geboren und ebenfalls verjaucht ist. Es wird sofort entfernt und 
seine Basis mit dem scharfen Löffel ausgeschabt. Hierdurch gewinnt 
man frisches Gewebe, aus welchem die Struktur der Neubildung zu 
erkennen ist. was bei der zuerst entfernten, als Myom gedculeten 
Geschwulst wegen der fortgeschrittenen Fäulnis nicht möglich ge¬ 
wesen war. Der bei der Beseitigung der zweiten Geschwulst als¬ 
bald ausgesprochene Verdacht auf Sarkom wird durch das Mikro¬ 
skop bestätigt. (Grosszelliges Rundzellensarkom.) Im Anschluss an 
die Ausschabung Abendtemperaturen bis 38,5. Um einen sicheren 
Schutz gegeii den infektiösen Uterusinhalt zu gewinnen und um jede 
Blutung bei der aufs äusserste ausgebluteten Patientin zu vermeiden, 
wird der vergrösserte matsche Uterus nach vorgängiger gründlicher 
desinfizierender Ausspülung, sorgfältiger Vernähung des Mutter¬ 
mundes und Umschneidung des Scheidengewölbes durch Laparotomie 
entfernt. Dabei reisst die teilweise von oben ausgelöste Zervix quer 
ein. Nach sorgfältiger Umpolsterung wird das Korpus völlig abge¬ 
tragen und die Zervix für sich herausgenommen. So weit man den 
Vorgang beobachten konnte, war nichts von dem Uterusinhalt mit 
der Bauchhöhle und Bindegewebswunde in Berührung gekommen. 
Daher typische Naht des Beckenperifoneum. Das Scheidengewölbe 
. bleibt offen. Der retroperitoneale Bindegewebsraum wird mit Jodo¬ 
formgaze nach der Scheide drainiert. Von einer Drainage der Bauch- 
, höhle wird Abstand genommen. Die Operierte übersteht den Ein¬ 
griff sehr gut. Zunächst glatter Verlauf bei vollkommen normalem 
Verhalten von Puls und Temperatur und ungestörtem Allgemein¬ 
befinden. Der von Anfang an funktionierende Darm wird träg. Bis 
zum 7. Tag entwickelt sich ein paralytischer Ileus bei immer noch 
normaler Temperatur und gutem Puls von 75—80. Es wird rechts 
unten ein abgesacktes Exsudat nachgewiesen, das aus dem kleinen 
Becken in die Höhe kommt. Breite Eröffnung des unteren Ab¬ 
schnittes der Bauchdeckenwunde. Es entleert sich ein ziemlich 
reichliches, trübes, übelriechendes Exsudat. Vorsichtige Ausspülung 
mit Borlösung unter minimalem Druck. Drainage. Sofort kommt die 
Darmtätigkeit gut in Gang. Man glaubt die Kranke gerettet, jedoch 
entwickelt sich eine sekundäre Infektion der Bauchdeckenwunde, 
w'elche breit offen gehalten wurde. Dieser vermochte die hoch¬ 
gradig ausgeblutete schwache Frau nicht mehr zu widerstehen. Unter 
Temperaturen bis zu 38,4 geht sie nach weiteren 5 Tagen an rasch 
zunehmender Herzinsuffizienz toxisch zu gründe. 

Epikritisch sind 2 Punkte hervorzuheben: 1. Es 
handelte sich nicht um ein primäres Sarkom, son¬ 
dern um ein sarkomatös entartetes Myom. Dafür 
spricht die Grösse der Geschwulst, das Fehlen von Ausfluss und 
Blutung vor der unter Wehenschmerzen erfolgenden Ausstossung in 
die Scheide, sowie der flache Uebergang der Neubildung in die 
eigentliche Uteruswand. 

2. Es war ein Fehler, die Bauchhöhle nicht zu 
drainieren. Obwohl prinzipieller Anhänger der Drainage in 
allen unsauberen oder verdächtigen Fällen, habe ich in diesem Falle 
dieselbe aus folgenden Gründen unterlassen: Ich glaubte sicher zu 
sein, dass eine Verunreinigung der Bauchhöhle vermieden sei. Selbst 
wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, konnte es sich nur um 
i Hineingelangen minimaler, wenig virulenter, weil putrider Stoffe 
handeln. Eine Wunde oder eine sonstige Schädigung des Bauch¬ 
fells blieb nicht zurück. Unter diesen Umständen glaubte ich die 
Bauchhöhle schliessen zu können ohne zu drainieren. Dass dieses 
j Vorgehen falsch war, lehrt der Ausgang. Es unterliegt für mich 
i keinem Zweifel, das die Kranke mit sachgemässer Drainage ohne 
! iede Störung genesen wäre. Man soll demnach in solchen zweifel¬ 
haften Eällen lieber einmal zu viel als zu wenig drainieren. denn 
ein Unterlassen der Drainage bedeutet hier das 
Geschick eines Menschenlebens dem blinden Zu¬ 
fall anheim geben! Dies möchte ich gegenüber den Gegnern 
der Drainage besonders hervorheben. 

Herr Bingel: Beitrag zur Aetiologie der sog. ortho- 
tischen Albuminurie. 

In der Münch, med. Wochenschr. No. 1, 1908 veröffent¬ 
lichte J e h 1 e aus der Escherisch sehen Kinderklinik 
Untersuchungen an Patienten mit sog. orthotischer Albuminurie. 
Es gelang J e h 1 e, für seine Fälle eine besondere Aetiologie der 
Eiweissausscheidung, nämlich eine lordotische Haltung 
der Lendenwirbelsäule nachzuweisen. Die Befunde Jehles 
wurden auf der medizinischen Klinik des städt. Krankenhauses 
dner‘ Nachprüfung unterzogen und vollauf bestätigt. Bei 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1716 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


* No. .1?. 


den seit der Veröffentlichung J e h I e s beobachteten Fällen von 
sog. orthotfscher Albuminurie konnte festgestellt werden, dass 
die* Eiweissausscheidung auftritt, sobald die Wirbelsäule lor- 
dcitisch gekrümmt wird, ganz gleichgültig, ob der Pat. im 
Bette lag, stand oder umher ging. Die Eiw eissaiisscheidung 
trat nicht auf, wenn eine kyphotische Haltung eingenommen 
wurde, trotzdem die Pat. in dieser Haltung standen, gingen oder 
auch stärkere Bewegungen machten, z. B. H Stunde lang 
Velotrab traten. Ebenso w ie J e h 1 c nimmt der Vortragende 
an, dass durch die Lordose bedingte Zirkulationsstörungen die 
Eiweissausscheidung hervor rufen. Die Therapie hat sich da¬ 
her gegen die Lordose zu richten. Die Konstruktion eines ent¬ 
sprechenden Korsetts befindet sich in Vorbereitung. 

Diskussion: Herr Sch m i e d i c k e: lm < Jegensatz zu dem 
von Herrn Bingel erwähnten negativen Ergebnis der Versuche bei 
Erwachsenen, durch künstliche Lordosestellung vorübergehend Al¬ 
buminurie zu erzeugen, kann ich über 2 Fälle* berichten, bei denen 
dies gelang. Es handelte sich um 2 Soldaten. 21 und 22 Jahre alt. 
welche nur bei bestimmten, mit länger — 2U-25 Minuten an¬ 
haltender Lordosestellung verbundenen Uebungen vorübergehend 
Albuminurie zeigten. Für uns Militärärzte ist diese Erfahrung sehr 
wichtig wegen der eventuellen Begutachtung der weiteren Dienst¬ 
fähigkeit. 

Herr Lüthje: Meine Herren! Die Beobachtungen von .1 e h I e 
und die Bestätigung dieser Beobachtungen, die sich in unseren dies¬ 
bezüglichen Versuchen ergaben, werden vielleicht Veranlassung 
geben, in den therapeutischen Massnahmen gegenüber der ortlio- 
tischen Albuminurie etwas weniger rigoros zu verfahren, als das 
bisher vielfach üblich war. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass 
ein grosser 'Feil der Fälle, vielleicht alle, ätiologisch zuriickzuiuhren 
sind auf leichte architektonische Anomalien im Körperbau, wie sie 
irn jugendlichen Alter häufig vorzukommen scheinen. Es erscheint 
mir wahrscheinlich, dass, wenn auch in letzter Linie die Lordose 
als auslösendes Moment für die orthotische Albuminurie in Betracht 
kommt, die unmittelbare Ursache doch die bei der lordotischen Hal¬ 
tung entstehenden leichten Zirkulationsstörungen sind. Wir wissen 
ja aus den klinischen Beobachtungen und dem Tierexperiment. wie 
ungemein leicht nach den minimalsten künstlich erzeugten Zirku¬ 
lationsstörungen Albuminurie und Zylindrurie auftreten. Wir wissen 
aber ebenso sicher, dass die durch solche Zirkulationsstörungen her¬ 
vorgerufenen funktionellen Schädigungen der Niere ebenso schnell 
wieder, aufhören nach Beseitigung der veranlassenden Ursache.- 

Ich glaube in der Tat, wir haben kein Recht jugendliche Pa¬ 
tienten mit orthotischer Albuminurie wie Nephritiker zu behandeln, 
sie zu Sklaven ihrer Diät und ihrer Lebensweise zu machen, und 
zw'ar einmal deshalb nicht, weil die nosologische Stellung der ortho- 
tischen Albuminurie keinesw egs sicher ist, vielmehr heute alles dafür 
spricht, dass es sich um durchaus vorübergehende Zustände handelt, 
auf der anderen Seite aber deshalb, weil unsere rigorosen, öfter so 
ausserordentlich schematisch gehandhabten Vorschriften der Ne¬ 
phritistherapie z. T. wenigstens von äusserst problematischem Wert 
sind. 

Ich möchte daher raten, in allen Fällen von orthotischer Al¬ 
buminurie die Therapie etwas weniger zwangvoll zu gestalten, vor 
allen Dingen auch hinsichtlich der diätetischen Vorschriften. Es ist 
vollkommen ausreichend sich mit denjenigen diätetischen Vorschriften 
zu begnügen, wie sie überhaupt die Hygiene des jugendlichen Alters 
gebietet. Im Uebrigen aber soll man die betreffenden Patienten 
sich frei bewegen lassen, vielleicht unter der öfter wiederholten 
Mahnung, alle forciert lordotischen Stellungen zu unterlassen. Event, 
wird man auch daran denken können, die von Haus aus vorhandene 
übermässige lordotische Haltung der Wirbelsäule durch systemati¬ 
sche Schulung auszugleichen, resp. ein korrigierendes Korsett in An¬ 
wendung zu bringen. 

Herr Sippe I: Jehl e hält es in seiner Arbeit für möglich, 
dass auch die S c h w a n g e r s c h a f t s a I b ti m i n u r i e eine lor¬ 
dotische sein könne, da die Schwangeren ja in vorgerückter Zeit in 
lordotischer Haltung stehen und gehen. Ob diese Entstelnmgsweise 
zutrifft, will ich hier nicht entscheiden. Bezüglich des einzmielimen- 
den therapeutischen Standpunktes gegenüber der lordotischen Al¬ 
buminurie wird es ausschlaggebend sein, ob durch die anhaltende 
oder immer wiederkehrende Zirkulationsstörung, welche bei Lordose 
die Eiweissausscheidung hervorruft, schliesslich wirkliche Erkran¬ 
kungen der Niere herbcigefiihrt werden können oder ob es ständig 
bei unschuldigen funktionellen Störungen bleibt. .1 e n a c h d e m d i e 
in dieser Richtung a n z us t e 1 I c n d e sorgfältige Be¬ 
obachtung das eine oder a n d e r e e r g i b t. w i r d die 
Therapie eine aktive oder z u w a r t e n d e i n Z u k ti n f t 
zu sein habe n. 

Herr Heichelheim erwähnt seine vor mehreren Jahren 
vorgenommenen eingehenden klinischen Untersuchungen in dieser 
Frage, wobei er in einer grösseren Reihe von Füllen neben zxklisch 
auftretender grosser Eiweissausscheidung zahlreiche l'ormelcmente 
fand. Auf Eirund seiner chemischen und mikroskopischen Duter- 
■oichungen des Urins und sphygmographischen Aufnahmen am (iefäss- 


system bei solchen Kranken mochte er nicht iur alle 1 aiie eine 
einheitliche Ursache zu gründe legen und ganz besonders diese 
Form der Albuminurie von der Nephritis trennen. 

Herr Sippel: Um Missx erstarulmssen vorzubeugen bemerke 
ich. dass eine eventuelle aktixe Therapie, von der ich sprach, g e t e n 
die Lordose zu richten xxare als gegen den ex entliehen Aus¬ 
gangspunkt der Erkrankung. Die Austuhrungen x<ui Herrn Lut h je 
werden durch meine Bemerkungen nicht berührt. 

Herr H. Vogt: Gegenwärtiger Stand der Lehre von der 
Idiotie. 

Vortr. geht ans von der Tatsache, dass eine nähere Durch¬ 
forschung der idiotischen Zustände eine ungemeine Reich¬ 
haltigkeit von K ruhkheitszustüiukn, die sich unter diesem 
Sammelbegriff verbergen, zu Lage fordert. Die Idiotien sind 
weder durch die Gleichartigkeit des S\mpiomenbiMes. m»Ji 
durch die Gleichartigkeit der Vorlauter - es gibt akute 
Formen. noch durch übereinstimmende Aeliofogic gekenn¬ 
zeichnet. Vortr. erörtert die eigenartigen klinisch-psycho¬ 
logischen Symptomctikomplcxe. bespricht die Anforderungen 
für eine Bearbeitung der Zustande midi dieser Seite und kommt 
schliesslich auf die pathologisch-anatomischen Fragestellungen. 
Auch liier ergaben sieb eigenartige Verhältnisse: Alle 
idiotischen* Zustände sind im weiteren Sinne Fntw icklungs- 
krankheiten des Gehirns. Sie smd Inst« logisch charakterisiert 
durch zwei Momente, einmal das der Fntw icklungsluitmumg. 
ferner das jener eigenartigen morphoh g.sJnu Rcaktions- 
weise des unreifen (fötalen und kindlichen) Hirngewebes 
gegenüber einem pathologischen Reiz. So ergaben mJi patho- 
logisch-histologisch ganz eigenartige Pikkr. d:c nicht nur iur 
die Erkenntnis der Krankhcits/ustai.dc selbst, s< ndern auch für 
unsere allgemein anatomischen Anschauungen von Bedeutung 
sind. Die Erkenntnis dieser Zustande hat Fortschritte erst zu 
verzeichnen, seitdem die w issciischuilli Jic Medizin sich dieser 
Zustände aummmt: sie geboren m den ür/tbclicn Wirkungs¬ 
kreis! Vortr. bespricht nur die einzelnen Typen, die bislang 
die Erforschung abzuglenzen vermocht hat: zunächst die 
familiäre amaurotische Idiotie, dann die Idi *1 1 e 
mit Scliädelverbildungeti; bei der Mikrozephalie betont 
Vortr., wie sehr anatomisch und genetisch die Falle ver¬ 
schieden sind: es werden Belege iur die endogene Natur dieser 
Erkrankung hcigcbracht (familiäre Mikrozephalie)); der Name 
Mikrozephalie ist eine rem äusserliche. nichtssagende Bezeich¬ 
nung. Vortr. erörtert dann den psycludogisch-klmisdien Unter¬ 
schied zwischen Mikrozephalen und anderen Formen, schliess¬ 
lich die klinischen Symptome der Hydrozephalie. Bei 
der T u r m s c h ä d c I i d i o t i c fallt die \ erhmdung mit 
Optikuserkrankm gen auf. Vortr. geht dann auf die Sb ff- 
w echselpathoh gie ein. den K r e t i n i s in a s und verwandte 
Zustände. Bei Erörterung der Idiotie und Epilepsie 
weilt Vortr. langer bei der tuberösen Sklerose, 
jenem timiorarligcn Krankheitspro/ess. der wegen seiner Ver¬ 
bindung mit den Erkrankungen der inneren Organe nun auch 
klinisch diagnosti/ierbar ist. Fs folgen M o n g o I i s m u s und 
einige seltenere Formen: dnnidrodystrop bische 
Idiotie, Nanosomie etc. Zu allen Gruppen werden 
epidiaskopisdi Krankentypen und eine grosse Zahl histo¬ 
logischer Präparate und ’lateln demonstriert. 


Wissenschaftliche Vereinigung am städL Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 7. April l‘x»s. 

Vorsitzender: Herr R e h n. 

Schriftführer: Herr Bingel. 

Herr Sch naud Igel: Leber Iridotomie und Schwarten¬ 
operation. 

Der Vortragende erwähnt zunächst, dass die xo.äge \bschiies- 
sung der vorderen Augeftkanimvr uacii M,tT'**l'erati-^n se teil gc- 
w di den ist. da der Ibi.zenTsat/ der mgimstre \e:lautenden >tar- 
operationen infolge der modernen J'edjiuk u::.| der \scpsis sdir 
gering geworden ist. Dir Abschduss der \>r icun Kater- 4* k.i*'n 
eunral erfolgen duich einen grossen Ir ist .n.ns rmt c"! ’ 1 v ; i.n 
Prozessen. so dass nach Abklingen der Medurg die mdi r \.on c 
zu straff g'-spannte Ins une buken'.-sc Memb r .m h «.< der o 
bildet sich durch die lauew lerige Entzündung bei r:P ’c -.Vagcter 
Iris eine mehr oder weniger dicke beim arte aus, du < • t’c-.mx er Be¬ 
handlung sehr Schwer zugangig ist und iit.rnet die k ix de Opera- 


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11. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1717 


teure gebildet hat. Es folgt die Schilderung der alten Verfahren, 
die Methoden von Wecker, Manolescu, Kugel u. a.; speziell 
hervorgehoben wird die traurige Statistik K u g e 1 s über 250 Fälle 
aus dem Orient, wo die Schwartenbildung bei Aphakischen infolge 
der primitiven, durch Laien ausgeübten, Staroperation sehr häufig ist. 
Die - von Kugel angegebene Methode der Zerstückelung der Mem¬ 
bran mit nachfolgender Ausziehung der Membranfetzen, wobei durch 
eine hinter der Iris eingeführte Nadel die Schwarte gestützt wird, 
ist ein ziemlich gefährlicher Eingriff, bei dem Zerrungen auch nicht 
zu vermeiden sind. Nun hat schon in den 70 er Jahren Krüger 
eine Lochzange angegeben, die von L u e r konstruiert und als Em- 
porte-piöce vertrieben worden ist; sie gibt gute Resultate, da sie dem 
ersten Postulat der Operation genügt und ein Stück der Schwarte 
aus dem Au&e entfernt. Aber sie ist ziemlich .plump und sperrt die 
Wundränder bedrohlich. Schnaudigl hat durch die Firma Walb- 
Heidelberg einen Schwartenlocher bauen lassen, der die Form der 
Pince-ciseaux hat und leicht durch eine Lanzenwunde, die Hornhaut 
und Schwarte durchtrennt, eingeführt werden kann. Bis jetzt sind 
3 Fälle mit ausgezeichnetem Erfolg operiert. Ein vorgestellter Pa¬ 
tient hat durch eine chronische Iridozyklitis mit Starbildung das 
rechte Auge verloren. Das Auge wurde von anderer Seite vor 
7 Jahren nach oben iridektomiert, dann nach unten, dann liess man 
die Extraktion folgen und macht no<^h einen Iridektomieversuch. Das 
Auge wurde phthisisch. Das linke Auge erkrankte kurz darauf, wurde 
iridektomiert und heilte mit totalem, schwartigen Pupillarverschluss 
aus. Nach 5 jähriger Blindheit entschloss sich der Patient zu einer 
Schwartenoperation, die mit dem Schwartenlocher ausgeführt wurde 
und per primam heilte. Visus mit Korrektion 5 lu — 5 /io, feiner Druck 
wird fliessend gelesen. Das Auge ist reizfrei und hat sich bis jetzt 
seit 8 Monaten, sehtiiehtig gehalten. Der Vortragende demonstriert 
das neue Instrument und mikroskopische Präparate, die über die 
Natur der Schwarten Aufschluss geben. 

Herr Propping berichtet über die Ergebnisse klinischer Un¬ 
tersuchungen über die Differenz zwischen Rektal- und Axillartempe¬ 
ratur und kommt zu folgenden Schlüssen: 

1. Der grosse Temperaturunterschied zwischen Axilla und Rek¬ 
tum wird beim gesunden wie beim fiebernden durch niedrige Axillar- 
temperatur hervorgerufen. 

2. Die Axillartemperatur ist direkt proportional der Grosse der 
Wärmebildung in den Muskeln, die Grösse der Temperaturdifferenz 
ist also umgekehrt proportional der in den Muskeln stattfindenden 
Wärmebildung. 

Herr v. jVLettenhelmer: Ucker Alkaptonurie. 

Bericht über den Stand unserer heutigen Kenntnis dieser sel¬ 
tenen Stoffwechselanomalie im Anschluss an Beobachtungen bei 
6 Kindern mit Alkaptonurie. 

Diskussion: Herr B i n g e 1 erzählt einen von Prof. Lüthje 
beobachteten Fall eines 9 jährigen Mädchens mit chronischem 
Ekzem, das grosse Temperaturunterschiede zwischen Rektum und 
Achselhöhle zeigte. Diese Unterschiede wurden bei körperlichen Be¬ 
wegungen noch stärker. Zur Erklärung des Phänomens wurde eine 
Störung der Wärmeabgabe durch die Haut angenommen. 

Herr Bing ei stellt vor: 1. den Pat. R., einen Fall von Myotonie 
(T h o m s e n scher Krankheit) mit ausgedehnten Atrophien. Der Fall 
ist von J. Hoffman n, Strümpell, Steiner t, Schultz e, 
Mendel, Mannei, Hans Curschmann u. a. eingehend be¬ 
schrieben worden. Der Vortragende schliesst sich den Autoren an, 
die in diesem Falle nicht eine Kombination von Myotonie mit einer 
Form der Muskeldystrophien sehen, sondern eine Krankheit sui 
generis, eine myatrophische Myotonia acquisita. 

2. Ein 24 jähr. Mädchen mit periodischer Okulomotoriuslähmung, 
die unter heftigem, halbseitigem Kopfschmerz, Schwindejgefühl und 
Erbrechen sich entwickelt hatte, seit mehreren Wochen bestand und 
sich langsam zurückbildete. Schon zweimal, im 8. und 14. Jahre hat 
die Pat. die Erkrankung, die jedesmal einige Wochen gedauert hatte, 
durchgemacht. Die begleitenden hemikranieartigen Erscheinungen 
sprechen für eine Verwandtschaft mit dieser Krankheit. 

3. Einen Fall von linksseitiger Sympathikuslähmung und rechts¬ 
seitiger Sympathikusreizung, hervorgerufen wahrscheinlich durch 
Druck eines Struma. 


Medizinische Gesellschaft in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 19. Juni 1908 in der chirurgischen Klinik. 

Herr Anschütz demonstriert zunächst einige interessante 
Fälle von Knochentumoren: 

1. Knochenzyste des linken Humerus (Ostitis fibrosa). 

13 jähriger gesunder Junge. Vor 5 Jahren Fractura humeri, Fall 
auf den Arm. Volle Heilung. Vor IM» Jahren neue Fraktur an gleicher 
Stelle. Glatte Heilung innerhalb 4 Wochen. Eine leichte Schwellung 
soll zurück geblieben sein. Vor Vs Jahr nach plötzlich heftigem Zug 
beim Hängen am Reck Schmerzen und Schwellung an gleicher Stelle. 
Der Arzt fand keine Fraktur, nur Verbiegung. Bei der Aufnahme am 

4. XII. 07 zdgte das Röntgenbild das typische Bild einer Knochen¬ 


zyste im oberen Drittel des linken Humerus. Am Skelett sonst 
keine Veränderungen (Röntgenbilder). Exzision eines Teiles der 
Knochenwand und Auskratzung der Höhle, die mit grauroten gelati¬ 
nösen Massen gefüllt war, in der kleine Knochenstückchen eingebettet 
lagen. Die Wände grau und speckig. Inhalt der Höhle steril. Mikro¬ 
skopisch finden sich reichliche Bindegewebszüge, Knorpelzellen¬ 
konglomerate, vereinzelte Riesenzellen, viel Hämosiderinpigment, 
auch in den Riesenzellen. Jetzt nach einem halben Jahre hatte die 
Dichtigkeit der Knochen erheblich zugenommen. Die Kompakta ist 
viel fester geworden. 

Der Krankheitsprozes ist als eine Ostitis deformans fibrosa 
localisata aufzufassen; ein Krankheitsbild, welches mit der von 
v. Recklinghausen beschriebenen Ostitis deformans fibrosa 
generalisata und wohl auch mit der Pag et sehen Krankheit und den 
Fällen von multiplen Riesenzellensarkombildungen in den Knochen 
in engsten Beziehungen steht oder sogar nahezu identisch ist. Vor¬ 
tragender hat vier ausgesprochene Fälle dieser seltenen Krankheit 
gesehen. Bei einem anderen Falle, bei dem man zuerst auch glaubte, 
eine lokalisierte Erkrankung vor sich zu haben, zeigten sich im Laufe 
der Jahre an anderen Stellen noch weitere Krankheitsherde. Es wird 
auch in diesem Falle genau weiter beobachtet werden. Bemerkens¬ 
wert ist auch hier wieder der anscheinend traumatische Beginn des 
Leidens in so kindlichem Alter, vorauf v. Mikulicz besonders 
hingewiesen hat. Die Fraktur wird aber in diesem Falle wottl als 
Folge der Knochenveränderungen anzusehen sein. Der Befund von 
Knorpelzellennestern ist von hohem Interesse, er hat früher zu 
manchen Missdeutungen des Krankheitsbildes Anlass gegeben. Der 
Fall scheint einen gutartigen Verlauf zu nehmen. 

2. Multiple Enchondrome in Femur und Tibia bei einem gesunden 
9 jährigen Mädchen. 

Vor 3 Jahren nach Stoss Schwellung am rechten Schienenbein. 
Vor 2 Jahren Fraktur des rechten Femur im unteren Drittel. Feste 
Heilung mit Verkürzung von 10 cm. Das Röntgenbild zeigt im unteren 
Drittel des Femur an der Bruchstelle hochgradige Verbiegung nach 
innen und Auftreibung. Kompakta stellenweise stark verdickt, stellen¬ 
weise vermindert. Die Markhöhle von Knochenleisten und unklaren 
Knochenschatten durchsetzt, daneben kleine rundliche scharfe 
Schatten, welche die Grösse und Form von Hühnerschrot zeigen. 
Dieser Prozess hat Ausdehnung und Grösse eines Hühnereies. Ein 
zweiter Herd im mittleren Drittel des gleichen Knochen walnussgross, 
leichte Auftreibung. Hier wiederum eine Gruppe von 8—10 der 
gleichen scharf kugeligen Schatten. Ein dritter Herd im oberen 
Drittel der rechten Tibia und ein vierter im unteren Drittel nahe dem 
Fussgelenk von> gleicher Beschaffenheit. Das sonstige Skelett frei. 
Die Herde wurden in mehreren Sitzungen durch Auskratzung und 
Ausmeisselung entfernt. Mikroskopische Untersuchung zeigt: Kon¬ 
glomerate regelmässig gebauter, typischer, hyaliner Knorpelzellen, 
Knochensubstanz in der Umgebung nur wenig rarefiziert, nirgends 
Bindegewebszüge, jedenfalls ein von der Ostitrs fibrosa ganz ab¬ 
weichendes Bild. Nur die Frakturstelle am Oberschenkel zeigte im 
Röntgenbild einige grössere Hohlräume, die den Verdacht auf Ostitis 
fibrosa hätten erwecken können. 

3. Sarkom der Fibula näch Fractura malleoli. 

Dezember 1907 Fractura malleoli, Schwellung. Nach 3 Wochen 
heftige Schmerzen im Gipsverband. Bei der Abnahme halbapfel¬ 
sinengrosser halbkugeliger Tumor. Die Punktion ergab reines Blut. 
Bei der Aufnahme im Juni 1908 Grösse angeblich unverändert. Die 
Probeinzision ergibt Sarkomgewebe. Im Röntgenbild reichliche 
periostale Knochenbildung, Zerstörung des Knochens. Tumor gut 
abgekapselt. Resektion des unteren Drittels der Fibula. Der 
Malleolus ist ganz durchsetzt von weichem Gew r ebe, nirgends Ver¬ 
härtung des Knochens. Der dem Gelenk zu gelegene Knorpel ist zum 
Teil zerstört. Es liegen zwischen Konstatierung des Tumors durch 
den Arzt und Unfall 3 Wochen, eine für die traumatische Entstehung 
des Tumors recht kurze Frist. In einem anderen Falle konnte aus 
der Eburnisierung des das Sarkom umgebenden Knochens ge¬ 
schlossen werden, dass der Tumor schon vor dem Trauma bestanden 
haben muss. Hier, wo das Gewebe rings erweicht ist, ist der Zu¬ 
sammenhang zwischen Sarkom und Unfall weniger unwahrscheinlich, 
w r enn auch die Möglichkeit, dass die Fraktur bereits eine spontane 
war, zugegeben werden muss. 

4. Lieber palliative Trepanationen bei Hirntumoren oder Hirn¬ 
drucksteigerungen unbekannten Ursprungs. 

Demonstration eines Falles, bei welchem w'egen Verdacht auf 
Tumor im rechten Okzipitallappen trepaniert und, da der Tumor nicht 
gefunden, durch Entfernung des Knochens eine dauernde Druckent¬ 
lastung herbeigeführt wurde. 

30 jähriger Patient, der seit einem halben Jahr heftige Kopf¬ 
schmerzen hatte; einige Male Erbrechen und Verminderung der Seh¬ 
kraft, Abnahme der geistigen Funktionen. Es fand sich eine aus¬ 
gesprochene linksseitige Hemianopsie und Stauungspapille beiderseits. 
Pupillenreaktion vorhanden. Störung rechts im Geruchssinn. Am 
linken Fussriicken und der Planta eine kleine Zone herabgesetzter 
Schmerzempfindung. Linke obere Extremität Tastlähmung. Störung 
der Lageempfindung. Luetische Infektion wahrscheinlich. Serum¬ 
reaktion negativ. Quecksilber und Jodkalikur ohne Erfolg. Der Herd 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1718 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. oJ 


wurde im Kuncus oder Präkimeus vermutet. Bei der Operation 
wurden diese Rindenpartien breit freigelegt, kein pathologischer Be¬ 
fund. Nach Entfernung des Knochens und der Dura Miutnaht. Schon 
8 Tage nach der Operation war die Störung im Tastsinn verschw lin¬ 
den, Lageempfindung noch gestört. Wesentliche Besserung: des (ic- 
sichtsteld’es, Verschwinden der Stauungspapille. Zurzeit ist die 
Hemianopsie noch deutlich. (ieriuge Optikusatrophie. Hemianopische 
Pupillenreaktion. In den d Monaten nach der Operation hat sicli eine 
etwa fauste rosse Hirnhernie gebildet. 

Es muss zweifelhaft erscheinen, ob in diesem Ealle wirklich ein 
Tumor dem Krankheitsbilde zu (irunde liegt. Möglicherweise handelt 
es sich doch um eine Lues cerebri, die aui die gewöhnliche Therapie 
nicht reagierte. Pur Palte unklaren Ursprungs der Hirndruckerschei- 
nungen, wie sie jetzt immer häufiger beschrieben werden, empfiehlt 
der Vortravter.de die Druckentlastunvt, w ie sie von H e r I e v. 
S ä n g e r, C u s h i n n u. a. ausgcfiihrt worden ist. Man soll gerade 
in den zweifelhaften Eällen, wo die Diagnose Lues, Tumor, livdro- 
cephalus internus etc. nicht präzisiert werden kann, früher openeien 
als bisher, um nicht irreparable Sehstorimgen entstehen zu lassen. 
Man sollte überhaupt der Druckentlastung ein immer weiteres l eid 
einräumen, auch bei akuten Prozessen, 'Traumen, Meningitis etc. Aui 
ürund von persönlichen Eriahrunvten wird darauf hmgew lesen, dass 
auch kleine, gut operable 'Tumoren unerwartet schnell zu tödlichen 
Hirndrucksymptomen führen können. Er drängt sic.li bei diesen 
kleinen Tumoren, bei denen der Hirndruck das Leben des Patienten 
vernichtet, der Vergleich mit den kleinen. gut operablen szirrhösen 
Dickdarmkarzinomen auf, bei welchen gar nicht seiten der Ileus zu 
laschem Tode führt. Ileus wie Hirndruck sind so veihängmsvolle 
Krankheitszustände, dass sie allein ein energisches chirurgisches Ein¬ 
greifen erfordern, dort die Entlastung des Darms, hier die Entlastung 
des üehirns. 

5. lieber plastischen Verschluss von Schädeldefekten. 

Der Vortragende berichtet über seine guten Erinlge, die er mit 
der von 0 a r r e angegebenen (fälschlich I) u raut e zugeschriebenen) 
Methode der Schädelplastik vermittels der Periostknochciilappciiv cr- 
schiebung erzielt hat. Es w ird der Defekt nach einer Inzision m der 
alten Narbe oder mit Hautlappenbildimg freigelegt. Nach sorg¬ 
fältigem Abpräparieren der das Ptriosi bedeckenden Teile wird m 
näherer oder fernerer Nachbarschaft des Defektes ein gestieltes Stuck 
Periost, das etwas grösser sein muss als der Peiekt, umsciinitteii und 
mit einem geraden Meissei unter vorsichtigen Schlägen mit einem 
kleinen Teil der Lamina externa zusammen allgetragen. Durch 
Drehung an dem Stiel, den man ziemlich lang bilden kann, gelingt es 
überraschend leicht, den Schädekletekt mit dem Periostknochen¬ 
lappen zu bedecken. Mit einigen feinen Seidennähten wild der Lappen 
an den narbigen Rändern des Periostes, welches den Defekt umgibt, 
befestigt, die Haut wird darüber verschlossen. Bei grosseren De¬ 
fekten muss man event. mehrere solche Lappen bilden. Die Knochen- 
stiickchen dienen nur dazu, die Knochenneubildung besser anzuregen. 
Bei der Lösung der Weichteile vom Schädel muss man sich, speziell 
in Eällen, wo ein Schädeltrauma früher stattgefunden hatte, vorsehen, 
dass man nicht bei der Ablösung der (ialea zugleich das Periost ab- 
rcisst. Die Methode hat in allen Eällen sicheren und bisher bleibenden 
festen Verschluss gegeben, sie zeichnet sich aus durch ihre grosse 
Einfachheit. In einem Lalle wurde sie, nachdem ein dckal/inicrtes 
implantiertes Knochenstück resorbiert worden war, mit gutem Er¬ 
folge angewendet. Da man bei den verschiedenen Krankheiten, die 
mit Hirndruck einhergehen, mit der Oeffnung des Schädels immer frei¬ 
gebiger werden sollte, so ist es angenehm, eine so einfache und zu¬ 
verlässige Methode zum event. Verschluss derartiger Lücken zu 
besitzen. 

Herr Baum stellt einen Eall von schwerer Aktinomykose der 
Brustwand mit Beteiligung von Lunge und Zwerchfell vor, der nach 
ausgedehnter Resektion von Rippen und Zwerchfell zur Heilung ge¬ 
kommen. Ausgangspunkt der Erkrankung wahrscheinlich Oesophagus. 

Eerner ward ein junger Mann mit diffusen ßronchiektasieii 
des linken Lungenunterlappens demonstriert, bei dem durch eine 
grosse Thorakoplastik nach Schede eine Schrumpfung der er¬ 
weiterten Bronchialäste erzielt wurde. Die Sputiimmenge ging von 
ö f H) auf lüü ccm pro die herab, das (jewicht nahm um Jo Pfund zu. 

Herr Käppis demonstriert das Präparat einer Patientin, die an 
Ileus peptlcum oesophagl und Sauduhrmagen infolge l lcusnai De ge¬ 
litten hatte, zu denen als schwerw iegende Komplikation ein äusserst 
schwerer und langwieriger O e s o p h a g o s p a s m u s und P y 1 o r o- 
s p a s m u s hinzugetreten waren. Die Patientin w ar trotz viermaliger 
Operation ((iastrostomie, (iastroenterostomie, Enteroanastomose, 
.leiucostomie) ad e.xitum gekommen. 

Im Anschluss hieran wird eine Patientin mit Narbenstenosen des 
Oesoj iiagus und Pylorus durch Salzsüiireät/.uiig, bei der eine gleich¬ 
zeitig angelegte (iastrostomie und (iastroenterostomie sehr guten 
Erfolg gehabt hatte, und eine Patientin mit Sanduhrmagen durch 
Llcusnarbe und motorischer Insuffizienz des Pylnriisteils vorgestellt, 
bei der durch eine (iastro-tiastrostomie und (iastroenterostomie fast 
\o!'iges. Verschwinden der vorher sehr bedeutenden Beschwerden 
cizied worden war. 


Herr Zoepprltz demopstr.e; t c.ncn 1 ad \ <m Arthropathla 
tabica pedis. Diese Diagnose ist iet/t angesichts des attsgespr««cherum 
Schlottergelenks und der auf die l mgebung des l ussge enks be¬ 
schränkten Schwellung leicht zu steilen. Anders bei der Aumuhme 
des Kranken m die Kiimk, wo die l nterMichung hegendes ergab: Ln 
Januar zog sich Patient, angeblich mfo.ge v<m suidJaiä, tu ne 
kleine Wunde im unteren Drittel Oes r. I ntcrsvhcnkc s zu. die ircht 
heilen Wollte. Nach Zirkiimzisioii des I icsvhw ars liebte Jussc be ludi 
mehrriioiiathclier Behandlung aus. Obgleich e ne ge:.tue >chvv e urg 
in der l mgebung der Narben dauernd vorhanden war, g ng Pat ent 
seiner Arbeit nach, bis J Inge V or der Aufnahme :n d e K ..mR ganz 
plötzlich unter geringen Schmerzen die Sdnv e.amg des Beines stark 
zunalim. 

Bei der Aufnahme: Starke Sv hw e^iirrg im untueri Dritte! des 
r Luter v clte : nkels. besonders ist die Pait.c /w isvheii den beiden 
Zirkiim/isionsuarben beu'enlonmg v i<r K e tr.ebe n und fiuktn.e: e nd, 
E'ussgelenk und Eussr licken suui etwas vv eitigei gesv iiwd'oi. (ie ringe 
Selinier/Iiaftigkeit. Temperatur do.JP.it.e iit ist zu 1 uss m Je 
Klinik gekommen. 

Enter Berücksichtigung der Au eure sc. vier 'Temperatu* und de s 
Befundes wurde na t ui gemäss eine cht ■ ii.sv’ ie 1 nl/noduug ar gern-•Mi¬ 
nien und eine Inzision in die beulei'lorrmge \ ftie l ang /w .Sviien den 
leiden Narben gemaeht: kein E.tei. nur o.len.atoses (iiwc’c. Das 
Rontgeubild vom unteren Drittel des 1 ater'd oiki s erg.bt rm.be 
\ ei liaitllisse. 

1-4 Tage nach der Aufnahme SvhwmJct mnc-ha'b 24 Stunden 
ehe Schwellung des l nter Schenkels last ganz. d:c Svi:w e "artig in der 
l mgebung des Tussgebeiikes geht etwas znriivk und !'e: der l nter- 
suchnrig lasst sich nun ein SvJ.lottern des I ussgereiikes ttsjste .'eit. 
letzt vom I'iisse aufgeinm.ttieiie Röntgen!*.! der er K e bell eme vo ue 
Zertrümmerung eles I a ; us, dessen Mas ultt. das Os tuvioi re er¬ 
scheint wie bi eitgeili Uckt, die /eiviMinig des Ka'katieiis ist ver- 
selivv ommen. 

Die nun vorgcnoinmetic Nerv enuntersuv innig Mel’t eias gen 

einer Tabes dois.bis, die sich wohl Modi mt i>: aatakt.sv hert Madam 
Iietmeiet, fest. 

Das Interessante au dem lall liegt daun. dass zu-achst nichts 
auf die schwere /.erstoruug der Eussvv urzc knoenen hmvo.ev Der 
Mt/ iles Leidens seinen vielmeh.r das untere Dutte! des l ntcr- 
Schenkels zu sein. 

Der völlige Zusammenbruch des I ussgewo bes muss vv.dil J l.ur 
vor der Aufnahme ei folgt sein, a's die p.ot/i.vhe M iivv el ting auTt-.it. 
Dass Patient mit derart /er s.tor teil I ussvv ur/e kmuhell n<>vh zu Euss 
in die Klinik kommen koimte. erklärt s,,h atis vier t.iiusvIren Au- 
lesp. Hvpalgesie. 1 abische Arthropntlucn der Eussvv uf/e! sind 
selten; auf UM Talle von I abes d<>rs.,,>s kommt e n t a l v->n Euss- 
arthiopathie (o.os Pro/.); am hantigsten smd ehe Kniegelenke cr- 
Krifre 11 : m 4 8 Pro/, der Tabeser kr ti'ktingeii muh Marie, in 
lo Pro/., nach L o t h e i s e n. 

Behandlung: Rulngstcliung. 

Herr Noesske: 1. stellt einen bemerkenswerten E.ba v-n 
kongenitaler Syphilis bei einem Id uh-igen Jungen vor. Dre Er¬ 
krankung bestand m einer sv mmetrlsgbui subakuten <i->m.t.s nut 
Verdickung der kondvlcii und reuhliciic n scr«mb:iiiosen Exsudat und 
ei weckte unter Bcnicksicht.gnrg dit. nuanmest-sv neu Daten den \ er¬ 
dacht einer goimri Emi-Sv heu Infektion. lt’i v\ eiteren \ et.autc ent¬ 
wickelt sich eine i.isvli zunehmende beide* sc.r ge kerabt.s par- 
encliv matosa. 11 u t c Ii : n s o m sehe /a!m v erauderuu gv n waren eben¬ 
falls. wenn auch nubt iuisgcsptnvhcu. uauhw c.sbar. D;e Serod.agnose 
war stets positiv, die ( fphthalmo:eaktioii und P i r g ii e t sehe Probe 
völlig negativ ausgefallen. 

J. spricht kurz über die m der elmurgisvheii Klinik zu Kiel geübte 
Technik der SaiighchandliiitK der Extremitäten und demonstriert de 
/um grössten Teil mit eiiilavheil Mitteln i Moi/sp.mgcsu Ii. il.is mit 
(iipshmdeu zu einer ( iiockc modeiiiert und beimts DuJmmg ri.it dumier 
/elliiloulhisimg imprägniert wird) impi ov is,er U n >auga[>pai ate. 
Matt einer 8augspi ,t/u wild eme W ass V -st' ahl'.uttpumpe mt regu- 
Itubarem >u hei heitsv eiitii und Oiku ksi, bet ter benutzt. N. 

Iw richtet über gute Ttfolge bet chromsvhen. rhcumat.s v hen und nach 
D i s t o i s io n von (le'enken, Kontusioiun von km-cuii und W i u htei'.eti. 
nach fl ischen (fperatioiien. Tiaktureii u. a. .mit: elenden >v hmer/eii. 
Die Saiigbehaiiillung bewahrte siih häutig besser a:s ILisslutt- und 
Massagekur. 


Verschiedenes. 

Wann ist eine Operation als widerrechtliche Körperverletzung an- 
/uschen? 

In einem Rechtsstreit eines Mifm.es dis 1 .s t nbäLute ^ ( |j^ikers (i 
/ii Mannheim gegen eitlen Piojess-.r der clmutgie in H. h.ittt d.is 
Reichsgericht sich ul'er die Trage der ei .rihu n ir.l um • .auideii 
<)peration und die d null letz tele bedingten M i.uoe : r e ' s.it/.insp-i, w he 
naher aus/usprecheii. Der Beklagte hatte d.m.a’s dm (• -uh - igeÄ 
Klager, der mit sogen, angeborenem Ihuhst.m-.U des revhteii >vlm.ter- 
blattes und A'erk rumiming der Wirbelsäule Kmötit in seiner oittio- 
padischeu Anstalt auigeiiommen. I r iialmi .ruh Svlmess !v h e me 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



il. August 1006. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1719 


Operation vor, von welcher der jetzige Kläger behauptet, dass der 
Beklagte ohne seine Eltern zu fragen oder auch nu* zu benach¬ 
richtigen, die gewagte, übrigens fehlgeschlagene Operation unter¬ 
nommen und dadurch oder auch durch einen dabei begangenen 
Kunstfehler den Kläger dauernd an seiner Gesundheit geschädigt habe. 
Der Kläger verlangt deshalb eine Kapitalabfindung von 15 0(10 M., 
event. 5 000 M. und eine Rente von 900 bis 1500 M. jährlich. Das 
Landgericht Heidelberg erkannte auf Abweisung des Klägers. Da¬ 
gegen erklärte das Oberlandesgericht Karlsruhe auf die Berufung des 
Klägers den Anspruch von 5000 M. und Zinsen dem Grunde nach für 
gerechtfertigt. Gegen dieses Urteil hatte der Beklagte Revision beim 
Reichsgericht eingelegt, welches jedoch die Entscheidung des Ober¬ 
landesgerichts bestätigte. Aerztl. Mitt. a. u. f. Baden. 

Frequenz der Schweizerischen medizinischen 
Fakultäten im Sommersemester 1908: Basel 172 Stu¬ 
dierende (davon 166 männliche, 6 weibliche); Bern 512 (195 m.), 
317 \v.); Genf 465 (199 m., 266 w.); Lausanne 348 (132 m., 216 w.); 
Zürich 507 (261 m., 246 w.). Total an allen schweizerischen Uni¬ 
versitäten 2004 (953 m., 1051 w.), worunter 530 (497 m., 33 w.) 
Schweizer. 

Therapeutisch^ Notizen. 

F. Nagelschmidt berichtet in einer Arbeit aus der 
Finsenklinik über die Quecksilberbehandlung der 
Syphilis und berücksichtigt dabei besonders das Mergal. In 
seiner Verabreichung als M e r g a 1 ist das Quecksilber genau dosier¬ 
bar und gelangt mit grösserer Sicherheit In bestimm¬ 
baren Dosen in die Zirkulation als bei irgend einer anderen Kur, 
mit Ausnahme vielleicht von der nur selten anwendbaren intravenösen 
Verabreichung des Sublimats. Es ist ebenso frei von unangenehmen 
oder gefährlichen Nebenwirkungen wie irgend eine andere Appli¬ 
kationsmethode; Störungen werden gelegentlich bei jeder beobachtet. 
Mergal wird schnell und in relativ grosser Menge resorbiert und 
zeigt eine lange Remanenz. Es besitzt somit alle Eigenschaften eines 
guten internen Antisyphilitikums. In einer Beobachtung von 103 
Fällen hat sich das Mittel klinisch durchweg gut bewährt, auch bei 
maligner Lues. Für gewöhnlich genügt eine Tagesdosis von 6 bis 
8 Kapseln und eine Gesamtzahl von 300—350 Kapseln für eine Kur. 
(Dermatologische Zeitschrift H. 3, 1908.) 

A. J. Grünfeld - Odessa gibt in der deutschen Medizinal¬ 
zeitung (No. 30, 1908) einen zusammenfassenden Bericht über den 
gegenwärtigen Stand der Frage über die Behandlung der Syphilis mit 
M e r g a,l. Die Anwendung des M e r g a 1 s ist angezeigt vor allem 
in denjenigen Fällen von Lues, wo Quecksilber zur Verordnung 
kommen muss, d. h. bei sekundärer und tertiärer Form. Eine Aus¬ 
nahme sind die Fälle, wo die Lues schwere oder direkt lebensgefähr¬ 
liche Erscheinungen aufweist, event. wo ganz besonders energische 
Kuren angezeigt sind. In der Latenzperiode, sowie bei der chronisch¬ 
intermittierenden Methode im Sinne Fournier-Neisser kann 
das Mergal sehr gute Dienste leisten. Bei den parasyphilitischen 
Erkrankungen kann man stets an die Verordnung des Mittels in 
gleicher Weise wie an eine Inunktionskur oder Injektionskur denken. 
G. bezeichnet das Mergal als das beste interne Antisyphilitikum 
(Quecksilberpräparat), da es vor allem sicher wirke, gut vom Ver- 
dauungstraktus vertragen werde, keine Störungen hervorrufe. F. L. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 10. August 1908. 

— Den badischen Landständen ist der Entwurf eines Ge¬ 
setzes betr. die Irrenfürsorge zugegangen. Das Gesetz, 
das sich im wesentlichen mit der Unterbringung und Zurückhaltung 
Geisteskranker in der Irrenanstalt ohne oder gegen ihren Willen 
befasst, wird, der Psych.-neurol. Wochenschr. zufolge, ergänzt wer¬ 
den durch eine landesherrliche Verordnung, die das ganze Irrenfürsorge¬ 
wesen — Aufnahme- und ßntlassungsverfahren — neu regelt. Der 
vorliegende Entwurf ist in einem Teil der Fachpresse scharf kritisiert 
worden, weil er die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses 
für die Verbringung eines Kranken ohne oder gegen seinen Willen 
in die Anstalt verlangt. Diese Bestimmung wird jedoch wesentlich 
eingeschränkt dadurch, dass in dringenden Fällen die sofortige Auf¬ 
nahme erfolgen kann, wenn dies zum Zwecke der Heilung des Kranken 
oder zur Vermeidung von Gefahren nötig ist. Auch kann, wenn die 
Unterbringung in eine Privatirrenanstalt erfolgen soll, das bezirks¬ 
ärztliche Zeugnis ersetzt werden durch das Zeugnis eines Arztes der 
Privatirrenanstalt, sofern dieser Arzt vom Ministerium des Innern 
hierzu besonders ermächtigt ist. In solchen Fällen ist der Kranke 
binnen 24 Stunden nach der Aufnahme vom Bezirksarzt zu unter¬ 
suchen. 

— Die bayerische Abgeordnetenkammer bewil¬ 
ligte in ihrer Sitzung vom 3. ds. für Erbauung eines die 
Universitätskliniken und die Krankenhäuser für die städtischen 
und klinischen Kranken umfassenden Krankenhauses in 
Würzburg als 1. Rate 500 000 M. Der Regierungsantrag, wonach 
das mfue Krdnkenhäus auch die juliusspitälischen Kranken umiassen 
sollte, wurde von der 1 Zentrumsmehrheit gegen die Stimmen der 


übrigen Parteien abgelehnt. Die Zentrumspartei, so erklärte ihr Wort¬ 
führer Dr. Gerstenberger, würde ihre Grundsätze verleugnen, 
wenn sie einem Postulat zustimmen würde, das die Simultanisierung 
und’Säkularisierung einer alten katholischen Stiftung zur Folge haben 
würde. Dass Staatsminister v. Brettreich erklärte, dass die 
Staatsregierung jedem Versuch zur Säkularisierung des Juliusspitales 
entgegentreten werde, half nichts. Die Bedeutung dieses bedauer¬ 
lichen Beschlusses für die Universität Würzburg wurde schon früher 
besprochen. 

— Die bayerische Reichsratskammer nahm in ihrer 
Sitzung vom 8. ds. das Beamtengesetz an, strich jedoch dem Aus¬ 
schussantrag entsprechend die Bestimmung, wonach die K o 11 e g i e n- 
gelder der Universitätsprofessoren, sofern sie die 
Summe von 6000 M. überschreiten, zur Hälfte zu gunsten eines Hoch¬ 
schulfonds eingezogen werden sollen. Im Ausschuss hatten besonders 
die Professoren v. H e r 11 i n g - München und S c h a n z - Würzburg 
die Ungerechtigkeit dieser Bestimmung und ihre Schädlichkeit für die 
bayerischen Hochschulen nachgewiesen. Es bleibt nun abzuwarten, 
ob die wenig professorenfreundliche Abgeordnetenkammer dieser Aen- 
derung des Gesetzes zustimmen wird. 

— Gesuche um Zulassung zur Prüfung für den ärzt¬ 
lichen Staatsdienst in Bayern 1908,09 sind unter 
Vorlage der Originale des Approbationszeugnisses und des 
Doktordiploms der medizinischen Fakultät einer Universität des 
Deutschen Reiches bei Vermeidung des Ausschlusses von der 
Prüfung spätestens bis 30. September 1. Js. bei jener Kreis¬ 
regierung, Kammer des Innern, einzureichen, in deren Bezirk der 
dermalige Wohnsitz des Gesuchstellers sich befindet. Im Gesuche ist 
zugleich die Adresse für die seinerzeitige Zustellung des Zulassungs¬ 
dekretes genau anzugeben. 

— Von der Kaiscrl. Leopold-Karolinischen deutschen Akademie 
der Naturforscher in Halle wurden als Mitglieder aufgenommen: 
Prof. Dr. Friedrich Schenck, Ordinarius der Physiologie und 
Direktor des physiologischen Instituts an der Universität in Marburg 
und Dr. Otto Wilhelm Thilo, praktischer Arzt und Leiter einer 
orthopädischen Anstalt in Riga. 

— Mit Bezug auf das in No. 18 d. W. von Dr. Kretzschmar 
in Leipzig beschriebene Stethoskop mit Reflektor und 
Ohrtrichtern schreibt uns Herr Dr. E. N e u h a u s in Hagen i. W., 
dass er ein ganz ähnliches Instrument schon vor einer Reihe von 
Jahren angegeben habe, das durch die Firma E v e n s und P i s t o r 
in Kassel in den Handel gebracht wurde. Es hat sich aber, wohl 
wegen des hohen Preises (16 Mk.), damals nicht eingebürgert. 

Cholera. Britisch-Ostindien. In Kalkutta starben in der 
Woche vom 21.—27. Juni 49 Personen an der Cholera. — Russland. 
Laut amtlicher Bekanntmachung ist am 21. Juli im städtischen 
Krankenhause zu Astrachan ein aus Baku zugereister Arbeiter an 
der Cholera gestorben und ein Bewohner der Stadt an der Cholera 
erkrankt; vom 24.—27. Juli sind in Astrachan 11 Personen erkrankt 
(und 4 gestorben), seit dem 21. Juli insgesamt 13 (5). 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 5.—25. Juli an der Pest 
18 Personen erkrankt (und 16 gestorben), im ganzen seit dem 7. Mai 
101 (58). In Adalia (Wilajet Konia) sind am 26. Juli 2 Pestfälle fest¬ 
gestellt worden. — Portugal. Vom 21. Juni bis 16. Juli sind auf der 
Azoreninsel Terceira nach neueren Nachrichten 19 Personen an der 
Pest erkrankt und 9 gestorben. — Aegypten. Vom 18.—24. Juli sind 
an der Pest 13 Personen erkrankt (und 7 gestorben). — Britisch- 
Ostindien. Während der am 20. und 27. Juni abgelaufenen Wochen 
sind in ganz Indien 692 + 563 Erkrankungen und 699 + 483 Todes¬ 
fälle an der Pest zur Anzeige gelangt. — Venezuela. Am 3. Juli 
wurde die Pest in La Guayra regierungsseitig für erloschen erklärt; 
dagegen sollen in der Hauptstadt Caracas, wo vom 26. April bis 
Mitte Juni 12 Erkrankungen mit 7 Todesfällen festgestellt waren, 
noch weitere Pestfälle aufgetreten sein. — Ecuador. Zufolge einer 
Mitteilung vom 3. Juli ist in Guayaquil seit Mitte Juni nur noch 
1 Pestkranker in Zugang gekommen. 

— In der 30. Jahreswoche, vom 19.—25. Juli 1908, hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Zabrze mit 40,7, die geringste Schwerin mit 6,0 Todesfällen pro Jahr 
und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb 
an Scharlach in Königshütte, Zabrze, an Masern und Röteln in ülei- 
witz, an Keuchhusten in Oberhausen. V. d. K. G.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Habilitiert: Dr. Paul Bartels für Anatomie und 
Anthropologie, Dr. Ulrich Friedemann für Hygiene, Dr. Walter 
T h o r n e r für Augenheilkunde und Dr. Gustav v. Bergmann für 
innere Medizin. — Als Privatdozent für Anatomie und Anthropologie 
wurde Dr. Paul Bartels zugelassen. Seine Habilitationsschrift 
„Das Lymphgefässystem“ erscheint als ein Band des Handbuches 
der Anatomie des Menschen von v. Bardeleben (Jena). (hc.) 

Bonn. Dem Privatdozenten für innere Medizin und Assistenz¬ 
arzt an der medizinischen Klinik Dr. Rudolf Finkelnburg und 
Dr. Joseph Esser, sowie dem Privatdozenten für Geburtshilfe und 
Gynäkologie und Oberarzt an der Frauenklinik Dr. Carl Reiffer¬ 
scheid ist der „Professortitel“ verliehen worden. — Die 50 jährige 
Doktorjubelfeier begeht am 12. August der ord. Honorarprofessor und 
Direktor der Klinik und Poliklinik für Syphilis und Hautkni nk- 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1720 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22. 


hcitcn an der Universität Bonn, Cich. Med.-Rat Dr. ined. Josef 
Doutrelepont. die.) 

Breslau. Zum Dekan der medizinischen Eakultät wurde (ich. 
Medizinalrat Prof. Dr. Eilehne gewählt. -- Habilitiert inr 
Chirurgie: Dr. med. Hermann C o e n e n, Assistenzarzt an der chirurgi¬ 
schen Klinik. Habilitationsschrift: Die praktische Bedeutung 
der Seruindiagnostik bei chirurgischen Erkrankungen, insbesondere 
bei Knochenkrankheiten. Antrittsvorlesung: Die Bedeutung 
des Druckdiftcrcnzverfahrens für die Chirurgie des Thorax. 

Er ei bürg i. Br. E'ur Laryngo-Rhinologie habilitierte sich der 
Assistent an der Laryngo-Rhinologischen Klinik. Dr. med. et phil. 
Wilhelm Brünings, früher Privatdozent in Zürich. (hc.) 

Leipzig. Ernannt wurde der a. o. Professor. Assistent am 
physiologischen Institut der Universität Leipzig. Dr. med. >icgined 
Oarten vom 1. Oktober ds. Jrs. ab zum ordentlichen Professor und 
Direktor des physiologischen Institutes in (iiessen. <hc.) 

Cambridge. Dr. J. H. Mc C o I I o m wurde zum Pmiessor 
der Infektionskrankheiten an der Harvard-Universität ernannt. 

Charkow. Der ausserordentliche Professor der Neurologie 
und Psychiatrie Dr. J. O. Orchansky wurde zum ordentlichen 
Professor ernannt. 

Kasan. Dr. T s c h n i e w s k y, Privatdozent an der medi¬ 
zinischen Eakultät zu Charkow, wurde zum ausserordentlichen Pro¬ 
fessor der Pharmakologie ernannt. 

Lemberg. Dr. M. E ranke habilitierte sich als Privatdo/ent 
fiir innere Medizin. 

Moskau. Erau Dr. Vera Dantschakow habilitierte sieh 
als Privatdozentin für Histologie. 

Neapel. Dr. A. Pirera habilitierte sich als Privatdo/ent tur 
interne Pathologie. 

Ofen-Pest. Als Privatdozenten wurden aufgenommen: 
Dr. Wilhelm Mannin ger für chirurgische Propädeutik. Dr. Tibor 
Verebely für Infektions- und chirurgische Krankheiten. Dr. Heinrich 
Benedict für Pathologie und Therapie der Konstitutionskrank¬ 
heiten, Dr. Karl Borssek v für chirurgische Operationslehre. Dr. 
Desider Raskai für klinische Diagnostik der Erkrankungen der 
Harn- und Geschlechtsorgane und der Chefarzt des staatlichen 
Kinderasyls Dr. Eranz Tordav fiir Kinderheilkunde mit besonderer 
Berücksichtigung der Pathologie und 'Therapie der Säuglinge. (hc.) 

St. Petersburg. Dr. Zyto witsch habilitierte sich als 
Privatdozent für Oto-Rhino-Laryngologie an der militär-medizinischen 
Akademie. 

Rom. Dr. V. Gaudian i habilitierte sich als Privatdozent für 
externe Pathologie. 

Siena. Dr. A. Altobelli habilitierte sich als Privatdozent 
für Hygiene. 

Wien. Ein Freund der Wissenschaft, der anonym zu bleiben 
wünscht, hat der kais. Akademie der Wissenschaften ange/eigt. dass 
er bereit sei. die Kosten der Errichtung eines Instituts i u r Ra¬ 
diumforschung und dessen Ausstattung mit den notwendigen 
Instrumenten bis zur Höhe von einer halben Million Kronen zu tragen. 
Da man aber jetzt an den Neubau eines physikalischen Institutes 
schreitet, so ist projektiert, in dessen unmittelbare Nähe auch das 
Röntgeninstitut zu errichten, vorausgesetzt, dass das hiefiir bestimmte 
Territorium sich als genügend gross erweist. - Als Privatdo'enten 
wurden zugelassen: Dr. Erwin Stransky fiir Psychiatrie und 
Neurologie, Dr. Wilhelm Wal lisch für Zahnheilkunde. 

Berichtigungen. In No. 31, S. Köl. Sp. I ist bei „Rachisan“ 
zu lesen: Eerrum matmo — v i t e I I i n a t u m (statt destillatum). 

ln der Arbeit K a r o 11 e n s u p p e bei E r n ä h r u n g s - 
Störungen der Säuglinge von E. Moro soll es auf S. H.37 
anstatt: „Die Brühe wird aus 50 g Rindfleisch hergestellt“ richtig 
heissen: „Die Brühe wird aus 500 g Rindfleisch hergestellt“. 

In No. 31, S. 1663, Spalte 2 (Eloesser: Opsoninbestimmung 
bei Abszessen) ist in Zeile 35 v. u. statt 0,0 zu lesen: 1,(». 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Versetzt: Der Oberarzt Dr. W i c I vom 4. Inf.-Reg. zum 
2. Eeld-Art.-Rcg. 

Bewilligt: Dem Assistenzarzt Dr. Karl Schwarz der 
Reserve (Hof) das Ausscheiden aus dem Heere behufs Pebertritts in 
das aktive Sanitätskorps der Kaiserlichen Marine. 

Befördert: Der Oberstabsarzt Dr. \\ ürdinger im Kriegs¬ 
ministerium zum Generaloberarzt ohne Patent. 


Korrespondenz. 

Die Beibehaltung der Karenzzeit In München. 

Sehr geehrte Redaktion! 

Die Vorstandschaft der Abteilung fiir freie Arztwahl ersucht Sie, 
folgende sachliche Aufklärung in Ihrer Zeitschrift autnchmeii zu 
wollen: 


Auf Seite 1071 der ...Mimdi. med. W odiciisdir." \«*m 4 . \ III. l‘>os 
findet sich an der Spit/e der I agcsgesdiichtiiciien Noti/m“ eine die 
Abschaltung der Karenzzeit bezügliche Beriiei kling, die zum len 
Wold durch eleu luckeuhalle u Sitzungsbericht über die Mitgiicderv er- 
sarrimlung der Abteilung mr freie Arztwahl Oute 1 **<.•>» veranlasst 
wurde. Es wird von dem \ or sitzende n Dr. Bauer behauptet, dass 
er m der Diskussion lebhaft für die Beibehaltung der Karenzzeit p.a- 
diei t habe mul der \ or standschalt selbst der \<»rwurf gemacht, d.iss 
sie nielit für die Auihebimg eler Karenzzeit emgetre tc n sei. Be.des 
eiitspiieht mellt den 1 atsadien. Herr Dr. Bauer hat zwar die v<m 
den Gegnern der Aulhebung (liecht. Mut Iler) äugt lahrtcn 
(iruiule als beae hteiisw ert anerkannt, sidi ted, <c h mit RicSsidit aut 
die Aer/tetagsbcsciuussc h<<n aus dis/ip.marcti (irmivleu b r die 
Aufhebung eler Karenzzeit auvgespn>cheil und für ihre Beseitigung 
gesummt. Audi ein anderes Mitglied der \ <»rStands*.halt, v.m der 
zur Zeit drei in l ilaub sind, Herr Dt. Epstein, hat sich v < >r t'e ha.t- 
los aus prin/ipieileri (ir linden fiir ehe Auihebimg einge setzt und ausser¬ 
dem aus Zw ec kmassigkeitsglßnden auf die grosse- ( Klahr, w tldie die 
Beibehaltung der Karenzzeit bei eintretenden Kontakten mit den 
Kassen haben kann, hmgew lesen. 

Das entscheidende Wort hat die Mitglieder v ersinmilültg und es 
darf wohl hier daraui hmgew lesen werden, dass seitdem die Herren 
Lukas u. (i. ihren Antrag auf Auihebimg der Karenzzeit seinu/e;: 
gestellt haben, dieser Punkt bereits zweimal .us \ntr,.g der \orst.mi- 
Sv.halt und nunmehr zum dritten Maie ais Ij-udenijüg der (>rtsk r auKeti- 
kasse w eshalb audi die \ orstam!s v halt se bst keinen euer en 

Antrag zu stellen brauchte am der I ages.u duung gesunderi hat. 
ohne elass die ui spnmgik heil Anti agsteiier es tar u<*tig gtlwubcn 
hatten, für den Antrag m einer Mitgiiederv e r s.itnmhmg em/utreten. 
Bei der vorletzten Behandlung des \ntrages I e Ulte n nur wenige 
Stimmen. die von den dem Herrn Kritiker nahe stdu nde ti Herr n 
leicht halten aufgebläht werden können. I m dr her es I • 

treten der \ or standsdiatt in vier letzten Sitzung sdnen aussichtslos 
angesichts der duidi Torrn und Inhalt auswärtiger 1 inmisdinuge n ge¬ 
reizten Miinniung der \ ei Sammlung. 

Auf die Delegation nadi R-un soll heute mdtt cmgeg.tugtM 
v\ erden, nachdem die Von der \ oi st.nuisji.iit gew.u: teil MelHn v- 
gieiv.li nach Scjjduss der Sitzung (w aliuiut der Be li.ir.diuug der I r .ue 
war ausser dem \ m sitzenden kein Delegierter anwesuu:» dire V.m- 
date der \ or slandsgl.j^fl zur \ etliuung gesteht lial-ui u: d viie Aiue- 
legenheit die nächste .Mitglieder v er sarmmung nov.ii besc h.ut .ge n wird. 

Mit kollegialer Hochachtung 
die VorstarnlsJiaft inr ireie Arztwahl. 

Dr. Trieilrich Bauer, \ or sitzender. 

Wir bemerken dazu kurz folgendes; Unser Bericht gibt ein 
zutreffendes Bild Von dem \eriaul mul vier Stimmung der fr.u u hen 
\ ersammlung. Herr Dr. Bauer hat mit bered,teil Worten die (ie- 
faliren, welche die AbschaUuiig vier Karenzzeit mit sich bringen \v mdc 
gesv. lnhlert. Wellll er elailii erk.aitc. '.rot/deiii aus dis/, ,ina r eil (j r • s *1- 
eie ii. d. h. mit Rücksicht auf die Ae r zlrtagsbe s v tm.sse. tr den \ntrj K 
zu stimmen, so konnte diese \it Je s l mtretens mr vk n \nt-.:g aut d:e 
(iegner des Antrages keinen TmdiUck machen. Herr Ik. Bauer 
w eiss andere I oiie zu finden wenn ihm eine Sache wirUuh am Herzen 
liegt. Auch die Kabine tsfiage hat er Schon ans \p'ass t u \..n weit 
geringerer Bedeutung gestellt. I'ass m der Sitzung I reitt'de des An¬ 
trages fehlten, hangt elamit zusammeu. elass v ,ie Sitzung 1 2'K lu!i> m 
die Teilen fiel. So wichtige Tragen sollten wahrend des \r b c j*s. 
jaliies entschieden v\ er Jen. Redaktion. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

wahrend der 3<k lahreswodie vom lü. bis 25. Julr lkos. 

B*-v olkeruugs/ahl 55», mi, 

Todesursachen: Angeborene lebvnsschw. il. leb.-Mi 13 1 1 r i. 
Altersschw . (ub. (»n .1.» s <Ji. k mdd ettUe K r - < i, and To!gm der 

Geburt 1 l I, Scharlach 1 r 1 i. Masern u. R-teni ub. Diphth. u. 
Krupp 3 (11, Keuchhusten • u’i. I \ jdms 2 tH, id e rtra 1 ie rkrankh. 
- ( ). Rose 11 rv sipe ii I 1 1 1 . and. W iindink k1 1 * »nsf.r. u ms v iil. Hiut- 
U. Eitervergift.» - iJi. I uberkul. d J ungen 33 ij'o. 1 über kuI. and. 
Org. b (5), Miliartuber kul. 2 tJi. I inigi-ne nt/.md i Pik »rftf-«n. i h i5i, 
Imlueii/a ( ), and. ubertragfi Kraiir.li. 5 Ui, I nt/.md. d Atmumgs- 

orgaue 1 (1). Sonst. Kraukh. derseib. 1 i i, nr 0 m. 1 i«. r /: c i J 15 
sonst. Kr. d. Kretsj-autsorg le mschl. Her/Scdioigi ,s i5». < leiarnsdnag 
7 (in. (ieisteskraiikh. J 1 1 i. Traisen, t kiamps. d. Kinder 2 <»>i, atul 
Kraukh. d. Nerv elisvstems 4 1 1 i. Magen- u. Dctfcn.-Kat . Brcdidurdiiail 
(einsdil. Ab/ehrungi 37 (3si. Kransii d. leier 4 <*K Kr.nihii. des 

Hauditells — (I), and. Kraukh. d. \ er v!.mtrV,gsorg. 2 i s i. K rankh. d. 
Harn- u. (iesdileditsorg. <> t5i. Krebs i K arzmorn. Krarrsr*-idi Io i^i, 
and. Nenbilelg. (einsdil. S;irk"i!M 2 i3», Se / 3 1 1,, 1 od durch 

fremde Hand 1 < I. 1 ngde kst.de <3.. a e übrig. Km:>!i 4 1 4 

Die (iesamt/ah! vier Stert et..de 1'^, ds] *. \ ert..et;- v/., ;; .tut das 
Jahr und 1 "mi I.iiiw ohner itn augertie:r-en 1>.3 i t:.r di»* uber 

dem 1. Lebensjahre stellende Hevoikerurg 1 ill.3i. 


*) Die emgeklamtnertui Zaiben bedeateti J.e 1 a..e der \ ..rw 


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München. Freiburg L B. 


Erlangen. 


München. München. München. 


No. 33. 18. August 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.) 


, Originalien. 

Aus den Universitäts-Frauenkliniken in Tübingen und München 
(Vorstand: Professor Dr. D ö d e r 1 e i n). 

Zur Sterilisation und Verwendung der Gummihandschuhe. 

Von Dr. A. F i e s s 1 e r und Dr. Y. I w a s e. 

Dass der erstmals von Zoege v. Manteuffel 1 ) 
empfohlene, von Friedrich 2 ) und D ö d e r 1 e i n 3 ) in zweck¬ 
mässiger Form in die Chirurgie und Geburtshilfe eingeführte 
Gummihandschuh heute zu einem integrierenden Bestandteil 
des modernen aseptischen Apparates und zu einem unerläss¬ 
lichen Erfordernis in einer rationellen Prophylaxe des Puer¬ 
peralfiebers geworden ist, steht ausser allem Zweifel. Die Ver¬ 
handlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie zu 
Dresden, Mai 1907, in denen die Asepsis ein Hauptthema 
bildete, haben dies unumwunden anerkannt, wie andererseits 
die ausserordentlich zahlreichen Untersuchungen über die 
Händedesinfektion mit dem sicheren Resultat geendet haben, 
dass die Hände des Arztes und Operateurs mit keinem der 
uns bis jetzt zu Gebote stehenden Mittel keimfrei gemacht 
werden können. Auch der von Menge*) eingeführte Paraffin- 
Xylolüberzug bietet einen ungenügenden Schutz gegen Ueber- 
tragung von Keimen, die Verwendung von durchlässigen Hand¬ 
schuhen vollends bewirkt das direkte Gegenteil des erstrebten 
Zieles. Bezüglich der Literatur über diese Dinge können wir 
auf die Abhandlungen von Franz (in Veits Handbuch) und 
W. Kohn (Monatsschrift für Geburtsh. und Gyn., Band 25) 
verweisen, wo in Kürze eine gute Uebersicht über die ein¬ 
schlägigen Verhältnisse gegeben wird. 

Der Einwand der Handschuhgegner, dass der Gummi¬ 
handschuh das Gefühl beeinträchtige und durch seine Glätte 
und Schlüpfrigkeit beim Operieren hindere, ist schon so oft 
widerlegt, erst kürzlich wieder 8 ) von Franz Fritsch und 
K ü s t n e r, dass es verwunderlich erscheint, dass er immer 
wieder auftaucht. Ist es doch bei einiger Gewöhnung an den 
Handschuh gut möglich, sogar bei hohem Blasensprung und 
mangelndem Vorwasser das Intaktsein der Eihäute im Bereich 
des Muttermundes sicher zu erkennen, gegenüber dem Befund 
bei gesprungener Blase. Feinere Unterschiede als diese fühlen 
zu müssen werden Aerzte und Operateure wohl selten in die 
Lage kommen. Die erforderliche Gewöhnung kann sich auch 
der praktische Arzt dauernd dadurch sichern, dass er eben 
auch in der kleinen Chirurgie und bei der gynäkologischen 
Untersuchung sich der Handschuhe bedient. Die oft beklagte 
Unbeholfenheit bei „seltenem“ Gebrauch wird dadurch bald 
überwunden. 

Weit mehr als die angebliche Schwierigkeit der Ge¬ 
wöhnung an den Handschuh stehen seiner allgemeinen Ver¬ 
breitung andere Momente im Wege: Seine beschränkte Lebens¬ 
dauer und sein hoher Preis. War in den ersten Jahren seiner 
Verwendung der Preis bei einem relativ schlechten Präparat, 
wie es die amerikanischen Handschuhe waren, in Wirklichkeit 
sehr hoch, so ist dies in letzter Zeit wesentlich besser ge- 

*) Zentralbl. f. Chir. 1897, No. 20. 

*) Zentralbl. f. Chir. 1898, No. 17. 

*) Chirurgenkongress 1898 und Hegars Beitr. I, 1; Zentralbl. f. 
Gynäkol. 1898, No. 26. 

*) Münch, med. Wochenschr. 1898, No. 4. 

Ä ) Verhandl. d. D. Qesellsch. f. Qynäkol., Dresden 1907. 

No. 33 


worden. Die von Zieger und Wiegand, Leipzig ge¬ 
fertigten Handschuhe bestehen aus wirklich gutem Kautschuk 
von hoher Festigkeit, bei sehr hoher Elastizität und kosten pro 
Paar doch nur etwa M. 1.50. Ja es sind sogar noch billigere 
Sorten im Handel empfohlen. Doch darf man in dem Preise 
nicht zu weit zurückgehen, da bei diesem die Qualität wesent¬ 
lich schlechter und ihre Haltbarkeit ausserordentlich verringert 
ist, so dass sie die erforderliche Desinfektion nicht mehr aus- 
halten. Diese leichte Verletzbarkeit und die rasche Abnahme 
der Elastizität sind es hauptsächlich, die das Arbeiten mit 
Gummihandschuhen so verteuern, dass sowohl die Bonner, wie 
auch die Breslauer Frauenklinik ihren jährlichen Etat mit etwa 
M. 2000.— für Gummihandschuhe belasten müssen, eine 
Summe, die auch für unsere hiesigen Verhältnisse passt. Dabei 
ist allerdings zu bemerken, dass gerade an den Universitäts- 
Frauenkliniken der Verbrauch ein exzessiv hoher ist, da die 
Verwendung bei Touchierübungen, bei denen ungeübte Unter¬ 
sucher erst lernen müssen, mit dem Handschuh umzugehen, 
sehr viele Opfer fordert. 

Die Tatsache, dass der Kautschuk ein häufig wiederholtes 
Auskochen oder häufige Sterilisation im Dampf schlecht ver¬ 
trägt, und darauf mit sackartiger Erweiterung unter Verlust 
der Elastizität reagiert, führte dazu, nach anderen Methoden 
zu suchen, den Handschuh keimfrei zu machen. Zugleich 
wollte man dem praktischen Arzt Mittel an die Hand geben, 
sich von einem Sterilisationsapparat zu emanzipieren, und ihm 
zu gestatten, die Handschuhe unsterilisiert mitzuführen und an 
Ort und Stelle durch einfache Manipulationen zu säubern. So 
stellte Dettmer 8 ) Versuche an, auf rein mechanische Weise 
die Keime von der Handschuhoberfläche zu entfernen und kam 
zu dem Resultat, dass %—1 Minute langes Abspülen mit 
sterilem Wasser, das einmal gewechselt werden muss, völlig 
genüge, „selbst höchstgradig infizierte Gummihandschuhe 
keimfrei zu machen“. Auch Wandel und Höhne 7 ) glauben 
in wenigen Minuten durch Waschen mit Seife und Wasser 
„auch ohne Anwendung der Bürste“ Sterilität zu erreichen. Ja 
sie können sogar berichten, dass „sich die seit 2 Monaten aus 
ökonomischen Gründen in der Frauenklinik Kiel erfolgte prak¬ 
tische Verwertung der blossen mechanischen Reinigung gut 
bewährt habe“. Diesem bedenklichen Verfahren treten als¬ 
bald Fromme und Gawronsky 8 ) entgegen, indem sie den 
Voruntersuchem technische Fehler nachweisen, die irrtüm¬ 
licherweise Keimfreiheit vortäuschten. Eine wirkliche Sterilität 
der Handschuhoberfläche könne erst nach Behandlung mit 
einem Desinfiziens erreicht werden. Sie empfehlen daher 
4 Minuten langes Waschen mit heissem Wasser, Seife und 
Bürste, darauf 2 Minuten in Sublimat 1 zu 1000. Bei der Emp¬ 
fehlung für den Praktiker schiessen aber auch sie über das 
Ziel hinaus, indem sie die Methode ohne vorausgehende Des¬ 
infektion der Hände anraten zu können glauben, ein Vorgehen, 
vor dem kurz vorher Fehling®) aufs eindringlichste warnte, 
und das auch von D ö d e r 1 e i n 10 ) bei jeder Gelegenheit, bei 
der er für die Verwendung der Handschuhe eintrat, widerraten 
wurde. Ein solches ist nur aus vitaler Indikation zu so¬ 
fort i g e m Eingreifen als Ausnahme zu gestatten, für gewöhn- 

e ) v. Langenbecks Archiv, 62, 1900. 

7 ) Münch, med. Wochenschr. 1903, No. 9. 

8 ) Münch, med. Wochenschr. 1903, No. 40. 

e ) Münch, med. Wochenschr. 1903, No. 33. 

,0 ) Berl. klin. Wochenschr. 1898, No. 50. 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Ko. 33. 


<1722 


liehe Fälle aber — und das sind die allermeisten — als sehr 
gefährlich zu verwerfen, denn sobald der Handschuh auch nur 
eine geringe Verletzung aufweist, oder erhält, bildet der ent¬ 
stehende Handschuhsaft von der nicht sorgfältig desinfizierten 
Hand eine äusserst keimreiche Flüssigkeit, die, in einen puer¬ 
peralen Uterus übertragen, die unheilvollsten Folgen nach sich 
zieht. Aehnlich, wenn auch nicht in so hohem ürade gefähr¬ 
lich, liegen die Verhältnisse, wenn die Handschuhinncnflächc 
nicht desinfiziert war, wie dies nach Wandel und Höhn e 
geschah. Wir versuchten deshalb, ob es nicht möglich sei, 
durch Auffüllen des Handschuhes mit einem chemischen Des- 
infiziens und folgendes Untertauchen darin derart, dass die 
Fingerspitzen nicht durch Luftblasen über der Flüssigkeit ge¬ 
halten werden, völlige Sterilität zu erzielen. Wir verwendeten 
zu diesem Zwecke erst 2 prom. Sublamin- und Sublimat¬ 
lösungen, nachdem wir an die Handschuhe Tctragenuskulturcn 
hatten antrocknen lassen. Doch zeigte es sich, dass diese 
Lösungen nicht imstande waren, den Tetragenus abzutöten, 
ja es wuchsen sogar reichlich Kulturen, nachdem die Hand¬ 
schuhe 3 Tage lang in 2 prom. Sublaminlösung gelegen hatten. 
Bezüglich der Technik, die wir dabei gebrauchten, ist zu be¬ 
merken, dass wir nach der beabsichtigten Dauer der Ein¬ 
wirkung des Desinfektionsmittels die Handschuhe mit aus¬ 
gekochten Klammern aus der Lösung in Schwefelammonium 
übertrugen, von da in steriles Wasser, dann auf einem sterilen 
Tuch ausbreiteten, das auf einen mit Blech beschlagenen 'l isch 
gelegt wurde, welcher sorgfältig mit Alkohol abgerieben war. 
Die abnehmende Person war desinfiziert und mit ausgekochtem 
Handschuh bekleidet. Die Abnahme geschah teils mit in Dampf 
sterlisierten Wattetupfern, teils mit ausgekochten Platinlöffeln. 
Die Wattetupfer wurden stets mit nur einmal verwendeten, 
sterilen Klammern gefasst, ebenso der Handschuh mit steriler 
Klammer festgehalten. Die Abnahmen wurden teils in Agar 
auf Platten, teils in BouiJlon übertragen und 4N Stunden 
bei 37 °. 9 im . tt fu Lschrank aufbewahrt. Es zeigte sich nun, 
dass völlige Sterilität der Handschuhe erst nach 10 Minuten 
langem Einlegen in % proz. Sublimat, oder 15 Minuten in 
34 proz. Sublaminlösung zu erreichen war. Es bedurfte also 
wesentlich höherer Prozentgehalte der Desinfektionsflüssigkeit 
als sie gewöhnlich verwendet wurden, um eine Sterilität durch 
rein chemische Einwirkung zu erreichen. Derartig konzen¬ 
trierte Lösungen sind aber für den Operateur nicht ohne un¬ 
angenehme Wirkung (Ekzeme). Aehnlich wie die proz. 
Sublaminlösung w irkte 5 proz. Formalin, das aber für die 
Praxis unbrauchbar ist. Waren somit unsere Versuche, durch 
rein chemische Einwirkung auf Aussen- und Innenfläche die 
Handschuhe zu sterilisieren, hinsichtlich der praktischen Ver¬ 
wertbarkeit der Methode als gescheitert zu betrachten, so w ar 
es bei der geringen Wirkung, die die gewöhnliche Konzen¬ 
tration der Desinfektionsmittel gezeigt hatte, nötig, nochmals 
zu prüfen, wie weit wir durch Kombination mit mechanischer 
Wirkung kämen, analog den Versuchen von Fehling, 
Fromme und Q a w r o n s k y. Natürlich musste damit auf 
eine Einwirkung auf die Handschuhinnenfläche verzichtet 
werden. Immerhin würde ein positives Resultat in solchem 
Falle den Wert haben, dass wir die Möglichkeit besitzen, bei 
Beschmutzung mit Eiter während einer Operation die nunmehr 
nur an der Aussenseite infizierten Handschuhe w ieder in einen 
Zustand zu versetzen, der den Anforderungen der Asepsis ge¬ 
recht wird, oder dass wir zwei oder mehrere Operationen 
hintereinander ausführen können, ohne die Handschuhe zu 
wechseln, w T enn diese nicht gerade bei der Operation verletzt 
wurden. Wir nahmen deshalb, w ährend wir in Minuten lang 
die Handschuhe in fliessendem, heissem Wasser mit Seife und 
Bürste bearbeiteten, in Zeitabständen von je 2 Minuten Proben 
zu bakteriologischer Untersuchung ab. Dabei fanden wir be¬ 
reits nach 2 Minuten eine hochgradige Armut von Keimen, die 
indessen nie, auch nicht nach 10 Minuten, zur Sterilität herab- 
sank. Letztere erreichten wir erst durch eine Bearbeitung 
mit einem Desinfiziens, wobei sich nunmehr allerdings die 
2 prom. Sublamin- und 1 prom. Sublimatlösung als völlig aus¬ 
reichend herausstelltcn Durch W aschung mit 70 proz. Alkohol 
konnten wir keine Sterilität erreichen, wenn wir nicht die 
, armwasserseifcnw aschung vorausschickten. Wir können 
daher resümieren, dass unsere diesbezüglichen Versuche auf 


das Resultat von F r o m m e und < j a w ronsk y und F e h - 
ling hinausliefen; die Behandlung der Handschuhe nach 
D e t t m e r, W a n d e 1 und H ö h n e bew irkt indessen keine 
Sterilität, sondern nur eine Keimarmut, wir erreichen mit ihr 
nicht mehr als mit der gewöhnlichen Desinfektion unserer 
Hände. Wenn diese Autoren mit den nach ihrem Re/ept be¬ 
handelten Handschuhen befriedigende Resultate erzielten, so 
bew eist dies nur, dass der menschliche Körper über eine ziem¬ 
lich grosse Menge von Abwehrkräften verfugt, um über die 
implantierten Bakterien Herr zu Werden. 

Ist es uns hiernach erlaubt, mehrere Operationen hinter¬ 
einander mit demselben Handschuh aiis/ufuhren, wenn wir 
ihn nur dazwischen mit Waser und Seife und einem Des¬ 
infiziens einer gründlichen, etwa 5 ö Minuten dauernden 
Säuberung unterziehen, so ist zwar damit schon Erhebliches 
im Verbrauch von (iummihandschuhen gewonnen, doch 
kommen wir nicht um die immer wieder notwendige Sterili¬ 
sation durch Auskocheu, strömenden oder gespannten Dampf 
herum. Am schädlichsten wirkt das Auskocheu. Der Hand¬ 
schuh wird dadurch schlaff, unförmig und verliert in kurzer 
Zeit vollkommen seine Elastizität, ln diesem Zustand aller¬ 
dings beeinträchtigt er das (iefulil, da er sich mellt mehr den 
Fingergliedern anschmiegt, sondern Falten bildet und bei der 
Untersuchung nicht mehr streng den Bewegungen der Finger¬ 
spitzen folgt. Beim Operieren hindert ein weiter schlaffer 
Handschuh beim Knoten der Faden; daher sind solche ver¬ 
dorbene Handschuhe nur noch zu gröberen Arbeiten zu ge¬ 
brauchen, bei denen es weniger auf < ieschi.kh Jikeit und 
sicheres Oefiihl, als darauf ankommt, Jauche oder Eiter von 
der Hand des Arztes fern zu halten. Wie schädlich der Ein¬ 
fluss des Wassers wirkt, zeigt folgender Versuch: Legt man 
neue, ungebrauchte und noch nie sterilisierte Handschuhe in 
kaltes Wasser oder wässerige Lösung (wir nahmen 4 proz. 
Formalin, 1 proz. Sublimat und reines Wasser), andere in 
bö proz. Alkohol, wieder andere in (ilyzerm und lasst d.e 
Proben 3 läge stehen, so haben sich nach dieser Zeit die 
Wasserhandschuhe stark getrübt, erweitert und sind wesentlich 
weniger elastisch; die in Alkohol liegenden sind ebenfalls etwas 
getrübt, doch lange nicht in so hohem (irade. Die (ilyzerm- 
haudschuhe sind gut durchsichtig, doch haben auch «sie an 
Elastizität cingebusst und sehen gequollen aus. Bewahrt man 
einen Handschuh längere Zeit in (ilyzerm auf, so wird er hart 
und brüchig. Ein solcher kann bis zu einem gewissen (irade 
seine frühere Elastizität wieder erlangen, wenn man ihn 
~4 Stunden in Schw eielkohlenstoffdampfe bringt und darauf 
einen lag über in Petroleumdampfen aufbewahrt. Doch ist 
, s \j r, " a ^ren nicht sehr lohnend. Der Versuch zeigt indessen, 
dass M e n d e") nicht ganz recht hat. wenn er glaubt, dass sein* 
Verfahren (5 Minuten langes Aufkochen. Aulbewahren in 
Subhmatglyzerin 2: loon) den Handschuhen nicht schade 
Immerhin halten wir es für den Praktiker ebenfalls für eines 
der besten. 

Die Sterilisation in Dampf, gespannt oder strömend 
schadet dem Handschuh weit weniger, als das Auskochen, w ij 
schon W o r m s e r’) nachgewiesen hat. Für die Dumpfstenli- 
sation spricht ferner noch, dass nach ihr der Handschuh trocken 
angezogen werden kann und sich infolgedessen niJit der 
ommose Handschuhsatt bildet. Wird mm durJi Unvorsichtig¬ 
keit der Handschuh angestochen. (der sonstwie verletzt, so 
tliesst nicht so leicht bakterienhaitiger Saft über die W und- 
nachen. Das trockene Arbeiten bietet daher einen weit siche¬ 
reren Schutz Iiir den Patienten und ist ausserdem für den 
Operateur angenehmer. Die Haut wird selbst nach mehr¬ 
stündigem Operieren nicht mazeriert, was wiederum Jas Em¬ 
porkommen der Hautkeime aus den tieferen Schichten der 
Haut wesentlich hmtanhält. Leider ist die Dampfstenl.sation 
nicht so einfach. Legen wir die Handschuhe ohne Vorsichts¬ 
maßregeln _ mit den übrigen (iege ns;ar;den m den Dampftopi. 
so kleben sie m grosser Ausdehnung fest zusammen und sind! 
wenn überhaupt, nur mit Muhe zu trennen. Oit reissen sie 
dabei ein. I m dies zu verhindern, müssen sie vor der Sterih- 
^tioii innen und aussen mit Talkum eingepudert werden 


n ) P. Mied. W < »clieiis. fi i. Juni, 

) La Seinamc meJicaic. Baris |wum \m 
W fichensclir. lyo-l, No. u . 45, 


und [). rr.eJ. 


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IS. August 1908. 


MÜFNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


(Wormser). Küstne.r la ) und Franz 11 ) empfehlen Einlegen 
eines Trikothandschuhes in den Gummihandschuh. Fritsch 1 ') 
äussert Bedenken, ob trotz dieser Vorsichtsmassrcgeln Dampf 
in die Fingerkuppen dringe, und so die Handschuhinnenfläche 
mit Sicherheit steril werde. Dies zu untersuchen, war der 
Zweck der folgenden Versuche: 

Um sogleich das Experimentum crucis zu erproben, wurde als 
Testobjekt der Bacillus subtilis gewählt, der Sporen bildet und an 
Resistenz selbst den Milzbrandsporen überlegen ist. Bouillonkulturen 
dieses Bazillus wurden an Qranatperlen angetrocknet und diese in 
die Fingerkuppein der eingepuderten und mit Trikothandschuhen aus¬ 
gestopften Gummihandschuh eingelegt. Diese wurden einzeln in 
Filtrierpapier eingeschlagen und in einer Blechkapsel ln den Sterili¬ 
sator verbracht; Stunde Einwirkung von Dampf von 0,8 Atmo- 
spären Ueberdruck. Die Handschuhe waren in der Blechkapsel, die 
etwas zu kurz war, geknickt. Nach dem Herausnehmen, das mit 
sterilen Pinzetten geschah, wurden die Perlen auf ein steriles Tuch 
ausgeschüttet und einzeln in Bouillon übertragen, wobei für jede 
Perle eine besondere ausgekochte Pinzette genommen wurde, deren 
Spitze noch vor Gebrauch abgegliiht war. In der Bouillon wurden 
die Perlen je 2 Minuten lang kräftig geschüttelt, wobei der Watte¬ 
pfropf nicht benetzt werden durfte, und dann in Agarplatten über¬ 
tragen. Diese wurden 48 Stunden im Brutschrank unter 37° C auf¬ 
bewahrt. Das Resultat dieses Versuches war, dass von 15 Platten 
nur 4 steril waren, von den nicht sterilen enthielten 3 Platten wenige 
Kulturen von Kokken, die wohl beim Plattengiessen aufgefallen 
waren. 8 Platten hatten einen membranartigen Ueberzug von Ba¬ 
cillus subtilis. Angesichts dieses betrübenden Resultates wurde der 
Versuch gemacht, den Dampf durch Formalindämpfe zu ersetzen. 
Nach gleicher Präparation wurden die Handschuhe in einen Glas¬ 
zylinder verbracht und eine Stunde lang Formalindämpfe mit der 
nötigen Menge Wasserdampf darüber geleitet; die abziehenden 
Dämpfe wurden in Ammoniaklösung aufgefangen und neutralisiert. 
Das Resultat war nur wenig besser, von 18 Platten nur 10 steril. 
Ausserdem hatten die Handschuhe sehr gelitten. Wir gaben deshalb 
weitere Versuche in dieser Richtung auf und wandten uns wieder 
dem gespannten Dampf zu. Wir Hessen wiederum bei Handschuhen 
mit Trikoteinlage Dampf von 0,8 Atm. Ueberdruck V* Stunde lang 
einwirken, doch wurde diesmal streng darauf geachtet, dass die 
Handschuhe in keiner Weise geknickt oder stärker gedrückt wurden. 
Der Erfolg war, dass nur in einer Platte Subtilis zur Entwicklung 
kam; in 5 Platten einzelne aufgefallene Luftkeime, 21 Platten steril. 
Wir schrieben diesen Erfolg dem sorgfältigen Einlegen der Hand¬ 
schuhe zu. Um dies zu erhärten, machten wir nochmals die Gegen¬ 
probe mit Knickung der Handschuhe. Nur 6 Platten von 25 blieben 
steril, was uns zur Genüge darzutun scheint, welcher Wert der Lage¬ 
rung der Handschuhe bei der Sterilisation beizumessen ist. Da das 
exakte Einlegen der Trikothandschuhe sehr umständlich Ist und doch 
auclr manches Opfer fordert, suchten wir in folgendem ohne diese 
Einlage auszukommen. Wir puderten die Handschuhe innen und 
aussen gut mit Talkum ein, legten sie einzeln zwischen Filtrierpapier 
und sorgten, dass sie nicht geknickt wurden. Dampfdruck 0,7 Atm., 
Dauer 1 Stunde: nur 8 Platten steril, 16 infiziert, davon 14 mit Sub¬ 
tilis. Dies kam uns sehr überraschend. Wir machten daher einen 
gleichen Kontrollversuch, wobei auch Subtilisperlen offen in einer 
Petrischale in den Dampftopf gestellt, wurden. Wiederum wuchsen 
in 9 von 22 Handschuhplatten Subtilis; aber auch in einer grossen 
Anzahl der Kontrollplatten von den offen dastehenden Perlen kam 
der Bazillus zur Entwicklung. Wir mussten also annehmen, dass die 
Subtilissporen eine einstündige Einwirkung von Dampf von 0,7 Atm. 
Ueberdruck aushalten. Eine Erhöhung der Dampfspannung und da¬ 
mit der Temperatur ist aber für die Handschuhe verhängnisvoll, da 
der Kautschuck zu weich wird und beim blossen Anfassen zerreisst. 
Wir sahen uns also gezwungen, mit einem anderen Bakterium zu 
arbeiten und kehrten zu einem solchen zurück, das nur vegetative 
Formen bildet. Wir wählten den Staphylococcus pyogenes aureus, 
den wir aus den Uteruslochien einer an puerperaler Sepsis gestor¬ 
benen Wöchnerin gezüchtet hatten; sie war der Aureusinfektion in 
kurzer Zeit erlegen, der Kokkus also sehr virulent. Die Technik des 
Versuches wurde nicht geändert. Unter 28 Platten war eine Platte 
mit 2 noch punktförmigen Aureuskolonien; 16 Platten aber waren 
mit Subtilismembranen überzogen. Auch unter den Kontrollplatten 
war Subtilis gewachsen, kein Staphylokokkus. Ein zweiter Versuch 
hatte dasselbe Resultat. Da die Granatperlen und alle in Anwendung 
kommenden Gegenstände nochmals vor dem Versuch aufs peinlichste 
sterilisiert worden waren, so konnte die Subtilisinfektion nicht durch 
Verunreinigung der gebrauchten Sachen erfolgt sein, sondern es be¬ 
stand nur die Möglichkeit, dass Sporen in der Luft unseres Labora¬ 
toriums vorhanden waren, die beim Plattengiessen und den sonstigen 
Manipulationen auffielen. Wir zogen uns daher bei den folgenden 
Versuchen mit den sterilisierten Handschuhen in die reine Luft des 


13 ) Verhandl. d. D. Gesellsch. f. Gynäkol., Dresden 1907. 

Veits Handbuch f. Gynäkol., 2. Aufl., Wiesbaden 1907. 
i5 ) Verhandl. d. D. Gesellsch. f. Gynäkol., Dresden 1907. 


1723 


Operationssaales zurück mit dem Erfolg, dass 25 Platten steril blieben, 
2 waren noch mit Subtilis verunreinigt, Staphylokokken wuchsen 
keine. 2 weitere Versuche lehrten urts, dass derselbe Erfolg schon 
bei 30 Minuten langer Einwirkung von Dampf von 0,7 Atm. Ueber¬ 
druck erzielt wird. In beiden Fällen waren von je 21 Handschuh¬ 
platten jedesmal 19 völlig steril, die übrigen 2 zeigten das eine Mal 
je einen punktförmtgen Luftkeim, das andere Mal eine Subtilis- 
membran. Wir bemerken noch zu diesen Versuchen, dass wir jedes¬ 
mal eine grössere Anzahl Kontrollplatten anlegten zur Ueberwachung 
der Petrischalen des Agars der Bouillon, sowie der verwendeten in¬ 
fizierten Perlen. Die Kontrollplatten gaben stets die gewünschten 
eindeutigen Resultate. 

Diese Versuche berechtigen uns zu der Annahme, dass die 
Gummihandschuhe auch ohne Trikoteinlage, oder sonstige Vor¬ 
richtungen, wie sie neuerdings Flatau 1 ") angegeben hat, ledig¬ 
lich nach Einpudern bei sorgfältiger Lagerung — sie dürfen 
nicht gepresst und nicht geknickt werden — durch 30 Minuten 
lange Einwirkung von gespanntem Dampf von 0,7 Atmosphären 
Ueberdruck mit Sicherheit an ihrer ganzen Innenfläche bis zu 
den Fingerkuppen steril werden, wenn es sich nur um 
Abtötung vegetativer Formen handelt. Für Sporen allerdings 
dürfte diese Methode wahrscheinlich nicht volle Sicherheit 
garantieren, doch kommen diese nur in den seltensten Fällen 
in Betracht. Die von Fritsch gehegten Zweifel dürften 
daher bei Befolgung obiger Vorschriften zerstreut sein. In¬ 
dessen hat das Einpudern der Handschuhe auch seine Schatten¬ 
seiten. Der Puder wird nicht gleichmässig im Handschuh ver¬ 
teilt. Die dazu verwendete Menge ist in der Regel viel grösser 
als nötig; oft beträgt sie das Mehrfache. Die Folge davon ist, 
dass sich in den Fingerkuppen grössere oder kleinere Massen 
ansammeln, die dann doch bei der Operation hinderlich werden 
können. Ausserdem hat dies den Nachteil, dass bei einer 
während der Operation eintretenden Verletzung des Hand¬ 
schuhs sich eine kleine Wolke von Talkum auf das Operations¬ 
feld niedersenkt. Diese Wolke ist zwar, wie wir bakterio¬ 
logisch feststellen konnten, in der Regel harmlos. Von 
10 Platten eines entsprechenden Versuches, bei dem wir eine 
volle y* Stunde reibende und quetschende Bewegungen mit den 
Fingern gemacht und dann die Fingerkuppen mit steriler 
Schere angeschnitten hatten, war nur eine Platte mit wenigen 
Staphylokokkenkulturen infiziert. Eine Entfernung dieser in 
den Fingerkuppen angesammelten Mengen von Talkum ist vor 
der Operation nicht immer gut möglich, man müsste denn 
jeden Finger einzeln ausschütteln; dazu wäre ein wieder¬ 
holtes Anfassen nötig, was sich mit der Sterilität der Hand¬ 
schuhe nicht gut verträgt. Ein weiterer Uebelstand war bisher 
der, dass man genötigt war, die Handschuhe nach dem 
Waschen zu trocknen, bevor man sie einpuderte und sterili¬ 
sierte, Wir versuchten dies dadurch zu umgehen, dass wir uns 
Aufschwemmungen von Talk in Wasser und in Alkohol her¬ 
stellten, in denen wir die gewaschenen Handschuhe unter¬ 
tauchten», so dass sie innen und aussen überall mit dieser Auf¬ 
schwemmung bespült wurden. Dann wurden sie gut entleert 
und darauf horizontal in den Dampftopf gebracht. Nach dem 
Herausnehmen zeigte sich, dass die mit der Alkoholaufschwem¬ 
mung behandelten Handschuhe überall einen gleichmässigen, 
dünnen Belag von Talkum hatten. Das Anziehen gestaltete 
sich überaus leicht, nirgends waren Verklebungen vorhanden. 
Die auch hierbei ausgeführten bakteriologischen Prüfungen er¬ 
gaben völlige Sterilität in den Fingerkuppen. Bei den mit der 
Wasseraufschwemmung behandelten Objekten war der Tal¬ 
kumbelag nicht so gleichmässig, sondern teilweise in kleine 
Klumpen geballt, weshalb wir uns später nur noch des Alkohol¬ 
talkums bedienten in einem Mengenverhältnis von 1:5, mit 
dem wir jederzeit voll zufrieden sein konnten. 

Ist es somit möglich, die Handschuhe auf einfache Weise 
ohne besondere Vorrichtungen oder schwierigere, für sie ge¬ 
fährliche Manipulationen im Dampf mit Sicherheit zu sterili¬ 
sieren, so ist andererseits die Einwirkung des Dampfes nicht 
ohne Schaden für den Kautschuk. Nach der Herausnahme aus 
dem Dampftopf ist er weich, hat seine Elastizität ebenso seine 
Durchsichtigkeit grossenteils verloren. Die Ursache hierfür 
liegt darin, dass er in gespanntem Dampf Wasser aufnimmt, 
wenn auch nicht in dem Grade wie beim Auskochen. Er kann 
indessen seine frühere Elastizität, Durchsichtigkeit und Festig- 


1# ) Münch, med. Wochenschr. 1907. 

1 * 


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1724 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 



keit wieder erlangen, wenn man ihn nach der Sterilisation sorg¬ 
fältig trocknet. Auf diese Trocknung der Handschuhe möchten 
wir zur Verlängerung der Lebensdauer der Handschuhe be¬ 
sonderen Wert legen. Auf die Wiedergabe der zahlreichen, zu 
diesem Zweck ausgeführten Versuche glauben wir im Interesse 
der Kürze verzichten zu können. Wir konnten dabei die Er¬ 
fahrung machen, dass die Intensität und Raschheit des Trock¬ 
nens wesentlich abhängt von der Lagerung und Verpackung 
der Handschuhe. Die Verhältnisse liegen ebenso wie bei der 
Sterilisation. Auch hier ist erforderlich, dass der Handschuh 
möglichst frei liegt, nicht gedrückt oder geknickt wird, ferner 
dass die Luftzirkulation eine ungehinderte ist. 

Als nach jeder Richtung hin bestes und dabei einfachstes Mittel 
verwandten wir ein Eachwerk aus horizontalstehenden Siebgeflech¬ 
ten, welche wir in einen Sterilisationskasten mit Schiebeoffnungen 
in Boden und Deckel einsetzten. Die Höhe des Zwischenraumes be¬ 
trug 1 Vu cm, die Maschenweite 4—6 mm. In diesem Lachwerk w ur¬ 
den die Handschuhe durch durchstreichende Luft von 7ü -so 0 C ge¬ 
trocknet, was eine Zeit von etwa ; >i Stunden erfordert. Die hu 
unseren Versuchen gemachten technischen Erfahrungen wurden aus- 
genützt in einem von der Firma E. F. (). Küster, Berlin (). 21, 
Krautstrasse 5—6, angefertigten kombinierten Sterilisationsapparat. 
Dieser besteht aus einem Untergestell mit Heizschlange. In dieses 
ist ein Wasserbehälter, der zugleich Dampfentwickler ist, und neben¬ 
bei zum Auskochen von Instrumenten verwendet werden kann, em- 


zuziehen. Es ist nicht allein die aus den bakteriologischen 
Untersuchungen sich ergebende, beruhigende Sicherheit der 
zuverlässigen Desinfektionsw irkung, die die AussenfläJie 
ebensowohl wie die Innenfläche der Handschuhe betrifft, son¬ 
dern es ist auch der Umstand, dass die Handschuhe bei der 
Präparatir n sowohl, wie beim An- und Ausziehen mehr ge¬ 
schont werden, so dass deren Verbrauch dadurch ein ge¬ 
ringerer wird, und endlich hat der Operateur die Anr.ehmhJi- 
keit, trockene Hände zu haben, wodurch die Bildung des ge¬ 
fürchteten Handschuhsaftes vermieden wird. 

Zur Sterihsitation und zum Aufbewahren der Handschuhe 
hat sich uns in der Münchener Frauenklinik ein von Brod- 
ii i t z in Frankfurt a. M. nach dem Schi n; m e 1 b u s c h sehen 
Prinzip gebauter Kasten *) als sehr zweckmässig erwiesen, den 
ich hiemit empfehlen mochte. Aus beiliegender Abbildung ist 
die Einrichtung dieses praktischen Kastens leicht zu ersehen. 
Er bietet gerade die Vorteile, auf die die Herren blessier 
und Iw ase so grossen Wert legen, nämlich, dass die Hand¬ 
schuhe ohne Knick hinein- und übereinander gelegt werden 
können; um ein Verkleben der Handschuhe im Dampf zu ver¬ 
hindern, werden sie beim Einlegen in den Kasten aussen und 
innen gut eingepudert; zwischen jedes Paar kommt ein Strei¬ 
fen Filtrierpapier. Besonders vorteilhaft erwies sich uns ge¬ 
rade auch für die liandschuhsterihsation der 
neue, in Schrankform gebaute, grosse Dampf¬ 
sterilisator von L a u t e n s c h I ä g e r. Es 
hat dieser vor den früheren, älteren Modellen 
den Vorzug, dass man zuerst durch Emlassen 
des Dampfes in den Aussenmantel die im 
Innern befindlichen Gegenstände vorwärmen 
kann, so dass der dann in den Innenraum ein¬ 
gelassene Dampf nicht aut kalte Wasche usw. 
kommt und sich hier niederschlagt. Nach be¬ 
endeter Sterilisation wird durch eine Dampf¬ 
strahlpumpe zuerst der Dampf aus dem 
Innenraume ab- und sodann durch Watte fil¬ 
trierte Luft durchgesaugt. W ahrei JJessen 
werden durch weiteres Erwärmen des Au^seii- 
mantels die im Innern betir dachen Ciegen- 
stände nachgetrocknet. Die Untersuchungen 
der Herren Fiessler und Iw ase ze.gcn. 
dass dies gerade tur die Sterilisation und den 
Gebrauch der Handschuhe von bes: nderem 
\orteil ist, so dass uns diese Einrichtung 
unseres grossen Dampfsterilisators d»ifur be¬ 
sonders zustatten kommt. 


gelassen. Ueber diesem Behälter ist ein 2. Kasten mit Schiebc- 
öffnungen in Boden und Deckel eingepasst, der das obengenannte 
Fachwerk zum Einlegen der Gummihandschuhe trägt und nebenbei 
auch zur Sterilisation von Verbandstoffen verwendet werden kann. 
Der Gebrauch gestaltet sich derart, dass in dem Wasserbehälter das 
Wasser zum Sieden gebracht, alsdann der zweite Kasten mit geoffne- , 
ten Bodenlöchern aufgesetzt wird, worauf der Dampf während einer ! 
halben Stunde auf die Gummihandschuhe einwirken kann. Nunmehr 
wird der Wasserbehälter herausgenommen, an seiner Stelle eine bei¬ 
gelegte Asbestplatte eingelegt, der Handschuhkasten direkt auf den 
Untersatz aufgestellt und nunmehr auch bis zur vollendeten Trock¬ 
nung die Löcher im Deckel des Kastens geöffnet. I m ein Nass- 
werden der obersten Handschuhe durch Kondenswnsser nach der 
Sterilisation zu verhindern, empfielt es sich, zu oberst eine dünne 
Lage von Watte oder ein Handtuch ein/ulegen. Die 'Trocknung der 
Handschuhe geschieht rasch und vollkommen. Der Apparat ist von 
uns eingehend nachgeprüft und hat sich dabei in bakteriologischer 
Hinsicht als völlig sicher arbeitend erwiesen. 

Bei dieser Behandlung halten sich die Gummihandschuhe 
sehr lange, wie wir an unseren Versuchsobjekten ersehen 
konnten, die wir oft tagelang in W asser liegen Hessen, bis sie 
weite unförmige Säcke geworden waren, um sie dann wieder 
durch sorgfältiges Trocknen in brauchbaren Zustand über¬ 
zuführen. 

Nachtrag von Prof. D öd erlein in München. 



Die von den Herren Fiessler und Iwase hier mit¬ 
geteilten Untersuchungen haben mich veranlasst, diese Dampf¬ 
sterilisation und Trockenbchandlung der Gummihandschuhe in 
der Praxis durchzuführen, und ich stehe nicht an, diese Be- 
handlurgsweise aus verschiedenen Gründen den anderen vor- 


’) Erhältlich bei den Instrumentenmachern Ludwig Dröll in 
Frankfurt a. M. und Frohnhäuser in München. 


D igitizec ff 0( ole 


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IS. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1725 


Aus der medizinischen Klinik des städtischen Krankenhauses 
zu Frankfurt a. M. (Dir.: Prof. Lüthje). 

Beitrag zur Klinik und Bakteriologie des Paratyphus. 

Von Dr. Adolf B i n g e I, Oberarzt. 

Durch die Entdeckung des Bac. paratyphi durch A c h a r d 
und B e m s a u d e in Frankreich und Schottmüller und 
und Kurth in Deutschland wurde die ätiologische Einheit des 
klinischen Begriffes Typhus abdominalis in Frage gestellt. Be¬ 
kanntlich gelang es den Autoren in Fällen, die klinisch unter 
dem Bilde des Typhus verlaufen, einen Bazillus zu finden, der 
zwar sehr grosse morphologische und kulturelle Aehnlichkeit 
mit dem Eberth-Gaffky sehen Bazillus hatte, der sich aber 
von ihm durch ganz charakteristische Eigentümlichkeiten 
unterschied. Schottmüller nannte das neue Bakterium: 
den Bac. paratyphi. ^ 

Der Befund dieses neuen Krankheitserregers wurde bald 
von zahlreichen anderen Autoren bestätigt. Kayser be¬ 
schrieb zwei Typen des Paratyphusbazillus, den Typus A und 
den Typus B, die sich durch geringfügige Eigenschaften unter¬ 
scheiden. Doch scheint sich diese Abtrennung nicht durch¬ 
führen zu lassen. Jedenfalls ist der Typus B der bedeutend 
wichtigere und- derjenige, der im folgenden schlechtweg als 
Paratyphusbazillus bezeichnet wird. 

Die anfangs beschriebenen Fälle von Paratyphus waren 
sporadisch aufgetreten oder sie fanden sich während Epidemien 
von gewöhnlichem Abdominaltyphus. 

Später wurden dann Massenerkrankungen, die nur durch 
den Paratyphusbazillus hervorgerufen waren, beobachtet, so 
von de Feifer und Kayser, Hünermann, Sion und 
N e g e 1 u. a. Ausserhalb des menschlichen Körpers fand man 
die Bazillen im Wasser, B r i o n beschuldigt auch die Milch 
und das Fleisch als Wohnstätten des Krankheitserregers. 

Die anfangs beschriebenen sporadischen Fälle und auch 
die Epidemien von Paratyphus unterscheiden sich klinisch 
wenig oder gar nicht vom klassischen Abdominaltyphus, 
B r i o n schrieb daher noch in seiner Monographie über den 
Paratyphus: „Symptomatologisch ist Paratyphus vom Typhus 
nicht zu trennen; es gibt kein einziges Symptom, das beim 
Paratyphus zur Beobachtung gekommen wäre und das nicht 
dem Bilde des Typhus angehört.“ 

Einen ähnlichen Standpunkt nahm Jürgens in einer 
Arbeit aus dem Jahre 1904 ein. Derselbe Autor beurteilt aber 
heute die Stellung des Paratyphus zum Typhus anders. 
„Manche Erkrankungen“, so sagt er, „gehören zum Typhus 
als eine bakteriologisch besondere Form, andere fallen ganz 
ausserhalb des Typhusbegriffes.“ 

Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass manche Fälle von 
Paratyphus klinisch unter dem Bilde des Abdominaltyphus ver¬ 
laufen sind und verlaufen, sehr viele jedoch, besonders aber 
auch die Epidemien unterscheiden sich schon klinisch sehr 
deutlich von ihm. 

Die neuere Literatur unterscheidet im wesentlichen zwei 
klinische Krankheitsbilder des Paratyphus, eines, das dem Bilde 
des klassischen Abdominaltyphus durchaus gleicht und ein 
anderes, von ihm abweichendes, das — wie ich vorweg 
nehmen will viel mehr der akuten Gastroenteritis als dem 
Typhus gleicht. 

Es kann sogar häufig gelingen, ohne die Hilfe der Bak¬ 
teriologie nur aus den klinischen Symptomen wenigstens die 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Paratyphusinfektion zu 
stellen. 

Selbstverständlich bedarf jede klinische Diagnose auf Para¬ 
typhus der bakteriologischen bezw. serologischen Bestätigung. 

Die bis heute vorliegenden anatomischen Untersuchungen 
sind noch spärlich. Die älteren Befunde, so von B r i o n und 
Kayser unterscheiden sich nicht von d-en bei Typhus er¬ 
hobenen. Man fand die charakteristischen Läsionen im unteren 
Ileum und Kolon. Neuere Arbeiten jedoch, z. B. von Traut- 
mann, v. Drigalski, Kutscher zeigen, dass häufig die 
Mitbeteiligung des lymphatischen Apparates des Darmes fehlt, 
dass die anatomischen Veränderungen vielmehr dem ana¬ 
tomischen Substrat der schweren Gastroenteritis gleichen. 
Auch wir verfügen über eine Sektion, bei der nur gastro- 
enteritische Veränderungen nachzuweisen waren. 


Auszug aus dem Sektionsprotokoll. 

No. 725. K. R., 49 Jahre. 28. VIII. 07. 

Klinische Diagnose: Paratyphus. Nephritis chronica? 
Tumor in abdomine oder Peritonitis tub.? Emphysem, Bronchitis, 
Arteriosklerose, Insufficientia cordis. 

Anatomische Diagnose (Dr. Jacobsthal). Akuter 
Katarrh des Magens, des Dünn- und Dickdarms. Atrophisches fett¬ 
reiches Herz, Bronchopneumonie im rechten Unterlappen. Atelek¬ 
tasen in beiden Unterlappen. Spitzenherde beiderseits mit anthra- 
kotischen Herden. Anthrakose der Hilus- und Bronchialdrüsen beider¬ 
seits. Kalkherde in rechtsseitigen Bronchialdrüsen. Alte Drüsen¬ 
narben am Halse beiderseits. Verkäsung von pankreatischen Drüsen. 
Knochensystem frei von Tuberkulose. Chronische fibröse Peritonitis, 
wahrscheinlich auf gonorrhoischer Basis. Trübe Schwellung der 
Nieren. Infantiler Typus der Genitalien. Niereninfarkt bei ausge¬ 
heilter Endokarditis mitralis. Cholezystitis. Cholelithiasis. Abge¬ 
kapselter käsiger Herd einer Bifurkationsdrüse. Luetische (?) Narben 
der Nieren. Zystitis geringen Grades. Kolpitis. Diphtherischer 
Zervixkatarrh. 

Aus dem Protokoll ist hervorzuheben: 

Die Milz ist in derbes fibröses Gewebe eingebettet, nicht ver- 
grössert, ziemlich derb, Kapsel gespannt. Follikelzeichnung deut¬ 
lich. Pulpa nicht vorquellend. 

Die obere Dünndarmschleimhaut ist in ihrer ganzen Ausdehnung 
leicht geschwollen, im unteren Dünndarm neben der Schwellung an 
einer Stelle ausgesprochene Rötung. Der Dickdarm zeigt etwas ge¬ 
schwollene Schleimhaut. Die Schleimhaut des Kolon und des Sig- 
moideums ist ziemlich stark gerötet. Die P e y e r sehen Plaques, 
die Follikel und die Mesenterialdrüsen sind nicht gerötet und nicht 
geschwollen. Der Wurmfortsatz ist klein und mit engem Lumen. 

Die bakteriologischen und klinischen Daten dieses Falles folgen 
unter den später mitgeteilten Krankengeschichten. 

In neuerer Zeit haben sowohl die klinischen als auch 
die anatomischen Anschauungen über den Paratyphüs ver¬ 
schoben und zwar in der Richtung, dass man heute vielen 
Fällen von Paratyphus ein besonderes klinisches und anato¬ 
misches, vom Abdominaltyphus durchaus abweichendes Bild 
einräumen muss. 

Ich skizziere zunächst das Krankheitsbild, das durch die 
Infektion des Organismus mit dem Bac. paratyphi hervor¬ 
gerufen wird auf Grund unserer Beobachtungen an etw'a 
40 Fällen, um später auf die Fälle im einzelnen einzugehen. 

Gewöhnlich bald, oder 1—2 Tage nach der Infektion setzt 
ziemlich plötzlich, oft aus der vollen Gesundheit heraus, die 
Erkrankung mit steilem Temperaturanstieg ein. Es geht nicht, 
wie beim Typhus, eine längere Inkubation und ein Stadium 
des langsam ansteigenden Fiebers voraus, während dessen 
der Patient nur über allgemeine Erscheinungen, wie Kopfweh, 
Uebelkeit und- Abgeschlagenheit zu klagen hat. Heftiges Er¬ 
brechen und sehr diffuse Durchfälle beherrschen das Bild der 
ersten Krankheitstage, während ja Erbrechen bei Typhus sehr 
selten zu den initialen Symptomen gehört. Auch die Intensität 
und Häufigkeit des Erbrechens und der Durchfälle dürfte bei 
Paratyphus eine viel grössere sein. 

Oft wird jeder Versuch, Nahrung oder auch nur Flüssigkeit 
einzunehmen, mit heftigen Würgbewegungen beantwortet. 
Nicht selten werden die Patienten durch enorme Wasser¬ 
verluste derart mitgenommen, dass sie mit eingefallenen 
Wangen, tiefliegenden Augen aufs äusserste erschöpft daliegen 
und durch subkutane Flüssigkeitszufuhr wieder belebt werden 
müssen. Dabei besteht aber häufig nicht jener eigenartige, 
benommene Zustand wie bei Typhus, der der Krankheit ihren 
Namen gegeben hat. 

Die Patienten erinnern so an die Bilder bei schwerer 
Gastroenteritis, an die Bilder bei Cholera nostras. 

Der weitere Verlauf des Fiebers gestaltet sich so, 
dass eine Kontinua nur selten beobachtet wird; es treten schon 
bald Remissionen ein und nach wenigen Tagen erreicht die 
Temperatur normale Werte. 

Die relative Verlangsamung des Pulses springt 
nicht so in die Augen wie bei Typhus. Wieso das kommt, 
ist unklar. Oft hat es wohl seine Ursache darin, dass bei 
Paratyphus die Temperatur meist nicht so hoch und nur 
für kürzere Zeit ansteigt. 

Die Diazoreaktion des Urins ist meist negativ, oder 
die positive Reaktion besteht nur kurze Zeit, sie tritt event. 
w ieder auf beim Einsetzen eines Rezidives. 

Das Verhalten der Leukozyten zeigt meist nur 
eine relative Leukopenie. Unsere Zahlen liegen zwischen 5000 


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1726 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


und 7000. Absolute Leukopenien, dass die Zahlen wie hei 
Typhus auf 4000 und 3000 sinken, habe ich bisher bei Para¬ 
typhus nicht gesehen. 

Ab und zu ist M i 1 z t u in o r nachweisbar. Auch ich habe, 
wie Lentz, kleine, derbe Milzen gefühlt, während ja bei 
Typhus die Milz gross und weich ist. 

Herpeseruptionen habe ich in meinen Eiillen nicht 
beobachtet.*) Merkwürdigerweise auch nur zweimal ganz 
spärliche Roseolen. 

Bronchitis fehlte meist oder war sehr gering. 

Auch Rezidive kommen vor. sie sind charakterisiert 
durch eine 1—2 Tage andauernde Temperaturerhöhung und 
durch geringe Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens. Sie 
scheinen erheblich kürzer zu verlaufen als beim Typhus. Pas j 
Wiederauftreten der Diazorcaktion macht es oft wahrschein- ' 
lieh, dass der Fieberanstieg ein Rezidiv und keine Komplikation : 
bedeutet. 

Fast stets gelingt der Nachweis der Bazillen in den Fäzes 
und stellt die vielleicht noch nicht sichere Diagnose klar. 
Weniger häufig gelingt die Züchtung aus dem Blute. Sie 
scheinen ziemlich frühzeitig aus dem Blute zu verschwinden 
und sich dadurch dem Nachweis zu entziehen. Ich glaube aber 
nicht, dass man unbedingt für die Diagnose den Nachweis der 
Bazillen verlangen muss. Im Verein mit den anderen klinischen 
Zeichen des Paratyphus dürfte der positive Ausfall des Ag- 
glutinationsphänomens bei einer Verdünnung des Serums von 
über 1:80 die Diagnose sichern, besonders auch in den Fällen, 
in denen sich die Agglutininbildung erst im Verlauf der Er¬ 
krankung einstellt. Einige Besonderheiten im Ausfall und Ab¬ 
lauf der Reaktion werden bei den Epikrisen der Kranken¬ 
geschichten besprochen werden. 

Von Komplikationen beobachtete ich zw eimal akute 
hämorrhagische Nephritis. Aehnlich wie beim sogen. Nephro- 
typhus wurde sofort bei den ersten Untersuchungen die nephri- 
tische Veränderung des Urins festgestellt. Im übrigen boten 
beide Patienten die klinischen Erscheinungen des Paratyphus 
in geringer Schwere dar. Da die beiden Patienten in der¬ 
selben Fabrik arbeiteten, muss man im Hinblick auf die (ikich- 
artigkeit der klinischen Erscheinungen, speziell der Kompli¬ 
kation, auf eine gemeinsame Quelle der Iniektion schliessen, 
trotzdem dieselbe nicht auffindbar war. 

Anderweitige Komplikationen, etwa von 
seiten des Zirkulationsapparates, Eiterungen sollen ebenso wie 
beim Typhus Vorkommen. Ich habe sie in meinen Fällen aber 
nicht beobachten können. 

Die Prognose ist durchaus günstig. Todesfälle 
kommen vor, doch betreffen sie meist Individuen, die durch 
andere Erkrankungen geschwächt sind. In dieser geschilderten 
Weise erschien mir im allgemeinen auf Grund meiner Beob¬ 
achtungen das Bild der sporadisch auftretenden Fälle von Para¬ 
typhus. 

Ich lasse nun die Krankengeschichten meiner Fälle in 
kurzen Auszügen folgen. 

F a 11 I. K. R., 49 Jahre alt. 

Die Pat., Puella publica, erkrankte 3 Tage vor der Aufnahme 
ins Krankenhaus mit heftigen Schmerzen im Leib, Erbrechen und 
starken Durchfällen. 

Ausser einem, vor einigen Jahren durchgemachten Lungcir- 
katarrh will sie stets gesund gewesen sein; sie ist aber wohl ziemlich 
sicher gonorrhoisch infiziert gewesen. 

Die Untersuchung ergab eine kleine, schlecht genährte, kvplio- 
skoliotische Patientin in sehr kollabiertem Zustand. Am Hals einige 
Narben von Drüsenoperationen, über den unteren Lungenpartien hört 
man spärliche bronchitische (ieräusche. Der Puls ist unregelmässig, 
ungleichmässig, frequent, klein, weich, kaum fühlbar. Die Per¬ 
kussion des Herzens gibt wegen L'eberlagerung durch die Lungen 
kein sicheres Resultat. 

Der Leib ist aufgetrieben, links vom Nabel fühlt man eine tumor¬ 
artige. sehr druckempfindliche Resistenz. Aszites ist nicht nachweis¬ 
bar. Leber und Milz sind nicht deutlich fühlbar. Ls bestehen 
starke wässerige Durchfälle ohne Beimengungen von Blut oder 
Schleim. | 


") Nach Abschluss der Arbeit beobachtete ich einen l all von 
I aratyplms mit Herpes labialis; ferner einen Lall von (iastroenteri- 
tis. die klinisch w ie ein Paratyphus aussah, der aber weder bakterio¬ 
logisch noch serologisch bestätigt w erden konnte, mit Herpcseruptioii 
nn Verlauf des linken Nervus occipitalis minor. 


Es gelingt die Züchtung von Paratyphusba/dlcn aus dem Stuhl, 
dagegen nicht aus dem Blute. 

Der l rin enthalt massige Mengen von Liweiss, In ahne unJ 
granulierte Zylinder. 

Das Blutserum agglutimcrt Paratv phusbazrUen in einer V erdün¬ 
nung von I : -4(1. 

Die I emperatur. die bei der Aufnahme 37" betragen hat, sinkt in 
den folgenden lagen auf 3t».7 und 35.0. 

Umer zunehmender Her zschw ac!;c tritt der Tod am 6. Jage 
nach der Aufnahme ms Krankenhaus, am V läge der Erkrankung 
cm. Die anatomische Diagnose und das Wichtigste aus dem Stk- 
tionsprotokoll habe ich oben arigeluhrt. 

Fs handelte sich also um eine durch Her/msuifi/ienz. 
Kyphoskoliose. Emphysem. Bronchitis und chronische Peri¬ 
tonitis geschwächte Person. 

Die auf Paratyphus hinweisenden Symptome waren ledig¬ 
lich das Erbrechen und der Durchfall, objektiv nachweisbare 
Organveränderungen, die durch die Paratyphusiufckiion her¬ 
vor ge rufen sein konnten, fehlten. Der stark geschwächte 
Körper konnte die Infektion nicht überwinden. 

Fall II. A. Sch.. 22 Jahr. EhePau. 

Die Patientin erkrankte 7 läge vor der Aufnahme ms Kranken¬ 
haus plötzlich mit heftigem Erbrechen. Purcht.oi und Appetitlosigkeit. 

Die [ ntetAucfiung ergab eine grosse, kr.niige flau m recht 
reduziertem Ernähr uugsziistaiul. 

Ls bestellt keine Bronchitis, kein Mil/tunmr. keine Roseolen. 

Ls gelingt Weder der Nachweis der I ’aratv p?msh,i/»;.cn irn >tuhi 
n "ch im Blute. Dagegen aggüitmmile das B iitserum P;rat\phus 
m einer Verdünnung v.»n t : 3Jn. Die Körpertemperatur war stets 
normal. Der Durchfall stand bereits am 2. Jage n.idi der Autn.dimc. 
Erbrechen wurde m der Klinik überhaupt iiiclil tc.h.uhtet. Am 

Tage nach dem Amtreten der ersten Erscheinungen wir Je me 
Patientin geheilt entlassen. 

Bei dieser Patientin waren die auf Para!\phus hinweisen¬ 
den Symptome ebenfalls nur das Erbrechen und der Durchfall. 
Der Befund war, abgesehen von dem stark positiven Ausfall 
der Agglutinatunsprohe. ein durchaus negativer. 

Die Diagnose konnte aber wohl bei dem Zusammentreffen 
der gastrocntcritischen Symptome u d der hoben Aggluti- 
nationsfähigkeit des Blutserums niJit zweifelhaft sein. 

f '.. a 1 1 f| l. M 1... 4<> Jahr. Musiker, gibt an. vor etwa M lagen 
Kartone- und Dur keiisal.it gegessen zu haben. Er habe dar.nu 
heftige Leibschmerzen. Purchti.il um] Irhrcchcn bekommen. die Ir- 
Sehemuiigeii hatten ba'd nachgelassen, aber seit (» lagen bestunden 
sie m erneuter Heftigkeit und zwar v. sta-k. dass er überhaupt keine 
Nahrung, nicht einmal fDss.ee, he. sich hcha’ten könne Ir sc, 
dadurch so henmtergekomm.-M und schwach geworden, dass er mehr¬ 
mals vor >chwache hinge! dien sei. 

Die l iitersuchung ergibt einen grossem kräftig gebauten M imi 
in ausscTst heruntergekommenem Zustand. Die Haut im trocken imd 
laltig. das Besicht emgciahen, der Puls sehr klein und weich, aber 
regelmässig. 

Es besteht geringfügige Bronchitis, aber weder Mil/tuumr. imdi 
Koseoien, auch die Dia/oreaktmn ist negativ, die Zahl der wissen 
Blutkörperchen betragt fön. Das >erum agglutimcrt Paratvphus ,n 

der Verdiinnung von j : mi 

Patient erbricht fast fortwährend, schon bei der geringsten 
Nahrungsaufnahme. V ie.rtelMund.ich erfolgen gom idie u .ssene- 
Entleerungen, aus denen die Kultur des Paralv phusba/.drs gelingt'. 

Wegen der starken VV usserve rarmung wc e'i b 'iiCj*mc:i \ .1 
Physiologischer Kochs,iId,»surre vor geriomn em Die I emperatur be¬ 
trug am I. lag»- m aviila 3s.S und sank am i.-ken.Jen läge zur 
Norm al), um sidi nicht mehr darüber zu e-iieberu 

Nach 3 lagen lassen die Durditaile und das Erbrechen nadi. 
i-S trat ungestörte Rckoirv aleszciiz ein. 

, Auch bei diesem Patienten, der seine Erkrankung auf den 
(icnuss von Kartoffelsalat beziehen zu müssen glaubt ver- 
möseti wir alle S\mptome, die den Verdacht auf eine t'yphns- 
almliebe Erkrankung lenken konnten. Er bietet das H;ld der 
schweren t iastroenteritis mit gern ger Temperatnrs 
Die Kultur der I’aratypliusl'aZilleti aus den w a- 
■sichert die Diagnose. 

l ull IV. B. f .. J5 Jahre, k >dun. 

Die Patientin fühlte sidi seit 7 |.,g.-u \ 

Klinik nicht recht Wohl. s;c hatte kmnweh 

""d appetitlos, doch hatte sic weder E» 
und auch keine l.eibschmm/eii. 

Es handelte sidi um eilt grazil gebautes Mädchen 
I.rrialiriiugs/ijstand. das einen recht »ti.ofvr’ aber I-1 
menen Eindruck madne. 

Der Drganbei.md war negativ. insK s-m Je ■ c bestand keine Born, 
slntis. kein .Mi/tumor. keine R..sc..\„. I.e»n |»od;a I. de» t r.u wa» 
hvi. zeigte auch kerne Pi.i/.»rc.ik:i m. Ii : wir Kn IVatvphu's- 


ge rillig, 
asserigeti MtihYn 


!er \ufrah.me in d.e 
^ Mw in ie’get P'.l. w a• 
U.eri nogh Durch tu I 


in rr assi^m 
il'e sw e -'s ber >ir.- 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


17 27 


bazillen nicht nachgewiesen. Die Zahl der Leukozyten betrug 7600. 
Das Blutserum agglutinierte Paratyphus in einer Verdünnung von 
1:320 stark (bei 3 Untersuchungen an verschiedenen Tagen). 

Die Temperatur betrug 38,'um am nächsten Tage noch auf 
38,7 anzusteigen und dann in den nächsten Tagen auf 37,2, 37,4, 37,0, 
37,4 abzufallen, am 15. Krankheitstag trat nochmals eine Steigerung 
auf 38,0 ein. Die Pulszahl bewegte sich zwischen 80 und 86. 

Der Verlauf war günstig, die Patientin wurde am 32. Krank¬ 
heitstag geheilt entlassen, nachdem sie 5 kg an Gewicht zugenommen 
hatte. 

Bei dieser Patientin bestanden also lediglich Allgemein¬ 
erscheinungen; Erbrechen und Durchfall, die sonst immer das 
äussere Bild der Paratyphuserkrankung beherrschten, fehlten 
bei ihr. Die Diagnose wurde bei Ausschluss anderer Er¬ 
krankungen, nur aus der hohen Agglutinationsfähigkeit des 
Blutserums, den Allgemeinerscheinungen und der Temperatur¬ 
erhöhung gestellt. 

Interessant ist die Temperaturerhöhung am 15. Tage, die, 
da eine andere Ursache fehlte, wohl als ein ganz leichtes 
Rezidiv gedeutet werden kann. 

F a 11 V. B. R., 20 Jahre, Arbeiterin. 

Die Patientin erkrankte 2 Tage vor der Aufnahme in die Klinik 
mit heftigem Erbrechen, angeblich alle 3 Minuten und zahlreichen 
Durchfällen, nachdem sie sich etwa schon 6 Tage lang nicht 
ganz wohl gefühlt hatte. Sie glaubt sich die Erkrankung durch den 
Genuss von Fleischwurst zugezogen zu haben. 

Die Untersuchung ergab ein kräftig gebautes Mädchen in mas¬ 
sigem Ernährungszustand. Sie machte einen recht geschwächten, 
aber keineswegs einen „typhösen“ Eindruck, die Augen lagen sehr 
tief, die Extremitäten waren kühl, der Puls war sehr klein, weich und 
frequent, 120 Schläge in der Minute. 

Der Organbefund war negativ, es bestand keine Bronchitis, 
keine Roseolen, kein Milztumor. 

Es besteht heftiges Erbrechen und starke Durchfälle. Para¬ 
typhusbazillen konnten weder im Stuhl noch im Blut nachgewiesen 
werden. Dagegen agglutinierte das Serum der Patientin Para¬ 
typhus in der Verdünnung 1:80 bei 2 maliger Untersuchung an ver¬ 
schiedenen Tagen. 

Die Temperatur betrug am ersten Tage 38,5 und sank dann im 
Laufe von 3 Tagen zur Norm ab, um sich nicht wieder darüber zu 
erheben. 

Die anfangs starke Schwächung des Gesamtzustandes wurde 
durch Infusionen von physiologischer Kochsalzlösung wirksam be¬ 
kämpft. Der Verlauf war ein durchaus günstiger. Die Patientin 
wurde am 17. Krankheitstag als geheilt entlassen. 

Bei dieser Patientin, die den Genuss von Fleischwurst für 
ihre Krankheit verantwortlich macht, standen die gastro- 
enteritischen Beschwerden absolut im Vordergrund des Krank¬ 
heitsbildes. Das überaus heftige Erbrechen und die ganz 
profusen Durchfälle hatten eine so hochgradige Wasserver¬ 
armung und Schwächung des Organismus hervorgerufen, dass 
Injektionen reichlicher Mengen physiologischer Kochsalz¬ 
lösung vorgenommen werden mussten. Wenngleich die 
Agglutinationsfähigkeit des Serums keine hohe war, durfte man 
sie wohl doch im Verein mit den klinischen Erscheinungen für 
die Diagnose einer paratyphösen Erkrankung verwerten. 

F a 11 VI. T. L., 18 Jahre, Hausbursche. 

Seit 4 Tagen fühlt sich der Patient matt und elend, er ist 
schwindelig und zittert an allen Gliedern. Am 2. Tag der Erkrankung 
trat heftiger Durchfall ein ohne Erbrechen oder Aufstossen. 

Die Untersuchung bei der Aufnahme ergab einen schmächtigen 
jungen Mann in mässigem Ernährungszustand. Er macht einen recht 
apathischen, etwas somnolenten Eindruck. 

Die Zunge ist ziemlich stark belegt, es besteht keine Bron¬ 
chitis, kein Milztumor, keine Roseolen. 

Der Urin zeigt schwach positive Diazoreaktion, im übrigen 
nichts krankhaftes. 

Die Zahl der Leukozyten beträgt 5400, das Blutserum aggluti¬ 
nierte Paratyphus am ersten Tag in einer Verdünnung von 1 :160, 
am folgenden Tage bereits über 1 :320. 

Im Stuhl konnten Paratyphusbazillen nachgewiesen werden. 

Die Temperatur zeigte in den ersten 5 Tagen abendliche Spitzen 
bis 38,0. Die Pulszahl bewegte sich um 80. 

Der Verlauf war durchaus günstig. Am 17. Krankheitstag trat 
eine abendliche Temperaturzacke auf 39,1 ein, ohne dass eine Ursache 
dafür bemerkbar gewesen wäre. 

Die Rekonvaleszenz war dann ungestört. Am 25. Tage nach 
dem Einsetzen der Erkrankung konnte der Patient geheilt entlassen 
werden mit einer Gewichtszunahme von 7 kg. 

Dieser Pat. war der einzige unter den von mir beob¬ 
achteten, der sich in einem typhösen Zustand befand. Im 
übrigen bot auch er nur die Zeichen der' schweren (jjastro- 
enteritis, deren' Aetiologie durch die Agglutiinationsfahigkeit 


des Blutserums und durch die Züchtung der Paratyphus¬ 
bazillen aus dem Blute klar wurde. Auffallend war die Tem¬ 
peraturzacke am 17. Krankheitstage, für die ich eine Erklärung 
nicht zu geben wage. Für ein Rezidiv dauerte die Temperatur¬ 
erhöhung wohl etwas zu kurz an. 

Fall VII. W. Br., 24 Jahre, Schlosser. 

Der Kranke, der sich auf der Wanderschaft befand, bekam am 
Tage vor der Aufnahme plötzlich auf dem Marsche Leibschmerzen, 
Erbrechen und profuse Durchfälle. 

Die Untersuchung bei der Aufnahme ergab einen kräftigen, gut 
aussehenden, jungen Mann in gutem Ernährungszustand. 

Es besteht mässiger Milztumor, aber keine Roseolen, keine 
Bronchitis. 

Die Zahl der Leukozyten beträgt 5000. Der Urin zeigt schwache 
Diazoreaktion, aber keine pathologischen Bestandteile. 

Es gelingt die Züchtung der Paratyphusbazillen aus dem Stuhl, 
dagegen nicht aus dem Blute. 

Auffallend war die sehr geringe Agglutinationsfähigkeit des Blut¬ 
serums. Erst am 17. Krankheitstage trat das Phänomen bei einer 
Verdünnung von 1 :40 ein, um nach wenigen Tagen wieder zu ver¬ 
schwinden. 

Die Temperatur betrug 38, sank schon am nächsten Tage zur 
Norm ab. Am 9. Krankheitstage trat ohne besondere Störung des 
Allgemeinbefindens ein plötzlicher Aufstieg auf 39,2 ein, noch am 
nächsten Tage bestand Fieber von 38,9. Am folgenden Tage sank 
dann die Temperatur wieder zur Norm, um bis zum Tage der Ent¬ 
lassung, 32 Tage nach dem Beginn der Erkrankung, normal zu 
bleiben. 

Auch bei diesem Pat. standen die gastroenteritischen 
Störungen durchaus im Vordergrund der Erscheinungen. Von 
objektiven Symptomen bestand nur ein mässiger Milztumor. 

Auffallend war bei diesem Fall der plötzliche abermalige 
Anstieg der Temperatur am 9. und 10. Krankheitstage. 

Fall VIII. R. P., 32 Jahre, Schreiner. 

8 Tage vor der Aufnahme hatte der Patient einmal starken 
Durchfall, seitdem ist sein Stuhl verstopft. Wegen zunehmender 
Müdigkeit, Schwäche und Appetitlosigkeit suchte er die Klinik auf. 

Es handelt sich um einen ziemlich grossen, grazil gebauten 
jungen Mann, in leidlichem Ernährungszustand. Auf der Haut des 
Bauches und der Brust sieht man einige roseolenähnliche Fleckchen. 

Die Brustorgane bieten ausser mässiger Bronchitis keine Ver¬ 
änderungen. 

Die Milz überragt den Rippenbogen um 1 Querfinger und fühlt 
sich ziemlich derb an. Der Urin ist frei und zeigt keine Diazo¬ 
reaktion. 

Die Zahl der Leukozyten betrug 6500 und 7900 bei verschiedenen 
Zählungen. Es gelang die Züchtung von Paratyphusbazillen aus dem 
Blute, während sie aus dem Stuhl nicht gelang. 

Das Serum des Patienten agglutinierte trotz 3 maliger Prüfung an 
verschiedenen Krankheitstagen weder Paratyphus noch den eigenen 
Stamm noch 3 weitere Stämme des hiesigen Institutes für experi¬ 
mentelle Therapie 

Die Temperatur betrug am 1. Tag 37,8 und stieg nicht über 37, 
abgesehen von einer kleinen Spitze von 37,2 am 28. Krankheitstag. 

Der Kranke wurde geheilt entlassen, die Milz war kleiner ge¬ 
worden, aber noch deutlich fühlbar. Eine andere Ursache als die 
Paratyphusinfektion konnte für den Milztumor nicht gefunden werden. 

Der Fall ist insofern bemerkenswert, als die eigentlichen 
Darmerscheinungen schon 8 Tage zurücklagen, und dass erst 
zunehmende Schwäche den Patienten veranlasste, das Kranken¬ 
haus aufzusuchen. 

Von objektiven Symptomen zeigte er einen ziemlich derben 
Milztumor und leichte Bronchitis und Roseolen. Die Tem¬ 
peratur stieg nicht über 37,8. 

Dieser Fall bot also doch wenigstens einige klinische 
Zeichen, die den Verdacht auf Typhus abdominalis erwecken 
konnten, nur war der Milztumor im Gegensatz zu den bei 
Typhus zu beobachtenden, ziemlich derb. 

Ganz besonders auffällig verhielt sich das Serum. Es 
agglutinierte niemals, trotz dreimaliger Untersuchung an ver¬ 
schiedenen Krankheitstagen und zwar agglutinierte es weder 
den gewöhnlich zu den Agglutinationsproben benutzten, noch 
3 weitere Stämme des Instituts für experimentelle Therapie, 
noch endlich den aus dem Blute des Patienten gezüchteten 
Stamm. 

Merkwürdiger Weise gelang die Züchtung der Paratyphus¬ 
bazillen aus dem Blute, während sie aus den Dejektionen des 
Patienten nicht gelang. 

F a 11 IX. H. Fr., 33 Jahre, Dachdecker. 

Der Pat. erkrankte einen Tag vor der Aufnahme in die Klinik an 
Leibschmerzen und sehr häufigen wässerigen Durchfällen ohne Er¬ 
brechen. Er macht für seine Erkrankung einen Trunk kalten Wassers 


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1728 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


verantwortlich. Er glaubt, schon seit einer Reihe von Jahren be¬ 
obachtet zu haben, dass ab und zu an den Genuss kalten Wassers 
sich derartige Darmerscheinungen anschliesscn. Vor einigen Jahren 
hatte er ein schweres Kopftraumä erlitten, das aber fiir die Be¬ 
urteilung des vorliegenden Krankheitszustandes keine Rolle spielt. 

Es handelte sich in diesem Falle um einen mittelgrosscn, kräfti¬ 
gen Mann in gutem Ernährungszustand. Abgesehen von den durch 
das erwähnte Trauma bedingten Erscheinungen lagen objektiv nach¬ 
weisbare Organveränderungen nicht vor. Es fehlten insbesondere 
Milzschwellung, Roseolen, Bronchitis, Diazoreaktion. 

Die Widalsche Reaktion war am 3. Krankheitstage positiv in 
einer Verdünnung von 1:80, am 9. in einer Verdünnung von 1: Um», 
am 17. Krankheitstage war sie negativ. 

Die Kultur der Paratyphusbazillen aus Stuhl oder Blut gelang 
nicht. 

Wir hatten es also auch hier mit einen» Krankheitsbilde zu 
tun, das nur die Züge der akuten Gastroenteritis aufwies, das 
die Symptome des Typhus abdominalis vermissen liess. Die 
Diagnose der Aetiologie der Gastroenteritis durfte man wohl 
auf Grund des Auftretens und Verschwindens der W i d a I - 
sehen Reaktion auf Paratyphus stellen. 

F a 11 X. P. Sch., 31 Jahre, Schlosser. 

Der Patient erkrankte 2 Tage vor der Aufnahme in die Klinik 
mit heftigem Erbrechen und intensiven Durchfällen, allgemeiner 
Mattigkeit. 

Die Untersuchung ergab einen kräftigen Mann in gutem Er¬ 
nährungszustand. 

Lungen und Herz zeigten keine Besonderheiten. Die Zunge w ar 
stark belegt. Der Leib zeigte einige Roseolen, Die Milz war nicht 
fühlbar. Es bestehen sehr häufige, krümelig-breiige und wässrige 
Stuhlgänge, aus denen die Züchtung der Paratyphusbazillen gelingt. 

Das Blutserum agglutinierte Typhusbazillen nicht, dagegen Para¬ 
typhusbazillen in einer Verdünnung von über 1:320, dieser hohe 
Agglutinationswert, war gleich bei der ersten Untersuchung vor¬ 
handen und schwand nicht während der 33 tägigen Beobachtungs- 
zeit. 

Die Zahl der Leukozyten beträgt 5500. Der Urin enthält 5 Prom. 
Albumen nach Esbach; das Sediment zeigt reichlich rote, wenig 
weisse Blutkörperchen, viele granulierte und Blutkörperchenzylinder 
und Nierenepithclien. Die Diazoreaktion ist negativ. 

Die Kultur der Paratyphusbazillen aus dem Urin gelingt nicht. 

Die Temperatur beträgt in axilla 39,8, sinkt am folgenden Tag 
auf 39 und kehrt am 3. Tag zur Norm zurück. 

Der Krankhcitsverlauf war günstig, die Durchfälle standen nach 
5 Tagen, nachdem das Erbrechen sofort aufgehört hatte. Die Nephri¬ 
tis ging zurück, ist aber am 36. Krankheitstag, an dem der Patient 
gegen ärztlichen Rat das Krankenhaus verlässt, noch nicht geheilt. 

Fall XI. VV. O., IH Jahre. Schlosser. 

Erkrankte 4 Tage vor der Aufnahme in die Klinik plötzlich mit 
starken Durchfällen, Schmerzen in der Magengegend, Kopfweh und 
dem Gefühl grosser Mattigkeit. 

Es handelt sich um einen schlanken jungen Mann in gutem 
Ernährungszustand. Die Zunge war nüissig belegt. Die Brust- und 
Bauchorgane zeigen keine erkennbare Veränderung, insbesondere 
besteht keine Bronchitis und ist die Milz nicht vergrössert. Roseolen 
sind nicht zu sehen, traten auch später nicht auf. 

Die Züchtung der Paratyphusbazillcn aus dem Stuhl oder dem 
Blut gelingt nicht, trotz 4 maliger Untersuchung an verschiedenen 
Tagen. 

Das Blutserum agglutinierte anfangs weder Typhus- noch Para¬ 
typhusbazillen. Erst am 9. Krankheitstag trat Agglutination gegen 
Paratyphus in einer Verdünnung von 1:80 ein und war 10 läge 
später noch vorhanden. 

Die Temperatur stieg nie über 37,3 in axilla. 

Der Urin enthielt geringe Mengen Albuinen, das Sediment zeigte 
sehr viele rote, wenig weisse Blutkörperchen und granulierte 
Zylinder. 

Dieser Patient war in derselben Fabrik wie der vorige, P. Sch., 
doch weiss er ebensowenig wie der andere irgendwelche Angabe 
über eine mutmassliche Infektionsquelle anzugeben. 

Die Diagnose möchte ich in diesem Falle aus dem Auftreten 
der Agglutinationsfähigkeit des Serums sowie in Anlehnung an den 
vorigen Fall stellen. 

Nach 4 Wochen konnte der Patient als geheilt entlassen werden. 

Die beiden letztgenannten Fälle, von denen der eine als 
typhusähnliches Symptom einige Roseolen erkennen liess, 
zeichneten sich dadurch aus, dass eine akute hämorrhagische 
Nephritis das Bild eines Paratyphus mittlerer Schwere, der 
durch die Züchtung der Bazillen aus dem Stuhlgang des einen 
Patienten sichergestellt war - , komplizierte. Aelmlich wie 
beim sog. Nephrotyphus wurde sofort bei der ersten Unter¬ 
suchung die nephritische Veränderung des Urins festgestellt. 
Es fanden sich in dem trüben, schon makroskopisch sich als 


bluthaltig erweisenden Urin mikroskopisch die Zeichen der 
akuten hämorrhagischen Nephritis. 

Beide Pat. hatten in derselben Fabrik gearbeitet, aber in 
getrennten Räumen. 

Ihr Essen stammte aus verschiedenen Küchen. 

Man muss aber trotzdem im Hinblick auf die Gleich¬ 
artigkeit der Infektion und der klinischen Erscheinungen, so¬ 
wie der Komplikation auf eine gemeinsame Duelle der Infektion 
schliesscm, obwohl sie nicht auffindbar war. 

Fall XII. M. Seh., 21 Jahre. Apotheker. 

Der Patient erkrankte 3 Tage \<>r der Aufnahme ins Kranken¬ 
haus mit Schüttelfrost, heftigen Durchfallen. Brechreiz, allgemeiner 
Schwäche und Abgeschhgenheit. 

Bei seiner Aufnahme ins Krankenhaus bestand mir poch ganz 
wenig Durchfall bei gutem Wohlbefinden. Orgam erandeningen 
waren nicht nach/uw eisen, insbesondere bestand keine Bronchitis, 
kein Milztumor, keine Roseolen. 

Die Diazoreaktion war negativ. 

Aus dem Stuhl gelang die Züchtung vonTvphus- unJ Parat\phus- 
bazillen. Die Widalsche Reaktion war m den ersten lagen nega¬ 
tiv. Am 13. J age aber agglutinierte das Serum J \ plins- und Para- 
t\ phusbazillcn in einer Verdünnung von 1 : ln». 

Am 32. läge nach Beginn der Erkrankung wurde der Pat. ge¬ 
heilt entlassen, nachdem 2 mal Bazillen»reihen des Stuhls n.ich- 
gew iesen war. 

Dieser Fall bietet dadurch besonderes Interesse, als bei 
ihm Typhus- und Paratyphusbazillen im Stuhle nachgewiesen 
werden konnten, auch das Serum agglumr.erte sowohl Typhus 
als Paratyphusbazillen in einer Verdünnung von 1: U«o 

Trotz des Befundes von Typhusha/illeu zeigte der Patient 
keinerlei klinische Erscheinungen von Typhus abdominalis. 

Das Kranklleitsbild entsprach vielmehr nur dem einer 
leichten Gastroenteritis. 

Einer besonderen Besprechung bedürfen meines Erachtens 
die Massenerkrankimgen durch Paratyphusbazillcn. da s;e wie 
alle Massenerkrankungen ihre besonderen Eigentümlichkeiten 
haben und oft von dem Bilde der sporadisch auftretenden lalle 
abweichen. 

Ich hatte Gelegenheit, eine solche Massenerkrankung, her¬ 
vorgerufen durch den Bacillus paratxphi. zu Tv< baJitcn. 

Ich nehme die bakteriologischen Untersuchungen bei dieser 
Massenerkrankung vorweg. Sie wurden ebenso wie die bak¬ 
teriologischen und serologischen Prüfungen der sporadischen 
Fälle im Frankfurter Institut für experimentelle Therapie von 
Herrn Dr. Gins unter Leitung von Herrn Prof. Ne iss er 
vorgenommen. 

Diesen Herren erlaube ich mir fnr ihre grosse Mühe¬ 
waltung und die liebenswürdige Ucbcrlassuug ihrer Unter¬ 
suchungsergebnisse meinen verbindlichsten Dank auszu¬ 
sprechen. 

Bakteriologische Untersuchungen über die 
Mass e n e rkrank u n g. 

Die Züchtung des Bacterium paratyplu gelang aus den 
StiiIllen fast aller Erkrankten. 

Aus vielen Stühlen wurde ein Stamm gezüchtet und einer 
genauen bakteriologischen Analyse unterworfen. Die Rcin- 
ziiehtung wurde durch Ausstreidieii auf Endoplattensatzc be¬ 
werkstelligt und gelang meist. Als typisches Beispiel fahre 
ich das kulturelle Verhalten des Stammes I auf. das ans felgen¬ 
den Tabellen ersichtlich ist. 


Kultur I. I kitnm: 5. \ |||. ti7. 



T ;u’ <• 

1 2 3 4 5 

lS;»rsi«kt<wsUckmn*- 

Nutr.-setehrh.wlen 

Beweglichkeit.... 
Cir.im .. 

In<lollti|ilunsr. 

Mikh/.urkmirar. . 
Traubpn 7 . 11 cker. 11 r. 1 r 
L:trkmii^uiolk« 1 . . . 
Mileli^orinmuiLT . . 
Kmloplatten. 

beweglich beweglich 
negativ 
nicht 
kein* 

nicht zeriss. 
zeriwn 

rot bläulich M.iu M.m 

keine 
weiss 

mit M.mnit: r--t. g*- 
rc*n:;en, 

mit Mil< lizu< k«T: un- 
t*r.tndert, 

mit Traubon/u- k»*r: r-t. 
cef-nn*-!.. 


| Es wurden ferner J terversuche mit Stamm I vorge- 
i nommen. Am o. \ III. 07 wurden m,t t.i.a 24 gen 
' Bouillon killt 11 r folgende liefe geimpft: 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1729 


1. Maus, Nase rot, 0,2 ccm intraperitoneal, + am 7. VIII. 07. 

2. Maus, Nacken rot, 0,3 ccm subkutan, + am 7. VIII. 07. 

3. Maus, Rücken rot, 0,3 ccm intrastomachal, stirbt am 
8. Tage. 

4. Meerschweinchen, rechter Hinterfuss braun, 0,4 ccm 
intraperitoneal, + am 7. VIII. 07; aus dem Herzblut bewegliche 
Stäbchen. 

5. Taube, Kopf rot, 0,4 ccm intramuskulär. Nach 4 Wochen 
geschlachtet, Brustmuskel paratyphös. 

Des weiteren wurde die Agglutination geprüft, die poly¬ 
valentes Sclnveinepestserum bei dem Stamm I und bei einem 
Stamm des Institutes für experimentelle Therapie, der von einer 
Fischvergiftung 1 ) herrührte, hervorrief. 

7. VIII. Polyvalentes Schweinepestserum gegen 

StammT: Stamm Fischvergiftung: 

V 400 4 - -f- 1 Uoo -j—f- -- 

'/SOO -j-f“ 'iSOO -i- -j- 

’/iaoo -f- ? V 1600 -|-j-p 

’/aaoo — *, f 3800 4* 

1 /d400 -p 

1 i 18800 - ? 


Schliesslich wurde die Agglutinationsfähigkeit des Serums 
einer Patientin noch genauer analysiert. 

■ Patientenserum } 

Gegen Stamm I: Gegen Schottmüllers Paratvphus B: 

v*» + f f J /«o 4- 4- + 

' 1*0 4--p 1 .40 -1— 1 —p 

1 /so 4* -- '/so -j- 4 —P 

'/ioo -p -- '/leo 4" 4—P 

V 3*0 -f- -f- 1 !ato 4" 4 —1 

15. VIII. Patientenserum (Fall 1857 und 1858, gemischt) gegen: 
Ma (Aertryk) Na (Psittakose) 

l !w— l i sw negativ. 1 i- 2 o— l l 320 negativ. 

W. A. (Enteritis Gärtner). 

V*o — l iat 0 negativ 


L. (Mäusetyphus) 

V *o + 

V 40 —'/aao negativ. 


Z. (Paratyphus Lipstein) 

1 + 

1 40 4" 

Vso —'lato negativ. 


Klinisches über die Massenerkrankung. 

Im Juli 1907 trat unter unseren Schwestern eine Massen¬ 
erkrankung auf. Im Laufe zweier Tage erkrankten von 54 
Schwestern die Hälfte, mit starker Beeinträchtigung des All¬ 
gemeinbefindens, Kopfweh, heftigem Erbrechen und profusen 
Durchfällen, die bis zu 20 und 30 Mal in 24 Stunden sich wieder¬ 
holten und erbsenbreiartige bis wässerige Beschaffenheit 
zeigten. 

Das Fieber stieg bei einigen bis auf abendliche 
Höhen von 40° und hielt 2—3 Tage an. Ich füge einige 
Kurven bei. 

An den inneren Organen der Erkrankten traten 
objektiv nachweisbare Veränderungen nicht auf, insbesondere 
waren Roseolen, Milzschwellung etc. nicht nachweisbar. 

Der Verlauf der Erkrankungen war ein durchaus gut¬ 
artiger, spätestens am 3. Tage trat Entfieberung ein, während 
die Durchfälle bei einigen erst nach 6—8 Tagen schwanden. 
Doch machte sich bei den meisten der Erkrankten noch einige 
Zeit nach dem Ueberstehen der Infektion eine starke 
körperliche Schwäche bemerkbar, die ganz im Einklang stand 
mit den starken Gewichtsverlusten der Patientinnen. 

Das Körpergewicht sank, grösstenteils wohl infolge 
der grossen Wasserverluste, durchschnittlich um 2,5 kg. 

Neben dieser Form der Erkrankung, die mit starken 
Störungen des Allgemeinbefindens einherging, kamen solche 
vor, bei denen nur leichtes Unbehagen und wenig aber gar 
keine Durchfälle beobachtet wurden. 

Zwischen beiden Extremen fanden sich alle Uebergänge. 

Als Ursache der Erkrankung konnte fast bei allen 
Patienten der Bacillus paratyphi B aus den Stuhlgängen ge¬ 
züchtet werden. Dagegen gelang es nicht sicher, die doch 
gewiss gemeinsame Quelle der Infektion nachzuweisen. Mit 
Wahrscheinlichkeit ist Aufschnitt als Infektionsträger verant¬ 
wortlich zu machen. 


*) Vergl. Erkersdorff, Heft 4 der Arbeiten aus dem KkI. In¬ 
stitut für experimentelle Therapie 1908 (Gustav Fischer. Jena). 

No. 33 


Die Agglutinationsfähigkeit des Serums wurde aus 
äusseren Gründen bei den meisten der Erkrankten erst am 
9. Tage nach dem Einsetzen der klinischen Erscheinungen ge¬ 
prüft. Sie wurde bei allen stark positiv gefunden, über 1:320. 

Bei den 4 Patientinnen, die am stärksten mitgenommen 
waren, wurde sie schon am 5. Tage angestellt. Sie fiel negativ 
aus bei dreien. Bei einer agglutinierte das Serum jetzt schon in 
einer Verdünnung von 1:80. 4 Tage später agglutinierte auch 
bei ihnen das Serum in sehr starken Verdünnungen. Der stark 
positive Ausfall der Wi da Ischen Reaktion war am 12. Tage 
nach Eintritt der ersten Krankheitszeichen noch vorhanden, 
aber bei 6 Erkrankten machte sich schon jetzt ein Rückgang in 
der Stärke der Reaktion bemerkbar. Nach weiteren 6 Wochen 
war das Phänomen bei einigen darauf Untersuchten nur noch 
in ganz schwachen (1:20) Verdünnungen positiv. 

Auch das Serum von 27 gesund gebliebenen Schwestern 
wurde untersucht. Es ergab sich die Tatsache, dass 3 von 
ihnen, obwohl sie nicht die mindesten Erscheinungen gehabt 
hatten, starke Agglutinationsfähigkeit, über 1:320, einige 
schwächere, nämlich 1:80, und die übrigen keine Aggluti¬ 
nationsfähigkeit des Serums zeigten. Man muss wohl an¬ 
nehmen, dass der Organismus derjenigen, deren Serum Aende- 
rungen der Agglutinationsfähigkeit aufwies, zwar infiziert 
worden ist, dass er aber dieser Infektion Herr geworden ist, 
ohne im klinischen Sinne zu erkranken. 

Kurz zusammengefasst handelt es sich also um Erkran¬ 
kungen, die das Bild der leichten bis mittelschweren Gastro¬ 
enteritis ohne Organveränderungen darboten. 

Charakteristisch war die Plötzlichkeit, mit der die Er¬ 
scheinungen einsetzten, die das Allgemeinbefinden stark beein¬ 
trächtigenden Magendarmerscheinungen und der doch milde 
und gutartige Verlauf. 

Diese Beobachtungen an einzelnen Fällen und an einer 
Massenerkrankung zeigen wohl, dass die Paratyphusinfektion 
meist ein besonderes Krankheitsbild, das zwischen den Bildern 
des Typhus und der Gastroenteritis steht, bietet. 

Doch lässt sich eine scharfe klinische Trennung häufig 
nicht durchführen, es kommen vielmehr Uebergänge nach 
beiden Richtungen hin vor. Immerhin scheint die Er¬ 
krankung, wenigstens auf Grund meiner Beobachtungen, 
häufiger der akuten Gastroenteritis und 
jenen Erkrankungen, die als Nahrungsmittel¬ 
vergiftungen beschrieben worden sind, zu 
gleichen, wie ja überhaupt diese Erkrankungen durch die 
Entdeckung des Paratyphusbazillus und der ihm nahe stehenden 
Bazillen in ein anderes Licht gesetzt sind. Höchst wahr¬ 
scheinlich sind doch früher unter dem Namen der Fleisch-, 
Fisch- und Wurstvergiftung Paratyphusinfektionen beschrieben 
worden. 

Mit dem Bilde des klassischen Typhus abdominalis hat die 
Paratyphusinfektion häufig gar keine Züge gemeinsam. Auch 
die Prognose ist bei Paratyphus eine ungleich günstigere. 

Es ist daher auch wohl der Name Paratyphus, der ge¬ 
wissermaßen eine Unterart des Typhus andeutet, als klinische 
Bezeichnung der Krankheit nicht besonders glücklich gewählt. 
Besser zutreffen mag er als Name für das Bakterium, das in 
der Tat ja dem E b e r t h sehen Bacillus typhi nahe steht. 

Zur Erklärung des Auftretens verschiedenartiger Bilder 
bei der Paratyphusinfektion kann man sich vorstellen, und 
dieser Gedanke ist in der neueren Literatur einige Male aus¬ 
gesprochen worden, dass die Menge der Toxine, die in den 
Körper gelangen, eine gewisse Rolle spielt und zwar so, 
dass die Erkrankung mit typhusähnlichem Verlauf zustande 
kommt, durch Infektion des Körpers, durch die Bazillen allein 
ohne ihr Toxin. Während der Inkubation und der Zeit der 
Prodrome wird das Toxin im Körper gebildet und erst dann, 
wenn die Toxinbildung eine gewisse Höhe erreicht hat, treten 
speziellere und schwerere Symptome auf. 

Das gewöhnliche Bild der Erkrankung jedoch wird her¬ 
vorgerufen durch eine Schädigung des Organismus durch die 
Bazillen plus den Toxinen. Diese sind von den Bazillen ausser¬ 
halb des Körpers in den infizierten Nahrungsmitteln gebildet 
worden. Die Inkubation und die Zeit der Prodrome verläuft 
also gewissermassen ausserhalb des menschlichen Körpers, 
wenn dieses Bild gestattet ist. 

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1730 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


Es dürfte möglich sein, dass manche akute Gastroenteritis, 
bei der wir das krankmachende Agens nicht nachweisen 
können, eine Intoxikation mit den Toxinen des Paratyphus¬ 
bazillus darstellt, ohne dass die Bazillen in den Organismus 
gelangt wären, dass es sich also um eine ähnliche Erkrankung 
wie beim Botulismus handelt. Jedenfalls aber wird cs nötig 
sein, in Zukunft alle Fälle von Gastroenteritis zu untersuchen 
auf Paratyphus, wie es bei uns getan wird. Eine ganze Reihe 
von Fällen, die früher als „Gastroenteritis“ gingen, werden 
dann als Paratyphus erkannt werden. 

Als Ergebnis meiner Beobachtungen an Paratyphus¬ 
infektionen möchte ich zusammenfassend sagen: 

Die Infektion des Organismus mit dem Bacterium para- 
typhi kann das klinische Bild des Typhus abdominalis hervor- 
rufen. 

Sehr häufig jedoch verläuft sie unter einem anderen, 
ziemlich scharf zu umgrenzenden Krankheitsbild. Dieses 
Krankheitsbild zeigt mit dem Bilde des Typhus abdomi¬ 
nalis meist mir wenig gemeinsame Züge. Es gleicht vielmehr 
dem Bilde der akuten Gastroenteritis. Die Erkrankung ist 
daher nicht als eine Abart des Typhus aufzufassen, sondern als 
eine Gastroenteritis, die durch den Befund eines besonderen 
wohlcharakterisierten Bakteriums sich aus der grossen Gruppe 
der Gastroenteritiden heraushebt. 

Literatur. 

Brion: Deutsche Klinik (Leyden-Klemperer), Bd. 2. — Cle¬ 
mens: D. med. Wochenschr. 1904, S. 280 u. 314. — Kutscher: 
Handbuch der pathogenen Mikroorganismen, 1907. — T r a u t m a n n: 
Lubarsch-Ostertag. — Brion und Kayser: Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1902, No. 13. — Dieselben: D. Archiv f. klin. Med. 1906, 
Bd. 85. — Conrad i, Drigaiski, Jürgens: Zeitschr. f. Hygiene 
u. Infektionskrankh., Bd. 42, S. 42. — de Feyfcr und Kayser: 
Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 41/42. — Fischer: Zeitschr. f. 
Hygiene u. Infektionskrankh., Bd. 39, S. 447. — Friede): Hygien. 
Rundschau 1906, No. 1. — Hei ne mann: Zeitschr. f. Hygiene 
u. Infektionskrank., Bd. 40, S. 522. — Hetsch: Klin. Jahrb., XVI, 
1906. — Jürgens: Berl. klin. Wochenschr. 1907, No. 37. — Der¬ 
selbe: Zeitschr. f. klin. Med. 1904, Bd. 52, H. 1 u. 2. - Kayser: 
Zentralbl. f. Bakteriol., Bd. 40. — Körte: Zeitschr. f. Hygiene u. 
Infektionskrankh. 1903, Bd. 44. — Kurth: D. med. Wochenschr., 
S. 501 u. 515. — Kutscher: Zeitschr f. Hygiene u. Infektions¬ 
krankheiten. — Derselbe: Berl. klin. Wochenschr. 1907, 
No. 40. — Lembke: Zeitschr. f. Medizinalbcamte 1905, H. 8. — 
Lentz: Klin. Jahrb. 1905, Bd. 14, H. 5. — Derselbe: Münch, 
med. Wochenschr. 1906, S. 1733. — Levy und Jakobsthal: 
Archiv f. Hygiene 1902, S. 113. — Rings: Med. Klinik 1907. — 
Rolly: D. Archiv f. klin. Med., Bd. 85. — S c h o 11 in ü 11 e r: 
D. med. Wochenschr. 1900. — Derselbe: Zeitschr. f. Hygiene u. 
Infektionskrankh., Bd. 36, S. 308. — Sion und Negel: Zentralbl. 
f. Bakteriol., Bd. 32. — Suter: Fleischvergiftungen. I.-D., Zürich 
1884. — Trautmann: Berl. klin. Wochenschr. 1906, S. 1102. —- 
Derselbe: Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh. 1903, Bd. 45, 
S. 135. — Vagedes: Klin. Jahrb. 1905, Bd. 14, H. 5. — U. a. in. 

Die Technik der Wassermann-Neisser-Bruck- 
schen Serodiagnostik der Syphilis. 

Von Dr. Karl Ta ege, Hautarzt in Freiburg i. Br. 

Bei der Untersuchung eines Menschen auf Syphilis wird 
heutzutage sicher öfter nach Spirochäten gefahndet, als die 
Wassermann-Neisser -Bruck sehe Serumreaktion 
angestellt wird. Nicht in allen Fällen besteht aber die Ge¬ 
legenheit der Spirochätensuche und dann ist die Möglichkeit 
einer anderen Untersuchung gewiss sehr angenehm. 

Dazu kommt, dass die Vornahme der Reaktion schon bis¬ 
weilen vom Patienten selbst gefordert wird; und dass ihre 
Ergebnisse derartig belehrende sind, dass eine eingehende 
Untersuchung nicht mehr als völlig ausgebaut bezeichnet 
werden darf, wenn diese besondere Prüfung fehlt. 

Wenn sie nur nicht so verzwickt wäre! klagt derjenige, 
welcher sie allein vom Zusehen oder Lesen kennt. 

Dass sie das in Wirklichkeit nicht ist, das sollen die 
nachfolgenden Seiten auseinandersetzen. Sie erfordert keine 
grösseren Anstrengungen, als das ihr verwandte Arbeiten in 
der titrimetrischen Chemie; worin sie aber besonders den 
Anfänger bisweilen nervös macht, das sind ihre Ansprüche an 
Sauberkeit und Genauigkeit, und worin sie ihn leicht ermüdet, 


das sind ihre stets wiederkehrenden Warnungen vor Fehlern, 
deren Aufdeckung sie seiner Ueberlegung überlässt. 

Bestchenbleiben w ird diese Methode sicherlich. \ lelleicht 
w ird ihre Technik einmal vereinfacht w erden. 

Und diese Technik, wie sie gegenwärtig geubt wird, will 
ich so ausführlich beschreiben, dass ein jeder an der Hand 
der vorliegenden Anweisung sie beherrschen lernen kann. 

Die Deutung der Ergebnisse muss ihm selbst überlassen 
bleiben: diese auch zu vermitteln, ginge über den Rahmen 
dieser Auseinandersetzung hinaus. 

So wie hier die Reaktion geschildert wird, wird sie in 
der N e i s s e r sehen Klinik angestellt, dem Orte in Deutsch¬ 
land, an dem wohl das meiste einschlägige Material verarbeitet 
wird. Ich bin mir deshalb auch ganz und gar bewusst, hier 
nicht eine wissenschaftliche Arbeit geleistet zu haben: Ich 
möchte vor allem denjenigen helfen, welchen es nicht vergönnt, 
ist, sich an einem Institut selbst zu unterrichten. 

Dem Leiter der Klinik, meinem mnigst verehrten einstigen 
Lehrer, danke ich auch hier nochmals iur die Gastfreundschaft, 
die er mir angedeihen hess, ebenso bin ich Herrn Dr. Bruck 
und Frln. Margarete Ste r n. Assistentin an der Serodiagnosti¬ 
schen Abteilung der Hautklinik, aufrichtigst verbunden, welche 
trotz der vielen Mühe mit ihren eigenen Untersuchungen, es 
sich nicht verdriessen liessen, mich wieder und wieder auf 
die Einzelheiten aufmerksam zu machen, mich zu belehren und 
zu fördern. 

I. Was will die W .-N.-B.-Reaktion. 

Sie will erhellen, ob bei dem Untersuchten es sich sehn n 
lim eine Allgemeininfektion handelt oder ob er noch syphi¬ 
litisch ist. 

So oft die äusseren eindeutigen Erscheinungen einer Syphi¬ 
lis vorliegen, kann diese Frage ja auch anderseitig entschieden 
werden, und die Reaktion scheint nur von theoretischem Werte 
zu sein. Aber sofort tritt ihre Bedeutung m ein anderes LiJit. 
w enn es sich um eine DiffercntiaIdiagnos c oder einen Fall han¬ 
delt, dem sonst diagnostisch schlecht bei/ukommen ist. 

Ist dieses krateriormige Geschwür der Zunge ein Gummi 
oder ein Karzinom; ist diese vorliegende Knochcnjuitrubung 
ein Sarkom oder eine syphilitische Periostitis; handelt es sich 
bei meinem Patienten um eine Paralyse (»der eine anderweitige 
Hirnerkrankung, um eine Tabes oder ein nervöses Magenleiden 
usf. Und weiter: Ein Patient, den ich schon lange wegen 
einer Syphilis behandelt habe, stellt sich wieder vor, um eine 
neue Behandlung zu beginnen. Welchen Anhalt habe ich bis¬ 
her für meinen Entschluss, ihn abermals aniangen zu lassen, 
gehabt? Das Schema der chronisch intermittierenden Behand¬ 
lung! Aeussere Erscheinungen sind nicht vorhanden ob er 
noch krank ist, weiss ich nicht: aber - sicher ist sicher: der 
Mann muss also schmieren. Heute kann ich ihm mit einer an 
Gewissheit grenzenden Genauigkeit sagen, ob er noch krank 
ist und kann meinen Entschluss darnach emnJiteii. Weiter: 
Ein Neurastheniker, Syphihphobe sucht mich auf. Ich zeige 
ihm das Reaktionsergebnis einmal, zweimal, und der Arme hat 
seine Ruhe wieder gefunden bezw. er wird zielbewusst be¬ 
handelt. Oder ein Patient will möglichste Gewissheit haben, ob 
er gesundet in die Ehe tritt; oder eine UnkdlvcrsiJierm.gs- 
gesellschaft bestreitet, dass ein aufgetretenes nervöses Leiden 
mit dem erlittenen Unfälle im Zusammenhänge steht, behauptet 
vielmehr, es sei die Folge einer Infektion: oder eine Lebens¬ 
versicherungsgesellschaft verlangt Auskunft über die sie 
interessierenden Yorerkrankungeii des betr. Kandidaten. 

Und so gibt es eine Unzahl von Fragen, die bisher fast un¬ 
lösbar waren, bisweilen mit wahrscheinlicher Richtigkeit ge¬ 
löst werden konnten, und von welchen heute dank der Re¬ 
aktion ein grosser Teil völlig sicher erledigt werden kann. 

Ich weiss wohl, dass die Tragweite der Reaktion von den 
verschiedenen Untersuchen! verschieden bewertet wird. Auf 
diese Meinungsverschiedenheiten einzugehen ist jedoJi nicht 
meines Amtes. 

II. Worin besteht Ihr Wesen? 

1. DieReaktion verdankt ihr Bestehen der Ueberlegung. dass 
bei dem Syphiliskranken* wie bei einem jeden anderen an einer 
Infektionskrankheit leidenden, das \ orhandensem eines -\uti- 
gens und seines Antikörpers angenommen werden müsse, dass 


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18. August 1908. 


MUFNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1731 


man also vielleicht auch imstande sein könne, mit Hilfe des 
Antigens den Antikörper nachzuweisen. Die Spirochäte, so 
nahm man an, oder ihre Stoffwechselprodukte ist das Antigen. 
Da nun diese noch nicht gezüchtet werden kann, so griff man 
zu dem Auszug aus stark spirochät?nhaltigen Organen, z. B. 
der Leber eines syphilitischem Fötus. Den Antikörper suchte 
man im Blute des Patienten. 

Die Ueberlegung schien sich als ricL.'j zu bestätigen. 
Analog anderen Infektionserkrankungen gelang mit Hilfe des 
Stoffes, den man als Antigen zu bezeichnen sich für berechtigt 
hielt, der Nachweis eines anderen Stoffes im Blute des Patien¬ 
ten, den man als Antikörper bezeichnete. Beide verketten sich 
auch im Reagenzglasversuche. 

Ob nun wirklich der im Blute kreisende Stoff, dem wir 
suchen, ein wahrer Antikörper ist und ob wir mit Recht von 
einem Antigen im eigentlichen Sinn sprechen dürfen, ist bis¬ 
her noch nicht entschieden. Vielleicht ist es ein Stoff, der schon 
ohne Infektion im tierischen Körper vorhanden ist, dessen 
Menge aber durch die Anwesenheit der Spirochäte ungemein 
vergrössert wird. — Es spielt dies auch für die Reaktion gar 
keine Rolle. — Vorderhand steht uns eine eindeutige Erklärung I 
nicht zur Verfügung. 

Zu ihrer Bindung gebrauchen Antigene und Antikörper 
einen dritten Bestandteil, das Komplement. 

Das Komplement ist ein Stoff, welcher in jedem normalen 
Blute vorhanden ist. Er wird schon durch Erwärmen auf 
56° vernichtet. 

2. Spritze ich einem Kaninchen während einiger Wochen 
in Abständen rote Hammelblutkörper ein, so hat sein Serum die 
Eigenschaft gewonnen, im Reagenzglase, bei 37°, zugesetztes 
Hammelblut aufzulösen. Was da im Serum lösend wirkt, nennt 
man Hämolysin. Dieses ist kein einheitlicher Stoff, sondern 
setzt sich zusammen aus obenerwähntem Komplement und 
einem spezifischen, durch die Vorbehandlung erst entstandenen 
Körper, dem Ambozeptor. Letzterer wird durch Erwärmen auf 
56° nicht inaktiv. 

Erwärme ich also Hammelblutkaninchenserum auf 56° und 
setze Hammelblut zu, so löst es nicht, denn das Komplement 
ist zerstört. Füge ich dagegen wieder ein passendes Komple¬ 
ment zu, z. B. normales Meerschweinchenserum, so gewinnt 
es seine Lösungsfähigkeit zurück. Ueber den Ambozeptor als 
Brücke schreitet das Komplement Sum Angriff auf die roten 
Blutkörperchen. 

3. Mische ich in einem Reagenzglas Antigen (Leberextrakt), 
Antikörper (Syphilisserum), Komplement (Meerschweinchen- 
serupi), Ambozeptor (Hammelblut-Kaninchenserum) und Ham¬ 
melblut und erwärme die Mischung bei 37° 1—2 Stunden, so 
tritt keine Hammelblutkörperauflösung — Hämolyse — ein. 
Die roten Blutkörperchen bleiben unverändert. Grund: Das 
Komplement, welches zur Hämolyse notwendig wäre, ist zur 
Bindung von Antigen und Antikörpern verbraucht worden. 
Es ist verankert, abgelenkt; die Hämolyse ist gehemmt worden. 

Aus diesen 3 Sätzen ergibt sich, was ich alles zur Anstel¬ 
lung der Reaktion gebrauche. 

Das Antigen. Dieses liefert mir der Auszug eines 
syphilitischen, Spirochäten reichen Organes, z. B. der Leber 
eines syphilitischen Kindes. 

Den An t i k ö r p e r. Ihn stellt das Blutserum meines 
Patienten dar. 

Das hämolytische System, d. h. Ambozeptor, 
Komplement und Hammelblut. 

III. Mit welchen Hilfsmitteln muss mein Ai;beitsraum aus¬ 
gestattet sein? 

1. Ich gebrauche eine Fleischhackmaschine, um die Leber zu zer¬ 
kleinern. 

2. Einen Eisschrank, um die Organe oder Säfte frisch zu halten, 
am einfachsten verwende ich einen Zinkblechkasten, welcher in einem 
grösseren Gefäss steht. Den Zwischenraum fülle ich mit Viehsalz und 
Eis, und stelle beide in einen gewöhnlichen Eisschrank. 

3. Einen heizbaren Vakuumapparat, um die Auszüge bezw. das 
Kaninchenserum einzuengen. 

4. Eine Schüttelvorrichtung zum Auswaschen der Blutkörper; zur 
feinen Verteilung des Antigens in Kochsalzwasser. 

5. Eine Zentrifuge mit 4—5000 Umdrehungen in der Minute, zum 
Klären der Sera, zum Ausschleudern der Hammelblutkörper. 

6. Ein Tierbrett. 


7. Einen Brutschrank. 

8. Einige Reagenzgläsergestelle, Reagenzgläser, graduierte Pi¬ 
petten zu Vx, 1 und 10 g, Messglaser zu 10 g, 100 g, 200 g, Kochkolben, 
ein Wasserbad, Thermometer, eine eingeschmolzene Platinnadel, 
Scheren, Fettbleistift, absoluten Alkohol, physiologische Kochsalz¬ 
lösung, destilliertes Wasser. 

Ausserdem muss ich natürlich einen Käfig für meine Tiere, 
Meerschweinchen und Kaninchen haben. 

IV. Die Gewinnung der zur Reaktion nötigen Körper. 

1. Antigen. 

Die Leber eines syphilitischen Fötus wird ganz fein zerhackt 
oder in der Fleischmaschine zerkleinert, der Brei gewogen und mit 
der vierfachen Menge absoluten Alkohols in einem Kolben vermischt. 
Das Gefäss bleibt 24 Stunden im Zimmer stehen oder es kommt in den 
Schüttelapparat und wird über Nacht geschüttelt. Alsdann wird fil¬ 
triert. Das Filtrat, in einer flachen Schale, wird in einen Vakuum¬ 
apparat gestellt und wird bei 40 0 und 60 mm Hg Druck zu einer Art 
Salbe eingedickt. 

Den einfachsten Vakuumapparat baut man sich in folgender 
Weise. Eine abgeschliffene Glasglocke mit einer grossen Oeffnung 
wird geschlossen durch einen dreifach durchbohrten Gummistopfen. 
Durch ein Loch geht ein Thermometer, durch das zweite der 
Stutzen eines Manometers, durch das dritte ein gebogenes Glasrohr. 
Dieses letzte wird durch einen dickwandigen Schlauch mit einer 
Wasserstrahlpumpe verbunden. Die Glocke steht auf einer polierten 
Eisenplatte, welche durch einen Gasbrenner erwärmt werden kann, 
oder die auf einem Wasserbad ruht. Ob das Einhalten der Tem¬ 
peratur von 40° und des Unterdrucks von 60 mm Hg nötig ist, kann 
ich nicht beurteilen. Hier in der Klinik wird darauf gehalten. 

Ein Gramm der fertigen Salbe wird in 100 ccm 0,85 proz. 
Kochsalzlösung fein aufgeschwemmt und 24 Stunden lang im Schüttel¬ 
apparat geschüttelt. Man erzielt dadurch eine milchige, gleichmässige 
Verteilung der Salbe im Kochsalzwasser. Das „Leberextrakt“ ist 
dann fertig und wird im gewöhnlichen Eisschrank aufbewahrt. Neuer¬ 
dings wird der Kochsalzlösung 0,3 proz. Karbolsäure zugesetzt. 

Eine andere Darstellungsweise, welche das Einengen im Vakuum 
umgeht, ist die, dass ein Teil der klein zerteilten Leber mit 10 Teilen 
absolutem Alkohol versetzt und mit einigen Glasperlen 24 Stunden 
lang geschüttelt wird. Das Filtrat ist das fertige „Leberextrakt“. 

2 . Rote Hammelblutkörperchen. 

Man fängt im Schlachthause einen Viertelliter Hammelblut in 
sterilem Kolben mit einer Hand voll Stahlspähne auf und schüttelt es 
so lange, bis es defibriniert ist. Es hält sich einige Tage im Eis¬ 
schrank frisch. Die notwendige Tagesmenge wird in ein Zentrifugen¬ 
gläschen abgegossen, mit der doppelten Menge Kochsalzlösung ge¬ 
mischt, umgeschüttelt und bis zum völligen Absetzen der Blutkörper 
geschleudert. Die klare überstehende Flüssigkeit wird wieder ent¬ 
fernt und durch neues Kochsalzwaser ersetzt. Abermaliges Ab¬ 
setzen, Schleudern, Entfernen des Waschwassers. Die gewaschenen 
roten Blutkörperchen sind jetzt fertig: Sie dienen zur Vorbehandlung 
des hämolytischen Kaninchens und zur Reaktion selbst. 

3. Antikörper. 

Zur Entnahme des Blutserums des Patienten wird der Oberarm 
mit einer Gummibinde umwickelt, so dass die Venen anschwellen. 
Die Haut wird kräftig mit Alkohol abgerieben, und ungefähr in der 
Ellenbogenbeuge eine Vene mit einer Hohlnadel angestochen. Nach 
dem Abziehen wird die Stichöffnung mit Pflaster bedeckt. Das Blut, 
etwa 20 ccm, wird in einem dicken Reagenzglas aufgefangen und 
zwei Stunden der Ruhe überlassen. Mit einer geraden Platinnadel 
wird alsdann der Blutkuchen von der Glaswand abgelöst und das 
ziemlich klare Serum in ein Zentrifugenröhrchen gegossen. Es wird 
geschleudert, bis es völlig blank geworden ist und bei 56 0 eine halbe 
Stunde erhitzt: Inaktiviert. Im Eisschrank aufzuheben. 

4. Ambozeptor. 

Einem starken Kaninchen wird in eine Ohrvene (Rand durch 
Fingerdruck anschwellen lassen!) ein halber Kubikzentimeter ge¬ 
waschene Hammelblutkörperchen ganz langsam eingespritzt. Die 
Einspritzung wird im ganzen viermal vorgenommen, jede Woche ein¬ 
mal, und nach Ablauf der 5. Woche das gesamte Blut entnommen. 
Vorher ist es ratsam, aus der Ohrvene einige Gramm zu gewinnen, 
und das Serum auf seine Lösungsfähigkeit zu prüfen. Diese Prozedur 
der Entblutung ist gerade nicht sehr erbaulich. Das Tier wird auf 
ein Vivisektionsbrett gebunden, der Bauch nach oben. Die Halsgegend 
wird mit Alkohol so gut wie möglich gereinigt. Mit einer Pinzette 
wird über dem Kehlkopf eine Hautfalte straff hochgezogen und ganz 
schräg zur Längsachse mit einer Schere eingeschnitten. Es klafft 
dadurch eine offene dreieckige Stelle. In der Mittellinie präpariert 
man sich jetzt die Luftröhre frei, so offen wie nur angängig. Neben 
der Luftröhre geht man dann mit einem Scherenblatt in die Tiefe, so 
dass man Karotis und Jugularis zwischen der Schere hat, und 
schneidet beide mit einem Schlage durch. Das mit Macht aus¬ 
strömende Blut wird in einem weiten Zylinder von etwa 300 ccm 
aufgefangen. In dem Masse, wie es langsamer fliesst, bekommt das 
Tier Krämpfe. Durch Drücken auf den Bauch sucht man die Blut¬ 
menge zu vermehren. Fliesst nichts mehr aus, so durchschneidet man 
auch die Blutgefässe auf der anderen Seite. Einige Kubikzentimeter 

l 2 * 


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1732 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sn. 33. 


erhält man dadurch immer noch. Schliesslich wird durch einen 
kräftigen drückenden Schercnschlag Luftröhre und Rückgrad durch¬ 
trennt. Das Tier ist dann sofort tot. Wir erhalten ungefähr Jot» ccm 
Blut. 

Das Blut bleibt zwei Stunden mit Watte verschlossen stehen; 
der Blutkuchen wird mit einer Platinnadel von der (ilaswaml ab¬ 
gelüst, und nach 12 Stunden wird das Serum abgegossen, Joo ccm 
geben ungefähr 80 ccm Serum. Durch Erhitzen im Wasserbad auf 
56" während einer halben Stunde wird sein Komplement zerstört; 
das Serum wird inaktiviert. Darauf wird es in einem Vakuum bei 
40° und 60 mm Hg-Druck zur Staubtrockne eingeengt. Um es un¬ 
verändert aufzuheben, wird es in kleinen braunen Röhrchen, in Menge 
von 0,3 g eingeschmolzen. Zum Gebrauch wird der Inhalt eines 
Röhrchens in 3 ccm destillierten Wassers aufgelost. 

5. Komplement. 

Es empfiehlt sich, das Komplement für jeden IJntersuchungstag 
frisch herzustellen, da es beim längeren Aufbewahren bisweilen un¬ 
brauchbar verändert wird. Seine Gewinnung ist genau dieselbe, wie 
die des Ambozeptorscrums, nur wird das 'Tier nicht aufgebunden, 
sondern von einem Diener gehalten. Als serumgebendes Tier dient 
ein Meerschweinchen. Das Serum wird nicht eingetrocknet, sondern 
als solches verwendet. Es darf ja nicht erhitzt werden und muss 
event. gefroren aufgehoben werden. Das Tier muss einen Tag vor 
der Tötung hungern. 

V. Die Vornahme der Reaktion selbst. 

Man arbeitet stets mit verdünnten Körpern. Verdünnungsmittel 
ist 0,85 proz. Kochsalzlösung. Man stellt das 

Anti gen dar durch Lösung von 1 ccm „Leberextrakt“ in 
3 ccm Kochsalzlösung; 

den Antikörper, d. h. das fragliche Paticntenscrum, durch 
Verdünnen von 1 ccm mit 4 ccm Kochsalzlösung; 

die Hammelblutkörper werden durch Aufschwemmen von 
1 ccm gewaschenem Hammelblut in 19 ccm Kochsalz gewonnen; 

der Ambozeptor durch Mischen von 0,1 ccm der Ambo¬ 
zeptorpulverlösung mit 60 ccm Kochsalzlösung; 

das Komplement durch Zufiigen von 9 ccm Kochsalzlösung 
zu 1 ccm Meerschweinchenserum. Die Zubereitungen erfolgen prak¬ 
tisch in graduierten kleinen Zylindern. 

Wenn also im folgenden die Rede ist von Antigen, Hammelblut 
usw., so sind immer diese eben besprochenen Verdünnungen gemeint! 
Wichtig. 

Wie man sich nun bei besonders wichtigen titrimetrischen Ar¬ 
beiten im chemischen Laboratorium stets die Lösungen auf ihre che¬ 
mische Reinheit und ihren Titer untersucht, so hat man auch hier 
gewisse unerlässliche Vorarbeiten zu erledigen, wenn man von 
Ueberraschungen und später gar nicht aufzuklärenden Misserfolgen 
verschont bleiben will. In der Breslauer Klinik wird jeden lag zu¬ 
erst die Kochsalzlösung untersucht. Sie könnte vielleicht nicht iso¬ 
tonisch sein. Es klingt das kleinlich, die Erfahrung spricht jedoch 
für den Nutzen dieser Art von Kleinlichkeit. Je schematischer und 
peinlicher gearbeitet wird, desto schneller und sicherer wird die 
Arbeit vollendet. 

Vorprüfung. 

Die Kochsalzlösung. 

1 ccm Hammelblutkörper mit 4 ccm Kochsalzlösung wird eine 
Viertelstunde in den Brutschrank gestellt: es darf keine Spur von 
Hämolyse sich bemerkbar machen. 

Komplement und Ambozeptor. 

Das Komplement muss jeden Tag aufs neue titriert werden. Die 
feste Grösse, von der ich ausgehe, ist der Ambozeptor. Das Hammel¬ 
blut entspricht dem Indikator in der chemischen Titrimetrie; das 
System ist in Ordnung, wenn 1 ccm „Hammelblut“ -\~ 1 ccm „Kom¬ 
plement“ + 1 ccm „Ambozeptor“ — immer in den eben erläuterten 
Verdünnungen — bei 37° nach 15 Minuten eine klare Losung geben; 
ferner soll das System folgendes leisten: Es soll gelost werden 1 ccm 
Hammelblut + 1 ccm Komplement T* V* ccm Ambozeptor in einer 
halben Stunde. I ccm Hammelblut -\- 1 ccm Komplement i ‘ j be/w. 
V* ccm Ambozeptor in 30—45 Minuten. 1 ccm Hammelblut 1 1 ccm 
Komplement -f Vo bezw\ V» ccm Ambozeptor in 2 Stunden. 

Gewöhnlich genügt es, wenn nach einer Stunde der dieser Zeit 
entsprechende Erfolg eingetreten ist. Dasjenige Komplement ist das 
stärkere, bei dessen Verwendung in kürzerer Zeit Losung eriolgt. 
Vollzieht sich die Lösung zu schnell, so muss der Ambozeptor mit 
der gleichen Menge Kochsalzlösung verdünnt werden. Vollzieht sie 
sich zu langsam, so muss der Ambozeptor derart verstärkt wer¬ 
den, dass nicht, wie sonst in 60 ccm 0,1 der Ambozeptor pul Verlosung 
enthalten ist, sondern 0,2. 

Ich habe in einem Reagenzgläsergestell, welches leicht im Brut¬ 
ofen untergebracht werden kann, 6 Gläser vor mir stellen, die fort¬ 
laufend numeriert sind. 

In No. 1 pipettiere ich 2 ccm Kochsalzlösung. In No. 2 2 1 L* ccm, 
in die folgenden je 2 ccm. 

Zu No. 1 lasse ich mit einer neuen Pipette zulaufen 1 ccm Ambo¬ 
zeptor, zu No. 2 % ccm, zu No. 3 Va ccm, d. h. 1 ccm einer Ver¬ 
dünnung von 1 ccm meines Ambozeptors mit 2 ccm Kochsalzlösung. 


Zu No. 4 1 i ccm. d. h. 1 ccm einer Verdiinnung von 1 ccm 

meines Ambozeptors mit 3 ccm Kochsalzlösung. 

Zu No. 5 1 n ccm. d. h. 1 ccm einer \ erdunnung. welche ivh ge¬ 
winne. wenn ich zu dem Rest der Nn.-3-\crdtmming die gleiche Mengt? 
Kochsalzwasser zusetze. 

Zu No. 6 schliesslich 1 ccm einer Verdünnung, die sich durch 
Vermischen des No.-4-Restes mit dun gleichen Nolumen Kochsalz¬ 
lösung ergibt. 

ln jedem Glas sind jetzt also 3 ccm Flüssigkeit. Zum Schluss 
setze ich je 1 ccm Komplement und 1 ccm Hanmielbliit zu. schüttele 
die Gläser tüchtig um und stelle das Gestell ui den Brutschrank. Nach 
einer Viertel-, einer halben, 1 und 2 Munden wird nachgesehen, und 
die jeweilige Beobachtung notiert. 

Diese Konipleuieutpruiting gibt mir also zu gleicher Zeit über die 
Stärke des Komplementes, wie über die des Aiü>o/e pbTs Xiivkuptt. 
Da aber, wie gesagt, der letzte für uue grosse Reihe um Pruhmgin 
immer der gleiche un\eraiulei liehe ist. so tritt bei ihr die 1 estMel ung 
des Konipletiientw ertes allein in den \ order gf und. 

1 >as A ii t i g e n. 

Dieses kann bisweilen, auch ohne Antikörper, sdum für sich, die 
Hämolyse leicht hemmen. Darüber muss man sich versichern: Zu 
2 ccm Antigen — der Sicherheit w egen nehme ich giuch die doppelte 
Menge — setze ich das lianmU tische System zu. d. h. 1 ccm Kom¬ 
plement. 1 ccm Ambozeptor. I a m Hammeiblut und stelle die W irkung 
nach einer Stunde fest (Brutschrank». Es soll glatte H.iifnB se cm- 
treten. 

Der Antikörper. 

Auch das syphilitische Serum allem hemmt ab und zu. ohne 
Antigen. Wieder pruie ich, in doppelter Menge, also 2 ccm. sein 
Verhalten zum System. Ebenfalls hier soll völlige Ha:imj\se ent¬ 
stehen. Versäume ich diese Prüfung von Antigen ur.d Antikörper 
und wären zufällig beide, ein jedes iur sich, wenn auch nur gering 
hemmend, so wurde ich natutlich eine Häutung der Hemmungen er¬ 
halten können, welche sehr störend wäre. 

Zu jeder vollständigen Untersuchung gehört schliesslich noch, 
festzustellen, wie sich mein 

hämolytisches S y s t e m 

verhält zu sicherem, schon untersuchten Svphilitikersernm, und zu 
sicherem normalem Serum. Ich setze also noch 2 \ ersuche an. Ein 
Reagenzglas mit 1 ccm Syphiiitikerscrums, ein anderes mit 1 ccm 
normalen Serums, dazu je 1 ccm Antigen. 1 ccm R'ortvpicment und 
1 ccm Ambozeptor und 1 ccm Hammelblut. Hier vo.hge Losung -- 
dort völlige Hemmung. 

Die Voruntersuchung hat hier demnach gezeigt, dass ich mich 
verlassen kann auf die Kochsalzlösung, auf Kösfiplemcnt und Ambo¬ 
zeptor be/w . das hämolytische S\ stein, auf das Antuen und den 
Antikörper. 

In der Praxis würde ich natürlich nach Titneumg des Komple¬ 
ments — diese muss immer den Anfang der Arbeit 1 m. den —. die 
Untersuchung von Kochsalzlösung und Antigen. den \ orgleichsversuch 
mit sicherem syphilitischem Serum und normalem Serum zu gleicher 
Zeit mit meiner eigentlichen Untersuchung des unbekannten Serums 
anstellen. 

Um auch einen Einblick in die Grosse der hemmenden Kraft des 
fraglichen Serums zu bekommen, ist es endlich ratsam, n-ch nach¬ 
zusehen, wie schon die Hallte von Antikörper und Antigen auf das 
System w irken. Ich nehme also 1 _• ccm Serum. 1 ccm Ant;gen. 1 ccm 
Kochsal/w asser. dazu je 1 ccm des Svstcms. Tritt auch hier eine 
Komplementablenkung ein. so soll das ein Hinweis auf die Marke der 
Reaktion sein. 

Die endgültige Untersuchung 
vollzieht sich demnach für einen einzelnen Lall wie iolgt: 

Im Gestell habe ich S numerierte Reagcii/g .iser. 

No. 1 wird beschickt mit 1 ccm IlammtlMut und 4 ccm philo¬ 
logischer K> ichsalzlosung. 

No. 2 mit 1 ccm Komplement. 1 ccm Hammeiblut. 1 ccm Ambo¬ 
zeptor und 2 ccm Kochsalzlösung. 

No. 3 mit 1 ccm normalem Serum. 1 ccm Aut,gen. 1 ccm Kom¬ 
plement. 1 ccm Hammeiblut, 1 ccm AmboZcpt'$& 

No. 4 mit 1 ccm sicherem s\ pliiiuisjicn i Vergleichs-) Serum. 

I ccm Antigen, 1 ccm Komplement. 1 ccm Hammel 'lut. 1 ccm Ambo¬ 
zeptor. 

No. 5 mit 0 ccm Serum. 2 ccm Aut.gen. 1 ccm Komplement. 

1 ccm Hammelblut, 1 ccm Ambozeptor. 

No. (» mit 1 ccm Unterst!diungsser ufft, 1 ccm Au!: s en, 1 ccm 
Komplement, 1 ccm Hammelblut. 1 can Ami /eptor. 

No. 7 mit ccm Untersuchungsserupö ; .• ccm Antigen. 1 ccm 
Komplement. 1 ccm Hammeiblut, 1 ccm And - '/epp**-. 1 cctÜ Koch¬ 
salzlösung. 

No. h mit 2 ccm l'ntersuchiingsseium. b ccm Antigen, 1 ccm Kom¬ 
plement, 1 ccm Hammeiblut, 1 ccm \mb> /ep: r. 

Dr. Bruck, weicher ja eine ausserordentliche l’ebung und Er¬ 
fahrung auf diesem Gebiete hat. halt darauf, dass die M^Jtung von 
den ersten 3 Teilen immer für eine stunde in den Brutschrank kommt, 
bevor Hammeiblut und Ambozeptor zugeSet/t werden. Auch lasst 
er Hammeiblut und Ambozeptor in Voran* mischen um! zu gleicher 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1733 


Zeit mit obiger Mischung warm setzen. Es soll sich die Bindung des 
Komplements so leichter vollziehen. 

Nach einer Stunde gilt die Untersuchung als abgeschlossen. 

Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es, zumal für den 
Anfänger, ist, über den Versuch genau Buch zu führen und sich von 
vornherein an eine bestimmte Reihenfolge zu gewöhnen. 

Werden mehrere Sera auf einmal untersucht, so genügt es selbst¬ 
verständlich für alle die Proben No. 1, 2, 3, 4, 5 ein einziges Mal vor¬ 
zunehmen. Ich füge hier ein Schema zum Einträgen der Unter¬ 
suchungsergebnisse bei, für ein bezw. etliche Sera. 



1 

2 

3 

4 

5 

6 

ii 

8 


9 

10 

11 


13 

14 

15 

Serum 312 


n 




7 

I 1 /» 

2 

Ser. 313 

1 

l k 

2 

Ser. 314 

1 

l /9 

2 

Antigen 84 



1 

1 

2 

i 

V* 

0 



l l 2 

0 


1 


0 

Komplement 95 


i 

1 

1 

1 

i 

1 

1 



1 

1 


1 

1 

1 

Hammelblut 

1 

i 

1 

1 

1 

i 

1 

1 


i 

1 

1 


1 

1 

1 

Ambozepter 18 


i 

1 

1 

1 

i 

1 

1 



1 

1 


1 

1 

1 

NaCl 

Norm.-Serum 

Syph.-Serum 

4 

2 

i 

1 

1 



l 




1 







Das Ablesender Reaktionsergebnisse. 

Welches Serum ist nun sicher das eines Syphilitikers, 
welches das eines Gesunden? 

Ist die Gesamtflüssigkeit im Reagenzglase klar rot, liegt 
auf seinem Boden nur ein Schleier farbloser Blutkörper, so war 
das Serum normal. Ist die Flüssigkeit farblos, ruht am Grunde 
ein Kuchen roter Blutkörperchen, so war es syphilitisch. 

Schwierigkeiten macht aber die Erkennung der zwischen 
den beiden Grenzen stehenden Ergebnisse. Ich beobachte 
ein Reagenzglas, in welchem eine rötliche, trübe Brühe 
ist, ganz ohne Bodensatz oder mit geringem Bodensatz: 
Wie fälle ich die Entscheidung? Ueber solchen 
Zweifel hilft mir meistens der Vergleich mit der Reaktion 
eines sicheren spezifischen und der eines sicheren normalen 
Serums, und deshalb soll diese Probe auch stets eingeschoben 
werden. Das Auge bekommt recht bald den Blick für die 
positive Reaktion. Uebung macht dabei viel aus. — Immerhin 
gibt es eine Anzahl von Fällen, in denen man sich nicht für ja 
oder nein entscheiden kann: wie übrigens so oft in der Medizin. 
Dann bleibt nichts anderes übrig, als in einigen Tagen von 
neuem Blut zu entnehmen und die Probe zu wiederholen. 
Leider gibt es aber auch eine Anzahl von Fehlerquellen, die 
trotz grösster Sorgfalt kaum vermieden werden können, weil 
aus ihnen nur ab und zu, ganz unvermutet, ein Irrtum fliesst. 

Erwähnt habe ich schon das allein hemmende Antigen; 
das alleinhemmende Serum. Bisweilen, wenn auch selten, be¬ 
obachtet man jedoch, dass ein sich richtig verhaltendes nor¬ 
males Serum mit einem guten Antigen Hemmung hervorruft. 
Man spricht in solchem Falle von einer unspezifischem Bin¬ 
dung. Nach Angabe von Frl. Margarete Stern schützt man 
sich dagegen dadurch, dass man das Antigen erst dann in Ge¬ 
brauch nimmt, wenn man es gegen 10—12 normale Sera ge¬ 
prüft hat, ohne diese Erscheinung anzutreffen. 

Oder das Antigen hat zu wenig Antigenstoff. Es kann 
auch hierbei eine zweifelhafte Hämolyse entstehen. Man muss 
also durch Neuversuche feststellen, in welcher Menge das Anti¬ 
gen dem System zugesetzt werden muss, um Hemmung zu 
erhalten. Dann wendet man für den entscheidenden Versuch 
die Hälfte dieser ermittelten Menge an. 

Oder ein sicheres syphilitisches Testserum hört ganz plötz¬ 
lich, mit Antigen zusammen, zu hemmen auf, ist also für die 
Vergleichsprobe unbrauchbar. Daher soll man möglichst viele 
syphilitische Sera sich im Vorrat halten. 

Um die Möglichkeit zu haben, Versuche zu erneuern, muss 
ich also mindestens die Seraverdünnungen so lange aufheben, 
bis meine Arbeit endgültig erledigt ist. 

Sicher erkannte Sera können lange Zeit im Eisschrank auf¬ 
bewahrt werden. Deshalb dürfen sie auch nicht verunreinigt 
werden: die Gebrauchsmenge darf nicht mit einer Pipette ent¬ 
nommen werden, sondern muss in ein Messgläschen abge¬ 
gossen werden, und das Gefäss wieder mit Watte verstopft 
werden. 

Es wird gegen die ganze Methode eingewendet, dass sie 
nicht spezifisch sei, weil auch andere Körper, Extrakte aus 
gesunden Organen, Aufschwemmungen von Lezithin, Lösungen 
von Natriumoleat, ja selbst Vaselin als Antigen dienen können. 


Für uns gilt aber als spezifische Hemmung nur diejenige, 
welche mit Hilfe des syphilitischen Leberantigens hexvor- 
gerufen wird. 

So wenig Schwierigkeit nun auch das Arbeiten selbst 
bietet, so schwer ist es, ein gutes Antigen zu erhalten. Woran 
es liegt, dass Lebern von heredosyphilitischen Kindern, von 
Spirochäten wimmelnd, ein gänzlich unbrauchbares Extrakt 
liefern, ist unbekannt. Und deshalb ist es jedem Arbeiter auf 
diesem Gebiete zu empfehlen, sich gutes Ausgangsmaterial bei 
Zeiten anzuschaffen. Sonst ist er gänzlich der Gnade des Zu¬ 
falls übergeben. 

Hoffentlich gelingt es einem der vielen Serumforscher, uns 
bald von dieser Plage, der Jagd nach Antigen, zu befreien. — 
Aehnlich wie mit dem Antigen geht es mit dem normalen Blut¬ 
serum. Auch dieses kann im besonderen Falle nicht zu ver¬ 
wenden sein, weil bisweilen, wenn auch selten, schon im nor¬ 
malen Blute Antikörper sich vorfinden. 

Nach der geschilderten Methode führen wir jetzt auch die 
Untersuchungen an der Universitätshautklinik (Prof. J a c o b i) 
in Freiburg aus. Mit den Ergebnissen sind wir nach jeder 
Richtung hin zufrieden. 


Aus der biochemischen Abteilung des Instituts für experimen¬ 
telle Therapie zu Düsseldorf. 

Narkose und Lezithin. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Oberarzt Dr. J. N e r k i n g. 

Die Wirkung der Narkotika auf den Organismus besteht 
nach der heute wohl die meisten Anhänger zählenden Theorie 
von H. Meyer und E. O v e r t o n darin, dass dieselben von 
den Lipoiden spez. dem Lezithin des Zentralnervensystems 
aufgenommen werden und damit gewissermassen eine feste 
Lösung bilden. Nach dieser Theorie wirkt daher ein Nar¬ 
kotikum um so stärker, je grösser seine Löslichkeit in den 
Lipoiden ist bezw. je grösser der sogen. Teilungskoöffizient 
von öligen Lipoiden und wässeriger Lymphflüssigkeit ist. Die 
Narkotika könnten sich nun an die Lipoide des Zentralnerven¬ 
systems fest verankern und dadurch das Zustandekommen der 
Narkose bewirken. Von dieser Ansicht ausgehend, drängt sich 
unwillkürlich die Frage auf: wie verhält sich ein in Narkose 
versetztes Tier, wenn man ihm längere oder kürzere Zeit nach 
Eintritt der Narkose eine Aufschwemmung von Lezithin etwa 
in physiologischer Kochsalzlösung in die Blutbahn bringt? 
Ist es möglich dadurch, dass man den Narkotizis andere Lezi¬ 
thinvorräte bietet, sie aus ihrer Verankerung mit den Lipoiden 
des Zentralnervensystems loszureissen ? Seit längerer Zeit 
schon beschäftigte ich mich mit diesbezüglichen Versuchen und 
wenn auch die Versuchsreihen noch nicht sehr zahlreich und 
abgeschlossen sind, so scheint doch daraus hervorzugehen, dass 
es in der Tat gelingt, die Narkose abzukürzen oder gar aufzu¬ 
heben, wenn man nach nicht allzu langem Eintritt der Narkose 
den narkotisierten Tieren eine Lezithinaufschwemmung intra¬ 
venös unter allen Kautelen beibringt. Ich habe mit ver¬ 
schiedenen Narkotizis gearbeitet und meistens die Beob¬ 
achtung machen können, dass bei den Tieren, denen eine 
Lezithinaufschwemmung beigebracht war, die Narkose viel 
kürzer andauerte als bei den Kontrollieren. Ich behalte mir 
vor, die genauen Versuchsbedingungen, Dosierung etc. in einer 
gewissen Reihe von Tierversuchen festzustellen und beab¬ 
sichtigte mit dieser vorläufigen Mitteilung nur, mir dieses Ar¬ 
beitsfeld zu sichern und die Priorität zu wahren. 


Aus dem Röntgenlaboratorium des Krankenhauses 1. d. Isar in 
München (Leiter: Prof. Dr. H. Rieder). 

Ueber MagenmotilitätsprOfungen mit Hilfe der RSntgen- 
strahlen. 

Von Dr. med. C. Kaestle, Arzt an der Kuranstalt Neu¬ 
wittelsbach. 

Vor wenigen Jahren sind von Rieder die Grundlagen 
geschaffen worden für die Röntgenuntersuchungsmethode des 
menschlichen Magen-Darmkanales mit Hilfe wismuthaltiger In- 
gesta. Er und andere haben die Methode weiter ausgebildet; 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



ihr hoher wissenschaftlicher und praktischer Wert ist heute 
bewiesen. 

Lage, Form und Grosse des Magens lassen sich mit Hilfe 
der Röntgenstrahlen zweifellos am besten darstellcn, und die 
mechanischen Vorgänge am Magen-Darmkanal sind mit keiner 
anderen Methode in ähnlich vollkommener Weise zu be¬ 
obachten. 

Die Verdauungsleistung des Magens und ihre Bedeutung 
für den Organismus hat zu verschiedenen Zeiten ungleiche Be¬ 
urteilung erfahren. Das Hauptzentrum der Verdauung ist der 
Dünndarm. In der Norm aber scheint — nach Tierversuchen 
der letzten Zeit — der Magen die Verdauung weiter zu führen, 
als man früher angenommen hat. Indessen fehlen über die Aus¬ 
nützung der verschiedenen Speisen im Magen ausgedehntere 
Erfahrungen. 

Für die ausgefallene Magenverdauung tritt in der Regel 
mehr oder weniger vollkommen die Darmverdauung ein. 

Die rechtzeitige Entleerung des Magens, das Resultat nor¬ 
maler „motorischer Funktion“, hängt neben der Beschaffenheit 
des Mageninhaltes in erster Linie ab von der Intaktheit des 
Magenmuskelschlauchcs und dem Freisein des Magens von 
Hindernissen für die Fortbewegung des Speisebreies. 

Die klinische Prüfung auf die motorische Leistungsfähig-, 
keit des Magens besteht bekanntlich in der Ausheberung 
desselben bestimmte Zeit nach einem „Probefrühstück 
oder einer „Probemahlzcit“. Die Methode stammt von 
Leube, der die Ausheberung 6— 7 Stunden nach Verab¬ 
reichung der „Probemahlzeit“ vornahm. \Yi- 2 Stunden nach 
Einnahme des „Probefrühstückes“ hebert E w a 1 d den Magen 
aus; der normal funktionierende Magen ist beide Male nach 
den angegebenen Zeiten leer. Eine grosse Zahl vergleichender 
Untersuchungen hat ergeben, dass der Magen seine Leistungs¬ 
fähigkeit Anforderungen im kleinen gegenüber ebenso verrät 
(„Probefrühstück“), wie gegenüber der „Probemahlzeit“ unter 
Berücksichtigung der jeweils in Betracht kommenden Zeiten. 

Schon von klinischer Seite hat man versucht, die An¬ 
wendung des Magenschlauches zur Motilitätspriifung für be¬ 
stimmte Fälle zu umgehen. 

Ewald und S i e v e r s haben zu diesem Zweck die Ver¬ 
wendung von Salol empfohlen. Salol — eine Verbindung von 
Phenol und Salizylsäure — wird in säuern Medien nicht ver¬ 
ändert, wohl aber in alkalischen; Salizylsäure wird frei und 
als Salizylursäure durch den Harn ausgeschieden. Während die 
Salizylurreaktion normalerweise im Harn durchschnittlich nach 
40—60 Minuten positiv ausfällt, wenn 1 g Pulver während der 
Verdauung gegeben wird, soll eine Verspätung im Eintritt der 
Reaktion auf motorische Insuffizienz hin weisen. Die Methode 
ist als unzuverlässig längst erkannt. Die Voraussetzung für 
ihre Verwertbarkeit beruht auf einer irrigen Annahme. 

Auch Hubers Modifikation der Methode, nach der unter¬ 
sucht wird, wie lange nach Einnahme von Salol die Salizylur¬ 
reaktion noch positiv ausfällt, ist nicht zuverlässig, wenn 
auch besser als die von Ewald-Sievcrs. 

Die Mängel der Salolmethode haften nun der Unter- 
suchungmitHilfederRöntgen strahle n nicht an. 
Mittels des Leuchtschirmes beobachten wir bei dieser die ver¬ 
abreichte Probemischung auf ihrem Wege durch den Magen- 
Darm. Zweifel über den jeweiligen Ort innerhalb der Ver¬ 
dauungwege, an dem sich die Mischung befindet, kommen nicht 
auf oder lassen sich leicht heben. Ausserdem aber leistet die 
Röntgenuntersuchung noch Anderes als die Ausheberungs¬ 
methode, ist somit eine wertvolle Ergänzung derselben. 

Rieder hat in seiner Arbeit: „Beiträge zur Topographie 
des Magendarmkanales beim lebenden Menschen, nebst Unter¬ 
suchungen über den zeitlichen Ablauf der Verdauung“ (Fort¬ 
schritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahleii, Bd. VIII) u. a. 
auf die Möglichkeit hingewiesen, die motorische Funktion des 
Magens mit Hilfe der Röntgenstrahlen zu untersuchen. 

Er hat ebendort angegeben, für mit Bismutum subnitricum 
versetzte Speisen dieselbe Magenaufenthaltsdauer gefunden zu 
haben, wie für die gleichen Speisen ohne Wismutzusatz: Bei 
Einnahme massiger Mengen Flüssigkeit 1 3 Stunden, bei festen 

Speisen ca. 5 Stunden. 


Eine Reihe verschiedener Fakt*neu beeinflussen bekannt¬ 
lich — abgesehen von den Ingesten selbst - die Magen* 
motilität. Genannt seien nur thermische Einflüsse, der Ein¬ 
fluss der Ruhe und Bewegung, der I uü'.mgszustaiul des 
Darmes, seelische Momente etc. 

Wir müssen bei Untersuchung der m< torischen Funktion 
des Magens - - klinisch und röntgenologisch - deshalb syste¬ 
matisch Vorgehen, um verwertbare Resultate zu erzielen. \ on 
röntgenologisch*, r Seite ist dies im Anschluss an obengenannte 
Publikation Rieders von Jo lasse (Fortschritte auf d«.m 
Gebiete der Röntgenstrahleii, Bd. XI: „Zur Motilitä'sprtjlurg 
des Magens durch RontgeriMrahlen“). dann ferner v m 
S c Ii w a r z und Kreuzt u c h s (W kn. klm. \\ ochcusJir. 
10H7. No. 15) geschehen. 

Unter Einhaltung geeigneter YersuJisKärgungen wurden 
zur Erreichung von Noimnlzeiten -- magengeMindcn Per¬ 
sonen Mischungen von 2<H) g Milchgriesbrei und .*«• g Bismutum 
subnitricum im nüchternen Zustand verabreicht. Der Magen 
erwies sich dabei nach 2 d Stunden als leer. 

Ein interessantes Resultat der Untersuch);: gen von, 
S c h w a r z und K r e u z f u c h s ist die Beobachtung der s< g. 
..Schlusskontraktion“. Die Arbeit von Schwarz m-J 
K rcuzfuchs ist mir erst gegen Ei de meiner eigenen l nte r - 
suchungen zu Gesicht gekommen: meine in dieser RiJm.mg 
an einem umfangreicheren Material erhobenen Befinde be¬ 
stätigen die der beiden Wiener Autoren. 

Jolassc hat darauf hingewiesen, dass Bismutum sub¬ 
nitricum die Verdauung von 2 <hi h Brei \ e r langsame, dass der 
in der letzten Zeit der VeuUimngsprnoJe mi Magen sichtbare 
Schatten nicht mehr von Brei p’us Pasm. subn. herruhre. son¬ 
dern von letzterem allein. Im \ erlauf de r Magens erdauimg 
sedimentiere das spezifisch schwerere U>m. subn. aus dem 
mehr und mehr flüssig werdenden Mageninhalt aus und setze 
sich im tiefsten 'Feile des Magens ab. Jolassc hat J.esui 
Vorgang auf Schirmbildern lu-oluJitet und durJi \ushebertin.g 
des Magens in der letzten Yerdauui gMvri< de nachgew ieseiu 
dass der schattengebende Rest keinen Brei mehr enthalte, 
lediglich vom Bism. subn. herrühre. Fr sprüht direkt von 
einer „Schwierigkeit“ des Bism. subn.. aus dem Magen zu ver¬ 
schwinden. Bism. subn. allein in Miich oder W.nnr ge¬ 
geben, brauche dieselbe Zeit, wie 2« *• g Griesbrei mit 2" g 
Bism. subn. - nämlich 2-2 Stirn Jen - und sei in Fallen, 
in denen der Patient nicht in der l äge sei. Jih) g Brei mit 
Wismut zu essen ausreichend zur Uptersiiclumg des motori¬ 
schen Verhaltens, etwa mit 15 g MiMiziukcr angenihrt. 

Um die Röntgenuntersuchung der motorischen Fimk’ioii 
des Magens auf eine breitere Pasis zu stellen, habe iJi au 
SO mageiigesunden Versuchspersonen beiderlei < ies Jilvchts und 
verschiedener Altersk'assen m über 2'«> F:i:/c!\ersuchen das 
Verhalten des Magens wahrend der Entleerung imi gegenüber 
verschiedenartigen Wismutgemischen untersucht. Die ver¬ 
hältnismässig grosse Zahl von Untersuchungen und die wieder¬ 
holte Prüfung der Einzelnen geben cin ReJit zu der Annahme, 
dass Zufälligkeiten nach Möglichkeit ausgeschlossen sind und 
das Gcsetzmässigc erkannt worden ist. 

Zur Methode selbst kurz fo!gct|*jks: 

Pie nüchternen Versuchspersonen crhie iten i nbogens bei ent¬ 
leertem 1 lärm I die ieweils /u u o.*e Ws v hirig u”d bin Pen w.ih- 
reiid der Yersuchselaiier ruhig sitzend io W- mt. on aum. I he k nie he 
Untersuchung des Magens war in der u’-e : w u gendeu Mehrzahl der 
Faile vorhergegangen und nur \ er mk Iimh : s. m n mit normalen. Be¬ 
fund sind zur Aufstellung von Si.rni.ouiat f r die l ute: mu hurus- 
metliode mit Milte der Rontgeustr a li e n \ewcM worden. 

Pie Purchletichtniig wurde im Veher' \ - .r gi n- ” ”'e zmu.JiM 
unter \ rrwetuiung weiter Binden. I he l ”ti • vi, ! 'i:'ueii . rn 1 n- 

zeliien folgbm si h ade du Mm'fr* n. e " 1 n V de r Mauerte "t- 

leerung alle IO- 15 Minuten und /war net b •• h' e-Ue v 'er 1 miee'mig 

unter \ et w eiulung engerer Blenden. \ui Ceti We/t V ei> inru 

mochte ich besonders huiw eien. M 'ave de' l 'V’vi^ ; e f cdi \<u 
Beginn der l 'ntersiiclnmg an die PurVe ; e;t g-, v ■ '• , e 1 ’ nn mn aut 
elem Leuchtschirm detulie.li zu sehen. InanJ;: ”.ht bet "t zu we¬ 
ifen.) Rohre und PurchlctichttmgNS,. )n"v. I . w . . •< n hvu'mnc : 

auf jedesmalige möglichst gleieh.n t:ce 1 v ‘e m c de ^ v t ■.•■v B : e i- 
marke gekennzeichneten Nabels aut de”' cboit "g n c im I 

Haltung eles /u Fntersuchenden vk. M /u ad o. n. we’ n v an e.:g 
einzelnen Schirmbilder untereinande r \ c' : e ; J eil w ; . 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1735 


Orthodiagraphische Kontrolle wurde zum Teil vorgenommen und 
ist nötig, wenn zahlenmässige Angaben über Lageverschie¬ 
bungen und Formveränderungen gemacht werden sollen. Zur Unter¬ 
suchung des Entleerungsvorganges des Magens schlechtweg ge¬ 
nügt das Schirmbild unter Berücksichtigung obengenannter Kautelen. 

Jede Röntgenröhre kann verwendet werden, die bei genügendem 
Härtegrad (ca. 15 parallel) die erforderliche Belastung erträgt. 

Von einer tabellarischen Wiedergabe meiner Unter¬ 
suchungsresultate sehe ich ab, um oftmalige Wiederholungen 
zu vermeiden. Ich fasse die Resultate möglichst kurz zu¬ 
sammen. 

Eine Anzahl von Motilitätsprüfungen des Magens an den¬ 
selben Individuen durchgeführt, bald mit einem Mittagessen 
unter Bism. subn.-Zusatz, das etwa der L e u b e sehen Probe¬ 
mahlzeit entsprach, bald mit einer der später zu besprechenden, 
etwa einem Probefrühstück gleichkommenden Mischung, hat 
— wie zu erwarten war — ergeben, dass für die Diagnose 
beide Methoden gleichwertig sind. Da wir mit den dem Probe¬ 
frühstück entsprechenden Mischungen rascher zum Ziele 
kommen und die geringeren Mengen leichter bewältigt werden, 
habe ich von weiteren Untersuchungen mit Probemahlzeiten 
abgesehen und lediglich dem Frühstück entsprechende Mi¬ 
schungen gebraucht. Hier wieder hat sich gezeigt, dass Ver¬ 
wendung von geringen Mengen Bism. subn. (10—20 g) bei 
schlanken Menschen zu befriedigenden Beobachtungen ge¬ 
nügen kann, dass bei kräftigen aber die Schattenbildung und 
damit die Darstellung des Magendarmkanals zu wünschen übrig 
lässt. Der zeitliche Gewinn, der durch Verabreichung ge¬ 
ringerer Bismutummengen infolge etwaiger rascherer Ent¬ 
leerung des Magens erreicht wird, ist so gering, dass dies 
Moment ausser acht gelassen werden kann. Eine Menge von 
30 g Bism. subn. entspricht für unsere Zwecke, was Schatten¬ 
bildung anbelangt, völlig. Die Gefahr einer Intoxikation ist 
nach Verabreichung dieser Dosis bei Erwachsenen ausge¬ 
schlossen. 

Dass diese Gefahr bei grösserer Bi.-subn.-Menge oder Kindern unter 
Umständen gegeben sein kann, steht fest. Ich habe — nachdem ich 
selbst hunderte von Magenuntersuchungen mit Mengen bis zu 50 g 
Bi. subn. an Erwachsenen beiderlei Geschlechts ohne belangreiche Be¬ 
schwerden durchgeführt habe, bei 3 Patienten schwerere Zufälle ge¬ 
sehen, die einige Stunden nach Einnahme der Mahlzeiten eingetreten 
sind. Es handelte sich um 2 Personen weiblichen Geschlechts und 
einen Mann, alle 3 ziemlich elende, reduzierte Personen, welche vor 
3—6 Monaten Gastroenterostomieoperationen wegen Ulcus und Hyper- 
azidität durchgemacht hatten. Sie hatten je 50 g Bi, subn. in 400 g 
Griesbrei erhalten. Nachdem sich die nächsten 2—3 Stunden nach 
Einnahme der Mischung lediglich ein leichter „Magendruck“ bemerk¬ 
bar gemacht katte, traten dann ohnmachtsähnliche Anfälle (ohne Be¬ 
wusstseinsverlust) ein mit mehr oder weniger starker Zyanose des 
Gesichtes, der sichtbaren Schleimhäute und Hände unter Aus¬ 
bruch von Schweiss, besonders auf der Stirn. Der Puls wurde klein, 
Uebelkeit stellte sich ein und die Patienten hatten ein Gefühl von 
Hinfälligkeit. In den 3 Fällen gingen die Störungen bald vorüber, 
in einem völlig spontan, in den beiden anderen wurde der Darm 
je mit einem hohen Einlauf entleert und Analeptika gereicht. 

Aeussere Umstände machten es mir unmöglich, das Blut der 
Untersuchten im Anfall zu prüfen und so die Beweiskette zu 
schliessen, dass in den 3 Fällen die Intoxikation auf die Nitritkompo¬ 
nente der Wismutverbindung zurückzuführen ist, wofür das klinische 
Bild durchaus spricht 1 ). 

Ausgeschlossen ist die Gefahr der Nitritvergiftung natür¬ 
lich bei Gebrauch des Bism. carbon. Eine belästigende Ent¬ 
wicklung von Kohlensäure tritt im Magen nicht auf. Magen¬ 
druck oder Völlegefühl werden sich aber auch bei Verab¬ 
reichung von Bism. carbon. nicht ganz vermeiden lassen, doch 
wohl nur bei empfindlichen Personen zu beobachten sein. 


*) Auf die Literatur der Nitrit- und Wismutvergiftung kann hier 
nicht eingegangen werden. Ich will nur darauf hinweisen, dass 
H e f f t e r zuerst die eigenartigen Vergiftungserscheinungen nach Ver¬ 
abreichung von Bism. subn. in einem Teil der Fälle als Nitritwirkung 
erkannte und Böhme in einer schönen Arbeit die Annahme Heff- 
ters experimentell belegte (Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 
1907). In etwa dieselbe Zeit wie meine eigenen Beobachtungen fällt 
eine solche Erich Meyers in der hiesigen II. medizinischen Klinik. 
Der von Meyer beobachtete Fall endete letal unter den Erschei¬ 
nungen der Nitritvergiftung. Die Verhältnisse lagen bei diesem Fall 
aber ganz exzeptionell ungünstig. (In den Therap. Monatsheften 
im Erscheinen.) 


Das Bism. carbon., von Hannon dem Anzneischatz ein¬ 
verleibt, von Boas therapeutisch empfohlen, wurde auf Erich 
Meyers Rat im Röntgenlaboratorium des Krankenhauses 
1. d. Isar (Prof. Rieder) angewendet und als brauchbar er¬ 
kannt. 

Auch ich kann das K a h 1 b a u m sehe, stark basische Prä¬ 
parat empfehlen (BiO)aCOs. Vermöge seines höheren 
prozentualen Bi-Gehaltes kommen wir zur Motili- 
tätsprüfung mit geringeren Dosen aus: statt 30 g Bism. subnitr. 
gebrauchen wir ca. 28 g Bism. carbon. 

Aehnlich liegen die Verhältnisse beim Hydrat. Ich habe 
alle in Betracht kommenden Bi-Präparate genau untersucht 
und werde darüber berichten. 

Heute schon möchte ich mitteilen, dass mich auch das Wis¬ 
mut su 1 f i d, BiaSs, das bis jetzt, so viel ich weiss, 
in der Medizin nicht gebraucht worden ist, 
für bestimmte röntgenologische Zwecke 
befriedigt hat. Weitere Untersuchungen gerade damit 
sind noch im Gang . 

Man könnte nun daran denken — und J o 1 a s s e hat dies 
auch vorgeschlagen — die Magenmotilität mit 30 g Bism. subn. 
allein zu untersuchen, lediglich mit etwas Wasser angerührt 
(28 g Bism. carb. wäre etwa dasselbe). 

Dies empfiehlt sich nicht. 

Um die Magenform auch nur einigermassen darzustellen 
und die mechanischen Vorgänge an ihm zu beobachten, ist 
eine gewisse Füllung des Magens nötig. Dies trifft bei dem 
geringeren Bodensatz im untersten Teil des Magens, den die 
30 g Bismutsalz darstellen, nicht oder ungenügend zu. Die 
Verhältnisse im Darm werden unübersichtlich. Statt der 
Bism.-Aufschwemmung in Wasser, schlage ich die von mir an¬ 
gegebene, unten noch zu beschreibende Bism.-Bolusmischung 
vor. Sie hat sich mir gut bewährt und kann diagnostisch 
wertvolle Aufschlüsse geben, wie ein gleich zu schildernder 
Fall zeigen wird, dem ich folgende erklärende Betrachtung 
vorausschicke. 

Die „motorische Funktion“ des Magens hängt nicht nur von 
seiner muskulären Kraft oder Schwäche allein ab. Die che¬ 
mischen Vorgänge in ihm dürfen nicht ausser acht gelassen 
werden, und diese wieder sind beeinflusst neben anderem 
bekanntlich von der Art der Ingesta, dem Anreiz, welchen 
diese für die Sekretion in den Magen geben. 

Nun wird Bism. subn. bekanntlich init Erfolg gegen Hyper- 
chlorhydrie angewendet; ein etwa durch Hyperchlorhydrie 
bedingter reflektorischer Pylorospasmus könnte also unter dem 
Gemisch des Bism. und dem indifferenten Bolus alba aus- 
bleiben. 

Ich verfüge über eine Beobachtung, welche diese Ver¬ 
hältnisse illustriert und die deshalb hier kurz wiedergegeben sei. 

Patientin, 45 Jahre alt, leidet seit längerer Zeit an Magenbe¬ 
schwerden. Vor Monaten war Blut im Erbrochenen. Starke Hvüer- 
chlorhvdrie des nach Probefrühstück ausgeheberten Magensaftes. 
6Vs Stunden nach Leubes Probemahlzeit stark saure Reste im 
Magen, flüssig, verhältnismässig gut durchgearbeitet, frei von 
Brocken. 

Erste Röntgenuntersuchung. Patientin erhält fol¬ 
gende Mischung: 30 g Bism. subn., 60 g Bolus alba werden in einem 
250 ccm fassenden Glas mit Wasser zu einem dünnen, trinkbaren Brei 
angerührt. Bi. fällt während der Beobachtungszeit nicht aus, die 
Masse bleibt homogen, wie Röntgenogramme bewiesen haben. 

Der Magen zeigte die R i e d e r sehe Angelhakenform und war 
völlig normal, was seine Laee anbetrifft. Nach 2 Stunden 
25 Minuten war er leer; diese Zeit ist — wie wir später sehen wer¬ 
den — für diese Mischung völlig normal. 

Versuch 2 (3 Tage nach 1). In der gleichen Menge Wasser 
wie bei Versuch 1 werden 30.0 g Bi. c a r b o n. morgens nüchtern — 
wie zuerst — verabreicht. Auch diesmal war der Magen genau nach 
2 Stunden 20 Minuten leer. 

Unser Verdacht auf Stenose am Pvlorus wurde nicht bestätigt. 

Woher die Dissonanz zwischen klinischem und röntgenologischem 
Befund? 

Versuch 3. Es werden 30g Bi. carbon. in 200g Mehlbrei 
gegeben. Nach über 5 Stunden finden sich noch deutliche Reste Im 
Magen. Patientin gab starkes Brennen im Magen an. wie es jedes¬ 
mal auftrete, wenn sie „irgend etwas Nahrhaftes“ zu sich nehme 
(besonders nach Fleisch, aber auch nach Brot. Brei etc.). 

Die Ausheberung, die zur weiteren Bestätigung in mehrfacher 
Hinsicht wünschenswert gewesen wäre, konnte aus äusseren Orfin- 


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1736 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


den und mit Rücksicht auf die Patientin selbst nicht durchführt 
werden. Aber ich glaube, die Resultate vereinen sich aufs Beste 
mit denen der früheren klinischen Untersuchung. Bi. subn.. Bi. 
carbon. und Bolus alba haben die Hyperazidität nicht auftreten oder 
zur Wirkung kommen lassen; wohl aber die Breimischung. I ic 
Retention des Chynuis im Magen ist die Holge eines reflektorischen 
Pylorospasmus auf Grund der — klinisch festgestellten rl\ per- 
a/.idität. 

Als „Normalmethode“ empfehle ich die (auch von Jo lasse und 
Schwarz und Kreuzfachs angewandte) Bi.-Breimischung nn 
Verhältnis von 30 Bism. subnitr., besser 2K Bism. carbon. am 
200 g Milchgries- oder Mehlbrei. Auf sachgenuisse Herstel¬ 
lung des Breies und seine richtige Konsistenz muss geachtet 
werden; diese soll ein gleichmüssiges Mischen mit dem in wenig 
Wasser aufgeschlemmten Bi. eben noch ermöglichen. Nach der 
Vermengung stellt das ganze eine von Knollen freie eigentümlich 
dickrahmig aussehende Masse dar. Zusatz von Geschmackskorn- 
gentien unterbleibt bei beabsichtigter Motilitätspriifung besser. 

Das Resultat derartiger Untersuchungen ist folgendes: 

Mit Ablauf der zweiten Stunde nach Verabreichung der 
Probemischung hatten von 80 Versuchspersonen 2 d. h. 
2,5 Proz. einen leeren Magen. Es waren dies junge magen- 
gesunde Männer im Alter von 18 und 22 Jahren. 

Ein grösserer Teil — und hierunter waren von 30 Männern 
25 — hatte das Resultat mit Ablauf der dritten Stunde erreicht. 

55 Proz. der Versuchspersonen, darunter 3 Männer, die 
übrigen Frauen, wiesen erst nach 3U Stunden einen leeren 
Magen auf; sie hatten nach 3 Stunden geringe, aber einwand¬ 
frei nachgewiesene Schatten im Magen. Bism. carbon. und 
Bism. subn. haben sich prinzipiell gleichartig verhalten, was 
ihr Verschwinden aus dem Magen anbelangt. Wir haben als 
Normalzeit also 2—314 Stunden anzusehen; eine dünnere Brei¬ 
mischung mag etwas rascher passieren. 

Die von J o I a s s e erhobenen Befunde, nach denen 30 g 
Bism. subn. allein in wenig Wasser oder mit 15 g Milchzucker 
genau so lange im Magen verweilen wie mit 200 g Mehl oder 
Griesbrei, kann ich nicht bestätigen. Bei 28 von 30 Unter¬ 
suchten hatten 30 g Bismutum allein mit Wasser angerührt den 
Magen 20- 60 Minuten früher verlassen als in der Breimischung 
bei denselben Individuen. 

Dass unter bestimmten Verhältnissen ein deutliches Aus- 
sedimentieren des Bismutum aus der Breimischung stattfinden 
kann, ist unbedingt zuzugeben; es handelt sich dann meist um 
Fälle, die motorische Störungen aufweisen. Dies gilt auch 
für den Fall des Bestehens von Sanduhrmagen, von dem 
Jo lasse, zur Illustrierung dieser Verhältnisse, seiner oben 
zitierten Arbeit eine verkleinerte Schirmpause mitgibt. Die 
motorische und mechanische Funktion ist offenbar sehr herab¬ 
gesetzt bei erhaltener Sekretion: Der Magen ist nach 2 Stunden 
noch fast voll und zeigt deutliche Schichtung seines Inhaltes. 

Im Verlauf meiner Untersuchungen sind mir ähnliche 
Schichtungen 2 mal begegnet. 

In beiden Fällen hat es sich um Herabsetzung der moto¬ 
rischen und mechanischen Funktion gehandelt (sie wurden bei 
der Feststellung von Normalzeiten natürlich nicht verwertet). 

An anderer Stelle (Fortschritte auf dem Gebiet der 
Röntgenstrahlen Bd. XI, S. 266, K a e s 11 e, Bolus alba und 
Bism. subn., eine für die röntgenologische Untersuchung des 
Magendarmkanals brauchbare Mischung) habe ich darauf hin¬ 
gewiesen, dass Bism. subn. in bestimmten Verhältnissen mit 
Bolus alba und Wasser gemischt sehr gut in Suspension ge¬ 
halten wird, um so besser, wenn die Mischung, wie dies im 
normalen Magen der Fall ist, fast ständig in Bewegung bleibt. 

Die oben angegebene Mischung von 30 g Bism. subn. 
oder 28,0 Bism. carbon. mit 60 oder 65 g Bolus alba in 
einem 250 ccm haltenden Glas mit Wasser vermengt bis zur 
eben trinkbaren Konsistenz verlässt den Magen gesunder Er¬ 
wachsener in etwa 1 K* — 3 Stunden, etwas rascher als die Brei¬ 
mischung bei denselben Individuen, wahrscheinlich infolge der 
dünnbreiigen Beschaffenheit. Diese Mischung erhält sich im 
Magen gleichmässig, füllt ihn zur Uebersicht genügend und gibt 
gute Bilder. Sie ist da verwertbar, w o eine konsistentere Brei¬ 
mischung nicht genommen werden kann. Verzögerung der 
Entleerung über die dritte Stunde hinaus zeigt Störung der 
motorischen Funktion an. 

Die Bismutum-Bolusmischung ist nicht eigentlich einer 
Probemahlzeit gleich zu setzen. Sie gibt der sekretorischen 


Tätigkeit des Magens keinen Anreiz und keine Auigabe: da¬ 
durch und weil es sich um verdauliche Massen handelt, 
kommt eine Verdünnung des Mageninhaltes nicht oder kaum 
zustande und ein Sedimentieren des \\ ismut bleibt ganz aus. 
Wir beurteilen mit Hilfe dieser Ingesta die muskuläre Kraft 
oder Schwäche des Magens schlechthin und sein Freisein von 
organischen Hindernissen. 

Wie gestaltet sich nun im Allgemeinen die motorische 
Funktion des normalen Magens nach \ crabreichung einer 
unserer Mischungen und w as beobachten w ir am Schirm 2 

Wir sehen, wie die ersten eingefuhrten Mengen der 
Mischung nach einem kurzen Aufenthalt in der Hohe der 
Magenblase (am Eingang des Magens) den tiefsten Punkt des 
Magens aufsuchen. Bei weiterem Nachfullen selbst mit 
grösseren Mengen senkt sich der untere Magenpol nicht oder 
nicht wesentlich tiefer. (S c h warz und Kreuztuch s). 

Schon kurze Zeit nach Einführung der Ingesta beginnt 
die Entleerung. Wir sehen über die Magenwände peristaltische 
Wellen ablaufen und in regelmassigen Intervallen sidi das 
Anthrum pylori abschniiren. Nash der auf dem Schirm zu be¬ 
obachtenden energischen Entleerung desselben, während der 
es für uns auf dem Leuchtschirm mehr und mehr verschw indet, 
sehen wir es sich wieder füllen. 

Der untere Magenpol bleibt nun bis ca. 1 (»der *» Stunden 
vor völliger Entleerung des Magens in annähernd der gleichen 
Höhe stehen, abgesehen von den vorübergehenden Lagever¬ 
änderungen durch die Peristaltik; dann aber steigt er ziemlich 
unvermittelt manchmal beträchtlich. Gleichzeitig damit nickt 
der Pylorus nach links und mehr oder w eniger nach oben. 

Dieses Gehoben werden des tiefsten Magenpoles ermög¬ 
licht erst die Entleerung der letzten Reste aus dem Magen. 
Die ansaugende Kraft der Oeffnungcn des Anthrum pylori 
w ürde mit den regelmässigen peristaltischcn Wellen allem nicht 
ausreichen um die. eventuell noch festeren. Teile aus den 
tiefsten Partien des sonst schon leeren Ma gens herauf7uh«*len. 
Die „S c h I u s s k o n t r a k t i o n“ schüttet die Nahrungsreste 
dem Anthrum pylori entgegen, in dieses hinein. 

Eiir die Passage des Dünndarms brauchen die Massen 2 
bis 3 Stunden. Im Kolon geht die Fortbewegung wesentlich 
langsamer von statten und die individuellen Schwankungen 
werden hier beträchtlich. 

Die Peristaltik des Magens zeigt nun bei pathologischen 
Fällen oft deutliche und mit Hilfe der Röntgenmethode früh¬ 
zeitig erkennbare Veränderungen. 

Hindernisse am Pylorus verraten sich durch Verlang¬ 
samung der Entleerung bei manchmal auffallend gesteigerter 
Lebhaftigkeit der Peristaltik im Anfang der Erkrankung: in 
späterer Zeit durch Herabsetzung auJi der mechanischen 
Funktion, dann meist mit Formveränderung des Magens. 

Bei Atonie habe ich neben grosserer Ruhe verspätetes oder 
mangelhaftes Eintreten der ..Sclilusskontraktron“ beobachtet. 

Zur Untersuchung der mechanischen Funktion des Magens 
dienten früher der E i n h o r n sehe < ia^trograph und die Me¬ 
thode von H e m m e t e r - M o r i t z. Näheres über sie findet 
man z. B. in Einhorn: „Die Krankheiten des Magens.“ Die 
Bewegungen des Magens sind zwiefacher Natur: 1. aktiver 
(Peristaltik) und 2. passiver (übertragene, respiratorische und 
pulsatorische). 

Dass beide heute am besten mit Hilfe der Röntgenmethode 
beobachtet werden, braucht naJi allem Yorhergegangeiieii 
rieht besonders betont zu werden. 

Auf diese Dinge und d.e kurz zuvor berührten Eunktiors- 
störimgeii des Magens bei ..Atome", HiuderrVKse n am Pv- 
lorus etc. kann ich hier nicht emgeheu. l'cber sie lieget: eine 
Reihe vorzüglicher Arbeiten verschiedener Autoren vor. 

Statt auf Vieles verweise ich nur auf die vor kurzem er¬ 
schienene ausgezeichnete Arbeit E a u I h a b e r s; .,1 fty Rönt¬ 
genuntersuchung des Magens". Sie fahrt auJi die Literatur 
vollständig bis fast in die allerletzte Zeit an. 

Nachdem wir die normale Entlref ungs/ L -.t für bestimmte 
Bism.-Mischungen genau keimen, ist die M<-g’iJikeit gegeben, 
den Einfluss von M e d i k a m e n i e n u n d a n d e r e n E i n - 
griffen auf den Ablauf der Magerer,t’eerung zu studieren. 
Den Einfluss verschiedener ..Magern :”e!" auf d e Peristaltik 
habe ich zu untersuchen begonnen.. 


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f&. August 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1737 


Der Einfluss der Massage auf den Magen lässt sich am 
Schirmbild sehr schön beobachten; ebenso der Einfluss des 
elektrischen Stromes im Sinne einer Anregung. 
Meine Beobachtungen über den Einfluss von Abführ¬ 
mitteln auf die Magentätigkeit sind noch wenig zahlreich 
und die Resultate bis jetzt teilweise widersprechend. 2 ) 

Bei den engen Wechselbeziehungen zwischen Funktion und 
Form der Organe wird es von Interesse sein, zu sehen, welche 
Magenformen die hier dargelegten funktionellen Re¬ 
sultate ergeben haben. Alle Untersuchten — Männer und 
Frauen — mit zwei Ausnahmen zeigten „Angelhakenform“ 
des Magens. Eine jugendliche gesunde Person (22 Jahre) 
weiblichen- Geschlechtes und ein 18 jähriger Bursche hatten 
einen Magen mit „Rinderhornform“. 

Bezeichnen wir als „normal“ das am häufigsten Vorkom¬ 
mende, das Regelmässige, dann ist normal fraglos der „Angel¬ 
hakenmagen“. Funktionell habe ich keinen Unterschied ge¬ 
sehen. Die Rinderhornmagen arbeiteten vorzüglich; der des 
Mädchens von 22 Jahren z. B. hatte seine Breimischung 
nach 2 Stunden und 20 Minuten restlos entleert. Aehn- 
Iiche Resultate haben aber Angelhakenformen auch er¬ 
reicht; ja ich habe — wie auch Jolasse — verschie¬ 
dene Mägen mit auffallend tief stehendem unteren Pol mit 
und ohne tiefer stehendem Pylorus gefunden, die sehr gute 
Funktion gezeigt haben; ihre Besitzer hatten nie die geringsten 
Magenstörungen, keine Erscheinung hatte auf die Andersartig¬ 
keit der Lage hingewiesen. Diese als „ptotisch“ bezeichneten 
Mägen haben sich auch bei der klinischen Funktionsprüfung als 
tüchtig erwiesen. 

Im übrigen zeigten die Magenformen im allgemeinen 
bei Männern und Weibern die schon von Rieder hervor¬ 
gehobenen, auf dessen Anregung von G r ö d e 1 III im hiesigen 
Institut näher untersuchten morphologischen Verhältnisse: ver¬ 
glichen mit dem Weibermagen zeigte der Männermagen ge¬ 
ringere Höhe, grössere Breiten und im ganzen höhere Lage¬ 
rung. 

Diese groben morphologischen Details und einige 
andere, die gröbste Gliederung des Organs bedingende 
waren, was Form an belangt, aber auch das einzige, wo- 
nach man die Mägen etwa rubrizieren könnte — mehr 
oder weniger gewaltsam. Die zahlenmässige Aufstellung 
von Normalgrössen für Geschlechter, Körpergrössen etc. 
ist eine Sache — mehr als heikel. Es sind mir 
unter gesunden Personen gleichen Geschlechtes, Alters und 
ähnlicherKonstitution stark variierendeGrössen vorgekommen, 
und umgekehrt haben Personen desselben Geschlechts, aber 
sonst verschiedenster Körperbeschaffenheit ähnliche Grössen¬ 
verhältnisse etc. gezeigt. Der Formenreichtum ist gerade hier 
ausserordentlich gross und die Verhältnisse für zahlenmässige 
Normierung liegen weit, weit weniger günstig als z. B. am 
Herzen. 

Wir werden bei der Beurteilung der „Normalität“ eines Ma- 
gens mehr funktionell diagnostisch als morphologisch zu ent¬ 
scheiden haben, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass bestimmte 
Magenformen und Lagen erfahrungsgemäss mehr zu Funktions¬ 
störungen disponieren event. auch der Ausdruck solcher sind 
als die normalen, regulären. 

Wegen der Abhängigkeit der motorischen Funktion des 
Magens von einer grossen Zahl von Momenten ist die Wieder- 
holung der Motilitätsprüfung an verschiedenen Tagen unter 
Berücksichtigung der einschlägigen Verhältnisse zu empfehlen. 

Veränderung der motorischen Funktion innerhalb kurzer 
zeit ist — wie auch Jolasse hervorhebt — ein Mahnruf; 
hier kann die Funktion früher Aufschlüsse geben als die Ver¬ 
änderung der Form. 

Dass sich gröbere Veränderungen, eine Insuffizienz 
zweiten Grades, eine Stauungsinsuffizienz bei Anwendung 
der geschilderten Methode wahrnehmen lassen, ist wohl selbst¬ 
verständlich; schwere Fälle weisen selbst nach Ablauf von 
24 Stunden und mehr noch Schatten im Magen auf. 

Zur Anstellung der geschilderten Untersuchungen des 


*) Entgegen klinischen Angaben habe ich auch bei Durchfall in 
2 Fällen raschere Entleerung des Magens gesehen. 

No. 33 


Magens hat mir Herr Professor Dr. H. Rieder in liebens¬ 
würdigster Weise das Röntgenlaboratorium des klinischen In¬ 
stitutes zur Verfügung gestellt und mit förderndem Interesse 
den Gang der Arbeit verfolgt 

Den Herren Aerzten das Krankenhauses links der Isar, ins¬ 
besondere Herrn Dr. Levy, verdanke ich einen Teil der Ver¬ 
suchspersonen, Einen anderen Teil habe ich in dem mir unter¬ 
stehenden Röntgenlaboratorium der Kuranstalt Neuwittelsbach 
durch das liebenswürdige Entgegenkommen des Herrn Dr. 
v. H ö s s 1 i n anstellen können. 

Den genannten Herren möchte ich auch an dieser Stelle 
danken. 


Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Marburg (Direktor: 

Geheimrat Prof. Friedrich). 

Eine Modifikation der Verlagerungsmethode bei der 
Koch ersehen Bruchoperation. 

Von Dr. H. T a k a t a in Tokio. 

Unter den neueren Methoden der Bruchoperation nimmt 
durch Originalität und physiologische Begründung neben der¬ 
jenigen B a s s i n i s wohl die erste Stelle die Operation 
Kochers ein. Kocher hat in der neuesten Auflage seiner 
Operationslehre die zwei Arten des Vorgehens als Invagi- 
nationsverlagerung und laterale Verlagerung im wesentlichen 
wie folgt beschrieben. 

I Er legt einen 6 cm langen, über den vorderen Leistenring 
■ hinaus gehenden Hautschnitt an, macht die Obliquussehne breit 
I frei, spaltet vom skrotalen Leistenring abwärts die Fascia 
Cooperi, danach die Tunica vag. com. und löst nun den Bruch¬ 
sack vom Samenstrang stumpf los, so hoch hinauf wie möglich. 
Gelingt jetzt die Einstülpung des Bruchsackes d. h. diejenige 
seiner unteren Kuppe hinein in die Bruchsacklichte, so macht 
Kocher die Invaginationsverlagerung. Gelingt 
die Einstülpung nicht, so führt er die einfache laterale 
Verlagerung aus. 

Kocher hält die Invaginationsverlagerung für das 
bessere Verfahren. Er führt sie im weiteren so durch, dass er 
die in den Bruchsack eingestülpte Bruchsackkuppe dicht hinter 
der vorderen Wand des Leistenkanales bis zum abdominalen 
Leistenring in die Höhe schiebt und nun die Spitze der Zange, 
welche die Bruchsackkuppe gefasst hatte, an die Aponeurose 
des Obliquus andrückt, wonach, um der Zange den Durch¬ 
tritt nach aussen zu ermöglichen, die Aponeurose und das 
parietale Peritoneum gespalten werden. Durch den Schlitz 
führt er den nunmehr umgestülpten Bruchsack mit jetzt nach 
aussen gekehrter Serosa hindurch, zieht den Bruchsack straff 
an, bindet den Stiel des Bruchsackes an der Basis ab und lässt 
nach Abtragung des Bruchsackes den Stumpf in die Bauch¬ 
höhle zurückschlüpfen. Nach Naht des kleinen Aponeu- 
rosenschlitzes sichert eine Faltungsnaht der vorderen Wand 
des Leistenkanales den Abschluss des letzteren. 

Es wird sonach — zunächst die Ausführbarkeit der Invagi¬ 
nationsverlagerung vorausgesetzt — ausser der Bruchsack¬ 
abtragungswunde eine zweite Peritonealwunde an der Stelle 
der Durchführung des Bruchsackes durch den Bauchwand¬ 
schlitz gesetzt und es wird der zurückgestülpte Bruchsack erst 
nochmals durch den Bauchfellraum hindurchgeführt bis zum 
abdominalen Leistenring. Der Aponeurosenbauchfellschlitz in 
der Höhe des abdominalen Leistenrings dient nur zur Bruch¬ 
sackabtragung und die Schnürbasis des Bruchsackes schnellt 
durch den Schlitz dann wieder in die Gegfend des abdominalen 
Leistenrings zurück. 

Die laterale Verlagerung gestaltet sich insofern einfacher, 
als der Bruchsack an der Kuppe gefasst, ohne Einstülpung an 
der hinteren Seite des vorderen Leistenkanales in die Höhe 
geschoben und dann in gleicher Weise durch einen Aponeu- 
rosenschlitz nach aussen gebracht wird. Bei diesem Vorgehen 
braucht sonach das parietale Peritoneum nicht gespalten zu 
werden, sondern man schnürt, den Bruchsackhals dicht an der 
Aponeurose mit kräftigem Faden zu, trägt ihn ab und lässt 
den Stumpf zurückschlüpfen. Die kleine Aponeurosen- 
öffnung wird vernäht und ebenfalls die Faltungsnaht der vor¬ 
deren Leistenkanalwand hinzugefügt. 


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1738 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


Die von Kocher mitgeteilten Berichte über eigene Er¬ 
folge und die anderer Autoren sind so vortreffliche, dass es fast 
gewagt erscheint, die Methode zu modifizieren und doch hat 
Prof. Friedrich in mehreren Punkten Abweichungen be¬ 
vorzugt, schon von der Zeit ab, als Kocher die erste Mit¬ 
teilung bekannt gegeben hatte. 

Prof. Friedrich ist durch alle die letzten Jahre der von 
ihm gewählten Modifikation treu geblieben. Ich habe die 
Operation in seiner Hand kennen gelernt und er hat mir ge¬ 
stattet, dieselbe hier zu schildern. 

1. Prof. Friedrich macht zunächst nur einen kleinen 
Hautschnitt, gerade gross genug, dass er die Schenkel des 
Obliquus mit dem Durchtritt des Bruchsackes freilegt; er löst 
nun den Bruchsack in gleicher Weise aus. 

2. Wird nach Friedrich der Bruchsack nicht am 
inneren Leistenring abgetragen, sondern vielmehr zwischen 
der Muskulatur der vorderen Bauchwand und 
demsieauskleidendenparietalenPeritoneum 
weit in die Höhe geschoben, unter Umständen bis 
nahe an die Spina ant. sup. ossis ilei. Hierbei wird gewisser- 
massen der ganze Bruchsack nochmals zwischen parietalem 
Peritoneum und Bauchwandmuskeln ausgestreift. 

3. Die Bruchsackkuppe wird nun in gleicher Weise wie 
bei Kocher durch einen kleinen Schlitz nach aussen hin¬ 
durchgeführt. Entsprach der Bruchsack in seiner Länge der 
Länge dieses Weges, so wird seine Kuppe ohne Abtragung in 
dem kleinen Schlitze eingenäht; war der Bruchsack länger, als 
dieser Weg, so wird der überschüssige Teil in der Höhe 
dieses Bauch wandschlitz es abgetragen und der 
Bruchsackstumpf auch hier angenäht. I)iescn 
Bauchwandschlitz macht Friedrich sehr klein. 

4. Es wird, nach der Durchführung des Bruchsackes durch 
den Schlitz, der Bruchsack vor seiner Anheftung straff an¬ 
gezogen und damit das Peritoneum seiner abdominalen Ocff- 
nung, gewissermassen seine Basis am abdominalen Leisten ring, 
mit unter das parietale Peritoneum nach der 
Spina zu verlagert. Der ganze Bruchsack liegt so mit ver¬ 
lagerter Basis hart zwischen parietalem Peritoneum und 
Bauchwandmuskulatur, ist fixiert durch die Naht an dem 
kleinen Endschlitze und heilt rasch auf diesem Wege zwischen 
Serosa und Muskulatur ein. 

5. Durch den Zug aber wird nicht nur die abdominale 
Pforte des Leistenbruchs mit unter die Serosa parietalis ver¬ 
lagert, sondern auch das laterale Ende der hinteren Wand des 
Leistcnkanales gegen die vordere Wand angepresst. Durch 
diese beiden Akte erfolgt ein solider, glatter Abschluss der ab¬ 
dominalen Leistenpforte. 

6. Erscheint es nach der Weite des Leistcnkanales 
wünschenswert, den Kanal des Leistenringes noch im ganzen 
zu verengern (aber auch nur dann!), so wird der kleine Haut¬ 
schnitt über dem skrotalen Leistenring noch um 2 Finger breit 
nach oben verlängert und dann die Kanalwandfaltennaht in 
2 bis 4 Nähten hinzugefügt. 


Fig. L 



Bei sämtlichen nach dieser Modifikation Behandelten ist 
ein Bruchrezidiv, soweit spätere Kontrollen möglich waren, 
nicht beobachtet worden. Die älteren Fälle Prof. Fried¬ 
richs liegen bereits über 10 Jahre zurück; bei zweien von 
den Greifswalder Fällen wurde Nahtinfektion an dem oberen 
Durchtrittsschlitz beobachtet, ohne dass es zu nennenswerten 


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Komplikationen gekommen wäre; alle übrigen Fälle wurden 
ohne Reaktion per primam geheilt. Die Operierten wurden 
durchschnittlich 6—14 Tage im Bett gehalten. Unter den 
Operierten befinden sich Angehörige aller Stände in jetzt 
voller Berufstüchtigkeit. 


Eilt. 2. 



Fig. 3. 



lm*tw * * 0 *»i 

Nach Kocher II (schematich). 


Fig. *1. 



Nach Friedrich (1. Art) (schematisch). 
Fig. 5. 



Nach Friedrich (3. Art) (schematisch). 


Die Durchführbarkeit der Methode hat natürlich ihre 
Grenzen, wie das Koche rsclie Verfahren überhaupt. 

Brüche mit Verwachsung des Inhaltes oder starker Bruch¬ 
sackwandverdickung eignen sich im allgemeinen für keine 
dieser Methoden und man wird hier immer der Methode 
Bassin is den Vorzug geben. Bei einfachen, nicht ver¬ 
wachsenen Brüchen aber stellt die geschilderte Modifikation 
ein geradezu ideales Verfahren dar. 

Ihre Vorzüge bestehen, um das nochmals kurz zusammen¬ 
zufassen, in folgendem: 

1. in der Geschwindigkeit der Ausführung, 

2. in der physiologischen Berücksichtigung des Bauch¬ 
wandmuskelapparates, 

3. in der geringen Zahl notwendiger Nähte, 


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IS. August 1908. 


MUBNCHEttER MEDIZINISCHE WOCHEMSCHfelFt. 


4. in der sehr geringen äusseren späteren Narbenbildung, 

5. in dem guten Dauererfolg. 

Die Operation wird von Prof. Friedrich in Spinal¬ 
analgesie oder Narkose ausgeführt, während die örtliche An¬ 
ästhesie mit Rücksicht auf die wünschenswerte Ausschaltung 
jedes Pressens seitens des Kranken hierbei nicht angewendet 
wird. 


Aus der Chirurgischen Klinik zu Heidelberg (Direktor: Geh. 

Hof rat Prof. Dr. N a r a t h). 

Die Operation von Leisten- und Schenkelhernien in 
lokaler Anästhesie. 

Von Dr. A. Nast-Kolb, 

früherem Assistenzarzt der Klinik, zurzeit Oberarzt am 

Katharinenhospital Stuttgart. 

Die Frage der verschiedenen Anästhesierungsverfahren 
hat besonders in den letzten Jahren wieder zahlreiche Be¬ 
sprechungen gefunden. Allgemeinnarkose, lumbale Anaesthe- 
sie und örtliche Schmerzbetäubung konkurrieren vielfach mit¬ 
einander. Ueber ihre Vor- und Nachteile, über die Indikationen 
der einzelnen Methoden sind die Akten noch nicht geschlossen. 
Diese Unsicherheit wird namentlich der Praktiker un¬ 
angenehm empfinden. Dieser braucht ein Änästhesierungs- 
verfahren, das neben sicherer Wirkung und möglichster Ge¬ 
fahrlosigkeit auch ein möglichst geringes Hilfspersonal er¬ 
fordert. Der letzteren Anforderung genügt die Lumbal¬ 
anästhesie, der ersteren nicht, oder wenigstens noch nicht. Da¬ 
gegen hat sich die lokale Anästhesie ein immer grösseres Feld 
erobert; sie ist bei richtiger Technik in ihren Wirkungen zu¬ 
verlässig, völlig gefahrlos und die Grenzen ihres Anwendungs¬ 
gebietes können sehr weit ausgedehnt werden. Es ist hier 
nicht der Ort, die grossen Verdienste Schleichs, Brauns, 
Hackenbruchs, Obersts, Cushings und anderer um 
dieses Verfahren zu besprechen. Ich möchte nur kurz die An¬ 
wendung dieser Methode beschreiben, wie sie sich uns an der 
Heidelberger Klinik bei einem grossen und praktisch wichtigen 
Gebiete, bei der Operation von Leisten- und Schenkelhernien 
bewährt hat. 

In einer Arbeit über Lokalanästhesie aus der hiesigen Klinik 
konnte L i e b 1 *) 1906 unter 198 mit diesem Verfahren aus¬ 
geführten Operationen nur von einer Radikaloperation einer 
Hernie berichten. Seitdem haben wir gelernt, diese Methode 
in immer ausgedehnterer Weise zu verwenden, so dass wir 
jetzt, wie schon Roith 2 ) in einer Anmerkung zu seiner 
Publikation: „Zur Indikationsstellung für die verschiedenen 
Anästhcsierungsverfahren“ erwähnt, fast alle Hernien, auch 
sehr grosse, in lokaler Anästhesie operieren. Wir sind mit dem 
Verfahren ausserordentlich zufrieden und ziehen es für diese 
Operationen der lumbalen Anästhesie weit vor. Fast in allen 
Fällen gelingt es, die Operation schmerzlos durchzuführen. 
Nur bei besonders ängstlichen Patienten oder dann, wenn wir 
uns in der Ausdehnung der Operation getäuscht hatten, mussten 
wir die Inhalationsnarkose zu Hilfe nehmen. Als solche ver¬ 
wandten wir die W i t z e 1 sehe Aethertropfmethode. Man 
kommt dann mit ganz auffallend geringen Mengen des Narkoti¬ 
kums aus. 

Als Anästhesierungsmittel benützen wir ausschliesslich 
eine I proz. Novokainlösung. Diese wird zu jeder Operation 
frisch durch Auflösen von Novokain-Suprarenin-Tabletten 
(Tabl. A., Farbwerke Höchst) in steriler, physiologischer Koch¬ 
salzlösung hergestellt. Man kann von ihr ruhig bis zu 50 ccm 
injizieren, wir haben davon nie Nachteile weder örtlicher noch 
allgemeiner Natur gesehen. Oft kommt man aber mit weit ge¬ 
ringeren Mengen aus, mit 25—30 ccm. Zum Injizieren ver¬ 
wenden wir stets eine Schleich sehe 5-g-Spritze. Eine 
grössere Spritze hat den Vorteil, dass man sie nicht so oft 
wieder aufzuziehen braucht, man arbeitet aber mit einer kleinen 
Spritze zweifellos sparsamer. Die Injektionsnadel sei nicht 
zu kurz, 5—6 cm lang. 

Ehe ich auf die spezielle Injektionstechnik eingehe, möchte 
ich kurz noch die Indikationsstellung besprechen. Alte Leute 


*) Liebl: Münch, med. Wochenschr. No. 5, 1906. 

*) Roitb: Beiträge zur kiin. Chirurgie, Bd. 57, H. 2. 


1139 


sind mit ihrer normaler Weise schon herabgesetzten Schmerz¬ 
empfindlichkeit sehr geeignet für die Lokalanästhesie. Aus¬ 
geschlossen von der Lokalanästhesie haben wir grundsätzlich 
Kinder unter 10 Jahren. Aeltere Kinder sind zuweilen der 
Lokalanästhesie zugänglich, aber im allgemeinen bleibt das 
Verfahren für Erwachsene reserviert, an deren Willenskraft, 
Geduld und Mut es immerhin einige Anforderungen stellt. 
Denn der Gedanke ohne Narkose operiert zu werden, ist den 
meisten Patienten noch ein zu ungewohnter und schrecken- 
erregender, doch lässt sich diese Angst durch freundliches Zu¬ 
reden meist ganz gut überwinden. Nach der schmerzlos ver¬ 
laufenen Operation sind die Kranken ausserordentlich dankbar, 
dass man ihnen die Unannehmlichkeiten der Narkose erspart 
hat. Die Zahl der Patienten, die ausdrücklich wünschen, ohne 
Narkose operiert zu werden, ist mit der sich verbreitenden 
Kenntnis des Verfahrens bei uns dauernd im Zunehmen be¬ 
griffen. 

Von Hernien haben wir in Lokalanästhesie operiert: 

1. inkarzerierte Schenkel- und Leisten¬ 
hernien. Bei inkarzerierten Hernien gelingt die lokale An¬ 
ästhesie stets. Hier genügt sogar häufig die Anästhesierung der 
Haut. Die Patienten mit eingeklernmten Brüchen befinden sich 
meistens in einem gewissen Aufregungszustand und all ihre 
Gedanken sind nur auf den Wunsch gerichtet, so rasch wie 
möglich von ihren Schmerzen und aus der Lebensgefahr befreit 
zu werden. Auch eine etwaige Darmresektion erfordert nicht 
die Narkose, sofern man nur unnötige Zerrungen am Mesen¬ 
terium vermeidet. 

2. freie Leistenhernien. Die Grösse bietet kein 
Hindernis; wir haben über kindskopfgrosse Hernien in ört¬ 
licher Anästhesie ohne Schwierigkeiten operiert. Bei sehr 
grossen Hernien lassen wir, wie es von anderer Seite vor¬ 
geschlagen wurde, den peripheren Anteil der Bruchsackes zu¬ 
weilen zurück, nachdem der zentrale in üblicher Weise isoliert 
und abgebunden worden ist. Als Radikaloperation haben wir 
entweder die B a s s i n i sehe Operation gemacht oder die von 
Ferrari angegebene ohne Verlagerung des Samenstranges, 
die den Vorteil hat, dass die Gebilde des Samenstranges mehr 
geschont werden. Zu dieser haben wir öfter die Faszienver¬ 
doppelung hinzugefügt. 

3. freieSchenkelhernien. Die Bruchpforte wurde 
durch Naht der Fascia pectinea an das Poupartsche Band 
nach Abtragung des Brucksackes geschlossen. Hier handelt 
es sich ja meist um nur kleine Brüche. 

Für kontraindiziert halten wir das lokale Anästhesierungs¬ 
verfahren bei Hernien mit ausgedehnten Verwachsungen zwi¬ 
schen Bruchsack und Bruchinhalt. Diese Operationen gestal¬ 
ten sich oft sehr schwierig, es lassen sich Zerrungen am Peri¬ 
toneum und Mesenterium nicht vermeiden, die Reposition des 
Bruchinhaltes in die Bauchhöhle stösst häufig auf Hindernisse; 
da reicht die örtliche Anästhesierung nicht aus und es bleiben 
solche Fälle der Allgemeinnarkose bezw. der lumbalen An¬ 
ästhesie Vorbehalten. Dagegen geben umschriebene Verwach¬ 
sungen, besonders des Netzes, keine Kontraindikation ab. 

Vor der Operation geben wir, meistens etwa eine halbe 
Stunde vorher, 0,01—0,015 Morphium subkutan, zuweilen auch 
Skopolamin 0,0005. Bei ängstlichen und aufgeregten Patienten 
empfiehlt sich das sehr, um sie über die psychische Erregung 
hinwegzubringen. Bei ruhigen, verständigen Kranken ist es 
aber nicht nötig, denn die Anästhesierung ist fast stets eine 
vollkommene. 

Die Technik der Injektion, wie wir sie jetzt anwenden, 
schliesst sich natürlich an die von Braun u. a. beschriebene 
an. Sie gestaltet sich bei einer freien Leistenhernie beim 
Manne folgendermassen: Nachdem man sich Richtung und 
Länge des beabsichtigten Hautschnittes (wir schneiden parallel 
dem P o u p a r t sehen Bande, einen guten Querfinger medial 
von diesem ein) festgestellt hat, sticht man 1 cm oberhalb des 
voraussichtlichen Endpunktes des Schnittes ein (durch Auf¬ 
spritzen von Chloräthyl kann man die nötigen Einstiche auch 
noch ganz schmerzlos machen) und infiltriert das subkutane 
Gewebe in der ganzen Länge des Hautschnittes. Dann in¬ 
jiziert man von derselben Stelle aus unter langsamem Vor¬ 
schieben der Nadel in die Tiefe durch die ganze Dicke der 
Bauchdecken hindurch. Einmal etwas mehr medial von 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1740 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


subkutanen Hautinjektion, ein zweitesmal mehr lateral nach 
der Gegend des P o u p a r t sehen Bandes zu. Man kann die 
Nadel während des Füllens der Spritze im ersten Einstich 
stecken lassen, wodurch man mehrere Einstiche vermeidet. 
Dann macht man einen neuen Einstich 2 Querfinger unterhalb 
des äusseren Leistenringes über dem Samenstrang und injiziert 
unter Anheben des Samenstranges in den Samenstrang hinein, 
indem man die Nadel bis in den Leistenkanal hinein vorschiebt. 
Und nun noch von demselben Einstich aus wie vorher je eine 
Spritze lateral und medial vom Samenstrang schräg in die 
Tiefe in die Bauchdecken seitlich vom Leistenkanal. Nach 
Ausführung der Infiltration bis zum Beginn der Operation warte 
man 2—3 Minuten bis die Anästhesie völlig eingetreten ist. 
Damit kommt man bei kleineren Brüchen aus und man kann 
schmerzlos alle Schichten der Haut und der Muskulatur durch¬ 
trennen, den Bruchsack spalten, auslösen, abbinden, wenn 
nötig den Samenstrang verlagern und die Naht ausfiihren. Bei 
sehr fettreichen Patienten empfiehlt es sich, zuerst subkutanes 
Gewebe und Faszie gut in der Schnittlinie zu infiltrieren, nach 
Spaltung dieser Gebilde erst die tiefe Muskulatur und das 
Poupartsche Band zu anästhesieren. Dann eröffne man 
den Bruchsack und injiziere von innen her nach oben zu das 
präperitoneale Gewebe im Bereich der Bruchpforte. Nament¬ 
lich bei sehr grossen Bruchpforten ist das anzuraten, weil man 
bei diesen von oben her nicht genügend das präperitoneale Ge¬ 
webe in seinem ganzen Umfange erreichen kann. Wenn man 
so etappenweise injiziert, muss man zwischen den einzelnen 
Akten etwas abwarten, doch haben wir kaum je länger als 
2—3 Minuten auf den Eintritt der Empfindungslosigkeit warten 
müssen. Bei sehr grossen Bruchsäcken haben wir, wie er¬ 
wähnt, den peripheren Anteil des Bruchsackes ruhig liegen 
lassen, doch kann man auch ihn schmerzlos exstirpieren, wenn 
man die Basis des Skrotums gut umspritzt. Das wichtigste 
ist: man infiltriere reichlich und dringe mit der Nadel gut in 
die Tiefe vor; wenn man immer gleichzeitig die Nadel vor- 
scliiebt und dabei injiziert, so ist dies schmerzlos und ungefähr¬ 
lich. 

Etwas modifizieren muss man natürlich bei Schenker¬ 
hernien. Besonders sorgfältig hat man bei ihnen das präperi¬ 
toneale Gewebe des Bruchsackhalses zu anästhesieren, das 
versteckt unter dem Poupart sehen Bande hegt. Am besten 
gelingt dies nach Eröffnung des Bruchsackes von innen her. 
Einige Vorsicht ist hier wegen der Nähe der grossen Gefässe 
geboten, die natürlich mit der Nadel vermieden werden müssen. 

Bei inkarzerierten Hernien genügt meist die subkutane 
Injektion der Haut in der Schnittlinie, der man noch einige 
Injektionen beiderseits in die Tiefe neben die Bruclipforte und | 
den Bruchsack hinzufügt. Will man an die Lösung der Inkar- ! 
zeration die Radikaloperation anschliessen, so ist die etappen- | 
weise Anästhesierung wie oben beschrieben anzu wenden. 1 
Wird eine Darmresektion wegen Gangrän der eingeklemmten 
Schlinge nötig, so sei man beim Vorziehen des Darmes recht 
vorsichtig. Jedes Zerren am Mesenterium löst starke Schmer¬ 
zen aus. Die schonende Unterbindung und Durchtrennung des 
Mesenteriums ist schmerzlos, ebenso, wie bekannt, die Resek¬ 
tion und Naht des Darmes. 

Ich habe absichtlich die Technik der Anästhesierung so 
ausführlich geschildert. Wir hatten anfangs manche Miss¬ 
erfolge zu verzeichnen, aber mit der zunehmenden Erfahrung 
sind diese jetzt recht selten geworden. So mussten wir in 
diesem Jahre bei bis jetzt 54 Hernien nur ein einziges Mal die 
Inhalationsnarkose zu Hilfe nehmen. 

Es gibt Patienten, bei denen die Anwendung der lokalen 
Anästhesie völligen Schiffbruch erleidet. Das sind ängstliche, 
sehr erregte Kranke, die schon vor dem ersten Nadelstich 
schreien und jammern, jedem vernünftigen Zuspruch unzu¬ 
gänglich sind, bei denen auch eine vorausgeschickte Morphium¬ 
dosis in ihrer Wirkung versagt. Bei diesen die lokale An¬ 
ästhesie erzwingen wollen, hiessc die vorzügliche Methode in 
Misskredit bringen. 

Durch dieses Verfahren gelingt es uns, die Schmerzemp- , 
findung im Operationsgebiet aufzulieben, dagegen bleibt das 
1 astgefiihl erhalten. Der Kranke fühlt jeden Druck, jedes Stär- ! 
kere Zerren, jedes brüske Anfassen der Gewebe. Man muss ! 
sich daher ein zartes, behutsames Operieren zur Regel machen. 1 


Das gelingt ganz gut. indem man möglichst ausgiebig mit 
Messer und Schere scharf arbeitet, alles Zerreissen von Ge¬ 
webeteilen vermeidet, die Haken vorsichtig einsetzt und zart 
tupft. Besondere Vorsicht ist bei der Behandlung des Bruch¬ 
sackes geboten. Wir wissen aus den Untersuchungen Len¬ 
ti a n d e r s, w ie empfindlich das parietale Peritoneum gegen 
jeden Zug ist. Jeder starke Zug am Bruchsack oder auch am 
Mesenterium wird ganz ausserordentlich schmerzhaft emp¬ 
funden. Durch zartes Arbeiten kommt man aber gut über diese 
Gefahren hinweg und lernt allmählich diese Klippen vermeiden. 
Das klingt vielleicht alles selbstverständlich; wenn man aber 
gewöhnt ist, in Narkose zu arbeiten, achtet man aut diese 
Kleinigkeiten nicht und erst der Aufschrei des Patienten, sobald 
man den Bruchsack unsanft in die Hand nimmt, ruft einem ein¬ 
dringlich die Mahnung zur Vorsicht ins Gedächtnis zurück. 

In dem Verlaufe der Wundheilung haben wir keine Sto¬ 
rungen beobachtet, die wir auf den Einfluss des Lokalanästheti¬ 
kums zurückführen konnten. Auch die InfektionsmogliJikeit 
Schien keine grossere zu sein. Nekrosen oder Nachblutungen 
haben wir nicht erlebt. Die Heilung erfolgte in der Regel per 
primam. Kleinere Eiterungen der oberil.ichiidien Nahte haben 
wir bei der grossen Reihe von Operationen natürlich auch ge¬ 
sehen, aber nicht mehr als früher und namentlich die tuten 
Pfeilernähte - ■ wir nähen mit Seide sind durchweg re¬ 
aktionslos eingeheilt. 

Eine Beobachtung soll nicht unerwähnt bleiben: Das ist 
der recht lebhafte Nachschmerz. Er beginnt etwa eine Stunde 
nach Beendigung der Operation und halt 3 -4 Stunden an, um 
dann vollständig zu verschwinden. Eine Morphaimimektion 
hilft über diese schmerzhafte Phase leicht hinweg. 

Es wurde schon betont, dass wir auch bei redit hohen 
Dosen Novokain niemals Vergiftungserschemungeti erlebt 
haben. Die Anästhesie wurde durchweg ausgezeichnet ver¬ 
tragen. Doch schützt die Lokalanästhesie nicht, wie schon 
früher Mikulicz berichtet hat. vor postoperativen Lungeii- 
komplikationen. Es haben ja die Hernienoperationen an suh 
schon einen hohen Prozentsatz an postoperativen Luiigenatfek- 
tionen. Diese Gefahr wird durch die Anwendung der lokalen 
Anästhesie nicht ausgeschaltet. Wir haben eine Reihe mehr 
oder weniger ausgebreiteter Bronchitiden und lobulärer Pneu¬ 
monien nach unseren Hermenopcrationen beobachtet; sie 
waren aber alle gutartiger Natur und haben den Heilungs- 
Verlauf nicht gestört. 

Welche Nachteile hat die lokale Anästhesie bei Hernien? 
Für den Patienten keine; die einzige Unannehmlichkeit ist wohl 
das Bewusstsein, in wachem Zustande operiert zu werden. 
Mancher Kranke sagt: Nur nichts hören und nichts sehen. 
Letzteres lässt sich durch Bedecken der Augen leicht erreichen, 
ausserdem kann man noch die Ohren mit Watte verstopfen, 
oder man lässt sich eine dritte Person mit dem Operierten 
Unterhalter und so seine Aufmerksamkeit ablenken. Pur den 
Operateur hat das Verfahren einige Unannehmlichkeiten: Er 
muss die Geduld haben, zu warten bis die Anästhesie eir- 
getreten ist. er muss zart operieren; hat man sehr reichlich 
infiltriert, so ist zuweilen die Orientierung etwas erschwert. 
Ich mochte nn ht vergessen, zu bemerken, dass der Arzt mit 
Aeiisserimgen wahrend der Operation sehr vorsichtig Sem 
muss und am besten überhaupt nicht spricht. Die Patienten 
passen meist gespannt atii und kontrollieren genau jedes Wort 
des O peri ereil dein Einige teilnehmende Bemerkungen an den 
Patte ulen direkt gerichtet verfehlen dagegen nie ihre beruhi¬ 
gende Wirkung. Das sind aber alles do a nur kleine Un¬ 
bequemlichkeiten. die jeder m den Kauf nehmen muss, der 
überhaupt in lokaler Anästhesie operiert, und d.e gar nicht 
in Betracht fomrnen gegenüber den grossen Vorzügen des 
Verfahrens. In allererster Linie seine Gefahrlos.gkeit. dann 
das Leiden von Erbreche ri wahrend und mich der Operat. n. 
d : e Möglichkeit mit dem Patienten zu sprechen, dm z. B. hasten 
oder pressen zu lassen, w as bei kleinen Brüchen oft recht an- 
g'-'iielna ist. für den Praktiker scheint uns m-Ji besonders 
vorteilhaft, dass die Methode einer; Narkotiseur entbehrlich 
macht und die Möglichkeit gibt, den Kranken gleich rach der 
Operation ganz ruhig zu verlassen, ohne abw arten zu müssen, 
bis er ans der Narkose erwacht und die Gefahr der Aspiration 
durch Erbrechen nicht mehr zu beiareilten ist. 


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— Origin&Hmm 

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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ 1741 


Wir hoffen, durch diese Mitteilungen zu einer recht weiten 
Verbreitung der lokalen Anästhesierungsmethode, die wir für 
eine ausserordentlich einfache und vielseitig anwendbare hal¬ 
ten, beizutragen. Jeder, der sich mit den Indikationen und der 
Technik vertraut gemacht hat, wird die grossen Annehmlich¬ 
keiten der Methode zu schätzen wissen und den Kreis ihres 
Anwendungsgebietes immer weiter auszudehnen sich bemühen. 

Zum Schluss seien kurz noch die Zahlen der in lokaler An¬ 
ästhesie operierten Brüche (aus den letzten 17 Monaten) an¬ 
geführt. Es wurden operiert: freie Leistenhernien 63, freie 
Schenkelhernien 9, eingeklemmte Leistenbrüche 2, ein¬ 
geklemmte Schenkelbrüche 7, davon 2 mit Resektion des bran¬ 
digen Dünndarms; ausserdem noch 4 Nabelbrüche und 7 epi¬ 
gastrische Hernien, deren Anästhesierung nach den obigen 
Ausführungen sich ohne weiteres ergibt und nach denselben 
Grundsätzen durchgeführt wird. 


Aus der Kgl. chirurgischen Universitätsklinik in Berlin 
(Geh. Rat B i e r). 

Die Technik der Gehgipsverbände.*) 

Von Dr. James F r ä n k e 1, Assistent der Klinik. 

Sehr gross ist die Anwendungsmöglichkeit des Gips¬ 
verbandes als Gehverband. Denn in seinen Indikationsbereich 
gehören die ambulant zu behandelnden Frakturen der unteren 
Extremität, die Massenerkrankungen an Knochen- und Gelenk- 
tuberkulöse und viele rein orthopädische Fussleiden. 

Den mit solchen Leiden behafteten Kranken die Möglich¬ 
keit und Annehmlichkeit der freien, selbständigen Fortbewe¬ 
gung zu verschaffen, ist ein Gebot der Humanität, ja vielfach 
eine strikte ärztliche Vorschrift. Fragen wir uns, ob und wie 
die Technik bisher diese Forderung erfüllt hat, so kann man im 
allgemeinen sagen, dass das Problem noch nicht zur Zufrieden¬ 
heit gelöst ist. 

Am besten ist es, wenn wir von der heute üblichen Me¬ 
thode der ambulantem Behandlung der Unter- und Ober¬ 
schenkelfrakturen ausgehen, als deren zweckmässigstes Ver¬ 
fahren dasjenige von D o 11 i n g e r gilt. Die drei zu stel¬ 
lenden Forderungen, Reposition, Fixation, Entlastung, erfüllt 
D o 11 i n g e r, indem er unter starker Extension des ge¬ 
brochenen Gliedes einen an den knöchernen Stützpunkten 
(Condylus medialis der Tibia, Tuber ischii) gut modellierten 
Gipsverband anfertigt, nachdem unter die Fussohle eine dicke 
Wattelage als Trittsohle gelegt ist. Diesem Verbände nun macht 
man den Vorwurf im besonderen, dass die aus Gips ge¬ 
bildete Fussplatte bald nachgibt und damit die Entlastung 
illusorisch wird, und im allgemeinen wirft man der Methode 
vor — in allen Lehrbüchern der Chirurgie ist die warnende 
Vorschrift zu lesen —, dass der Verband nur besonders tech¬ 
nisch geschulten Chirurgen überlassen werden darf. 

Verfolgen wir den erstgenannten, sehr berechtigten Ein¬ 
wand weiter, so kommen wir zu den Bestrebungen, die auf 
eine sichrere Entlastung im Gipsverbande hinzielten. Man 
stülpte über den Gipsverband eine Thomas sehe oder 
Bruns sehe Schiene oder befestigte über dem Gipsver¬ 
band mit Organtin- oder Wasserglasbinden den nach Lorenz 
benannten Tretbügel aus Bandeisen. 

Sonderbarerweise hat man die letztere allerdings einwand¬ 
freie Entlastungsvorrichtung nur für die Gehverbände bei der 
Gelenktuberkulose benutzt, nicht aber ebenfalls zur ambulanten 
Frakturenbehandlung herangezogen. 

Dadurch, dass wir bei Frakturen, namentlich der Malleolen 
und der Unterschenkeldiaphyse, in den nach der üblichen Art 
angelegten Verband einen Gehbügel eingipsten, wurde er¬ 
reicht, dass die Kranken sofort nach Anlegung ihres Verbandes 
ohne Schmerzen gehfähig waren, und vermöge der absolut 
gewahrten Entlastung des gebrochenen Gliedes vollzog sich 
die Heilung stets in vollkommenster Weise. (Fig. 1.) 

Bei Knöchelbrüchen ohne Dislokation der Fragmente 
nehmen wir neuerdings Fuss und Fussgelenk nicht in den Gips¬ 
verband hinein, sondern fixieren den frei schwebenden Fuss 
elastisch durch zwei kreuzförmig angeordnete Gummizüge, 


*) Nach einem Vorträge auf dem 37. Kongress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie, 1908. 


die vom Vorderfuss zum oberen Teil des Gipsverbandes 
laufen.*) Wir verfahren so in prophylaktischer Absicht. Denn 
unsere Resultate lehren, dass sich auf diese einfache Weise 
Versteifungen im Fussgelenk und Belastungs¬ 
deformitäten (Pes valgus traumat.) sicher ver¬ 
hüten lassen . 

Betreffs der Technik ist hauptsächlich zu 
berücksichtigen, dass über der vorderen Tibia¬ 
kante, am Condylus internus tibiae und am 
Capitulum fibulae sehr reichlich zu postern ist 
und der Gips am Kondylus der Tibia exakt 
modelliert werden muss. 

Unter Berücksichtigung dieser Vorschrif¬ 
ten ist der ambulante Frakturenverband nicht 
sonderlich schwer und durchaus ungefährlich. 

Allerdings ist die Beherrschung der Gips¬ 
technik Vorbedingung, und es kann nicht ge¬ 
leugnet werden, dass das Erlernen der Gips¬ 
technik nicht ganz leicht und schnell zu er¬ 
ledigen ist. 

Neben guter Technik ist gutes Gips¬ 
material eine conditio sine qua non. Man 
kommt mit den selbstbereiteten Gipsstärke¬ 
gazebinden ganz gut aus, sollte diesen aber, 
um die Dauerhaftigkeit des Verbandes nicht 
zu schädigen, keinen Alaun zusetzen. Grosse 
Erleichterung bieten die in der Kgl. Klinik 
gebräuchlichen fertigen Gipsbinden von Cosack & Co., 
Düsseldorf, die sofort erstarrende, leichte, dauerhafte, ala- 
basterfarbene Gipsverbände liefern. 

Das geschilderte Verfahren kann ohne weiteres über¬ 
tragen werden auf die ambulante Behandlung der an fixierten 
Plattfüssen Leidenden, wo ein adressierender Gipsverband 
für mehrere Wochen angezeigt ist, und es kann ebenso Ver¬ 
wendung finden für Verbände, die einen operierten Fuss oder 
Unterschenkel vor Belastung schützen sollen. Auch imK r i e g s- 
f a 11 kann, wie ich mir denke, dieses Bedürfnis vorliegen. Um 
die Leistungsfähigkeit des Gehbügelgipsverbandes zu be¬ 
weisen, führe ich den Fall eines 15 jährigen Jungen an, dem 
wegen Lähmung am Fusse eine Sehnenplastik gemacht war 
und der, zu unserem eigenen Erstaunen, sofort nach der Opera¬ 
tion, ohne jeden Schmerz und ohne Störung des Heilungsver¬ 
laufes, im Gehbügelgipsverband nach Hause lief. 

Dem Stiefel des gesunden Fusses geben wir die not¬ 
wendige Erhöhung durch eine feste Korksohle oder auch durch 
eine in verschiedener Dicke vorrätige Sandale, die unter den 
Stiefel bandagiert wird. (Fig. 2.) 



Fig. 2. 


Der Gehgipsverband, wie er im vorhergehenden geschil¬ 
dert ist, erfüllt die wichtigste Bedingung, die an ihn gestellt 
werden muss, er entlastet absolut. Aber ein Nachteil 
haftet ihm an, er zwingt, die Pflege der Haut und Muskulatur 
an dem kranken Körpergliede zu vernachlässigen und ver¬ 
bietet die gleichzeitige Applikation anderer Heilmittel, wie 
der Bier sehen Stauung bei der Behandlung von Gelenk¬ 
tuberkulosen. Wohl machte man abnehmbare Gipsver¬ 
bände, indem man den Verband an zwei Seiten aufschnitt, 
ein Gehbügel aber, ohne den, wie ich oben ausgeführt habe, 
eine zuverlässige Entlastung unmöglich ist, liess sich dann nicht 
an dem Verbände anbringen. Die Unmöglichkeit, ent¬ 
lastende, abnehmbare Gipsgehverbände her¬ 
zustellen, hat auch Lorenz beklagt. 

Diese Lücke glaube ich ausgefüllt zu 
haben durch die Konstruktion eines Gehbügels, der aus einer 
einfachen Aenderung des Lorenz sehen Bügels entstanden ist. 


*) J. Fränkel: Zur Behandlung der Malleolarfrakturen. Freie 
Vereinig, d. Chirurgen Berlins, 15. Juni 1908. 



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1742 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


An dem einen Schenkel der Doppelschiene, 
2—3 cm über dem queren Verbindungsstück 
befindetsicheinkräftiggearbeitetesHaspen- 
scharniergelenk, das ein Auf - und Anklappen 
des mit dem Qelenk versehenen Schienenteils 
gestattet |Fig. 3] *). 

Mittels dieses Qehbügels gestaltet sich die Anlegung eines 
abnehmbaren Qipsverbandes folgendermassen: 

Eine einfache Lage Wiener Watte umhüllt zunächst das 
kranke Glied. Das Festwickeln dieser Watteschicht mit einer 
Mullbinde ist nicht nötig und hier unzulässig, weil sonst das 
Abnehmen des Verbandes Schwierigkeiten macht. Auf die 
Watteschicht wird an der Vorder- und Hinterseite des Beines 
in der Mittellinie ein 2—3 cm breiter Zinkstreifen von der Länge 
des beabsichtigten Verbandes aufgelegt. Jetzt folgt das 
schnelle Abwickeln der vorher in Wasser eingeweichten Gips¬ 
binden. Vor der letzten Gipsbinde wird der oben beschriebene 
Gehbügel so angelegt, dass das Gelenk an die Aussenseite des 
Beines zu liegen kommt und das Querstück 4—8 cm von der 
Sohle des Fusses bezw. der Verbandsohle entfernt bleibt. Die 
letzte Gipsbinde, die mit den vorhergehenden sorgfältig ver¬ 
rieben werden muss, befestigt den Gehbügel im Verbände. 
Sofort wird der Verband mit scharfem Messer über den Blech¬ 
streifen aufgeschnitten, so dass harte, feste Ränder entstehen, 
dann in dem Gelenk aufgeklappt, abgenommen und an den 
Rändern ausgeschnitten (Fig. 4). Soll der Verband gleich be¬ 




nutzt werden, was zulässig ist, polstert man ihn durch Einlegen 
glatter Wattelagen. Im allgemeinen lassen wir, da der Ver¬ 
band als Dauerverband bestimmt ist, ihn nach dem Trocknen 
mit gutem Flanell auskleben. Ueber die Ränder des Ver¬ 
bandes, die gleichfalls mit Stoff eingefasst werden, setzt sich 
an den Längsseiten der Innenschale der Futterstoff in zwei 
Laschen fort, die mittels einiger an ihnen befestigter Bänder 
übereinandergezogen werden können. Diese Vorkehrung ist 
nötig, weil dadurch das Einklemmen von Haut zwischen den 
beiden Schalen des Verbandes verhütet wird. 2 Gurt¬ 
bänder mit Schnallen halten die Schalen gegeneinander fest. 

Ich sagte, dass dieser Verband als Dauerverband be¬ 
stimmt ist. Wir wissen, dass Okklusivgipsverbände bisweilen 
recht lange halten. Von einem abnehmbaren Gehverband da¬ 
gegen, der schon durch das häufige An- und Ablegen viel mehr 
geschädigt wird, sollte man eine lange Lebensdauer nicht er¬ 
warten. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass die Verbände 
bereits 6 Monate ohne Schaden überdauert haben und zwar 
nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen, die sich 
der Apparate bei Ausübung ihres Berufes bedienten. 

Sollte ein Verband schadhaft sein, so ist in wenigen 
Minuten eim neuer gemacht. Die Kosten des Materials sind 
ganz geringfügig. 

Die Technik dieser Verbände ist leicht und sicher, wenn 
man mit dem Gips schnell arbeitet, ihn möglichst nass aufträgt, 


*) Der Gehbiigel wird in verschiedenen Grössen von H. Wind- 
1 e r, Berlin geliefert. 


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die einzelnen Gipsschichten gut ineinander verreibt und exakt 
an den Knochenstützpunkten anmodelliert. 

Nimmt man den Fuss in den Gipsverband hinein, so ist der 
auf die Vorderseite des Unterschenkels gelegte, zum Aufschnei¬ 
den bestimmte Blechstreifen bis zur grossen Zehe fortzuführen, 
während die hintere Schnittlinie im Verbände dicht über der 
Ferse spiralförmig nach aussen abbiegt und entlang dem Klein¬ 
zehenrand des Fusses nach vorn verläuft. 

Der mit dieser Technik hergestellte abnehmbare Geji- 
verband eignet sich besonders für Fusstuberkulosen jeden 
Alters, für Malleolenfrakturen von Kindern und Erwachsenen, 
für Knietuberkulosen von Kindern und Halberwachsenen. 

Den Entlastungsapparat für Fussfungus bis zum Sitz¬ 
knorren hinaufzuführen, wie Lorenz es tut, halte ich nicht 
für nötig. Denn am Knie findet ein exakt gemachter Verband 
vollkommensten Halt. 

Wir verzichten bei der Behandlung der Gelenktuberkulose 
auf die Feststellung des kranken Gelenkes. Deswegen be¬ 
ginnt der Verband für Fungus pedis erst oberhalb der Knöchel 
und lässt das Fussgelenk frei, so dass die Form äusserst ein¬ 
fach wird. Ganz analog beginnt der Gipsverband bei Knie¬ 
fungus oberhalb des Kniegelenks. Dementsprechend sind die 
Schenkel des Gehbiigels für diesen Verband nach oben ver¬ 
längert; sonst ist der Gehbügel für Knietuberkulose nach der 
in Fig. 2 gezeigten Form gearbeitet. 

Dass die Spitze des freischwebenden Fusses den Boden 
berührt, wird durch genügende Bemessung der Distanz 
zwischen Sohle und Tretbügel vermieden. Wer den Fuss in 
den Verband hineinnehmen will, kann es ja tun. Eine Trennung 
von Fixationsverband und Entlastungsschiene, wie sie neuer¬ 
dings von Ducroquet empfohlen wird, ist dann aber nicht 
nötig. 

In Ermangelung des abnehmbaren, entlastenden Gipsver¬ 
bandes griff man bisher zur Erreichung desselben Zieles zu den 
komplizierteren Modellapparaten, als deren gebräuchlichste 
Vertreter der Zelluloid- und der Hessingapparat gelten. Auf die 
Stellung des abnehmbaren Gehgipsverbandes zu den Modell¬ 
apparaten, deren Schöpfer Hessing ist, muss hier kurz ein¬ 
gegangen werden. 

Der Wert und die vorzügliche Wirkung des Hessingappa¬ 
rates beruht bekanntlich darauf, dass resistenteres und ange¬ 
nehmeres Material als es der Gips ist, nämlich Stahl und Leder 
nach einem aus Gips geformten Modell zu einem Apparat zu¬ 
sammengesetzt werden. Vergleichen wir die Wertigkeit des 
Gips- und des Modellapparates als solchen, so muss doch ge¬ 
sagt werden, dass auch der beste Modellapparat kaum so 
genau den Körperformen sich in allen Einzelheiten anpassen 
kann, wie ein guter Gipsverband, der ja das Modell selbst ist. 
Hinzu kommt, dass ein guter Hessingapparat nur von einem 
annähernd ebenso geschickten Mechaniker gemacht werden 
kann, wie es Hessing ist. Die guten Apparatmechaniker 
aber sind nicht zu reichlich gesät. Ohne den wohl unver¬ 
gänglichen Wert des Hessingapparates zu verkennen und ohne 
das Bedürfnis zu unterschätzen, das wohl für jeden Chirurgen 
vorliegt, sich in geeigneten Fällen der Hilfskraft eines geübten 
Mechanikers zu bedienen — für Becken- und Oberschenkel¬ 
apparate Erwachsener ist der Hessingapparat unersetzlich — 
muss das Bestreben als berechtigt gelten, sich von dem Ban¬ 
dagisten, der überdies nicht jedem zugänglich ist, möglichst 
unabhängig zu machen. Das gestattet aber allein der Gips¬ 
verband, den H o f f a die Seele der Orthopädie nennt. 

Was den Zelluloidapparat betrifft, der von Lorenz in 
die orthopädische Technik eingeführt wurde, so zeichnet er 
sich durch geringes Gewicht, gefälliges Aussehen und ver¬ 
hältnismässig leichte Handhabung aus. Diese Eigenschaften 
machen ihn sehr geeignet zur Verwendung von Hülsen für die 
obere Extremität und für Korsette. Soll das Zelluloid aber 
als Gehapparat verwendet werden, so muss auch hier wieder 
der Mechaniker zur Mitarbeit herangezogen werden, und dann 
werden die Anschaffungskosten nicht viel geringer als beim 
Hessingapparat. 

Auch der Gipsverband hat Licht- und Schattenseiten. 
Man wirft ihm vor, dass er plump, schwer und wenig haltbar 
sei. Diese Nachteile sind aber durch eine gute Technik auf ein 
Minimum zu reduzieren und überdies sollte auf dieEleganz in der 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1743 


Medizin weniger Wert gelegt werden als auf die Zweckmässig¬ 
keit. Die Vorzüge des Gipsverbandes auf der anderen Seite 
sind, dass er besser als alle anderen Materialien die Körper¬ 
formen wiedergibt, dass er einfach 
ist, der Mitwirkung des Mechanikers 
nicht bedarf und, was die Haupt¬ 
sache ist, dass er billig ist. 

Um dem Gipsverband seine Ein¬ 
fachheit zu lassen, sehen wir auch 
von Schieneneinlagen u. dergl. ab. 

Der Wert der einfachen 
Herstellung des abnehmbaren Geh¬ 
gipsverbandes ist besonders ein¬ 
leuchtend in seiner Anwendung als 
Entlastungsapparat bei Fussfungus. 
Einen wirklich entlastenden Hes¬ 
singapparat fiir das Fussgelenk her¬ 
zustellen, gehört zu den grössten 
mechanischen Schwierigkeiten, die 
bei Innehaltung der bisher für diesen 
Zweck üblichen Form selten über¬ 
wunden werden. Daraus ist viel¬ 
leicht auch zu erklären, warum die 
Resultate Anderer bei der konser¬ 
vativen Behandlung der Fusstuber- 
kulose vielfach im Gegensatz zu den 
unserigen so schlecht sind. 

Uebrigens kann man das Prin¬ 
zip des von mir empfohlenen ab¬ 
nehmbaren Gehgipsapparates auch 
durch einen Schienenhülsenapparat 
leicht verwirklichen (Fig. 5). 

Der Hauptvorzug des Gips¬ 
verbandes ist seine Billigkeit. 
Die Bezahlung der oben beschriebenen abnehmbaren Gehver¬ 
bände kann der Aermste leisten und kann auch in Ausnahme¬ 
fällen gern von der Klinik übernommen werden. Dagegen 
halten wir eine Massenbehandlung der Gelenktuberkulose an 
der unteren Extremität mittels entlastender Modellapparate — 
seien es Zelluloid- oder Hessingapparate — für ausgeschlossen. 

Durch die heutige Medizin geht ein sozialer Zug. Einfache 
Mittel müssen an die Stelle der komplizierten treten, nicht 
zuletzt in der Orthopädie, der ja ein wichtiger Teil der sozialen 
Fürsorge zufällt. 


Kleine Verbesserungen der S c h u 11z e sehen Schwingungen. 

Von Dr. Robert Ziegenspeck in München. 

Die Ausführungen des Herrn Dr. Schwab in No. 3 des 
Zentralbl. f. Gynäkol. 1908 *) über die angebliche Modifikation 
der S c h u 11 z e sehen Schwingungen, welche O g a t a in den 
Beiträgen f. Geburtsh. u. Gynäkol. XII veröffentlicht hat, ver¬ 
anlasst mich, einige kleine Verbesserungen der Schultze- 
sehen Schwingungen bekannt zu geben, wie sie sich mir im 
Laufe von Jahrzehnten als zweckmässig erwiesen haben und 
nebenbei S c h w a b s Ausführungen auf das richtige Mass zu¬ 
rückzuführen. Die von Schwab selbst 1. c. angegebene 
Verbesserung von Ogatas Modifikation halte ich für zweck¬ 
mässig und in geeigneten Fällen für empfehlenswert. Ogatas 
Methode hat aber mitSchultzes Schwingungen nichts gemein¬ 
sam, als dass beide Methoden durch mechanische Erweiterung 
und Verengerung des Thorax die Lungen ventilieren sollen und 
dabei den bei der natürlichen Respiration entstehenden nega¬ 
tiven Druck im intrathorakalen Raum entstehen lassen, 
während das alte Scheel sehe Verfahren, die Katheterisation 
der Trachea mit Lufteinblasen, einen positiven Druck erzeugt, 
welcher dor Wiederbelebung der erlöschenden Zirkulation 
nicht förderlich ist. Denselben Fehler hat das Lufteinblasen von 
Mund zu Mund, bei welchem beim Neugeborenen nicht die mit 
Mekonium und Vernix verklebten Lufwege, sondern zumeist 
der Magen ventiliert wird (eigene Erlebnisse). Beide Methoden 
kehren den Atemmechanismus um, indem sie einen posi¬ 
tiven und noch positiveren Druck im Thorax erzeugen. Im 


*) Zur Wiederbelebung scheintot geborener Kinder durch 
Schultzesche Schwingungen. Zentralbl. f. Gynäkol. 1908, No. 3. 

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übrigen sind die Bewegungen Ogatas nichts anderes als 
die altbekannten „Beugungen oder Wiegebewegungen“ von 
Schröder, wie sie noch bis in die neueste Auflage im 
S c h r ö d e r sehen Lehrbuche der Geburtshilfe beschrieben 
werden. 

Von dem Erfinder selbst, wie von dessen Schülern und den 
späteren Herausgebern dieses lange Zeit allein herrschenden 
Lehrbuches wurden sie nur in sehr bescheidenem Masse emp¬ 
fohlen und den S c h u 11 z e sehen Schw ingungen an Wirksam¬ 
keit durchaus nicht gleichgestellt. 

Der Grund w r ar der, dass vergleichende Manometer¬ 
messungen bekannt gegeben worden waren, welche die ge¬ 
ringe Wirksamkeit der Beugungen erwiesen. 

Die ältere Arbeit war von Champneys, einem 
Engländer, und die spätere war von T o r g g 1 e r, damaligem 
Assistenzarzt in Innsbruck, jetzt Professor in Czernowitz, ver¬ 
fasst. Marschall Halls Methode und Schröders Beu¬ 
gungen ergaben ja nur 1 cm Ausschlag am Manometer, 
welcher mit Tracheotomiekanüle und Gummischlauch mit dem 
Kinde in Beziehung gebracht worden war. Die Schwankungen 
von Lahs ergaben 5, Sylvester allein ergab 7 und mit 
den Verbesserungen von B e h m und P a c i n i 9 cm Ausschlag 
am Manometer; während die Schwingungen nach Champ¬ 
neys ca. 12, nach Torggler bis je 15 cm Ausschlag am 
Manometer ergaben. Im Jahre 1885 Hess ich drei von mir in 
meiner Assistentenzeit bei Schultze behandelte Fälle in der 
Dissertation des Dr. Clemens-Czipulka verwerten und 
hob darin als Vorzug hervor, dass bei den Schwingungen ge¬ 
rade in d e m Moment, wo das mit Sauerstoff beladene Blut 
aus dem Herzen und dem intrathorakalen Raume gedrängt 
wird, beim Exspirium, auch gerade das Kind auf dem Kopfe 
steht, wodurch dieses zur Wiederbelebung der Medulla be¬ 
sonders geeignete Blut noch durch die Gravitation dahin 
gedrängt wird. 

Den gleichen Vorzug hat auch Schwab s Verbesserung 
der „Methode“ Ogatas. Schröders Beugungen ist auch 
immer der Vorzug grösserer Bequemlichkeit zuerkannt worden, 
welche ihr nach ihrer Wiedergeburt durch Ogata mit der 
Verbesserung Schwabs gewiss nicht abgesprochen werden 
dürfte. Auch die Gruppe der Hautreize ist inzwischen um 
einen sehr bequemen und eleganten bereichert werden. Nie¬ 
mand wird mehr das Kind mit nassem Zeuge oder nasskaltem 
Handtuche abklatschen oder es gar in Eisw r asser tauchen, wenn 
er, mittels Pinzette an der Zunge rhythmisch ziehend, einen 
besseren Erfolg erzielen kann. Allein: ich lasse mir doch 
immer noch den Eimer mit Eiswasser herbeischaffen, falls die 
Methode La borde mit der Pinzette nicht ausreichen sollte. 
Das kalte Wasser als Kontrast nach dem warmen Bade w r ar 
noch immer der mächtigste aller Atemreize. 

In leichten Fällen, ja auch noch in den Uebergangsstadien 
vom blauen zum bleichen Scheintod mögen sie ihre Anwendung 
finden, man übersieht immer, dass Schnitze selbst die 
künstliche Atmung für die schwerste Form, für den bleichen 
Scheintod Vorbehalten wissen will. 

Athmet das Kind schon oder athmet es noch, dann kann 
man w'ohl mit obengenannten eleganten und bequemen Metho¬ 
den auskommen. Handelt es sich aber um leichenschlaffe, 
bleiche welke Kinder, mit herabhängendem Untorkiefer, zu¬ 
rückgesunkener Zunge, wo nur noch 50—60 Herztöne an¬ 
deuten, dass das Leben noch nicht ganz erloschen ist, wie in 
den 3 von Clemens-Czipulka mitgeteilten Fällen, dann 
kann nur die wirksame Methode von Schultze noch in 
Betracht kommen. 

Die Gefahr der Abkühlung wird vermieden, indem nie 
mehr wie 10 Schwingungen auf einmal angew'endet werden 
und dann sofort das Kind wieder in das warme Bad von 38° C 
zurückkehrt. Weitere Hautreize, als wie sie die kühle Zim¬ 
merluft beim Hindurchbewegen des feuchtwarmen Kindes¬ 
körpers darstellt, sind in diesem Stadium verboten, weil durch 
Kontraktion der peripheren Gefässe das Blut erst recht in die 
an und für sich überfüllten grossen Gefässstämme des Rumpfes 
gedrängt würde. Bleicher Scheintod = künstliche Atmung, 
blauer Scheintod = Hautreize, lautet die Indikationsstellung. 

Sobald dann einige, wenn auch noch so oberflächliche, 
selbständige Atembewegungen vom Kinde unternommen wer¬ 
den, treten die Hautreize in ihr Recht. Dann kommt das Kind 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Fig. 5. 



1744 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT» 


No. 33. 


aus dem warmen Bad in den Eimer mit Eiswasser und sofort 
zurück in das warme Bad. Weitere Schwingungen bei schon 
rhythmisch atmendem Neugeborenen wären nur geeignet, 
diesen natürlichen Rhythmus zu stören. 

Die Schwingungen selbst sind nun aber, wenn sie richtig 
ausgeführt werden, vollkommen ungefährlich und wenn immer 
und immer wieder von Verletzungen durch dieselben berichtet 
wird, so muss das immer und immer wieder auf mangelhafte 
Technik zurückgeführt werden. Es ist unglaublich, was ich 
schon unter dem Namen der S c h u 11 z e sehen Schwingungen 
gesehen habe. 

Nach den Beugungen von Schröder habe ich 
eine Leberuptur in Autopsie nachgewiesen. Andererseits 
habe ich nach Katheterisation der Trachea schon mächtiges 
Randemphysem der Lungen gefunden, trotzdem die abhängigen 
Partien noch atelektatisch waren. Nach Schwingungen aber 
nichts dergleichen. 

Von S c h u 11 z e selbst sind diese Bewegungen so oft und 
so meisterhaft beschrieben worden, dass ich darauf verzichten 
muss, sie von neuem zu beschreiben. In jedem Hebammen¬ 
buche kann man darüber lesen. Man lernt solche komplizierte 
Bewegungen nur vom Sehen. Ich bin bereit, sie jedermann zu 
zeigen. 

Der Hauptvorzug der Schwingungen neben dem Oben¬ 
genannten besteht darin, dass durch die geschickt ausgenützte 
Gravitation der Leber nicht nur die kostale sondern auch die 
abdominale bezw. phrenale Atmung künstlich erzeugt wird. 

Die von mir erprobten kleinen Verbesserungen bestehen 
nun darin, dass ich: 

1. den Kindeskopf zwischen die Kleinfingerballen der 
Hände nehme und den Körper herabhängen lasse, bevor ich 
die Schultern und den Thorax des Kindes mit den Fingern. 
S c h u 11 z e s Vorschriften gemäss, ergreife, um zuerst einmal 
Trachea und Wirbelsäule parallel zu heben, bevor ich mit 
den Schwingungen beginne. 

2. Beim Aufwärtsschwung (Exspirium), welchen ich, 
S c h u 11 z e s Vorschriften entsprechend, sanft und mit ge¬ 
ringer Kraftentfaltung vornehme, lasse ich nicht erst in Kopf¬ 
höhe mit dem Schwünge nach, sondern schon unter Brusthöhe 
und vollende diese Bewegung mit einer Vorwärtsbewegung im 
Winkel von 45° gegen den Horizont, damit ja der Unterkörper 
des Kindes sanft überfällt und das „Ueberkippen“ vermieden 
wird. 

S c h u 11 z e selbst warnt wiederholt vor dem „Ueber- 
kippenlassen“, weil dies den Effekt der Exspiration vermindere. 
Doch gibt er als Probe, ob man die Grenze nicht überschritten 
habe, an: man möge zum Schlüsse der Bewegung, wenn der 
kindliche Thorax auf beiden Daumen ruhe, alle übrigen Finger 
entfernen. Bleibe das Kind ruhig auf den Daumen liegen, dann 
habe man weder zu viel noch zu wenig nach oben geschwun¬ 
gen. Das ist nach meiner Ueberzeugung schon zu viel „über¬ 
gekippt“. 

Beim zu starken Ueberkippen wird nämlich der Effekt der 
Exspiration, welcher durch Kompression des Thorax durch die 
Daumen erzielt wird, dadurch wieder parallisiert, dass die 
Leber aus der Zwerchfellkuppel bauchwärts gedrängt wird und, 
indem sie das Zwerchfell mitnimmt, die Raumabnahme durch 
eine kompensatorische Raumzunahme wieder ausgleicht. Bei 
der von mir eingeführten Bewegung hört man oft, wie die 
Leber in die Zwerchfellkuppel hineingravitiert und die Luft aus 
den Atemöffnungen herauspfeift. 

3. Um den Uebergang von dieser sanften Aufwärtsbewe¬ 
gung zu der vernunftmässigen kräftigen Abwärtsbewegung 
besser finden zu können, ordne ich eine kurze Pause an, ich 
lasse absetzen und lasse dann für den kräftigen Abwärts¬ 
schwung förmlich ausholen. 

Bedauerlicherweise lassen sich die sicherlich vorhandenen 
stärkeren Druckschwankungen und grösseren einströmenden 
Luftmengen nicht leicht messen (S c h u 11 z e hat 26 ccm als 
Durchschnitt für eine Schwingung spirometrisch bestimmt). 

Ich bin der Ueberzeugung, dass sie durch meine kleinen 
Verbesserungen beträchtlich grösser sein werden. Ver¬ 
gleichende spirometrische Messungen müssten angestellt 
werden. Auch graphische Darstellungen in Diagrammen w ären 
erwünscht. 


Die Borsäurebehandlung bei Mittelohreiterungen. 

Von Stabsarzt Dr. R. Dölgcr in Frankfurt a. M. 

Be z old hat im Jahre 1S79 als erster die Borsäure zur 
Behandlung der akuten und chronischen Mittelohreiterungen 
empfohlen. Die von ihm damals angegebene Methode, die 
sogen. Borsäurebehandlung, setzt sich aus folgenden Momenten 
zusammen: 

1. Ausspritzung mit warmer 4 proz. Borlosurig vom Gc- 
hörgang aus zur Reinigung des Gehorganges und der Pauken¬ 
höhle (neuerdings vielfach ersetzt durch Fmgiessen einer er¬ 
wärmten 3 5 proz. \\ asserstoffsupero\\dioMing in den Ge¬ 
hörgang, die man etwa 5 Minuten emwirken kost). 

2. Luiteintreibimg durch die Ohrtrompete, sofern nicht 
Unreinigkeiten, z. B. Schnupftabak, oder Fnt/iinJimgscrschu- 
nungen in der Nase und im Nasenrachenraum dagegen 
sprechen. 

3. Gründliche Austrocknung des Gehorganges und der zu¬ 
gänglichen Teile des Mittelolires mittels w atteumw ickelter 
^onde. 

4. Insufflation von fein zerstäubtem Borpulver (es genügt 
so viel des Pulvers, dass das Trommelfell, die etwa frei¬ 
liegende Paukenhöhle und die Gehörgangswäudc dünn bestäubt 
sind; es schadet aber auch nichts, wenn ein grosseres Ouan- 
tum eingeblasen wird). 

5. W atteverschluss. 

Bei stärkerer Eiterung bezw. bei üblem Geruch des Se¬ 
krets findet diese Behandlungsw eise täglich, bei Nachlassen 
der Eiterung bezw . Aufhoren des üblen Geruches 2 3 mal 
wöchentlich statt. 

Die Methode hat sich bald viele Anhänger erworben. DoGi 
auch gegnerische Stimmen blieben nicht aus. die ihre Um¬ 
wände vor allem gegen die unterschiedslose Durchführung der 
Borsäurebchandlimg bei der Gesamtheit der Mittel»’hreite- 
rungen, insbesondere bei kleinen und hochgelegenen Per¬ 
forationen geltend machten, indem dadurch „Retentionen des 
Eiters" und „sekundäre Entzündungen am Warzentcil mit 
allen ihren verhängnisvollen Konsequenzen' 4 veranlasst 
würden. 

Diesen Einwändeu trat Be z old im Jahre 1S S 7 entgegen 
in einer Arbeit „über die Borsüurebehandiuug bei Mittelohr- 
citerungen und die gegen dieselbe erhobenen Emwiirfe“. an 
deren Schluss er sagt: „Seine taulnisw idrigen Eigenschaften, 
seine nicht reizende Form (ausser in den seltener. Fallen von 
Idiosynkrasie), sein geringes spezifisches Gewicht, seine Lös¬ 
lichkeit, seine kapilläre Attraktionsiähigkeit und seine leichte 
Entfernbarkeit, das sind Vorzüge genug, wcUhc dieses Anti¬ 
septikum in glücklicher Weise in sich vereinigt, um dem¬ 
selben, nachdem es so rasch allgemeine Einbürgerung ge¬ 
funden hat, seinen Platz in der Therapie der Mittelohreiterungen 
zu wahren." Neuerdings wäre dem noch ha znzuiugen die 
spezifische Wirkung der Borsäure gegen den Pyozyaneus, 
sowie die prognostische Bedeutung der Borsäurebehandlung 
bei chronischen Mittelohreiterungen, insofern als anhaltender 
übler Geruch auf Knojicnprozcsse oder auf entferntere, 
unserer gewöhnlichen Behandlung nicht zugängliche Erkran- 
kungsherde hinweist. 

Trotz dieser sachlichen Widerlegung und der mit der Bor¬ 
süurebehandiuug erreichten günstigen RcMibate. wie sie in den 
zahlreichen Berichten aus der Br/ftld vheii Klinik und in 
vielen Arbeiten von Bezolds Schülern und Anhängern zum 
Ausdruck kommt, verstummten die obigen Umwände nicht. 
Immer wieder wird da und dort selbst von zuverlässigster 
Seite der Vorwurf geltend gemacht, dass die Borsäure mit dem 
Eiter zusammenhacken und kleinere Perforationen verlegen 
kann, so dass nachteilige Eiterverhabungen entstehen. 

Dies hat mich veranlasst, einmal Versuche darüber an- 
zu stellen, ob nicht etwa in der Beschaffenlu ;t des Borpu’vers 
selbst die Ursache der verschiedenen Beiir'c !..■ / und Erfolge 
gelegen sein könne. Auf meine Veranlassung hin hatte Herr 
\p» dieker l’r. E r e s e n i u s. M;rschjp-'*bUM’ in Frank¬ 
furt a. M., die I.iebetisw iirdigke ix. eine Vvahl fe i st ge¬ 
pulverter Borsäure aus vereine,!» reu f a v -».en kommen zu 
lassen und gemeinsam mit mir auf ihre l. v Jtkeit. d e ja der 
I beste Massstab für ihre Gute iiberlnnm* zu untersuchen. 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1745 


Diese Versuche nun haben folgendes ergeben: 

Es lösten sich unter genau gleichen Verhältnissen 
Probe 1 und 5 in je 30 Sekunden, 

Probe 3 in 40 Sekunden, 

Probe 4 in 1 Min. 30 Sek., 

Probe 6 in 2 Min. 30 Sek., 

Probe 2 in 4 Min. 30 Sek. 

Bei den letzteren: Proben ist noch als ganz besonders be¬ 
merkenswert hervorzuheben, dass das Pulver zunächst eine 
unlösbare Schicht auf der Flüssigkeit bildete, die erst bei 
kräftigem Umschütteln unter Bildung kleiner zusammen¬ 
geballter Kügelchen allmählich in der oben angegebenen Zeit 
zur Auflösung kam. Im Gegensatz hierzu verteilte sich bei 
den crsteren Proben das Pulver sofort in gleichmässigen 
feinen Partikelchen in der Flüssigkeit, ohne zusammen¬ 
zubacken, um sich dann in den oben angegebenen Zeiten ganz 
aufzulösen. Interessant ist, dass die beiden Proben 1 und 2 
verschiedene in den Handel kommende Präparate ein und der¬ 
selben erstklassigen Firma darstellen. 

Es folgt hieraus, dass die im Handel befindlichen Borsäure¬ 
präparate in ihrer Wasserlöslichkeit ausserordentlich variieren. 
Wahrscheinlich findet diese Verschiedenheit schon ihren Aus¬ 
druck in den sehr verschiedenen Preisen, zu welchen die Bor¬ 
säure im Handel ist. Die Preise schwanken in Differenzen 
von 10 M. und mehr pro 100 kg, obwohl auch das billigste 
Präparat noch den Anforderungen der Pharmakopoe entspricht, 
welche ihrerseits nur eine langsame Löslichkeit in 25 Teilen 
kalten Wassers vorschreibt. 

Die obigen Ergebnisse berechtigen nun zu der Annahme, 
dass auch beim Mittelohreiter die verschiedenen Borsäure¬ 
präparate sich verschieden verhalten und lassen es notwendig 
erscheinen, künftighin mehr als bisher bei der therapeutischen 
Verwendung der Borsäure auf Reinheit und gute Löslichkeit 
derselben zu achten. Wird dabei noch die Bezoldsche Me¬ 
thode genau befolgt, so darf wohl mit Recht erwartet werden, 
dass die bisher vorgebrachten und nach den jetzigen Fest¬ 
stellungen sicher vielfach auch berechtigten Einwände gänz¬ 
lich verstummen werden. 

Zum Schlüsse spreche ich auch an dieser Stelle Herrn 
Dr. F r e s e n i u s für die liebenswürdige Unterstützung meinen 
verbindlichsten Dank aus. 


Aus der Kgl. Universitäts-Augenklinik München (Vorstand: 
Professor Eversbusch). 

Ein weiterer Fall von Augenerkrankung mit einem künst¬ 
lichen Düngemittel. 

Von Dr. Richard Hessberg, ehemaligem I. Assistenten 
der Klinik. 

Wenige Tage nach dem Erscheinen der Mitteilung von B o n d i 0 
über einen Fall von Augenerkrankung nach Arbeit mit einem künst¬ 
lichen Düngemittel trat am 17. April a. c. der Schuhmacher Franz K., 
62 J. alt, aus Leidling bei Neuburg a. D. in die Behandlung der 
Kgl. Universitäts-Augenklinik mit der Angabe, es sei ihm am 9. IV. 
beim Ausstreuen von Kunstdünger — und zwar von Superphosphat — 
durch den Wind etwas davon in das Auge geflogen. Das Auge habe 
nur wenig gebrannt. 2 Tage später sei eine heftige Entzündung ein¬ 
getreten. die ihn auf Rat seines Arztes veranlasste, die Klinik auf¬ 
zusuchen. 

Die Untersuchung ergab einen mittelgrossen Mann von senilem 
Habitus mit gesunden Organen. 

Das rechte Auge ragte mit den Lidern 2’A* cm gegen das linke 
Auge vor (cf. Abbildung). Ober- und Unterlid waren blaurot ver¬ 
färbt, bretthart infiltriert und so stark geschwellt, dass der Lidspalten¬ 
bezirk um 8 mm offen stand und die Lider nicht ganz geschlossen 
werden konnten. Die Infiltration und Schwellung ging nach innen bis 
zum Nasenrücken, nach oben bis zum Supraorbitairand. nach aussen 
bis zur äusseren Lidkommissur und nach unten bis zur Nasolabial- 
falte. In der Gegend des Tränensackes war noch eine besonders iso¬ 
lierte blaurote Infiltration der Haut, auf deren Kuppe ein kleines 
Abszesschen sass. Im Lidspaltenbezirk lag reichlich gelblich-eitriges 
Sekret. Nach seiner Entfernung erschien in dem kleinen, schmalen 
Bezirk, der sich bei der äusserst schmerzhaften und prallen Infiltration 
der Lider freilegen liess, die Conjunctiva bulbi mit dicken nekro¬ 
tischen grau-gelblich-grünlichen Fetzen und Membranen belegt, die 
sich jedoch nur in der dem normalen Lidspaltenbezirk entsprechen¬ 
den Zone finden. Die übrige Conjunctiva bulbi erschien, soweit dies 


*) Münch, med. Wochenschr. 1908, No. 15, S. 802. 


durch Empordrängen der Lider sichtbar gemacht werden konnte, frei 
von diesen Auflagerungen, jedoch hochgradig infiltriert und ge¬ 
schwellt. Die Hornhaut war z. T. von den fetzigen Belägen der 
Conjunctiva bulbi überlagert, mit tiefen ringabszessähnlichen Ulzera- 
tionen bedeckt und total gelblich getrübt. Die Kammer war an¬ 
scheinend sehr tief. Die Iris hochgradig schmutzig-eitrig belegt und 
verfärbt. Die Pupille war eng, völlig reflexstarr, das Auge selbst 
unbeweglich. 


V. c.: Amaurose. 

Auf Sublimatumschläge 1:5000 ging zunächst die Schwellung 
der Lider etwas zurück, so dass der Lidspaltenbezirk sich um 2 bis 
3 mm weiter öffnen liess. Im weiteren Verlauf bildete sich am Unter¬ 
lid eine Fistel, aus der sich reichlich Eiter entleerte. Die Infiltration 
des Oberlides nahm wieder so zu, dass das brettharte Lid sich nicht 
über die Hornhaut wegschieben liess. — In den angelegten Kulturen 
wuchsen nur weisse Staphylokokken. — Unter stärkerem Tempera¬ 
turanstieg nahm am 21. April die Infiltration des Oberlides noch zu 
und verursachte heftige Schmerzen. Mit einer fast septischen Fieber¬ 
kurve bis zu 39,5° wurde am 24. IV. die jetzt stark fluktuierende 
Geschwulst des Oberlides durch Inzision bis auf den Knochen eröffnet, 
wobei sich reichlich Eiter entleerte. Darauf trat plötzlicher Tempera¬ 
turabfall ein. 

Am 26. IV. bildete sich spontan unter dem Unterlid nach aussen 
nahe dem äusseren Augenwinkel eine tief in die Orbita hinein¬ 
reichende ca. 3 cm lange Abszesshöhle, aus der sich ebenfalls reich¬ 
lich Eiter entleerte. Auch in den aus diesem Eiter angelegten Kul¬ 
turen wuchsen nur weisse Staphylokokken. — Im weiteren Verlauf, 
wobei die Behandlung in täglicher Tamponade der Abszesse und 
feuchten Verbänden bestand — schmolz die Hornhaut eitrig ein und 
perforierte am 30. IV. Daraufhin stand der Prozess. Konjunktiva und 
Irisprolaps reinigten sich unter Wärmeapplikationen. Gleichzeitig 
ging die Protrusion des Bulbus erheblich zurück. — Nach erfolgter 
Herauslassung der Linse durch Spaltung des Prolapses, wobei der 
abfliessende trüb gelblich gefärbte Glaskörper zeigte, dass der Pro¬ 
zess auch bis hierhin vorgedrungen war, trat allmähliche Heilung in 
Phthisis bulbi und Vernarbung des Irisprolapses ein, mit gleich¬ 
zeitigem Verschluss der Abszesshöhlen durch Granulationsbildung. 
Am 19. VI. konnte Patient als fast geheilt entlassen werden. 

V. c. oc. dextr.: Amaurose. 

Das ist in kurzen Zügen der Verlauf dieser überaus 
schweren — unter dem Bilde der Panophthalmitis — ver¬ 
laufenden Erkrankung. Es handelte sich in dem vorliegenden 
Falle um Hineinfliegen von Superphosphat, das von Aug¬ 
st e i n 2 ) „als das hauptsächlichste — vielleicht sogar allein 
schädigende — Düngemittel angesehen wird“. Der vorliegende 
Fall ist um so bemerkenswerter, als keiner der bisher be¬ 
schriebenen mit derartig schweren Erscheinungen der Mit¬ 
beteiligung des ganzen Orbitalinhaltes einherging. Auch in 
dem A u g s t e i n sehen Fall war in dem gebrauchten Kunst¬ 
dünger Superphosphat enthalten. Die Folge war eine bläulich- 
weisse Trübung und Stippurig der Hornhaut mit einzelnen 
nekrotischen Stellen. Auch hier waren die Augen prominent 
und die Lider so prall geschwellt, dass sie nur mit Mühe von 
den Augäpfeln abgezogen werden konnten. Es traten jedoch 
keine Symptome von Panophthalmitis hinzu, ja es konnte spä¬ 
terhin durch eine Iridektomie eine wenn auch geringe Besse¬ 
rung der Sehschärfe erzielt werden. — In dem zweiten, auch 
von A u g s t e i n mitgeteilten Falle des Herrn Hofrat Rhein- 


5 ) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 45. Jahrg. 1907, II., pag. 563. 




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1746 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


München trat durch Superphosphat eine eitrige Bindehautent¬ 
zündung an einem kurz vorher wegen hochgradiger Myopie 
operierten Auge ein, durch welche „die junge Operationsnarbc 
erweicht und infiziert wurde“ — so dass Ausgang in Erblin¬ 
dung eintrat. Auch hier ist nichts von den Erscheinungen 
eines panophthalmitischen Prozesses erwähnt. Die anderen, 
durch Kainit oder Thomasschlacke entstandenen Verätzungen 
— es sind mit dem Bon di sehen Fall jetzt im ganzen 5 be¬ 
schrieben — verliefen wesentlich weniger gefährlich. Die 
Augen behielten alle eine mehr oder weniger gute Sehschärfe. 

Es kann daher, wie auch jüngst wieder aus der Aug¬ 
st e i n sehen 1 Klinik von Sommer 3 ) betont wurde,- nicht 
genügend auf die Gefahren beim Gebrauch von künstlichen 
Düngemitteln — insbesondere des Superphosphat - aufmerk¬ 
sam gemacht werden. 

Man kann sich den Vorschlägen Sommers nur an- 
schliessen: „Das Ausstreuen sollte möglichst mit Maschinen be¬ 
sorgt werden. Stets muss mit dem Winde und nie gegen 
ihn gearbeitet werden . Die Arbeit ist eventuell mit Schutz¬ 
brillen zu verrichten. Berührungen der Augen mit den Händen 
sind dabei zu vermeiden (auf diese Weise dürfte im vorliegen¬ 
den Falle nicht zuletzt die Sekundärinfektion mit Staphylo¬ 
kokken zustande gekommen sein). 

Als besonders günstiger Umstand konnte cs betrachtet 
werden, dass das gesunde linke Auge unverletzt blieb. 

Meinem hochverehrten Chef, Herrn Geheimrat Prof. Dr. 
Eversbusch bin ich für die Ueberlassung des Falles und 
die Anregung zu dieser kleinen Mitteilung zu besonderem 
Danke verpflichtet. 

Nachträglicher Zusatz bei d *■ r Korrektur. In 
dem Bericht über die Sitzung der „Vereinigung der Augenärzte der 
Provinz Sachsen *Tc.“. Klin. Monatsblätter I9us. Junihcft, ist ein 
weiterer von S c h m i d t - R i m p I e r vorgestellter l all von Kunst¬ 
düngerverletzung (Superpliosphaat) des Auges spez. der Hornhaut 
reieriert. Schmidt-Rim plcr bemerkt dazu, dass er mehryre 
Fälle der Art gesehen habe und betont besonders als Beweis für die 
direkte Verätzung, dass niemals ein Ulcus serpens dabei beobachtet 
wurde. 


Ueber Zystenbildung aus Resten des Processus vermi¬ 
formis. 

Von Mannestabsarzt Dr. MacLean, s. Z. ord. Arzt der 
Chirurg. Abteilung des Gouvernemehtslazarctts in Tsingtau 
(Kiautschou). 

Unter vorstehendem Titel veröffentlichte in No. 41 des 
52. Jahrganges dieser Wochenschrift K 1 e tu ju 3 Fälle, die das 
Gemeinsame hatten, dass sich infolge eines appendizitischen 
Anfalles eine spontane Trennung der Appendix vom Zockum 
vollzogen hatte, und dass von dem getrennt zurückbleibenden 
Teil des Wurms schwere Rezidive ausgingen, die erst nach Ent¬ 
fernung der zystischen Appendixreste geheilt wurden. 

Da derartige Fälle einerseits selten, andererseits mir für 
die Praxis nicht ohne Wichtigkeit zu sein scheinen, teile ich 
im folgenden einen ähnlichen Fall mit: 

Matrose M, 20 Jahre alt, gibt an, im 12. Lebensjahre eine Blind¬ 
darmentzündung, vor etwa 14 lagen 2 aufeinanderfolgende Anfälle 
von Schmerzen in der Blinddarmgegend Überstunden zu haben. 
Heute morgen sei er dann plötzlich mit sehr starken kolikartigen 
Schmerzen in der Gegend des Blinddarms, aber auch des Oucr- 
kolons und Erbrechen erkrankt; Stuhl sei noch heute morgen ei folgt. 
Da auf seinem Torpedoboot kein Arzt sei, komme er — zu Buss — 
ins Lazarett. 

Status praesens 7. XI. Ob 10 Uhr vormittags: Kräftiger 
Mann in gutem Ernährungszustand. Er liegt wimmernd, zusan men¬ 
gekrümmt, ständig aufstossend und zuweilen erbrechend auf der 
rechten Seite. Temperatur: 37.8", Puls 94 regelmässig. Klopfschall 
über dem ganzen Bauch tympanitisch. Abdomen kaum aufgetrieben, 
links weich, rechts deutliche Muskelspannung und ungemein starke 
Druckempfindlichkeit in der Blinddarmgegend bei leisester Be¬ 
rührung. Resistenz nicht nachweisbar, auch nicht per rectum. 

Sofortige Operation vorgeschlagen, aber abgelehnt. Ord.: 
Beuchter Verband, völlige Enthaltung von Nahrung und Getränk. 

Nachdem im Laufe des Nachmittags der Puls auf 113, die Tem¬ 
peratur auf 39,0" gestiegen ist, willigt M. 8 Uhr abends ca. 12 Stunden 
nach Beginn des jetzigen Anfalls, in die Operation, die sofort in 
Mnrphiiuu-Clilorofnfinnarku.se ausgefiihrt wird : 


3 ) Wochensehr. f. Tlierap. u. Hygiene d. Auges, 1908, No. 22, 
S. 173. 


Schnitt rechts neben dem äusseren Rektusrand. Parmschlingcn 
mit glasigen, gelatinösen Massen und flachenhaitcn Eibrmauflagc- 
rungen belegt, allseitig durch derbe aber ziemlich insehe Adhäsionen 
verwachsen und am parietalen Bauchfell angelotet. Besonders starke 
Verwachsungen zwischen Zockum und Darmbeinschauiel. Nach 
Trennung der oberflächlichen Verklebungen und Abschluss des 
Operationsgebietes gegen die freie Bauchhöhle wird beim Losen des 
Zoekums von der Bcckcnschauiel ein w .ilnussgrosser Abszess er¬ 
öffnet und ausgetupft, dessen Wand zum Teil vom oralen 1 eile des 
Wurmfortsatzes gebildet wird. Noch ein zweiter kleiner Abszess 
w ird eröffnet beim Versuch, die Appendix, die in ihrem \ erlauf nadi 
dem kleinen Becken weist, stumpf zu isolieren, dann von weiteren 
Lösungsversuchen Abstand genommen. Das gut zugängliche. biei- 
stiftdieke und kaum veränderte orale Lude des Wurms wirJ n;iJi 
doppelter Unterbindung dui chsehmtteu. der Mump! unter Man- 
schettenbildung ins Zockum cingcstulpt, das andere Lndc am l nter- 
bindungsfaden zur Wunde herausgeleitet, diese locker tamponiert. 

8. IX. Temperatur 3o.il. Puls 73, W ohibetnidcn. 

10. IX. Sehr gelinge Sekretion aus der Wunde, sekundäre Nabt 
des oberen Teiles derselben im Actheiausji. Abtragung des aus der 
Wunde herausragenden Teiles des Wurms mit dem Paquchn. Tam¬ 
ponade. 

IS. IX. Temperaturanstieg bis 3\4 *. Wunde reizlos. 

Am nächsten Morgen inulet sich im Verband eine grossere 
Menge kotig riechenden Liters, die augenscheinlich neben dem Wurm 
aus dem kleinen Becken nach der Wunde durchgehrochen ist. Is 
erfolgt iiini rasche Heilung. M. wird mit fast stnchfornngcr. fester 
Narbe am IS. X. zur Erholung ins Gebirge geschickt. 

liier erkrankte er am So. \. unter Schmerzen in der rech,teil 
Unterbauehgegeiid, IToSt, Temperatur 3 V» “, Puls b«h Bei somr 
am 4. XI. erfolgenden Wiederaufnahme ms Krankenhaus war er 
lieber- mul fast beschwer Je frei, nur jiihlte man zwischen dem 
unteren Teil der festen Narbe und der rechten Beukcnschauiel eine 
seharf umgrenzte, glatte, massig druckempfindliche. htihner eigrosse 
Geschwulst. Ord.: Bettruhe, feuchter \crhaiul. 

Die Geschwulst wird regelmässig kleiner, macht gar keine Be¬ 
sehwerden. ist aber bei der am 7. XII. erfolgenden Entlassung noch 
als etwa walmissgrosse, unempfindliche Resistenz deutlich zu fühlen. 

Ich sah nun den Kranken 3 Monate lang nuht. Erst am 
14. III. 07 kam er wieder ins Lazarett mit der Angabe, er habe in¬ 
zwischen 3 weitere Anfälle von ..Bhudarrncntzimdurig'’ gehabt, einmal 
mit hohem Eicher; er hatte sich aber jedesmal lladi 1 3 lagen 

wieder wohl gefühlt, .letzt habe er wieder seil 3 Tagen heilige 
Schmerzen ohne Storung des Allgemeinbefindens. 

14. III. 07. Status praesens: Puls (>3. Temperatur 3»».n •. 
Am unteren Ende und etwas ausserhalb der iast strubn r mige n. 
festen Operationsnarbe fnlili man. der rechten Beckensdtaufel an¬ 
liegend. eine umschriebene, in der Mitte staik elnukcn.pf udlmkc. 
fast faustgrosse Geschwulst. Sonst regelrechter Befund. 

3. IV. i»7. Nach fast 3 w oc Inger Ruhe hat sich die Geschwulst auf 
Hühnereigrosse verkleinert und ist uncniptiridlich geworden. 

4. IV. 07. Operation in M<»rphiiini-Lh!orof..rmtiarkove: 10 em 
langer Schnitt etwas ausser- und untei halb der Narbe. An dein etwas 
schwartig verdickten Zockum ist die seinerzeit mit Mule ubern.dite 
Amputatiorisstcllc trotz genauesten Zusehens mdit zu entdecken. In 
der liefe nach dem kleinen Hecken zu fühlt mail eine rundliche, gut 
walnussgrosse Geschwulst, die deutlich fluktuiert und sich bequem 
mit den sie umgebenden Schwarten und einer lest adh.ircnten Diinn- 
darmsehlinge vor die Wunde lagern lasst. Da die \ erw aehsungeii 
sehr fest sind, wird scharf Vorgegangen und \ er sucht, die Zvste 
subseros auszusehaien. was zu etwa A gelingt. Darm platzt die 
Zvste und entleert etwa einen I hveloiiel v<A| trüber, schleimiger. 
Blocken enthaltender Elnssigkeit. ehe teils aut-gi langen, teils abge¬ 
tupft wird. Der Zvstensack wird nun schart abgetragen, der etwa 
2 cm lange. 1 cm breite, in den Schwarten zur iickbie ibcnJe I eil der 
Wand wird mit dem Paqtielm \erodet. das Bett der Aste grössten¬ 
teils übernäht. Von hier aus ein Gazestreifen nach aussen geleitet 
und die Bauchwunde bis auf die Kieme Dramageoffnung in I tagen 
vernäht. 

Nach 3 Tagen wurde der Tampon entfernt. Es erfolgte glatte 
Heilung, so dass M. 14 Tage nach der Operation mit fester Narbe 
beschwerde-frei entlassen werden konnte. Bis Oktober l»7 ist cm 
Rückfall nicht wieder aufgetreten. 

Die cxstirpicrtc A Steilwand erwies sidt makroskopisch und 
mikroskopisch zweifellos als Darmw and. Die Mukosa war mit 
punktförmigen Blutungen diifchset/t. wie man sie bei irischen 
Appendizitiden so häufig findet, die Musku’.tris war stark h\ per- 
trophiseh. Im Aslcmnhalt landen sidj im Ausstrich keine Bakterien, 
kulturell spärliche kohkötönicn. Der Dur c Inriesser vier fast Kugel¬ 
runden Zyste bet i ug etwa 3 em. 

Die 3 Fälle von K I e in m iir.J der nie.tilge bähen das Ge¬ 
meinsame. dass ein Teil des \\ iirni4t>m.i;/cs abgetreimt war. 
bei den Klemm sehen Laden durch Schwere appeudi/ftisdic 
Anfälle, bei meinem Patienten durch das Messer. Aus den 
Wurmresten entwickelten Meli in a’Yn 4 1 a bn /.\stcn dadurch, 
dass die Mukosa iortmhr, m se/ernurui. I Le Zy^ic Schwoll 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1747 


— so nehme ich für meinen Fall an — allmählich an, ohne son¬ 
derliche Beschwerden zu machen, bis ein gewisser Spannungs¬ 
grad erreicht war, dann platzte sie und ergoss ihren Inhalt in 
die durch die früheren Prozesse veränderte Umgebung. Es 
entstand ein „Anfall“, wie er bei meinem Patienten sich 5 mal, 
in dem ersten der Klemmschen Fälle sogar 12mal wieder¬ 
holte. In dieser Zeit war dann ein faustgrosser, schmerzhafter 
Tumor fühlbar, der nach einer gewissen Zeit resorbiert war. 
Die Perforationsöffnung schloss sich wieder, die Mukosa sezer- 
nierte weiter und das Spiel begann von neuem. Dass die An¬ 
fälle so relativ gutartig abliefen, erkläre ich mir einerseits aus 
•den schwartigen Veränderungen der nächstem Zysten- 
umgebirng, andererseits aus der geringen Virulenz des nur 
spärliche Kolistäbchen enthaltenden Sekretes. 

Die Diagnose war bei meinem Fall im Qegensatz zu den 
von Klemm mitgeteilten sehr leicht zu stellen. Wenn ich 
ihn trotzdem für ausführlicher Mitteilung wert gehalten habe, 
so ist es folgender Umstand: Es ist nach meiner Erfahrung 
nicht ganz selten, dass sowohl im entzündlichen Stadium wie 
im freien Intervall sich nach Eröffnung der Bauchhöhle das 
distale Ende der Appendix fest in Schwarten eingemauert er¬ 
weist, deren Lösung bei den entzündlichen Fällen ein Einreissen 
des morschen Wurms oder eine Infektion der freien Bauch¬ 
höhle, bei den Intervalloperationen eventuell ein Abreissen der 
stellenweis obliterierten Appendix fürchten lässt. (Ich erinnere 
nur an die von Prof. La n z-Amsterdam in No. 4 dieser 
Wochenschrift 1906 mitgeteilten beiden Fälle.) Im ersteren 
Falle wird man dann, wie ich, gezwungen sein, die „Appendiko- 
stomie“ auszuführen, im zweiten sich vielleicht verführen 
lassen, den Rest der Appendix ruhig in der Bauchhöhle zu 
lassen und sich mit dem Gedanken zu trösten, dass der zurück¬ 
gelassene Teil wohl gänzlich obliteriert und damit unschädlich 
sein werde. 

Die angeführten Fälle beweisen, dass ein solcher zurück- 
gelassener Teil schwere Anfälle auszulösen imstande ist, dass 
also eine radikale Entfernung, eventuell durch Nachoperation, 
in jedem Falle amzustreben ist. Vielleicht lohnt es noch, auf 
die Möglichkeit hinzuweisen, dass ein solcher unvollkommen 
operierter Patient mit einem seiner Rückfälle zu einem anderen 
Arzt, vielleicht zu einem Internen geht, der dann ohne Kennt¬ 
nis von dem Zurückbleiben eines Wurmrestes einmal dem 
Kranken nicht helfen kann, dann aber auch einen der beliebten 
Fälle von „Appendizitis nach Appendizektomie“ konstatiert, 
die beim praktischen Arzt und beim Publikum auch jetzt noch 
mancherorts geeignet sind, an der segensreichen chirurgischen 
Therapie der Appendizitis Zweifel aufkommen zu lassen. 

Zur Therapie der Narbenkontraktur der Hand. 

Von Dr. K. Vogel, Privatdozent für Chirurgie. 

In No. 28 dieser Wochenschrift beschreibt Herr Qeheimrat Reis¬ 
mann- Haspe ein Verfahren, hochgradige narbige Kontraktur der 
Hohlhand, entstanden durch Verbrennung, zu heilen. £r sucht zu¬ 
nächst den Zustand der Hand, wie er bald nach dem Unfall bestanden 
hat, wieder herzustellen, indem er die Finger in stärkster Flexions¬ 
stellung haltenden Narbenmassen quer bis auf die Sehnen spaltet, 
mit einer ganzen Reihe von Schnitten; dann gelingt die Streckung. 
Die Finger werden ietzt in Extension gehalten bis zur Ueberhäutung 
der geschaffenen Wunden. Es tritt ein teilweises Rezidiv ein, jenes 
Verfahren wurde wiederholt und eine dann noch Testierende Span¬ 
nung der Narbe der Hohlhand in bekannter Weise beseitigt durch 
Mobilisierung dieser Narbe in Form proximaler Umschneidung und 
Unterminierung, Distraktion des Defektes durch maximale Extension 
der Finger und T h i e r s c h sehe Transplantation. 

Das Resultat ist ietzt, nach zwei Jahren, ein sehr schönes. 

R. erwähnt dann einen von mir vor ca. 2 Jahren operierten 
ähnlichen Fall 1 ), in dem ich die Narbenkontraktur dadurch be¬ 
seitigte, dass ich die Schwiele im Gesunden entfernte und in 
den Defekt die Haut des Zeigefingers, den ich im übrigen opferte, 
einnähte. R. ist geneigt, sein Verfahren vorzuziehen gegenüber dem 
Opfer eines Fingers, „zu dem sich mancher Patient und Arzt wohl 
nicht leicht entschliessen wird 4 *. 

Ich möchte dazu zunächst bemerken, dass es sich in meinem 
Falle nicht um Kontraktur nach Verbrennung, wie R. an¬ 
nimmt, handelte, sondern um eine Maschinenverletzung, die den 
Zeigefinger frakturiert hatte. Diese Fraktur war mit Dislokation und 


*) Diese Wochenschrift 1907, No. 4: Ueber Operationen an den 
Händen und deren Vorbereitung. 


totaler Ankylose des I. Interphalangealgelenkes geheilt, der Fin¬ 
ger also nicht nur unbrauchbar, sondern hinder¬ 
lich. Seine Entfernung war demnach kein Opfer, sondern auch an 
sich durchaus indiziert. 

Hiervon aber ganz abgesehen möchte ich, trotz des zweifellos 
schönen Erfolges in dem Falle von R., auch jetzt noch an meinem 
damaligen Vorschläge festhalten, „dass man auch dann, wenn kein 
Finger ganz unbrauchbar ist, sondern mehrere Finger zwar narbig 
kontrakturiert, aber alle beschränkt tüchtig sind, oft besser tun wird, 
einen zu entfernen, um mit der dadurch gewonnenen Haut narbige 
Defekte der anderen zu decken und so diese voll funktionsfähig zu 
machen.“ 

Dass man auch durch Jenes konservative Verfahren unter Auf¬ 
wand von unendlicher Arbeit, Konsequenz und Geduld seitens des 
Arztes und des Patienten Erfolg erzielen kann. Ist nicht zu be¬ 
streiten, aber ich glaube, diese guten Erfolge werden seltene Aus¬ 
nahmen sein. Wieviele Patienten werden sich dreimal operieren 
lassen und sich der schmerzhaften und langwierigen Nachbehandlung 
unterziehen, insbesondere wieviele Unfallversicherte? 

Dazu kommt, dass die Methode zweifellos immer im Erfolg un¬ 
sicher ist. Oft werden Rezidive eintreten. R. beruft sich auf günstige 
Erfahrungen bei Kindern, die er sofort nach der Verletzung analog be¬ 
handelte. Es besteht aber auch wohl ein Unterschied zwischen der 
Restitutionsfähigkeit der kindlichen Gewebe und der Möglichkeit 
der Wiederherstellung ihrer Elastizität gegenüber dem Erwachsenen, 
besonders einer schwieligen Arbeiterhand. 

Dazu kommt, dass die sozialen Momente, die dem Erwachsenen 
eine so lange Behandlung oft unmöglich machen, beim Kinde weg¬ 
fallen. 

Ich habe meinen Patienten noch wiedergesehen. Seine Hand ist, 
abgesehen von dem Defekt des Zeigefingers, ganz normal,. Schon 
2 Monate nach der Operation hatte die in die Hohlhand eingeschlagene 
Haut vom Zeigefinger vollkommen den Charakter der Haut der Vola 
manus angenommen, die Furchen waren genau wie auf der gesunden 
Seite. Der Patient war nur drei Wochen im Krankenhause gewesen, 
die Operation war einfach, jede Nachbehandlung, ausser leicht aus¬ 
zuführenden und unempfindlichen Gelenkbewegungen, unnötig und 
das Resultat, auch für die Zukunft, so gut wie absolut sicher. 

Diese Möglichkeit, dem Patienten so gut wie sichere Heilung 
in kurzer Zeit, mit wenig Mühe und Schmerz, versprechen zu können, 
fällt doch sehr in die Wagschale gegenüber der unsicheren Prognose 
jenes konservativen Verfahrens und dürfte meist die Scheu des Pa¬ 
tienten vor dem Verlust eines Fingers besiegen. Er kommt doch mit 
vollkommen unbrauchbarer Hand zum Arzt und dürfte meist beglückt 
sein, wenn man ihm die. Wiederherstellung von vier Fingern ver¬ 
spricht, wenn auch unter Opferung des fünften. Diese Methode 
möchte ich auch den vielfach empfohlenen zweizeitigen Verfahren, die 
die Haut von entfernteren Körperteilen (Hodensack etc.) hernehmen, 
vorziehen. Uebrigens beweist die Mannigfaltigkeit dieser Vorschläge, 
dass die Chirurgen mit der doch sicher einfachsten Deckung der 
narbigen Defekte mit T h i e r s c h-scher Transplantation im allge¬ 
meinen schlechte Erfahrungen gemacht haben, dass also Erfolge, wie 
die von R., Ausnahmen sind. 

Im Anschluss an diese Ausführungen möchte ich die Gelegenheit 
benützen, noch einmal meinen in oben erwähntem Aufsatz gemachten 
Vorschlag der Vorbereitung der Hände zur Operation aufs 
Wärmste zu empfehlen. Ich habe auch weiterhin sehr gute Erfah¬ 
rungen mit der Methode gemacht. 

Sie besteht darin, dass ich die zu operierende Hand mehrere 
Tage hindurch je 1—2 Stunden im Bierschen Heissluftkasten 
schwitzen lasse. Besonders die Haut schwieliger Arbeiterhände wird 
dadurch locker und weich, der Schweiss treibt eine Anzahl Infek¬ 
tionserreger aus der Tiefe heraus und erleichtert so die Desinfektion. 

Handelt es sich um plastische Operationen, bei denen die gute 
Blutversorgung kleiner Ecken und Zipfel der Hautlappen wichtig ist, 
so wird durch jene wiederholte intensive Hyperämisierung der Kol- 
lateralkreislauf vorbereitet und Randgangrän vermieden. 

Zur Desinfektion der Hand des Operateurs und besonders zur 
Kontrolle der Wirksamkeit unserer Händedesinfektionsmittel habe ich 
den Schwitzkasten ebenfalls empfohlen’). 


Referate und BQcheranzeigen. 

T. Rumpf: Vorlesungen Uber soziale Medizin. Leipzig 
1908. Georg T h i e m e. 290 S. Preis M. 6. 

Bekanntlich hat die preussische Regierung an einer Anzahl • 
von Universitäten Lehraufträge für soziale Medizin vergeben — 
nicht immer unter freudiger Zustimmung der Fakultäten, wie 
es scheint. Man hat vielfach den Einwand erhoben, dass die 
soziale Medizin kein umgrenztes Fach sei. Mit Recht sagt R. 
dem gegenüber in der Vorrede: „Welches Fach der Heilkunde 
ist umgrenzt? Mauern und Grenzsteine sind das Werk besitz- 


f ) Exp. Beitr. z. Frage d. Desinf. d. Haut. Deutsche med. Wo¬ 
chenschrift, 1905. 


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1748 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


ängstlichen Menschengeistes“. Die nicht gerade seltenen 
Fälle, in denen Spezialdisziplinen nur durch die kräftige Inter¬ 
vention der Regierungen vom Hauptfachc abgetrennt werden 
konnten, werden nicht auf den Ruhmesblättern der Lchr- 
freiheitsbewegung deutscher Universitäten verzeichnet wer¬ 
den. Den anderen Einwand, dass selten ein einzelner 
Arzt die Vorbedingungen erfülle, um sämtliche Zweige 
der sozialen Medizin zu umfassen, hat R. wohl am besten 
durch das vorliegende Werk entkräftet. In der Tat 
dürften auch wenige Persönlichkeiten in so hohem Grade 
für dieses Lehrfach geeignet sein, wie der wissenschaft¬ 
lich und praktisch gleich hervorragende ehemalige Leiter des 
Eppendorfer Krankenhauses. Als besonders lesenswert muss 
gleich die erste Vorlesung bezeichnet werden, die in nuce den 
Geist und Inhalt des ganzen Buches wiedergibt. Die folgenden 
Vorlesungen behandeln das Verhältnis des Arztes zur Kranken-, 
Unfall-, Invaliditätsvcrsicherung, sowie zur Privatver¬ 
sicherung, Gewerbehygiene, Medizinalverwaltung, ferner zum 
ärztlichen Standeswesen, sowie zum allgemeinen gültigen 
Recht. Namentlich in dem Kapitel über die ärztliche Unter¬ 
suchung und Begutachtung mit Berücksichtigung der Simu¬ 
lation und Dissimulation von Krankheitserscheinungen tritt die 
Reife ärztlicher Erfahrung des bekannten Klinikers voll in 
Erscheinung. Aber auch da, wo rein rechtliche Fragen be¬ 
handelt werden, versteht es R., das für den zukünftigen Arzt 
Wesentliche aus den gesetzlichen Bestimmungen und Ent¬ 
scheidungen mit grosser Sicherheit und Klarheit herauszu¬ 
schälen, so dass das Werk auch manchem älteren Arzte als 
Nachschlagebuch für zweifelhafte Fälle empfohlen werden 
kann. Dabei ist auch diese Seite der Materie durchaus nicht 
trocken-, behandelt, sondern stets durch praktische und präg¬ 
nante Fälle illustriert, wie es eben notwendig ist, um für das 
Gebiet Interesse bei dem jungen Mediziner zu wecken, der für 
rein juristische Darlegungen wohl im Allgemeinen wenig Vor¬ 
liebe empfinden dürfte. Etwas zu kurz und knapp gehalten 
ist das Kapitel über Gewerbehygiene. Sehr beachtenswert 
ist der Grundsatz, den R. an die Spitze seiner Ausführungen 
über die Begutachtung stellt, “dass das Gutachten stets über 
den Verletzten! und nicht über den vorigen Gutachter ausge¬ 
stellt werden soll“. Bei der Behandlung der Bestimmungen 
über die Aerztekammern und das Medizinalwesen vermisst 
man vielfach die Hinweise auf die Verhältnisse in den nicht- 
preussischen Landesteilen. Wenn R. fordert und zwar mit 
Recht, dass die grossen Krankenkassen einen hygienischen 
Ratgeber anstellen, der u. a. auch für die möglichste Ein¬ 
schränkung der Berufskrankheiten zu wirken hat, so wird man 
diese Forderung auch auf die grossen Invalidenvcrsicherungs- 
anstalten ausdehnen müssen, wie dies R. auch bereits ange¬ 
deutet hat. Hier gerade sind auch die grösseren Mittel vor¬ 
handen, um eine umfangreichere prophylaktische Tätigkeit zu 
entfalten. Dagegen dürfte für das Gebiet der Unfallverhütung 
die ärztliche Tätigkeit immer nur in sehr beschränktem Mass- 
stabe in Betracht kommen. Bei Besprechung der Aufgaben des 
Schularztes wird zwar der Wunsch ausgesprochen, dass die 
Fortbildungsschüler in der Gesundheitslehre unterwiesen 
werden, wie das bereits in München geschieht, aber nicht die 
dringend notwendige ärztliche Ueberwachung der Fort¬ 
bildungsschüler und damit des Lehrlingswesens betont. Höchst 
erfreulich ist es, zu sehen, wie R. an vielen Stellen hervorhebt, 
dass der Arzt vor allem auch die Psyche des Kranken studieren 
müsse. Er steht damit freilich im Gegensatz zu einer Reihe von 
Klinikern, die alles Heil der Medizin nur in einer Verfeinerung 
der Diagnostik sehen. Alles in Allem ist cs ein höchst ge¬ 
sunder Geist, der durch dieses für angehende Aerzte im 
Wesentlichen bestimmte Buch weht, an dessen Studium aber, 
wie schon erwähnt, auch ältere Aerzte ihre Freude haben 
werden. Martin H a h n - München. 

Dr. Erich Wulffen, Staatsanwalt in Dresden: Psycho¬ 
logie des Verbrechers. Ein Handbuch für Juristen, Aerzte. 
Pädagogen und Gebildete aller Stände. 2 Bände. 448 und 
546 Seiten. Preis 25 M., geh. 30 M. Verlag Dr. P. L a n g e r> - 
Scheidt. Gross-I.ichterfelde-Ost. Ohne Jahrzahl. I 

Wulften gibt in zwei ausführlichen Kapiteln die physio- 
logischen, psychologischen und psychopathologischen Grund- ' 


lagen für sein eigenes Thema, um dann auf die Anthropologie 
des Verbrechers einzugehen. Es folgen in besonderen Ab¬ 
schnitten Statistik des Verbrechertums, dann Ethik und 
Willensfreiheit überhaupt, dann die verschiedenen Charakter¬ 
eigenschaften, die zum Verbrechen fuhren, der Zusammenhang 
von Beruf, Aberglaube, Alter mit dem Verbrechen. Die eigent¬ 
liche Psychologie des Verbrechers wird nach den verschie¬ 
denen Verbrecherspezialitäten abgeliandelt: cs gibt eine 
Psychologie des Diebes, des Brandstifters usw. Die Psycho¬ 
logie des Verbrechers im Strafverfahren und im Strafvollzug 
bildet den Schluss. 

Das Werk ist gross angelegt; der Verfasser dokumentiert 
ein umfassendes Wissen auf allen in Frage kommenden Ge¬ 
bieten; er verfügt namentlich auch über eine grosse eigene Er¬ 
fahrung, die seinen Blick für die Beurteilung der Arbeiten 
anderer geschärft hat, und über eine vollkommene Offenheit 
und Vorurteilslosigkeit, die bei Schriften dieser Art ebenso 
notwendig als selten ist. So ist ein sehr wertvolles Buch zu¬ 
stande gekommen. 

Einige Mängel sind mehr dem Zustand unserer Wissen¬ 
schaften, als dem Verfasser zuzuschreiben. So entspricht die 
psychologische Einleitung trotz ihrer Länge nicht allen An¬ 
forderungen. Das hat seinen Grur.d darin, dass eben bei dem 
Zustand dieser Disziplin jeder naturwissenschaftliche Be¬ 
obachter sich seine Psychologie für sich schaffen muss. Verl, 
wollte das nicht, und hat die bei uns verbreitetste W u n d t sehe 
Apperzeptionspsychologie seinen Ausführungen zu Grunde ge¬ 
legt; sie eignet sich aber gerade hierzu recht schlecht. In d;e 
Apperzeption wird alles mögliche gesteckt, was man nicht 
mehr erklären oder nicht genau erfassen will oder kann: sie 
verführt zu manchen UnvolKtändigkeiten. Für die Hetero- 
gonie der Zwecke wird sich der Naturwissenschafter nicht be¬ 
geistern können; sieht er doch die Dinge viel einfacher und 
klarer, wenn er keine solche Begriffe, die nur seiner Psyche 
zukommen, in die Aussenwelt hinaustragt. Neri, fuhrt denn 
auch die Auffassung selbst ad absurdum, wenn er die Krimi¬ 
nalität eine dem Ganzen (der Menschheit) notwendige ..Gabe“ 
nennt. In den anthropologischen Abschnitten wäre eine 
schärfere Sichtung und Kritik des Materials sehr zu wünschen, 
trotz der Schwierigkeit der Aufgabe. Am meisten aber ver¬ 
misst der Referent eingehende Em/elstudien. Die allgemeine 
Motivierung bestimmter Arten von Verbrechen ist ja sehr gut 
durchgeführt. Aber im jetzigen Moment bedürfen wir einer 
ganz genauen Individualpsychopathologie, aus der sich erst die 
allgemeine Pathologie ableiten lassen wird. Zu derartigen 
Arbeiten wild aber der Praktiker niemals Zeit finden. 

Auf solche Mängel mehr der Wissenschaft als des Buches 
muss man aufmerksam machen, damit man sich endlich an- 
strengt, Abhilfe zu schaffen. Es handelt sich ja nicht bloss um 
Theorie, sondern um hochwichtige Praxis. Audi für diese 
gibt das Buch mannigfache Anregung; man lese z. B. den 
schonen Abschnitt über die noch zu erfüllenden ethischen Auf¬ 
gaben des Staates. Bleuler- Burgholzli. 

Friedrich Schauta: Die erweiterte vaginale Totalexstir¬ 
pation des Uterus bei Kolluntkarzinom. Mit b Abbildungen im 
Texte und 5 chromolithographischen Tafeln. Wien und Leip¬ 
zig, Verlag von Josef S a f a r. luns. lsu S. Preis 6 M. 

Die Monographie von Schauta behandelt eine der 
aktuellsten Fragen der Gynäkologie . Der Kampf gegen den 
Uteruskrebs wird energischer als je geführt. Wenn es den 
Anschein hatte, nach den Veröffentlichungen und Kongress¬ 
verhandlungen der letzten Jahre, als würde die abdominale er¬ 
weiterte Methode die endgültig angenommene Operation wer¬ 
den, so dürften die von Schauta mit der vaginalen erwei¬ 
terten Exstirpation erzielten Erfolge diese Auflassung modi¬ 
fizieren. 

Nach dem Inhalte dieser Monographie und dem Vergleich 
der Zahlen muss man die Eriolge als ausgezeichnete be¬ 
zeichnen. Eine primäre Mortalität von in.'s Pro/.; \5 Pro/. 
Nebenverletzungen; absolute 1 leilungsprozeiite von A*. Inach 
5 Jahren) mit 12.6 Proz.; A»: 13 Proz.; Ai 17.2 Pro/.; An 
2n,9 Proz. (nach der zweiten Winterschen Formel berech¬ 
net) dürften für die LeisrungsfalUgk-eit der Me-thoJe sprechen. 
Wenn sie auch als beste Leistung der vaginalen Methoden den 


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18. August 1968. 


MUfiNCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1749 


besten Erfolgen der abdominalen Methode nicht völlig gleich¬ 
kommt, so bedeuten diese Zahlen Schautas doch eine Kon¬ 
kurrenz für die abdominale erweiterte Methode. Allerdings ist 
Schautas Operabilitätsprozent mit 48,7 Proz. gegenüber 
denen jener Operateure, welche prinzipiell abdominal ope¬ 
rieren (W e r t h e i m, F r a n z u. a.) geringer. Diese Tatsache 
wird zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der erweiterten 
vaginalen Totalexstirpation von grösster Bedeutung sein. 

In seiner Monographie beleuchtet S c h a u t a mehrere Fra¬ 
gen, von denen nur 2 hervorgehoben seien. Auch aus seinen 
Zeilen ertönt der Mahnruf, dass ein Hauptgewicht auf die Be¬ 
lehrung des Publikums über die ersten Zeichen der Erkrankung 
zu legen sei, auf die Aufforderung, sofort nach deren Auftreten 
sich dem Arzte vorzustellen. Für den Arzt gilt aber die wei¬ 
tere Mahnung: „Ich sehe also in der Tatsache, dass eine Frau 
mit Karzinom mit oder ohne Untersuchung vom Arzte behan¬ 
delt wird, ohne vorher der Klinik zugewiesen worden zu sein, 
eine Vernachlässigung.“ Erst wenn dieses zum Teil indirekte 
Hindernis von seiten des Publikums überwunden sein wird, 
können die Erfolge besser werden. Die zweite Frage ist jene 
der Drüsensuche. Wenn man alles zusammenfasst, was hier¬ 
über bekannt ist, alles gegeneinander abwägt, so muss man» ehr¬ 
lich eingestehen, dass der zwingende Beweis von der Not¬ 
wendigkeit der Drüsensuche nicht erbracht werden kann. Ja, 
man kann den Verzicht auf jede Suche verstehen, welchen 
die Anhänger der vaginalen Methode von vornherein machen. 
Insofern bietet die vaginale der abdominalen Methode gegen¬ 
über eine wesentliche Vereinfachung. 

Doch, diese Fragen sind mit manchen anderen zusammen 
noch in Fluss, eine Tatsache, die nicht zuletzt aus der Mono¬ 
graphie Schautas hervorgeht. Es müssen weitere Er¬ 
fahrungen abgewartet werden, und zwar nicht nur aus grossen 
Kliniken und von den besten Operateuren, sondern auch aus 
einfacheren und allgemeineren Verhältnissen. Wenn auch der 
anatomisch und chirurgisch Denkende von vornherein die ab¬ 
dominale Methode wählen möchte, so ist doch zu bedenken, dass 
nach Schautas Zahlen zu urteilen, die Leistungsfähigkeit 
der vaginalen Methode sich bedeutend gehoben hat. Es fragt 
sich nur noch, ob sie an die Grenze ihres Könnens gelangt ist 
oder ob sie noch erweiterungsfähig ist? 

Alles Fragen, "welche durch Schautas Buch in neues 
Licht gebracht werden und zu neuer Arbeit allseitig Anregung 
verbreiten mögen. Sch ick eie-Strassburg. 

Strauss: Vorlesungen über Diätbehandlung innerer 
Krankheiten. Mit einem Anhang: Winke für die diätetische 
Küche von Elise Hannemann. Berlin 1908. Verlag von 
S. Karger. Preis M. 7.80. 

In 15 Vorlesungen, hervorgegangen aus einem ärztlichen 
Fortbildungskurs über Diätetik, gibt Strauss eine praktische 
Anleitung für die Diätbehandlung der einzelnen Organ- und 
Stoffwechselkrankheiten. Wenn wir auch schon mehrere Lehr¬ 
bücher besitzen, die sich teils mit allgemeiner Diätetik, teils 
speziell mit der Kost Magendarmkranker befassen (denn hier 
galt ja schon von je die diätetische Küche als conditio sine qua 
non), so erscheint mir vorliegende Veröffentlichung des auf dem 
Gebiete der Diätetik bekanntlich eine führende Stellung ein¬ 
nehmenden Verfassers darum doch nicht minder begrüssens- 
wert, um so mehr als die von St. selbst betonte, durch die 
Vorlesungen bedingte, mehr subjektive Darstellungsart nicht 
nur Feststehendes, sondern auch noch in der Diskussion be¬ 
findliche Fragen vermittelt und so dem Leser stets aufs neue 
zur Kritik und Nachprüfung Veranlassung gibt. Jedes der 
15 Kapitel, immer gleich anregend und lesenswert, behandelt 
nicht etwa schematisch an der Hand von Diätzetteln, sondern 
auf streng wissenschaftlicher Grundlage die bei den einzelnen 
Krankheiten einzuschlagende Diät mit eingehendster Berück¬ 
sichtigung auch eventueller gegenteiliger Ansichten und Theo¬ 
rien. Die dem Buche beigegebenen Winke für die diätetische 
Küche glaubte ich auf ihre Brauchbarkeit am besten dadurch 
zu prüfen, dass ich sie in der Praxis zur Anwendung brachte, 
und sind die Angehörigen der Patienten, besonders wegen der 
absoluten Voraussetzungslosigkeit hinsichtlich küchentech¬ 
nischer Kenntnisse und Fähigkeiten, des Lobes der Verfasserin, 
E. Hannemann, Vorsteherin des Haushaltungslehrerinnen¬ 
seminars, voll. A. Jordan -München. 


Graefe-Saemlsch: Handbuch der gesamten Augen¬ 
heilkunde. 2. Auflage. III. Band, XII. Kapitel, Anhang. 
Leipzig 1908. W. Engelmann. 

Garten, die Veränderungen der Netzhaut 
durchLicht. 

In den ersten 3 Lieferungen (119—121) bespricht Verf. 
die mikroskopischen Veränderungen der Netzhaut unter Ein¬ 
fluss des Lichtes: die Aenderung der Form und der Färbbarkeit 
von Stäbchen, Zapfen und äusseren Körnern, sowie die 
Wanderung des Pigmentepithels, nachdem er die Anschau¬ 
ungen über den Ort der Umsetzung des Lichts in Nerven¬ 
erregung vorausgeschickt hat. Es folgen die Aenderungen der 
Form und der Färbbarkeit in den inneren Netzhautschichten, 
worauf dann in Lieferung 128 und 129 die Veränderungen vor¬ 
gebildeter Farbstoffe durch Licht, besonders die Bleichung des 
Sehpurpurs, die chemische Reaktionsänderung und die elektro¬ 
motorischen Wirkungen der Netzhaut behandelt werden. 

Durch klar übersichtliche Darstellung des bisher Bekannten 
und Einfügung der eigenen Untersuchungen des Verfassers 
wird auch dem praktischen Augenärzte, dem dies schwierige 
Gebiet weniger geläufig ist, das Verständnis vermittelt und ihm 
Anlass gegeben, sich über einen wissenschaftlich hochinter¬ 
essanten Stoff zu unterrichten. Der Arbeit G.s sind wertvolle, 
sehr instruktive Abbildungen und am Schluss ein erschöpfen¬ 
des Literaturverzeichnis beigegeben. S e g g e 1. 

Dr. Franz Hoff mann: Das Krankenversicherungsgesetz 
mit dem Hilfskassengesetz und den Ausführungsbestimmungen. 

Karl Heymanns Verlag, Berlin. Preis 16 M. 

Der Verfasser, der in einer mehr als 16 jährigen Tätigkeit 
als Referent für die Angelegenheiten der Krankenversicherung 
im Ministerium für Handel und Gewerbe in Berlin Gelegenheit 
hatte, auf dem schwierigen Gebiete der Krankenversicherung 
Erfahrungen zu sammeln, hat in diesem ausführlichen Werke 
Rücksicht genommen auf die grosse Zahl der Lücken und 
Streitfragen, welche sich im Laufe der 25 Jahre seit Inkraft¬ 
treten des Krankenversicherungsgesetzes ergeben haben. 
Dadurch sind die in dem Werke niedegelegten Erfahrungen und 
Eindrücke, die der auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung 
als Autorität anerkannte Verfasser in der Verwaltungspraxis 
gesammelt hat, besonders wertvoll für die in Aussicht stehende 
Reform der Arbeiterversicherungsgesetze. Sie werden aber 
auch über die Reform hinaus nicht an Wert verlieren. 

Wer sich mit der schwierigen Gesetzesmaterie der 
Krankenversicherung vertraut machen will — und das muss 
bei der Expansion der Arbeiterversicherung immer mehr Auf¬ 
gabe der Aerzte werden, — findet in diesem Werke eine über¬ 
sichtliche und eingehende Erläuterung des Krankenver¬ 
sicherungsgesetzes, das ohne Kommentar schwer zu ver¬ 
stehen ist. 

Besonders bezüglich der Begriffe „Aerztliche Behandlung“, 
„Heilmittel“ und „Erwerbsunfähigkeit“ gibt das Buch wertvolle 
Aufschlüsse. Es kann deshalb den Aerzten als Nachschlage¬ 
werk und zum gründlichen Studium der Krankenversicherung 
auf das wärmste empfohlen werden. S c h o 11 - München. 

Bericht über urologische Forschungsergebnisse ans dem ersten 
Halbjahr 1908. 

(Schluss.) 

Neue therapeutische Vorschläge zur Behandlung der Zystitis 
bei Frauen bringt E. McDonald („Cystitis in women. With 
report of fortyfive cases, studied cystoskopically and some modi- 
fications of treatment“. NewYork med. record, Eebr. 1908). Er be¬ 
vorzugt anstatt der gewöhnlichen Borsäurespülungen bei einfachem 
Blasenkatarrh solche mit Vs Proz. Natr.-bicarbonic.-Lösung, wie sie 
von den Ophthalmologen schon lange gebraucht werden; die Lösung 
kann bis zu Vs Proz. verstärkt werden. Nach seinen Erfahrungen ist 
die Karbolsäurebehandlung der tuberkulösen Zystitis nach Rovsing 
zu schmerzhaft und nicht genügend wirksam; keine Erfolge sah er 
bei Anwendung der G u y o n sehen Sublimatinstillationen. Gute 
Dienste hat ihm dagegen eine V« proz. wässerige Lösung von Chinin, 
bisulf. geleistet. Bei starker eitriger Zystitis hatte M c D. äusserst 
gute Resultate durch Einspritzungen von 8 cm einer Vs proz. Wasser¬ 
stoffsuperoxydlösung, der eine ebenso grosse 5 proz. Protargollösung 
folgt. Auswaschung mit der oben genannten Natron-bicarbonicum- 
Lösung, hierauf eventuell direkte regionäre Applikation von Argentum 
oder Protargol durch das K e 11 y sehe Endoskop. Bel akuter Zystitis 
und schmerzhaften Zuständen spritzt er eine präparierte Abkochung 


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1750 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


aus Irisch Moos ein; für innerlichen Gebrauch empfiehlt er Infus, fol. 
bucco. 

„lieber Operationszystoskope“ schreibt (). Ring¬ 
le b in den Fol. urolog., Bd. II, H. 2, 1908. Nach einer kritischen 
Aufzählung der gebräuchlicheren Systeme stellt er bestimmte Forde¬ 
rungen für ein Operationszystoskop auf, die ein teilweise von ihm 
selbst angegebenes Instrument erfüllt; mit ihm hat Verf. in den letz¬ 
ten Jahren bemerkenswerte Frfolge erzielt. F.s besitzt die Vorzüge 
und Eigenschaften eines Spiilzystoskops; der Kanal für die Optik 
ist auch für die Spülung verwendbar. Der Mandrinwechsel (mit 
automatisch wirkendem Verschluss) geht glatt vor sich. Dadurch, 
dass aufschraubbare Brenner in verschiedenen Längen sowie auf- 
schraubbare Schnabelteile für den Schlingentrüger verwendet wer¬ 
den, ist gegenüber anderen Instrumenten eine bedeutende Verbilli¬ 
gung erzielt worden. 

Gerade dieser letztere Punkt war es bisher, der — neben der 
etwas schwierigen Technik — der intravesikalen Operationsmethode 
hindernd im Wege stand. Für ihren Wert dagegen spricht die auch 
unter den Chirurgen sich immer mehr ausbreitende Auflassung, dass 
für einzelne, besonders gestielte Papillome der Blase die endovesi- 
kale Entfernung die richtige sei; ein einzelnes Papillom ist meist 
nur der Ausdruck einer allgemeinen Papillomatose, die durch immer 
erneutes Wachstum ähnlicher Tumoren sich charakterisiert. Tatsäch¬ 
lich ziehen gerade Aerzte diese Methode der Sectio alta vor. 

Wie schöne Erfolge sich bei grosser Geschicklichkeit und Liebling 
mit der perinealen Prostatektomie erzielen lassen, dafür 
gibt eine jüngst von Young veröffentlichte, auf inn derartige Ein¬ 
griffe (ohne Todesfall) sich erstreckende Statistik Zeugnis. („A 
report of one hundred consecutive perineal prostatectomies w ithout 
a death. Journ. of the americ. med. assoc. 190N. No. 7.) Dabei handelt 
es sich keineswegs um nur günstige, ausgewählte Fälle; der schlechte 
Kräftezustand eines Patienten war niemals der Grund einer Ab¬ 
weisung; hochgradige Herzschwäche, längerdauernde Tuberkulose 
und andere Krankheiten waren häufig begleitende Befunde. Das 
Alter der Kranken schwankte zwischen öd und so Jahren, über so 
waren 2, unter 50 Jahren 6 Patienten. In dieser letzten Serie von hül¬ 
len kam es niemals zur Bildung der so unangenehmen Rcktourethral- 
fistel. Keiner der operierten Patienten musste den Katheter ge¬ 
brauchen. In nur zwei Fällen blieb Inkontinenz zurück. Durch 
Schonung der Ducti ejaculatorii wurden bei den meisten Patienten 
die sexuellen Funktionen erhalten; bei 5 Patienten stellte sich sogar 
die früher verloren gegangene Potenz wieder ein. In 17 Fällen von 
Prostatitis chronica entfeinte Y. mit vollem Erfolg die Drüse. Die 
Gesamtmortalität aller perineal operierter Fälle (238) beträgt 2,9 Proz. 
20 Proz. aller wegen prostatischer Beschwerden untersuchten Kran¬ 
ken hatten ein Karzinom; davon konnten nur bei 6 mehr ein Fingriff 
gemacht werden; 2 von diesen sind nach 3 Jahren noch gesund. 

Ueber gute Erfahrungen bei der Behandlung der Prostata- 
hypertrophie durch B o 11 i n i sehe Inzisionen und intrakapsuläre 
Verkleinerung der Drüse vom Damme aus — als weniger eingreifende 
Verfahren gegenüber der Prostatektomie — berichtet B e r g m a n n 
(„Kasuistische Beiträge zur operativen Behandlung der Prostata¬ 
hypertrophie. Zeitschr. f. Urol., Bd. II, H. 5, 1908). Erstere Ope¬ 
ration wurde bei 10 Patienten im Alter von öf>—74 Jahren ausgeführt: 
die Krankheitssymptome bestanden seit 1 »—10 Jahren. Hauptge¬ 
wicht legt Verf. auf guten Ansatz des Messers und ausreichend lange 
Schnitte. Zur Anästhesie wurden 20—30 ccm einer 3 proz. Novokain¬ 
lösung mit schwachem Adrenalinzusatzc verwendet. Die Erfolge 
waren gute: 8 von 10 Patienten entleeren ihre Blase vollkommen 
oder bis zu 30 Residualharn; bis auf 2 haben sie ihre Zystitis ver¬ 
loren; bei einem Patienten brachte allerdings erst die Wiederholung 
der Inzisionen vollen Erfolg. In 7 Fällen war die Resektion der 
Prostata vom Damm aus vorgenommen worden; 4 vollkommene 
Heilungen, 2 Todesfälle durch interkurrente Krankheiten. B. glaubt 
nach seinen Erfahrungen und Erfolgen diese beiden operativen Mass¬ 
nahmen mit gutem Gewissen leidlich rüstigen Personen zumuten zu 
können. 

Zweifellos hat die Bottinische Operation in ganz bestimmten 
Fällen eine gewisse Berechtigung. Doch ist die suprapubische 
Enukleation der Prostata — besonders wenn sie zweizeitig ge¬ 
macht wird — keineswegs als mehr eingreifend anzusprechen als 
z. B. die perineale intrakapsuläre Verkleinerung der Drüse. Die 
Mortalität ist nur eine geringe (F r e y c r 7 Proz.). Der Erfolg ein 
ziemlich sicher eintretender, vollkommener und dauernder (90 Proz.). 

Zur Nachprüfung des E i n f I u s s c s d e r R ö n t g e n s t r a h I e n 
auf die männlichen Geschlechtsorgane stellten Rc- 
gaud und Dubreuillc („Influence de la roentgenisation des 
testicules sur la structure de repithelium seminal et des epididymes. 
sur la f£condite et sur la puissanee virile du lapin“, Lyon med. 19 os, 
No. 9) interessante Tierversuche an. Bei nicht zu intensiver Be¬ 
strahlung verschwanden die Spermatozoen und ihre Mutterzellen nur 
vorübergehend; nach nicht allzulanger Zeit trat Regeneration ein. 
Der bald nach der Bestrahlung ausg.efiihrte Koitus war steril; dabei 
war es auffallend, dass die Spermatozoen in der Epididymis be¬ 
weglich, also scheinbar nicht geschädigt waren. Die Potentia 
coeundi wurde durch die Strahlen scheinbar gesteigert, das Paren¬ 


chym des Nebenhodens durch die Bestrahlung nicht besonders an¬ 
gegriffen. 

Von technischen Neuerungen wurden in dem letzten Halbjahre 
einige recht praktische Vorschläge gemacht. 

R. Lenk s Vorschlag „Zur Asepsis des l’reteren- 
k a t h e t e r i s m u s" (Zeitschr. f. l'rol., Bd. II. H. 3. 1'xiM bezieht 
sich auf einen Liebelstand, der sich bei der Sondierung der L retcreii 
recht schwer vermeiden lasst. Besonders wenn das Filtrieren des 
llreterenostiums auf irgendwelche Schwierigkeiten stosst und die 
Aufmerksamkeit des Arztes ganz auf das technische Moment gelenkt 
wird, ist ein Anstreifen des langen Katheterendes an Gesicht und 
Haaren des l’ntersuchers sehr leicht möglich. Wenn auch die Wahr¬ 
scheinlichkeit einer Infektion durch die gewöhnlich ausgefuhrte In¬ 
stillation von Argentum in den Harnleiter vor Entfernung des In¬ 
strumentes eine geringe ist, so ist doch die Möglichkeit derselben bei 
der Häufigkeit leichter Traumen und der Irritation der l reteren- 
schleimhaut bei der Sondierung nicht aus/uschhesseii. I m ihr vor¬ 
zubeugen benutzt L. seit längerer Zeit röhrenförmige Schutzuhcrzugc 
für die Katheter (..Katlicterstrumpfe) aus Zwirngewebe. Die Ka¬ 
theter werden in diesen Peberzugen am besten m strömendem 
Wasserdampf sterilisiert. Fm Anemanderklelw n ist nicht zu be¬ 
fürchten, da sie durch die Mulle gut isoliert werden. Wasser und 
Glyzerin sind von den l'eberzugen fern zu halten, da sich sonst der 
Katheter nur schwer vorwärts bringen lasst; bleiben sie trocken. 
So kann man jede Bewegung durch ihre Wände hindurch leicht aus¬ 
führen. Zur besseren Gleitfahigkeit der Katheter giesse man steriles 
Glyzerin in die distale Oeffnung des Kuhrungskanals. 

Fine „V e r b e s s e r u n g der Technik des Verweil- 
k a t h e t c r s“ wurde von F. S c h I a g i n t w e 1 1 in der Zeitschrift 
für LTologie, Bd. II. H. 4. angegeben. >ie besteht im Prinzip darin, 
dass der Katheter nicht, wie gewöhnlich, in ein Betturinal, sondern 
durch eine Schlaucln erlangerung m ein auf dem FussboJen 
stehendes Geschirr mundet. Fm aber die letzt starke Heberwirkung 
zu verringern, wird — und das ist der springende Punkt — mitte s 
eines T-Rohres noch ein zweiter Schlauch augesetzt, der als Luft¬ 
loch wirkt und ein langsam tropfendes Abflüssen des Harnes ge¬ 
währleistet. Dieses Luit/ulcitimgsrohr kann zugleich zum Spulen 
mittels Irrigator benutzt Werden. 

Die Schwierigkeiten, welche dadurch bedingt sind. d,.ss man 
durch das Zystoskop die Blasenbilder nicht direkt und nicht m ihrer 
natürlichen Lage, sondern im SpiegeIbelage des Prismas erblickt, be¬ 
seitigt ein von R. W. Fra nk angegebenes Z\ stoskop. dessen Modell 
er bereits am I. Kongress Jur l lologie demonstrierte (..Fm ver¬ 
bessertes Zystoskop“. Zeitschr. i. l ro|.. Bd. II. M. <>. Fr 

bedient sich zu diesem Zw ecke der biidaufr ichtenden Spiegt Iprismen- 
systeme. Diese Verbesserung kann leicht an jedem Z\sb>skope ange¬ 
bracht werden; sie ändert nichts an der ausseren Form der In¬ 
strumente, welche genau ge handhabt werden wie bisher und es 
gleichzeitig ermöglichen, alle I eile der Blase in ihrer natürlichen 
Lage zu besichtigen. Fs \ creirifuchen sich besonders bei Gebrauch 
eines So gebauten ()peratiotis/\stoskops die Verhältnisse beim 
Fmlegen der Schlinge um den Tumor sowie beim Erfassen vmi 
Fremdkörpern mit der Zange. Gleichzeitig brachte E. an dem opti¬ 
schen Apparat der Z\stoskope eine Verbesserung an. durch weiche 
eine grossere Lichtintensit.it des Gesichtsfeldes und eine erhöhte 
Schärfe der Bilder erzielt wird. Fine dritte Wandlung betrifft end¬ 
lich die elektrischen Kmitaktteile des Z\st..\k.-ps. wodurch die den 
jetzt gebräuchlichen Kontaktzangen manchmal anhaftenden Strom- 
storungen (durch Oxydation der schwer zugänglichen Nieten und 
Falze) vermieden werden sollen. Bis jetzt sind diese Z\ stoskope in 
den meist gebräuchlichen Typen hergestellt worden. 

I >r. L. K i e 11 e u t h n e r • München. 

Neueste Joumalüteratur. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XX. Band. Mit 
einem Bildnis Albert Hotfas, einer stereoskopischen Tafel 
und 335 Textabbildungen. 

Der Band sollte eine Festschrift zu Hniias 25 i;ihrigem Doktor- 
jiibiläum werden, er ist nun zur ( iederiksc hntt geworden, dem zu 
früh Dahingegangenen gewidmet von seinen hindern. 

1) A I d e r h o 1 d t und s i I b e r s t e i n; Hernien als l'nfallfolgc. 

Auszüge aus 2ll Aktenstücken einer Beruisgeiiossensehaft inner¬ 
halb dreier Jahre und kritische Prüfung der ergangenen Entschei¬ 
dungen seitens des Schiedsgerichtes und des Reuhsversicherungs- 
amtes. Die Verif. kommen zu dem Ergebnis, dass die oberen In¬ 
stanzen sieh keineswegs an den v..n ihnen Seiber geforderten stren¬ 
gen Nachweis echter traumatischer Entstehung der Brüche halten 
sondern zugunsten der klagenden Arbeiter zu entscheiden pflegen! 
Dadurch muss es zu Missstunden kommen: .Uder eimgermassen in¬ 
telligente Arbeiter vermag die Symptome an/ugeben. weiche es ge¬ 
statten. seinen alten Bruch als traumatischen vor dem Instanzen¬ 
forum erscheinen zu lassen. 

Die Instanzen mussten misstrauis Jicr sein und „die Anerkennung 
eines Bruches als l nfal'foige zu einem Ereignis gestalten." 

2) H i 1 1 e r - Königsberg: leber den „schnellenden Finger“. 
Besprechung des Leidens und seiner Therapie. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1&. August 190$. 


MUENCHBNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1751 


Bei H.s eigener Beobachtung handelte es sich um das schnel¬ 
lende Endglied des Daumens, das Phänomen wurde seit dem 
2. Lebensjahr beobachtet. Operation mit 14 Jahren: Die Sehnen¬ 
scheide war spindelförmig erweitert, an den Enden Schnürringe. Die 
Scheide um das 3—4 fache verdickt. 

Ausgiebige Exstirpation der Sehnenscheide Hess das Phänomen 
verschwinden. 

3) Drehmann -Breslau: Weitere Beiträge zur unblutigen Be¬ 
handlung der angeborenen Hüftverrenkung. 

Bericht über Behandlung und Resultat von 166 Patienten mit 
Hüftluxation in der Privatpraxis, 125 einseitigen, 41 doppelseitigen 
Verrenkungen. Letztere waren fast durchweg Steisslagen. Sehr 
interessant sind einige mit Röntgenbildern belegte Beobachtungen 
von Selbstheilung. Die Einrenkung macht D. gegen Ende des 
2. Lebensjahres, obere Grenze bei einseitiger Luxation das 10. Jahr, 
bei L. duplex das 6. 

Die Abschnitte über Ursachen der Misserfolge, über Unglücks¬ 
fälle und deren Vermeidung, über die Methode der Einrenkung, 
Heilungsvorgänge etc. enthalten viel für den Spezialisten Interessan¬ 
tes. Allgemeines Interesse beanspruchen die Erfolge: Bei einseitiger 
Luxation 93 Proz. funktionell normale, bei 90 Proz. anatomisch nor¬ 
male Gelenke, bei Luxatio duplex sind die entsprechenden Zahlen 
82 Proz. und 71 Proz. Rechnet man alle reponierten Gelenke zu¬ 
sammen, so wurden erzielt: 85 Proz. anatomische Heilungen, 91 Proz. 
funktionelle. 

4) Gramer- Köln: lieber kongenitale Supinationsstörungen. 

Eine Serie von Röntgenbildern zeigt die Knochenabnormitäten 
bei mehreren Patienten. 

5) Graetzer -Görlitz: Zur Aetlologie der angeborenen Hüft¬ 
verrenkung. 

Nach G. ist die Zugwirkung amniotischer Verwachsungen am 
abduzierten Bein von erheblicher Bedeutung . 

6) L e h r - Dresden: lieber eine Verdickung des Taluskörpers 
als Ursache von Klumpfussrezidiven. 

Schanz erblickt eine Hauptschwierigkeit des Klumpfuss- 
redressements in der Verdickung des Taluskörpers, welche sein 
Eintreten in die Malleolengabel verhindert. Er hat durch Abtragen 
der äusseren Talusfläche dies Hindernis mit Erfolg zu beseitigen ge¬ 
sucht. 

7) Zuelzer -Potsdam: Betrachtungen über die Behandlung des 
Genu varum infantile mit besonderer Berücksichtigung des O-Bein- 
Korrektionsapparates. 

Ein Lagerungsapparat, der täglich stundenweise angewendet 
wird in der Art, dass eine elastische Binde die Kniegelenke gegen¬ 
einander führt, während die Knöchel auseinander gedrängt werden. 

Eine kleine Vorrichtung erlaubt gleichzeitig Korrektur einer 
fehlerhaften Fussstellung. 

8) Pfeiffer-Frankfurt a. M.: Aus der orthopädischen Werk¬ 
statt. 

Verschiedene kleine Vorrichtungen oder Apparatmodifikationen 
zur Behandlung des Knickfusses, des Genu varum, der Spondylitis 
cervicalis. 

9) Becher -Münster: Ueber kompensatorische Hüftgelenks¬ 
verrenkung. 

Besteht in einem Hüftgelenk sehr hochgradige Adduktion, so 
wird gelegentlich von den betreffenden Patienten auch das gesunde 
Bein in Adduktion gebracht, um Stehen und Gehen wenigstens 
einigermassen zu ermöglichen. Es kann dadurch zu einer Hüftluxa¬ 
tion kommen, wie B. in 2 Fällen beobachtet hat. 

10) E c k s t e i n - Prag: Anatomische Untersuchungen über den 
Zusammenhang zwischen Halsrippen und Skoliosen. 

Aus klinischen wie namentlich auch aus anatomischen Unter¬ 
suchungen ergibt sich, dass kein Zusammenhang besteht entgegen 
bisher geäusserten Vermutungen. 

11) Deutschländer -Hamburg: Die blutige Reposition der 
angeborenen Hüftverrenkungen. 

D. ist der Ansicht, dass der Wert der blutigen Einrenkung heute 
unterschätzt wird, dass die unblutige Methode viele Versager auf¬ 
zuweisen hat, die uns das Messer in die Hand zwingen. Er meint, 
dass erst grosse Uebung und Erfahrung die volle Leistungsfähigkeit 
<Jer blutigen Methode erkennen lassen wird. Seine eigenen Erleb¬ 
nisse und Ergebnisse sind freilich zunächst wenig ermutigend: Unter 
10 Fällen 1 Exitus, 4 Hiiftankylosen. 

12) Z a n d e r - Berlin: Ein Fall von kongenitaler Luxation des 
Humerus. 

Kombination der seltenen Deformität mit Hochstand der Skapula. 

13) M ö h r i n g - Kassel: Der tragbare Heilapparat bei der Sko¬ 
liose. 

Warme Empfehlung eines Geradhaltergestelles mit elastischen 
Zügen. 

14) Ebbinghaus -Dortmund: Der Bruch des Stiedasehen 
Fortsatzes des Sprungbeins. 

Die Absprengung des hinteren Fortsatzes des Talus kommt bei 
starker Plantarflexion zustande, indem der hintere Rand der Tibia 
das Sprungbein trifft. Charakteristisch ist , Druckschmerz mitten 
«wischen innerem Knöchel und Achillessehne. 


15) E. M ay e r - Köln: Zur Entstehung und Symptomatologie der 
Plattfussbeschwerden. 

M. warnt vor der Verlegenheitsdiagnose „Rheumatismus, 
Schleimbeutelentzündung, Distorsion“, meist sind unklare Fuss- 
beschwerden auf Plattfussbildung zu beziehen. 

16) Gocht-Halle: Einige technische Neuerungen. 

Ein Gipsbindentisch, eine Schulterarmschiene, Plattfusseinlagen 
aus Walkleder. 

17) Lengfellner -Berlin: Die wissenschaftlichen Prinzipien 
bei Herstellung von Schuhwerk mit Berücksichtigung von Jugend- 
und Militärschuhwerk. 

Der Arzt, insbesondere der Schularzt, der Militärarzt,, müssen 
dem Stiefelbau mehr Aufmerksamkeit zuwenden. 

Die üblichen Leisten sind durchaus fehlerhaft, sie weisen keine 
richtige Sohlenw'ölbung auf. 

Speziell beim Kinderschuhzeug soll die Fusswölbung, die noch 
nicht genügend erstarkt ist, einen Halt auf der richtig gewölbten 
Sohle finden. Die nach innen geschweifte Längsachse des Stiefels 
ist nicht der normalen geraden Fussform entsprechend. 

Den genagelten Militärschuh hält L. für unpraktisch. 

18) Hornung-Graz: Eine neue unblutige Methode zur Be¬ 
handlung der Syndaktylie beim Neugeborenen. 

Die Hautbrücke zwischen 2 Fingern wird durch eine mehrere 
Wochen liegende, allmählich fester zugezogene Klammer langsam 
durchquetscht. 

19) A I s b e r g - Kassel: Isolierte Fraktur des Erbsenbeins. 

Durch festes Anstemmen entstanden. Feste Verheilung laut 

Röntgenbild eingetreten. 

20) Alsberg- Kassel: Beitrag und kritische Bemerkungen zur 
Apophysitis tlbialis adolescentlum. 

Die Diagnose einer völligen oder partiellen Abrissfraktur der 
Tuberositas ist nach A. häufig irrtümlicherweise gestellt worden, 
auch die Röntgenbefunde wurden missdeutet. 

Dagegen gibt es eine im Wachstumsalter, und zwar mit Vorliebe 
im 12. bis 14. Lebensjahr auftretende krankhafte, nicht traumatische 
Veränderung der Tuberositas tibiae, über deren Aetiologie die ver¬ 
einzelten Operationsbefunde noch keine Klarheit gebracht haben. 

21) Gottstein -Reichenberg: Zur Redressement- und Ver¬ 
bandtechnik bei schweren Skoliosen. 

G. ist Anhänger des forcierten Redressements. Sein Gipspulver 
vermengt er mit Portlandzement (19 Teile Gips : 1 Teil Zement). 
Die Abbildungen beweisen einen Augenblickserfolg. 

22) B ö c k e r - Berlin: Zur Beurteilung von Unfallverletzungen 
im Bereich des kindlichen Ellbogengelenkes. 

Zur richtigen Beurteilung solcher Verletzungen ist es erforder¬ 
lich: die normale Anatomie in der Entwicklungsperiode und die patho¬ 
logische Anatomie im Röntgenbild zu kennen, Aufnahmen in 2 Ebenen 
zu machen, die gesunde Seite als Vergleichsobjekt zu röntgenisieren. 

23) G u r a d z e - Wiesbaden: Erfolge der Oberschenkelosteo¬ 
tomie. 

Bericht über einige schöne Resultate bei Hüft- und Knie¬ 
deformität. 

24) B1 e n c k e - Magdeburg: Bemerkungen über den Kalkaneus- 
sporn. 

Klinische Beobachtungen und zahlreiche Röntgenuntersuchungen 
führen Verf. zu der Ansicht, dass der Kalkaneussporn seltener eine 
Wachstumserscheinung, eine Ausziehung der unteren Kalkaneus- 
epiphysenspitze, darstellt. Vielmehr dürfte er sich meist im späteren 
Alter entwickeln durch verschiedene pathologische Ursachen, da¬ 
runter namentlich Gonorrhöe, Arthritis, Arteriosklerose. Der Sporn 
muss nicht gerade Beschwerden machen, tüt es aber meistens. 

25) Chrysopathes -Athen: Beitrag zu den hyperplastlschen 
Osteopathien resp. Osteoarthropathien. 

Ein noch nicht klassifizierter Typus, mächtige Hypertrophie des 
Skeletts der oberen Extremitäten. 

26) Li 1 i e n f e 1 d - Leipzig: Ueber die Erzeugung der typischen 
Verletzungen der Handwurzelknochen und des Radiusbruches etc. 

Leichenversuche zur Erklärung des Mechanismus bei Brüchen 
des unteren Radiusendes, des Navikulare, bei Luxation des Lu¬ 
natum etc. 

27) R o s e n f e 1 d - Nürnberg: Prophylaxe der Verkrüppelung. 

Angeborenen Deformitäten steht die Prophylaxe allerdings macht¬ 
los gegenüber, nicht aber den 8 mal häufigeren erworbenen Deformi¬ 
täten. So bekämpfen wir die Verkrüppelung nach tuberkulösen Ge¬ 
lenkknochenleiden durch sorgfältige Behandlung unter Benützung des 
Höhenklimas, der See, der Solquellen, der Land- und Waldkolonien. 
Auch die Rachitis ist aus prophylaktischen Gründen Gegenstand ortho¬ 
pädischer frühzeitiger Fürsorge. Aeusserst wichtig sind unsere pro¬ 
phylaktischen Bestrebungen auf dem Gebiet der Skoliose. 

Vielfach grenzen die Aufgaben des Orthopäden an die soziale 
Medizin (Wohnungsfürsorge, Unfallversicherung, Milchküchen, Schul¬ 
gesundheitspflege, Tuberkulosebekämpfung). Das eigenste Gebiet des 
Orthopäden ist die Krüppelfürsorge. Die Krüppelheime sind auszu¬ 
bauen in der Richtung der Therapie. Die Angliederung von Ambu¬ 
latorien an das Krüppelheim wird empfohlen, Externe sollen an ärzt¬ 
licher Behandlung und Unterricht teilnehmen können. Auch hier¬ 
durch ist eine Prophylaxe der Verkrüppelung gewährleistet. 


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1752 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 . 


28) Ger son -Schlachtensee: Skoliosenbehandlung Im Hause. 

Empfiehlt häusliche korrigierende Lagerung und ähnlich ein¬ 
fache Manipulationen als Nachbehandlung nach der Anstaltskur. 

29) Haudek - Wien: Zur operativen Behandlung des musku¬ 
lären Schiefhalses. 

Er empfiehlt die Durchtrennung des verkürzten Kopfnickcrs unter 
dem Warzenfortsatz nach Lange, als Verband den zirkulären 
Watteverband nach Schanz. 

30) G h i u 1 a m i I a - Bukarest: lieber einige einfache und prak¬ 
tische Gipsextensionsverbände. 

Die Extension wie die Kontraextension an der unteren Extremi¬ 
tät greifen an mit Hilfe kleiner, gut anmodellierter Gipsverbünde, 
welche einen starken Zug gestatten, ohne Druck zu erzeugen. 

31) Ehebald - Halle: Unsere Erfahrungen mit der angeborenen 
Hüftverrenkung. 

Von 102 cingerenkten Bällen waren 67 einseitig, 35 doppelseitig. 
Von den einseitigen Bällen ergaben 56 Proz. ein anatomisch und 
funktionell tadelloses Resultat; ein funktionell vollkommenes Resultat 
wurde, wenn man Repositionen mit exzentrischer Einstellung des 
Kopfes hinzurechnet, sogar in 77 Proz. erzielt. 

Etwas weniger günstig war das Ergebnis bei Luxatio duplex. 

E. ist kein prinzipieller Gegner der blutigen Reposition. 

32) N i e n y - Schwerin: Studien über das Schuhwerk der Platt- 
Bissigen. 

Praktische Ratschläge für die Stiefelkonstruktion hinsichtlich 
schiefer Sohlung, Gelenkverstärkung, Lederkappe etc. Von Ein¬ 
lagen verwendet N. sowohl Zelluloid als gewalktes Leder und 
Durana. 

Das Gipsmodell für die Einlage gewinnt er folgendermassen: 

Pat. tritt auf eine schiefe Ebene (15°), auf welche ein gips- 
gefülltes Cambricsückchen gelegt ist. Während des Erhärtens wird 
die Busswölbung mit einem Bindenzügel möglichst wiederhergestellt. 

33) Bö hm-Berlin: Ueber die Ursache und das Wesen der 
idiopathischen Deformitäten des Jugendlichen Alters. 

Die in der Entwicklungsperiode auftretenden Wachstums¬ 
störungen, die Skoliosis, Coxa vara, Pes valgus und Genu valgum 
adolescentium, scheinen dem Verf. nicht in der bisher angenommenen 
Weise ihre Erklärung zu finden. Weder ein bekannter knochen¬ 
erweichender Prozess noch eine Anomalie der Muskeln sind bis jetzt 
als ihre Ursache nachgewiesen worden. In abnormer Weise ein¬ 
wirkende Belastung kann nicht als primäre Ursache angesehen wer¬ 
den, wie klinische Beobachtung zeigt. 

Bür die Scoliosis idiopathica stellt die „numerische Variation 
des Rumpfskeletts“ einen hauptsächlichen ätiologischen Baktor dar. 
Dieses Phänomen aber erscheint als phylogenetischer Ent¬ 
wicklungsfehler. Vergleichend-anatomische Untersuchungen be¬ 
lehren uns, dass die beim Menschen als idiopathische Wachstums- 
Störungen vorkommende Coxa vara, Pes valgus, Genu valgum bei 
den niederen bezvv. höheren Affen physiologische Bildungen sind. 

Es erscheinen also die genannten Deformitäten ebenso wie die 
Skoliose als phylogenetische Entwicklungsfehler und zwar im Sinne 
einer unvollkommenen Anpassung an die spezifisch-menschliche 
Bunktion der unteren Extremität (u. a. aufrechte Haltung). Das 
späte klinische Sichtbarwerden der — somit kongenital angelegten — 
jugendlichen idiopathischen Wachstumsstörungen findet in der eigen¬ 
tümlichen physiologischen postnatalen Bormcntwicklung des mensch¬ 
lichen Skeletts seine Erklärung. 

34) S p i t z y - Graz: Die neurologische Stellung der spastischen 
Lähmung und ihre Behandlung mit Nervenplastik. 

Die spastische Kontraktur lokalisiert sich am Vorderarm in 
typischer Weise auf das Gebiet des N. medianus, während der 
Radialis Hypotonus aufweist. Sp. hat den Versuch gemacht, durch 
eine Nervenplastik ausgleichend zu wirken, indem er einen Teil des 
Medianus abspaltete und auf den Radialis pfropfte. In 3 Bällen 
wurde ein Erfolg deutlich konstatiert. 

35) B a d e - Hannover: Mitteilungen aus dem Gebiete der ange¬ 
borenen Hüftverrenkung. 

1. Ein Ball angeborener Luxatio duplex nebst Luxation der Unter¬ 
schenkel nach hinten und Hakenfüssen. Die Diagnose wurde am 2. 
Lebenstage gestellt, die Reposition sofort vorgenommen. Nach 
8 Tagen schon standen die Köpfe fest. 

2. Luxatio duplex und Klumpfiisse. Redressement und Repo¬ 
sition in einer Sitzung. 

3. Angeborene oder paralytische Hüftverrenkung mit Sclbst- 
repositionsrnöglichkeit. Heilung im Verband. 

36) Frankel- Berlin: Klnematographlsche Untersuchung des 
normalen Ganges und einiger Gangstörungen. 

Analyse der Bilmaufnahmen bei Luxatio coxae, Coxa vara, 
Coxitis, verschiedenen Lähmungen. V u I p i u s - Heidelberg. 

Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 44. Bd. 

2. Heft. 1908. 

D ö 11 k c n: Ueber Halluzinationen und Gedankenlautwerden. 

11 Bälle von Halluzinoscn, die nicht mit Geisteskrankheit kom¬ 
pliziert W'aren, wurden untersucht. Eine einheitliche Formel fiir den 
Mechanismus der Halluzinationen, die in allen Fällen von den Kranken 


korrigiert wurden, gibt es nicht. Beteiligt ist fast stets der ganze 
sensible oder motorische Teil des Leitungsbogens oder beide Teile 
gleichzeitig. Die interessanten Details der Arbeit aber Aetiolngic, 
Lokalzeichen der halluzinatorischen Empfindungen. Leitungsbogtn, 
Leitungsrichtung, Geiuhlsbetommg und Korrektur der Halluzinationen 
müssen im Original nachgelesen werden. 

Hermann L u u d b o r g - Upsala: Ueber die sogenannte meta- 
trophlsche Behandlungsmethode nach Toulouse-Rlcket gegen 
Epilepsie. 

Schluss im nächsten Heft. 

Paul Junius und Max Arndt: Beiträge zur Statistik, Aetio- 
logle, Symptomatologie und pathologischen Anatomie der progres¬ 
siven Paralyse. (Aus der Irrenanstalt der Stadt Benin zu Dalldorf.) 
Mit Abbildungen im Text. (Schluss folgt.) 

.1 u1 1 us D o u a t h - (Meii-IVst: Leber hysterische Amnesie. 

Zwei interessante Balle hysterischer Dämmerzustände werden 
in extenso beschrieben und besprochen. 

Hermann Kornfeld: Schwere Körperverletzung. Abortives 
Delirium potat. oder febrile? 

Gutachten und Gegengutachten. 

Kurt Gold stein: Zur Theorie der Halluzinationen. Studien 
über normale und pathologische Wahrnehmung, t \us der psycln- 
atrischen Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr.) Ludwig Ed inger 
zur Eröffnung des neuen S e n c k e n b e r g Pechen neurologischen 
Institutes in Breimdschaft und Verehrung. Ochiuss folgt.) 

Armin Steyerthal: Leber Huntington sehe Chorea. 

V ert. hat sich einer \ ei dienst\olle n Arbeit unterzogen. Wofür 
ihm die Bachkollegen Dank wissen werden. Ir hat die im Medical 
and Surgical Reporter ls72 erschienene und seit langem xerloren ge¬ 
glaubte Arbeit von George Huntington ..Ueber Lhorea", die den 
Neurologen der Gegenwart nur aus dem Reterat im V iuIuoi - 
Hirsch bekannt sein durfte, ms Deutsche übersetzt und bringt diese 

1 ebersetzung m \ or liegender V eroueiitiichuug zum Abdruck. 

Ilasclie-Klunder: Leber atypisch verlauiende Psychosen 
nach Unfall. (Aus dem allgemeinen Krankenhause liamburg-B.ppen- 
dorf und aus der li re na ristall I i ledru tisber g.) 

Nicht nur nach schweren, sondern audi nach leichteren Kopi- 
traiimeii, ja sogar nach andeien kot per liehen Verletzungen mehr oder 
weniger leichterer Art können 'gelegentlich mannigfache Psvdiosen 
ausgelost werden. Diese Ps\ cliosen haben \ leit.uh einen derartig 
atypischen Verlauf, dass es ott schwer ist. derartige l nfadkranke mit 
ihren Beschwerden anfangs gerecht zu beurteilen und richtig zu 
begutachten. Noch schwel er ist es. die sich aiimaiilidi entwickelnde 
Geisteskrankheit schon ini Beginn fest/ustelleii, sowie den ursäch¬ 
lichen Zusammenhang mit dem I raunia nachzuw eisen. 

Das Atypische liegt bei einzelnen Psvchoseii in ihrer Entwick¬ 
lung: durch einen l niall entsteht eine Neurose, die erst nach vielen 
Jahren allmählich oder plötzlich m eine Geisteskrankheit übergeht: 
bei anderen liegt das AtvpisJie m dem eigenartigen Verlauf: es treten 
bei derselben Psychose im Laufe der Jahre m den ein/einen Madien 
mehrere, unter einander gänzlich verschiedene KrankheitsmlJer aut. 
neben funkti«nielleii auch organische, so dass nicht nur im Beginn der 
psychischen Eikaiikung es unmöglich ist, eine richtige detmitive Dia¬ 
gnose zu stellen, sondern dass es auch i'.idi jahrelanger Beobachtung 
nicht gelingt, die betr. Pswlmse in ein Schema em/uordnen. 

Mitteilung von s Ballen von chronischen Psychosen nach Unfall, 
deren Beobachtung sich auf eine Reihe von Jahren erstreckt und \"ii 

2 I allen von akut verlautenden posttr auttiatisc heil lieistc skrankheiten. 
Bei den chronischen Psvchoseii spielte der Kampi um die Rente eine 
mehr oder weniger wichtige Rolle, mitunter ätiologisch die Haupt¬ 
rolle. weshalb eine Aendcrung des l maligem t/es. vor aiiem Abfindung 
durch eine Geldsumme prophylaktisch vielleicht zu empfehlen wäre. 

A. X n a p p: Körperliche Sy mptome bei funktionellen Psychosen. 
(Aus der Kgl. Universitätsklinik für psychische und Nervenkrankheiten 
in Güttingen.) 

Au der Hand eines grossen Materials und der in der Literatur 
niedergelegten Lifahrungen werden die bei tunktionenen Psvchoseii 
verkommenden korpei liehen Symptome, die Storungen der Pupmeii- 
urid Selmenreflexe. des Muskeltonus, der Sensib;. it.it und Motmt.it. 
der Sprache und Schrift, der lemperatur. die sekretorischen, vaso¬ 
motorischen und trophischen Storungen eingehend besprochen. Ab¬ 
gesehen von eler Verminderung der Tranensekretion. weiche beson¬ 
ders bei der Melancholie v or kommt, finden sich die genannten kör¬ 
perlichen Symptome fast ausschliesslich nur bei soiJien Geistes¬ 
störungen. bei denen psychomotorische »katatojiiH he ) 1 rs v heinungen 
eine mehr oder minder ausschlaggebende R.. : :c spielen. Die Pro¬ 
gnose wird durch das Auftreten v>.n körperlichen Sv mpt"i’ien. selbst 
durch das Auftreten des \V ist p h a i s v Men Zeichens, v-.n Reiiex- 
differeii/en. von Silbetistolpern. nicht a^s-dut ungünstig. was die 
grossere Zahl der mitgeteiiten I .iiIe. die trotz düngende» Verdachtes 
auf Partilyse in Genesung ubergegangen sind, beweist. Nur die Pu- 
piUeiistorimgen Scheinen, wenigstens n.mh den bisherigen Beob¬ 
achtungen, regelmässig ein Signum mall m;;ir,!v zu sein. Die ko; [■.er¬ 
hellen Symptome bei füÄtionehen Guso-ss? .rurtgen können d:c 
Differentialdiagnose (namentlich bei Abortiv;.t :eri • nicht seiten ganz 
erheblich erschweren. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 


18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1753 


Renkichi Moriyasu: Zur pathologischen Anatomie der Para¬ 
lysis agitans. (Aus der psychiatrischen und Nervenklinik der Uni¬ 
versität Kiel.) 

Des Verfassers Untersuchungsresultate sind folgende: „Im Gross * 
hirn bieten vordere Zentral- und Parazentralwindung fast keine 
wesentlichen Veränderungen dar, ausser der Verdickung der Gcfässe, 
geringfügigen Veränderungen von Zellen, Neurofibrillen und Mark¬ 
scheide, dagegen sind in Stirn- und Hinterhauptwindung die Neuro¬ 
fibrillen und Markscheiden in der I. uftd II. Schicht ziemlich stark ge¬ 
lichtet und die Ganglienzellen, besonders kleine und mittelgrosse 
Pyramidenzellen zeigen Zerstörung der Fibrillen, Zerfall des Tigroides 
und Verdickung der Gefässe. Im Kleinhirn sind die P u r k i n i e sehen 
Zellen ziemlich stark verändert. Ihre Fortsätze sind stellenweise fast 
ganz verschwunden, stellenweise besitzen sie nur noch kurze dicke 
Stümpfe. Besonders in den Windungskuppen sind die Zellen aus¬ 
gefallen oder doch deutlich vermindert. Die Tangentialfasern in der 
Molekularschicht und die Fasern, welche die Purkinje sehen Zellen 
korbartig umgeben, sind stellenweise ziemlich stark gelichtet. An 
anderen Stellen hat die Körnerschicht sich gelichtet und ist reduziert. 

Die Gefässe zeigen hier und da Verdickung der Wandungen. Die 
Gliafasern in der Molekularschicht sind etwas vermehrt, besonders 
hier und da in den Markstrahlen. 

In der Medulla oblongata nur Verdickung der Gefässe. Im 
Rückenmark zeigen sich die Nervenfasern in Hals- und Brustmark 
gelichtet, besonders in den G o 11 sehen Strängen der Halsanschwel¬ 
lung, sonst findet sich in Hals-, Brust- und Lendenmark manchmal 
auf einer Seite, manchmal auf beiden Seiten diffuse, weniger deutliche 
Entfärbung in den Seitensträngen oder in den Vordersträngen. Ferner 
asymmetrische Zellveränderungen des Vorderhorns, reichliche Pig- 
mentation der Ganglienzellen und Obliteration des Zentralkanals, so¬ 
wie inselförmige oder plaquesartige Gliawucherungen der weissen und 
mehr diffuse Gliawucherung in der grauen Substanz. Stellenweise 
Verdickung der Randschicht des Rückenmarkes. 

In den peripheren Nerven geringe Verbreiterung der Endoneurien 
und Verdickung der Gefässe. 

In den Muskeln stellenweise Vakuolenbildung, Atrophie der 
Muskelfasern, Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes und Ver¬ 
dickung der Gefässe. 

Die Krankheit ist nicht isoliert im Rückenmark oder in den peri¬ 
pheren Nerven oder in den Muskeln lokalisiert, sondern im gesamten 
Zentralnervensystem.“ 

Friedrich Zöllner: Ein Fall von Tumor der Schädelbasis, aus¬ 
gehend von der Hypophyse. (Aus der psychiatrischen Klinik und aus 
der Nasen- und Ohrenklinik der Universität Strassburg.) Hierzu 
Tafel V und VI. 

Karzinomähnlicher Tumor der Schädelbasis, ausgehend vom 
Vorderlappen der Hypophyse; derselbe hatte das Keilbein durch¬ 
wuchert, die Siebbeinzellen und Sinus cavernosi angefüllt, war in 
beide Orbitae eingedrungen und im Septum narium bis nahe an die 
Nasenlöcher gewuchert. In der Entwicklungszeit der Geschwulst 
waren auffallende Veränderungen des Körperwachstums hervor¬ 
getreten (persistierender weiblich-kindlicher Habitus mit auffallend 
stark entwickelten Mammae und Adipositas bei einem 21 jährigen 
Arbeiter), ferner hatte eine schwere Beeinträchtigung lebens- und 
funktionswichtiger Teile des Zentralorgans bestanden, ohne dass die 
klinischen Erscheinungen den anatomischen entsprochen hätten. 

V o 11 a n d: Kasuistischer Beitrag zu den traumatischen Rinden¬ 
defekten der Stirn- und Zentral Windungen. (Aus der Anstalt für 
Epileptische zu Bethel bei Bielefeld.) Hierzu Abbildungen. 

Bei einem Kranken mit traumatischem linksseitigem Hirndefekt, 
der ungefähr die Hälfte vom Fusse der 2. Stirnwindung, ca. ein Drittel 
vom Fusse der 3. Stirnwindung und über die Hälfte des daran an- 
stossenden Teiles der vorderen Zentralwindung umfasste, konstatierte 
Verf. andauernde aphasische und zentral-anarthrische Sprach¬ 
störungen, die unmittelbar nach epileptischen Anfällen am stärksten 
waren; Stereagnosis der rechten Hand, bedingt durch Aufhebung der 
isolierten und Zweckbewegungen der Finger rechterseits. Betreffs der 
klinischen und pathologisch-anatomischen Einzelheiten des Falles sei 
auf das Original hingewiesen. 

F. A p e 11 und O. Schümm: Untersuchungen über den Phos¬ 
phorsäuregehalt der Spinalflüssigkeit unter pathologischen Verhält¬ 
nissen. (Aus dem Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf.) 
(Zugleich eine Erwiderung auf die Entgegnung Donaths.) 

Eignet sich nicht für ein kurzes Referat. 

III. Internationaler Kongress für Irrenpflege in Wien. 

Notiz. Germanus F1 a t a u - Dresden. 

Archiv für Hygiene. 67. Bd. l.Heft. 1908. Mit 2 Tafeln. 

1) Hans Schneider -Berlin: Ueber den Desinfektionswert der 
drei Kresol-Isomeren in Gemischen mit Seife. 

Nach dem Ministerialerlass vom 19. Oktober 1907 wurde den 
Hebammen zur Desinfektion eine Kresolseife vorgeschrieben, die das 
Orthokresol nicht mehr enthielt, während früher das verwendete Tri- 
kresol ausserdem noch aus Meta- und Parakresol bestand. Das Ortho¬ 
kresol sollte wegen zu geringer Desinfektionswirkung als minder¬ 
wertig ausgeschieden werden. Verf. hat diese Frage einer neuen ex- I 


perimentellen Untersuchung unterzogen und dabei das alte Lysol und 
eine ganze Reihe Kresolseifen, die nach Vorschrift des Erlasses be¬ 
reitet waren, geprüft; ebenso Gemische aus den reinen drei Kresolen. 
Es stellte sich dabei heraus, dass die von Herzog und Emde ver¬ 
tretene Anschauung der Minderwertigkeit von Orthokresol gegen¬ 
über Parakresol nicht aufrecht zu erhalten ist. Praktische Unter¬ 
schiede hinsichtlich der Desinfektionskraft bestehen zwischen den ein¬ 
zelnen Kresolen nicht. Gemische der 3 Kresolisomeren wirken etw r as 
besser und gleichmässiger als einzelne Kresole. Technisches Tri- 
kresol, wie es im Lysol enthalten ist, wies stärkere desinfizierende 
Eigenschaften auf, als ein ähnlich zusammengesetztes reines Trikresol- 
gemisch. Auf Grund dieser Untersuchungen erscheinen nach Ansicht 
des Verf. die Voraussetzungen, die zur Einführung der neuen Kresol¬ 
seife des Erlasses vom 19. Oktober 1907 Veranlassung gegeben haben, 
hinfällig. 

2) Harrie S c h ü t z e - Würzburg: Beiträge zur Kenntnis der 
thermophilen Aktinomyzeten und ihrer Sporenbildung. 

Die Untersuchungen wurden mit in Blechbüchsen zur Gärung 
gebrachtem Kleeheu ausgeführt. Es fanden sich regelmässig zwei 
charakteristische Aktinomyzeten, die als Actinomyces termophilus und 
Actinomyces monosporus bestimmt wurden. Thermomyces Ianugi- 
nosus konnte nicht gefunden werden. Die Organismen sind thermo- 
phil, die Sporen auffallend wenig widerstandsfähig gegen hohe Tem¬ 
peraturen. Die thermophilen Arten gedeihen an der Grenze ihres 
Wachstums besser an der Oberfläche aerob, und nur bei niederen 
Temperaturen wachsen sie auch im Stichkanal. Die Sporenbildung bei 
den Aktinomyzeten hat sich als eine Fragmentation, nicht als Seg¬ 
mentation auffassen lassen. 

3) K. B. Lehmann- Würzburg: Neue Untersuchungen über die 
quantitative Absorption einiger giftiger Gase von Tier und Mensch 
durch den Resplrationstraktus und seine Teile. 

Die Untersuchungen beziehen sich auf Ammoniak, Salzsäure, 
schweflige Säure, Essigsäure, Schwefelkohlenstoff und wurden in¬ 
sofern gegen die früheren von Lehmann ausgeführten Experimente 
erweitert, als ausser der Aspirationsmethode und der Flaschenmethode 
auch die Waschflaschenmethode und die Methode der Müller sehen 
Ventile mit in Betracht gezogen wurde. Die Resultate haben infolge¬ 
dessen auch manche Erweiterung erfahren, bezügl. welcher auf das 
Original verwiesen werden muss. 

R. O. Neumann -Heidelberg. 

Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. 2. Bd., 1. Heft. 

I. Originalarbeiten. 

1) Eugen Alb recht: Teleologie und Pathologie. 

Der Aufsatz darf das wissenschaftliche Testament des zu früh 
verstorbenen bedeutenden Philosophen und Biologen genannt werden. 
A. wendet sich darin energisch gegen die vitalistische Teleologie. 
Teleologie kann überhaupt nur insofern einen Sinn haben, wenn die 
Ereignisse von uns so betrachtet werden, als wären sie nach be¬ 
stimmten Zwecken und Zielen geordnet. Zum Zweck gehört untrenn¬ 
bar die Psyche; daher müssen Anschauungen, z. B. solche, die den 
kleinsten Teilen des organischen wie unorganischen Bestehens selbst¬ 
ständiges Bewusstsein, Urteil zuschreiben, als unhaltbar aufgegeben 
werden, da sie vergessen, dass der Zweckbegriff eben nur auf 
psychischem Gebiete angewandt werden darf. Trotzdem hat die 
finale Betrachtungsweise, in obigem Sinne, besonders in der Patho¬ 
logie ihren Wert und ihre Berechtigung, wenn dabei nicht ausser 
acht gelassen wird, dass die Reaktionen des Körpers durchaus nicht 
alle zweckmässig sein müssen, im Gegenteil vielfach unzweckmäsig 
sind, dass sie strikte ihren Reizen entsprechend ablaufen müssen, dass 
der Körper trotz noch so häufiger Reize nicht neue Kombinationen in 
seinen Reaktionen selbständig lernt. Diese finale Betrachtungsweise 
kann vielleicht einmal wie jedes andere Geschehen in der uns zugäng¬ 
lichen Welt, auch das chemische und physikalische Geschehen im 
Körper völlig verstehen und rekonstruieren lernen; es wird aber das 
Entstehen und Bestehen des Lebens, das Woher der selbständigen 
Kräfte trotz alledem ein ewig unlösbares Rätsel bleiben; vor dem 
Problem der Form muss die Naturforschung halt machen. 

2) August Knoblauch: Das Wesen der Myasthenie und die 
Bedeutung der „heilen“ Muskelfasern für die menschliche Pathologie. 
(Aus dem städtischen Siechenhause Frankfurt a. M.) 

Siehe Referat in No. 29 1908. pag. 1559 dieser Wochenschrift. 

3) August Homburger: Zur Lehre von. den Strukturformen 
der pathologischen faserigen NeurogÜa. 

Für die reparatorische Gliawucherung sind zum Teil rein tek¬ 
tonisch-physikalische Momente formgebend: mit möglichst geringem 
Material soll der Fasern-, Zug-, Druck- und Schubfestigkeit Rechnung 
getragen werden; die Proliferation und Anordnung der neugebildeten 
Glia erfolgt hier rein nach statischen Gesetzen. Andererseits aber 
fehlt auch häufig diese tektonisch analysierbare Faseranordnung, sie 
weicht einem massigen Gewirr von Fasern, die nach statischen Ge¬ 
setzen nicht analysierbar sind. In solchen Fällen scheint die Deckung 
des Defektes, um den Spannungsausgleich im Gewebe herbeizuführen, 
mit grösster formativer Energie zu geschehen. Dies sind anscheinend 
Fälle, in denen der Defekt rasch gedeckt werden soll, in denen die 
funktionellen Postulate der Festigkeit und die physikalischen der 
Elastizität und Biegsamkeit gegen das Postulat möglichst geringen 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1754 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


Zeitaufwandes zurückstehen. Letzterem wird durch maximale Pro¬ 
liferation des Gewebes ohne Rücksicht auf die Tektonik Genüge ge- 
leistet. 

4) Ernst He dinge r: Miliartuberkulose der Haut bei Tuber¬ 
kulose der Aorta abdominalis. (Aus dem pathol. Institut Basel.) 

Bei einer 46 jährigen Frau traten ungefähr 3 Monate vor dem 
Tode, neben Kopfschmerzen, an den Beinen, besonders auf der Rück¬ 
seite der Oberschenkel und in der Gegend der Nates. 1—3 cm grosse 
runde Infiltrationen mit oberflächlicher Geschwürsbildung auf, die 
sich bei der mikroskopischen Untersuchung als typische tuberkulöse 
Manifestationen erwiesen. Ursache der Erkrankung war, wie sich 
bei der Autopsie herausstellte, ein tuberkulöser Herd der Aorta ab¬ 
dominalis, der von der Adventitia ausging und in die Intima durch¬ 
brach. 

5) S. Isaak: Zur Frage der tuberkulösen Leberzirrhose. (Aus 
dem pathol. Institut Basel.) 

Während bei der atrophischen Zirrhose ätiologische Beziehungen 
zur Tuberkulose durch Sektionsergebnisse und experimentelle Unter¬ 
suchungen seit langer Zeit wahrscheinlich geworden sind, sind die 
Beziehungen der hypertrophischen Zirrhose zur Tuberkulose weniger 
bekannt. In dem von Isaak mitgeteilten Falle bestand dieser Zu¬ 
sammenhang. Die stark vergrösserte Leber bot bei der mikro¬ 
skopischen Beobachtung neben ausgedehnten Lympho/vtenintil- 
trationen zirrhotische Partien mit allen Uebcrgängen von frisch ent¬ 
zündeten zu indurierenden Bindegewebsbildungen. In den entzünd¬ 
lichen Partien waren zahlreiche Lymphozytenknötchen und typische 
Tuberkel bemerkbar. Die Leberveränderung war zweifellos die pri¬ 
märe Manifestation der Tuberkulose, von der aus erst die anderen 
Organe infiziert wurden; die Infektion der Leber mit Tuberkulose er¬ 
folgte wahrscheinlich auf hämatogenem Wege. 

6) Gotthold Herxheimer: lieber hyaline Glomerutl der Neu¬ 
geborenen und der Säuglinge.* (Aus der Prosektur des städt. Kranken¬ 
hauses Wiesbaden.) 

Bei Neugeborenen und Säuglingen kommen sehr häufig hvalinc 
Bildungen in der Glomeruluskapsel und im Glomerulus selbst vor, 
die von der Kapsel ausgehen und den Glomerulus zur völligen Ver¬ 
ödung hingen können. Die Ursache der Hvalinbildung liegt an¬ 
scheinend nicht in fötalen entzündlichen Prozessen, sondern rs liegen 
wahrscheinlich entwdcklungsgcschichtliche Anomalien der Glorneruli 
und ihrer Kapseln vor, indem die Korrelation zwischen Epithel und 
Bindegewebe hier gestört ist, das Bindegewebe zum Ueberwiegcn 
kommt. Das häufige Auftreten dieser ..Fehlbildungen“ bildet einen 
Beweis dafür, dass Fehlbildungen in Organen äusserst zahlreich sind, 
und die Geschwulsttheorien, die auf Fehlbildungen im Orennaufbau 
zurückgreifen, gerade in diesem häufigen Auftreten derselben eine 
Stütze haben. 

7) S. Schönberg: Ueber Veränderungen Im Shnisneblete des 
Herzens bei chronischer Arrhythmie. (Aus dem pathologischen In¬ 
stitut Basel.) 

Zwischen der Muskulatur des rechten Hcrzvorhofes und der 
oberen Hohlvene besteht meist eine deutliche Grenze in Form eines 
aus Fett und Bindegewebe bestehenden, an (iefässen und nervösen 
Elementen reichen Sulkus. der vom rechten Herzohr schräg nach 
hinten unten gegen das Vorhofsseptum zieht. Dieser Sulkus wird in 
seinem hinteren seitlichen Drittel iiberbriiekt von einem Muskelbündel, 
das vom Vorhof nach hinten oben auf die Vena cava sunerior steigt 
und hier zum Teil von Fasern verstärkt wird, die von den zirkulär 
verlaufenden Muskelfasern des untersten Teiles der Vene herkonmien. 
Ein Ausstrahlcn der Vorhofsmuskulatur auf die Vena cava sunerior in 
der Ausdehnung. w r ie dies W. Koch angenommen hat. findet iedocli 
nicht statt. Im Bereich des Muskelbündels finden sich Elemente, die 
an die P u r k i n j c sehen Fasern erinnern. In den untersuchten Fällen 
von Arrhythmie fanden sich in dem Gebiete zwischen Vena cava 
sunerior und Vorhof ausgedehntere entzündliche lymnhozvtäre In¬ 
filtrationen. in einem Falle von besonders schwerer, langdauernder 
Arrhythmie, daneben deutliche Vermehrung und hvalinsklerotisehc 
Umwandlung des intermuskulären und nerincuralen Bindegewebes 
bei grosser Armut an Ganglienzellen und Nerven. Die Befunde von 
Sch. sprechen dafür, dass die Urspnmgsreize des menschlichen Her¬ 
zens im Sinnsgebiete beginnen, da Störungen dieses Gebietes Irregu¬ 
larität des Herzens hervorrufen. 

8) C. E. Brandts: Ueber ein hämorrhagisches Lvmnhangiom 
der Hundemilz. (Aus der Prosektur des städtischen Krankenhauses 
München r'Isar.) 

Beschreibung eines riesigen von der Milz ausgehenden Tumors, 
der aus grossen, mit Lvmphe angefüllten, von Endothel ausgekleideten 
Räumen besteht, mit anscheinend ncuecbildetcn Lvmph/ellen- 
anhäufungen im die einzelnen Räume trennenden Stroma. Zum 
Teil erfolgten ausgedehnte Hämorrhagien in die Geschwulst. Von 
Interesse ist, dass der Tumor einem den Bauch treffenden Trauma 
folgte, vielleicht sich auf der Basis einer verheilenden Milzruptur 
entwickelte. 

9) Hans Albrecht: Ueber das Karzlnosarkom des Uterus. 

(Aus dem Pr. S c n c k c n b c r g ischen pathol. Institut Frankfurt a. M.) 

Beschreibung oben genannter, sehr seltenen Geschwulst in einem 
wahrscheinlich infolge der Geschwulstausbildung total invertierten 
Uterus. A. nimmt an, dass cs sich primär hierbei um ein polypöses 


Sarkom (event. Adenosarkom) gehandelt hat. das bei w eiterem Fort¬ 
schreiten seine anfangs polvpose Beschaffenheit mehr und mehr verlor 
und beim Uebergreifen auf den Uterus sich mit einem schon be¬ 
stehenden Adenokarzinom des Korpus zu gemeinsamer Wucherung 
vermengte. Die Metastasierung w ar liberal! eine rem sarkomabe c. 
II. Kritische Rundschau. 

Hans Albrecht: Zur Kritik der neuen Lehre von der Erdo- 
metritis. (Aus der II. gynäkologischen Klinik München. I 

Die Untersuchungen von H i t s c h m a n n und \ d I e r I iMeri 
die Basis für die Anschanngen über den normalen Bei der Utxrus- 
mnkosa: ihre Schlussfolgerungen betreffs der Endometritis K.lincn 
der Erweiterung und auch der Modifikation, ledenfa’ls ist cs künftig 
in allen Fallen notig, bei Beurteilung der Mukos.du’ ler den „enaiicn 
Menstruationsterinin zu berücksichtigen, da. wie obige Autorin nach¬ 
gewiesen haben, die Uterusmukosa normalerweise z\k!isGi die 
grössten Verschiedenheiten aufw eisen kann. Die Diagnose auf Ent¬ 
zündung darf mir bei dem Vo r han Jensmn der fnr Envundimg charak¬ 
teristischen Stroniaveründerungen gestillt werden; der Nachweis der 
Plasmazellen erleichtert und svhert die Ihnen..se der Entzündung. 
Die Priisenverunderungcn allein lassen keinen Schluss auf Entzün¬ 
dung zu: es ist Aufgabe weiterer Untersuchungen, ob f'nt’undimcin 
den zyklischen Ablauf der Uterusmukosa.mdca mieen beciminssen oder 
ob Abweichungen von der Norm dieses z\Mischen Ablaufes immer 
Zeichen von Entzündungen sind. () h c r n d n r f e r - München. 

Arbeiten aus dem Kaiscrl. Gesundheitsamte. 28. Band, 

3. Heft. 1908. 

1) U h I e n h ti t h, \V c i d a n / uni W e d cmann - Berlin: Tech¬ 
nik und Methodik des biologischen Verfahrens zum Nachweis von 
Pierdefleisch. 

Die Autoren beschreiben in ausführlicher Meise in zwei Kaniteln 
die Gewinnung des Antiscrums und die Ausführung der ReaMmn. 
die sie unter allen möglichen VerMKhsKdm/ungeii und in den ver¬ 
schiedensten Pterdefluschgemischen mit Erfolg ausgefuhrt haben. 

2 ) O. \V e i d a n / und K. Hnr c h m a n n - Berlin: Vergleichende 
Untersuchungen über die praktische Verwertbarkeit der Präzipitin¬ 
reaktion und der Komplementbindungsmethode zum Nachweis von 
Pferdefleisch. 

Pie Verfasser erkennen die bekannte ausserordentlich grosse 
Empfindlichkeit der N e i s s e r - S a c h s sjien Komplementbmdungs- 
methoile an: für praktische Zwecke geben sie jedoch der Prä/imtm- 
mettiode den Vorzug. Sie meinen, die Ko”m!emonthindunesm r t'-,ule 
führe überhaupt nicht zum Ziel, w enn die DntcrsuGnmesil-issickcit b'- 
reits ohne Antiscruin/usatz ablenkend wirkt oder wenn das ver¬ 
wendete Antiserum bereits für sich n’h-in in der fnr die Reaktion 
notwendigen Menge ablenkt. Pie Technik du srr Methode sei so 
schwierig und derartig umständlich, dass ihre f i"! ''tiii'^ in die Praxis 
nicht empfohlen werden kann. Ausserdem sei sie Zeitraubend im 1 
auch kostspieliger. Mit der I'räzipitinmethode komme man allein aus. 

3) Hüne-Merlin: Die Anwendung de« hioloiOschcn Verfahrens 
zum Eiweissnachweis in Fettgewebe und ausgelassenem Fett 
(Schmalz). 

Die Reaktion gelang in FVtfgew eben verschiedener Art ganz 
leicht. Am besten zieht man mit Ik n'in oder Aetb.er das F'ett aus 
und benutzt alsdann zur Weiteren \ erarbeitung eis A'-snigsmittel sehr 
wenig destilliertes Wasser. Fs gem'/en zur Ausführung des Ver¬ 
fahrens Pro Rohrcluu 0.5 cem Aiis/ugsihissi/keit. 

•1) X y lau der und W o i t h e - Berlin: leber eine neue Vor¬ 
richtung zur Gewinnung keimfreier Sera In größeren Mengen. 

Beschreibung des neuen Apparates. PicsUbe ist durch instruk¬ 
tive Abbildungen erläutert. 

5) FI a e n d e I - Berlin: l r ebcr Komplemcntahlcnkung durch Antl- 
vlbrlonen- und Antlervthrozvtensera. 

6) H a e n d e I - Berlin : Leber Knmplcmenthlndung durch hämo¬ 
lytische Ambozeptoren bei 0°. 

Vcrf. konnte naebweisen. dass auch bei <t" bei Anwendung aus¬ 
reichenden Komplements und Amho/entoren eine \'er:mkerung des 
Komnlenients auf die Blutkörperchen um! selbst Hä'mdvsc rintrefen. 
Die bisherige Annahme nach Ehrlich und Morgen r o t h dass 
bei 0" eine Bindung des liäm«d\ tischen k*.imivcmcnn an mit Ambo, 
zenfr beladene Bltifk omerchcn grsefissig .-(iisPY-M m> ss'e a’s., 
modifiziert werden. Weiter wurde erfunden. dass dmf-f h die stark c 
Agglutination der mit spezifischem 8«-rnm bci.idcmm B’utkofne’v’mn 
die Koruplemcnteinwirkung mcch misch ganz crheb’ich gemindert 
ward. 

7) R. L a u t e r h o r n - Main/ ■ Rerleht über die Er"i*bnls«e der 

4. biologischen Unt**r«ueh"n«» des Rheins auf der Strecke Basel—Mainz 
(vom 14. bis 25. Mär/ |Qft7). 

Die Zeitverhaltnisse waren bei ch.-ser B.-mhrung des PN-ins 
nicht so günstig wie d*s le f zfu M-d. da dö- !'•’♦. ■reidnm", n dergj* das 
rnPule Ansteigeij des Stoen«; v ; ; %'d <'.■*- b■övrt brn-mt' . v bi;i--t w ur- 
den. \’erf. konmit jib.e r hannt dem ^ '''"SS weder der an- 

gesehwollene Stro»n der w ;>si. r ir r,, e vir f.. m, r . T <i, r wirk, 

liehen normalen Verhältnisse ,-r.., t <, ( .j H e-f - |»:..«^en r-r- 
tnale W'asserx erhä'tuisse gev .. ! 't v 'en. P-n f r ;t dem 

Wechsel der Temperatur sei \ iel w enicer von Be.R n:org. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 



18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1755 


8) M. Marson -Berlin: Bericht über die Ergebnisse der 4. bio¬ 
logischen Untersuchung des Rheins auf der Strecke Mainz bis unter¬ 
halb Koblenz (vom 18. bis zum 25. März 1907). 

Auch hier wurden wegen des starken Zulaufs von Regen und 
Schneeschmelzwässern die Verhältnisse ganz anders angetroffen als 
bei der letzten Fahrt im Herbst. Die eigentlichen Planktonformen 
fehlten zum grossen Teil. 

9) F. N e u f e 1 d und Händel- Berlin: Beiträge zur Kenntnis 
der Wirkung verschiedener blutlösender Gifte, insbesondere des tauro- 
cholsauren Natriums und der Seife. 

Es wurde erstens studiert die zellösende Wirkung des taurochol- 
sauren Natriums, der Seife und der Kalilauge im Vergleich mit anderen 
Blutgiften, alsdann die Wirkung der genannten hämolytischen Stoffe 
auf Lipoide und Eiweissstoffe. Ferner berichten die Autoren über die 
Hemmung der Hämolvse durch einen Ueberschuss von taurochol- 
saurem Natron, über Komplementbildung durch taurocholsaures Na¬ 
trium und über die Auflösung von Pneumokokken durch die gallen¬ 
sauren Salze. In einem Anhang wird der Nachweis über die Phago¬ 
zytose von emulgierten Fetttröpfchen und ihre Beeinflussung durch 
spezifische Antisera geführt. 

10) W. W e d e m a n n - Berlin: Toxikologische Versuche mit 
Atoxyl an zahmen Ratten. 

Ratten erhalten verschieden grosse Mengen Atoxvl subkutan in¬ 
jiziert und es werden die einzelnen Organe nach dem Tode des Tieres 
resD. nach dem Töten des Tieres auf Arsen untersucht. Es konnte 
in der Leber, der Niere und dem Blut Arsen nachgewiesen werden, 
während das Gehirn und die Milz nur ausnahmsweise und nach sehr 
grossen Dosen Spuren von Arsen enthielten. Der Urin ist schon 
nach kurzer Zeit von 6 Stunden, der Kot nach 12 Stunden arsenhaltig, 
die Ausscheidung dauert 5—8 Tage. 

11) Uhlenhut h. Weidanz und A n g e 1 o f f - Berlin: Ueber 
den biologischen Nachweis der Herkunft von Blut in blutsaugenden 
Insekten. 

Die Präzipitationsmethode des Blutnachweises wurde geführt am 
Blut von Blutegeln, Wanzen, Flöhen, Läusen und Mücken und gelang 
in jedem einzelnen Falle. R. 0. Neumann -Heidelberg. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 31 1908. 

1) V. Schmieden -Berlin: Der plastische Ersatz von trau¬ 
matischen Defekten der Ohrmuschel. 

Im 1. der 2 mitgeteilten Fälle wurde aus der Haut des rechten 
Oberarmes transplantiert, im 2. wurde — in 5 Operationen — ein 
Kn jrpelstück aus dem rechten Rippenbogen entnommen, in die Brust¬ 
haut implantiert und später von hier aus transolantiert. Der kos¬ 
metische Effekt ist an den Abbildungen des Originals zu ersehen. 

2) K. R e i c h e r - Berlin: Beziehungen zwischen Adrenalsystem 
und Niere. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschrift über die Sitzung 
der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 29. Juli 1908. 

3) M. B e r n h a r d t - Berlin: Weitere Mitteilungen über: „Die 
Betriebsunfälle der Telephonistinnen“. 

Schluss folgt. 

4) H. Strauss -Berlin: Ueber Proctitls sphlncterlca. 

Die systematisch angewendete Prokto-SigmoskoDie zeigt nicht 
selten Schleimhautveränderungen (Hyperämie bis Exkoriationen und 
Ulzerationen) des Sohinkterenkanales. wobei eine Reihe subjektiver 
Störungen, ferner Proktospasmus, Schmerzen. Blutungen auftreten. 
Der sogen, „nervöse“ Proktospasmus beruht häufig auf solchen Zu¬ 
ständen. Behandlung mittelst zellulosearmer Kost, lokaler Anwen¬ 
dung von Arg. nitr. (2—5 Proz.), Ichthyol mittelst eigens konstruierter 
Spritze. 

5) G. Arndt und A. Laqueur -Berlin: Experimentelle Unter¬ 
suchungen über die Fulguration an lebenswichtigen Organen. 

Die Verf. experimentierten an Kaninchen und Hunden. Sofern 
die Haut vor den Funken geschützt wird, ist zur Fulguration tiefe 
Narkose nicht erforderlich. Fulguration am Gehirn' und der Dura 
mater liess sich längere Zeit ohne unmittelbar schädliche Folgen aus¬ 
führen. Das Herz reagiert auf das direkte Auftreffen von Funken 
mit Arrhythmie und Blutdrucksenkung. C02-Kiihlung ist im Innern 
des Thorax bei der Fulguration zu unterlassen, da dadurch Atmungs¬ 
veränderung eintritt. Fulguration des Verdauungstraktus und der 
Harnblase bewirkt starke Kontraktionen. An der Fulgurationswirkung 
ist nicht nur die Funkenentladung, sondern auch der Hochfrequenz¬ 
strom als solcher hervorragend beteiligt. 

6) C. P o s n e r: Die Verwendbarkeit der Dunkelfeldbeleuchtung 
in der klinischen Mikroskopie. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung 
der Berliner medizinischen Gesellschaft am 8. Juli 1908. 

7) A. D i e t r i c h - Charlottenburg: Die Bedeutung der Dunkel¬ 
feldbeleuchtung für Blutuntersuchungen. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung 
der Berlin, medizinischen Gesellschaft vom 15. Juli 1908. 

8) R. Ehrmann und R. Lederer -Berlin: Ueber die Wirkung 
der Salzsäure auf die Fermentsekretion des Magens und der Bauch¬ 
speicheldrüse. 

Die Verf. fanden, dass die in therapeutischen Dosen gegebene 
C1H keine Vermehrung des Pepsins hervorruft. Auch wurde in 


keinem Falle eine Steigerung des Trypsins, in den meisten Fällen 
eine Verminderung desselben gefunden. Die Behauptung Pa w 1 o w s, 
dass die Säure den spezifischen Erreger des Pankreas darstelle, ist 
nicht zutreffend. 

9) L. Hess-Wien: Methode zur Bestimmung des „neutralen“ 
Schwefels im Harn. 

Hinsichtlich des Verfahrens ist das Original zu vergleichen. 

10) G. Arnheim- Berlin: Ueber den gegenwärtigen Stand der 
Keuchhustenfrage. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung 
der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 24. Juni 1908. 

11) M. Krause und Klug-Berlin: Beziehungen zwischen Im¬ 
munität und Fermentwirkung. 

Die Versuche ergaben, dass die antitryptische Kraft bei zu¬ 
nehmendem Antitoxingehalt (Zunahme der Immunität) fast in dem¬ 
selben Verhältnisse steigt. Ferner ist zu schliessen, dass die Anti¬ 
körper tryptische Kraft besitzen, welche durch die antitryptische 
Kraft des Serums überragt wird. 

12) A. W o 1 f f - E i s n e r - Berlin: Ueber Versuche mit verschie¬ 
denen Tuberkelbazillenderivaten. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung 
der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 25. Juni 1908. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. No. 32, 1908. 

1) W, Ebstein -Götlingcn: Bemerkungen zur Pathogenese der 
Urolithiasis. 

Verf. begegnet den Einwänden, welche von Moritz u. a. gegen 
seine Theorie von der Bildung der Harnsteine erhoben wurden. Auf 
Grund seiner Untersuchungen hält er fest an der Auffassung, dass 
„sie sämtlich durch Apposition wachsen, welche sich teils durch 
konzentrisch-schaligen-radialfasrigen Aufbau vollzieht, teils durch An¬ 
lagerung kristallinischer wirrer Massen, teils durch Kombination 
beider, immer unter Mitbeteiligung organischer (eiweissartiger) Sub¬ 
stanz. Versiegt die letztere, so hört das Wachstum der Harn¬ 
steine auf“. Echte Steine, auch kleinste Harnsäure- bezw. Urat- 
konkremente hinterlassen nach vorsichtiger Behandlung mit Alkalien 
ein Gerüst eiweissartiger Substanz, im Gegensatz zu den erst beim 
Erkalten des Urins sich ausscheidenden Kristallen des Harnsäure¬ 
sedimentes. Die auch in letzterem von Moritz gefundenen „Stro¬ 
mata“ seien absolut verschieden von seinen im wirklichen Harn¬ 
sand gefundenen „Eiweissgerüsten“. 

2) G. Z u e 1 z e r, Max Dohm und Anton M a r x e r - Berlin: 
Neuere Untersuchungen über den experimentellen Diabetes. 

Vortrag im Verein für innere Medizin am 15. VI. 08, ref. Münch, 
med. Wochenschr. No. 25, Seite 1363. 

3) G. G. W i 1 e n k o - Karlsbad: Zur Kenntnis der Glutarsäure- 
wlrkung auf den Phloridzindiabetes. 

Bei Nachprüfung der Versuche von Baer und Blum unter 
besonderen Bedingungen (Hunger, Kohlehydratfütterung) konnten 
Verf. bestätigen, dass subkutan einverleibte Glutarsäure beim phlo¬ 
ridzindiabetischen Hund und noch stärker beim Phloridzinkaninchen 
die Zuckerausscheidung herabsetzt; jedoch sei dies nicht auf spe¬ 
zifische Wirkung der Glutarsäure auf die Zuckerbildung aus Eiweiss¬ 
stoffen zurückzuführen. 

4) J. de H a a n - Weltevreden (Java): Experimentelle Tuber¬ 
kulose beim Affen mit Vogeltubcrkelbazillen. 

Verf. konnte bei einem Affen Fiitterungstuberkulose mit Vogel¬ 
tuberkelbazillen erzeugen. Bei der Obduktion fand sich disseminierte 
Lungentuberkulose mit Verkäsung, verkäste Herde In den Media- 
stinal- und Bronchialdrüsen, Milz, Leber, Nieren, Netz, tuberkulöse 
Darmgeschwüre; Tonsillen und pharyngeale Lymphdrüsen waren 
makroskopisch intakt. Aus den kranken Organen wurden wieder 
Vogeltuberkelbazillen gezüchtet. 

5) S i e b o 1 d - Berlin: Traumatische Lähmung des Halssym¬ 
pathikus. 

Im direkten Anschluss an Eröffnung und Auskratzung eines kalten 
Abszesses bei 6 jährigem Kind (Schnitt am hinteren Sternokleido- 
rand, Entfernung von Lymphomen und von kleinen Sequestern der 
Halswirbelquerfortsätze) entwickelte sich Myosis, Ptosis und 'Re¬ 
traktion des gleichseitigen Bulbus; auch vasomotorische Störungen 
waren bemerkbar. Der Grenzstrang des Halssympathikus war offen¬ 
bar durch den scharfen Löffel verletzt worden. 

6) Friedr. M i c h e 1 s s o n - Reval: Ein Beitrag zur Frage der 
operativen Behandlung der Magenperforationen. 

Im Anschluss an 3 Fälle gibt Verf. folgende Regeln: Jede Ab¬ 
dominalverletzung soll sofort in eine chirurgische Klinik gebracht 
und, wenn Perforation wahrscheinlich, sofort operiert werden. Die 
Perforationsöffnung ist womöglich zu nähen, die Bauchhöhle zu tam¬ 
ponieren; bei diffuser Peritonitis ist reichliche Kochsalzspülung am 
Platz, in der Nachbehandlung Kochsalzinfusionen. 

7) L. F. S c h a 11 e r - Stuttgart: Die Leistungsfähigkeit der Va¬ 
porisation in der Praxis und Ihre Grenzen. 

Bei präklimakterischen Blutungen will S. die Vaporisation — 
in der Hand des erfahrenen Spezialisten — gelten lassen, wenn 
Abrasio versagt und man sich zur Totalexstirpation nicht entschliessen 


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1756 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


kann. Bei Myomen ist das Verfahren gefährlich, bei allen jüngeren 
Frauen ist grösste Vorsicht angezeigt. 

8) W. Ri mp au und W. L o e w e n t h a 1 - Hagenau i. Eis.: Be¬ 
funde von Darmparaslten Im Körper ausserhalb des Darmes (Hc- 
terotopie). 

Bei der Schlachtung einer Kuh fanden sieh in einem tuber¬ 
kulösen Rippentumor 3 Nematoden (ein lebendes Exemplar) und ein 
Ophryoscolex. Letzterer ist ein im Wiederkäuermagen regelmässig 
vorhandenes ziliates Intusorium. Die Parasiten mussten aut dem 
Blutweg, ev. unter Vermittelung von Lymphbahnen, eingewandert 
sein; Verf. erinnern an Befunde von Helminthen in den Krebs¬ 
tumoren von Mäusen. 

9) Frank S c h u 11 z - Berlin: Zur Frage der Homogenbestrah¬ 
lung. 

Kritische Bemerkungen zum Aufsatz Dessauers in No. 24 
der Münch, med. Wochenschr. 

10) H e e r m a n n - Deutz: Ein stets gebrauchsfähiges Taschen¬ 
besteck. 

Die Instrumente werden einzeln in mit desinfizierender Lösung 
gefüllten Metallhülsen verwahrt, so dass man nicht immer nach 
Gebrauch eines Teiles alle wieder sterilisieren muss. 

R. G r a s h e y - München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 32. A. S t r u b e 11 - Dresden: Zur Semiotik der Herzkrank¬ 
heiten. 

Schluss folgt. 

A. K r o k i e wi c z - Krakau: lieber die konjunktivalc Tuber¬ 
kulinreaktion. 

Bei sicherer Tuberkulose der inneren Organe w ar die Reaktion 
in 46,1 Proz. positiv in 41,5 Proz. negativ, hei 11,8 Prozent erst 
negativ dann positiv, bei 0,9 Proz. erst positiv dann negativ. Für die 
Diagnose und Prognose der Lungentuberkulose hat die Reaktion nur 
einen relativen Wert, bei primärer Tuberkulose der Gedärme oder 
Bauchhöhlenlymphdriisen sowie der Harnorgane ist sie oft ein wich¬ 
tiger diagnostischer Behelf. Die Reaktion war positiv auch bei 
einigen Fällen von Typhus, kruppöser Pneumonie, Septikopyämie 
ohne jeden Sektionsbefund für Tuberkulose. Ebenso in einer ganz 
erheblichen Zahl bei Fällen von Typhus 42 Proz., Gelenkrheuma¬ 
tismus 50 Proz., Influenza 3 Proz., ferner verschiedenen Erkrankungen 
des Nervensystems usw. Bei Erwachsenen trat die Reaktion nach 
10, seltener nach 6 Stunden auf, erreichte den Höhepunkt nach 24 
bis 48 Stunden, dauerte 4—6 öfters 10—14 Tage, vereinzelt 3 und 
6 Wochen. 

L. Hans-Limburg a. L.: Die Bedeutung der Konjunktlval- 
genannt Ophthalmoreaktion als Dlagnostlkum des praktischen Arztes. 

Verf. empfiehlt die Reaktion dringend als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel ; ihre Beweiskraft ist 9:1 für Tuberkulose an irgend einer 
Stelle des Körpers; bei abgekapselter oder ausgeheilter Tuberkulose, 
zuweilen auch bei Gesunden findet sich eine Spätreaktion. Tuber¬ 
kulose im Schlussstadium und Miliartuberkulose sind in der Regel 
ohne Reaktion. Kontraindikationen fiir die Probe sind alle stärkeren 
bestehenden oder abgeheilten Augenentz.iindnuiigen und alle inneren 
Augenleiden. Die Wiederholung der Probe auf demselben Auge ist 
zu vermeiden, die Nachprüfung mit Subk utanin iektii m soll zur Ver¬ 
meidung einer stärker aufflackernden Augenreaktion nicht vor sechs 
Wochen nach der positiven oder negativen Konjunktivalprobe statt¬ 
finden. 

E. Zack-Wien: Ucber die diagnostische Verwertbarkeit der 
Zusammensetzung des Harnes bei der Lungenentzündung. (Schluss.) 

Etwa um den 5. Tag einer kruppösen Pneumonie zeigt der Main 
gewisse Veränderungen, welche in ihrer Gesamtheit typisch und mi¬ 
die Diagnose verwertbar sind. Neck er und Scheuer haben auf 
das Auftreten von Albuminurie, Albumosurie, lirobilimiric. Kalk- und 
Chlorvcrmindcrung hingewiesen. Verf. hat im einzelnen den Kalk¬ 
gehalt in 81 Proz. vermindert cvuit. aufgehoben gesehen, den Chlor¬ 
gehalt auch bei vermehrter Chlorzufuhr in öi) Proz. vermindert ge¬ 
funden. Bei fiebernden Tuberkuloselallen war dagegen der Kalk¬ 
gehalt in 61 Proz. vermehrt, nur in 14 Proz. vermindert, der Chlor¬ 
gehalt in 64 Proz. wenig, nur in 4 Pro/, stark vermindert, du 
Magncsiagehalt oft stark verringert. Fast in allen Fällen von kmp- 
pöscr Pneumonie bestand Albuminurie, fast konstant der von 
F. Müller beschriebene Niiklcoproteidkörper Ibis Auftreten von 
Dcuteroalbumosen hat nichts spezifisches an sich, dagegen finden sich I 
meistens primäre Albumosen (Kochsalzkörper) etwa vom 5. Tage an 
bis zur Krise. Sehr oft stellen sich am 3. —4. Tage massenhaft eigen¬ 
tümliche kurze, graubraune, grobkörnige, höckerige, .. inkrustierte " 
Zylinder ein, die jedenfalls am häufigsten bei Pneumonie, bisweilen 
iedoeh auch bei Diabetes, Karzinom, Peritonitis. Gelenkrheumatismus, 
Sepsis zu finden sind. 

P. C 1 a i r m o n t - Wien : Chirurgische Eindrücke aus Nord¬ 
amerika. (Schluss.) 

Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet. 

Be r g e a t - M midien. 


Italienische Literatur. 

R o in a n e 11 i: Der Einfluss einer vorhergegangenen Dlplo- 
kokkus-Fränkel-lnfektion auf den Verlauf einer experimentellen 
Tuberkulose. (Annah de 1P istituto Maraghano, \'o|. 2. Fase. IV.) 

R, suchte im M a r a g 1 i a ti o scheu Institut für Infektionskrank¬ 
heiten experimentell die Frage zu losen, inwieweit eine Drpiokokkus- 
infektion in ihren Folgen die Tuberkuloseentwicklung begünstigt resp. 
wie weit der Tierkurper nach einer uberstandenen Drpiokokkcii- 
infektion einen geeigneten Boden zur Haftung und Entwicklung der 
Tuberkelhazillcpinfektion bietet. 

Zu diesem Zweck wurden Meerschweinchen mit hochvirulenten 
Diplokokken intrapleural wie intraabdommal infiziert, aber in eitler 
Dosis, welche das l.'eberleben der 1 lere gestattete. Nachdem die 
Iniektion überwunden war und die Tiere ihre frühere Munterkeit 
und ihr früheres Körpergewicht wieder erlangt hatten, wurden sie 
intrapleural und intraperitoiieal mit Tubcikelba/nien infiziert. 

Die Versuche ergaben, dass bei allen vorher infizierten Tieren 
der Verlauf der Tuberkulose ein schnellerer und mtetisixerer war ais 
bei den nicht infiziert gewesenen Kontrollieren. Demnach schien eine 
vorhergegangene Diplokokkeninfektion nicht nur genügend die Re¬ 
sistenz derjenigen Organe, in wekhett sie siJi entwickelt hatte, zu 
vermindern, sondern auch die Resistenz derjenigen Organe herab¬ 
zusetzen, w elche primär von der I hplokokkenmfektion night betroffen 
waren: z. B. wenn die Tiere intraperitoneal mit Diplokokkus in¬ 
fiziert gewesen waren, so entwickelte sich eine intrapleural gesetzte 
Tuherkelhazillusmiektioii schneller und mit Mel reichlicherer Lokali¬ 
sation auf der Pleura als bei den Kontrollieren. Ihe erhöhte Virulenz 
des Koch sehen Bazillus ist in diesen lallen, wie man sieht, a.s<* 
nicht als eine eigentliche Misclunfektionsw irkimg aufzufassen. Sondern 
die Diplokokknserkrankung hat d'e Blut- und Mittemasse der Tiere 
als ein geeigneteres Nahr>ubstrat und Maitungssubstrat iur die Tu¬ 
be rkc Iba/illusintektion her gestellt. 

V i c o 1 e 11 i: Experimentaluntersiichungen über die Wirkung der 
W'egnahme der Tunica muscularis des Dünndarms bei Hunden, ul 
policlinico, Mai l'>08.) 

Der Autor kommt auf Grund seiner im Laboratorium iur spezielle 
chirurgische Pathologie gemachten Untersuchungen zu folgenden 
Schlussätzen: 

Man kann die Wand des Dünndarms von aussen nach innen 
verdünnen, auch in grosserer Ausdehnung, vorausgesetzt, dass n.an in 
der Tiefe nicht die Muskularis der Mukosa verletzt und dass man die 
Mesenteriahnsertion intakt lasst, ohne eine Perforation des Darmes 
in der verletzten Region befurchten zu müssen. 

Die Heilung des experimentell gemachten Substanzverlustes 
kommt durch den gew öhnlichen W iindheiiungspro/ess zustande, in¬ 
dem sieh die geschädigten Stellen durch Granulationen ausfu.kn in 
einer Zeit, welche zwischen 8 und lo lagen schwankt. 

Desgleichen gibt eine so gesetzte \ er letz ring der Darmwand 
keine Gelegenheit zur Auswanderung von Keimen aus dem Darm¬ 
lumen nach der Peritonealhöhle lim: vorausgesetzt immer, dass die 
Integrität des mukösen Stratums eine vollständige ist. 

Diese Schlussfolgerungen beziehen siJi aber nur auf die I x- 
perimentaltiere: wie weit sie in der menschikfien Pathologie \n- 
wendung finden, können uns mehr noch wie ein voreiliges R.u- 
sonnement vielleicht die zufälligen Verletzungen des Darmes bei (>pc- 
rationen beweisen, wie z. B. der Fall, weither die vorliegenden 
Experimente veranlasste. 

C a m i n i t i: Untersuchungen und Experimente über Muskel- 
Überpflanzungen. <il pojjclimso, April F>os ) 

Wählend die Sehiienubcrptlan/ung siJi der allgemeinen Aner¬ 
kennung und Anwendung m der Chirurgie erfüllt, ist die Muskel- 
iiberptlun/ung im ganzen noch une stio.tuc Enge. Erwähnung ver¬ 
dienen einige Beitrage von Glu c k. S a I v i a und R v d i g v e r und 
eine l ss 2 mit t iiiitk am Menschen ausgi führte Muskel über piUn/nn-g 
von Helfe rieh (Aich. i. klm. Ciur.. Hd. 2M. 

Die Muskoluberptlaiizimg findet viel seltener eine Indikation als 
die Sehnenuberpflanzung und zwar 1. in F.okn von fnsJuni, trau¬ 
matischem und dauerndem Verlust eines Muskels oder bei kur/ett 
Muskeln dort wo eine genügende Seime fehlt. 

2. Dort, wo zwar eine >ehnc vorhanden ist. aber eine NaJibar- 
sehne fehlt, wo man dieselbe empfian/eti kann. 

Bezüglich der Technik ist ausser alle; minutiösester Wptik 
wichtig die möglichste Schonung der Nerven und Gelasse eles Mus¬ 
kels. ferner der Muskels^beide und Ap'#|eui"se. 

Die Mucke der Muskeln sind mogbJjst fr isJt und schnell /u 
iibei pflanzen mul mau hat für eine Yet grosse nin.g der Koutaktr .u !u ri 
zu sorgen, indem man Selo ägsjmitte oder ‘1 re ppeiis Jimtte na.fit. 
ztigleieh skrupulös blutstilleiuj vorgeht und die angeschnittenen Miukr 
möglichst schont. 

C. hf l ielite t über Jn in der chb io gischen Klinik Neapels unte-r- 
nonmieiie F xpci imciitalv ersiu he an Hunde n. v\ cl Jar die Musku'atur 
der Extremitäten und eles Schvv au/es betraten: in erster Linie den 
Biceps brachii. 

Von diesen 2't Versuchen war in 11 l'a'kn ein positives Re¬ 
sultat tpioad funktioiiem zu ve-ve icloum Dabei wird Se ''•stvef- 
stäiuiHch eier tra umaUv.be \ erlust des MuC e s immer stiuJi Buide- 
gewebe ausgeglichen und ebenso die rn M ,;ske ! ge se t/te n W unde n. 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1757 


Marina: Gibt es abgelaufene oder rudimentäre Formen der 
muskulären Dystrophie (Typus Erb), welche eine Heilung dieses 
Prozesses darstellen können? (il policlinico, April 1908.) 

Im Jahre, 1891 stellte Erb die von ihm sogenannte Dystrophia 
muscularis progressiva als Krankheitstypus auf. Unter dieser Be¬ 
zeichnung vereinigte er eine infantile und juvenile Form und eine 
hereditäre. Es handelt sich bei all diesen Formen um Muskel¬ 
atrophien einerseits und Pseudohypertrophien andererseits, vorzugs¬ 
weise in der Muskulatur des Schulterblattes, des Oberarmes, auch 
der unteren Extremitäten, oft auch mit Beteiligung des Gesichtes, 
namentlich bei der infantilen Form. 

M. hat zwei Fälle beobachtet, welche ohne Frage zu dieser 
Krankheitsform gehörten und doch keinen progredienten Verlauf 
zeigten, sondern zur Heilung kamen, so dass nur Spuren der Krank¬ 
heit zurückblieben. Er führt auch einige Fälle aus der Literatur an 
und wirft in Rücksicht auf derartige rudimentär gebliebene und in 
Heilung übergegangene Fälle die Frage auf, ob die Dystrophia mus¬ 
cularis Erb die Bezeichnung progressiva immer verdiene, oder ob sie 
nicht zu den wenn auch selten so doch heilbaren Krankheiten zu 
rechnen sei. 

Angelo: Morbus Raynaud und Morbus Basedow vergesell¬ 
schaftet. (il policlinico, Mai 1908.) 

Bei hereditär neuropathischer Anlage kann man es nicht selten 
erleben, dass zu einem symptomatisch gut definierten Krankheits¬ 
bilde ein anderes hinzutritt: so zur Tabes die paralytische Demenz, 
zur Hysterie die Neurasthenie oder die Epilepsie. Dies veranlasst 
A. einen Fall aus der Nervenklinik Roms mitzuteilen, bei welchem 
zu einer wohlcharakterisierten Raynaud sehen Krankheit, welche 
seit dem 6. Lebensjahre sich allmählich immer weiter entwickelt hatte, 
im 12. Lebensjahre sich ein Morbus Basedow hinzugesellte mit 
seiner vollständig entwickelten Symptomentrias. 

In der Literatur will A. nur einen ähnlichen Fall von Thomp¬ 
son (Medical Record, Vol. 62 und 15, pag. 575, 1902) gefunden 
haben, während andererseits Vergesellschaftung von Morbus Base¬ 
dow mit Sklerodermie sowie von Sklerodermie mit Hemiatrophie des 
Gesichts und Sklerodermie mit Morbus Raynaud als häufiger er¬ 
wähnte klinische Befunde bekannt sind. 

Panegrossi bringt aus der Nervenklinik Roms einen Beitrag 
zum Studium der Tumoren des Corpus callosum. (il policlinico, Mai 
1908 .) 

P. erörtert die Kasuistik dieser Tumoren (bis jetzt ca. 60 Fälle 
in der Literatur) und ihr proteusartiges Symptomenbild. Konstant 
erscheint an diesem letzteren nur das frühe Eintreten geistiger Stö¬ 
rungen mit Störungen der Sprache, welche nicht der gewöhnlichen 
Aphasie entsprechen, die Anwesenheit motorischer Störungen ver¬ 
schiedener Art mit wechselnder Topographie aber für gewöhnlich 
bilateral und asymmetrisch: das Fehlen der sonst allgemeinen Sym¬ 
ptome von Gehirntumoren, wie Neuritis optica, Kopfschmerz, Vomir 
tus, ferner das Fehlen von Störungen seitens der Kopfnerven. Im 
vorliegenden Falle handelte es sich um ein hämorrhagisches Glio- 
sarkom, weiches das ganze Korpus durchsetzte, sich nach dem linken 
Lobus frontalis hin ausgedehnt und wiederholt Blutungen gemacht 
hatte. Der Krankheitsverlauf war ein sehr stürmischer gewesen 
und hatte nur vom 12. Februar bis 19. März gedauert. 

Eine Differentialdiagnose wird in Fällen von Tumoren des Kor¬ 
pus callosum immer grosse Schwierigkeiten machen und dieselben 
können kaum je mit Sicherheit diagnostiziert werden. 

t Ricci: Ueber vorübergehende Glykosurlen durch psychisches 
Trauma, (il Policlinico 1908, April.) 

Der Einfluss von Verletzungen und dem mit solchen verbun¬ 
denen Nervenschock auf die Entstehung von Glykosurien vorüber¬ 
gehender Art und dauernden Diabetes ist bekannt. Dass psychischer 
Schock eine gleiche Wirkung haben kann, stellte R. an einer Reihe 
von Patienten der chirurgischen Klinik in Rom fest, welche er vor¬ 
her genau in bezug auf ihre Toleranz gegen Glykose untersucht 
hatte. Diesen Patienten wurde die Zeit und Stunde ihrer Operation 
am Tage vorher, wie gebräuchlich, angezeigt; in dieser Anzeige 
sieht R. ein gewisses psychisches Trauma. Bei 6 von 15 solcher 
Patienten hat er nach seiner Tabelle eine vorübergehende, von 
Nahrungseinfuhr unabhängige Glykosurie beobachten können. 

Sbisa: Anämien und Schwangerschaft, (il Morgagni, April 
1908.) 

S. erörtert gelegentlich dreier von ihm mit Unterbrechung der 
Schwangerschaft behandelter Fälle das obige Thema. 

Bei Anämien, welche mit Schwangerschaft kompliziert sind, hat 
man zu berücksichtigen: 

1. die spezifische Form der Anämie, 

2. bei nicht spezifischen Anämien den Verlauf der Anämie und 
den Blutbefund mit dem Ablauf der Gravidität. 

1. Einige Formen von Anämie indizieren absolut die Unter¬ 
brechung der Gravidität, so essentielle perniziöse Anämie, akute und 
chronische Leukämie, Pseudoleukämie, primäre Splenomegalie 
(Bant i). 

2. Die übrigen Formen von Anämie, so Chlorosen, sekundäre 
Anämien toxischer, infektiöser, konstitutioneller, parasitärer Natur 
und hämorrhagische Diathesen bilden nur eine relative Indikation 
zur Einleitung der Frühgeburt resp. des Aborts. 


Secchi: Persistenz des Ductus Botalli und Pulsus paradoxus 
Kussmaul, (il Morgagni, März, April 1908.) 

S. beschreibt in einer ausführlichen Abhandlung einen Fall von 
Wegsamkeit des Ductus Botalli mit allen für dieses kongenitale Leiden 
charakteristischen Symptomen. Ausserdem zeigte die Kranke wieder¬ 
holt in sehr charakteristischer Weise das Fehlen des Radialpulses 
bei tieferer Inspiration: links ausgesprochener als rechts. 

Dies letztere Symptom, der sog. Pulsus paradoxus von Grie¬ 
singer und V i e r o r d t zuerst 1856, später ausführlich 1873 von 
K u s s m a u 1 beschrieben, wurde als ein Produkt entzündlicher Er¬ 
scheinungen im Mediastinum, welche zu Adhäsionen der Aorta an 
die Thoraxwand geführt hatten, angesehen. Kussmaul hielt es 
für pathognomonisch, für eine Mediastino-Pericarditis callosa. Fran¬ 
cois Frank (Gazette hebdomadaire de Med. et Chir. 1879) führte 
später in einer ausführlichen Arbeit aus, dass dieser Pulsus para¬ 
doxus bei verschiedenen Affektionen auftreten könne, so bei volumi¬ 
nösen intrathoracischen Aneurysmen, bei Persistenz des Ductus Bo¬ 
talli, kurz in all den Fällen, in welchen ein Hindernis für den Luft¬ 
eintritt in die Lungen existiert, so beim Krupp und der Larynx- 
stenose. Andere Autoren fügten noch andere Affektionen, so Tu¬ 
moren des Mediastinums, verschiedene Krankheiten der Lungen, der 
Pleuren, des Herzens, der knöchernen Thoraxwand hinzu, bei wel¬ 
chen das Phänomen beobachtet werden könne und zuletzt verlor es 
viel von seiner klinischen Bedeutung, seitdem manche es auch in 
ausgesprochener Weise bei offenbar gesunden Personen beobachtet 
haben wollen. 

S. betont, dass er bei normalen Personen das Verschwinden 
des Pulses bei tiefer Inspiration nie habe konstatieren können, dass 
allerdings während tiefer und verlängerter Inspiration in der 
sphygmographischen Kurve eine kleine Abschwächung des Pulses 
ersichtlich ist, welcher eine Verstärkung folgt. 

Bei seinen Kranken sei das inspiratorische Verschwinden des 
Pulses auch nicht konstant gewesen. Es äusserte sich fast immer 
in den Morgenstunden, vor der Mittagsmahlzeit, auch in den Abend¬ 
stunden, wenn die Kranke ausruhte. Nach psychischer Erregung, 
nach schneller Bewegung, bei vollem Magen, gelang es selten, das 
Phänomen zu konstatieren. 

Als die Kranke einen Monat nach ihrem Hospitalaufenthalt sich 
wieder meldete und 9 km zu Fuss zurückgelegt hatte, gelang es 
durch keinerlei Vornahmen, den Puls zum Verschwinden zu bringen. 
Bemerkenswert erscheint noch, dass beim Stehen das Symptom ein¬ 
trat und oft gelang es, dasselbe hervorzubringen, wenn die Kranke 
aus der aufrechten Position in die Horizontale überging. Alle diese 
Umstände möchte S. auf das gleiche kausale Moment zurückführen, 
i. e. auf die mehr oder weniger gehinderte Ausdehnungsfähigkeit der 
Lunge, sei es durch das gehinderte Herabtreten des Zwerchfells, sei 
es durch Zirkulationsveränderungen in der Lunge oder auch durch 
bestimmte Einflüsse des Nervensystems. Dass das Symptom an der 
linken Radialis deutlicher als an der rechten sich erwies, erklärt S. 
dadurch, dass der Botalli sehe Kanal von der Aorta abgeht gegen¬ 
über der Austrittsstelle der Subclavia sinistra. 

S. schliesst mit der Bemerkung, dass in seinem vorliegenden 
Falle jedenfalls der paradoxe Puls für die Persistenz des Ductus 
Botalli pathognomonisch sei, da jede andere Ursache fehle und dass 
ein solches Verhalten sich öfter als pathognomonisch in gleichen 
Fällen herausstellen werde, wenn eingehendere Untersuchungen das 
Symptom hervorzubringen suchten. 

Ceraulo und Leone: Ueber rechtsseitigen Galopprhythmus 
des Pulses bei Afiektlonen der Verdauungswege, (il Morgagni, Mai 
1908.) 

Unter rechtsseitigem Galopprhythmus verstehen die Autoren 
einen Galopprhythmus des Herzens, welcher von dem rechten Ven¬ 
trikel ausgeht. Derselbe ist verbunden mit Erscheinungen von Aus¬ 
dehnung hauptsächlich der rechten Kammer und des rechten Vorhofs. 
Der Galopprhythmus, eine Art Dreiton, bei welchem zwischen systo¬ 
lischem und diastolischem Ton ein Geräusch eingeschaltet ist, wird 
hauptsächlich über dem rechten Ventrikel und Vorhof gehört, der 
Spitzenstoss zeigt sich nach rechts verschoben. 

Dieser Galopprhythmus soll im Gegensatz zum linksseitigen, mit 
Vergrösserung des linken Ventrikels verbundenen, vorzugsweise bei 
Affektionen der Verdauungsorgane Vorkommen, mit Ueberspannung 
im kleinen Kreislauf verbunden sein, während für den linksseitigen 
Erkrankung der Nieren und Ueberdruck im grossen Kreislauf be¬ 
stimmend sein soll. Die Autoren fanden rechtsseitigen Galopprhyth¬ 
mus in 3 Fällen von Leberaffektionen mit Gallensteinen in Kolikan¬ 
fällen, in einem Falle von schwerer Dyspepsie bei gastrointestinaler 
Atonie, in einem Falle von Malaria und bei einer schweren Ankylo- 
stomaanämie. Sie erwähnen ferner, dass nicht alle Autoren eine 
scharfe Trennung beider Galopprhythmen für möglich halten. 

B i n d i (chirurg. Chefarzt des Hospitals in Poppi): Ueber das 
Verhalten des elastischen Gewebes der Arterien Im Verhältnis zu den 
verschiedenen Altersstufen (durch 9 mikroskopische Tafeln erläutert), 
(il Morgagni, April 1908.) 

Die Altersstufen sind: 6monatlicher Fötus, 2jähriges Kind, 
32 jähriger, 50 jähriger, 70, 75 und 80 jähriger Mann. 

In den jüngsten Gefässen findet man das elastische Gewebe 
verhältnismässig am reichsten und besten entwickelt. Die innere 


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1758 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


Grenzhaut, d. h. die subendotheliale Zone hat für pathologische Pro¬ 
zesse der Adern die grösste Wichtigkeit. Sie zeigt sich namentlich 
im jugendlichen Zustand fein und reichlich gefältelt mit chromatischen 
Häufchen, mehr weniger regelmässig wechselnd, so dass eine rich¬ 
tige Andeutung von hell und dunkel entsteht. Diese Membran ist für 
gewöhnlich einheitlich von gleichmüssigcr Dicke in ihrem ganzen Ver¬ 
lauf, selten erscheint sic in zwei Schichten geteilt. 

Die feinen Fältelungen, welche die elastische innere ürenzhaut 
bei jungen Qefässen zeigt, ist nach B. nicht etwa für eine kadaverose 
Erscheinung zu halten, sondern für eine physiologische Einrichtung, 
welche dieser Membran eine grössere Ausdehnung, ein beträchtliches 
dynamisches Anpassungsvermögen gestattet; ebenso wie die in älte¬ 
ren Gefässen zu beobachtende lineare Anordnung ein vermindertes 
oder verschwundenes funktionelles Anpassungsvermögen bedeutet. 

Die elastische innere Grenzhaut scheint bei pathologischen Pro¬ 
zessen der Arterien eine gewisse Aufgabe der Abgrenzung und Iso¬ 
lierung, gleichsam eine Einkapselung des Krankheitsprozesses selbst, 
zu erfüllen. 

Die elastische äussere Grenzhaut verändert sich dagegen wenig 
auch bei senilen Gefässen. Auch Krankheitsprozesse entwickeln sich 
auf Kosten der subendothelialen elastischen Zone unter den Erschei¬ 
nungen von prolifcrierender Endoarteriitis, als deren dcgeneratives 
Endstadium das Atherom anzusehen ist. 

Demnach würden w'ir als wahre und primäre Läsionen der 
Arterien die Endoarteriitis und die Sklerose anzusehen haben, w elche 
getrennt und vergesellschaftet Vorkommen können. 

Mit diesen wahren primären Läsionen der Arterien haben die 
auf toxische und experimentelle Einflüsse, wie Tabak. Adrenalin etc. 
zu beziehenden Läsionen der Arterien nichts zu tun; sie betreifen 
vorzugsweise die Tunica media und haben wahrscheinlich keine Be¬ 
rührungspunkte oder Analogieerscheinungen mit den genannten pri¬ 
mären pathologischen Formen der Arterienveränderungen. 

Sereni: Ueber die Wirkung des Radiums auf den Vakzinestoff. 
(il policlinico, April 1908.) 

S. gelang es angeblich, im Laboratorium der Klinik Roms 
Pockenlymphe durch längere Radiumbestrahlung von der Wirkung 
aller unliebsamen Mikroorganismen, namentlich derjenigen, welche 
eine erhebliche Wundreaktion hervorzurufen geeignet sind, zu be¬ 
freien, ohne dass die spezifische Wirkung des Pockenkontagiums 
durch diese Behandlung ungünstig beeinflusst wurde. Er beschreibt 
seine an 22 Kindern in der munizipalen Impfanstalt durch Kontroll- 
impfungen auf beiden Armen gemachten Erfahrungen. 

Hager- Magdeburg. 

Englische Literatur. 

J. Eason: Die Behandlung des Ekzemes der Säuglinge und 
kleinen Kinder mit Thyreoldln. (Scott. Med. and Surg. Journal. Mai 
1908.) 

Verf. behandelte eine Anzahl dieser Fülle ausschliesslich mit 
Thyreoidin. Er gab kleine Dosen des Trockenextraktes und erzielte 
auch in veralteten Fällen gute Erfolge. (Er glaubt, dass es sich um 
etwas Neues handelt, Ref. hat aber bereits vor 13 Jahren in der 
Lassa r sehen Zeitschrift für Dermatologie eine ganze Anzahl der¬ 
artiger Fälle beschrieben; er ist aber wieder von der Behandlung 
zurückgekommen, da die Fälle später häufig rczidivierten.) 

Sir George Thos. Beatson: lieber traumatische Asphyxie. 
(Scott. Med. and Surg. Journal. Juni 1908.) 

Die Arbeit bietet besonderes Interesse durch die schone beige¬ 
gebene Farbenplatte, die einen dieser äusserst seltenen Fülle illustriert. 
Es handelt sich dabei um eine heftige Kompression des Thorax, der 
die Atembewegungen für kurze Zeit aufhebt. Gesicht und Nacken 
bei diesen Fällen ist blauschw'arz verfärbt, die Augen zeigen sub- 
konjunktivale Blutungen. In dem abgebildeten Falle war ein Gruben¬ 
arbeiter unter den hinabgelassenen Einfahrtskorb gekommen und so 
von vorne nach hinten zusammengepresst worden, dass die Schultern 
den Bauch und das Becken berührten. Er blieb 3 Minuten in dieser 
Lage und hatte dabei das Gefühl, als ob all sein Blut zum Kopfe 
herausgepresst w'iirde. Bei der Aufnahme war er bei Bewusstsein 
und zeigte keine Zeichen von Schock. Der Puls war loo, die Re¬ 
spiration 28, die Temperatur normal. Gesicht und Hals waren sehr 
stark geschwollen und blauschwarz verfärbt; die Verfärbung war 
am tiefsten um die Augen und den Mund. Die Konjunktivae waren 
blutunterlaufen, es bestand Schwellung beider Lider und leichte 
Proptosis. Die Lippen und die Zunge waren stark geschwollen, unter 
der vorderen Zunge lag ein grosses Hämatom. Vorne w ar die Grenze 
der Verfärbung nicht sehr scharf, sie endete aber oberhalb der 
Schlüsselbeine, hinten verlief sie sich im Gebiete der Kukullares. Blu¬ 
tungen aus Nase und Ohren fehlten, ebenso Blutungen der Retinae. 
Der Kranke erholte sich sehr rasch, nach einigen Wochen traten 
aber Zeichen von Sehschwäche auf und das Ophthalmoskop zeigte 
progressive Atrophie beider Optici mit zunehmender Erblindung. 
Es handelt sich bei dieser Verfärbung nicht um icinste Blutextra¬ 
vasate, sondern um Stasis durch Uebererw eiterung der Blutgefässe. 
Die scharfe Begrenzung der Verfärbung beruht auf dem Fehlen von 
Klappen in den Venen des Halses und des Gesichtes. Therapeutisch 
muss man künstliche Athmung einleiten und womöglich Sauerstoff¬ 


einatmen lassen. Bisher wurden nur 0 Falle beschrieben die mit dem 
Leben davonkamen. 

Byrom Bram weil: 76 Fälle von Poliomyelitis anterior acuta. 

(Ibidem.) 

Die Fälle stammen sämtlich aus Verfassers eigener Bo>hachiu:ic. 
43,4 Pro/., betraten Männer. 5<».5 Pro/. Frauen. 21:^ Pro/. traten 
wählend des ersten Lebensjahres auf, in.o Pro/, wahrend des /weiten, 
23,2 Pro/., wahrend des dritten, 12.3 Pro/, wählend der folgenden 
N Jahre; 9,5 Pro/, nach dem 14. Jahre. In einem Falle hatte der 
\ ater im Selben Jahre (2 Jahre) an derselben Krankheit geinten, in 
51 von 70 Fallen konnte kein ätiologischer Faktor angegeben werden, 
die Erkrankung ertolgte wahrend scheinbaren Wohlseins ganz plötz¬ 
lich. Sonst wurden Erkaltungen. Zahnen. Inilueu/a. Maseru. Bron¬ 
chitis etc. als Ursachen angegeben, hl 14 vmi 7ö I adelt begann die 
Krankheit mit Schmerzen; wenn eine Anamnese überhaupt erlangt 
wurde, so wurde stets l ieber angegeben. \erl. gibt dann genauere 
Daten über die Art und den Sit/ der Schmerzen, über den Zeitpunkt, 
wann die Lähmung bemerkt wurde, über die \ ertei.uug der Läh¬ 
mungen im Begum und uDer die schliesslich zuruehKejbenden Paü- 
mungeii. 

R. Dods Brown: Die Psychosen der Influenza. «Ibidem.) 

Die häufigste Form ist die Melancholie und /war wird sie meist 
bei Männern und alteren Leuten beobachtet. Gewöhnlich besteht 
grosse Neigung zu Selbstmord. Bei Frauen und jungen Leuten 
sieht man olters mamakaiische Zustande, diese treten gewöhnlich 
früher auf als die Melancholie, Zuwe-ncn kommen Zustande Nor. 
die als Dementia paralvtica gedeutet werden, die aber spater wieder 
besser Werden. Alle Psychosen nadi der Imiueii/a haben grosse 
Neigung zu re/idi\icren. Die Proph\la\e kann, namentlich bei In- 
diNidueii mit labilem Nervensx stein m der Rekonvaies/enz n.idi 
Inflneii/a viel tun um eine Psvclmse zu verhüten. 

A. B. Mitchell: Die Diagnose und Behandlung des Duodenal¬ 
geschwürs. (Dublin Journal oi Med. Science. Juni 

Die Symptome sind vor allem Schmerzen, die sehr heilig sind 
und meist 2 4 Stunden nach der Naht ungsauliiahme auttreten »häutig 

wird der Kranke durch die Schmerzen im Schlaf gestört). Die 
Schmerzen werden durch Nahrungsaufnahme soiort besser (weil der 
Pylorus sich schiiesst und kein saurer Mageninhalt über das Oe- 
schw ur fln sst>. .Meist treten gleich nach dem l.ssefi \o.;e und 
Pubehagen auf mit Awistossen und Sodbrennen. Druckschmerz rechts 
und oberhalb des Nabels. Uamateuicsis und Meiaena. Wichtig ist 
eine schon iruh/eitig ei kennbare gelinge Mageiierw eiter ung. Das 
Duodenalgeschw ut ist eine hantige und sehr gc tahrhehe L.rk:attkung. 
ela es viel häutiger perforiert als das Magengeschwür und die Per¬ 
forationen der Operation ungünstigere Naht- und Draii),wge\ei h.utmssc 
darbieten. Die interne Behandlung ist sehr unsicher im Lrt'dg. meist 
nutzlos. Die chirurgische Behandlung ist ungciuhräch (1 2 Pro/. 

Mortalität) und gewahrt alle Aussichten aut \ obige Hebung. Verf. 
macht die hintere Gastroenterostomie und verengert durch einige 
Lambertiiahte den Pvlorus. Er operierte 17 Labe \ mi chronischem 
Duodenalgeschwür und heilte alle dauernd (manche von den Faden 
sind erst vor kurzem operiert); ferner operierte er 11 labe Non 
perforiertem Duodenalgeschwür und erzie.te 11 Heilungen, gewiss 
ein glänzendes Resultat. Die genauen Krankengeschichten sind in.it- 
gcteilt. 

Wb H. B a 111 e: Die Radikalopcratiun des Schcnkelbruchs. 

(Edinburgh Med. Journal. Juni Ivos.) 

Vertikalschmtt über eleu Bruchsack. Frobinmg desse'hen und 
Ligatur des Halses nach Reduktion des Inhalts. Die 1 igalurtadelt 
bleiben hing. Freilegen der Apolternos C des OHicuus externus und 
des äusseren Ringes. Einschnitt m eile Aponcurose nach oben und 
auswärts von der Mitte des Ringes in der Lange vmi 1 . Zoil. > * 
entstehen zwei apoiieiuotische Lappen. Zweck der Operation ist 
die Verschiebung des oberen hinter eien unteren uml ehe Befestigung 
desselben an den hinteren leb des ^cheiikelnnges. wird eine 

starke apoiieurotische Barriere gebildet, die elas obere 1 nde des 
Schenkelkaiials bedeckt und den Duick der Jene ansh.i t. me etwa 
durch diesen Kanal hmabsteleen woben. Man pr.'i'ariert eleu aus¬ 
seren Lieber des Leistern mges mit der dazugehörigen Vpoiie urose 
(unterer Lappen) von de n Ge bilde n des Leiste in.a:.als ab. s<. dass 
das den Kanal kreuzende l'mip ;irts,hc Baud gut feige legt ist. Ist 
die Lascia transvei salis eliinn. so durchsticht man sit n.:t e ine r Ar terien- 
klemme vom Schetikeikailal aus und of'net obe'lmib des Bandes die 
Arme; stärkere Faszien muss man vorher rn/i Heren. I ‘m c li eP ese 
Oeffmmg wird der Hais des Sackes an der lassem n I icatnr 

nach oben gezogen, so elass der SchenkeIkauai frei wird mul der 
Sack völlig mtiapcnf"Ueai zu hegen kommt. Nun fahrt man uiie 
Seidemiaht eluich ehe Faseia pectmea. den Sc%nke.kanal. den >J; atz 
in der l ascia trausv crsalis und den unteren Rand di s oK'en 
rieur«>seiilappens und wieder zuiiich durch den sdie uke Ikaiub. I he 
man ehe laden knotet weiden zwei weitere Nahte amulect. ehe den 
inneren leb des Lappens an elas (i i m !* e r n a t s c he I ’.and und den 
äusseren Teil an l’nuparts Band lu testmen. Auf W e:>c 

wird »lie Bariiere gebildet. Man Karin s v !b:<,*s!’.ch imOi eu'U'e' 
Nähte anlegen. die die lascia pectmea an das IbtSi partsbie Band 
befestigen lind so den Kanal noch mehr veuiuerp. \ ert. hat die 
Operation 14 mal bei Männern und ö7 mai bei Frauen ausgefuhrt; 


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18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1759 


das Alter der Kranken schwankte zwischen 20 und 78 Jahren. Todes¬ 
fälle wurden nicht beobachtet, 5 mal kam es zur Eiterung. Soweit 
Verf. seine Fälle nachuntersuchen konnte, hat er niemals ein Rezidiv 
gefunden, obwohl es sich meistens um Personen aus dem Arbeiter¬ 
stande handelte. 

J. liogarth Pringle: Die chirurgische Behandlung melanoti- 
scher Hautgeschwülste. (Ibidem.) 

Diese Tumoren (die zuweilen Sarkome, zuweilen Karzinome 
sind) haben eine grosse Neigung, entlang den Lymphgefässen, die zu 
den nächstgelegenen Lymphdrüsen führen, kleine sekundäre Tumoren 
zu bilden. Verf. empfiehlt deshalb den Tumor weit im Gesunden 
zu umschneiden, dann z. B. am Arm oder Bein einen Längsschnitt 
durch die Haut bis zu den Leisten oder Achseldrüsen zu führen und 
die Haut beiderseits in breiten Lappen abzupräparieren. Man ent¬ 
fernt dann den Tumor samt allem Fett und Lymphgewebe sowie der 
Faszie bis hinauf zu den Drüsen, die ebenfalls im Zusammenhänge mit 
herausgenommen werden. Drei so operierte Fälle blieben gesund. ■ 

G. A. Moynihan: Die suprapubische Entfernung der Prostata. 
(Practitioner. Juni 1908.) 

Die suprapubische Methode ist im allgemeinen der perinealen 
vorzuziehen, da sie entschieden leichter und rascher auszuführen ist, 
was bei den oft sehr elenden alten Leuten vielfach sehr ins Gewicht 
fällt. Die Operation ist jetzt so ungefährlich geworden, dass man 
mit gutem Gewissen alten Leuten anraten kann, sich lieber operieren 
zu lassen, als ein Katheterleben zu führen. Verf. macht die Operation 
womöglich stets in Lumbalanästhesie. Nach Eröffnung der Blase 
führt er die rechte behandschuhte Hand in das Rektum ein und 
drängt die Prostata nach oben, den linken Zeigefinger führt er in 
die Harnröhrenmündung, kratzt hier die Schleimhaut mit dem Nagel 
durch und beginnt von hier die Enukleation. Nach Auslösung der 
Prostata wird die Blase mit einem Katheter durch die Harnröhre 
mit 1 proz. Karbollösung gespült. Nach Stillung der Blutung legt 
Verf. je einen Stich durch den oberen und unteren Wundwinkel, legt 
aber weder durch die Harnröhre noch durch die Wunde einen Ka¬ 
theter oder einen Drain ein. Der Urin läuft gut durch die Wunde 
ab, ein Drain kann höchstens schaden, da es immer reizt. Nicht- 
drainierte Blasen heilen sehr viel rascher; früher, als er drainierte, 
heilte die Wunde durchschnittlich am 26. Tage, jetzt sind sie meist 
nach 14 Tagen völlig geheilt. Vom 2.—3. Tage spült Verf. die Blase 
durch einen Katheter alle 12—14 Stunden aus. Am dritten Tage wird 
ein Colt scher Apparat angelegt, der Kranke bleibt mit diesem 
Apparat völlig trocken und kann aufsitzen. Zwei bis dreimal täglich 
gibt Verf. Natr. phosphor. acid. 2,0 in % Liter Wasser; dies hält den 
Urin rein, erzeugt aber manchmal Durchfall. - Man soll stets die 
Prostata in toto mit der Urethra prostatica enukleieren. Verf. verlor 
3 Fälle von 15 Krebsen der Prostata und 5 bei gutartigen Hyper¬ 
trophien (2 durch Lungenembolien am 11. und 14. Tage, 2 durch 
Urämie, 2 durch Schock bald nach der Operation, 2 durch langsam 
eintretende Erschöpfung bei mangelhaft funktionierenden Nieren). 

R. H. Paramore: Die Hauptstützen der weiblichen Becken¬ 
organe. (Journal of Obstetrics and Gynaecol. Juni 1908.) 

Die weiblichen Beckenorgane werden durch zwei Kräfte in ihrer 
Lage erhalten; die eine, der intraabdominale Druck, wirkt von oben 
und „nagelt“ sozusagen die Organe in ihre Stelle; die andere Kraft 
wirkt als Stütze von unten und gibt das Gegengewicht gegen eine 
Verschiebung durch eine zu grosse Kraft von oben. Die beiden 
Kräfte variieren miteinander; Vermehrung der einen erzeugt reflek¬ 
torisch Vermehrung der anderen. Der ganze Mechanismus jst unter 
Kontrolle der Nerven, die z. B. Husten, Stuhlgang etc. kontrollieren. 
Die Kraft von unten wird vom Levator ani geliefert. Dieser Muskel 
ist das Hauptelement in der Aufrechterhaltung einer normalen Lage 
der Eingeweide. Wird der Beckenboden während des Stuhlgangs 
ausgeschaltet, so kann das Beckenbindegewebe temporär die Becken¬ 
eingeweide stützen. Ist aber der Muskel dauernd erschlafft, so kann 
das Beckenbindegewebe allein die Eingeweide nicht stützen. 

Howard Mummery: Die Caissonkrankheit (Brit. Med. Jour¬ 
nal. 27. Juni 1908.) 

Die beste Therapie dieser Krankheit besteht darin, dass man den 
Kranken sofort wieder in die Tiefe schickt, um ihn zu rekomprimieren. 
Bei leichteren Fällen genügt es ihn in dieselbe Tiefe zu schicken, 
aus der er kam, bei schweren Fällen muss er dem doppelten Drucke 
ausgesetzt werden. Selbst Taucher, die vollkommen schwarz im 
Gesicht sind, müssen sofort den Helm wieder aufsetzen und in die 
Tiefe zurückkehren. Bei scheinbarem Tode sollte man versuchen 
unter Wasser in der halben Tiefe, aus der der Mann kam, künstliche 
Atmung zu machen. 

Robert Soundby: Zerebrale Influenza. (Brit. Med. Journ. 
*6. Juni 1908.) 

Meist tritt nach 3—4 Tagen, während welchen der Kranke 
die Zeichen eines Katarrhs darbietet, äusserst heftiges Kopfweh auf, 
das zuweilen mit Erbrechen verbunden ist. In manchen Fällen findet 
man epileptiforme oder apoplektiforme Anfälle, Aphasie, Fazialis¬ 
lähmungen, Monoplegien oder Hemiplegien. Zuweilen geht Unruhe 
oder Delirium voraus, in anderen Fällen tritt Stupor oder Bewusst¬ 
losigkeit rascher oder langsamer ein. Fieber fehlt nur selten. Die 
Muskeln sind meist gespannt, oft bemerkt man Opisthotonus und 
Trismus; Zuckungen der Glieder, Pupillenunregelmässigkeiten und 


Sphinkterenlähmung werden oft beobachtet. Die Reflexe sind meist 
erhalten, das Kernig sehe Symptom fehlt. Zuweilen findet man 
Neuritis optica. Die Prognose ist ernst aber nicht hoffnungslos. Die 
Krankheitsdauer bei den tödlich verlaufenden Fällen betrug 2 bis 
14 Tage, meist weniger als eine Woche. Tritt Besserung ein, so ist 
dies meist nach 3—4 Tagen unverkennbar, wenn auch die Rekon¬ 
valeszenz sehr langwierig ist. Therapeutisch kann man kleine Dosen 
von Chinin versuchen; die Ernährung hat oft durch die Schlund¬ 
sonde oder per rectum zu geschehen. 

F. T. Paul: Die Erfahrungen mit der B u 111 n sehen Operation 
bei Zungenkrebs. (Ibidem.) 

Butlin empfahl 1898 in allen Fällen operablen Zungenkrebses 
gleichzeitig oder in einer zweiten Sitzung die sämtlichen regionären 
Lymphdrüsen zu entfernen. Verf. entfernt, wenn angängig, die Zunge 
bei der ersten Sitzung ausschliesslich vom Munde aus (meist mit 
präliminärer Laryngotomie). 2—3 Wochen später räumt er die 
Lymphdrüsen aus. Er macht einen Schnitt entlang dem ganzen vor¬ 
deren Rande des Kopfnickers und einen Querschnitt in der Höhe des 
Schildknorpels; von dem Schlüsselbein bis zum Warzenfortsatz wer¬ 
den dann Fett, Faszien und Drüsen im Zusammenhang mit der Sub- 
maxillarspeicheldrüse entfernt; findet man Drüsen auf der Vena 
jugularis, so wird diese nach Spaltung des Kopfnickers mitentfernt. 
Ueberschreitet das primäre Karzinom die Mittellinie oder geht es 
nahe an dieselbe heran, so sind stets beide Seiten des Halses aus¬ 
zuräumen. Verf. operierte von 1905 bis 1907 nach dieser Methode 
35 meist sehr schwere Fälle und verlor 2 Kranke an Sepsis. Es 
ist noch zu irüh, um ein Urteil abzugeben, doch sind bisher 17 Fälle 
frei von Rezidiven geblieben. Verf. legt grosses Gewicht darauf, 
die Kranken vor der Operation mit polyvalentem Antistreptokokken¬ 
serum zu behandeln. Neuerdings hat er begonnen, die Zunge und die 
Drüsen unter dem Kieferwinkel nach Kocher oder Sy me in der 
ersten Sitzung zu entfernen; in einer zweiten Sitzung wird dann 
die Karotis und das hintere Halsdreieck ausgeräumt. 

Robert Jones: Die Behandlung des Oberschenkelbruches beim 
Neugeborenen. (Ibid.) 

Verf. behandelte 26 während der Geburt entstandene Ober¬ 
schenkelbrüche; 18 lagen im oberen Drittel, 16 zwischen oberem und 
mittlerem, 7 im mittleren und 3 im unteren Drittel. Bei 6 Fällen, die 
erst nach einigen Wochen zur Behandlung kamen, gelang es durch 
manuelle Osteoklase die Deformität zu beseitigen. Die Behandlung 
besteht in der Anlegung einer Thomasschiene für Knietuberkulose, 
dann legt man bis dicht unterhalb der Fraktur Pflasterstreifen zur 
Extension an, das Bein wird nun extendiert und die Streifen werden 
am unteren Bügel der Thomasschiene befestigt. Es genügt, von Zeit 
zu Zeit die Streifen etwas fester anzuziehen. Die Behandlungs¬ 
methode (illustriert) ist sehr einfach und zweckmässig. 

David Drummond: Das Aneurysma der Brustaorta. (Brit. 
Med. Journ., 13. Juni 1908.) 

Verf. sah in Newcastle über 300 Fälle von Aneurysma der Brust¬ 
aorta. Er glaubt nicht, dass schwere Arbeit mit der Entstehung 
etwas zu tun hat, von 145 Fällen, die über diesen Punkt besonders 
befragt wurden, hatten nur 64 schwer gearbeitet. 102 dieser 
145 Fälle hatten unzweifelhaft früher Syphilis, mehr wie 40 Proz. 
waren ausserdem starke Alkoholiker. Von 225 zur Sektion ge¬ 
kommenen Aneurysmen waren 179 sackförmig, 39 spindelförmig, 
7 mal handelte es sich um ein Aneurysma dissecans. Von den 179 
sackförmigen betrafen 60 die aufsteigende, 13 die aufsteigende und 
die quere, 57 die quere, 19 die quere und die absteigende und 30 die 
absteigende Aorta; es gehörten also 73 dem ersten, 76 dem zweiten 
und 30 dem dritten Teil der Aorta an. Von 159 Fällen, bei denen die 
Todesursache genau angegeben wurde, platzte 63 mal der Sack, 
27 mal trat der Tod durch Klappenfehler ein, 20 mal durch Druck auf 
die Trachea und Bronchopneumonie, 13 mal durch rasch eintretende 
Asphyxie infolge Kompression der Trachea. Meist ist die Wand der 
Aorta ausgedehnt erkrankt (Syphilis). Das Alter des Kranken 
schwankte zwischen 21 und 67 Jahren. Von 300 Kranken waren 
128 jünger wie 45, während 72 im Alter von 40—45 Jahren standen. 
Ganz selten erkranken Kinder. Männer erkranken etwa 8 mal so 
häufig wie Frauen. Diagnostisch legt Verf. ein grosses Gewicht auf 
Schmerzen, die besonders Nachts auftreten und durch Lagewechsel 
(Aufstehen) gebessert werden. 

W. H. Battle: Traumatische Ruptur des Dickdarms. (Ibid.) 

Während der letzten 20 Jahre wurden im St. Thomas Hospitale 
nur 6 Fälle von traumatischer Ruptur des Dickdarms beobachtet, 
während 4 mal das Duodenum, 11 mal das Jejunum und 11 mal das 
lleum gerissen war. Verf. beschreibt im Anschluss an diese sta¬ 
tistischen Mitteilungen einen eigenen durch Operation gehellten Fall 
von Ruptur der Flexura splenica des Kolon. Es gelang, die 33 jährige 
Frau 10 Stunden nach der Ruptur zu operieren und zu heilen. 

Basil K i 1 v i n g t o n: Ueber Nervcnregcneration und die opera¬ 
tive Behandlung mancher Lähmungen. (Ibid.) 

Besonders berücksichtigt sind Nervenüberbrückungen mit aus 
der Kontinuität getrennten Stücken eines anderen Nerven desselben 
Tieres. Die Brücke war in 7 Versuchen %—2 Zoll lang. In 5 Fällen 
war das elektrische Resultat sehr, in 2 ziemlich gut. Dabei war 
es einerlei, in welcher Richtung der Nerv eingepflanzt wurde. Beim 
Menschen ist es natürlich schwierig, einen passenden Nerven zu fin- 


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1760 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sn. XX 


den, da der zur Ueberbriiekung benutzte Nerv natürlich verloren 
geht. Verf. empfiehlt den Saphenus internus zu benutzen, seine Zer¬ 
störung tut wenig Schaden, da nur ein schmaler Streiten Haut an 
der inneren Seite des Busses und Heines vorübergehend anästhetisch 
wird. Man kann ein ganzes Stück des Nerven entfernen und das¬ 
selbe in 2 oder mehrfacher Dicke benutzen. Verf. warnt dringend 
davor, derartige Implantationen von Nervensubstanz in einen Nerven- 
defekt in altem, narbigem Gewebe vorzimehmeii. Tut man das. so 
drückt das Narbengewebe den Nerven tot. Will man in diesen 
Hüllen operieren, so muss man das zentrale und periphere Nerven¬ 
ende völlig freipräparieren und in einen Raum zwischen zwei be¬ 
nachbarten Muskeln verlagern und dort die Implantation vornehmen. 

(Schluss folgt.) 

Laryngo-Rhinologie. 

H a y m a n n - Breslau: Beiträge zur Pathologie der Mandeln. 
7. lieber Blutungen nach Exzision der Rachenmandel. (Archiv für 
Laryngoiogie etc., Bd. 21, H. 1.) 

In eingehender Studie über obiges Thema kommt Verf. zu dem 
Schlüsse, dass — abgesehen von Hämophilie und etwa sonstigen zu 
starker Blutung neigenden Konstitutionsanomalien, des ferneren von 
etwaigen ungewollten Nebenverletzungen — die Ursache der lang¬ 
dauernden Blutungen oder sog. Nachblutungen meistens in dem 
Zurückbleiben eines unvollständig abgeschnittenen Stückchens der 
Rachenmandel zu suchen und zu finden sei. Mit der Abtragung 
dieses „hängenden Stückes", bei dem meist der arterielle Zufluss 
nicht behindert, wohl aber der venöse Abfluss erschwert ist, sistiert 
auch fast immer die Blutung. Erst nach Erschöpfung aller anderen 
Hilfsmittel sollte man sich zur Tamponade des Nasenrachenraumes, 
die bekanntlich grosse Gefahren in sich bergen kann, entschliessen. 
Ausserdem sollte aber auch trotz der Harmlosigkeit des Eingriffes 
und der kaum jemals ernsten Blutungsgefahr die Indikation zur 
Rachenmandeloperation etw'as präziser und strenger gestellt werden, 
wie es vielfach zur Zeit geschieht. 

Ladislaus L a u b - Ofen-Fest: Klinisch-statistischer Beitrag zur 
Frage der lateralen Korrespondenz zwischen Kehlkopf- und Lungen¬ 
tuberkulose und zur Frage, auf welchem Wege die Tuberkulose In 
den Kehlkopf eindringt. (Ibid.) 

Auf Grund eines Materials von 114 Larynxtubcrkulosen unter 
1880 Lungenkranken der Lungenheilstätte Wilhelmsheim kommt 
Autor zu folgenden statistischen Schlüssen: 1. Die Korrespondenz 
zwischen Kehlkopf- und Lungentuberkulose kann als Regel nicht be¬ 
trachtet werden. 2. Die Infektion des Kehlkopfes bei einem Lungen¬ 
kranken kommt vorwiegend durch das bazillenhaltige Sputum zu¬ 
stande. 3. Die Schwere der Lungenerkrankung, hauptsächlich aber 
das Vorhandensein eines bazillenhaltigen Lungensputums ist für die 
Pathogenese der Larynxtuberkulose von grosser Bedeutung. 4. Be¬ 
züglich der Berufsschädlichkeiten trug die Metallstaubeinatmung m 
viel höherem Prozentsatz zur Entstehung der Kchlkopftuberkulose 
bei, als zur Lungentuberkulose; bei Einatmung von vegetabilischem 
Staub verhielt sich „dies umgekehrt“. Das Prozentverhältnis — be¬ 
züglich der Mineralstaubeinatmung steht zwischen den beiden 
anderen. 5. Alle Einflüsse, welche eine direkte Schädigung der 
Kehlkopfschleimhaut verursachen, disponieren bei einem Lungen¬ 
kranken zur Entstehung einer Kehlkopftuberkulose. Bezüglich des 
Lebensalters komplizierte sich bei obigem Material die Lungentuber¬ 
kulose mit einer tuberkulösen Kehlkopferkrankung am häufigsten 
zwischen dem 21. bis 35. Jahr. 

Ino Kubo - Fukuoka (Japan): (Jeher die eigentliche Ursprungs¬ 
stelle und die Radikaloperation der solitären Choanalpolypen. Mit 

12 Abb. (Ibid.) 

An der Hand von 4 in extenso beschriebenen Kranken- und 
Operationsgeschichten erbringt Autor den sicheren klinischen Nach¬ 
weis für die K i 11 i a n sehe Behauptung, dass die solitären Clmaneu- 
polypen, die bisweilen ein abnormes Längenwachstum (bis m den 
Larynx herab) erreichen, ihren Ursprung in der Kieferhöhle haben, 
meist durch das Ostium maxillare accessorium in die Nase gelangen, 
durch äussere Reize ein malignes Aussehen erhalten können und 
meist so lange rezidivieren, bis der Mutterboden in der Kieferhöhle 
radikal beseitigt ist. Letzteres geschieht am einfachsten und sicher¬ 
sten durch breite Eröffnung der Kieferhöhle vom Munde aus und 
vollkommene Auskratzung der polypos-degenerierten Schleimhaut. 

Gustav S p i e s s - Frankfurt a. M.: Die Bedeutung der An¬ 
ästhesie in der Entzündungstherapie und ihre Nutzanwendung speziell 
bei der Behandlung der Kehlkopftuberkulose. (Ibid.) 

Bezugnehmend auf seine frühere Arbeit (cf. diese M'ochenschr. 
1906, No. 8) skizziert Spiess seine Theorie: Unter dem bekannten 
Symptomenkomplex der Entzündung spielt der Dolor die 
Hauptrolle. Verf. unterscheidet den „sekundären Dolor", den 
der Patient als Schmerz empfindet, und den „primären Dolor", 
d. i. jede Reizung sensibler Nerven, die zur Reflexatislosung iuhren 
kann. „Die Reizung sensibler Nerven, mag sie mm als Schmerz 
empfunden werden oder nicht, führt reflektorisch zu einer Hyper¬ 
ämie, zum R u b o r, der selbstverständlich Kalor zeigt und zu 
Tumor führt.“ Gelingt es nun, den „Dolor" zu beseitigen, so 
treten auch seine Folgeerscheinungen, Ruhor, Kalor und Tumor, nicht 


j ein. Dieser Ideengang veranlasste Spiess, die Kelilkopituberkui->sc 
j auf dun Wege quasi der DaueiaiiastheMerung zu behandeln. I r 
sprit/te subimikos täglich 2 mal Novokain in das erkrankte Gewebe 
ein mul erreichte dadurch lokal und konsekutiv allgemein derartig 
befriedigende Resultate, wie solche mit den biMiei igen Methoden 
allem nicht erreicht wurden. Zur Unterstützung verwendet er unter 
entsprechender Auswahl als chemisches kaustikum die I ricidoressig- 
sauie. am meisten empfiehlt er für entsprechende l ade die chirur¬ 
gische Iherapie in recht ausgedehnter Weise. iedoJi immer wieder 
unter ausgiebigster Anästhesie! uüg nach der Operation und wahrend 
der Nachbehandlung. Die berichteten ausgezeichneten Erfolge lassen 
eine ausgedehnte Nachpi iiiung als recht aussuhtsv oii erscheinen. 

L. Re t hi- Wien: Einiges über die Schwierigkeiten der laryn- 
goskopischen Untersuchung bei Hyperästhesie der Rachengcbilde. 
(Moiiatsschr. t. Ohrenheilkunde etc. luns. lieft 4.) 

Ls gibt eine Reihe überempfindlicher Personen, bei Jenen das 
suggestive Vorgehen ebenso wenig, wie die übliche Kokaimsierung 
ein Lar\ngoskopieren ermöglicht. Bisweilen hm da die vn 
l ou rille angegebene Kok.uujsierung der Regio glosso-epiguttica. 
Bei em/elnen l allen indes beimdet sich die reflexauslosenJe Steile 
anderswo, nämlich „am lass des vorderen, zuweilen des lauteren 
Gaumeiihngeiis, an der Lebergangsstelle in den Seitlichen Zungen¬ 
rand, be/w. in die hintere Rachenwand". Durch Kokainappäkatmn 
auf diese Gegend gelingt dann meist die „Ausschaltung der hier be¬ 
findlichen sensiblen Nerven, welche durch \orstrecken der Zunge 
ge/errt werden", und jeder intralarvngcaic Lmgnff wird jetzt er¬ 
möglicht, obwohl vorher die Kokaimsierung aller anderen Regionen 
erfolglos gehheben. „Auch da muss man mitunter, wie beim k'-kami- 
sieren überhaupt, längere Zeit zuwarten, bis sich die Anästhesie ent¬ 
stellt." 

.1. S c n d z i a k - Warschau: Die Frage der Radikalbehandlung 
des Kehlkopfkrebses in den letzten 50 Jahren (IN5S—190h). (Und.) 

Der auf dem Wiener internationalen Larv ngo-Rhinoh .genkop- 
gress gehaltene Vortrag enthalt zunächst einen historischen l eber¬ 
blick über die Wandlung der Anschauungen bezüglich der Therapie 
des Lnrynxkarzinomes, uber die verschiedenen chirurgischen Mass¬ 
nahmen und deren endgültigen Aushau. Die Schiasse des Autors, die 
sich auf eine in der Literatur gesammelte Statistik von lonj Fähen 
stut/en. gipfeln dann, dass die extralarvngeale operative Behand¬ 
lung des Kehlkopikrebses die rationellste Methode Sei. dass fur die 
frühzeitigen Formen die Laryngofissur (Thyrcotomie). bar die Re¬ 
zidive oder vorgeschrittene Taile die partielle oder totale Laryrig- 
ektonne die relativ günstigsten Resultate zeitige. 

O. Korner- Rostock: Die Gefährlichkeit der Tracheoskople 
bei Kompression der Luftröhre von hinten. (Zeitschr. t. nhrenhei k. 
etc., Bd. 5(). Heft 1.) 

Anschliessend an einen Fall Pieniäzeks von retroos,.p!;a- 
gcalem Abs/ess, bei dem durch den I leSivpF.agus hindurch auf die 
Trachea und die Bronchien eine Kompression ausgeabt und bei dem 
durch Fmfuhrung des Tracheoskops durch Druck auf den oberen T eil 
iles Abszesses der tiefere Teil desselben starker vorgew o’.bt wurde, 
so dass es hierdurch zum Verschluss der Bronchien und zum Er¬ 
stickungstod kam, berichtet Korner über einen ähnlichen Fall, „bei 
dem schon die flache Rückenlage auf dem Operationstische den völ¬ 
ligen Verschluss der von hinten her komprimierten Trachea zur Folge 
hatte", so dass sofort der Fxnus emtrat. K. weist Jarauf hin, dass 
„bei Kompression der Tiachea Von hinten ausser der von Pieni.i- 
Zek beschriebenen Gef.ihr der Tracheoskopie auJi noch die besteht, 
dass schon „die Ruckw artsbeiigung des Koptes und des Oberkörpers, 
ohne welche sich das Rohr nuht emfuhren lasst, einen Völligen Ver¬ 
schluss der Trachea herbeiiuhreii kann". 

B. N. O k u n e f f - St. Petersburg: Resektion des Tränennasen¬ 
kanales. Mit 3 Abb. ( Archiv es internationales de larvngojogie etc. 
luti\ So. d.) 

O k u n c f f erörtert eingehend den Zusammenhang zwischen 
Nasenleiden lind Ti Jtflvimaseiih.malaffi kt;, -ne n und besp'uht --- unter 
Berücksichtigung der einschlägigen Literatur die I lierapic und 
deren Fortschritte Ins m die neueste Zeit. Pu die bisherigen opera¬ 
tiven Massnahmen des öfteren flieht zum gew mischten Ziele führten, 
versuchte er durch Resektion des Truuemiuse iikanais be/w . seiner 
nasalen W andiing eine Heilung zu erzielen. Mit den in der Arbeit 
abgebildeten Instrumenten ex/idicrte er — n.uli vorheriger partu.her 
Iv’eSektion der unteren Musjiel -- die rie J;a!c nasale knpejien- 
w an düng des Trancmiuse nkanalcs von dir Nase aus und beruhtet 
iiber U einschlägige, erfolgreich behandelte kranke in extenso. Die 
'Technik des operativen T.mgriifes ist in der Arbeit genau geschildert. 

Jorgen M o I I e r - Kopenhagen : Die Amputation der Fplglottis 
bei der Kehlkopfphthise. (Revue hebJomadaire de Iurvngo]og : e etc. 
luiis. No. ln.) 

Autor empfiehlt bei ausgew älilten I ahen, bei denen die Fpi- 
glottis tuberkulös erkrankt ist, die \ mpatat :■ n ilires freien lei es 
und berichtet Iiber ln einsJi’.agige. eri'-lg»t;£f| operierte kranke. Der 
Schluckmechamsmus wird durch den \e rlust der Ep:g!ottis. zumal der 
erkrankten, nicht wesentlich beeinflusst. 

H. Luc-Paris: Die Anwendung der Lokalanästhesie bei der 
Radikaloperation der eitrigen Kieicrhohlcnent/iindung. 'Ibid.. No. 2\) 


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Original fram 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1761 


Luc berichtet über einen einschlägigen Fall, den er unter 
Kokain-Adrenalin-Anästhesie radikal operierte. Die vollkommene An¬ 
ästhesie und die grossen Vorzüge dieser Methode gegenüber der 
Allgemeinnarkose sollten letztere nur noch für Ausnahmefälle in An¬ 
wendung kommen lassen. H e c h t - München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität Bonn. Juni—Juli 1908. 

Brügelmann Max: Ueber Schwangerschaft, Geburt und Wochen¬ 
bett jugendlicher Erstgebärender. 

Feigen Heinrich: Die Bakterienmenge des Dünndarms und ihre 
Beeinflussung durch Antiseptika. 

Nassmann Wilhelm: Ein Beitrag zur Vakzineophthalmie. 
Röscher Ernst: Beitrag zur Pflege und Ernährung frühgeborener 
Kinder. 

Schmitz Wilhelm: Zur Therapie der Askaridiasis mit Ol. Cheno- 
podii anthelmintici. 

Weber Josef: Ueber Dissoziation von Vorhof- und Kammer¬ 
rhythmus. 

Wenzel Paul: Ueber Beckenbrüche. 

Universität Greifswald. Juli 1908. 

Kato Kan aus Japan: Ueber den Olykogengehalt der Frösche und 
über die quantitative Zusammensetzung der Froschleber. 
Matsunami Eitaro: Zwei Fälle von primärem Muskelangiom. 
Mitsutaro Ogata: Blutbefunde im Kindesalter. 

Hansen Wilhelm: Beitrag zur Kasuistik der Myositis ossificans 
traumatica des Musculus brachialis internus. 

F r e se n Josef: Ascaris lumbricoides ausserhalb des Darmes, speziell 
in perityphlitischen Abszessen. 

Lehmacher Johannes: Das Vorkommen und die Ursache von 
Herzhypertrophie bei den grossen Aneurysmen der aufsteigenden 
Aorta. 

Universität Halle. Juli und August 1908. 

Boerger Albin: Ueber Radiusfrakturen und deren Behandlung. 
Fischer Ernst: Ein Fall von primärer Mischgeschwulst des Becken¬ 
bindegewebes. 

Kluge Werner: Beitrag zu den Störungen der Herztätigkeit nach 
Diphtherie. 

Luther Richard: Ueber Genu valgum und seine Behandlung und 
die Erfolge derselben. 

Sondermann Albert: Ueber die Gefahren der Infektionskrank¬ 
heiten für die Gravidität. 

Sprakel Emil: Beiträge zur Konjunktivalreaktion. 

Stier Willy: Ueber die in der Universitätsaugenklinik zu Halle a. S. 
während der letzten 7 Jahre beobachteten perforierenden Augen¬ 
verletzungen. 

Wehrsig Georg: Ueber akute Leukämie. 

Universität Heidelberg. Juni und Juli 1908. 

Mack Wilhelm: Die Cholezystostomien der Heidelberger chirur¬ 
gischen Klinik (1901—1906). 

Sauer Otto: Pneumonie und Gravidität. 

Schwarzweller Konrad: Statistik über Wochenbettfieber in der 
Universitätsfrauenklinik in Heidelberg im Zeitraum von Januar 
1903 bis März 1907. 

Universität München. Juli 1908. 

Lee de Carl: Arthropathien bei Syringomyelie, 
v. Bomhard Hans: Periarteriitis nodosa als Folge einer Staphylo¬ 
kokkensepsis nach Angina. 

Teufel Bruno: Beitrag zur Lehre des Psammokarzinoms nebst 
Mitteilung eines Falles von Psammokarzinom der Niere. 

Baetz Georg: Ueber die Erfolge der operativen Therapie bei 
Morbus Basedowii. 

Hauer Hans: Ein Fall von Sturzgeburt und seine forensische Be¬ 
deutung. 

Olass Ernst: Ein Fall von Endothelkrebs der Pleura. 

Plast er k Hans: Zwei Fälle von primärem Melanosarkom des 
Rektums. 

Thomas Erwin: Ueber erworbene Hämatometra. 

Erdmann Hans: Beitrag zur Lues cerebri nebst einem Fall von 
Encephalitis gummosa in Form eines Solitärgummas im Pons. 
Kimmerle Adolf: Ueber wahre Hypertrophie der Leber bei idio¬ 
pathischer Herzhypertrophie bei Leuten vom 20.—60. Lebensjahre. 
Schlippe Konrad: Ein Fall von Akromegalie. 
Diamantopoulos Stamatis: Das runde Magengeschwür, seine 
Prognose und seine Therapie. 

Gruhle Oswald: Ueber ein präsakrales Teratom mit besonderer 
Berücksichtigung der Aetiologie. 

Ott Hermann: Experimentelle Untersuchungen über die Ursachen 
der Häufigkeit der Schädellagen. 

D e r j a b i n Victorin: Zur Kenntnis der malignen Nebennierentumoren. 
Miyoshi Keisuke: Ueber Enterolithen. 

Demmler Max: Ueber Lymphosarkomatose des Dünndarms. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offizielles Protokoll.) 

XXII. Sitzung vom 28. März 1908. 
Vorsitzender: Herr Schmorl. 

Vor der Tagesordnung demonstriert Herr O. Kaiser Fälle von 
operierter Extrauteringravidität. 

Tagesordnung: 

Herr Best: Kurzsichtigkeit und ihre Verhütung. (Er¬ 
schien in No. 29 und 30 dieser Wochenschr.) 

Diskussion: Herr F. Schanz: Die Theorien über die Ent¬ 
stehung der Kurzsichtigkeit sind sehr zahlreich. Für die Aufstellung 
von Verhütungsmassregeln ist es nötig, dass man ihnen eine dieser 
Theorien zu gründe legt. Die Theorie von Best nimmt an. dass die 
Anspannung der Akkommodation einen Zug an der Membrana elastica 
der Chorioidea ausübt und dass dieser Zug einen Wachstumsreiz am 
hinteren Pol des Auges veranlasst. Da nur Kurzsichtige unter 5 Dioptr. 
bei der Arbeit akkommodieren, so dürfte man diese nicht voll korri¬ 
gieren, weil man damit diesen Wachstumsreiz steigern würde. Unsere 
in den letzten 10 Jahren gewonnene Erfahrung in der Praxis würde 
damit in Widerspruch stehen; haben wir doch in dieser Zeit sehr 
reichlich Gelegenheit gehabt, uns zu überzeugen, dass gerade die Voll¬ 
korrektion das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit am besten aufhält. 

Ferner würde die B e s t sehe Theorie auch nicht erklären, warum 
die Kurzsichtigkeit über 5 Dioptr. noch weiter fortschreitet. Man 
müsste annehmen, dass bei Kurzsichtigkeiten unter 5 Dioptr. die An¬ 
spannung der Akkommodation, bei Kurzsichtigkeiten über 5 Dioptr. 
der Wegfall derselben denselben Wachstumsreiz am hinteren Augen- 
pol veranlasst. Das ist sehr unwahrscheinlich. 

Bei der Best sehen Theorie müsste der Zug an der Membrana 
elastica zu Druckschwankungen im Augeninneren führen. Diese 
werden aber von Best in Abrede gestellt. 

. Sch. ist auch nicht der Ansicht, dass unsere Massnahmen zur Be¬ 
kämpfung der Kurzsichtigkeit so erfolglos waren, wie es Best hinstellt. 
Durch die Vollkorrektion wird sicher die Weiterentwicklung ein¬ 
geschränkt. Ebenso wirkt die Prismenbehandlung, die sich mit der 
Vollkorrektion durch Dezentrierung der Konkavgläser erreichen lässt. 

Herr H ü b 1 e r I: Der Vorschlag zur Abschaffung des deutschen 
Alphabetes wird bei Lehrern auf wenig Widerstand stossen. Die 
hygienischen Massnahmen der Schule betr. Beleuchtung, Schulbänke 
sind doch nicht ganz erfolglos gewesen. Eine Einschränkung des 
Lernstoffes zur Erzielung grösserer Bewegungsfreiheit für Sport und 
Spiel stösst auf Schwierigkeiten. Der fremdsprachige Unterricht ohne 
Lehrbuch dürfte undurchführbar sein. 

Herr T r e u 11 e r schlägt vor, zur Ausscheidung der Akkommo¬ 
dationsanstrengung mehr auf schwache Konkav- oder sogar Konvex¬ 
gläser zu kommen. Die Theorie von Best nähert sich der von 
S e c k e 1, der den genannten Schluss bezüglich der Gläserkorrektur 
zieht. 

Herr Panse: Wenn die latente Disposition zur Myopie überall 
ungefähr die gleiche geblieben ist und nur durch Naharbeit jetzt 
häufiger manifest wird, so wäre zu fragen, warum dann die Myopie 
zu bekämpfen ist, da sie vielleicht eine wünschenswerte Anpassung ' 
an die durch die Kultur gesteigerte Naharbeit ist, der gegenüber die 
mit etwa 45 Jahren auftretende Alterssichtigkeit der Emmetropen als 
die grössere Unannehmlichkeit zu betrachten wäre. 

Herr Stahl: Wichtig ist prophylaktisch die sachgemässe Ver¬ 
teilung des Schulunterrichts: Einschiebung von Stunden ohne Nah¬ 
arbeit zwischen die wissenschaftlichen Stunden. 

Herr Z e r e n e r sieht besonders im mathematischen Unterricht 
eine Schädlichkeit. 

Herr Bartels: Schädlich und disponierend ist besonders der 
hypermetropische Astigmatismus. Die gute Beleuchtung Ist doch nicht 
unwesentlich: schädlich ist auch das häufige Abwechseln der Blick¬ 
linie beim raschen Austausch von Nah- und Fernarbeit. 

Herr M. Schmidt weist auf eine Arbeit von T h o r n e r hin, 
aus der er die Folgerung zieht, die Nahhaltung nach Möglichkeit zu 
vermeiden. 

Herr Best: Die gegen die von mir entwickelte Akkommo¬ 
dationstheorie der Kursichtigkeit gemachten Einwände kann ich nur 
kurz besprechen, da es mir hier wesentlich auf die praktische Seite 
der Frage ankommt. Wenn z. B. Uhrmacher selten kurzsichtig sind, 
so hängt das damit zusammen, dass Naharbeit nur während des 
Wachstums, in der Jugend kurzsichtig macht; die Cohn sehen Zahlen 
für Uhrmacher ergeben ausserdem erhöhten Prozentsatz: 10 bezw. 
18 Proz., die höhere Zahl für diejenigen Uhrmacher, die keine Lupe 
benutzen. — Dass die Mvopie in vielen Fällen über 5 D. hinansgeht, 
erklärt sich durch Fortschreiten einer einmal ausgebildeten Wachs¬ 
tumsrichtung: teils sind es Fälle, in denen das ererbte Moment- die 
ererbte Richtung zum Langbau gegenüber der Schädlichkeit durch 
Naharbeit weit in den Vordergrund tritt. — Den druckerhöhenden Ein¬ 
fluss der Akkommodation würde ich, selbst wenn er vorhanden wäre, 
nicht für den Langbau des kurzsichtigen Auges verantwortlich 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1762 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


machen; meine Theorie hat es nur mit der nachtewiescnen Vor¬ 
ziehung der Aderhaut zu tun. — Die Verordnung von Konvexgläsern 
ist keine Folge meiner (wohl anderer) Akkonunodationstlieorien. weil 
dadurch die physiologischen Reize auf die Sehne des Ziliarmuskcls 
aufhören würden und die Aderhautelastizität diese physiologische 
Beanspruchung bedarf, nicht dagegen die dauernd gleichmässige Be¬ 
lastung bei gleichmüssiger Naharbeit (und gegebener Myopiedis¬ 
position) verträgt; meine Theorie fordert das, was Straub künst¬ 
liche „Emmetropisierung" nennt, wenn der natürliche Prozess der 
Emmetropisierung einmal überschritten ist. 

Wie man sich nun auch den Zusammenhang zwischen Kurz¬ 
sichtigkeit und Naharbeit denkt, so bleibt doch in jedem Fall be¬ 
stehen, dass eine Verminderung der Kurzsichtigkeit nur durch Ein¬ 
schränkung der Naharbeit erreicht werden kann. Dabei wollte ich 
keineswegs die bisher erreichten oder geiorderten hygienischen Ver¬ 
besserungen in der Schule (gutes Licht Schulaugenärzte usw.) als 
unnütz hinstellen, nur treffen sie in Bezug aut die Kurzsichtigkeit 
nicht den Kern der Sache. Schlechte Beleuchtung wirkt als solche 
nicht schädlich, sondern erst wenn sie zum Näherhalten der Arbeit 
zwingt, und das ist erst bei vorgeschrittener Dämmerung der Fall. 
Bezüglich der Abänderung der Methode des Unterrichtes in den 
neueren Sprachen w'eiss ich wohl, dass die bisherige gründlichere 
Durchbildung erzielt, als einfaches Sprechen; aber im Interesse der 
Myopieverhütung Hessen sich doch Lektüre und schriftliche Aufgaben 
zugunsten des Sprechens einschränken. Es Hessen sich wohl noch 
eine Reihe anderer Massnahmen (Einschränkung des MemoriersiottYs. 
der Strafarbeiten usw.) anführen: das Wesentliche scheint mir aber 
zu sein, dass es in das Bewusstsein gewisser Kreise übergeht, dass 
die Naharbeit als solche zu Kurzsichtigkeit fuhren 
kann; " issen das erst Lehrer und Eltern, so ergibt sich die Ein¬ 
schränkung der Naharbeit in vielen Punkten schon \on selbst. Dass 
die Kurzsichtigkeit schliesslich eine dem normalen Refraktionszustaml 
vorzuziehende Annehmlichkeit sei. halte ich aus vielen (iriinden nicht 
für zutreffend. 

Herr F. Schanz: Wenn B e s t den druckerhoheiidcn Einfluss 
der Akkommodation nicht für den Langbau des Auges %erantw örtlich 
machen und seine Theorie nur auf die nachgew iesene Vor/iehimg der 
Membrana elastica beziehen will, so erscheint es unverständlich, wie 
eine solche ohne Drucksteigerung im Augeninneren stattfnulen kann. 
Die Membrana elastica umspannt doch den Augeninhalt, eine An¬ 
spannung einer solchen elastischen Haut musste doch zur Drucksteige¬ 
rung in den Medien führen, die sie umspannt. 

Von den Massnahmen, die in der Schule noch zu beachten wären, 
würde auch der neulich im Landtag und im Stadtverordnetenkollegium 
gemachte Vorschlag gehören, den religiösen Memorierstoff zu be¬ 
schränken. Noch wünschenswerter aber wäre die Einübung einer 
grossziigigereren und derberen Handschrift. Die Engländer, die 
Amerikaner schreiben eine viel derbere Handschrift. In welch 
törichter Weise wird bei uns auf eine feine Handschrift (iewicht 
gelegt. 

Herr Prlismann: W'cnn trotz der erhöhten wissenschaftlichen 
Ansprüche di'* Kurzsichtigkeit nicht zugenommen hat, so ist das 
immerhin ein Gewinn. 

Herr Best: Eine geringfügige Abnahme der Schulkurzsichtigkeit 
mag ja auch jetzt schon erfolgt sein. Wünschenswert wäre aber eine 
wesentliche Aenderung. wie z. B. in Schweden durch Hebung in 
Sport und Spiel ein Sinken der Myopieziffer von 5t) auf 25 Pro/, ein- 
getreten ist. 

Herr F. Schanz: Die Bekämpfung der Kurzsichtigkeit hat auch 
grosse Bedeutung für die Wehrkraft unseres Volkes. \\ ie viele wer¬ 
den heute schon wegen ihrer Kurzsichtigkeit militärdienstunfähig! 
Da sich die Disposition zur Kurzsichtigkeit zweifellos vererbt und die 
Kurzsichtigkeit bei den Kindern häufig höhere Grade erreicht als bei 
den Eltern, so könnte eine weitere Zunahme der Kurzsichtigkeit in 
einigen Generationen unsere Wehrkraft stark schädigen. 


Wissenschaftliche Vereinigung am städt Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 5. Mai 1 ( >< in. 

Vorsitzender: Herr E H r 1 i e H. 

Schriftführer: Herr Hing e I. 

Herr Ed Inger: Zur Lehre von den Sinncsempfindungen. 

Jeder Sinnesapparat setzt sich hei Wirbeltieren zusammen 
aus dem Aufnahmeorgan (Auge z. B.), der Leitung (Optikus) 
und dem Endapparat (Mittelhirn). Darüber schaltet sich von 
den Reptilien ab allmählich zunehmend der Assoziations¬ 
apparat des (irosshiriis. Die Siimespliysiologie hat bisher 
sehr wenig Notiz davon genommen, wo und an welchen Stillen 
die feineren Unterscheidungen, welche sie bereits machen 
kann, zustande kommen. Namentlich hat sie nicht untersucht, 
wie weit sie Funktion des Grosshirns oder des primären End- 
apparates sind. Auch ist längst noch nicht genügend bekannt. 


wie weit die Funktion des Endapparates selbst am Gesamt¬ 
komplex der Sinneswahrnehmung beteiligt ist. Zur Losung 
dieser Frage wird es beitragen, wenn man untersucht, wie mJi 
zur Siimesw ahriichmimg solche Tiere verhalten, denen der 
Assoziationsapparat fehlt. E d i n g e r teilt in seiner eben er¬ 
schienenen vergleichenden Anatomie des Nervensystems das 
gesamte Gehirn h zwei Teile ein. Unter dem Palaen/cphalnn 
versteht er alle 'Feile, welche min der Cauda equiua bis zum 
Riechlappen reichend die sensiblen Nerven aufnehmen, die 
motorischen ausseiiden und die Bewegungen regulieren. Den 
Apparat, der siJi von den Reptilien ah darüber s». haltet, nennt 
er Neen/ephalon. Wenn man nun Tiere, welche mir oder fast 
nur ein Palaeiizcphalnn haben, wie die Fische oder d.e Frosche 
in ihrem Verhalten zu Sinnesreizen untersucht, so stellt siJi 
heraus, dass Fische. FmsJie und Eidechsen auf \ersJiieJcne 
Geräusche oder Jone, die der Mensch erzeugt, \«>!hg taub er¬ 
scheinen. dass aller luitiientlich die beiden letzteren Klassen 
auf solche Geräusche durJi Bewegungen reagieren, welche 
ihnen im freien Leben auUi sonst zukommen. Das lasst mUi 
mir so deuten, dass das Palaenzeplialon wohl Smuesempiin- 
dimgen rezipiert, dass aber neuartige ela niJn als Reiz wirken, 
wo aus anatomischen Gründen die Möglichkeit fehlt. soIJie 
neue Reize assoziativ zu erfassen. Am GeruJismri und den 
Bewegungen bei der Nahrungsaufnahme wird demonstriert, 
wie den einfachen Reflexen bei EisJicn und Amphibien, von 
den Repohen ab siJi neue, offenbar assoziativ cmMvhcn.de 
Handlungen zuiiigcii. Die palaen/cpliak m I ie re können 
Empfindungen nur rezipieren und an fertige Bcwegungs- 
mevfiauismeii übertragen, den iiccii/e phale ii erst ist die Mög¬ 
lichkeit gegeben, mehrere Empfindungen zu assoziieren und da¬ 
durch neue Handlungen zu gewinnen. Der \ ortragende glaubt, 
dass es eine wichtige Auig ibe der Siruesplix smlogie sein 
durfte zu unterscheiden, wie x ie! von unseren Smucswahr- 
nehmungen rein re/ip.ert, wie viel assoziativ und beobachtenJ 
w ahrgenommen ist. 

Herr A. Böhme: Untersuchungen über Opsonine. (Der 
Vortrag ist in No. J.s d. \\ rchcnsv.hr. m extenso erschienen.) 

Diskussion: Herr I h r I i c h. 

Herr M. Neisser: Der Boh niisdic M hut«. 1% ersuch sprüht 
daiur, dass es, entsprechend viel \<>u M Neisser und liuer- 
r i ii i beschriebenen clienus^ Ih m | eukustriinl.innen. .iikIi ph \ he 

Len k< ist i um la nt len gibt. hur Uie k mische Verwertung d«. s < >ps< uusv. lu «1 
Inilex wurde eine «.juahtatix e l'mbe ;oiMeulieti. wenn m.m daraus er¬ 
kennen konnte, oh deutlk he l*h.igM/\t«>se st.itti f linden li.it oder nullt. 
Der Vergleich von aktixcm und in.iktie ein Se’iim wurde dann ge¬ 
lingen. um die für «.las therapeutische Handeln wichtigen I ’hasi n zu er¬ 
kennen. 

Herren Rothschild, N e u b u r g e r. L It r 1 1 c h. B o h n; e. 

Naturhistorisch-Medizimscher Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 1<\ .! u n i 

Herr Ernst: Demonstration von Plasmazetlen bei tuber¬ 
kulöser Pneumonie. 

Herr Rosenberger: Die Beziehungen der Zyklosen 
zum tierischen Organismus. (Der \ ortrag crsJicint ausführ¬ 
lich in dieser Wochenschrift.) 

Diskussion: Herren K o s s e !. L r n s t. Rosenberger. 

Herr Cohnheim: Leber Eiweissresorption. 

S i t z u n g v o m 3n. J u n i l'Xis. 

Herr Kümmel zeigt \or der Tages.>r dnuug ein 2 uhirges Kind 
mit schwerer Missbildung des rechten äusseren Gelnu g.mges und 
der (Hirtituss lieh deren Rudimente stark nach abwärts und x «•: n dis- 
lo/iert sind; daneben \pi.>sie d<.s aulsu i„<. nd«. n l nie r kn.:«, ravt.es, d.s 
K leier gelenkes, sowie eihebikhe I a/u isn.u(.se. 

Herr Ernst: Demonstration sphärischer Körper in Karzinomen. 

D i s k II s s i o m Iler nu L o h fi Ii e i in. Br ans, v. \\ a sie¬ 
le w s k i. D e e t j e n. \ . M i |> p e I. I e e r. 1 r u s t. 

He rren M o r a w i t z und R ö h m e r: Klinische Lnter- 
suchungen über die Saiierstoftversorgung bei Anämien. 

Es wurden au einer grosserer Reihe normaler und ar.a- 
miselici Menschen Hestim:m,n geti des max.makn Sauere »ff - 
bmdimgsx ei ttn>gens und de r Gase |;n ui.c,sjjpg*^n Blute de r 
Armvche ansgeinhii. Zu du: WmiJuti J.ente der Bar¬ 
er e f t - 11 a I d a n e sJu \pparat zur Bl ügasbcs'.immir g. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 





18. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1763 


der sehr handlich ist, gute Resultate gibt und es gestattet, 
mit sehr geringen Blutmengen (1 ccm) zu arbeiten (Demon¬ 
stration des Apparates). Zur Hämoglobinbestimmung diente 
die H a 1 d a n e sehe kolorimetrische Methode, bei der das 
Hämoglobin in CO-Hämoglobin umgewandelt und mit einer 
CO-Hämoglobin enthaltenden Teströhre verglichen wird Die 
Fehlergrenzen dieser Methode übersteigen — eine gewisse 
Uebung vorausgesetzt — nicht 2 Proz. 

Sowohl bei normalen Personen als auch bei schwer oder 
leicht anämischen stimmten die gasanialytisch gefundenen 
Werte durchaus mit denen überein, die man aus dem Hämo¬ 
globingehalt berechnet. Ein vermehrtes Oa-Bindungsvermö- 
gen des Hämoglobins, wie es von einigen neueren Autoren an¬ 
genommen wird, liess sich selbst bei schweren Anämien nicht 
nachweisen. (Versuche an 18 Anämien.) Ebensowenig konnte 
in 2 Fällen von Polyzythämie ein vermindertes Oa-Bindungs- 
vermögen gefunden werden. 

Versuche mit ungesättigtem Blute aus der Armvene zei¬ 
gen, dass bei Anämien erheblicheren Qrades in der Regel eine 
stärkere prozentuale Ausnutzung des Sauerstoffs sich findet, 
als beim normalen Menschen. In einigen ganz schweren 
Fällen war das Blut der Armvene fast sauerstofffrei, während 
beim normalen Menschen (unter bestimmten Bedingungen in 
28 Versuchen) meist nur etwa des vorhandenen Oa aus¬ 
genützt wird. Immerhin konnte die verstärkte prozentuale 
Ausnutzung des Oa nicht in allen Fällen von Anämie beobachtet 
werden, 

Ein vermehrtes Oa-Bindungsvermögen kommt also als 
Kompensationsvorgang bei Anämien nicht in Betracht. In 
vielen Fällen liegt eine bessere Ausnutzung des Sauerstoffs 
bei Anämischen vor. Als wahrscheinlich wichtigstes Moment 
dürfte aber wohl eine Beschleunigung des Blutstroms eine 
genügende Versorgung der anämischen Gewebe mit Sauerstoff 
garantieren. 

Die Methode soll auch auf die Untersuchung dyspnoischer 
Menschen Anwendung finden. 

(Der Vortrag wird an anderer Stelle ausführlicher er¬ 
scheinen.) 

Diskussion: Herren Neumann, Plenge, Cohnheim, 
Röhmer, Morawitz. 


Physiologischer Verein in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Juli 1908. 

Herr v. S t a r c k berichtet zunächst über 2 Fälle von Megacolon 
congenltum. Der 1. Fall betrifft einen jetzt 10 jährigen Jungen, welcher 
im zweiten Lebensjahre mit den typischen Symptomen der Krankheit 
in Behandlung kam, der 2. ein jetzt 22 jähriges junges Mädchen, das 
sich vor 10 Monaten in Behandlung begab, ln beiden Fällen be¬ 
standen seit der Geburt Schwierigkeiten der Stuhlentleerung derart, 
dass überhaupt nur durch energische Einläufe Stuhl erfolgte, Abführ¬ 
mittel so gut wie wirkungslos waren. Der Leib war im allgemeinen 
sehr stark aufgetrieben, namentlich in der unteren Partie; dort traten 
häufig unter erheblichen Schmerzen auffallende peristaltische Be¬ 
wegungen auf, wobei sich zugleich ein in seiner Form und Ausdehnung 
der Flexura sigmoidea entsprechender Tumor vor wölbte und sich 
steifte, ein ähnliches Bild bietend, wie die Magenperistaltik bei dem 
Pylorospasmus congenitus. Bei der Klystierung entleerten sich grosse 
Massen übelriechenden Stuhles. In Fall 2 verglich die Mutter den 
Erfolg der Klysmata mit der Entleerung einer „Schlammkiste“. In 
diesem Fall hatte das Leiden die ganze Entwickelung des Mädchens 
erheblich beeinträchtigt. Mit 2Vs Jahren musste dasselbe noch ge¬ 
fahren werden und lernte erst mit 4 Jahren laufen. Die Schule konnte 
später nur unregelmässig besucht werden. Jede regelmässige Tätig¬ 
keit war noch bis vor wenigen Monaten unmöglich, da die täglich 
einsetzenden starken Schmerzen hinderten und der häufige Abgang 
höchst übelriechender Flatus den Aufenthalt in fremder Umgebung un¬ 
möglich machten. Das Mädchen war von Geburt an in Behandlung; 
aber der Zustand blieb im wesentlichen derselbe. Mit 21 Jahren be¬ 
trug die Körperlänge 1,45 m, das GewichV 37,5 kg. 

Durch vegetarische Diät, tägliche Massage und Faradisation des 
Leibes (entsprechend dem Verlauf des Kolon) regelmässige, zunächst 
tägliche Ausspülung und Darreichung von Styracol wurde in 
9 Monaten ein sehr günstiger Erfolg erzielt, so dass die Patientin 
völlig verändert war. Die Auftreibung des Leibes war gering, eine 
abnorme Peristaltik und Vorwölbung der Flexur trat zwar häufig 
wieder auf, aber ohne Schmerzen zu verursachen; die Gasbildung 
war gering, eine Ausspülung wöchentlich genügte, sonst erfolgte der 
Stuhl von selbst; das Körpergewicht stieg auf 42,5 kg; die Menses, 


welche bisher zessiert hatten, traten auf. Patientin fühlt sich förmlich 
dem Leben wiedergegeben. In Fall 1 wurde durch eine ähnliche 
Behandlung ebenfalls ein sehr befriedigender Erfolg erzielt, und ist 
es gelungen, durch Diät und lange fortgesetzte Massage ebenfalls eine 
einigermassen regelmässige Stuhlentleerung durchzusetzen, der nur 
ab und zu durch Darmspülung nachgeholfen werden muss. Der 
Kranke hat sich in normaler Weise körperlich entwickelt. 

Herr v. S t a r c k hält sodann den angekündigten Vortrag 
„Ueber die basophile Granulation der Erythrozyten im embryo¬ 
nalen Blut und bei anämischen Zuständen“ (wird a. a. Ort ver¬ 
öffentlicht). 

Herr H. Schade: Zur Entstehung der Harnsteine. (Mit 
Demonstrationen.) 

Vortragender berichtet über Versuche zur künstlichen Her¬ 
stellung harnsteinähnlicher Gebilde aus dem Harn und aus 
wässerigen Lösungen. Es ist ihm gelungen, zu zeigen, dass 
bei gleichzeitiger Fällung von kristalloiden Stoffen und bei- 
gegebenen- Kolloiden in der Flüssigkeit Konkremente entstehen, 
welche nach Durchgang durch ein plastisch-weiches Stadium 
bis zur Steinhärte fest werden, welche in ihrem Aufbau gleich 
den Harnsteinen ein organisches Gerüst und konzentrische 
Schichtung aufweisen. Dieselbe Entstehungsart kommt nach 
dem Vortragenden' auch den natürlichen Harnsteinen zu. Nähe¬ 
res siehe die ausführliche Publikation gleichen Titels, welche 
demnächst in dieser Wochenschrift erscheinen wird. 

H. S c h a de: Ueber das Sichtbarwerden der Venen bei der 
Durchleuchtung. 

Nähere Angaben wird die demnächstige Veröffentlichung 
(in dieser Wochenschrift) enthalten. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 16. Juni 1908. 

Vorsitzender: Herr Curschmann. 

Schriftführer: Herr Ri ecke. 

Herr Perthes berichtet über die in der chirurgischen 
Universitätspoliklinik von 1903—1908 mit unblutiger Reposition 
der kongenitalen Hüftluxation gemachten Erfahrungen. Von 
36 Fällen, deren Behandlung abgeschlossen ist, wurde bei 17 
ein anatomisch und funktionell vollkommenes, bei 4 weiteren 
ein funktionell gutes Resultat erzielt. Die 15 Misserfolge be¬ 
ruhten auf Reluxationen oder vorzeitiger Unterbrechung der 
Behandlung durch törichte Eltern. Mehrere, vor 4 und 
3 Jahren reponierte Fälle werden mit vollkommen normaler 
Funktion vorgestellt und an den Röntgenbildern gezeigt, wie 
das Hüftgelenk nach gelungener Reposition auch bei ursprüng¬ 
lich flacher Pfanne sich zu vollkommen normalen Verhältnissen 
umformt. Zur Verhütung von Reluxationen ist die Kontrolle 
der Stellung des Femur in dem Verbände mittels Röntgeno¬ 
gramm besonders wichtig. Hinsichtlich der Technik wurden 
in letzter Zeit mit Vorteil die Vorschriften von Bade- 
Hannover befolgt. 

Herr Eber spricht über den Tuberkelbazlllengehalt der 
bi Leipzig zum Verkauf kommenden Milch- und Molkerei¬ 
produkte. (Der Vortrag erscheint a. a. O.) 


Aerztlicher Verein München. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 18. März 1908. 

Herr Klar zeigt ein Röntgenbild: Gichtische Erkrankung der 
Bursa subdeltoidea (vermutliche Niederschläge harnsaurer Salze). 

Herr Crämer: Bericht der Schulkommission über deren 
Tätigkeit im Jahre 1907. 

Die Schulkommission des ärztlichen Vereins hat im Jahre 1907 
4 Sitzungen gehalten, davon eine gemeinschaftlich mit den Herren 
Gymnasialprofessoren. 

In der 1. Sitzung vom 16. III. wurden die Reformvorßchläge. 
welche mit einer Reihe von Gymnasialprofessoren beraten und be¬ 
schlossen waren, fertiggcstellt und beschlossen, diese Vorschläge zu 
veröffentlichen und dem Ministerium vorzulegen. Beides ist ge¬ 
schehen, die Presse hat sich zum Teil in ausführlicher Weise mit 
unseren Vorschlägen befasst. 

In der gleichen Sitzung hielt Bergeat einen sehr interessanten 
Vortrag über das Reformgymnasium, der in erweiterter und umge¬ 
arbeiteter Form von Rommel im ärztlichen Verein gehalten für 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1764 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N n. M 


eine Petition an die beiden Häuser des Landtags als Grundlage 
diente, in welcher wir unsere Leitsätze für die bessere körperliche 
Ausbildung der Mittelschuljugend und die gemeinschaftlich mit den 
Professoren beratenen Reformvorschläge unterbreiteten. 

In der gemeinschaftlich mit den Professoren gehaltenen Sitzung 
vom 27. Mai wurde die Frage behandelt, warum kommen manche 
Kinder in der Schule nicht vorwärts? Zwei Referenten (Prof. 
Stählin vom Maxgymnasium und l)r. Uffen lieime r) haben in 
gleich ausgezeichneter Weise die Frage zu lösen gesucht. Pie beiden 
Vorträge haben einen tiefen Eindruck hinterlassen, eine lebhafte 
Diskussion schloss die interessante Sitzung. 

Wenn wir für die Einrichtung des geschlossenen Vormittags¬ 
unterrichtes in unseren Reformvorschlägen lebhaft cingetreten sind, 
so geschah dies in erster Linie deswegen, um auf diese W eise die 
nötige Zeit fiir die Durchführung der Jugendspiele, für eine aus¬ 
giebigere körperliche Ausbildung der Mittelschule zu gewinnen, die 
sich bei den geradezu beschämenden Zahlen, w elche die Tauglichkeit j 
der Mittelschüler für den Militärdienst aufweisen, als unaufschiebbar 
und absolut notwendig herausstellt. Die bisherigen Ergebnisse des 
Vormittagsunterrichtes können nach Mitteilungen der Schulmänner 
nur als günstig bezeichnet w erden. 

Die Sitzung vom 2. VII. war den Ergebnissen der Enquete ge¬ 
widmet, die für uns deswegen von so ausserordentlicher Bedeutung 
sind, weil sie es uns ermöglichen, unsere hygienischen Reformvor¬ 
schläge auf Tatsachen aufzubaucn. 

Die Notwendigkeit der Abordnung eines praktischen Arztes in 
den obersten Schulrat macht sich gerade im Hinblick auf diese Er¬ 
gebnisse mehr und mehr geltend. 

Die Aussichten scheinen jetzt, nach den Aeusserungen des Herrn 
Kultusministers in der Kammer zu schliessen, günstiger zu sein 
wie früher, wenn auch die Berufung eines Arztes in den obersten 
Schulrat im Hauptamt vorerst noch abgelelmt wurde. Wir Aer/te 
müssen unter allen Umständen einen grösseren Einfluss in der Schule 
gewinnen, als dies bisher der Fall, sollen die Missstände, welche viel¬ 
fach sich zeigen, allmählich beseitigt werden. Es wird grosser Ge¬ 
duld, grosser Ausdauer und angestrengter Arbeit bedürfen, wenn 
wir dieses Ziel im Laufe der Jahre erreichen wollen. 

Den Schluss unserer Beratungen bildete am X XII. ein sehr 
interessanter Vortrag von Bergeat über den Kirchenzwang vom 
hygienischen Standpunkt aus. dessen Bedeutung am besten daraus er¬ 
hellt, dass die Tagespresse ausführlich davon Notiz genommen hat. 

Herr Grassmann und Herr Dörnberger: Ergeb¬ 
nisse der Umfrage der Schulkommission über die hiesigen Mit¬ 
telschulen. 

Herr Grassmann berichtet über die hauptsächlichsten Ergeb¬ 
nisse der Umfrage, welche durch die Schulkommission des ärztl. Ver¬ 
eins von 1905 bis 1907 an fast allen hiesigen Mittelschulen veranstaltet 
worden ist und zwar speziell über jenen Teil der Umfrage, welcher 
sich auf 5 hiesige humanistische Gymnasien bezieht. Die Umfrage 
verfolgte besonders die Absicht, die ausserhalb der Schule, im Eltern¬ 
haus oder in der sonstigen Unterkunft des Schülers gelegenen, auf 
den Schüler cinwirkcndcn hygienischen Faktoren zu untersuchen, also 
zum Beispiel die Zeit und die Dauer des Schlafes, der Mahlzeiten, die 
häuslichen Arbeitszeiten, das Mass und die Art der körperlichen Be¬ 
tätigung usw. Redner setzt die technische Einrichtung der grossen 
Umfrage, welche mittelst Fragebögen vorging, auseinander und be¬ 
spricht eingehend die Massrcgeln, welche zur Gewinnung eines mög¬ 
lichst einwandfreien Materials angewendet worden sind. Bezüglich 
der 5 Gymnasien wrnrden von über 3.J00 Arbeitstagen genaue Auf¬ 
zeichnungen der Eltern hc/.w. der Schüler gewonnen. Die hinsichtlich 
der Schlafzeiten berechneten Zahlen, welche wie die späteren durch 
zahlreiche Tabellen veranschaulicht wurden, zeigen, dass im allge¬ 
meinen ein erhebliches Manko betreff der Schlafzeiten nicht vor¬ 
handen, sondern die Schlafdauer im allgemeinen befriedigend ist, 
selbst auch noch in den oberen Klassen. Auch über die für den 
Schulweg und Kirchenbesuch verwendete Zeit wurden Unter¬ 
suchungen angestellt. Den Hauptteil der Arbeit bildet die eingehende 
statistische Feststellung der häuslichen Lernzeiten an einem aus allen 
möglichen Qualitäten gemischten Schülermaterial, welche allerlei 
interessante Aufschlüsse lieferte, namentlich hinsichtlich der Ver¬ 
teilung der geleisteten Schülerarbeit auf die verschiedenen Abschnitte 
des Arbeitstages. So spielt zum Beispiel die vor dem Vormittags¬ 
unterricht geleistete Arbeit durch alle Klassen hindurch eine relativ 
recht geringe Rolle, während — und das ist ein bedenkliches Symptom 
— die in den Nachtstunden geleistete Arbeit einen mit dem Hoher» 
worden der Klassen immer mehr ansteigenden Prozentsatz der ganzen 
Tagesarbeit ausmacht, in den obersten Klassen bis 1 n des ganzen 
Arbeitsquantums! Die faktisch geleisteten Arbeitsstunden ergaben 
sich in ihrem Mittel viel höher als sie unsere Schulm dmmg annimmt. 
Auf die schulfreien Tage entfällt ein viel zu hoher Prozentsatz der 
geleisteten Wochenarbeit. Pie sogenannte freie Zeit ist. wie die Er¬ 
hebungen aus 4 öS Zählwochen ergaben, in ziemlich hohem Gnade 
durch Nebenstimden beschlagnahmt. Betrüblich waren die Ergeb¬ 
nisse. welche über die kornerliche Betätigung der Sclmler ausserhalb 
der spärlichen offiziellen Turnstunden (in E’orm von Turnen. Sport, 
Spaziergängen etc.) gewonnen wurden. In den mittleren Klassen iiess 


ein grosser, in den obersten Klassen ein sehr grosser Prozentsatz 
der Schüler eine solche körperliche Betätigung überhaupt vermissen. 
Die hier festzustellenden Zahlen liefern eine Illustration zu der be¬ 
kanntlich hohen Mihtärdienstimtauglichkeit unserer (i\mnasiasten. 
Redner schloss mit der Konstatierung, dass das Maus seiner Autgabe. 
an der körperlichen Ausbildung der Sohne nntzuarbeiten, bisher nicht 
gerecht wird. Der gegenwärtige Arbeitstag muss aber aush seitens 
der Schule ganz erheblich modifiziert werden, wenn er die heutige 
Forderung einer besseren korpe rhebeit Ausbildung unserer Mittel* 
schuldigend in wirksamer Weise in ndi m>ch auinehmen s<.!l. 

Betreff aller Einzelheiten, besomiets der statistischen Unterlagen 
der Ergelmise der Umfrage, verwies Redner auf die demnächst mi 
Druck erscheinende grosse re Bearbeitung der l mit nee. 

Herr Doernbcrger: Der Vortragende hatte insgesamt Eil 
brauchbare Bogen (_Nn7 Tage) \on Ido /...gimgen zu betirteben. 
Es handelte sich um Sclmler des Rea!gv rnnasiums. Rade tte ukorps. 
| der Realschulen, der Knabeuhuude Iss Jude, um Besucherinnen vier 
Riemersclmudscheti Handelsschule, der I .eh re rinnen bi Thing saust 
der Mädcheiig\nmasialkurse. der f raiienat heitsschu!e. der stadt. 
holleren Tochtersehule und \ erschiedener pri\ater M.idcheninstitute. 
Da auf die verschiedenen Schulen oft mm wenige I r hebunesu < >c len 
treffen, können grosse Debersichtsstatistiken nicht gewonnen werde”, 
wohl aber zum -Massige Stichproben. Einblick in das l eben vier Ein¬ 
zelnen ausserhalb der Schule, ie muh de»! Zweck und den be¬ 
sonderen Anforderungen derselben. Die genaue zableum.iss — e Dar¬ 
legung der gewonnenen I mdnicke bleibt einer baldigen grosseren 
Veröffentlichung \ orhi halten. Verschiedene Znsnnmu nba”ee und Ein¬ 
zelheiten. w ie Sc h'afzelten. Sonntags-. brüh-. Abend- und Nu-chiuHuu*. 
Einfluss des nahenden Abs.ilup.r mms. körperlicher Eebimg um! Er¬ 
holung gewidmete Stunden etc., wmleii besprochen und au I ibe’Vn 
und farbigen Taieln (nach Pat/aks Vorbild) erklärt. De Seid.E- 
dauer zeigte sich. v.»n einigen MimmV/eiten ab/esrh» n. Iw b o d:ge”J 
und betrug im Mittel bei Real- und ll.mdr ! ss v hubm. bei s Jl V'r'”r:i 
der städtischen und pri\ at< n 'I ocMf isvluu ii ö 1" n. bei »best p 

Mädchen zum Teil sogar In II Stunden, bei den übrigen Kategorien 
K <) Stunden. 

Pas Piirchschnittsmass der häuslichen I ern/eit überstieg bei 
einer Reihe von Schülern und Schülerinnen, und zwar auch begabten, 
die vor geschriebene und beabsichtigte Norm. s..W' !il im W -■ Jten- 
diirchschmtt als an einzelnen Tagen, was an einer \”/.t!il \ op Bei¬ 
spielen bewiesen w irel. An Sonntagen. Vittw och-: mal Samstag tM v $t* 
rnittaeen w inl in Be einträchtigung körperlicher und genüget Erlio'nng 
verhältnismässig viel gear beitet. Zuweilen findet sich bedenkliches 
Erstrecken eler Aufgal'euferfrguug bis m den sp •ten \heud und in 
die tiefe Nacht, sowie Anhäufung Mm f> 7 ur’d tu»-)ostamh-.ern Stu¬ 
dium an einzelnen Tagen. Wo ungeteilter Unterricht emeetuhrt ist. 
sind die Nachmittage oft sehr mit I et neu aus. e »• t, a's » picht zweck¬ 
entsprechend verwertet. Im allgemeinem ze igten m» )i elie durch-. 
schiiittlis.il geringeren I.ern/eiten bei den nicht einen Berui. si.iideni 
allgemeine Bihlung uml Erziehung erV-ehen Um V.i !Jtrt»sJiM ! i:i um! 
der K nabenhanelelssclmle. höhere bei den Re-ilmh -» rn den Rea’- 
g\nmasisten und den Mäeichen, welche auf e nun znk -nfp n n Be mi 
hinarheitcn. Neberiheschaftieu”gen Pehmen nicht mv-'or. i.-doch h.n’ g 
viel der gebotenen freien Zeit weg. Uur K"r , 'i , ’\he Ue-htm-en ist. 
von rühmlichen Ausnahmen a 1, gesehen. zu w e-mg Ze it \ orlt.inde u ode r 
wird oft. wo sie vorhanden, nicht aimee nutzt. Auch ehe Sna Her¬ 
gänge namentlich an Werkta-om. nehmen einen recht bg<cbe\!e !, en 
Platz ön W’oelvnnlan ein S«-'bst ehr Sonntag ist in häimg n\-bt 
arbeitsfrei. Schulwege- so- | nicht a’s E'ho'nng zu bet r achteft. E'U 
Teil der Sc lmler und Se l'uh rmorn w r iss e'Vrdtng* m am'hrr.d. trotz 
vie len Studiums Zeit mr U«:FPe- r V h,> K f afp.-img efn r ch S”ie’ und 
W’amlerimg zu finden. Eltern und 1 <hur sollten ein. srs Streben for¬ 
dern. Vor allem sollte bei Kr ■•■kUi-hem B'utjrmin bes..-d.-'-s, d. mm 
Weiblichen Geschle chts, di,* gesnmPu ohe f .o deHi''-' <b u S. hul- 
pfliehten uml der Beschäftigung nur MiisT I rktnre n”d Hand.o ’h -ivi 
vorge-hen. Verständnis inr ehe arM’On- E'orde r u”g n.u h ente-r Ein- 
feilimg um! Nutzung eler ge-bofem-n um! Gew akrim" w eite. r\ r freier Zeit 
für leibliche Pflemc unel E' r /ie-)im’a jst von e!en Ehe '” zu vemince-n. 
von der Sclmlhehnrde* mogbclmte Verminderung d-r b.ieGighe” Auf¬ 
gaben fiir iliescn Zweck. 

Aus den franzQsischen medizinischen Gesellschaften. 

SocI6t6 de Chirurgie. 

Sitzung v o m du. M a i E>* m, 

Die Typhusperfnrationen. 

Michail \ Emst mvftmals d;e Ergebnisse eh r (>pvra::oMs- C \:i!- 
tate. wie sie elie ausgedehnte I ns’- nssioti gy/e ha*, /nvomm n u r 'd 
fand SU Todesfälle auf ie 1"" t »pc a’i--m. n : ■ r m W : - e it ist 

diese Proportion nicht elie ri c’r-gc. ela in ie- ld \ m d ” 1 u nur 

die Probelaparotomie ge' 1 a J't wurele. die He -ä:ng d-. * p. ”• • •♦. . 
er gibt also mir s Proz. Im \usiar(4y (ijWP*se r, ia'h 1 . i. i : -| 

elie Gperatioiise-rfolge bessi re. mit etwa Jä P: /. He zo g. zu s. a. 
Eine zweite Sc hiiissf. dgerrmg erg;!-! viJi aus d-. n matgetc. Ten I at- 
saclien: es gibt eine Reihe vm !’rk r aräa n. äj Sv in ib’eä '-o"- 


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18. August 1908. 


MUENCHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1765 


ptomen die Typhusperforation Vortäuschen. Sehr oft ist deren Dia¬ 
gnose, wenn auch manchmal leicht, mit grossen Schwierigkeiten um¬ 
geben. Die Laparotomie ist jedesmal dann angezeigt, wenn die Per¬ 
foration mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit zu bestimmen 
ist; sie muss dann möglichst bald ausgeführt werden, da trotz einiger 
bei Spätoperation konstatierter Erfolge dieselben um so wahrschein¬ 
licher sind, je früher der Eingriff ausgeführt wird. Die mediane 
Laparotomie ist die Operation der Wahl und die Nähte und Verschluss 
der Perforation werden je nach den Umständen wechseln. 

Sitzung vom 10. Juni 1908. 

Behandlung der Olekranonfrakturen. 

Lucas-Championniere hebt, wie schon wiederholt bei 
früheren Gelegenheiten, hervor, dass man zu oft bei den Frakturen 
des Olekranon mit Immobilisation behandle; zumal sei dieselbe in 
Extensionsstellung schädlich. Auch die Behandlung mit Naht sei nicht 
gut gewählt, da die Fraktur des Olekranon keineswegs jener der 
Patella gleiche und nicht, wie bei dieser eine ligamentäre Zwischen¬ 
lagerung entstehe; ausserdem ist das untere Fragment viel besser 
ernährt. Die Kontraktur des Trizeps zieht das Olekranonfragment 
nach oben und hält es hier, welches auch der angewandte Apparat 
und die dem Kranken gegebene Stellung sei. Die Massage ver¬ 
mindert diese Muskelzusammenziehung und ermöglicht so gleichsam 
spontane Reposition der Fraktur. Die Wiederherstellung nach Naht 
vollzieht sich langsamer als nach Massage. 

R o u t i e r hat vor Kurzem eine verkannte Olekranonfraktur mit 
Massage behandelt und die Resultate waren vorzügliche, obwohl die 
Frakturenden sehr weit von einander abgestanden sind und die Be¬ 
handlung erst 1 Monat nach dem Unfall begonnen hat. 

Quönu glaubt, dass die Knochennaht bei Fraktur des Ole¬ 
kranon ebensogute Resultate gebe wie bei Fraktur der Kniescheibe, 
obwohl sie beide ganz verschiedener Art seien, und dass die durch 
diese Methode erzielte Konsolidierung ebenso vollkommen und so 
rasch sich vollziehe wie nach Massage. 

Morestin hält es für sicher, dass die Massage sehr gute 
Dienste bei den Olekranonfrakturen und ausserdem bei allen Arten 
von Gelenksfrakturen tut, wie schon seit Langem Champion- 
n i £ re behauptet. 

Broca möchte die Fälle unterschieden wissen: nur jene mit 
hochgradiger Knochenverschiebung sind für die Naht geeignet. 

D e 1 b e t ist derselben Ansicht und führt bei Fraktur der Basis 
die Naht aus, und zwar im Gegensatz zu T u f f i e r, der nur das 
umgebende fibröse Gewebe in die Naht einbezieht. 

D e m o u 1 i n findet die grosse Bedeutung der Naht darin, einen 
temporären Kallus zu geben, welcher frühzeitige passive Bewegung 
ermöglicht und dadurch Muskelatrophie verhütet. 

Championniere erklärt in seinem Schlussworte, man dürfe 
bezüglich der Behandlung keine verschiedenen Arten von Olekranon¬ 
frakturen unterscheiden; die Entfernung der Frakturenden ist ohne 
Bedeutung, denn sie verschwindet rasch nach einigen Massagen. 

Acad6mie de m6decine. 

Sitzung vom 2. und 9. Juni 1908. 

Die Arteriosklerose, Ihre Pathogenese und Behandlung. 

Lancereaux erklärt es in seiner längeren Abhandlung in 
erster Linie für einen grossen Irrtum, dass die Arteriosklerose eine 
Krankheit des Alters sei; sie komme vielmehr in den mittleren 
Lebensjahren vor, am häufigsten -zwischen 40 und 50, aber auch 
zwischen 30 und 40 und nicht ganz selten zwischen 20 und 30 Jahren. 
Der Verlauf des Leidens ist um so rascher, je jünger der davon 
Betroffene. Weder Alkohol- noch Tabakmissbrauch verursachen die 
Arterienverkalkung, sondern vor allem die Gicht und die Bleiver¬ 
giftung Bezüglich der ersteren weist L. speziell auf die Rolle des 
Nervensystems und den trophischen Ursprung der Arteriosklerose 
hin. iMan sollte daher das Nervensystem der Kinder von Gicht r 
kranken, welche an sich zur Arteriosklerose prädisponiert sind, in 
günstigem Sinne beeinflussen. 

Bezüglich der Therapie kommen vor allem 2 Mittel in Betracht: 
Jodkali und Jodothyrin. 

Die prophylaktischen Impfungen mit Tetanushellserum. 

V a i 11 a r d widerlegt in längerer Ausführung die Einwände, 
welche gegen die praktische Bedeutung der Schutzimpfung mit diesem 
Serum gemacht wurden: die wenigen Misserfolge, welche vorge¬ 
kommen, bedeuten nur einen ganz geringen Prozentsatz im Vergleich 
zu den tausenden von ausgeführten Injektionen und beweisen nur, 
dass das Serum nicht immer und unter allen Bedingungen 
prophylaktische Wirkung habe. Dasselbe hindert nicht die Keimung 
und Reinkultur der gegen die Phagozyten geschützten Sporen, aber 
es neutralisiert die entstandenen Gifte und bewahrt während der 
Dauer seiner Wirkung den Organismus vor der Intoxikation, indem es 
die Tätigkeit der Phagozyten erhöht und demselben die Sorge über¬ 
lässt, gegen den Bazillus, der sich in der Wunde entwickelt, zu 
kämpfen. Da die Dauer der antitoxischen Wirkung ungefähr eine 
Woche anhält, ist es wichtig, nach Umlauf dieser Zeit eine neue 


Seruminjektion zu machen. Andererseits ist die oft vorgeschriebene 
Dosis von 10 ccm offenbar ungenügend, man muss sie daher doppelt 
oder dreifach nehmen. Auch in Fällen von ausgesprochenem Tetanus 
ist das Serum indiziert: meist macht es den Verlauf der Krankheit 
gutartiger. 

Le Dentu ist, wie Vai 11 ard, überzeugter Anhänger der 
Serumtherapie des Tetanus, sowohl in prophylaktischer wie rein 
therapeutischer Beziehung. 

R e y n i e r erklärt die präventive Anwendung, ohne sie be¬ 
kämpfen zu wollen, für weniger wirksam beim Menschen wie bei 
Tieren. Man kennt gegenwärtig in Frankreich 19 Fälle von Tetanus, 
die trotz präventiver Injektion vorgekommen sind, und im Auslande 
25 weitere Fälle. Diese Misserfolge hängen offenbar damit zu¬ 
sammen, dass das Serum keineswegs bakterizid, sondern nur anti¬ 
toxisch wirkt und die durch das Serum übertragene Immunität nur 
von kurzer Dauer ist. Man muss daher Monate lang alle 8 Tage die 
Injektion wiederholen. Der Tetanusbazillus kann nämlich 10 Monate 
lang in den Geweben lebend verweilen. Uebrigens ist die Serum¬ 
therapie durchaus nicht unschädlich: Zufälle wie Fieber, Erythem, 
Urtikaria, Arthralgien können Vorkommen. 

Sitzung vom 16. Juni 1908. 

Tuberkulose der Wäscher ln der Bannmeile von Paris. 

Landouzy zeigt die Häufigkeit der Tuberkulose bei den 
Wäschern der Umgebung von Paris; sie infizieren sich mit der 
Wäsche der Tuberkulösen, dann eriolgt die Ansteckung der Familie 
und der Wohnung, so dass das Quaitier für ständig infiziert bleibt. 
Dies wird so lange der Fall sein, als die Tuberkulose nicht anzeige¬ 
pflichtig und die unmittelbare Folge Desinfektion der Wohnung ist. 

Lancereaux hebt die Rolle des Alkoholismus in der Aetio- 
logie der Wäschertuberkulose hervor: da der Verschleiss der 
alkoholischen Getränke ein absolut freier ist, lassen viele Wäscherei¬ 
besitzer jeden Tag ihre Arbeiter 40—50 Centimes für alkoholische Ge¬ 
tränke, die sie ihnen verabreichen, zurücklegen. 

Lereboullet wünscht obligatorische Anzeigepflicht der 
Tuberkulose; das Familienhaupt, der Zimmervermieter oder der Haus¬ 
herr haben die Anzeige zu machen; die Rolle des Arztes wäre, die¬ 
selbe zu bestätigen. 

Chantemesse glaubt auf Grund persönlicher Nachforschung, 
dass die Tuberkulose bei den Bleiarbeitern ebenso häufig wie bei 
den Wäschern ist. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztficher Bezirksverein Nürnberg. 

Si t z u n g vom 27. Juli 1908. 

Von den Einläufen, die der Vorsitzende bekannt gibt, ist von 
grösserem Interesse die Bitte des Vorstandes der Polygraphenk’asse, 
der Bezirksverein möge ein Mitglied ihm zur Seite geben, das bei 
der Erteilung der Erlaubnis, künstliche Zähne auf Kassenkosten fer¬ 
tigen zu lassen, die Kasse mit seinem Rat unterstütze; es geschieht so; 
der Vorstand der gleichen Kasse beschwert sich über Verordnungen 
teuerer Heilmittel an Stelle gleichwertiger billiger. 

Zwei Ehrengerichtsbeschlüsse waren zu verbescheiden. Gegen 
einen Kollegen war ein strafrechtliches Verfahren wegen fortge¬ 
setzten Versuches der Abtreibung eingeleitet worden; das Verfahren 
war wieder eingestellt worden, weil hinreichende Verdachtsgründe 
für die verbrecherische Absicht fehlten. Das Ehrengericht glaubte 
solche Verdachtsgründe hinreichend zu haben. Der Kollege entzog 
sich der Ausführung der vom Ehrengericht erkannten Strafe durch 
Austritt. Die Mitglieder des Bezirksvereins werden den beruflichen 
Verkehr mit dem Kollegen abbrechen. Im Anschluss an diese Mit¬ 
teilung wird die Unzulänglichkeit unserer Ehrengerichtsordnung be¬ 
tont; es sind Schritte zu ihrer Reform bereits eingeleitet. 

Einem weiteren Herrn, der sich zur Aufnahme in dtn Bezirks¬ 
verein gemeldet, wird die Aufnahme verweigert, weil er einen Ver¬ 
trag mit einer Gesellschaft zur Errichtung von Heilstätten für Bein¬ 
kranke G. m. b. H. geschlossen hat; ein Vertrag mit einem derartigen 
rein geschäftlichen Unternehmen ist an sich unwürdig; der Vertrag 
enthält ausserdem standesunwürdige Verpflichtungen, z. B. die Ver¬ 
pflichtung das Geheimnis der Behandlung zu bewahren u. a. m. 

Der Bericht über den Aerztetag in Danzig wird entgegenge¬ 
nommen. Unser Dringlichkeitsantrag — Aufhebung der Karenz be¬ 
treffend — ist von unseren Delegierten aus Zweckmässigkeitsgründen 
nicht zur Abstimmung gebracht worden; es wird dafür Indemnität 
ausgesprochen mit dem Zusatz, es solle der Antrag rechtzeitig auf¬ 
genommen werden, um auf dem nächsten Aerztetag auf die Tages¬ 
ordnung zu kommen. Das Verhalten der Münchener Abteilung für 
freie Arztwahl wird in der Debatte scharf kritisiert. 

Es besteht die Absicht hier eine Schulzahnklinik zu errichten; 
der Plan war unentgeltliche Behandlung aller Schulkinder. Der 
ärztliche Bezirksverein glaubte sich mit dem Gegenstand, obwohl 
derselbe den Verein nicht direkt angeht, beschäftigen zu müssen, 
weil zum ersten Mal die von Aerzten ausgeübte sozial-medizinische 
Fürsorge nicht auf Konstatierung einer Erkrankung, auf den Rat 


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1766 


MUENCHENEß MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .tt 


einen Arzt aufzusuchen, sich erstrecken solle, sondern die Behand¬ 
lung einbegreife; da möglicherweise der Schulzahnklinik andere Kli¬ 
niken folgen könnten, so wäre eine wesentliche Beschränkung der 
freien ärztlichen Tätigkeit zu befürchten. Dr. Frankenburger 
reierierte an der Hand von Leitsätzen, die ausdriieken. dass eine 
Verbesserung der Zahnpflege bei den Schulkindern entschieden wün¬ 
schenswert sei; sie solle aber bewirkt werden durch intensive Be¬ 
lehrung, durch regelmässig sich wiederholende Untersuchung. Die 
Behandlung der Krankheiten überhaupt sei nur insofern Sache der 
Allgemeinheit, als diese für die Möglichkeit kostenloser Behandlung 
Unbemittelter zu sorgen habe; am besten geschehe das durch eine 
städtische Poliklinik oder durch städtische Unterstützung einer pri¬ 
vaten Poliklinik. Die Besprechung der Leitsätze wird vertagt. 

Ein Antrag des Rechtsschutz Vereins: der Bezirksverein möge in 
Form einer Kommission den Rechtsschutzverein einverleiben, wird 
angenommen. Dem bisherigen Rechtsschutzverein gehörten etwas 
mehr als der Mitglieder des Bezirksvereins bereits an; der Verein 
hatte sich, nachdem er mit einem Inkassobureau in Verbindung ge¬ 
treten war, gut entwickelt und zufriedenstellende Resultate erzielt; 
eine dauernde wirksame Tätigkeit schien aber nur möglich, wenn 
durch Einverleibung in den Bezirksverein alle Aerzte ihm angehörten. 

Die Versammlung verbot den Aerzten des Bczirksvereins. sich 
in das vom D i c k e r sehen Verlag herausgegebene Telephonver¬ 
zeichnis aufnehmen zu lassen. 

Die Gemeindekrankenkasse teilt mit, es lasse sich die Aufstellung 
von Kontrollärzten wegen der Zunahme der Krankengelder nicht 
mehr umgehen. Die Versammlung ist gleichfalls dieser Meinung und 
gibt ihre Zustimmung zu einigen — die Organisation der Kontrolle 
betreffenden — provisorischen Vorschlägen, die die Grundlage zur 
Beratung eines definitiven Entwurfs bilden sollen; aut diesen wird 
später einmal zurückzukommen sein. 

Eine angebliche Liberalität der Aerzte in Gewährung von Land¬ 
aufenthalt vcranlasste die hiesigen Unterstiitzungskassen zu dem Vor¬ 
schlag, es solle der Arzt zukünftig ein Zeugnis über die Notwendig¬ 
keit des Landaufenthalts im einzelnen ausstellen und dafür vom 
Patienten Honorar verlangen. Der Vorschlag wird abgelehnt; es 
wird den Kassen anheimgegeben, bei Landaufenthaltsbegutachtungen, 
die ihnen ungenügend begründet erscheinen, sich an die Kontroll¬ 
kommission zu wenden. 

Einige Mitteilungen aus Krankenkassen erfolgen. Man klagt 
über bureaukratische Verwaltung der Gemeindekrankenkasse. 

Dr. Mainzer. 

Verschiedenes. 

£5b eS ttitfcltd) fei/ bafl ein Sttetifd) feinen epgenen/ eber aud) 
wc\ frembben 4jarn roiber bie b6fe ?ufft trinfe?*) 

2$ammt tmnb aubtrt Gemeine $?entf) tri liefen in 'iVtTBeiten ttftdttmt .*>ani 
ober Tcft vnnb fveroen fidv baf? ttarfi etlicher poi^eben am 1 > ein fcirtv Gerinn 
Mittel ber üßibevftanb fftttu maa mir <roie id> bartür halt) bamit üe ben 
0ecfel anbere Mittel ,pi Muffe», nidvf anfpred'en fonbern wie jbr 'Tiehe bemn 
ftinefenben Kotf) bleiben bbrffen. Ob nun ml etlid'e fcuift fnvnebme Autlmres 
ben Vrin, Jparn ober Tfß ratben fo fennb fie bod> uit einiG roa* ef für ein 
Vrin femi feile bann Marsilius Ficinus c.$. rebet ton bem Vrin ineaemeui 
Philipp. Ingrassias ratbet ben Knaben .»>arn Jacob. Hollerius beü 'Tfenid'en 
fo jbn brauchen will enteilen Ä*aru etlid'e junqere <n>ie Massarias be^uaet» 
and) mol benjeniGen Öarn ber oou einem 'Defhudunirn fompt Averroes onb 
Avenzoar ben Torfityat;» ben Knaben^.varu loben Dioscorides, Matthiolus, 
Weckcrus, Salustius, Salvianus onnb etlid'e meiiiGe niebv. Vinbere fennb 
mit bem eiufud>eu Jpavn/ wie er oom SWenfd>en ober 5hier fompt uit pifriebeu 
fonbern rooUen ben biftillirten baben. Rudolphus (ioclenius Junior in 
35ud)Iein 2öeifi onb 2f?eiv ffd> für ber T'eftilenn bewahren, Galen, lib. io. 
de simpl. med. facult. erbtet felbft bau oiel Veutb in £m*ieii ihre entieiie 
jparn ober Malier gftvuncfeii onb ftd> miber bie J>efl aefduint pi haben rer* 
meintet, £in fbniniüfrigrtf er^eblet and' Rondeletius, onb Henric. Ranzovius 
fpnebt er f>«b oon oielen alten Gebäret baf? ber 'SKcnfthen »am nit allein miber 
bie fonbern and) miber anbere Krancfheitrn für ein mmlid' ^J?itrel Gehalten 
roorben fett . . . teilte Tttpnung ifl bafi poar ber »am roeaen fennee ^aineb 
roürme onb Zvwfnti beoorab manu er oou einen grfmibrii onb uoar jnnaen 
Statfdwi Fompt etroati mürefen F 6 mte. 1>aber and* Herrn. Follin. in feinem 
Amuleto Antoniano lib. 2. c. 9. fdueibt: Wb An. 1557 . im Worfnmifd'en 
(i)ebfetb brb Tibevlattbb befoitberö aber pi »oonavb eine Gftoalfiqe Teil war 
bat ber biefed Ovtb bamaliae 'Dfarrberr onb ^eelenforaer fein anber 'Traferoatio 


*) Wib: ÜöüvG=(?ngfl: Ton ber Teftilenn Tarnen Cfnqenfdmft Tr* 
fad>en/ äeidten Traferoation Bufallen (fnration r. Tbcilb auf? Vornehmer 
Theologorum, AÜrtv'fflid'cv Medicorum, Kluaer Physicorum, £innreid'er 
'Doeten onb Terümbter Outifteu Erfahrner Politicorum, Trglaubtfv Histnri- 
corum, Zuberer (gelahrten »rwltd'fii £üuifften: iMimruhrvo TLhmidMid'ni 
mef? 6tanbtb ober TrofefTion er i|L in* onb auftevhalb 'Drftritm nuninh \\\ 
lefen: $f>eil$ auf? (JoGener dfriaftnmg. onb in ornYhirbrnen T'eililennen conti? 
nuirter fteiftiafter Vluffnirvcfmifl: 3» 500 /vraaen Tfit befonberm ?viein turaebiibet 
bnrdt tubtmg oou »6niiaF Jurium, Medicinac onb Philos. Poet. Comit. 
Palat. Caes. wie and' Kauf, fo bann ,vürftl. 'i'falfi?Telbenn. onb Hraü. £oU 
tnifdter 9tath. Avaucffurt am Ttaon Teo (ihriitoph Le Blon: 3>tt jahr 
MDCXLIV. 


alo feinen enqeueu .'Min aebramhet bannt er inh aiuh irber?eit fo oenoahvet 
baf; ob er mol ben fterbeubeu mit allen ^reioeu beoaeiooimet lie aenbtlet 011b 
mit ben Firmen ombfanaeu er bod> mit nuumialid'e? höd'iler Tenvunbe una 
Gefunb blieben bio er enbluh einmal emioebev auf; Tevarünheit ober am; irol 
fold'eo feoit 'i'raefevoatio nntenveaen aelaffen ba er bann aiuh alebalb von bei 
Teil übereolet unb bimoea aernieu ivorben ul. Taf; aber bie'er l'iteiler bimh 
ben Webraud' feine? eoaeueu .'>aiu* alio frafftia piüenmet imteil fdueibt 
Follinus biefem tu baf; lelbiae 'i'eil b idManaen l'Mnt uh oeralied'en habe 
miber toeld'eo oernu'ae bef; Pioscoridis 3n«nuif liö 5 c. $5 ba> -ialn 
bienen thitt. 

Zo laua aber bie Cfrfahruna uit besonnet baf; ber .'>arn mehr alf anbere Mittel 
oermi'ae fo laua weite uh mit liier. Mcrcunali in beu moliied'enben imb 
woltlarcfeubeu -))iittelu Gerat heu haben onnb ben K ühen iveuheu bte ^)uu^at = 
uüf? nid't Gefallen ihr .fMlvvflroh lauen. I'. L. 

Therapeutische Notizen. 

Um operierten Extremi¬ 
täten nach der Operation 
eine weiche und sichere 
Unterlage zu gehen, hat die 
(iummiw arentahnk Metzeier 
( 5 c Co. in München das 
riehen stehend ahge bildete 

ha Ihk reist» »rillige Luit Kissen 
konstruiert. Das operierte 
Glied wird in die langlich- 
ovale Oeftnung iles Kissens 
gelegt und findet d'»rt eine 
sichere und unverschiehliche lind doch angenehme Stiit/e. 

Zur m e d i k a m e n t o s e n B e h a n d 1 u n g d e r Neur¬ 
asthenie gibt B 1 11 g - Basel einige hemerkensw erte Anhaltspunkte 
(liier. Monatsh. 7 , Brom s«*11 nur da verurdnet werden, w<> 

Rei/zustände das klinische Bild beherrschen. N"Gi vorsichtiger muss 
man bei Verwendung soll C<»dein sein, d.is me langer ais 4 Wochen 
gegeben w erden darf. Recht emptehlensw ert ist "lt der indische 
Hanf, zw eckmassig m V erbindung mit tonischen Medikamenten: 

Chinin, siiliur. 1 ." 

Acid. arsemcos. n.'X» - <•.! 

Lxtr. Cannabis ind. b .45 

11t i. pilulae No. XXX. 

Ein mächtiger Heiliaktor ist der Arsenik, der nur in kleinen 
Dosen gegeben zu werden braucht (von den asiatischen Ihnen täg¬ 
lich 1 Muck /'» 2 mg). Das lasen verordnet man am besten in 
Form der Fröschen Pilulae tomcae: 

Ferr. lactic. 

Fxtr. Chinae* aipios. ana 4 .o 

Lxtr. mic. vomic. spmt. L“ 

Lxtr. Gentianae q. s. ut i. pil. No. Ion. 

Von den Baldrianpraparaten ist zumal der Ba'dri.intlue emp¬ 
fehlenswert, am bestell in Form eines Kaitmiuses. 

Recht gute Friolge zeitigt «»lt die l‘hospli..rdarmv.lumg, am 
besten in Form des Natrium phosphoncum. J mal taga^h 1 Messer¬ 
spitze voll in Wasser oder Milch. 

Bezüglich der Allgemeineruahriing des Neurasthenikers ist dar¬ 
nach zu trachten, dass der Patient tagsüber iedc Mur.öe eine Kiemu- 
keit zu sich nimmt. I >as w ichtigste Naht ungsnuttel ist die Mi.Gi. 
l leiscligericlitc und Scharfe Gewur/e sind aus dem >pusi-/ettel zu 
verbannen. Alkohol-, Tabak- und 1 heegenuss sind mogaJist em- 
zuschraiikeii. Kr. 

Zur Therapie der ^ \ p h 1 I 1 s emphelilt S c li w a r / - 
Koiistantinopel angelegentlk fl das ><■/<» jndol um h v drargv ri 
(liier. M011.-Ileite b, (> s ). Lr xerordnet dasselbe in lhllen: 

Sozojodol. hvdragvri 

Fxtr. opn o.is 

l > ulv. et extract. Lii|innt. q. s. ut f. pji. 

No. .k> 

D. S. d mal täglich n;idi der Mahizeit 2 MUek zu nehmen. 

Die geringe ()piiimdosis wird nur bei der ersten t t|#natmn 
liinzugeiiigt; sie wird spater w eggt lassen, wenn der Patient sich an 
das Medikament gewohnt hat. 

Sch. hat in dieser Weise 11 ber 1' ; u 1 Kranke behandelt, zum Teil 
mit sehr schweren Erkrankungen, ade mit bestem f'mig. 

Die Behapdüingsdaiier richtet si^h n.idi dein Zustande des 
Kranken, sie ulu-i schreitet selten (> s Wochen. N.icli ern-igter 
Heilung soll der Patient noch einige Jahre hindurch eine Wieder¬ 
holung der Kur von jedesmal 4 Wochen Dauer »mi«. rneitmeii. 

Kr. 

Zur B e h a n d I 11 n g der d 1 p h t li e r 1 s c h e n L a h m u n g e 11 
empfiehlt K o h t s ( l iier. M"ii.-I'kite 7 . (»st ria^h dem V organge C <> m- 
b y s die Injektionen von Heiisei li in. De \->n K. \ erw endeten 
Dosen waren sehr hohe, es wurden bis zu AM*"' Immumtatseüireiteu 
injiziert. H» derartig Beliandellc wurden im \ er.aut von 2—4 Mo¬ 
naten völlig geheilt. Kr. 



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1?(57 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


18. August 1908. 

Protargolflecken in der Leibwäsche lassen sich, 
so lange sie noch frisch sind, leicht mit Seifenwasser abwaschen. 
Aeltere, bereits belichtete Flecken können durch Behandeln mit 
Lösungen von Jodkali oder Natriumthiosulfat (Fixierbad), namentlich 
auch durch Wasserstoffsuperoxyd in Verbindung mit Ammoniak (resp. 
durch Ammoniumpersulfat) entfernt werden. (Wochenschr. f. Therap. 
und Hygiene d. Auges, No. 37, 1908.) F. L. 

Für die Scharlachbehandlung gibt 0 a r 1 i p p folgende 
Vorschriften (Ther. Mon.-Hefte 7, 08): 3 Wochen Bettruhe; Zwei¬ 
zimmerbehandlung; bei Delirien warme Bäder mit kalten Ueber- 
giessungen; keine kalten Bäder, sondern kalte Wickel. Reinigung 
des Rachens durch Ausspritzen mit 3proz. Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösung. Sorgfältige Beachtung des Mittelohrs! Bei Nephritis Milch 
und kochsalzarme Diät. Bei sinkender Urinmenge Blutentziehungen 
(Blutegel, Aderlass). Kr. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 17. A u g u s t 1908. 

— Die Ortsgruppe München des deutschen Monistenbundes ver¬ 
öffentlicht in der Tagespresse einen Aufruf, der, angesichts der zu¬ 
nehmenden Frequenz deutscher Pilgerzüge nach Lour- 
d e s, bezweckt, das deutsche Volk über die Unzuverlässigkeit der 
Angaben über in Lourdes erfolgte Heilungen aufzuklären. Der Auf¬ 
ruf wendet sich dabei auch an die deutschen Aerzte, die aufgefordert 
werden, „aus beruflichem und nationalem Pflichtgefühl die Auiklä- 
rungsbestrebungen des Monistenbundes zu unterstützen, um im Verein 
mit ihm ans Licht zu bringen, dass in Lourdes tatsächlich keine 
Wunderheilungen erfolgen“. Der von zwei Aerzten, Dr. Hermann 
F a 11 i n und Dr- Eduard Aigner in München Unterzeichnete Aufruf 
stützt sich- dabei insbesondere auf das von dem Chefarzt des ärzt¬ 
lichen Konstatierungsbureaus in Lourdes, Dr. B o i s s a r i e, verfasste 
Buch: „Die grossen Heilungen von Lourdes“, von dessen Wppder-, 
heilungen Dr. Aigner einen Fall als Täuschung nachgewiesen hat. 
Dieser Fall betrifft eine Frau R o u c h e 1 aus Metz, die in Lourdes von 
einem schweren Lupus angeblich plötzlich geheilt wurde, während sie 
tatsächlich ungehei.lt blieb; eine vorübergehende Besserung war nicht 
von Bestand. Der Fall ist im Metzer Aerzteverein wiederholt zur 
Sprache gekommen; über seine Nichtheilung besteht kein Zweifel, 
trotzdem wird er <in der Lourdesliteratur als Wunderheilung fortge¬ 
führt. Es wäre in der Tat verdienstlich, wenn die Aerzte allen 
Wunderheilungen, die aus ihrem Wirkungsbereich gemeldet werden, 
nachgehen und den wirklichen Sachverhalt klarlegen würden. Sie 
könnten dadurch wesentlich zur Aufklärung des Volkes beitragen 
und verhindern, dass sehr beträchtliche Summen nutzlos ins Ausland 
wandern. 

— Am 10. und 11. ds. M. fand die Jahresversammlung 
des Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im 
Deutschen- Reich in Braunschw'eig statt. Frässdorf, als 
Vorsitzender der geschäftsfiihrenden Kasse (Dresden) führte den 
Vorsitz. Die Gegenstände der Tagesordnung boten in diesem Jahre 
für Aerzte geringeres Interesse. Ueber das Thema Gewerbekrank¬ 
heit und Betriebsunfall referierte Prof. H. F r a n c k e-Berlin. Es 
wurden eine Reihe von Leitsätzen angenommen, deren erster besagt, 
dass Gewerbekrankheit und Betriebsunfall als Folgen der Betniebs- 
tätigkeit auch in der Versicherungsgesetzgebung einheitlich zu be¬ 
handeln seien. Beide seien durch gründliche Durchführung der Ar- 
beiterschutzgesetzge-bung prophylaktisch zu bekämpfen. Im übrigen 
unterhielt man sich meist mit inneren Kassenangelegenheitem An 
Gelegenheit zu Ausfällen auf die freie Arztwahl fehlte es dabei nicht. 
Den Kölner Krankenkassen wurde die Sympathie der Versammlung 
ausgesprochen. 

— Wie in der Tagespresse mitgeteilt wird, ist jetzt die zahn¬ 
ärztliche Untersuchung und Behandlung der Mann¬ 
schaften und Unteroffiziere der Armee in der Weise ge¬ 
regelt worden, dass in grossen Garnisonen Kontrakte mit Ortszahn¬ 
ärzten abgeschlossen werden, in denen für die Ausübung der zahn¬ 
ärztlichen Tätigkeit bei den Truppen der Garnison ein bestimmter 
Betrag gewährt wird. In kleinen Garnisonen sollen dagegen keine 
Kontrakte mit Zahnärzten abgeschlossen werden, sondern die zahn¬ 
ärztliche Hilfe soll je nach Bedarf von Fall zu Fall in Anspruch ge¬ 
nommen werden. Bezüglich der Spezialausbildung der Militärärzte 
für die zahnärztliche Praxis ist verfügt worden, dass sie besonders 
über das Füllen der Zähne unterwiesen werden sollen. Im Mobil¬ 
machungsfalle werden die elngezogenen Zahnärzte besonders zu der 
zahnärztlichen Behandlung bei den Truppen herangezogen werden. 

— Um den Direktor des Hamburger Krankenhauses in 
Eppendorf, Prof. L e n h a r t z, von den an Umfang immer zu¬ 
nehmenden Verwaltungsgeschäften zu entlasten, ist die Stelle eines 
Verwaltungsdirektors geschaffen und der bisherige Leiter der Apo¬ 
theke des allgemeinen Krankenhauses St. Georg, Oberapotheker J. 
Naumann, zum 1. Oktober in diese Stelle vom Senat berufen 
worden. 

— Die Abschaffung des Testierzwanges ist ver¬ 
suchsweise in Bonn eingeführt worden. 


— Der Vorstand der Möbiusstiftung hat für das Jahr 
1909 folgende Preisaufgabe gestellt: „Es ist zu untersuchen, 
ob der von Möbius entdeckte infantile Kernschwund anatomisch, 
auch wohl klinisch in Verwandtschaft gesetzt werden kann zu 
anderen Missanlagen des Nervensystems, speziell ob sich kombiniert 
mit ihm nicht auch gelegentlich andere Störungen finden. Es wäre 
möglich, dass die' angeborene Schwäche der Bulbärkerne, welche 
der angeborenen und der familiären Bulbärparalyse zugrunde liegen 
dürfte, nur ein geringerer Grad des gleichen Leidens ist. Das vor¬ 
handene Material dürfte bereits hier Brauchbares enthalten.“ Die 
Preisarbeiten sind bis zum 1. Oktober 1909 in Begleitung eines ver¬ 
siegelten Zettels mit dem Namen des Verfassers und einem oben 
aufgeschriebenen Motto, demjenigen entsprechend, welches die 
Arbeit selbst trägt, an Herrn Prof. Dr. E d i n g e r, Frankfurt a. M., 
Leerbachstrassc 27, eingeschrieben einzusenden. 

— Robert Koch wird als Delegierter der deutschen Regierung 
an dem Washingtoner Internationalen Tuberkulosekongress teil¬ 
nehmen. 

— Die von Dr. Beyer geleitete Heilstätte Roderbirken bei 
Leichlingen, die erste und bisher einzige „Volksheilstätte für Nerven¬ 
kranke“, geht in den Besitz der Landesversicherungsanstalt Rhein¬ 
provinz über und soll beträchtlich erweitert werden. Das durch 
Zukauf vergrösserte Gebiet umfasst etwa 130 ha, davon zum Teil 
prächtige Buchenwaldungen. Der jetzt nur für weibliche Kranke 
bestimmten Heilstätte (145 Betten) wird zunächst eine Abteilung für 
100—120 männliche Kranke angegliedert werden. Die Gesellschaft 
m. b. H. „Rheinische Volksheilstätten für Nervenkranke“ wird be¬ 
stehen bleiben und im Sinne ihrer Satzungen weiterwirken. 

— Die „Vereinigung Karlsbader Aerzte“ beabsich¬ 
tigt eine zirka dreiwöchige ärztliche Studienreise nach 
Dalmatien, Korfu, Malta, Sizilien und der westlichen Küste Italiens zu 
veranstalten und hat zu diesem Zwecke den Luxusdampfer „Thalia“ 
vom Oesterreichischen Lloyd gechartert. Die Reise soll am 10. No¬ 
vember in Triest beginnen und nach 23 tägiger Dauer daselbst enden. 
In Aussicht genommen ist der Besuch von Triest, Abbazia, Gravosa 
•mit Ragusa, Cattaro, Cettinje, Korfu, Malta, Sizilien, Neapel, Rom, 
Korsika (Ajaccio), Nizza und Genua. Die Preise stellen sich pro 
Platz von 630 Kr. aufwärts. Dieser Fahrpreis enthält die Kosten der 
Seereise von 400 Kronen aufwärts und die für alle Teilnehmer gleich 
hohen Ausgaben für Landaufenthalte von 230 Kronen. In die Schiffs¬ 
verpflegung nicht inbegriffen sind Getränke, die besonders berechnet 
werden. Anmeldungen zur Teilnahme an dieser Reise werden bis 
längstens 31. August 1908 an den Geschäftsführer des Reisekomitees 
der „Vereinigung Karlsbader Aerzte*, Dr. Hugo Stark, Karlsbad, 
erbeten. 

— Die Schweizer balneologische Gesellschaft veranstaltet eine 
10tägige ärztliche Studienreise durch Schweizer Kurorte. 
Die Reise beginnt am 11. September in Zürich und geht über Ragatz- 
Pfäfers, Flrms, Alvaneu, Spinabad, Davos, Fideris, Rorschach zurück 
nach Zürich. Die Kosten betragen 160 Fr. Die wissenschaftliche 
Führung hat Prof. Dr. E. Sommer übernommen. 

— Die Umstände und Gründe, die ihn im Jahre 1906 zur Ein¬ 
reichung seiner Entlassung veranlassten, hat Herr Geheimrat 
S c h a t z - Rostock in vier Broschüren („Der Fall Schatz“. Meine 
Rechtfertigung vor meinen Kollegen, Schülern, Freunden und Be¬ 
kannten. I—IV. 1906—1908) ausführlich dargelegt. Diese Recht¬ 
fertigungsschriften wird der Verfasser jedem Kollegen zur genaueren 
Orientierung zusenden, welcher dieselben mittels Karte von ihm 
erbittet. 

— Eine „Zeitschrift für Krüppelfürsorge“ beginnt 
im Verlag von Leopold Voss in Hamburg zu erscheinen. Sie wird 
unter Mitwirkung vieler Fachmänner von Dr. Konrad B i e s a 1 s k i, 
leitender Arzt der Berlin-Brandenburgischen Krüppel-Heil- und Er¬ 
ziehungsanstalt redigiert. Sie erscheint in zwanglosen Heften; vier 
Hefte (vorläufig vierteljährlich) bilden einen Band. Preis des Bandes 
12 M. «<, 

— Vom „Bulletin de l’Association Frangaise pour 
l’etude du cancer“ ist das 1. Heft des 1. Jahrganges erschienen. 

— Cholera. Russland. Zufolge amtlicher Mitteilung vom 
5. August waren im Gouv. Astrachan seit Beginn der diesjährigen 
Epidemie 42 Erkrankungen (und 19 Todesfälle) an der Cholera beob¬ 
achtet, im Gouv. Saratow 88 (44), davon 71 (40) in Zarizyn und 10 
(1) in der Stadt Saratow. Auf die Stadt Astrachan waren am 1. und 
2. August 11 Erkrankungen (und 4 Todesfälle) insgesamt 36 (16) ge¬ 
kommen. Am 3. August wurden auch in Rostow a. Don. 3 Cholera¬ 
todesfälle festgestellt. — Philippinen. Vom 1. bis 27. Juni sind in 
Manila 1 Choleraerkrankung und 3 Todesfälle gemeldet; aus den 
Provinzen wurden 2253 Erkrankungen und 1488 Todesfälle angezeigt. 

— Pest. Aegypten. Vom 25.—31. Juli sind an der Pest 
26 Personen erkrankt (und 10 gestorben). — Japan. In Kobe-Hiogo 
ist am 28. Juni ein neuer Pestfall aufgetreten; in der Stadt Osaka 
und Umgebung sind vom 7. Juni bis 4. Juli 8 Erkrankungen nflt töd¬ 
lichem Verlauf vorgekommen. — Britisch-Ostafrika. In Port Florence 
sind bis zum 11. Juli insgesamt 27 Pestfälle festgestellt worden, von 
denen 22 tödlich verliefen. 

— In der 31. Jahreswöche, vom 26. Juli bis 1. August 1906. 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 


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1768 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. XI 


Sterblichkeit Königshütte mit 50,3. die geringste Hof mit 6,3 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlach in Beuthen, Königshüttc. Zabrze, 
an Diphtherie und Krupp in Beuthen. V. d. K. ü.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Die bisher von Geh. Rat Prof. Dr. Frosch geleitete 
Seuchenabteilung am Kgl. Institut für Infektionskrankheiten in Berlin 
hat der Abteilungsleiter der Wutsehutzabteilung daselbst, Dr. Otto 
Lentz, unter Beförderung zum Abteilungsvorsteher übernommen. 
An Stelle des letzteren wurde der Assistent Dr. Josef Koch zum 
Abteilungsleiter der Wutschutzabteilung berufen, (hc.) — Dr. Hel¬ 
bing, stellvertretender Leiter des Universitütsiivstitutes für ortho¬ 
pädische Chirurgie, ist zum Professor ernannt worden. 

F r a n k f u r t a. M. Dr. Bernhard Fischer, Prosektor an der 
Akademie für praktische Medizin in Köln und Privatdozent für patho¬ 
logische Anatomie in Bonn, erhielt einen Ruf auf die Direktorstelle des 
Dr. S e n c k e n b e r g sehen pathologisch-anatomischen Institutes als 
Nachfolger A 1 b r e c h t s. 

Marburg a. L. Der vieljährige Kliniker der Universität Mar¬ 
burg, Geheimer Medizmalrat Prof. Dr. Mannkopff in Marburg 
feierte am 16. August d. Js. in vollster Jugendfrische sein 50 jähriges 
Doktorjubiläum. 

M ü n s t e r i. W. In der vorigen Woche fanden die ärztlichen Vor¬ 
prüfungen, denen sich am Schlüsse dieses Sommersemesters 31 Kan¬ 
didatelf unterzogen hatten, ihren Abschluss. Im ganzen sind in dem 
vergangenen Prüfungsjahr (1. Oktober 1907 bis 30. September 19üM 
52 Studierende der Medizin geprüft worden. Darunter waren 4 erste 
Wiederholungsprüfungen und eine zweite Wiederholungsprüfung, die 
übrigen Vollprüfungen. Von den 52 Prüflingen haben 15 nicht be¬ 
standen. Von denen, die bestanden, erhielten das (iesamtprüdikat 
sehr gut 13, das Gesamtprädikat gut 17 Kandidaten, die übrigen ge¬ 
nügend. 

Baltimore. Prof. Ad. Meyer- New-York zum Professor der 
Psychiatrie an der Johns Hopkins Universität. 

Chicago. Dr. F. M e n g e zum Professor der Laryngologie und 
Rhinologie an Northwestern University Med. School ernannt. 

Genua. Habilitiert Dr. E. Mont i für Hygiene und Medizinal¬ 
polizei. 

Florenz. Habilitiert: Dr. B e r t i n o, früher in Parma, für Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie. 

Kasan. Habilitiert: Frau Dr. Sophie Kasch inskaja für 
Neurologie. . 

Moskau. Privatdozent Dr. Pobiedinsky zum a. o. Pro¬ 
fessor der Geburtshilfe ernannt. 

Neapel. Habilitiert: Dr. M. Jungano für Urologie; 
Dr. A. B e n e d e 11 i für Ophthalmologie. 

Ofen-Pest. Den Privatdozenten, Dermatologen Dr. Ludwig 
Török und Nervenarzt Dr. Julius Donath wurde der Titel eines 
ausserordentlichen Professors verliehen, (hc.) 

Paris. Am 11. VIII. 08 feierte der bekannte Pariser Ohren¬ 
arzt Dr. Loewenbcrg, ein Deutscher von Geburt, sein 5ojähr. 
Doktorjubiläum. Der Jubilar hat sich durch bedeutende Arbeiten in 
der Ohrenheilkunde, z. B. Untersuchungen über das Cor tische 
Organ, bleibende wissenschaftliche Verdienste erworben. 

Rom. Habilitiert: Dr. A. Cosentino für Chirurgie, Dr. Gi- 
u n t i für Hydrologie. 

Berichtigung. In No. 32 (Oppenheimer: Behandlung 
scharlachkranker Kinder) ist auf Seite 1693, Spalte 1, Zeile 37 von 
unten statt 1 proz. zu lesen 1 prom.; (also: der Körper und der 
behaarte Kopf werden nach tüchtiger Abstufung mit einer 1 prom. 
Sublrmatlösung abgewaschen). 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Gestorben: Dr. Hermann Attensamer in München. 

MlUtirsanltfitswesen. 

Ernannt: im Sanitätskorps der Stabarzt a. D. Dr. Riegel 
unter Stellung zur Disposition und unter Verleihung des Charakters 
als Oberstabsarzt zum diensttuenden Sanitätsoffizier beim Bezirks¬ 
kommando Kaiserslautern. 


Korrespondenz. 

Anstands- und Gesundheitslehre Im Eisenbahnwagen. 

Von Kreisarzt Dr. Berger in Krefeld. 

In der Eisenbahn kann man es oft beobachten, dass Männer für 
ihre Fiisse durchaus keine andere Verwendung finden können, als 
sie auf den gegenüberliegenden Platz zu legen, wenn er leer ist oder 
sobald er leer wird; manche warten geradezu aut das Freiwerden 
dieses einzigen Plätzchens und frölmen ihrer Gewohnheit im bis auf 
diesen einen Platz besetzten Abteil. 

Es ist rücksichtslos, den gerade unbesetzten Platz zu be¬ 
schmutzen, denn ein anderer nimmt den von der Fussbekleidung ab¬ 
gegebenen Schmutz nachher mit. 


Aber die Frage hat auch eine gesundheitliche Seite. 

Was nützen uns die schönsten Belehrungen über die Verbreitung 
ansteckender Krankheiten, wenn den einfachsten Regeln der Gesund¬ 
heit aui Solche Weise zuwider gehandelt wird. Jeder weiss, dass 
die Krankheitserreger der Tuberkulose mit dem Auswurf der Kranken 
ausgeschieden werden, oft dem Staub beigemischt sind und so an die 
Fussbekleidung der Menschen gelangen können. Was kann überhaupt 
nicht alles an den Schuhen sein? Und wie mancher fasst wiede. 
mit den Händen auf seinen Sitz! Es kann nicht der geringste Zweitel 
bestellen, dass auf diese Weise oft Krankheiten verbreitet werden. 

Die Eisenbahnverwaltung musste solche Schädigung ihres Eigen¬ 
tums, wie sie durch Beschmutzung der Sitze entsteht, bestrafen, 
wirklich bestrafen. Im freien Amerika werden Menschen, die auf die 
Strasse spucken, bestraft. Besonders aber muss Erziehung wirken; 
auch Strafen — schon wenn sie angedroht sind - - wirken erzieherisch, 
wenn die Worte nicht ausreichen. 


Generalkrankenrapport Dber die K. Bayer. Armee. 

für den Monat Juni 10OK. 


Iststärke des Heeres: 

66610 Mann, 162 Kadetten, 1-49 Unteroffiziersvorschüler. 




Mann 

Kadetten 

Untcroffix.- 

vorscMHer 

1. Bestand waren 




am 31. Mai 1908: 

1336 

— 

3 


[ im Lazarett: 

877 

l 

3 

2. Zugang: 

im Revier: 

1138 

4 

— 

1 in Summa: 

2015 

5 

3 

Im ganzen sind behandelt: 1 

,1351 

5 

6 

°/«o der Iststärke: 

50,3 

30,9 

40,3 


dienstfähig: 

°/ooder Erkrankten: 

2141 

638,9 

] 5 

i iwo,n 

3 

500,0 


gestorben: 

6 

— 

— 


°/eoder Erkrankten: 
dienstunbrauchbar: 

1,8 

i 

— 


mit Versorgung: 

44 

1 _ 

— 

3. Abgang: 

ohne 

Auf Orund vor der 
Einstellung ia den MiUtlr- 
dienet vorhanden jewebe¬ 
ner Leiden als dien «tun- 

2 

[ 



brauchbar erkannt und 
entlasten: 

14 

_ 

_ 


anderweitig: 

106 

— 

2 


in Summa: 

2313 

5 

5 

4. Bestand j 

bleiben 

30. Juni 1908: 

F in Summa: 

°/oo der Iststärke: 

1038 

15,6 


1 

6.7 

davon im Lazarett: 
davon im Revier: 

7M 

257 

— 

1 


Voll den in Ziffer 3 aufgefulirteil Gestorbenen haben gelitten an 
Blutvergiftung I. Luugentuberkuiose 2 . Mcrzl.ihmung infolge schwerer 
Krämpfe 1 , Lungenentzündung 1 und S Ji.ulclbru Ji 1. 

Ausserhalb der imlitararztii dien Behandlung verunglückte 
1 Mann durch Ertrinken beim Baden wahrend eines Urlaubs, 3 Mann 
endeten durch Selbstmord (Frscfnessett). 

Der Gesamt Verlust der Armee durs.lt Tod betrug demnach int 
Monat Juni 10 Manu. 


Uebersiclrt der Sterbefälle in Manchen 

während der 31. Jahrcswochc \orn Jo. Juli bis I. Aug 19nK. 

Bevolkerungs/ahl 5 n> i«io. 

Todesursachen: Angeborene l.cbvnsschw. G. Lcb.-M.) 15 (13*)* 
Altersschw. (ub. <*n J.) 4 (M. Kindbettfieber 1 I t, and. Folgen der 
Geburt I (D. Scharlach 1 (1). Masern u. Rotein — ( t. Diplith. u. 
Krupp 3 (3i, Keuchhusten 1 ( l. 'Ixphus 1 (2i. ubertragb. Tierkrankh. 
— ( -). Rose <Fr\ sipelt 1 (1). and. W undinfekti« i^kr. icinschl. Blut- 
u. Eitervergift.) 3 (- ). Tuberkul. d. Lungen Jo i80. Tuberkul. and. 
Org. 0 ((>), Miliartubcrkul. 2 (Ji. l.ungeneiit/üud. (Pneuttvon.) 4 (<>). 

Influenza— (-■ ), and. ubertragb. Krankh. 7 «5». Entzünd, d. Atmungs¬ 
organe 2 (1), sonst. Krankh. «lerselb. 4 i D. organ. Herzleid 10 (15), 
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg (emschl. Herzschlag» 7 im. Gehirnschlag 
0 (7), (ieisteskrankh. 4 (J), Fraisen, l.kiatnps. d. Kinder 3 (J). and 
Krankh. d. Nervensystems 3 <4>. Magen- u Darm.-Kat . Brechdurchfall 
(einschl. Abzehrung) 3s (37). Krankh d. Leber 5 (4i. Krankh. des 

IBauchfells 1 ( ). and. Krankh. d. \ erdauungsorg. I <3>. krankh. d. 

Harn- u. Geschlechtsorg. 5 n>). krebs iK.irzin**m. Krankr-ndi 10 (1 c. 
and. Neubildg. (einschl. 8*ark'>u.o 3 (Ji, >c!bstir.ord — <3i, 1 od durch 
fremde Hand -— (1). I ugliukst.i’le l"i i, alle übrig. Krankh. 3 (4). 

Die Gesamtzahl der Sterbeialle Joo G‘>o). \ erh.dtniszahl auf das 
Jahr und loou Einwohner im aiigemeincii l'dd <l s .3i, für die über 
dem 1. Lebensjahre stellende Bevölkerung U.9 (U. l o. 


*) Die eingckkuninerten Zahlen bedeuten J.e Fälle der V orwoche. 


Verlag von J. F. Lehn tna ia München. — Druck wm E- Mühllhaler» Bach- and Kiuuidruckerct A G. Manchen. 


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tHe Mönchen er Medizinische Wochenschrift erscheint wäcfientfidi 
im Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. • Preis der einzelnen 
Nummer 80-4. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich 
Ji. 6.—. * übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. 


MÜNCHENER 


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Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE 

Herausgegeben von 

I. Unterer, Ch. Monier, I. r. Bellinger, 1. CarsctmaiD, L Heüerieb, I. r. Leobe, S. r. lerkel, J. r. liehet, F. Peozoldt, Lt. Baute, I. Spatz, r.r.Vliekel, 

München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Eisenach. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 

No. 34. 25. August 1908. „ R 1 edak, I io " : , Dr : a Spa ‘ Z ’ Arnulfstrasse 26. 55. Jahrgang. 

0 Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. ° ° 


Originalien. 

Zur Verbreitung, Entstehung und Verhütung des engen 
Beckens. 

Von Alfred Hegar. 

Auf dem internationalen .Gynäkologenkongress in Genf 
1896 0 wurde über die Verbreitung des engen Beckens in den 
einzelnen Ländern verhandelt. Viel kam nicht dabei heraus, 
so dass die Versammlung beschloss, die „ungenügend vor¬ 
bereitete Frage“ noch einmal nach ganz bestimmten Prinzipien 
zu besprechen. 

Man kann sich fragen, ob es überhaupt der Mühe wert sei, 
für grosse Länder eine mittlere Frequenz der Anomalie fest¬ 
zustellen, wie dies in Genf geschah. P a w 1 i k hat für Oester¬ 
reich-Ungarn aius etwa 30 000 Messungen einen Prozentsatz 
von 8,08 vorgefunden; für ein Reich, dessen Bewohner zahl¬ 
reichen Rassen und Nationalitäten angehören, welche den ver¬ 
schiedensten Lebensbedingungen unterstehen. Was lässt sich 
da viel aus jenen 8,08 Proz. entnehmen? 

D o h r n gab für Deutschland, wo wohl die meisten Unter¬ 
suchungen nach annähernd gleichen Methoden angestellt 
worden sind, 12—18 bezw. 20 Proz. an. Die nicht geringe 
Schwankung, bei welcher es sich um 6—8 Proz. handelt, be¬ 
weist, dass erhebliche Unterschiede je nach den Gegenden 
bestehen. Sonst lässt sich aus der Mitteilung nur entnehmen, 
dass das enge Becken in Deutschland häufig vorkommt. 

Aus den Berichten geht hervor, dass die sog. gleichmässig 
allgemein verengten Becken an Zahl hinter den rachitisch 
platten entschieden zurückstehen, aber doch immer noch ge¬ 
nügend vertreten sind. Wir werden sehen, dass dies nicht 
überall so ist. 

Mir scheint, dass eine Beschränkung der Forschungen auf 
kleinere Länder und Gebiete aussichtsreicher sei, da die 
Auffindung der Ursachen und der Mittel, deren Folgen ent¬ 
gegen zu treten, von Wert ist. 

Von Barnes erfahren wir, dass bei ca. 28 000 Schwän¬ 
gern, welche innern und äussem, nach demselben Prinzip vor¬ 
genommenen Messungen unterzogen wurden, 0,4 Proz. platte 
und 0,12 gleichmässig allgemein verengte Becken beobachtet 
wurden. Ich habe keinen Zweifel, dass die Tüchtigkeit der! 
Rasse, die Fürsorge für gute Ernährung und körperliche Aus¬ 
bildung die Deformität in England seltener erscheinen lässt, 
als anderswo. Doch kann ich den Zweifel nicht unterdrücken, 
ob nicht etwa Fehler in der Methode oder in deren Ausführung 
zu Ergebnissen geführt haben, welche so sehr von den ge¬ 
wöhnlichen Angaben abweichen. 

Nach Ogatas Mitteilung gibt es in Japan keine engen 
Becken, mit Ausnahme eines bestimmt begrenzten Gebietes, 
in welchem Osteomalazie und Rachitis häufig auftreten, ohne 
dass bisher die Ursache aufgefunden werden konnte. 

Sir A. R. Simpson, welchem ich hier für seine Güte 
danke, gab mir wertvolle Aufschlüsse über die Verhältnisse 
in Schottland. Nach den von Dr. Middleton Stenat durch¬ 
gesehenen Protokollen der Edinburgh Royal Maternity und 
Shnpson Memorial Hospital wurden folgende Zahlen fest¬ 
gestellt. 


*) Zentralblatt für Gynäkologie 1896, pag. 1089. 

No. 34 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet) 

1906: Geburten 425, unter diesen: pelv. justo minores 19, con¬ 
tract. in Conj. 6, transversily contract. 2; zusammen 63 Proz. 

1907: Geburten 462, unter diesen: pelv. justo minores 28, con¬ 
tract. in Conj. 3, contract. transversily 1; zusammen 6,9 Proz. 

Das klingt nun doch schon anders, als bei B a r n e s. Es 
ist zu bedauern, dass wir über die Beschaffenheit der die An¬ 
stalten in London und Edinburg aufsuchenden Volksklasse und 
andere die Resultate beeinflussende Faktoren nichts erfahren. 

Auffallend ist die geringe Zahl der platten gegenüber den 
gleichmässig allgemein verengten Becken. Vielleicht liegt eine 
Erklärung dafür in dem, was mir Simpson weiter schreibt: 
J a r d i n e führe in seiner Clinical Obstetrics (2 Edit. 1905, 
pag. 235) an, dass das rachitisch platte Becken in dem Indu¬ 
striezentrum Glasgow sehr häufig sei 30 dass man ihm bei 
10 Proz. aller Geburten in ausgesprochenem und noch viel 
häufiger in geringerem Grade begegne. 

Von besonderem Interesse erschien mir die Verbreitung 
der Anomalie in Skandinavien, besonders in Schweden und 
Norwegen. Etten Möller, welchem ich für seine gütige Aus¬ 
kunft danke, spricht sich dahin aus, dass nach seinen Er¬ 
fahrungen die engen Becken- im Norden viel seltener sind, als 
in Deutschland. Er führt Retzius 2 ) an, dessen Bemerkung 
ich wörtlich anführe, „während 7 Jahren, in welchen ich der 
Entbindungsanstalt (Stockholm) vorstehe, ist es mir nur ein¬ 
mal unter 3245 Geburten vorgekommen, dass eine Verzögerung 
der Geburt durch Verkürzung der Beckenmaasse eintrat. 

Otto G r ö n e, Chefarzt der städtischen Entbindungs¬ 
anstalt in Malmö, war so freundlich, sich in einem an Dr. 
Diepgen in Freiburg gerichteten Brief über seine Er¬ 
fahrungen auszusprechen. Hiernach ist das enge Becken in 
Südschweden sehr selten. Unter 564 Geburten wurde es nur 
zweimal vorgefunden. Die Untersuchungen erfolgten nach den 
in Deutschland geltenden Regeln, wobei 1—2 cm von der Conj. 
diag. abgezogen wurden. Die instrumenteile Beckenmessung 
wurde von G r ö n 6 wieder aufgegeben. Bei den eingewander¬ 
ten Juden und russischen Flüchtlingen fand Gröne relativ 
oft ein enges Becken. 

Auf meine Anfrage über Frequenz der Rachitis in 
Schweden konnte ich keine genaue Auskunft erhalten. Der 
Vertreter der Pädiatrie in Lund (Etten Möllers Mitteilung) 
sprach sich dahin: aus, dass Rachitis auch bei gestillten Kindern 
angetroffen werde, aber viel seltener und nie in so aus¬ 
gesprochener Form, wie bei aufgefütterten. 

Aus Norwegen erhielt ich durch die Güte von Kr. Brandt 3 ) 
eine von- ihm mit L. Severin Petersen gemeinsam verfasste 
Schrift, welcher die Erfahrungen von 9614 Geburten als 
Unterlage dienten. Man nahm erst dann eine Beckenunter¬ 
suchung vor, sobald der gestörte Verlauf der Geburt die Auf¬ 
merksamkeit erregte. Die Prozentzahl betrug 3,61. Die Ver¬ 
kürzung der Durchmesser war nie beträchtlich. Eine Con- 
jugata vera unter 7 cm wurde nur in 0,09 Proz. aufgefunden. 
Die Frauen gehörten einer Bevölkerung an, welche grössten¬ 
teils in Landwirtschaft und nur wenig in Industrie beschäftigt 
war. Sie kamen in die Anstalt nie wegen einer zu er- 


2 ) Afhandluirg om Backenfortrangung. 2. Aufl., Stockholm 1857, 
pag. 2. 

*) Norsk Mag. f. Laeger 1905, No. 3—4, pag. 9. 

4 ) Det mechaniske Misforhold under Födselen og dito Behand- 
ling. Kopenhagen 1872. 

1 


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1770 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


wartenden schweren Geburt. Primiparae und Pluriparae 
waren gleich stark vertreten. Auch K i e 1 s b e r g schätzt das 
Prozentverhältnis auf 3,5. 

Von Interesse ist noch die Angabe Brandts, nach 
welcher bei Frauen mit engem Becken die erste Menstruation 
erheblich später (ein ganzes Jahr) eintrat, als bei anderen. 
Dies stimmt sehr gut mit Annahme einer verzögerten Ent¬ 
wicklung. Weitere Untersuchungen sind sehr wünschens¬ 
wert. 

Für Dänemark schätzt Stadtfeld die Frequenz auf 
4 Proz. 4 ). Eli Möller'*) gibt 3 Proz. an, gestützt auf Be¬ 
obachtungen von 21 066 Geburten, bei welchen die Diagonalis 
bestimmt wurde. 

Man muss bedauern, dass nicht noch grössere Unter¬ 
suchungsreihen über die Verbreitung des engen Beckens in 
diesen Ländern vorliegen. Doch lässt sich aus den angeführten 
Mitteilungen wohl mit Sicherheit entnehmen, dass die Ano¬ 
malien, wenigstens in Schweden und Norwegen, erheblich sel¬ 
tener sind als in Deutschland. Die Erklärung ist nicht 
schwierig. Wir haben eine einheitliche gute Passe vor uns, 
deren Angehörige sich relativ wenig mit Industrie, dagegen 
vorzugsweise mit Ackerbau, Handel, Fischerei, Schiffahrt und 
Waldkultur beschäftigen. Für die Heranwachsende lugend 
und ihre körperliche Ausbildung w ird gut gesorgt. Gegen die 
früher allgemein verbreitete Sitte des Alkoholmissbrauchs w ird 
mit Entschiedenheit angekämpft und, was besonders hervor¬ 
zuheben ist: fast alle Frauen ziehen ihre Kinder an der 
Brust auf. 

Bei der Entstehung des engen Beckens spielen Entwick¬ 
lungsstörungen eine grosse Polle. Sie können bereits im 
Fötalleben, selbst schon im Keim vorbereitet sein, um erst im 
Kindesalter deutlich hervorzutreten. Meist werden sie aber 
erst nach der Geburt durch schädliche Einflüsse bewirkt, 
welche das Individuum treffen, ehe es seine volle Ausbildung 
erlangt hat. Diese verzögert sich oder kann vollständig zum 
Stillstand kommen, so dass gewisse Merkmale oder Eigen¬ 
schaften, welche dem Kind eigen sind, noch im späteren Alter 
angetroffen werden. Man bezeichnet diese als Infantilismeii. 
Dazu gehört nun auch das gleichmässig allgemein verengte 
Becken, bei welchem lediglich das Wachstum, und das all¬ 
gemein verengte Becken mit kindlicher Form, bei welchem 
auch die Differenzierung zurückgeblieben ist. Die Entwick¬ 
lungsstörung trifft fast nie das Becken allein. Es besteht fast 
stets eine Schädigung der ganzen Konstitution, welche ins¬ 
besondere am Skelett zum Ausdruck gelangt. W. A. F r e u n d 
und L. Mendelsohn haben so nachgew iesen, dass infantile 
AAerkmale am Becken mit Stenose der oberen Brustapertur 
gleichzeitig bestehen. 

Zu den schädigenden Faktoren, welche zu Entwicklungs¬ 
hemmungen führen, gehört in erster Linie der Wegfall der 
Mutterbrust im Säuglingsalter. Dann treten hinzu die 
unzweckmässige Ernährung in späteren Jahren, schlechte 
Wohnungsverhältnisse, langes Schulsitzen, zu wenig Aufenthalt 
und körperliche Uebung in freier Luft, bei den Mädchen noch 
ganz besonders zu frühe Einführung in das gesellschaftliche 
Leben, Besuch von Konzerten, Theater und Bällen vor er¬ 
langter Körperreife. Dazu kommen noch alle Erkrankungen, 
insoweit depascierende Einwirkungen von ihnen ausgehen. 
Hierher gehören insbesondere chronische Infektionen, unter 
w elchen vor allem latente Tuberkulose zu nennen ist. 

Eine zweite Quelle der Beckenverengerungen ist der Kre¬ 
tinismus, welcher jedoch vorzugsweise auf weniger aus¬ 
gedehnte, gebirgige Gegenden beschränkt ist. Er verbindet 
sich mit zahlreichen Entwicklungshemmungen, welche in erster 
Linie am Skelett und am Sexualapparat auitreten, daher man 
ihn auch als Schilddrüsen- oder gar Myxödeminfantilismus be¬ 
zeichnet hat. Doch zeigt er auch andere Befunde, welche 
mit dem Infantilismus nichts zu tun haben. 

Als dritte und an vielen Orten ergiebigste Quelle der 
Bcckenverengerungen gilt die Rachitis, deren nächste Ursache 
uns nicht bekannt ist. Auch sie verbindet sich mit Entwick¬ 
lungsstörungen infantiler Art, welche dann eigentümliche 


Formverhältuisse des Beckens veranlassen. Infantile Ab¬ 
weichungen in der Ausbildung des Knochengerüstes mögen 
schon deswegen leicht zu den eigentlich rachitischen Ver¬ 
änderungen hinzutreten, als die dein Krankheitsprozess unter¬ 
worfenen Individuen lur gewöhnlich ungünstigen Lebens- 
verhältnissen unterworfen sind. 

ln meiner Studienzeit, vor etwa 6ii Jahren, wurde d.e 
Therapie des Abdommaltvplins mit der grössten Sorgfalt und 
Weitläufigkeit von dem inneren Kliniker abgehandelt, wahren.d 
die Mittel, dessen Entstehung zu \erhindern, kaum erwähnt 
wurden. Viel war freilich auch nicht zu erwähnen. Das ist 
glücklicherweise in unseren lagen anders geworden. Wird 
aber heutzutage das enge Becken besprochen, so hört man mir 
von Kaiserschnitt. Pubiotomie, Perforation tir.d künstlicher 
Frühgeburt, und doch liegen die Aussichten auf Beseitigung der 
Anomalie günstiger, als damals die auf Verhütung des 
Typhus. Dabei kommen uns die modernen Bestrebungen rach 
Durchführung einer rationellen Volkshygiene zu Hilfe. Ich 
brauche mich auf weitere Erörterungen hier nicht einzulassen, 
da ein Hinweis auf die oben aufgefuhrten Ursachen mfurnier 
Entw icklimgsstoriingeii und auf die Verhältnisse m SJ.wedeu 
und Norwegen genügt. Immer und immer wieder müssen die 
Nachteile des Nichtstilie.’is. des langen SchnN.i/ens, des niice- 
migenden Aufenthaltes und Mangels körperlicher Uebimgeii m 
ireier Luft, sowie die schädigende Lebensweise junger Mäd¬ 
chen vor erlangter Körperreife herv orgeln he n werde”. 

Erreichen wir hier bessere Verhältnisse, so wird auJi d.e 
Rachitis allmählich vcrschw iikleii, da su bei gestoben Kindern 
nur selten und me intensiv auttritt und da sie nadi der Saug- 
lingsperi« de noch durch eine geeignete Ernährung und Le¬ 
bensweise wirksam bekämpft werden kann. Das wäre für 
manche tiegenden Deutschlands, wie insbesondere für Sachsen, 
eine grosse Wohltat, da hier die stark verengten Becken und 
die schweren geburtshilflichen Operationen mit ihren unver¬ 
meidlichen I ( desfalleii u. d spateren nachteiligen Folgen über¬ 
aus häufig sind. Merkwürdigerweise hat man gerade da, wo 
es am notwendigsten wäre, an die so wirksame Art der Ab¬ 
hilfe, wie wir sie Vorschlägen, noch nicht gcduJit. 

In Baden haben der Kretinismus und der Kropf durJi Her¬ 
stellung besserer Lebensv erhaltrisse und besonders, wie ich 
glaube, durch Beschaffung besseren I rmkw assers erheblich 
abgenommen. 

VV. A. Freund hat sich ein grosses Verdienst dadurch 
erworben, dass er die so häufige Stenose der oberen I horax- 
apertur entdeckte, ihren Ursprung aufk'arte und d.e 
mclit seltene Naturheilung durch Neubildung eines Gelenkes 
beschrieb. Er hat damit den Chirurgen den Weg gewiesen, 
welchen sie zu betreten haben, um das Griechen zu heilen 
(der wenigstens seinen Folgen entgegen zu treten. Die 
grösste Bedeutung der SaJie scheint mir übrigens nicht darin 
zu liegen. Jene Stenose ist eine infantile Entw ickhmgsstorung 
und steht auf gleicher Lime mit dem allgemein verengten, in¬ 
fantilen Becken, mit welchem sie gewöhnlich auch zusammen 
auftritt. Beide Anomalien haben dieselben Ursachen und ihre 
Verhütung wird durch die nämlichen Mussregcln, weUfic ich 
eben aiitgefuhrt habe, erzielt. Nur wird man bei der Stenose 
noch besonderes Gewicht auf Atcmg \ mn ispk. Muskel- 
Übungen, welche den I horax erweitern, sowie auch auf ein 
vorsichtiges Bergsteigen legen, was man mit Vorteil schon 
für kleinere Kinder vorschreiben kann. Auch da. wo die 
Anomalie kein reiner Infantilismiis ist. sondern durch schädliche 
Einwirkungen auf die Frucht oder selbst im Kenn vorbereitet 
war, werden diese Mussregeln van Nutzen sein. 

Aus den medizinischen Kliniken öe^ui und Strassburg 
(Direktor: Geh. Med.-Rat Moritz). 

Orthodiagraphische Untersuchungen über pathologische 
Herzformen und das Verhalten des Herzens bei Emphy¬ 
sem und Asthma. 

Von Dr. Hans P i e t I e n. Assistent dm medizinischen Klinik 
in Strassenrg. 


') Frfalirtingcn über die künstliche h'rirhg&biirt bei mechanischem Pvi normalen Herzen gibt es keine Wesentlich Ver- 

Missverhälttiis. Archiv t. (iyniiknl.. lieb Mi. pag. dää. Sclnedeiieii Herzformen; die versji.cdcn geformt erschem.cn- 


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25. August 190S. 


MUENCHENEfr MEDIZINISCHE WOCHENSCHftlEt. 


1771 


den Herzen sind nur verschieden gelagert, zeigen aber im 
Orthodiagramm immer eine mehr oder weniger ovale Sil¬ 
houette. (Näheres darüber siehe Die t len: Ueber Grosse 
und Lage an normalen Herzen etc. Deutsch. Arch. f. klin. 
Med., 88. Bd.). Verschiedene Klappenfehler bedingen zum 
Teil recht wesentliche Abweichungen von dieser Grundform. 
Am meisten charakteristisch ist wohl die Herzform bei 
Aorteninsuffizienz (Abb. 1). Der weit nach links aus- 



Abb. 1. 

38jähr. Mann. Reine Aortenin¬ 
suffizienz mit stark erweiterter 
und lebhaft pulsierender Aorta 
(Ao-Bogen vielleicht mehr trans¬ 
versal als vertikal gestellt — für 
Ao-Aneurysma keine Anhaltspunkte 
im übrigen Befund). 


ladende linke Ventrikel mit seinem mehr transversal als verti¬ 
kal verlaufenden freien Rand und seiner plumpen, fast kreis¬ 
runden Spitze — im Gegensatz zu der mehr länglichen, ei¬ 
förmigen Spitze des normalen Herzens — sind die Eigentüm¬ 
lichkeiten dieser Herzform. Aber auch bei dilatativer Hyper¬ 
trophie des linken Ventrikels aus anderen Ursachen (idio¬ 
pathisch, Nephritis, Aortensklerose) beobachtet man ganz 
ähnlich geformte Herzen, ja durch einfache Hochdrängung des 
Herzens, wie ich sie in einer früheren Arbeit beschrieben 
habe *), kommen die gleichen Bilder zustande, so dass man aus 
der beschriebenen Herzform nicht ohne weiteres auf Aorten¬ 
insuffizienz schliessen kann. Hervorheben möchte ich noch, 
dass man bei reiner Aorteninsuffizienz häufig einen ausser¬ 
ordentlichen breiten und lebhaft pulsierenden Aortenschatten 
findet, der nach rechts nicht selten die Vena cava sup. überragt 
und leicht zu Verwechslungen mit Aortenaneurysmen Veran¬ 
lassung geben kann. (Vergl. Abb. 1.) Reine Aortenstenose 
bedingt eine ähnliche Herzform, führt nur in der Regel nicht zu 
so bedeutender Vergrösserung des linken Herzens wie die 
Aorteninsuffizienz. 

Ziemlich charakteristisch in der Form sind ferner die 
Herzen bei Mitralfehlern, wenn sie mit beträchtlicher 
Erweitung des linken Vorhofes einhergehen. Bei einfacher 
Mitralinsuffizienz ohne stärkere Dilatation des Vorhofes unter¬ 
scheidet sich die orthodiagraphische Silhouette häufig gar nicht 
oder nur etwas in der Grösse von der des normalen Herzens. 
Dann gibt es aber allerlei Uebergänge zu der bekannten als 
Mitralherz häufig beschriebenen Form der Herzsilhouette. 
Diese ist bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass der unterste 
linke Bogen in seinem oberen gegen die Achselhöhle ge¬ 
richteten Teil besonders stark vorspringt und sich meistens in 
spitzerem Winkel gegen den mittleren Herzbogen absetzt als 
bei normalen Herzen (Abb. 2 ). Die linke Herzrand verläuft 


Abb. 2 . 

14 jähr. Mädchen. Reine Mitralis¬ 
insuffizienz. 

I. Ao. descend. 

II. A. pulmon. 

III. linker Ventrikel (bei x leichte Ein¬ 
biegung, aber kein Pulsationswechsel.) 


dadurch steiler und die Herzform wird eine mehr kugelige. Ob 
diese Vorbuchtung stets dem linken Ventrikel angehört und 
durch Andrängen des hypertrophischen und dilatierten rech¬ 
ten Ventrikels von unten her verursacht ist, oder ob der 
letztere unter Umständen selbst randbildend werden kann, ist 
unseres Erachtens noch nicht genügend untersucht. Darüber 
müssen noch weitere Vergleiche des orthodiagraphischen Be¬ 
fundes mit dem Befund bei der Leiche aufklären . In der Regel 
dürfte die erste Erklärung richtig sein, die auch- Th. und Fr. 


x ) Diese Wochenschrift 1908, No. 1. 




G r o e d e 1 2 ) jüngst gegeben haben. Ein anderes Bild können 
Mitralfehler bieten, wenn die Stenose der Mitralis die In¬ 
suffizienz überwiegt oder allein vorhanden ist. Dann kann der 
dilatierte und hypertrophische linke Vorhof als deutlicher 
Bogen oberhalb des Ventrikelbogens vortreten und sich durch 
seine etwas vor der Vervtrikelsystole erfolgende systolische 
Pulsation kenntlich machen (Abb. 3). In solchen Fällen kann 
Abb. 3. 

21 jähr. Mann. Mitral Stenose und 
-Insuffizienz. Der linke Herzrand be¬ 
steht aus 4 Bogen: Ao = Aorta desc. 

P. = Pulmonalis. L.V. = Linker Vor¬ 
hof. V. =» Linker Ventrikel. (Die 
Pfeile bezeichnen die Stellen, an denen 
durch die verschiedene Pulsation der 
einzelnen Herzabschnitte eine Art von 
Schaukelbewegung entsteht.) 



man, wenn auch der Pulmonalisbogen deutlich ausgebildet ist, 
4 Bogen am linken Herzrand unterscheiden, deren Deutung 
ganz wesentlich von der genauen Beobachtung ihrer Pulsation 
abhängig ist, wie ich in Uebereinstimmung mit Th. und Fr. 
G r o e d e 1 ausdrücklich bemerken möchte. * 

Im allgemeinen ist trotzdem die Abgrenzung dieser meist kurzen 
mittleren Bogen keine leichte, namentlich bei rasch pulsierenden 
Herzen, und wird noch häufig durch stark ausgeprägte Lungen¬ 
schatten in der Hilusgegend besonders erschwert. Bel normalen Her¬ 
zen können wir in der Regel bei Untersuchung im Liegen nur einen 
mittleren Bogen, den der A. pulmonalis, deutlich abgrenzen, da¬ 
gegen nur selten einen Vorhofsbogen. Bei den mehr in die Länge 
gezogenen Gefässschatten älterer Leute gelingt die Differenzierung 
leichter, auch bei der Untersuchung im Stehen oder Sitzen manch¬ 
mal leichter als in liegender Stellung, wahrscheinlich ebenfalls des¬ 
wegen, weil der Gefässschatten bei aufrechter Körperhaltung mehr 
auseinander gezogen ist. Daraus erklärt es sich vielleicht, dass 
G r o e d e 1 3 ) die Abgrenzung der einzelnen 4 Bogen als fast aus¬ 
nahmslos möglich hinstellt. In den Zeichnungen in der oben zitier¬ 
ten Arbeit sind die einzelnen Bogen ausserordentlich scharf von¬ 
einander abgesetzt. Im Interesse einer leichteren Verständigung 
wäre es nur wünschenswert gewesen, statt der halbschematischen 
Zeichnungen Originalorthodiagramme mit allen orthodiagraphischen 
Marken abzubilden. 

Bei nicht komplizierter leichter Mitralstenose findet man 
häufig auffallend langgestreckte und steil gestellte Herzen 
(Abb. 4 u. 4 a). Bei Trikuspidalinsufiizienz (Abb. 5) kann der 



Abb. 4. 



Abb. 4a. 


Abb. 4. 21 jähr. Mädchen. Schwere Mitralstenose und leichtes 
Lungenemphysem. H. = pulsierendes Herzohr des linken Vorhofes? 

Abb. 4a 30jähr. Frau. Nach der gewöhnlichen Untersuchung 
reine Mitralstenose. 

I. Ao. desc. II. Erweiterter Con. arteriosus (pulsiert genau mit 
der Systole des linken Ventrikels.) III. Linker Ventrikel. (Die Abb. 
zeigt, dass auch bei ausgesprochener Mitralstenose der Vorhofs¬ 
bogen unter Umständen fehlen kann, und dass die Herzsilhouette 
bei Mitralinsuffizienz und -Stenose unter Umständen recht ähnlich 
sein kann.) 


Bogen des rechten Vorhofes weit nach rechts ausladen und 
stark gewölbt sein; wichtiger als dieser eventuelle Befund ist 
der Nachweis einer systolischen Ausweitung des Vorhofes und 
eines systolischen Pulsierens der erweiterten V. cava, der in 
ausgeprägten Fällen gut gelingt. Bei komplizierten Fehlern 
mehrerer Klappen nimmt das Herz ausser einer oft beäng- 


s ) Ueber die Form der Herzsilhouette bei den verschiedenen 
Klappenfehlern. D. Archiv f. klin. Med., 93. Bd. 

3 ) 1. c. und Fr. M. G r o e d e L: Die Orthoröntgenographie, Mün¬ 
chen 1908. 

1* 


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t in 


MUfiNCHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. M. 


stigenden Grosse (cf. Abb. 5) häufig eine unförmige kugelige 
oder mehr dreieckige Form mit der Basis nach unten an. Im 



A b b. 5. 

51 jähr. Mann. Mitralins, und 
Stenose, Tricuspidalins. 

C. S. = V. Cava sup. Ao. = 
Aorta descend. R. V. — dilat. 
rechter Vorhof* P, :#? Con. art. 
4- A. pulmon. 


grossen und ganzen ist die Diagnose einies Klappenfehlers allein 
aus der Form des Herzens auf dem Röntgenschirm eine unzu¬ 
verlässige, häufig unmögliche Sache; mehr kann man aus der 
Beobachtung der Pulsationen, namentlich unter Zuhilfenahme 
verschiedener, besonders schräger Durchleuchtungsrichtungen 
schliessen. Das gleiche gilt auch für die Aneurysmen der 
Aorta, für deren Erkennung bekanntlich die schräge Durch¬ 
leuchtung (Holzknecht scher Raum) besonders wichtig ist. 
Von der ürösse, die Aneurysmen erreichen können und dem 
dann entstehenden Missverhältnis zwischen diesem und dem 
Herzen gibt Abb. 6 eine gute Vostellung. 



A b b. 6. 

31 jähr. Mann. Aneurysma der ab¬ 
steigenden Aorta. 


Ziemlich typisch nach Form und Lagerung ist 
das Herz bei Etnphyse m a pu Imon u m, allerdings 
nur dann, wenn es sich um ausgesprochenen Tief¬ 
stand des Zwerchfells handelt. Das typische Emphy- 
sematikerherz ist ~ soweit es nicht mit Hypertrophie und 
Dilatation kombiniert ist — ein tiefliegendes, d. h. weit abdomi- 



A b b. 7. 

52 jähr. Mann, 183 cm, 50 kg. 
Emphyscma pulm. 


nalwärts liegendes, langgestrecktes, steil und mediangcstelltes 
Herz, das an einem langen und schmalen (iefässband aufge- 
hängt ist. Es erinnert häufig an die von französischen Autoren 
beschriebene Form des „Coeur ä goutte“. Ein ziemlich reines 
Beispiel dieser Art ist in Abb. 7 abgebildet. 



A b b. 8. 

9jähr. Mädchen mit Larynxdiphthcric, 
Stenose. 

.Herzsilhouette im Zustand der 

Dyspnoe vor Tracheotomie. 
__ Herzsilhouette nach Trachcotom. 
(Die orthod. Punkte sind ausnahms¬ 
weise wegen Kleinheit der Figur weg- 
gelassen.) 


Die Form und Lagerung hat grosse Achnlichkeit mit den 
bei tiefer, Inspirationsstellung aufgenommenen Silhouetten nor-‘ 


malcr Herzen; beide werden ja durch die gleiche Ursache 
tiefer Zwerchfellstand - - bedingt. Als akutem Zustand be¬ 
gegnet man diesen langgezogenen Herzen bei Traclieal- oder 
Larynxstenose, z. B. häufig bei Diphtherie mit Stenose des 
LaryiiXv Nach spontan oder künstlich behobener Stein se 
nimmt das Herz seine gewöhnliche Schräglagerung wieder ein 
und rückt mit dem Zwerchfell wieder hoher nach oben (Abb. 8). 

Den Z w e r c h f e 1 I s t a n d (gemessen am höchsten Pin kt 
der Kuppe bei ruhiger Exspiration) fai-J ich bei 21 von nur 
untersuchten Empliysematikern zwischen 5. und 7. R.ppe 


und zw ar rechts in Hohe 

der 5. Rinpc in.14 Pmz. 

des 5. I.-Raums.U . 

der 6. Rinpc .... .33 . 

des 6. I.-Raums.lü 

der 7. Rippe.ln • 


Tieferer Stand als 5. Rippe kommt bei Menschen mit nor¬ 
malen Lungen nur ausnahmsweise vor. Wahrend bei diesen 
die linke Kuppe fast immer etwas tiefer sulit als die rechte, 
fand ich sie bei Empliysematikern fast immer ebenso ImJi 
stehen. Die respiratorische \ erschiebhchkeit des ZwerJiteüs 
ist bei ausgesprochenem Emphysem meistens aussernrdentlich 
gering. 

Den u ii t e r e n H e r z r a n d fand ich bei Jo Emph\ se- 
matikeriL ausnahmslos iinterhalh des Rippenbngenw mkels ver¬ 
laufend, 3—b cm, im Mittel 5 cm unterhalb desselben, wahrenJ 
er bei normalen Männern nur m 4 n Proz. unterhalb gefunden 
wurde und höchstens 2 3 cm tiefer lag. Aiuh m der topo¬ 

graphischen Lage der oberen Mer/greii/e kommt der 1 iei- 
stand des Emphysemaiikerherzens zum Ausdruck; ich iai J sie 
meistens in Hohe des 3. Interkostalraums und der 4. R.ppe. ein¬ 
mal sogar in Hohe des A. Interkostalraums und nur einmal bei 
einem dilatierten Herzen in Hohe der 3. Rippe, wo sie bei nor¬ 
malen Herzen am häufigsten gefunden wird. I'er obere Raid 
der absoluten H e r z d ä m p i u n g lag nie hoher als am 
unteren Rand der 4. Rippe, meistens betraJithJi tiefer. Diese 
Tieflage und gleichzeitige Kleinheit der absoluten Herz- 
dämpfmig ist nichts anderes als der Ausdruck der Ticflage des 
ganzen Herzens und hat meines Erachtens ihr*, n (iiui d mJit m 
stärkerer Uebcrlagerung des Herzens dnrJi d:e Lungen. 

Tabelle 1. 






He 

r i. m a s s c 

Name 

Alter 

(irosse 

Gewicht 

Tr. 

L 

Fl. 

Rüge. 

26 

154 

49 

10.4 

12.0 

90 



1 (Norm. 

Mittel 

12.2 

13.4 

103) 

Noll. 

52 

| 103 

1 4S 

11.7 

13.9 

117 



(Norm. 

Mittel 

12.9 

14.0 

111) 

Orhig . ... 

67 

IW) 

63 

12.9 

14.5 

145 

Tcxtor. 

69 

171 

65 

13.5 

15,5 

143 

Woicik. 

44 

los 

(»o 

13.5 

13,5 

117 

Braun . 

41 

165 

52 

12.9 

14.4 

121 

Müller. 

53 

171 

(»o 

12.5 

14.o 

132 



(Norm. 

Mittel* 

13.1 

14.2 

117) 

Schleich .... 

50 

17s 

70 

12.5 

15.6 

140 

Klass . . 

45 

ISO 

75 

13.1 

14.5 

132 



(Norm. 

Mittel | 

13.s 

14.9 

131) 

KimptT) 

38 

— 


14.5 

16.3 

163 

Reuchlin*) . . . 

53 

- 

— 

l4.o 

15,2 

117 

Mohr*). 

59 

— 

-- 

13.5 

14,0 

147 

Hahn*) . . 

55 

- 

- 

17.' 

19.5 

200 


*) Angaben über Grosse und (iewicht fehlen bei diesen Leuten, 
sic können daher in keine Groxscnklasse cmgcrciht werden. 


Zur Entscheidung der wichtigen Frage iuJi der <i rössc 
d e r E m p h y s e m a t i k e r h e r z e n s sind unsere Beob¬ 
achtungen noch nicht zahlreich genug, um ganz sichere ZuhTn- 
mässige Angaben geben zu können. Ans den in Tab. I mit¬ 
geteilten Zahlen geht wenigstens m>\ jel her\ or. dass man 
neben hypertrophischen und di'atierteii Herzen von manchmal 
enormer (irosse auch bei hochgradigem und large bestehen¬ 
dem Emphysem häufig Herzen findet, die die Mittelwerte, die 
der betreffenden Person nach (Irosse und Körpergewicht zu¬ 
kommen, nicht wesentlich überschreiten. FT e geringe Yer- 
grösserung bei älteren Leuten ist durJi die Altershypertr« phie 
allein erklärlich und in der Regel sind ja Emphysemaüker 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1773 


ältere Leute. Eingehende Untersuchungen müssen demnach 
erst die Frage klären, unter welchen Umständen man bei 
Emphysematikern Herzhypertrophie findet. 

Handelte es sich um stark vergrösserte Herzen bei den 
von mir untersuchten Emphysematikern, so war die anfangs 
geschilderte langgestreckte und schmale Herzform meistens 
auffallend verändert, in der Weise, dass die sonst abgerundeten 
Ecken/ der Herzsilhouette — namentlich der unteren — sich 
tatsächlich mehr der Eckform näherten. Dadurch erhalten 
solche Herzen statt des ovalen eine mehr viereckige, plumpe 
Form (Abb. 9). 



Abb. 9. 

59jähr. Frau. Emphysema pulm. Ver- 
grössertes, tiefliegendes Herz. Alte 
Infiltration der R. Lungenspitze. 


Bei Asthma bronchiale fand ich dieselben lang¬ 
gestreckten und tiefstehenden Herzen wie bei Emphysem; der 
Stand der Zwerchfellkuppen war bei den im Anfall unter¬ 
suchten Asthmatikern ein ganz ausserordentlich tiefer, rechts 
zwischen 6. und 7. Rippe; in der anfallsfreien) Zeit stand bei den 
meisten das Zwerchfell und mit ihm das Herz etwas höher 
(Abb. 10). Die respiratorische Verschieblichkeit des Zwerch- 



A b b. 10. 

14 jähr. Mädchen. Chron. Bronchial- 
Asthma. 

-Herz in anfallfreier Zeit (82 qcm) 

.Herz im Anfall, tiefer getreten 

und kleiner (72 qcm.) 

(Beide Aufnahmen in der Respirations¬ 
pause.) 


felis war im Anfall bei fast allen Fällen ganz minimal, dabei 
erfolgten die Bewegungen deutlich stossweise, nicht in Form 
eines langsamen Auf- und Niedersteigens wie beim normal 
atmenden Menschen. Infolge dieses absoluten Tiefstandes und 
der geringen Verschieblichkeit des Zwerchfells tritt auch das 
Herz bei der Inspiration — im Gegensatz zum normalen 
Menschen — nur wenig tiefer, aber auch das Kleinerwerden 
der Herzsilhouette in Inspirationsstellung, das beim normalen 
Herzen die Regel bildet, habe ich bei ausgesprochenen 
Asthmaanfällen nie beobachtet, im Gegenteil wurde die Sil¬ 
houette bei der Exspiration kleiner und erweiterte sich bei der 



Abb. 11. 

40 jähr. Mann. Asthma bronchiale. 
Aufnahmen während eines asthmat. 
Anfalles. 

-Inspiratorische (117 qcm) 

- Exspiratorische (93—100 qcm) 


Inspiration (Abb. 11). Diese Grössenschwankungen sind zum 
Teil ganz beträchtliche. (Siehe Tabelle II.) 

In der anfallsfreien Zeit verhielten sich die untersuchten 
Fälle zum Teil umgekehrt (inspiratorische Verkleinerung), zum 
grösseren Teil zeigten sie überhaupt keine deutliche Differenz 
zwischen Inspirations- und Exspirationsfigur. In einem Falle 
(Nr. ; 6), von sicherem Asthma bronchiale (Kristalle und Spi¬ 
ralen im Auswurf) waren im Anfall wederTiefstand des Zwerch- 


Tabelle 2. 


z 

Name 


Herzfläche 

exsp. 

insp. 

1 

Stohr .... 

ausser 

Anfall 

128 

. 



im 


115 

125 

2 

. Qutter. 

ausser 


123 

120 



im 


112 

126 

3 

Stolp . 

ausser 


82 

80 



im 


72 

73 

4 

Nikolai. 

ausser 


__ 

_ 



im 


93—100 

117 

5 

Rumpel .... 

ausser 


150—155 

148 



im 


136 

149 

6 

Qerolstein . . . 

ausser 


101 

_ 



im 

9 

99 

98 


felis noch die respiratorischen Grössenschwankungen des 
Herzens nachzuweisen, allerdings verlief der Anfall, in dem der 
Kranke untersucht wurde wesentlich leichter, im Vergleich zu 
früheren. 

Die Erklärung für die erwähnten respiratorischen Grössen- 
Schwankungen des Herzens im Asthmaanfall suchen wir in der 
erschwerten Exspiration, die durch Erhöhung des intrapul¬ 
monalen Druckes zu einer venösen Einflussbehinderung und 
dadurch verkleinerten diastolischen Füllung des Herzens und 
vielleicht auch zu einer rein mechanischen exspiratorischen 
Pressung des Herzens führt. Die umgekehrte Erklärung: ver¬ 
stärkte inspiratorische Ansaugung und dadurch bedingte Ver- 
grösserung der inspiratorischen Herzsilhouette scheint uns 
weniger wahrscheinlich, weil die Inspirationsilhouette während 
des Anfalls die Exspirationssilhouette ausserhalb des Anfalls 
nicht an- Grösse übersteigt, wenigstens nicht regelmässig und 
dann nur unbedeutend (Fall 3), vielmehr zeigen die beiden 
Silhouetten im allgemeinen die gleiche Grösse. 

Nach Hof baue r und Holzknecht*) wird auch das Herz 
des normalen Menschen bei jeder ruhigen Inspiration grösser als 
bei der Exspiration, wofür die Autoren den inspiratorischen Zu¬ 
wachs der Retraktionskraft der Lungen verantwortlich machen. Für 
den Begriim der Inspirationsbewegung scheint uns das zuzutreffen: am 
Schluss der Inspiration, wenn Lungen und Herz sich in Inspirations¬ 
stellung befinden und darin verharren, ist die Herzsilhouette nach 
unseren Beobachtungen kleiner als die bei ruhiger Atmung im Re¬ 
spirationsstillstand — am Schlüsse der Exspiration — aufgenommene 
Herzsilhouette. Näheres darüber s. M o r it z: D. Archiv f. klin. Med., 
Bd. 81. 

Die gleiche Beobachtung der exspiratorischen Verkleine¬ 
rung des Herzens konnten wir ausser bei Asthma bronchiale 
auch bei Kindern mit akuter diphtherischer Larynxstenose 
machen. Allerdings ist genaue orthodiagraphische Messung 
des Herzens in den einzelnen Respirationsphasen bei diesen 
meistens sehr unruhigen Patientem in der Regel sehr schwierig. 

Entgegen dem vielfach der Orthodiagraphie in horizontaler 
Rückenlage gemachten Einwande konnten wir bisher sämtliche Pa¬ 
tienten, auch dyspnoische Asthmakranke, im Liegen untersuchen, 
wenn sich auch manchmal eine leichte Erhöhung des Oberkörpers 
notwendig machte. 


Abb. 12. 

26 jähr. Mann. Bronchialasthma. Auf¬ 
fallend breite* Lungenspitzen* lf Zwerch^ 
fellstand beiderseits 6. Rippe. 


Bemerkenswert ist, dass man sowohl bei Emphysem, wie 
namentlich bei Asthma auffallend breite Lungenspitzen be¬ 
obachtet — wohl als Zeichen der allgemeinen Lungenblähung 
(Abb. 12). Die Abbildung 12 gibt überhaupt eine gute Vor- 


*) Mitteilungen aus dem Laboratorium f. rad. Diagn. u: Therap., 
2. Heft, 1907. 



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1774 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Stellung von den Grössenverhältnissen zwischen Herz und 
Lungen bei dem pathologischen Zustand des Volumen pul¬ 
monum acutum. 


Gesichtspunkte für die Einführung des Extractum digi¬ 
tale depuratum. 

Von Dr. Ch. Hoepffner, Privatassistent von Dr. A. 

Fraenkel - Badenweiler. 

Durch die physiologische Wcrtbcstimmung der Digitalis¬ 
blätter und Digitalispräparate ist erst neuerdings eine ge¬ 
sicherte Grundlage für den Ausbau der Digitalistherapie ge¬ 
wonnen worden. Bisher war die Kunst, ohne störende Neben¬ 
wirkungen energische Digitaliskuren durchzuführen, allzusehr 
Sache der Erfahrung des einzelnen Arztes und seiner speziellen 
Kenntnis der ihm von der Apotheke gelieferten Digitalissorte; 
es fehlte an gesicherten Regeln über die Digitalisanwendung. 
Bei Verwendung eines so inkonstant zusammengesetzten 
Präparates, wie der Digitalisblätter, deren Gehalt an wirk¬ 
samen Bestandteilen je nach Standort und Jahrgang der 
Pflanze, der Art der Aufbewahrung und dem Alter der Blätter 
um das dreifache schwanken kann, können feste Regeln nicht 
aufgestellt werden. Aus diesem Grunde allein schon ver¬ 
langt eine rationelle Digitalistherapie die ausschliessliche Ver¬ 
wendung physiologisch dosierter Präparate. *) 

Unter genauer Berücksichtigung der Wirkungsstärke ist 
nun auch ein Vergleich der verschiedenen anderen Digitalis¬ 
präparate mit der Wirkung der Blätter in rationeller Weise 
durchzuführen. Es ist aber in dieser Beziehung noch kaum 
der Anfang gemacht. Es wird sich darum handeln, festzu¬ 
stellen, durch welche Präparate bei gleich energischer Digi¬ 
talisierung, d. h. bei gleicher angewandter Wirkungsstärke 
Digitaliskuren mit den geringsten Nebenwirkungen (Magen- 
Darmstörungen, Kumulation) -durchführbar sind. Die einzelnen 
reinen Digitaliskörper haben sich nach dem Urteil der meisten 
deutschen Autoren den Blättern selbst nicht als ebenbürtig 
erwiesen. Die von ausgezeichneten Beobachtern behauptete 
Ueberlegenheit der Blätter (vergl. Diskussion auf dem 19. Kon¬ 
gress für innere Medizin 1901) könnte vielleicht auf dem Zu¬ 
sammenwirken des Digitoxin, Digitalin, Digitalein in den 
Blättern beruhen *), denn die einzelnen wirksamen Bestand¬ 
teile verhalten sich nach ihren Resorptionsbedingungen, nach 
Zeit des Eintritts und in Bezug auf die Nachhaltigkeit ihrer 
Wirkung keineswegs gleich und die in den Blättern gegebene 
Kombination könnte demnach Vorteile vor der Anwendung 
jedes einzelnen w irksamen Körpers besitzen. 

Die Darreichung der Digitalisblätter hat dagegen den 
Nachteil, dass wir genötigt sind, mit den therapeutisch wert¬ 
vollen Bestandteilen auch eine, grosse Menge gleichgültiger 
oder auch störender Beimengungen mitzugeben, die als Ballast¬ 
stoffe die wirksamen Glykoside begleiten. Einzelne dieser 
Beimengungen, z. B. das saponinartige Digitonin, wirken 
stark reizend und bedingen sicher zum Teil die Magen- und 
Darmstörungen mit, welche bei den empfindlichen Verdauungs¬ 
organen der Stauungskranken oft genug die Digitaliskuren 
stören. 

Dass diese unangenehmen Nebenwirkungen bei Verabreichung 
des Infuses seltener aufzutreten scheinen, beruht darauf, dass das 
übliche Infus eine relativ schwachwirkende Pigitalisordinatimi ist. 
Nebenwirkung und Kumulation treten beim Infus in demselben Ver¬ 
hältnis später auf wie die therapeutische Wirkung '), rin triftiger 
Grund zur Beibehaltung des Infuses in unserem Arzneischatz liegt 
also nicht vor. 

Aus obigen Gründen erscheint es daher aussichtsvoll, mit 
der wohlbekannten Wirkung der Blätter ein neues Digitalis¬ 
präparat zu vergleichen, das von den therapeutisch wertlosen 
Beimischungen der Blätter befreit ist, aber alle therapeutisch 


‘) Vergl. Kollert: Arzneivenirdnimgslelire 191 ) 0 , png. 5.E - 

R. Gott lieb: Kongress iiir innere Medizin 191)1. A. Fraen- 
kcl: Therapie der Gegenwart 19U2. — C. bocke: Therapie der 
Gegenwart 1902 und 1904 und Berliner klinische Woclienschrift I9iu>. 
*) R. Gott lieb: Münch, nied. Wochcnschr., 190N. N<». 24. 
n ) b. S c h a c f f e r, Inaug.-Diss. Strassburg 1907: Geber kumu¬ 
lative Nebenwirkungen bei der Digitnlistliernpic mit Intus und Pul¬ 
vern, 


wirksamen Bestandteile in dem in den Blättern selbst ge¬ 
gebenen Mischungsverhältnis enthalt. 

Es ist dies ein auf Veranlassung von Prof, (int t lieb in 
Heidelberg von der Firma Knnll & Co. hergestelltes 
Extractum digitalis depuratum, das schon Herr Dr. A. 
Fraenkel angewandt und als zuverlässig und rasch wirk¬ 
sam erkannt hat. *) 

Das Extractum digitalis depuratum'’) wird durch cm 
äusserst schonendes Verfahren dargestellt, welches alle che¬ 
mischen Einwirkungen vermeidet, durch die \ eränJcrur.gcii 
oder Zersetzungen der wirksamen Stoffe veranlasst werden 
konnten. Näheres über die Darstellung wird demnächst von 
chemischer Seite an anderem Orte veröffentlicht werden. Es 
soll hier nur in Kürze aus den von Prof. Göttlich liebens¬ 
würdigerweise gemachten Mitteilungen erwähnt werden, dass 
es durch das angewandte Verfahren gelingt, etwa s5 Pr«»/., der 
gesamten, in ein gewöhnliches Digitalisextrakt übergehenden 
Bestandteile durch schonende Reinigung zu entfernen. Wie¬ 
der Vergleich der Wirksamkeit der Blatter und des daraus 
gewonnenen Extraktes ergibt, bleibt trotz der weitgehenden 
Reinigung fast die Gesamtheit der wirksamen Bestandteile m 
dem gereinigten Extrakte enthalten. Das Präparat ist frei 
von Digitonin; Digitoxin und I hgtlalin sind darin enthalten. 
Die wirksamen Substanzen im Extraktum drg:t t!.s depurü.im 
sind in kaltem Wasser und in Sauren unloshJi. aber sehr 
leicht löslich in verdünnten Alkalien. Es ist darnaJi eine 
gleichmässigc Resorption der wirksamen Substanzen im Darm 
zu erwarten. 

Das gereinigte Digitalisextrakt ist eine Flüssigkeit \ on 
gelber Farbe, dasselbe wird mit Milchzucker zu einem gelb¬ 
lichen Pulver eingedickt und dieses durch den Mi! Ji/Ucker- 
zusatz auf einen bestimmten physiologischen Wirkungswert 
eingestellt. Das Extractum digitalis depuratum ist also ei 
durch physiologische Wcrtbcstimmung stets auf e.rc bekannte 
W irkungsstärke eingestelltes Präparat. Die Einstellung ert -Igt 
derart, dass die an/uw endende Einzeldosis von n,l g des 
Pulvers der W irkungsstarke von ö.l g stark wirksamer Digi¬ 
talisblätter entspricht. Diese W irkut gssiaike hat sich tuuh 
einigen Yorvcisuchen als die geeignete für eine bequeme Hand¬ 
habung lies Präparates erwiesen. 

Die Kontrolle der gleichmassigen Einstellung durch den 
physiologischen Versuch liegt ui den lläuJui von Prot. 
G o t t 1 i e b. 

Wir wandten das gereinigte Digitalisextrakt in der Form 
von sehr leicht zeifallenden Tabletten an. von denen jede 
0,1 g des Pulvers enthält. 

Es ist uns möglich gewesen. In einer kurzen Zeit eilte 
grosse Zahl von Patienten (über 4o) mit Digipuratum zu be¬ 
handeln, einige davon zu wiederholten Malen. 

Wir gaben das Mittel: 

1. mit absoluter Indikation bei Stauungen im grossen 
Kreislauf, 

2. mit relativer Indikation bei beginnender Herzinsuffi¬ 
zienz, 

ö. zu diagnostischen Zwecken, um in einzelm.it Fallen zu 
entscheiden, wie viel von den K ranklteitssymptoitien kardialen 
Ursprungs waren"). 

Wir haben ausserdem i:och einige Male das M.ttel von 
herzge-stnulen Menschen einnelmiett lassen, um uns von seiner 
Bekömmlichkeit zu überzeugen. 

Man darf bei der Pigitalismedikatioii Kumulation ui.d 
Bekömmlichkeit nicht verwechseln. Es ist nicht ausser 
acht zu lassen, dass es keinen Menschen gibt, der lauge Zeit 
mit irgend einem beliebigen Präparat richtig unter Digitahs- 
wirkuug zu halten ist, ohne dass schliesslich d<*ch kmmi'ative 
Magcndarmsiorimgen auftreten. Andererseits gibt es eine An¬ 
zahl von Kranken, die auf Intus und Pulver und zwar snfurt. 
auf die erste Dosis, ablehnend reagieren. Sie vertragen Digi¬ 
talis nicht. In diese Gruppe gehören die seltenen Idiosv nkrasie n 


M A. Fraenkel: Areli. f. exp. Paili. u. Pharmak-•!.. Bd. sg 
pag. 157 mul Ergebnisse der inneren Medi/m l‘>"s t p.,-. p.y 

H Pie Eirnia Knüll & C<>. tu tilgt das sc l-e unter Ccm u!gerat;/teil 
Namen ..Pigipiiranim" in kleinen Tti'un in Ceti H.tn.u’. 

') Vergl. \. Fraenkel: Ergebnisse Cer :r:u'en Mc.b/ai und 
Kinderheilkunde, Bd. 1. 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1775 


und die recht zahlreich vertretenen „Digitalisangstmeier“. 
Diese Furcht vor Digitalem Laienkreisen hat ihre Wurzeln 
zum Teil in den Anschauungen jener Aerzte, die die Qefahren 
einer Digitalismeidikation überschätzen, weil sie id i e Kumu¬ 
lation nicht durch richtige Dosierung zu ver¬ 
meiden wissen. Es ist auch in medizinischen Kreisen der 
Glaube verbreitet, man könnte durch Digitalis ein gesundes 
Herz schädigen, ein krankes, aber kompensiertes Herz zur De¬ 
kompensation bringen. A. Fraenkel wird in einer im Druck 
befindlichen Arbeit zeigen, dass ein gesunder Kreislauf auf 
wirksame Digitalisdosen überhaupt nicht reagiert. Anderer¬ 
seits ist nicht einzusehen, warum einem kompensierten kranken 
Herzen ein Mittel schaden sollte, das die Herzkraft verbessert 
In logischem Widerspruch zu dieser Digitalisangst steht die 
Sorglosigkeit, mit der Kohlensäurebäder bei gut kompensierten 
Herzen mit grosser Vorliebe verabreicht werden. Eine ener¬ 
gische Badekur ist sicher ein: viel differenteres Verfahren, als 
eint: vorsichtige, bei ruhigem Verhalten des Patienten durch¬ 
geführte Digitaliswirkung. Tatsächlich^ sahen wir bei An¬ 
wendung von Digitalis mit relativer Indikation nur Nutzen, 
niemals Schaden, während wir wiederholt Gelegenheit hatten, 
Fälle zu sehen, wo starke und häufige COa-Bäder Schaden 
angestiftet haben. 

Das Digipuratum wurde von allen Patienten gerne ge¬ 
nommen. Die Tablettenform ermöglicht es, dass das Präparat 
geschluckt wird, ohne dass der bittere Geschmack belästigt. 

Nach längerem Prüfen sind wir zu einer Dosierung ge¬ 
kommen, die die richtige sein dürfte, da sie es ermöglicht, 
schon innerhalb der ersten 24 Stunden deutliche Digitalis- 
wirkung zu erzielen, ohne dass Magendarmstörungen auf- 
treten. Dass bei der Dosierung die Individualität und das 
Alter des betreffenden Patienten berücksichtigt werden muss, 
ist eine selbstverständliche Forderung. Die von uns als richtig 
erkannte Dosis ist: am ersten und zweiten Tage je 4 Tabletten 
zu 0,1 g, am dritten und vierten je 3 Tabletten, von da ab je 
2 Tabletten pro die. 

Als Paradigma führen wir eine Tabelle an: 

Frau F., 56 Jahre, Nephritis chronica, Herz nach rechts und 
links dilatiert, systolisches Geräusch, 2. Aortenton akzentuiert. 
Starke Oedeme, Leberschwellung. 


Datum 

Puls 

Getränke 

Diurese 

Ordination 

Blut¬ 

druck 

26. V. 

80 

1250 

1450 

4 X 0,1 g 
Digipuratum 

290:180 

27. „ 

64 

1300 

2300 

4 X 0,1 g 
Digipuratum 

— 

28. . 

68 

1100 

1500 

3 x 0,1 g 
Digipuratum 

290:190 

29. n 

76 

1160 

1550 

3 x 0,1 g 
Digipuratum 

— 

30. , 

72 

1440 

1750 

2 X 0,1 g 
Digipuratum 

— 

31. „ 

72 

1500 

1550 

2 X 0,1 g 
Digipuratum 

— 

1. VI. 

64 

1090 

800 




Da w'ir fortlaufende Blutdruckmessungen unter den be¬ 
sonderen Verhältnissen am Kurort nicht vornehmen konnten, 
wurden für uns von befreundeter Seite solche Bestimmungen 
durchgeführt. Herr Dr. G. S c h w a r t z, Direktor und Inter¬ 
nist des Büngerspitals in Colmar, hat die grosse Liebenswürdig¬ 
keit gehabt, uns eine Tabelle zur Verfügung zu stellen, die wir 
hier wiedergeben wollen. 

Frl. M., 45 Jahre, Mitral- und Aorteninsuffizienz. Sehr irregulärer 
und inäqualer Puls, starke Oedeme und Aszites. Nachts kein Schlaf, 
Dyspnoe. (Siehe nebenstehende Tabelle.) 

Weitere Erörterungen über die Wirkung des Digipuratum 
an der Hand dieser Tabellen anzustellen, dürfte w r ohl über¬ 
flüssig sein. Die Wirkung ist bei allen Indikationen deutlich 
zahlenmässig ausgedrückt, die Diurese steigt, die Pulsfrequenz 
sinkt, die Amplitude wächst. 

Die Wirkung an Fällen mit relativer Indikation lässt sich 
zahlenmässig aus begreiflichen Gründen nicht so klarstellen. 
Auch hier haben wir mit der gewöhnlichen Dosierung schon 
in den ersten 24 Stunden oder wenigstens kurz danach deut¬ 


Da¬ 

tum 

Puls 

a. m. p.m. 

Blutdruck 
(ccm H 2 O) 

Ampli¬ 

tude 

Ge¬ 

tränke 

Diu¬ 

rese 

Ge¬ 

wicht 

Ordin. 

14. VII. 

80 

80 

192:108 

84 

1000 

1850 

54 kg 

_ 

15. „ 

76 

76 

180:90 

90 

950 

1950 

4 x 0,1 
Digipur. 

16. „ 

80 

76 

182:90 

92 

1000 

2400 


4 x o,r 

17. * 

52 

52 

182: 100 

82 

900 

1900 


3 X 0,1 

18. „ 

52 

48 

160:88 

72 

850 

2000 

52 kg 

3 X 0,1 

19. „ 

44 

44 

170:86 

84 

850 

1800 

2 X 0,1 

20. „ 

44 | 

44 

176:90 

86 

900 

1650 


2 X 0,1 

21- „ 

52 ' 

52 

170:84 

86 

900 

1700 


2 X 0,1 

22. „ 


40 

170:86 

84 

850 

1350 


1 X 0,1 

23. . 

44 

48 

186:90 

96 

900 

1200 

49 kg 

1 X 0,1 


liche Digitaliswirkung erzielt. Unangenehme Wirkungen auf 
Magen und Darm sind in letzter Zeit, als wir schon die richtige 
Dosierung erkannt hatten, nicht mehr vorgekommen. Das 
Mittel wurde gern genommen; wir haben es nie wegen 
schlechter Bekömmlichkeit nach den ersten Dosen aussetzen 
müssen. Die oben angegebene Dosierung ist natürlich nicht 
als eine Regel aufzufassen, von der man nicht abweichen darf, 
wir haben sehr oft nur am ersten Tag 0,4 g gegeben, am 
zweiten schon 0,3. Dies alles hängt ab von der Schwere der 
Fälle und der Art, wie der Patient auf die erste Tagesdosis 
reagiert. Wir haben bei Patienten, die wir ambulant be¬ 
handelten, sehr oft nur 0,3 g am ersten Tag, von da ab nur 
0,2 g gegeben, andere haben überhaupt 0,2 g pro die nie über¬ 
schritten. 

Die mit dem Digipuratum erzielten Erfolge berechtigen 
uns zu folgenden Schlussätzen: 

1 . Es kommt dem Extractum digitalis depuratum eine zu¬ 
verlässige und prompte therapeutische Wirksamkeit zu. 

2 . Die Wirkung auf Puls (Qualität und Frequenz), 
Diurese etc. tritt relativ rasch ein. Mit 0,4 g Digipuratum 
erreicht man in 24 Stunden Wirkung, mit 0,3 g kann man irr 
den folgenden 2 Tagen die Wirkung erhalten, mit 0,2 g, noch 
einige Tage weiter gegeben, eine vollständige Digitalisierung 
erreichen. 

3. Das Extractum digitalis depuratum scheint den 
Magen weit weniger zu stören, als eine in Be¬ 
zug auf den therapeutischen Erfolg gleich 
energische Kur mit Digitalisblättern. In 
unseren Fällen: traten nennenswerte Nebenerscheinungen von 
Seiten des Magens nicht auf. 

4. Es gelingt mit dem gereinigten Extrakt leichter als mit 
den inkonstant zusammengesetzten Digitalisblättern energische 
Digitaliskuren durchzuführen, ohne dass sich Intoxikations¬ 
erscheinungen durch Kumulation geltend machen. Solche 
energische und rasche Digitaliskuren sind der Prüfstein für ein 
gutes Digitalispräparat. 

Nach unseren Erfahrungen: kann gesagt werden, dass das 
Extractum digitalis depuratum alles leistet, was man von einem 
guten Digitalispräparat verlangen kann. 


Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Leipzig. 

Notiz Ober Kondurangorinde und Kawarwurzel. 

Von R. B o e h m. 

Die Kondurangorinde kam im Jahre 1871 mit dem Rufe 
eines Heilmittels gegen Krebs aus Ecuador in Südamerika nach 
Europa. Wenn sie auch als Krebsmittel bis heute keine durch¬ 
schlagenden Erfolge aufzuweisen hat, konnte sie doch, be¬ 
sonders als Stomachikum, ihren Platz im Arzneischatze be¬ 
haupten und ist auch seit 1882 im deutschen Arzneibuche 
offizinell. Welchem ihrer Bestandteile sie ihre Heilwirkung 
verdankt, ist bis auf den heutigen Tag ungewiss; sie enthält 
ein stickstofffreies Glykosid (Kondurangin), das von V u 1 p i u s 
1872 zuerst isoliert, später von J u k n a und französischen 
Autoren weiter untersucht, auf seine Heilwirkung aber nie¬ 
mals geprüft w orden ist. 

Neuerdings sind in meinem Laboratorium eingehendere 
Untersuchungen über die Chemie der Kondurangorinde aus¬ 
geführt worden, deren Resultate demnächst anderen Ortes 
publiziert werden. Es ergab sich unter anderem, dass das 
reine Kondurangin ein Derivat der Zimtsäure ist und dass die 


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1776 


MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Rinde abgesehen von unwirksamen, nur in chemischer Hin¬ 
sicht interessanten Stoffen erhebliche Mengen (bis zu 0,3 Proz.) 
eines ätherischen Oels enthält, das wahrscheinlich einen An¬ 
teil an der Wirkung der Droge hat. 

All dies würde die Mitteilung an dieser Stelle kaum recht- 
fertigen, wenn nicht ein meiner Meinung nach interessantes 
Zusammentreffen hinzukäme. 

Durch Vermittlung des Leiters der öffentlichen Auskunfts¬ 
stelle für Auswanderer in Dresden, Herrn Hans Klo es sei 
erhielt ich vor einiger Zeit etwa 2 Kilo einer Wurzel (K a w a r- 
w u r z e 1), die aus T ransvaal (Afrika) von einem Missionär 
als Heilmittel gegen Krebs nach Deutschland geschickt wurde. 
Die botanische Zentralstelle für die Kolonien in Dahlem bei 
Berlin konnte zwar die Spezies der betreffenden Pflanze nicht 
bestimmen, wohl aber sicher feststellen, dass letztere der 
Familie der Asklepiadazeen angehört. 

Da auch die Stammpflanze der Kondurangorinde (Mars- 
denia Condurango) eine Asklepiadazee ist, gewann der Gegen¬ 
stand für mich Interesse und es ist daher die genauere che¬ 
mische Untersuchung auch dieser Droge im hiesigen pharma¬ 
kologischen Institut ausgeführt worden. Im wesentlichen er¬ 
gaben sich dabei Bestandteile, die mit denen der Kondurango¬ 
rinde die grösste Achnlichkeit haben. Ausser reichlichen 
Mengen eines Glykosides (Kawarin), das dem Kondurangin 
nahe verwandt ist und wie dieses die Eigentümlichkeit auf¬ 
weist, dass seine klare wässerige Lösung durch Erhitzen stark 
getrübt wird, fanden sich auch in der Kawarwurzcl beträcht¬ 
liche Mengen eines ätherischen Oeles, dem sehr intensiven und 
nicht unangenehmen Geruch nach gleichfalls dem Kondurango- 
öl sehr ähnlich. 

Ich kann über die therapeutische Brauchbarkeit der ! 
Kawarwurzel als Krebsmittel ebensowenig ein Urteil abgeben ' 
w ie darüber, ob die Kondurangorinde in dieser Beziehung eine i 
Bedeutung hat. ' 

Die Tatsache aber, dass in zwei Weltteilen zwei vege- ' 
tabilische Drogen, aus der gleichen Pflanzenfamilie ab- i 
stammend, als Volksmittel gegen die gleiche Krankheit ge¬ 
braucht werden und dass die chemische Zusammensetzung 
dieser beiden Drogen eine weitgehende Uebereinstimmung ; 
aufweist, erscheint mir beachtenswert. Dass es sich in letzter 
Hinsicht nicht bloss um eine mehr oder weniger selbstverständ¬ 
liche Familienähnlichkeit handelt, geht daraus hervor, dass es 1 
auch Asklepiadazcendrogen gibt, die die hier in Betracht 
kommenden Bestandteile nicht enthalten. 

Die Heilkunde verdankt viele wirksame Arzneimittel der ' 
naiven Beobachtung von Naturmenschen. Es ist immer noch 
die Möglichkeit zu erwägen, dass wir vielleicht Koudurango 
noch nicht in der richtigen Weise anzuwenden verstehen 
und auf alle Fälle erscheint mir der Gegenstand der Beachtung 
von Seite der ärztlichen Praxis wert. 


Zur Verbesserung der Tuberkulinbehandlung. 

Von Dr. F. Jessen in Davos. 

Eine in No. 25 dieser Wochenschrift erschienene Arbeit ' 
von Leber und Stein harter über diagnostische Imp- 1 
fungsversuchc mit einem fettfreien Tuberkulin gibt mir Yer- j 
anlassung zu berichten, dass ich seit 2 Jahren mit einem 
unter anderem fettfreien Tuberkulin therapeutisch | 
arbeite und damit bessere Resultate als mit den gewöhnlich 1 
gebrauchten Tuberkulinen erzielt habe. j 

Die Veranlassung zu meinem Vorgehen gab mir eine Arbeit 
von Amand-Dclillc 1 ), der experimentell nachwies, dass 1 
unter den Toxinen des Tuberkelbazillus eines (Aetherextrakt) , 
verkäsend, ein anderes (Chloroformextrakt) skferosierend 
wirkt. Es musste wichtig erscheinen, namentlich das erste 
aus den als Heilmittel zu benutzenden Präparaten zu entfernen ■ 
Im Verlauf meiner Beobachtungen bin ich aber dazu ge- ‘ 
kommen, die in Chloroform löslichen Gifte auch zu eliminieren. ' 
Ich nehme daher die in Höchst hergestellte tuberkelbazillenfreie 
Bouillon T. O. A. und extrahiere sie zuerst mit Aether und dann 
mit Chloroform. Die erhaltene Restflüssigkeit wird dann mit 
einer 20 P roz. Glyzerin- und 0.5 Proz. Karbolsäure haltigen 

l ) Arclr. de Med. exper. \W2. 


Nn. 34. 


physiologischen Kochsalzlösung auf das gewünschte Mass ver¬ 
dünnt. Eine auf diese Weise behandelte Tubcrkelbaziljen- 
bouillon ist auch völlig fett- und wachsfrei. Es scheint nun, 
als ob damit aus dem Tuberkulin ein grosser Teil unangenehm 
wirkender Substanzen entfernt ist. 

L e b c r und S t e i n h a r t e r (I. c.) berichten denn mich, 
dass sie beim Gebrauch entfetteten Tube rhulrns bei der Pir¬ 
quet scheu Impfung bessere Resultate gesehen haben, als 
beim gewöhnlichen Tuberkulm. 

Auch V a u g h a n und W h e e 1 e r *) steifen fest, dass sie 
mit von ihnen hergestellten Güten, die nach Alkoholiaüung mit 
Aether extrahiert waren, bei nicht zu vorgesdir.tteneti Fallen 
bessere Resultate als mit irgend einer anderen Form von 
Tuberkulin erhalten haben, während ihre Präparate bei vor¬ 
geschrittenen Fällen ausschliesslich sdiad gei d wirkten, we:l 
dann aus der grossen Menge der vorhandenen Ba/uleu Ze : I- 
gift iti gefahrbringender Weise erzeugt wird. 

Abgesehen von der oben beschriebenen Verbesserung des 
Präparates halte ich aber auch eine Acnderurg m der Meth de 
der Anwendung für wichtig. 

Aufrecht ’) hat bereits vor .Iahten Abfieberurg schwe¬ 
rer Tuberkulosefalle bei Anw endtmg kleinster Dosen be¬ 
schrieben, die er allerdings noch steigend benutzte. Ferner 
hat Philippi mir mündlich mitgetei!; und spater aut e.ner 
Schw eizer AerzteVersammlung in eimni \oft r ..g beruhtet, dass 
er mit allerkleinsten I uberkiihndosen o h n e Steiger u u g 
auJi bei schweren Fällen Dunstiges erreicht habe. Nor allem 
aber waren es die Arbeiten von W right und seinen Schülern 
11 her ihre opsonischen Studien, die meine Aufmerksamkeit auf 
den (iebrauch kleinster I tosen in grossen Zw i s c h e n - 
r ä u m e n, wie sie w eder A u f r e c h t tu», h P h i I i p p i nu.e- 
hielten, lenkten. 

Nach den W r i g h t sehen Arbeiten muss es als 1 k sonders 
wichtig erscheinen, dass man mit der folgenden Inkktion nicht 
in die „negative Phase“ der vorhergehenden haienialit. Das 
kann man auch ohne die theoretisch fmdist widrige. prak¬ 
tisch ott schwierig durchführbare Besinnung des opsonischen 
Index machen, wenn man klinisch genau arbeitet, auf die Wir¬ 
kungen des Tuberkulins achtet und grmidsut/l;Ji grosse 
Pausen zwischen den einzelnen Int, kimnen madit. 

Man muss sich darüber klar sein, dass mau mit dem 
I uberkulin nicht bakterizid wirken kann, sondern mir reizend, 
reizend auf die Ausstossung kranker Jede, reizend auf d.e 
Antitoxinbilduug, reizend auf die B.lJurg sklerosiereitder Pro¬ 
zesse. 

Man darf nicht vergessen, dass das Mittel nicht he.lt, son¬ 
dern nur den Organismus zur Heilung nuregt. 

Daher kommt es. dass einzelne nicht besonders schwere 
Fälle keinen Nutzen haben, weil eben der Körper auf den Reiz 
nicht antwortet. Natura sanat. medicus curat. Andererseits 
können oft s c h w e rc F ä 1 I e. die nach dem üblichen Sdiema- 
tismus sich für eine Tubcrkulinbehur.d'tmg nicht eignen, m der 
richtigen Weise behandelt, glänzende Resultate erz.elui. 

Mit meinem entfetteten resp. voi einer Reihe verkäsend 
und entzündend wirkender Stoffe lufreiten Tuberkulin und der 
Methode, eine je nach dem Falle \ariieiende kleutMe Dose 
■ "" ""Ü; ccm durchschnittlich) in grossen Zwischen- 
r ,i n m e n (um S lagen his zu 4 W (»dien sdiw arkend und nur 
in seltenen Fällen auf 5 Tage fallend) n h ne S t e i g e r u n g 
zu hrmitzen, habe ich n i e m als ein e n S c h a den g e - 
s e h e n. 

Bedingung ist auch Iniektinn in den Rioken, da man dort 
keine der höchst überflüssigen und nicht g'eij gub gen ..la-kal- 
reaktionen“ an der Iniektiousstefle b« kommt. 

Auftreten von sog. ..l’eberempfmdbJikeit“ hübe idi rieht 
beobachtet. 

Genaue Untersuchung vor jeder neiiui IrRkta-t: is* p,e- 
dingimg. Erst nach völlig abgelauferein Reize darf d.e r.uie 
Injektion erfolgen. 

Die Resultate sind so. dass leichte Falle, v - s :t mi all¬ 
gemeinen für T uberkulin als geeignet betrnditit v. eden. a’'e 
sehr gut absclmeiden: mittelschwere Falle, wie sie im all¬ 
gemeinen nicht mehr mit Tuberkulin bdia; dd: Werder., er- 

*) Nun. Arbop. Midi, lui'7. 

: ‘) Pathologie und Therapie der Liie.e'is J:v ui \ ^ | 


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25 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1777 


reiohen oftmals ganz hervorragende Besserung, ja volle Hei¬ 
lung. 

Terminale Phthisiker eignen sich nicht. 

Es gibt aber auch vorgeschrittenere Kranke, die nichts er¬ 
reichen, weil eben ihr Körper auf den neuen Reiz nicht zu 
reagieren vermag; diese Fälle erreichen aber auch mit anderen 
Methoden nichts. 

Alle die unangenehmen Nebenerscheinungen, wie 
sie so oft bei Tuberkulingebrauch gesehen werden, traten 
nicht auf. 

Krankengeschichten anzuführen unterlasse ich absichtlich. 

Die Petruschkysche Etappenbehandlung behält ihren 
grundsätzlichen Wert auch für dies Verfahren. 


Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu Frank¬ 
furt a. M. (Direktor: Qeh. Ober-Med.-Rat. Prof. Paul Ehrlich). 

Phagozytosestudien. 

Von Dr. H. Bechhold, Mitglied des Instituts. 

Durch die Arbeiten von Denys und Leclef, von 
\V right und seinen Schülern, von N e u f e 1 d usw. ist be¬ 
kannt, dass Leukozyten erst durch die Gegenwart von Serum 
zur Phagozytose von Staphylokokken befähigt werden und 
dass d-ie Intensität der Phagozytose einerseits abhängig ist von 
der Virulenz der Bakterien, andererseits von gewissen Eigen¬ 
schaften des Serums, die in engem Zusammenhang mit denen 
stehen, welche die Immunität bedingen. Es war nun meine 
Absicht, zu prüfen, welchen Einfluss einige einfache 
chemische Eingriffe auf die Phagozytose haben, ins¬ 
besondere durch solche Substanzen, welche auch normaler¬ 
weise im Organismus Vorkommen; ferner wollte ich 
prüfen, inwiefern 1 die allgemeinen kolloiden 
Eigenschaften des Serums eine Rolle bei der 
Phagozytose spielen, ob sich das Serum durch andere 
Kolloide ersetzen lässt*). 

N e i s s e r und G u e r r i n i J ) haben bereits unter An¬ 
wendung einer vollkommen neuen Methodik gezeigt, dass es 
Stoffe, Stimulantien, gibt, die, an sich Gifte, in minimalen 
Dosen die Phagozyten zu erhöhter Tätigkeit anregen. Es war 
somit von besonderem Interesse, in der oben von mir er¬ 
wähnten Richtung Versuche vorzunehmen. 

Leukozytenbrei gewann ich in der üblichen Weise durch 
Injektion von Aleuronemulsion in die Pleura von Kaninchen. 
Meist wurden 2 Tropfen einer Leukozytenaufschwemmung 
mit 2 Tropfen einer dichten Aufschwemmung von Staphylo¬ 
kokken (Agarkultur, auf ein Röhrchen % ccm physiologische 
Kochsalzlösung) in physiologischer Kochsalzlösung versetzt, 
die verschiedenen anderen Substanzen zugesetzt und gut durch¬ 
geschüttelt. Jedes Röhrchen enthielt schliesslich gleiches Vo¬ 
lumen, nämlich 8 Tropfen Flüssigkeit. Ausser lebenden Bak¬ 
terien kamen auch solche zur Untersuchung, die durch ein- 
stündiges Kochen abgetötet waren. Als Serum oder Blut 
wurde stets das Serum bezw. Blut des Kaninchens verwandt, 
aus dem die Leukozyten gewonnen waren. Die Mischung 
blieb eine Stunde im Brutschrank. — Die Ausstrichpräparate 
wurden an der Luft getrocknet, 2 Minuten in Methyl¬ 
alkohol fixiert und 5 Minuten in Mansonblau gefärbt. 
Die Untersuchung erfolgte bei elektrischem Glühlicht, 
wobei die Kerne blau, die Bakterien violett erscheinen, auch 
das Protoplasma der Leukozyten, besonders die Ränder sind 


•) Während der Niederschrift dieser Arbeit sind zwei Studien von 
Hamburger und Hekma (Biochemische Zeitschr. IX, 275—306 
u. 512—521) erschienen, in denen die Einwirkung chemischer Agentien 
auf die Phagozytose untersucht wird. Ziel und Versuchsanordnung 
sind wesentlich verschiedene. Hamburger und Hekma phago- 
zytieren Kohlepartikelchen, offenbar, um die reine Einwirkung ihrer 
Agentien auf die Phagozyten kennen zu lernen. Während nun 
Staphylokokken in serumfreier Aufschwemmung nicht 
phagozytiert werden, weicht die Phagozytose von Kohle- 
partikelchen in serumhaltiger Aufschwemmung nicht wesent¬ 
lich von der in serumfreier ab (Hamburger und Hekma: Bio- 
chem. Zeitschr. VII, 102—116). Auf diese interessante Tatsache sei 
hiermit aufmerksam gemacht. 

*) Opsonine und Leukostimulantien (Arbeiten aus dem Kgl. In¬ 
stitut f. exper. Therapie zu Frankfurt a. M., H. 4). 

No. 34. 


angedeutet; bei Gegenwart von roten Blutkörperchen er¬ 
scheinen diese schwach grün. 

Von einer Zählung der phagozytierten Bakterien habe ich 
abgesehen und nur grobe Unterschiede verzeichnet: 

0 bedeutet keine oder nur ganz vereinzelte Bakterien im 
Protoplasma. 

X bedeutet wenige Bakterien im Protoplasma. 

XX bedeutet ziemlich viele Bakterien im Protoplasma, doch be¬ 
stehen noch Zwischenräume zwischen den Bakterien. 

XXX bedeutet, das Protoplasma ist dicht mit Bakterien voll¬ 
gepfropft. 

1 . Einfluss von NaOH auf die Phagozytose. 

Die Mischung bestand aus 2 Tropfen Leukozyten- und 2 Tropfen 
Staphylokokkenemulsion, ferner 2 Tropfen physiologischer Kochsalz¬ 
lösung mit verschiedenem NaOH-Gehalt! Im folgenden bedeutet z. B. 
NaOH dass das Gesamtvolumen der Mischung einen Gehalt von 
4 /»oo normal NaOH hatte. Schliesslich enthielt die Mischung noch 
2 Tropfen Serum oder Vollblut oder physiologische Kochsalzlösung 
und es waren die verschiedenen erforderlichen Kontrollen angestellt: 


NaOH 

in physiol. NaCl 

in Serum 

in Vollblut 

n/100 

0 (Leukozyten 
zerstört) 

0 (Leukozyten 
stark verändert) 

0 (rote Blutkörper¬ 
chen zieml. erhalten, 
Leukozyten etw. ge¬ 
quollen 

n/200 

0 (Leukozyten 
zerstört) 

0 (Leukozyten 
teilw. verändert 

XX 

n/400 

0 (Leukozyten 
verändert) 

u. gequollen) 

XX 

n/800 

0 (Leukozyten 
verändert) 

XX 

XXX 

0 

0 

XXX 

XXX 


Resultat: NaOH hebt die Phagozytose auf, aber erst 
dann, wenn die Leukozyten sichtbar verändert sind. Die zer¬ 
störende Wirkung des NaOH wird bedeutend vermindert durch 
die Gegenwart von Serum, noch mehr durch die von Vollblut; 
offenbar binden 1 Serum und rote Blutkörperchen das NaOH. s ) 
Eine Hemmung tritt im Serum bereits bei Zusatz von n/800 
NaOH, in Vollblut bei Zusatz von n/400 NaOH ein. 

2 . Einfluss von Milchsäure auf die Phago¬ 
zytose. 


Unter den Säuren wählte ich Milchsäure mit Rücksicht darauf, 
dass diese im normalen Organismus am ehesten ihren Einfluss geltend 
machen kann. Die Bedingungen waren die gleichen wie bei 1. 


Milch¬ 

säure 

in physiol. NaCl 

in Serum 

in Vollblut 

n/40 

0 (Leukozyten 
zerstört) 

0 (Leukozyten 
geschrumpft) 

0 (rote Blutkörper¬ 
chen wenig ver¬ 
ändert) 

XX 

n/100 

dto. 

XX bis ( XXX!, (dto.) 

n/200 

0 

XXX 

n/400 

0 

XXX (dto.) 

XXX 

n/800 

0 

XXX (dto.) 

XXX 

0 

0 

XXX 

XXX 


Resultat: Wir sehen, dass relativ grosse Mengen 
Milchsäure (bei Vollblut n/100) die Phagozytose nicht erheblich 
beeinflussen, und dass selbst eine sichtbare Veränderung der 
Leukozyten (vergl. die Reihe mit Serum) durch Milchsäure 
die Phagozytose nicht hindert. 

3. Einfluss von Kohlensäure und Leuchtgas 
(Kohlenoxyd) auf die Phagozytose. 

Zu der üblichen Mischung von Leukozyten und Staphylokokken 
wurde Serum, bezw. Vollblut, bezw. rote Blutkörperchenemulsion n ) 
gefügt. 


*) Trotz der verschiedenen Versuchsanordnung stimmen diese 
Ergebnisse gut mit den beziigl. Resultaten von Hamburger und 
Hekma (1. c.), soweit diese in serumhaltiger Aufschwemmung ar¬ 
beiteten. 

3 ) Eine Emulsion von roten Blutkörperchen in physiologischer 
Kochsalzlösung in gleicher Dichte, wie im Vollblut. Die roten Blut¬ 
körperchen waren durch wiederholtes Zentrifugieren und Waschen 
mit physiologischer Kochsalzlösung von Serum befreit. 

2 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1778 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


In sämtliche Mischungsbestandteile war je nachdem 15 Minuten 
lang Kohlensäure bezw. Leuchtgas (Kohlenoxyd) eingeleitet worden. 
Sofort nach der Mischung wurden die Röhrchen teilweise mit Paraffin, 
liquid, überdeckt, um event. Einfluss von Luftsauerstoff auszuschliessen. 

physiologische Kochsalzlösung . .0 

physiologische Kochsalzlösung -f- CO*.0 

Serum..XXX 

Serum + CO*.XXX 

Serum 4 - COa mit Paraffin überdeckt.XXX 

Vollblut..XXX 

Vollblut 4- COa.XXX 

Vollblut + UO« mit Paraffin überdeckt.XXX 

Blutkörperchen .0 

Blutkörperchen -f- CO* ..0 

Serum -{- CO (Leuchtgas). XXX 

Vollblut 4- CO (Leuchtgas) . ..XXX 

Blutkörperchen -f- CO.. 0 


Resultat: Die Sauerstoffzufuhr, sei es ohne, 
sei es in Gegenwart von roten Blutkörperchen, spielt für die 
Phagozytose keine Rolle; ebensowenig hat Sättigung mit 
Kohlensäure irgend einen Einfluss, ja selbst Leucht¬ 
gas (Kohlenoxyd) behindert die Phagozytose nicht. 


4. Gibt es andere Kolloide, die Serum bei der 
Phagozytose zu ersetzen vermögen? 

Je 2 Tropfen Leukozytenemulsion wurden mit den verschiedenerf 
Zusätzen versehen. Die Zahlen bezeichnen die Zahl der Tropfen. 
Staphylo- physiol. 

kokken NaCl 


2 tot 2 Gelatine 2 proz. 

2 

2 lebend 2 

n 

2 

2 tot 2 

n 

2 

2 lebend 2 

* 

2 

2 tot 2 

19 

2 

2 lebend 2 


2 

2 t"t 4 Wittepepton 10 proz. 

0 

2 tot 3 

n 

1 

2 tot 2 

n 

2 

2 tot 1 


3 

2 lebend 4 

19 

0 

2 lebend 3 

19 

1 

2 lebend 2 

19 

2 

2 lebend 1 

19 

3 

2 lebend 2 


2 

2 tot 2 

19 

2 

2 lebend 2 


2 

2 tot 2 


2 

2 tot 4 Dextrin 10 proz. 

ü 

2 tot 1 

19 

3 

2 lebend 4 

19 

0 

2 lebend 1 

19 

3 

2 tot 4 

Hämoglobin 5 proz. 

(1 

2 tot 1 


3 

2 lebend 4 

n 

0 

2 lebend 1 


3 

2 tot 4 

frisches Eierweiss 

0 

2 tot 1 


3 

2 lebend 4 

v 

0 

2 lebend 1 


3 

2 tot 4 lvsalbins. Na 10 proz. 

0 

2 tot 1 

m 

3 

2 lebend 4 

n 

1) 

2 lebend 1 


3 

2 tot 4 

Pepsin 5 proz. 

0 

2 tot 1 


3 

2 lebend 4 


0 

2 lebend 1 


3 

2 tot 2 


2 

2 lebend 2 


2 

2 tot 2 

n 

2 

2 lebend 2 

n 

2 

2 tot 4 

Pankreatin 1 proz. 

0 

2 tot 1 

n 

3 

2 lebend 4 


0 

2 lebend 1 


3 

2 tot 2 

Pankreatin 1 proz. 

2 

2 lebend 2 


2 

2 tot 2 


2 

2 lebend 2 

19 

2 


0 

0 bis X 

NaOH n/100 0 

. 0 

Milchsäure n/50 0 bis XXX 

, * 0 , XX 

0 „ x 

0 , X 

0 
0 

XX bis 0 
XX „ 0 
0 
0 

NaOH n/100 X 

* X bis 0 
Milchsäure n/50 XXX „ 0 

„ XX , 0 

0 
0 
(I 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
II 
0 
0 
0 
0 
I) 

0 

(I 

0 

0 

NaOH n/100 OU 
. 0 / ) 

Milchsäure n 50 XX bis 0l* M 
* XX bis 0j ' 

01 

0(***\ 

0 ’ 

Oj 

NaOH n/100 0 

* 0 

Milchsäure n/50 0bisXXXI .. 
w 0bisXXX/ T) 


*) Es kommen zuweilen ganz vereinzelte Phagozytosen vor. 

**) Teils sehr starke Phagozytose, einzelne gar nicht. 

***) Pankreatin greift in höheren Konzentrationen besonders die 
Leukozyten, daneben aber auch die Bakterien an. 

t) Bakterien stark agglutiniert. Einzelne Leukozyten haben sehr 
stark, andere gar nicht phagozytiert. 


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Resultate: Aus den Versuchen geht hervor, dass sich 
Serum auch durch einzelne andere kolloide Stoffe ersetzen 
lässt, dass aber keiner der untersuchten Stoffe Serum in seiner 
Wirkung erreicht. Die kolloide Natur allein spielt 
keine Rolle, denn während das dem Serum am nächsten 
stehende Eierweiss gar keine Phagozytose bewirkt, hat das be¬ 
reits stark abgebaute Wittepepton eine bemerkbare Wir¬ 
kung 4 ); das diesem nahestehende lysalbinsaure Natron ist hin¬ 
gegen wirkungslos. Ein wesentlicher Unterschied zwischen 
toten und lebenden Bakterien konnte bei diesen 
Versuchen nicht konstatiert werden. Höchst auffallend hin¬ 
gegen ist der Einfluss der Milchsäure: teils steigert 
sie die Phagozytose, teils bewirkt sie Phagozytose, wo sonst 
keine eingetreten war, während NaOH ziemlich wirkungslos 
ist. Bemerkenswert ist auch, dass die beiden eiweissspalten¬ 
den Enzyme Pepsin und Pankreatin bei Gegenwart von Milch¬ 
säure stimulierend wirken. 

Ich beabsichtige, die Versuche auch mit anderen Bakterien 
fortzusetzen. 

Die stimulierende Wirkung der Milchsäure auf die Phago¬ 
zytose regt naturgemäss zu Betrachtungen über ihre Rolle im 
normalen und infizierten Organismus an, Man kann an ihren 
Einfluss im arbeitenden Muskel (Sport) und an den neuerdings 
so sehr in Aufnahme gekommenen* Genuss von Sauermilch, 
Yoghurt (Mayaferment) etc. denken, zumal nach Hambur¬ 
ger 8 ) auch das Kalziumion, welches mit Milch stets in reichem 
Masse eingeführt wird, das phagozytäre Vermögen steigert. 
Versuche in dieser Richtung sind im Gang. 


Aus dem physiologischen Universitätsinstitut in Heidelberg 
(Vorstand: Geh. Rat Prof. Dr. Kossel). 

Die Beziehungen der Zyklosen zum tierischen 
Organismus.*) 

Von Dr. Franz Rosenberger, ehern. Vol.-Ass. am 
Institut, jetzt Spezialarzt für Stoffwechsel- und. Verdauungs¬ 
krankheiten in München. 

M. H.! Reich an Entdeckungen in der Chemie, ist die 
Mitte des vorigen Jahrhunderts auch die Zeit der Dar¬ 
stellung jener Körper, deren Beziehungen zum tierischen Orga¬ 
nismus den Gegenstand meines heutigen Vortrages bildet. 

1850 stellte Scherer bei seinen Versuchen, den Auf¬ 
bau des Eiweisses zu ermitteln, aus Rindermuskeln eine Sub¬ 
stanz dar, die er wegen ihres Geschmackes und ihrer Zu¬ 
sammensetzung aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff 
für einen echten Zucker hielt, und zu deren Nachweis es ihm 
gelang, kurz darauf eine sehr charakteristische Reaktion zu 
finden; er nannte sie Inosit. Die Tragweite der Entdeckung 
eines Zuckers in den Muskeln, der dann auch bald in anderen 
Organen des tierischen und menschlichen Körpers gefunden 
wurde, der, wie V o h 1 beobachtete, abwechselnd mit anderen 
Zuckern beim Diabetes mellitus in grossen Mengen im Harn 
auftreten kann, erregte berechtigtes Aufsehen und in der Folge 
erschienen recht zahlreiche Arbeiten, die teils das Studium 
des Vorkommens und der Ausscheidung des Inosits beim Men¬ 
schen sich zur einzigen Aufgabe setzten, teils den Ringzucker 
mit in den Bereich anderer Untersuchungen zogen. 

Unabhängig von Scherer fand V o h 1 1856 in jungen 
Schnittbohnen den Phaseomanit, den er selbst alsbald für iden¬ 
tisch mit dem Inosit erkannte. Es war also wieder einmal 
eine Tieren und Pflanzen gemeinsame Substanz entdeckt. Das 
Jahrzehnt 1850/60 ging noch unter Auffindung einer weiteren 
Zyklose, des Szyllit, in den Muskeln und der Leber von Quer¬ 
mäulern durch S t ä d e 1 e r und Frerichs zu Ende. 

Die Substanzen waren gefunden, die chemischen Vorstel¬ 
lungen vom Aufbau der Moleküle aber waren damals andere 
als heute und da sie der Formel C n H t nO n entsprachen und süss 
schmeckten, galten die Zyklosen als Zucker schlechthin, der 
Inosit hiess der Muskelzucker und dieser Name blieb ihm noch 


*) Nach Neisser und Guerrini (1. c.) gehört Wittepepton 
in einer Verdünnung von 1:160 000 wieder zu den Leukostimulantia. 
a ) 1. c. 

*) Vortrag, gehalten in der medizinischen Abteilung des natur¬ 
historisch-medizinischen Vereins zu Heidelberg. 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 
















25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1779 


einige Zeit' zäh anklebend und Verwirrung stiftend, als ein 
Ereignis eintrat, welches die Erforschung der Ringzucker in 
den Hintergrund drängte. 

Neue grosse Entdeckungen weisen der Wissenschaft neue 
Wege und besonders dann, wenn dieselben bequemer sind als 
die alten, werden diese gerne verlassen. Es war ein un¬ 
geheurer Fortschritt der Wissenschaft, als Meissner 
1860/62 einen echten, gärfähigen, reduzierenden Zucker aus der 
Muskelsubstanz darstellte. In den folgenden Jahren war die 
Verwirrung gross, was Muskelzucker heissen solle und was 
nicht, der Inosit oder der von Meissner gefundene Zucker, 
so verweist Kühne in seinem Lehrbuch unter dem Stichwort 
„Inosit“ auf Zitate aus Ranke, die sich entschieden nicht auf 
den Inosit, sondern auf den Meissner sehen Zucker be¬ 
ziehen. Dann liess die Zahl der Arbeiten, die sich mit dem 
Ringzucker beschäftigten, rasch in dem Masse nach, als sich 
aas Interesse mehr und mehr der Meissner sehen Ent¬ 
deckung mit ihren weiten Ausblicken zuwandte. 

Immerhin wäre die Zyklose nicht derart von der Tages¬ 
ordnung der medizinischen Laboratorien verschwunden, wenn 
nicht ein weiterer Fortschritt der Wissenschaft den praktischen 
Wert ihres Studiums noch mehr herabgedrückt hätte. Diesen 
Schritt hat Maquercne getan, als er 1886 in einer klassischen 
Arbeit den Inosit als das erkannte, was er ist, als einen Körper 
der Formel: Ca Hi* Oe mit ringförmig geschlossener Kette. Nun 
war eine tiefe Schlucht gezogen zwischen dem Inosit und den 
anderen Zuckern; er geriet fast in Vergessenheit und in Frank¬ 
reich waren es nur noch M e i 116 r e und Camus, die sich 
mit ihm beschäftigten, während in Deutschland Johannes M ü 1 - 
1 e r in Rostock unter offenbar grossen persönlichen Opfern den 
entsagungsvollen Weg analytischer Forschung auf diesem Ge¬ 
biet weiterschritt. 

Persönlich wurde ich zur Bearbeitung der Inositfrage 
durch Beobachtungen bei der Untersuchung diabetischer Harne 
veranlasst und wenn ich mir erlaube, Ihnen heute einiges dar¬ 
über vorzutragen, so geschieht es, weil ich dabei einer Tat¬ 
sache begegnete, die, wie ich hoffe, auch für den Mediziner 
Wert besitzen dürfte. 

Der Inosit wurde in der Natur sowohl — und das ist die 
grössere Menge — frei gefunden, als auch an Tyrosin und 
Amidophenol gebunden. Es kam im Tier- wie im Pflanzen¬ 
reich nur optisch inaktiver Inosit zur Beobachtung und erst 
T a n r e t hat 1907 in der Mistel razemischen Inosit gefunden. 
Zur Tierwelt hat er als Bestandteil der meisten Nahrungsmittel 
Beziehungen. Sehr viele, vielleicht alle Nahrungsmittel aus 
dem Pflanzenreich enthalten Inosit; das Fleisch, das zur Zu¬ 
bereitung in der Küche vom Metzger bezogen wird, enthält 
meist solchen. 

Dieser per os in den Nahrungsmitteln genossene Ring¬ 
zucker wird nun in grossen Mengen verarbeitet, denn auf 
sehr reichliche Zufuhr von Pflanzenteilen, die sehr reich daran 
sind, lässt sich im Urin keiner nachweisen. Der reine Ring¬ 
zucker erzeugt sehr leicht Durchfälle und führt zu alimentärer 
Inosurie, die wie die alimentäre Ausscheidung anderer Zucker 
sich verhält. 

Es ist nun noch eine offene Frage, ob es eine physiologische 
Inosurie gibt oder nicht. Külz leugnet ihr Vorkommen beim 
Kaninchen', ich kann dieser Ansicht mich anschliessen. Rinder 
scheiden nach Dähnhardt und C I o e 11 a Inosit im Harn 
aus. Bei grossen Raubtieren: Löwen, Jaguaren, Tigern, ver¬ 
misste G a 11 o i s den Ringzucker im Urin, während ich ihn 
in dem von Hunden bei gemischter Ernährung fand. Bezüg¬ 
lich des Vorkommens von Inosit im Harn des Menschen sind 
die Meinungen noch sehr geteilt; Hoppe-Seyler hält ihn 
für einen physiologischen Bestandteil und persönlich habe ich 
ihn irr sehr geringen Mengen im Urin Gesunder bei gewöhn¬ 
licher Nahrung ebenfalls gefunden. Auch in pathologischen 
Zuständen ist der Nachweis des Inosit im Harn bei der jeweils 
gleichen Krankheit nicht immer gelungen. Diejenigen Krank¬ 
heiten, bei denen er öfter, also mit einer gewissen Vorliebe ge¬ 
funden wurde, sind: Diabetes mellitus und insipidus, gewisse 
Gehirnkrankheiten und Albuminurie ganz allgemein genommen. 
Die Inosurie bei Diabetes insipidus führte S t r a u s s zum Ver¬ 
such, durch übertriebene Wasserzufuhr Inositausscheidung im 
Urin zu erwirken, was ihm auch gelang. Külz gibt an, es 


müssten über das Bedürfnis 6 Liter Flüssigkeit, einerlei ob mit 
oder ohne Alkohol, Zucker oder dergleichen, einverleibt wer¬ 
den, um Inosurie zu erzwingen. Dass diese Wassermengen für 
den Organismus nicht gleichgültig sein können, mithin ihn, 
und zwar zum mindesten die Nieren schädigen, wenn auch nur 
vorübergehend, liegt auf der Hand. Wie weit die Schädigung 
der Nieren allein bei der die Albuminurie begleitenden Inosurie 
in Frage kommt, lässt sich nicht sagen. 

Sehr wichtig aber scheinen mir die lang übergangenen 
Beziehungen der Inosurie zum Diabetes mellitus zu sein. Es 
gibt zunächst Fälle von Diabetes mellitus, die mit einer nicht 
alimentären, leichten, das Mass des vielleicht physiologischen 
überschreitenden Inosurie einhergehen. Zufuhr von Inosit 
per os steigert erst bei solchen Kranken die schon bestehende 
Inositausscheidung nicht und bei grossen Gaben nur um so¬ 
viel, als bei Verabfolgung der gleichen Menge an Gesunde 
Inosit ausgeschieden würde, ein Gegenstück zum Verhalten 
der Pentosuriker. Im allgemeinen sind die Diabetiker über¬ 
haupt gegen Inosit so tolerant, wie die Gesunden. Es sind 
nun aber in der Literatur zwei Fälle, der eine von V o h 1, der 
andere von G a 11 o i s verzeichnet, in denen der Ringzucker 
in grossen Mengen zunächst neben dem aliphatischen im Harn 
auftritt, um nach dessen Verschwinden allein zu bleiben und 
sogar, wie-Vohl sehr genau beobachtete, zuzunehmen. In 
diesem ausführlicher beschriebenen Falle erreichte nach dem 
Abklingen der aliphatischen Zuckerausscheidung die Menge 
des Ringzuckers bis zu 20 g am Tag, gleichzeitig soll auch der 
Harnstoff abgenommen habeh, was sich bei den knappen An¬ 
gaben vielleicht durch eine Zunahme der Harnwassermenge 
erklärt. 

Meine Herren! Der Inosit hat an jedem seiner C-Atome 
die Gruppe H-(O-H). Man könnte fast versucht sein, zu 
glauben, dass auf bestimmte Reize im Gehirn in der Gegend 
des IV. Ventrikels der Organismus es sich besonders an¬ 
gelegen sein Hesse, diese Gruppierung der Atome wie im 
Wasser, aus dem Körper zu entfernen. Zunächst sprechen für 
diese Anschauung Versuche, die G a 11 o i s anstellte und bei 
denen kein Geringerer als Claude-Bernard Hand an¬ 
legte: es gelingt durch die Piqüre Hydrurie, Glykosurie und 
Inosurie hervorzurufen: allerdings nicht gleichzeitig, sondern 
zuerst wird der Inosit ausgeschieden, dann der Traubenzucker, 
sodann, wenn dieser wieder verschwunden ist, wieder Inosit 
in steigender aber nicht sehr bedeutender Menge. Dieser 
Versuch des französischen Forschers wurde über 40 Jahre 
später von seinen Landsleuten M e i 11 e r e und Camus be¬ 
stätigt. Die klinische Erfahrung gibt in der Richtung einen 
Hinweis dadurch, dass M o s 1 e r und S c h u 11 z e n nach einer 
Verletzung, beziehungsweise bei Karzinom des IV. Ventrikels 
Inosurie mit Polyurie feststellten. Nur der Fund Meissners 
und vielleicht die politischen Stürme jener Tage lassen es ver¬ 
stehen, dass die Entdeckung G a 11 o i s’ so vollständig bis in 
die neueste Zeit in Vergessenheit geriet. Die fleissigen und 
sorgfältigen Untersuchungen Neukomm s, Cloettas, 
Valentiners über den Gehalt des tierischen Organismus 
und einzelner Organe an Inosit nach verschiedenen Krank¬ 
heiten sind, weil nach einer unrichtigen Methode angestellt, 
zurzeit nicht mehr stichhaltig. Was die tierischen Organe ganz 
allgemein angeht, so wurde in jenen Tagen, die der Veröffent¬ 
lichung Scherers von seiner Entdeckung folgten, so ziem¬ 
lich in allen damals untersuchten Inosit gefunden, nur über das 
Blut herrschte Meinungsverschiedenheit, doch war die An¬ 
gabe Marmes, es sei darin Ringzucker enthalten, schon aus 
rein technischen Gründen höchst unwahrscheinlich. Ich möchte 
aber doch nicht verfehlen, auf die Tatsache hinzuweisen, dass 
Neukomm in der Leber eines Zuckerkranken den Inosit 
nicht, in den Nieren aber sehr reichUch fand, weil dies wieder 
ein Fingerzeig für Beziehungen des aliphatischen zum zyk¬ 
lischen Stoffwechsel ist. 

Der alten Methode, wie sie ausführlich Cloetta angiht: 
Extraktion der feinzerteilten Organe mit Wasser haften alle 
Fehler derartiger Extraktionsverfahren an und schon 
Bödecker kam der Verdacht, ob nicht der Inosit erst 
während der Verarbeitung entstünde; Cooper-Lane zer¬ 
streute aber dieses Bedenken, indem er einfach dieselbe Me¬ 
thode wieder anwendete und natürlich auch Inosit fand. 

2 * 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



MUfiNCHfiNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. M. 


1780 


Persönlich habe ich die alte Methode bei einer Serie von 
drei Kaninchen verwendet, die ich gleichzeitig verarbeitete 
und dabei nicht nur geringe Mengen Inosit gefunden, sondern 
auch ihre Nachteile kennen gelernt. Damals plante ich, den 
Zyklosegehalt tierischer Körper unter verschiedenen Bedin¬ 
gungen zu vergleichen, weshalb ich mir ein Verfahren aus¬ 
arbeitete, welches gestatten sollte, quantitativ zu arbeiten. 

Dieses baut sich auf zwei Eigenschaften der Ringzucker 
auf, von denen sie die eine: die Widerstandsfähigkeit gegen 
Alkali mit dem Glykogen teilen, während, sic sich von ihm 
gerade durch die andere: die Widerstandsfähigkeit gegen 
Säuren, unterscheiden. Im übrigen benützte ich die altge¬ 
bräuchlichen Fällungsmittel. 

Als ich nun diese Methode zum ersten Male auf Kaninchen 
anwendete, fand ich in diesen Tieren nicht die kleinste Menge 
Inosit: zwei Kaninchen waren auf einmal unmittelbar nach der 
Tötung in Kalilauge gelöst worden. Die Schuld an diesem 
Misserfolg konnte das Verfahren nicht treffen, denn es war 
mit ihm gelungen, noch in 5 g Ochsenfleisch Inosit nachzu¬ 
weisen; mit der Extraktionsmethode hatten sich aber die 
Kaninchen inosithaltig erwiesen. Nun war das verarbeitete 
Ochsenfleisch aus der Küche des akademischen Krankenhauses 
bezogen, es handelte sich also um „abgehängtes“ d. h. solches 
Fleisch, das schon mehrere Tage seit der Schlachtung in ver¬ 
schieden temperierten. Räumen aufbewahrt gewesen war. Die 
naheliegende Vermutung, dass die Ringzucker sich erst nach 
dem Tode bilden, Hess sich leicht begründen: Rindermuskeln 
erwiesen sich unmittelbar nach der Schlachtung als frei von 
Ringzucker, ihr Gehalt an solchem, beuteilt nach der Stärke 
der Reaktion, nahm im Laufe der Tage zu, je länger man sie 
unter Chloroformzusatz der Autolyse Im Brutschrank iiber- 
liess. Nach weiteren Untersuchungen sind die Organe er¬ 
wachsener Kaninchen und wahrscheinlich auch der Rinder 
zwar frei von fertiger Zyklose, enthalten aber dafür 
eine Muttersubstanz oder Muttersubstanzen desselben, aus 
denen sich solche bei Ausschluss der Fäulnis nach dem 
Tode bildet,und die ich als Inositogen kurz bezeichnen 
möchte. Ebenso verhält sich die Milch, auch habe ich Inosi¬ 
togen in tuberkulösem Abszesseiter gefunden. 

Eine Ausnahmestellung nimmt das Keimgewebe ein: die 
menschliche Nachgeburt und Nabelschnur enthalten schon im 
6 . Fötalmonat (jüngere konnte ich nicht untersuchen) nicht 
bloss Inositogen, sondern auch fertigen Inosit. O f f c r - 
g e 1 d hat den Ringzucker in der Plazenta eines angeblich 
sechsmonatlichen Fötes gefunden; die Mutter desselben hielt 
sich für im 4. Monat schwanger. O f f e r g e 1 d ging bei der 
Zeitbestimmung von den Massen der Frucht aus, kann sich 
also getäuscht haben, weil die Mutter zuckerkrank war und 
die Kinder derartiger Frauen oft überentwickelt sind. 

Kaninchenföten, die ich in der Mitte der Tragzeit der 
Gebärmutter entnahm und noch zappelnd ohne die Nach¬ 
geburten in kochendes Wasser warf, wurden mit positivem Er¬ 
folg auf präformierten Ringzucker untersucht. Sogar die 
unbefruchteten Hühnereier haben sich im frischen Zustand als 
inosithaltig erwiesen. 

Wir stehen hier wieder einer Analogie zwischen Tieren 
und Pflanzen gegenüber: Pflanzen und Pflanzenteile sind in 
ihren Entwicklungsstadien besonders inositreich, wenn aber 
die Zeit der Reife, die Zeit der Stärke- und Zellulosebildung 
kommt, werden sie inositarm. 

Ueber die Natur des Inositogens kann ich mich gar nicht 
äussern. In den grünen Pflanzen haben W i n t e r n i t z und 
Posternak einen phosphorhaltigen Reservestoff entdeckt, 
der beim Erhitzen mit Säure im geschlossenen Rohr seinen 
Kohlenstoff als Inosit abgibt; dieser Körper, der Ihnen aus 
der Reklame gewiss wohl bekannt ist, ist das vielleicht mit 
der von Kossel gefundenen Plasminsäure identische Phytin. 
Nun kann man deshalb nicht recht glauben, dass die Mutter¬ 
substanz des tierischen Inositcs ein Reservestoti ist, weil auch 
durch Hunger getötete Tiere noch sehr wohl imstande sind, 
bei der Autolyse Inosit zu bilden. Vielleicht sind es jene Stoffe, 
aus denen der schwerkranke diabetische Organismus Zucker 
v-winnt? 


Danilewski ist es gelungen, durch verzögerte Pan¬ 
kreasverdauung aus tierischen Eiweisskörpern ein Molekül zu 
isolieren, welches aus Tyrosin, Amidopheno! und Inosit zu¬ 
sammengesetzt ist. Johannes Müller hat diese Entdeckung 
bestätigt. Unter den Muttersubstanzen des Tyrophenosits 
nennt nun Danilewski auch das Bluifibrm. Wie schon 
erwähnt, ist das Blut bisher stets inositirei gefunden worden. 
Da genaue Angaben fehlten, ob zu diesen Versuchen fibrin- 
haltiges Blut verwendet wurde, habe ich mehrfach grossere 
Mengen undefibrinierten Blutes auf Inosit verarbeitet und 
zwar jedesmal ohne Erfolg. Das Blut ist frei von Inosit und 
Inositogen, zerstört aber im Brutschrank den eigens zuge- 
setzten Ringzucker nicht, vielmehr findet man ihn stets wieder. 
Die Zukunft w ird lehren, wie die Entdeckung bamlew s k i s 
zu erklären ist; vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade das 
Pankreasferment zur Entstehung des T> rophei.osits iuhrt. 

Meine Herren! Täglich nehmen MensJi und Tier Inosit 
zu sich; die Frage ist nun schwer zu beantworten, wie sie ihn 
verwerten. Zur Not kann man sich bei Zufuhr per os \ or- 
stellen, dass die Darmbakterieu ihn verändern, aber auch der 
intravenös einverleibte Ringzucker wird muh (iiacosa zum 
grossen Teil nicht als solcher ausgeschieden. Auf Grund 
seiner Versuche hält nun Külz den Inosit nicht für einen 
(ilykogenbildner. Eine gewisse Erklärung des Schicksals 
kleiner Mengen im Körper können Versuche von Johannes 
Müller geben, der nach Digestion von Nebennierenbrei mit 
Inosit eine Vermehrung des Adrenalins emtreten sah; dem¬ 
selben Forscher gelang aber auch die Aufspaltung des Rmg- 
zuckers in Glykolaldehyd, auch gibt er an, iur die Annahme 
eines Ueberganges der Zyklose m Pentosen und Glykuron- 
säure Anhaltspunkte gewonnen zu haben. Sei dem aber wie 
immer, der Organismus, besonders auch der des Zucker¬ 
kranken zieht Nutzen aus dem genossenen Rirg/ucker. Ais 
einzige direkte Wirkung auf ein Organ ist bisher nur die von 
Sachs beobachtete günstige Beeinflussung des Herzens von 
Kaltblütern und wie mir der Verfasser noch persönlich mit¬ 
teilte, wahrscheinlich auch der Warmblüter durch luosit- 
zusatz zu R i n g e r scher Losung bei künstlicher Durch¬ 
strömung zu erwähnen. 

Was die Stellung des Inositcs zum Glyk' gen arluegt. so 
gehen die Forschungen auf diesem Gebiet wohl mit den bio¬ 
logischen und medizinischen Hand in ILmd. d.e Reiht der Miss¬ 
erfolge habe ich durch missglückte Versuche, jodierte Pheta le 
aus Zellulose und Arrow root herzustellen, um neue bereichert. 

Meine Herren! Ein Körper, den Naunyn s< gar in 
Echinokokkuszysten fand, von dem eine Art, der Sz\ht m den 
Organen von Seetieren (Plagiostomen und Heringen) sich 
findet, der weitverbreitet, fertig oder in einer Vorstufe im 
Tier- und Pflanzenreich vorkommt und dessen. vielk.Jit auf 
Aldehydkondensation beruhende Svntln.se sogar einem so 
torpiden Gewebe, wie es das Nackenhand des Rindes ist, ge¬ 
lingt; ein Körper, den das keimende Gewebe mit Vorliebe zu 
enthalten scheint, durfte meines EraJitens mehr biologisches 
Interesse verdienen, als ihm bisher entgegergebracht wurde. 

Klinisch aber scheint mir der Inosit, besonders mit Rück¬ 
sicht auf seine Beziehungen zum Diabetes mellitus und msi- 
pidus, Bedeutung zu besitzen. Es kommt noch gelegentlich 
vor, dass Kranke mit schlechtem Allgemeinbefinden und fort¬ 
schreitender Abmagerung zum Arzt gehen, ohne dass sich eine 
sichere Diagnose stellen hesse; vielleicht wird die Unter¬ 
suchung auf Inosurie dann und wann hier LiJit in die Suche 
bringen. 

In den letzten Jahren ist es Mode geworden. \ oii ..embryo¬ 
nalem (iew ehe“. „Rückkehr zum embryonalen Zustand“ und 
dergleichen, in der Pathologie zu spreJun. Es durfte s:Ji zur 
Beantwortung der diesbezüglichen Eragut mogli Jierw eise 
lohnen, solche Gebilde, wie z. B. K rebsges chw :i !ste auf fertigen 
Ringzucker zu untersuchen, denn seine Anwevenbut in frischem 
derartigen Untersuchun.gsmatenal spräche zu gnnsteil der An¬ 
nahme von dessen embryonaler Eigenschaft. 


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Original frnm 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1781 


Ueber Gesichts- und Schädelasymmetrien und ihr Ver¬ 
hältnis zum Caput obstipum*). 

Von Prof. A. Peters in Rostock. 

Wenn man genau auf die Lage der beiden Orbitae achtet, 
so wird man zahlreichen Fällen begegnen, wo die eine Orbita 
in toto tiefer gerückt erscheint. Das spezielle Interesse der 
Ophthalmologen nehmen diese Fälle nur insofern in Anspruch, 
als auch dort, wo die Asymmetrie bis zur Entstellung deutlich 
ausgesprochen ist, niemals Störungen des gemeinschaftlichen 
Sehaktes beider Augen Vorkommen, weil sich schon früh eine 
nach allen Richtungen hin sich betätigende Sehrichtungs¬ 
gemeinschaft ausbildet und wie Wi 1 b rand und Saenger 1 ) 
bemerken, durch die Schädelasymmetrie gelegentlich eine 
Ptosis vorgetäuscht wird, weil auf der Seite, wo die Augen¬ 
brauen höher stehen, ein Plus an Lidhaut vorhanden ist. 

Man wird in solchen Fällen, wo die Asymmetrie bezüglich 
der Lage der Orbita vorliegt, nur selten anderweitige Asym¬ 
metrien des Gesichtes und des Schädels vermissen, und es ist 
besonders der Tiefstand des gleichseitigen Ohres, der am 
meisten auffällt. Gesellt sich nun noch ein leichtes Abweichen 
der Spitze des Kinnes in seitlicher Richtung und ein Tiefer¬ 
stehen des einen Nasenflügels hinzu, so vervollständigt sich 
das Bild der sogen. Schädelskoliose, welche oft nur undeut¬ 
lich ausgeprägt ist, aber dann ein ganz besonders charak¬ 
teristisches Bild abgibt, wenn sich zu den vorgenannten Er¬ 
scheinungen noch die hinzugesellt, dass die eine Gesichtshälfte 
etwas weniger voluminös ist. 

In der entwickeltsten Form pflegt man diesem Bilde zu 
begegnen-, wenn gleichzeitig ein Caput obstipum vorliegt. 
Diese sogen, sekundäre Schädelskoliose hat zahlreiche Er¬ 
klärungen gefunden, welche alle darauf basieren, dass dem 
Caput obstipum eine ursächliche Rolle zugeschrieben wird. So 
suchte Stromeyer 2 ) den Grund in einer mangelhaften 
Respirationstätigkeit der erkrankten Seite, während D i e f f e n- 
bach einen Zug des Sternokleidomastoideus annahm. Weiter¬ 
hin wurden von verschiedenen Autoren Beweise beigebracht 
für die Theorie von B o u v i e r, der in einer schlechteren Er¬ 
nährung der kranken Seite durch Kompression oder mangel¬ 
hafte Entwicklung der grossen Gefässe die Ursache der Dif- 
formität erblickte, wofür auch die G u d d e n sehen Experi¬ 
mente sprachen, welche eine partielle Schädelatrophie nach 
Unterbindung der einen Karotis erzielten. Witzei fand 
dagegen gleiche Gefässlumina und nahm eine Störung des 
Muskelgleichgewichtes an, welche bewirken soll, dass die 
konvexe Seite stärker gespannt und der Schädel gegen die 
Wirbelsäule gedrückt wird, woraus ein geringeres Breiten¬ 
wachstum resultiert. Nach N i c o 1 a d o n i spielt auch die 
Last des Schädels eine Rolle, indem auf der kranken Seite 
die Epiphysenfugen des Os basilare gedrückt werden, und die 
andere Seite besser wächst. H o f f a dagegen führt die Dif- 
formität auf den Druck zurück, den die Uterus- und Becken¬ 
wand auf den Fötus austibt. 

Lediglich diese letztere Erklärung ist es, die man auf die 
ohne Caput obstipum einhergehenden Fälle von Schädelskoliose 
anwenden könnte; man kann sich vorstellen, dass die runde 
Form der Uteruswand 'bei gleichzeitiger Enge des Uterus und 
bei geringer Fruchtwassermenge einen Einfluss auf die Gestalt 
des Schädels im Sinne einer solchen Skoliose haben kann, aber 
diese Erklärung gilt kaum für diejenigen Fälle, in welchen 
diese Asymmetrien des Gesichtes und des Schädels erblich auf- 
tretera, wofür ich zwei charakteristische Beispiele beizubringen 
in der Lage bin. 

In der einen Familie ist bei der Mutter und einer ihrer Schwe¬ 
stern, besonders bei letzterer, ein Tiefstand der rechten Orbita 
und eine Abflachung der entsprechenden Qesichtshälfte zu konsta¬ 
tieren. Nun findet sich bei 5 Kindern von 7, und zwar bei 5 Töch¬ 
tern, die Asymmetrie in ganz charakteristischer Weise ausgeprägt 
und eine hat einen geringen Grad von Caput obstipum derselben 
Seite. Am meisten fällt der Tiefstand der einen Orbita und des 
einen Ohres auf; ebenso die Asymmetrie im Bereiche der Nasen¬ 
flügel, was an Photographien sehr gut demonstriert werden konnte. 


*) Nach einem auf der Versammlung des Allg. mecklenb. Aerzte- 
vereins in Schwerin am 12. Juni 1908 gehaltenen Vortrage. 

*) Neurologie des Auges, Bd. I, S. 91. 

*) Hoffa: Lehrbuch der orthopäd. Chirurgie, IV. Aufl., S. 210 ff. 


In einer zweiten Familie, deren Ahnentafel ich beifüge, bandelt 
es sich um eine ausgesprochene Schädelskoliose mit Schiefstand des 
Kinnes, welche in 4 Generationen beobachtet wurde. Die be¬ 
treffenden Angaben, welche durch Familienphotographien gewonnen 
wurden oder an Lebenden zu sehen sind, verdanke ich einem meiner 
Schüler, der die genannte Anomalie in sehr ausgesprochener Weise 
zur Schau trägt. 

C. Q. R. cT : 073 

_ D.R. 9 _ 

Ch.It.cf 1 A.Kcf J.B^9 M.IL 9 0.119 

4' 4- 4- 

L.R. 9 LR 9 C.S.d" _ 

Ii.it ö* Chtd” 9 W.Ro" AMS. 9 K&9 W.s.cf E.S.9 wlcf H.S.o" H.S.cT 

O-Rd" _ 

M.E. 9 K E. 9 A.E.d* 

Wir sehen also, dass diese ohne Caput obstipum einher¬ 
gehende Asymmetrie des Schädels und des Gesichtes aus¬ 
gesprochen erblich auftreten kann. Damit würde diese Ano¬ 
malie in gleicher Weise zu erklären sein, wie die Rechts- und 
Linkshändigkeit, die nach Merkel 8 ) in einer ursprünglich 
besseren Organisation hier der linken und dort der rechten 
Hemisphäre des Grosshirns begründet ist, welche erst in den 
Kinderjahren zur Geltung kommt und als einziges sicheres 
ursächliches Moment die Erblichkeit erkennen lässt. Be¬ 
werten wir diese in unseren Fällen nach Gebühr, so wird man 
einer Einwirkung der Wachstumsverhältnise, speziell einem 
abnormen Muskelzug eine geringere Bedeutung zuerkennen, 
als der fehlerhaften Anlage im Keimplasma, welche sich auf 
Knochen und Muskeln in gleicher Weise erstrecken kann, wie 
z. B. die angeborenen Fazialisdefekte lehren. Man könnte 
höchstens noch darin denken, dass eine vererbbare Kleinheit 
des Uterus oder ein familiär auftretender Fruchtwassermangel 
die Ursache der Asymmetrien sei, eine Annahme, die jedoch 
von vorneherein auf viele Schwierigkeiten stösst, weil auf 
diesem Gebiete noch nicht das geringste Tatsachenmaterial 
vorliegt. 

Angesichts dieser Erwägungen wird man sich die Frage 
vorlegen müssen, ob denn wirklich die Einwirkung des Caput 
obstipum auf die Entstehung der Schädelskoliose für alle Fälle 
als bewiesen anzunehmen ist, besonders wenn man sich die 
Tatsache vergegenwärtigt, dass auch die Anomalien des 
Sternokleidomastoideus, welche bei Caput obstipum gefunden 
werden, vererbbar sind und es sich hier ebenfalls für die 
Mehrzahl der Fälle um eine kongenitale Aplasie des Muskels 
in Form fibröser Stränge handelt. Man. wird durch diese Tat¬ 
sachen doch wohl genötigt, an der ursächlichen Bedeutung 
des Caput obstipum für alle Fälle von Schädelskoliose zu 
zweifeln und anzunehmen, dass es sich hier auch um ein gleich¬ 
zeitiges Vorkommen vererbbarer, d. h. auf fehlerhafter Keimes¬ 
anlage beruhender Anomalien- handeln kann. Es würde sich 
bei dieser Auffassung keineswegs um eine einzig dastehende 
Tatsache handeln. Vielmehr liegt eine sehr bemerkenswerte 
Analogie vor in der kongenitalen Ptosis und anderen korv- 
genitalen Beweglichkeitsdefekten der Augen, welche isoliert 
Vorkommen oder sich mit anderweitigen Muskeldefekten im 
Bereiche des Gesichtes kombinieren können. Hier handelt es 
sich ebenfalls um kongenitale Aplasien, welche z. B. statt der 
Augenmuskeln fibröse Stränge erzeugen, wie sie auch als Ur¬ 
sache des Caput obstipum gefunden werden oder aber es sind 
Defekte in der Gesichtsmuskulatur vorhanden, die sich mit 
Knochendefekten kombinieren. Und da derartige Störungen, 
besonders die kongenitale Ptosis ausgesprochen erblich auf¬ 
treten, so ist die Analogie eine ziemlich vollständige. Es ist 
dann auch der „Zufall“ erklärt, dass unter den 5 Schwestern 
der einen Familie, welche mit deutlicher Gesichtsasymmetrie 
behaftet sind, sich eine befindet, welche ein deutliches Caput 
obstipum hat. Für diese Auffassung spricht auch die Tatsache, 


8 ) Ergebnisse der Anatomie u. Entwicklungsgeschichte, XIII. Bd., 

1903. 

4 ) Joachimsthal; Handbuch der orthopäd. Chirurgie, 
Bd. I, 2. Abt., S. 426. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1782 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


dass das Caput obstipum mit anderweitigen vererbbaren Miss¬ 
bildungen zusammen vorkommt [Syndaktylie etc] s ). Auf der 
Basis der Erblichkeitsverhältnisse ist schon manches erklärt 
worden, was bisher nur schwer oder gar nicht zu erklären war. 
Wenn wir auch noch weit davon entfernt sind, dem Ver¬ 
erbungsgeheimnis auf die Spur zu kommen, so hat doch die 
neu gewonnene Erkenntnis das Oute, dass man zur Erforschung 
mancher Anomalien nicht mehr Hypothesen heranzuziehen 
braucht, die hinter den Tatsachen der Vererbbarkeit an Be¬ 
deutung weit zurückstehen müssen. 

Auf der anderen Seite wäre es sicherlich zu weit ge¬ 
gangen, wenn man alle Fälle von Schädelskoliose bei Caput 
obstipum auf die angegebene Weise erklären wollte. Hass 
hier ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, geht schon daraus 
hervor, dass die Schädel- und Gesichtsasymmetrien nach 
operativer Behandlung des Caput obstipum sich erheblich 
bessern können®). Aufgabe zukünftiger Forschung muss es 
daher sein, auf beide Möglichkeiten der Entstehung jener 
Asymmetrien zu achten. 

Anmerkung während der Korrektur: Die inzwischen 
erschienene Arbeit von Liebreich, welcher die (iesichts- 
asymmetrien auf die Einwirkung des Lterusdruckes bei Schadeilagen 
zurückführt, konnte nicht mehr berücksichtigt werden. (Wiesbaden. 
J. E. Bergmann, 1908.) 


Epidemiologische Beobachtungen bei Typhus abdominalis 
und Paratyphus B. in der Pfalz während der Jahre 
1903 — 1906 .*) 

Von Dr. Otto Mayer, Oberarzt im k. b. 14. Inf.-Rcg. 

Im Juli 1903 wurde die kgl. bakteriologische Unter¬ 
suchungsstation Landau der Reihe jener Stationen eingefügt, 
welche im,Südwesten des Reiches nach einem von Robert 
Koch entworfenen Plane die Aufgabe haben, den daselbst 
stark verbreiteten Unterleibstyphus zu bekämpfen. 

Während einer 3K jährigen Tätigkeit an der Aussenstation 
Kaiserslautern, einer Zweigstation von Landau, hatte ich Ge¬ 
legenheit, von der Gründung der Station bis zum Juni 1907 eine 
Anzahl epidemiologischer Beobachtungen über Typhus abdomi¬ 
nalis zu machen, welche sämtlich geeignet sind, als Beispiele 
im Sinne der Koch sehen Anschauung verwendet zu werden, 
nämlich: dass der Typhus abdominalis ausser durch infiziertes 
Trinkwasser durch direkten oder indirekten Kontakt bezw. 
durch Infektion von Nahrungs- und Genussmitteln von einem 
Typhusbazillen ausscheidenden Menschen aus verbreitet wird. 
Auch einzelne Beobachtungen über Paratyphus B sind im 
folgenden mit aufgenommen wegen der Gleichartigkeit der 
Uebertragungsweise des Krankheitserregers. 

Das Krankheitsbild des Typhus abdominalis pflegt in 
endemisch befallenen Gegenden sehr zu wechseln. Wir 
konnten auch in der Pfalz die diesbezüglich bereits früher ge¬ 
machten Erfahrungen *) bestätigen. Man konnte Uebergänge 
vom Bilde des schweren Typhus mit echter Typliusbakteriämie 
bis herab zur einfachen Angina mit 3 tägigen Durchfällen be¬ 
obachten. Sehr häufig entpuppte sich ein ambulanter akuter 
Magenkatarrh, eine Bronchitis oder Bronchopneumonie mit 
Durchfällen, eine Grippe, eine als tuberkulöse Zcrebrospinal- 
meningitis angesehene Erkrankung als Typhus. Eine selten 
beobachtete Erscheinung boten 2 Brüder, Knaben im Alter 
zwischen 12 und 16 Jahren. Der behandelnde Arzt gab an, er 
habe bei denselben gegen Anfang der 3. Krankheitswochc die 
Roseolen sich in Bläschen mit trüb serösem Inhalt umwandeln 
sehen. Gegen Ende der 3. Krankheitswoche entwickelten sich 
aus den Bläschen kleine Abszesse über Brust und Bauch, in 
deren Eiter nur Typhusbazillen nachgewiesen werden konnten. 
Hier trat der Typhusbazillus also als Eitererreger auf. Ausser 
Kranken kommen bekanntlich auch Gesunde als Ansteckungs¬ 
quellen bei Typhus abdominalis in Betracht und man kann so¬ 
mit unterscheiden Infektionen, ausgehend: 

:> ) s. J oachimsthal: I. c. S. *42(>. 

®) s. Joachim sthal: 1. c. S. 472. 

"') Nach einem Vorträge in der Münchener militiiriirztlictien Oe- 
sellschaft am 19. Dezember 1907. 

’) v. D r i g a I s k i: lieber Ergebnisse bei der Bekämpfung des 
Typhus nach Robert Kot h. Zentralbl. f. Baku Origin. '19(B. S. 792. 


1. von Schwerkranken. 

2. von Leichtkranken inklusive solcher, welche so leicht 
erkrankt sind, dass deren Erkrankung unter gew ohi.hchen \er- 
hältnissen nicht in ärztliche Behandlung kommt. 

3. von Typhusgesunden also echten Typhusträgern mit 
vorübergehender Ausscheidung, 

4. von Dauerausscheidern, meist muh l’cbcrMchen einer 
mehr oder minder schweren Erkrankung (einmal von uns 110 J 1 
23 Jahre nach l’eberstehen des Typhus beobachtet). Unter 
den Dauerausscheidern finden sieh sow<hl solche. weLhe mit 
jedem Stuhlgang Typhnsbazillen aussJieiden. a!s aiuh soLhe. 
welche nur periodisch ausschciden. 

Lunge Beispiele mögen die vielt.uh \ ei Sc hhmgi.TR u Wege. ai:i 
welchen der Typhus sich vmn Menschen aus i>>rtpn.m/t. /ur An¬ 
schauung bringen. Als bemei kensu ei tes Beispiel mu: Nahrue.gs- 
mittelmiektinn von Schw erkranken aus kann eine Mildu pidmmc in 
der Stadt K. im Oktober dienen. Ls wurden damals g cuh/citig 

aus 2 in ganz entgegengesetzter Richtung liegenden Madüvikn 
melnere T\phnstalle gemeldet. Dieselben waren teilweise si in 
schwerer Natur. Die ersten Lai io betraten Kinder. Arbeiter tm.l 
Dienstmädchen. Aus den ausgegebenen Zählkarten war atitt.i g. 
dass der Milehbe/ug m icJem Stadtteile aui ein bestimmtes Nahrtmgs- 
miltelgeschaft hinwies. 1 he Kontrolle in den beiden Vutigereh. ’U n 
ergab, dass unter anderen aiuh \ u einem I rnst Lh. aus dmn be¬ 
nachbarten Dorfe Ka. Milch gLict- rt v urde. Aus dem Maime des- 
sellien war ein Typhuslai) gemeldet. k!i begab muh sop.rt m d.e 
Ortsehait Ka. und iand m dem Hause des Lu. 4 Beis.neii an schwe¬ 
rem Typhus krank, nur ihm a!Vn muh gesui.d. I r übte d c R’u ge 
bei den Kranken aus und besorgte das Melken bei 2 k hen Du 
Desinfektlonstnassregeln waren damals 2 Mmia’c muh uris-me 
Ankunft - noch nullt so durehgetncrt wie letzt. die '"i.Ji wurde 
in K. in den beiden (iesehafteii mit anderer vermengt u. 1 es er¬ 
krankten iene. welche damit zu hantieren gehabt oder dav n m 
rohem Zustand genossen hatten, mmiiuh I »lenstm.ouhem A rbv.u r mul 
Kinder, m dem einen Nahrimgsmittebgc schall .null der Besitze*' se ! st. 
Spater erkrankten als Kontakte em/eine 1 Mcrt^fticrrs,. hatten. I" 
ganzen belief sich du* Epidemie auf 2a l alle durch Nah: imgMintti I- 
intektion und du durch Kontakt. 

Auf andere Kontaktketten. Welche von schweren l .: eti .um¬ 
gingen, soll nicht naher angegangen werden, da sie indUs Neues 
bieten. Nur kamt Erwähnung finden, wie mJi der 1 \ phus m den 
kleineren .Arbeiterhausern auf dem lande farptan/t I s ertv.m.leti 
sehr oft in den durehsclmittlu h zw ei/mmu r igen AA . d.mmgcn a V 
14 T age bis A W ochen. \oit einem ersten schw e»en l ad aus. 1 b*s 
2 neue Ealle, da die Isolierung und jorEnuk-nde I »esmtcl- mb i.:e 
des Raummangels auch bei gutem Willen nullt emw.mduci d.urm:- 
gefuhi t werden konnte. Es kam s-* zur richtiger I l.ummlekti-m. 
welche oft vom Sommer bis in den Januar. I ebrnar lmum dauerte 
und nicht eher endete, bis alle Mausmsassen durchseucht wärmt 
Oft starben Endglieder der Inu ktioimkette, weniger w-dil wegen ein: 
eventuell eiligetrau-teilen \ iruk n/steger ung des mh/ierefdvn >tam- 
mes, sondern weil die Pflegekrait und du* < ieldtmttcl trr sie erv'lmpt? 
waren. Der Ueberfuhrimg m ein Krankenhaus w u r de trotzdem 
meistens widerstrebt. 

Zahlreiche Kontaktketten gingen von leichten E'alurt aus. So 
infizierte in O. eine Ei au. welche nur einen t\pk n kulden Magen- 
darmkatarrh hatte, ihie ganze A er w andtsc halt uml Nachbar schalt. 
In einem anderen Orte gingen von einer l.euhtkr.mkeii mit kultster 
A\ ahrschemhchkeit ausser einer Maiisepiderme eine grosse r e An 
von NahrungsimUelmtektionen aus. Du* l \kremeute wa'en tu v!:fsc*i. 
ärztlich nicht konstatierten Lai’, imdesimiziert hinter das Haus in 
einen aut einer AA lese befindlichen Ikhaiter gekommen, aus welchem 
ein (ie musegar tri er Seme Snintp’l.mz cm dingte. Akt grösster Wahr¬ 
scheinlichkeit wurden durch den «iemiss des >alates. w edier \<>n 
diesem (iartner bezogen w or dert w.r. eine Rerlu* \ "ii Personen in¬ 
fiziert. Bei dieser Epidemie konnte muh em l’a'i beob.lehret we r - 
tlen, welcher bezeichnend dafür ist. wie der T\phus durch I euht- 
krank e unbewusst m entfeinte Ortsch.ittcn v <. rsc hbeppt wird !'■>- 
höherer Beamter wollte aus f urcht. :m 1 \ phus /n erkrankt, n. bs 
zum Erloschen der Epidemie n.uh Wiesbaden unogn. Eine Im 
Stunde vor seiner Abreise konnte uh ihn m-d* M'-obii. I r m- 
zälilte mir. dass er seit einigen lagen vo T Amte. img hmdut'. h.d • 
Auf das hm veramasste uh dm. su !i Bai! zur ( ntm siu hm g u;t- 
nehmeu zu lassen. hie < i r u b e r- AA i d a ' sdu KV. d tun m . ? 
Hohe 1 : 1 1 mI ergab, dass es sich bei dt m I 'n\i i.d! um ’l v ph is E.m- 
delte. Ibis Resultat wurde muh AA usb t !. n imtgctt d!. dase * st 
Desinfektiotismasstegeln veranlasst und so e*ue w eitere A e'h'c’tnmg 
in AAdesbaden verhindert. 

Auch wahrend der Inkuhatn us/eit euus mm/ h uht Veu.tiifvtu 
den Krankheitsfalles konnten emm.d '1 \ p 1 usb.,/ * \ m in; v?.; ■ . n.uh- 
gewiesen werden. Anfp-ng l.mn.r /ur /< g. .ds m La” ’a'i 

eine grossere Typhusepidemie im 1s leimm. ru ’ t. gm, ent her *s v '••*.•. 
war ein Infanterist des AAddikomuum Jos m Kiyp’.nürn mm r m- 
fSuenzaartigen ITseheimmgen erk-ankt Er w le vom Ai’s , .t , u l i' /t 
in Ermangelung eines Kt ankenzmmurs in dem i"v:mi a”< Kase* '*e 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1783 


verwendeten Schlafraum belassen. Da das Krankheitsbild nach 
8 Tagen sich dem eines Typhus zuneigte, wurde der Infanterist dem 
Distriktskrankenhause Kaiserslautern überwiesen und von da aus 
erhielt die Station Kenntnis von diesem Falle, sowie Blut- und 
Stuhlproben zur Untersuchung. Beide waren auf Typhus positiv. 
Auf das hin untersuchte ich im Aufträge des Leiters der Aussen- 
station das ganze Wachkommando und beantragte die Isolierung 
jener Mannschaften, welche den Kranken gepflegt hatten. Bei den 
übrigen wurden die üblichen Vorsichtsmassregeln durchgeführt. Die 
Blutuntersuchung ergab keine Anhaltspunkte für eine Verbreitung der 
Infektion, dagegen fanden sich bei demjenigen Infanteristen, welcher 
den Kranken fast ausschliesslich gepflegt hatte, Typhusbazillen im 
Stuhle, ohne dass der Mann Krankheitserscheinungen gezeigt hätte. 
Erst am Tage nach diesem Befunde wurde bei ihm eine Angina und 
3 Tage anhaltende Durchfälle festgestellt. Typhusbazillen konnten 
ausser diesem einen Mal nicht mehr bei ihm gefunden werden. 

Es handelte sich also um eine ganz minimale Infektion, die aber 
den Kranken ebenfalls zu einer Gefahr für seine Umgebung machte 
und noch dazu zu einer Zeit, in welcher man eine Infektiosität sonst 
nicht vermutet. ' 

Als Beispiele für das Entstehen von Typhusträgern, also 
Ausscheidern von Typhusbazillen ohne jegliche Krankheits¬ 
erscheinungen mögen folgende Fälle dienen: 

Am 23. September 1902 war in D. ein Dienstmädchen an die 
Stelle ihrer an Typhus erkrankten Schwester, welche in ein Spital 
verbracht worden war, in Dienst getreten. Am 5. Oktober des 
gleichen Jahres erkrankte sie selbst an Typhus, offenbar durch 
Spätkontakt. Nach einigen Jahren verheiratete sie sich mit einem 
gewissen Johannes H. in O. Gelegentlich der Durchsuchung dieser 
Ortschaft bei einer kleinen Epidemie fand sich, dass sowohl der 
Johannes H. wie seine Frau Dauerausscheider von Typhusbazillen 
waren, und zwar Johannes H., ohne dass er sich erinnern konnte, 
jemals eine Darmkrankheit gehabt zu haben. Er muss also durch 
seine Frau, welche nach Ueberstehen des Typhus 1902 Daueraus¬ 
scheiderin geworden war, die Typhusbazillen in sich aufgenommen 
haben, ohne zu erkranken, zuerst daher Typhsträger, später Dauer¬ 
ausscheider geworden sein. 

Ausserdem beobachtete ich noch 2 einwandfreie Fälle von 
Paratyphusträgern, von denen auch einer zum Dauerausscheider 
wurde, der andere aber sehr bald die Bazillen verlor. 

Als Typhusträger, wenn auch nur ganz vorübergehend, müssen 
meiner Ansicht nach auch jene Menschen angesehen werden, die 
sich in der Umgebung von Typhuskranken befinden und vorüber¬ 
gehend eine so hohe Gruber-Widalsehe Reaktion zeigen, wie 
sie sonst nur bei Kranken vorkommt. Derartige Personen müssen 
unbedingt eine Infektion durchgemacht haben und ich zweifle nicht, 
dass man bei denselben auch vorübergehend Typhusbazillen im 
Stuhl finden würde, wenn man Gelegenheit hätte, sie so genau und 
so oft zu untersuchen, wie den oben angeführten Infanteristen. Die 
Anzahl solcher latenter und leichter Fälle ist viel grösser, als man 
für gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. So ergab eine bei 1106 Schul¬ 
kindern in den Jahren 1903 und 1904 in 50 Ortschaften der West¬ 
pfalz teilweise im Anschluss an Typhusepidemien vorgenommene 
Blutuntersuchung auf Typhus bezw. Paratyphus bei 280 = 25 Proz. 
ein positives Resultat, meist sogar in der Höhe 1:100, ein Beweis, 
dass sie eine typhöse Krankheit durchgemacht haben mussten. 

Am interessantesten sind die Kontakte, welche von Dauer¬ 
ausscheidern oft viele Jahre nach Ueberstehen der Typhus¬ 
erkrankung veranlasst werden. Unter den Dauerausscheidern 
muss man unterscheiden ganz gesunde und solche, welche nach 
Ueberstehen des Typhus an periodischen leichteren Darm- 
erscheinungen erkrankt sind, ferner solche, welche ständig 
und solche, welche nur periodisch Typhusbazillen bezw. Para¬ 
typhusbazillen ausscheiden a ). 

Von einer grösseren Reihe solcher durch Dauerausscheider 
hervorgerufenen Kontakte sollen hier Erwähnung finden: 

Ein Fall von Einzelkontakt, 

eine Hausinfektion, 

eine Einschleppung, 

und die Verseuchung eines grösseren Teiles einer Ortschaft. 

1. Einzelkontakt. 

Am 18. August 1906 wurde aus V. ein 13 jähriges Mädchen als 
typhuskrank gemeldet. In der Ortschaft war am 14. April 1906 ein 
Todesfall an Typhus vorgekommen. Letzterer Fall beruhte auf Ein¬ 
schleppung. stand mit dem Augustfalle in keinem Zusammenhang. 
Die gründlich vorgenommene Desinfektion hätte auch Spätkontakt 
ausgeschlossen. Oberarzt Dr. Huber erhob bei der Lokalinspektion 
folgende Anamnese: Die Grossmutter des Mädchens hatte vor 49 
und 20 Jahren Typhus durchgemacht, der Grossvater vor 20 Jahren, 
eine Tante vor 28 Jahren. Die Mutter vor 23 Jahren, der Bruder vor 
9 Jahren. Die 41 jähr. Mutter, welche sich vollkommen gesund fühlte, 


*) Erfahrungen mit Typhusträgern von .Stabsarzt Dr. Georj* 
Mayer. Ver.-BIatt der Pfalz. Äerzf'e, Dezember 1905. 


konnte als Dauerausscheiderin von Typhusbazillen festgestellt wer¬ 
den. Es ist dies einer jener Fälle, auf die ich später noch zurück¬ 
kommen werde, wo plötzlich im Sommer Typhus in einer Ortschaft 
entsteht, ohne dass man sich bisher erklären konnte, woher. Man suchte 
früher in solchen Fällen nach Verbindungswegen im Boden. Die In¬ 
fektion der Mutter lag 23 Jahre zurück und ausserdem gingen dem 
letzten Kontakte wahrscheinlich 3 weitere durch sie erzeugte voraus. 

II. Hausinfektion. 

Im April 1904 wurde aus L. eine Typhuserkrankung bei einer 
jungen Frau gemeldet. Der Amtsarzt ermittelte, dass das Ws jährige 
Kind derselben ca. 14 Tage vor Ausbruch der Erkrankung der Mutter 
an Angina und Durchfällen gelitten habe. Beide Fälle wurden bak¬ 
teriologisch als Typhus festgestellt. 

Seit längerer Zeit war in L. nur ein Typhusfall gewesen, mit 
welchem aber die erkrankte Familie in keiner Weise in Berührung 
gekommen war. 

Der Fall wäre ohne Kenntnis der in früheren Jahren in L. aufge¬ 
tretenen Fälle rätselhaft geblieben. Aus den Akten erinnerte ich mich 
aber eines Typhuskranken des gleichen Familiennamens aus dem 
Jahre 1900. Die Nachforschung ergab, dass derselbe der Ehemann 
der erkrankten Frau und der Vater des erkrankten Kindes war. In 
seinen Ausscheidungen fanden sich dauernd enorme Mengen von 
Typhusbazillen, ohne dass er selbst sich krank fühlte. Er ging seinem 
Berufe als Lokomotivführer nach. 

III. Einschleppung. 

Da der Aufenthalt der Dauerausscheider polizeilich überwacht 
wird, wurde im Juni 1905 nach Kaiserslautern gemeldet, dass eine 
Paratyphusdauerausscheiderin von D. im preussischen Kreise Meisen¬ 
heim nach G. im Bezirksamt Kusel verzogen sei. Noch ehe man 
im stände war, Stuhlproben von ihr einzufordern, kam auch schon die 
Mitteilung, dass ihre Schwägerin und noch einige Verwandte in 
G. unter typhusverdächtigen Erscheinungen erkrankt seien. Es wur¬ 
den auch bei diesen Paratyphus festgestellt. Auf diese Weise wurde 
die Krankheit in eine seit vielen Jahren paratyphusfreie Ortschaft 
eingeschleppt und wäre in früherer Zeit auch unaufgeklärt geblieben. 

IV. Verseuchung eines grösseren Ortsteiles. 

In L. pflegte seit 1896 in einem grossen Gutshofe, H.-No. 12, der 
Typhus nicht auszugehen und sich von da aus auch in die Nachbar¬ 
schaft zu verbreiten. Da man das Entstehen auf die Bodenverhält¬ 
nisse zurückführte, wurde der Gutsbesitzer Ende der 90 er Jahre 
vom Ortsvorsteher angewiesen, seine Jauchestätten zu verlegen und 
entsprechenden Abfluss zu schaffen. Dies half aber nicht, ebenso¬ 
wenig nützten wiederholt vorgenommene Desinfektionen der Räume, 
in welchen die Typhusfälle aufgetreten waren. Seit 1896 ging der 
Typhus fast ununterbrochen fort. Damals war zuerst der Gutsherr 
^selbst an Typhus erkrankt, später noch im gleichen Jahre eine auf 
dem Hofe beschäftigte Magd, 1897 die Frau des Hauses, 1899, 1900 
und 1903 Mitte Juli eine Magd. 1899 schleppte eine Magd den Typhus 
in das Haus ihres Vaters, welcher dann ebenfalls erkrankte. 1897/98 
waren im Nachbarhause, No. 14, bei Verwandten des Gutsherren 
3 Personen an Typhus erkrankt. 1900 im Hause No. 19, schräg gegen¬ 
über von No. 12, ein Dienstknecht, 1901 daselbst ein Knecht und der 
Herr, welcher starb, 1902 zwei weitere Knechte, von denen ebenfalls 
einer starb und eine Magd im Nachbarhause No. 20. 

Alle diese Erkrankungen wiesen auf No. 12 als Ausgangspunkt 
hin, weshalb das Haus von den Dorfbewohnern den ominösen Namen 
„Typhushaus“ bekam. 

Im Juni 1906 erkrankten am Ende des Dorfes, nicht weit von 
No. 12 entfernt, gleichzeitig in 3 Häuschen 4 Personen an Typhus. 
Dieselben hatten gemeinsamen Wasserbezug, nämlich einen etwas 
schadhaften Pumpbrunnen. Es konnte festgestellt werden, dass der¬ 
selbe mit einem jenseits der Strasse gelegenen Abort in Verbindung 
stehen musste. Da ich schon lange den Verdacht hatte, dass ein 
Typhusträger die Ursache des Typhus in L. sei, klärte ich gelegentlich 
der Untersuchung dieser Fälle den Ortsvorsteher über die von Dauer¬ 
ausscheidern erfolgenden Infektionen auf. Derselbe teilte mir darauf¬ 
hin mit, dass der Hofbesitzer von Haus No. 12 ca. 14 Tage vor 
Ausbruch der neuen Typhuserkrankungen den als Verunreinigungs- 
quelle des Brunnens in Betracht kommenden Abort benützt hatte. 

Dieser Gutsbesitzer konnte dann auch wirklich als Daueraus¬ 
scheider von Typhusbazillen nachgewiesen werden und es ist damit 
so gut wie sicher, dass er seit Jahren der Verbreiter des TvDhus in 
seiner Ortschaft gewesen ist. 

Diese Beispiele erhärten die Bedeutung des Kontaktes bei der 
Typhusverbreitung. Ich habe auf Veranlassung des Leiters der 
Aussenstation, Stabsarzt Dr. Georg Mayer, aus den Jahren 1903, 
1904 und 1905 zusammengestellt, in wie vielen Fällen es in der West¬ 
pfalz (dem Gebiete der Tätigkeit der Aussenstation) gelungen ist, 
Kontakt oder Nahrungsmittel- bezw. Wasserinfektion nachzuweisen. 

Im Ganzen konnten 46 Proz. aller Fälle in dieser Beziehung aufgeklärt 
werden. 

Da ich von der Ansicht ausging, dass es bei genauester Vertraut- 
hqut mit den Verhältnissen in einer Ortschaft möglich sein müsse, 
alle Fäjle-auf Kontakt be^w. ^Najirungsrrüttelinfektion zurüqkzuführen, , 
versuchte ich, aus detVi über den Typhus in der Pfalz vorhandenen 


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1784 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Material die Geschichte der Ausbreitung des Typhus in den ein¬ 
zelnen Ortschaften der Pfalz, so genau als möglich seit 1875 zu- 
sammenzustellen. Diese Typhuschronik der Pfalz bezweckte, die¬ 
jenigen Ortsteile und womöglich die Häuser kennen zu lernen, in 
denen der Typhus nicht ausgeht, welche also nach unseren jetzigen 
Kenntnissen der Sitz von Dauerausscheidern sein müssen. 

Aus den Erhebungen, welche in dieser Geschichte der Typhus¬ 
ausbreitung in der Pfalz enthalten sind, will ich nur einen Punkt 
herausgreifen, das ist das verhältnismässig häufige Vorkommen von 
Gasthausepidemien und Infektionen bei der Verabreichung von Nah¬ 
rungsmitteln. Ich konnte 17 solcher grösseren und kleineren Epi¬ 
demien, die im Verlauf von 30 Jahren beobachtet worden waren, zu¬ 
sammenstellen. • 

Die Brunneninfektionen sind dagegen in der Pfalz nicht sehr 
häufig beobachtet worden, wenn aber, dann meist in sehr grossen 
Explosionen. 

Diese Zusammenstellungen waren nur deshalb in verhältnis¬ 
mässig gutem Zusammenhänge möglich, weil der frühere Medizinal¬ 
referent bei der kgl. Regierung der Pfalz, Obermedizinalrat Dr. 
K a r s c h 3 4 ) sowie der jetzige Kreismedizinalrat Dr. Demut h, unter¬ 
stützt vom Verein der pfälzischen Aerztc der Typhusausbreitung ein 
ganz hervorragendes Interesse entgegenbrachten und K a r s c h 
schon seit 1875 nach seiner eigenen Aussage, nicht nur alle grösseren, 
sondern auch fast alle kleineren Epidemien aus eigener Anschauung 
kannte. Von besonderem Werte ist die Hinterlassenschaft K a r s c h\ 
weil derselbe bereits 1873 die Rolle des Kontaktes hervorhob und die¬ 
selbe immer mehr würdigte, je grösser seine Kenntnisse von der 
Ausbreitung des Typhus in den einzelnen Ortschaften wurden. Indes 
betonte er. dass namentlich bei Epidemien, welche sich in einer 
längere Zeit typhusfreien Ortschaft nach einem ersten eingeschlepp- 
ten Falle rasch ausbreiten, der persönliche Verkehr allein meist nicht 
zur Erklärung der raschen Ausbreitung genüge. Er suchte deshalb 
den Anschauungen seiner Zeit entsprechend noch nach Verbindungs¬ 
wegen im Boden oder Grundwasser. Zum Teil kann die rasche Ver¬ 
breitung nach unseren jetzigen Kenntnissen direkt auf Rechnung von 
Trägern und Dauerausscheidern gesetzt werden. Es bleibt aber noch 
ein bemerkenswerte Tatsache bei der Typhusausbreitung: das ist 
die jahreszeitliche Beeinflussung derselben. Karsch hatte eben¬ 
falls bereits auf dieselbe aufmerksam gemacht. Bezüglich derselben 
ist bekannt, dass im allgemeinen der Typhus im Sommer zuzu¬ 
nehmen pflegt. Manche, namentlich ältere Statistiken, stimmen mit 
dieser Annahme einer erhöhten Typhusmorbidität im Sommer nicht 
überein, das kommt aber wohl daher, dass vielfach nicht aus der 
reinen Morbiditätsstatistik geschöpft, sondern die Morbidität unter 
Zugrundelegung der Mortalitätsstatistik berechnet wurde. Um über 
das jahreszeitliche Auftreten des Typhus Aufklärung zu bekommen, 
wurden von mir die monatlich gemeldeten Tvphusfällc einer 23 jähri¬ 
gen Beobachtungszeit in der Pfalz, einer 15 jährigen im Königreich 
Bayern *) und einer 12 jährigen in den grössten bayerischen Städten 
in Kurven zusammengestellt. 

Aus denselben geht mit Sicherheit hervor, dass 
die Typhusausbreitung nicht das ganze Jahr hin¬ 
durch die gleiche ist, sondern dass in den Monaten 
August und September weitaus der höchste Stand 
von Typhuserkrankungen zu sein pflegt, in den 
Monaten Februar, März und April dagegen der 
niederste (Diagramm I). 

Meine Untersuchungen stimmen besonders mit denen Lieber- 
m ei sters 5 ) überein und ich nehme mit diesem Autor an. dass die 
erhöhte Ausscntemperatur das begünstigende Moment für die Zu¬ 
nahme der Typhuserkrankungen im Sommer abgibt, da der Typhus 
um so stärker aufzutreten pflegt, je heisscr und trockener ein Sommer 
ist. Aus einem Vergleich der Typhuskurven der Pfalz mit den Kur¬ 
ven der mittleren Temperatur und Niederschlagsmengen, von 1883 
bis 19(15 ging dies mit Deutlichkeit hervor 6 ). 

Besonders die heissen Jahre 1904 und 1905 bieten hieflir an¬ 
schauliche Beispiele. In diesen konnte für die Bezirke Pfalz. Trier 
und Lothringen bewiesen werden, dass der Tvphus in den 
w armen So m mermonaten zu gleicher Zeit in viel e n 
Ortschaften auszubrechen begann (Diagramm II). 

Zur Erklärung der typischen Tvphuskurven schienen mir fol¬ 
gende Beobachtungen zu dienen. Wie aus der Kurve hervorgeht, 
pflegen im Februar. März und April allgemein nur wenige Tvphus- 
fälle zu bestehen. Es sind dies nach meinen Erfahrungen meistens 


3 ) (ieneralberichte über das Sanitätswesen im Königreich Bayern 
1875—1900; ferner: „Der Unterleibstyphus in der Pfalz. Zur Ver¬ 
breitung desselben während der Jahre 1875/1900“ von Obermedizinal¬ 
rat Dr. Karsch, Vereinsblatt der pfälzischen Aerztc 1903, No. 8; 
sowie vielfache Veröffentlichungen aus früheren Jahren im Vereins¬ 
blatt der pfälzischen Aerztc von Karsch, Medizinalrat Dr. De¬ 
mut h, U 11 m a n n u. a. 

4 ) Nach dem Gcneralberichte über das Sanitätswesen im König¬ 
reich Bayern. 

8 ) Weyl: Handbuch der Hygiene. 1900, Bd. 9. pag. 442 ff. 

°) Die Kurve kann hier aus äusseren Gründen nicht wieder¬ 
gegeben werden. 


Glieder von langen Hausepidemien. Die kleine Zahl dieser Fülle 
würde nicht ausreichen, um sie als alleinige Basis für die spätere 
starke Typhusausbreitung anzunehmen. Nach den von dem Leiter 
der Aussenstation veranlasstcn Untersuchungen über die leichten 
Typhuserkrankungen bei Schulkindern pflegen um die fragliche Zeit 
auch bei Kindern nur sehr wenige T\ phuserkrankungen vor¬ 
zukommen. Es ist also die erhöhte Typhusmorbiditut im Sommer 
auch nicht als alleinige Folge unerkannt gebliebener Kontaktketten 
aufzufassen. Verfolgt man die Kurve gegen die 30. Jahreswoche hm. 
so findet man, dass mit Eintreten höherer Ausscntemperatur an \iclcn 
Orten ziemlich gleichzeitig nach längerem typhusfreien Intervall 
neue Einzelfälle auf/utauchcn pflegen. In der Pfalz konnte ich nun 
an der Hand der erwähnten, auf 30 Jahre zurückrcichandcn Zu¬ 
sammenstellungen die Erfahrung machen, dass es sich dabei viel¬ 
fach um das Auiflackcrn des Typhus in als alte Typhusherde bekann¬ 



ten Ortschaften handelt. In diesen tritt der Typhus entweder in 
Typhushäusern seihst oder in deren Umgebung, manchmal genau kon¬ 
statierbar an der Grenze des im vergangenen Jahre befallenen Ge¬ 
bietes auf. Als wirksames Agens der I \ phushuuscr haben wir aus 
den angeführten Beispielen, welche einen weiteren Beitrag zu den 
bereits über diesen Gegenstand vorhandenen Veröffentlichungen bil¬ 
den, die Dauerausscheider von T\ phusbazillen kennen gelernt. Diese 
scheinen daher auch die Hauptschuld daran zu tragen, dass der 
Typhus in endemischer Gegend nicht erlischt. Der Einfluss der er¬ 
höhten Ausscntemperatur verbunden mit Trockenheit auf die rasche 
Zunahme der Typhusfalle kann nun zu suchen sein einmal in einer 
erhöhten Disposition, zu erkranken, indem durch allerhand veränderte 
Lebensgewohnheiten in der Hitze, wie Trinken \on grossen (Quanti¬ 
täten Wassers und sonstige Diatfehler ein Magendarmkatarrh er¬ 
zeugt w ird und so bequeme Eintrittspforten auch für geringe Mengen 
von Typhusbazillen geschaffen werden, indem ferner hu den Ernte¬ 
arbeiten eine Uebermudung die Widerstandsfähigkeit herabsetzt und 
die Hitze zu Trägheit und Nachlässigkeit namentlich in der Reinlich¬ 
keit Veranlassung gibt, anderseits kann jedenfalls durch die gleichen 
Schädlichkeiten bei den Dauerausscheidern und Leichtkrankcn ver¬ 
mehrte Infektionsgelegenheit geboten werden. Diese Erklärung kann 


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25. August 100$. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1785 


indes nicht ganz befriedigen und man muss noch an eine andere 
Uebertragung der Typhusbazillen wie nur die durch die menschliche 
Hand erfolgende denken, welche die rasche Ausbreitung des Typhus 
in der heissen trockenen Zeit plausibler erscheinen lässt, nämlich die 
Uebertragung durch Fliegen. Beobachtungen in dieser Beziehung 
kann ich leider nicht mitteilen, jedoch möchte ich dieser Art der 
Verbreitung von Typhusbazillen, wie sie von Ficker 7 ) experimen¬ 
tell studiert ist, eine nicht untergeordnete Bedeutung zuweisen unter 
besonderem Hinweis auf die Rolle, welche Chantemesse und 
B o r e I * *) der Uebertragung durch Fliegen bei der Cholera zumessen. 

Bei einem Teile der nicht aufgeklärten Fälle könnte man schliess¬ 
lich auch an eine Entstehung durch etwa im Boden fortgewucherte 
Typhusbazillen denken. Besonders merkwürdig und bis jetzt noch 
nicht einwandfrei aufgeklärt sind ja jene Fälle, in denen der Typhus 
bei Abreissen eines Typhushauses oder Aufgraben einer alten Latrine 
usf. unter den dabei beschäftigten Arbeitern entstand. Aus den Bc- 


welche im September 1906 zur Einsendung gelangten. Versuche an¬ 
gestellt und in Uebereinstimmung mit den bisherigen Veröffent¬ 
lichungen gefunden, dass die Zahl der gefundenen Typhusbazillen in 
solchen Stuhlproben mit zunehmendem Alter der Kotproben abnahm. 
Nach 3 Monaten konnte ich keine Typhusbazillen mehr in anfangs 
sehr typhusbazillenreichen Stühlen nachweisen. Die Stuhlproben 
wurden auf Kies, Holzabfällen, Gartenerde, Sand und Schweinemist 
bei Luftzutritt in Zinkkästchen im Freien stehen gelassen und waren 
deshalb nach zirka einem Monate bereits fast vollkommen aus¬ 
getrocknet. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass in vor Licht 
und Feuchtigkeit geschützten menschlichen Fäzes auf der Erdober¬ 
fläche bei Temperatur von +15° bis —6® C keine Vermehrung 
der Typhusbaziilen stattzufinden pflegt, sondern dieselben im Ver¬ 
lauf von wenigen Monaten darin zugrunde gehen. 

Versuche, während der heissen Jahreszeit und in feuchten oberen 
Bodenschichten könnten vielleicht zu anderen Resultaten führen. 


Diagramm II. Typhusmorbidität nach Jahreswochen. 


1 2 b 6 8 10 12 I 1 * 16 18 ■ 20 22 24 26 28 30 32 3 *. 36 38 40 4-2 44 - 46 48 50 52 




B. 


Kt xxxxxvxxKxxxxxx Trier ♦♦♦♦♦♦•• • 

obachtungen der früheren Jahre ist auch in der Westpfalz ein solcher 
Fall bekannt geworden. Beim Abreissen eines Typhushauses in O. S. 
erkrankten 5 Personen an Typhus. Zur Annahme, dass es sich bei 
solchen Fällen um Infektion von einem mit Typhusbazillen ver¬ 
seuchten Boden aus gehandelt habe, könnte ich mich erst dann 
entschliessen, wenn eine solche kleine Epidemie genauestens bak¬ 
teriologisch überwacht worden wäre und alle Nachforschungen nach 
einem Dauerausscheider oder sonstigen Infektionsquellen erfolglos 
geblieben wären. Ich habe über das Fortbestehen von Typhus¬ 
bazillen ausserhalb des menschlichen Körpers in geformten, von 
Typhuskranken oder Dauerausscheidern stammenden Stuhlproben, 


7 ) M. Ficker: Tvphus und Fliegen. Archiv für Hygiene, Bd. 
XLVI, H. 3. 

*) Sitzung der Akademie de medecine vom 17. X. 1905. Ref. 
Münch, med. Wochenschr., 1905, S. 2349. 

No. 34 


► Lothringen - Pfalz 

müssten aber, um Beweiskraft zu erlangen nicht mit künstlichen Ge¬ 
mischen aus Reinkulturen von Typhusbazillen, sondern mit Stuhl¬ 
proben von Kranken oder Ausscheidern angestellt werden. 

Aussichtsreicher für die Aufklärung erscheint aber die genaue 
Untersuchung der menschlichen Umgebung von scheinbar ohne Zu¬ 
sammenhang entstandenen frischen Typhusfällen, wie sie, soweit es 
zu erreichen ist, in den Stationen zur Typhusbekämpfung auf 
Kochs Veranlassung durchgeführt wird und ich zweifle nicht, dass 
man bei genauer Kenntnis seines Bezirkes meistens die Infektions¬ 
quelle in einer den obigen Beispielen entsprechenden Art finden wird. 

Wie man die Dauerausscheider in der Pfalz in den Dörfern und 
kleineren Städten verfolgen konnte, so wird man sie, wenn auch 
mit ungleich grösseren Schwierigkeiten, in den einzelnen Typhus¬ 
herden grösserer Städte finden, wenn einmal die bakteriologische 
Untersuchung durchgeführt sein wird. In den Städten ist vor allem 
dem Milchbezuge ein grosses Augenmerk zuzuwenden. Auffällig war 

3 


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1786 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nc». 24 . 


mir z. B. bei der Zusammenstellung der Typhusiälle in Kaiserslautern, 
dass auch als Einzelerkrankungcn ohne Zusammenhang; mit einer 
Nalirungsmittelepielemie häufig solche von Kindern und Dienstboten 
gemeldet wurden, bei welchen man den (ienuss ungekochter Milch 
am meisten annehmen muss. 

Dass dem Einflüsse von (irundwasserschwankuugen eine Be¬ 
deutung für die Typhusausbreitung zukomme, konnte nach einer 
Reihe jahrelang fortgesetzter Beobachtungen in pial/ischen Städten 
nicht erwiesen werden. In Betreff der Virulenz der von Daueraus¬ 
scheidern stammenden Typhusbazillen kann man sowohl nach den 
geschilderten Beispielen der von ihnen ausgegangenen Kontakte, wie 
nach einer Reihe anderer Veröffentlichungen solcher durch Dauer¬ 
ausscheider veranlassten Infektionen behaupten, dass meistens volle 
Virulenz zu bestehen scheint. Manche Typhusbazillenstamme von 
Dauerausscheidern scheinen sogar eine besondere Virulenz zu be¬ 
sitzen. Als Beispiel kann ich ein Typhushaus in K. aniuhren, bei 
dem zwar der Dauerausscheider nicht festgestellt ist, da es sich um 
die Zeit vor Errichtung der bakteriologischen Dnteisuchungsstation 
handelt, dessen (Jeschichte aber aui einen Dauerausscheider gefähr¬ 
lichster Art hinweist. Im Juni 1NM erkrankte in einem neu gebauten 
Hause der Erbauer, ein Polizeidiener, an Typhus und starb. Im 
Ecbruar 1NS7 erkrankte ein Sohn desselben an Typhus, im Juni IW 
eine Tochter, welche starb, im Juni lssis eine weitere Tochter, welche 
ebenfalls starb, im Juni 1NN9 ein Hausgenosse. Wir sehen hier 5 In¬ 
fektionen in einem Hause, davon 4 int Juni, also dem Beginn der 
heissen Zeit, darunter d Todesfälle. Vermutlich war die brau des 
Polizeidieners die Dauerausscheiderin. Dieselbe starb im Juni l‘>od, 
eventuell au einer Reinfektion durch ihre eigenen Bazillen. 

Ich fasse meine Ausführungen über das 
A u i f l a c k e r n des Typhus nach länger e m 
t y p h u s f r e i e n Intervall mit beginnender Er¬ 
höhung .der A u s s e n t e ni p e r a t u r d a h i n z u - 
s a m men, dass in end e m isclicn (i e g e n d e n 
hauptsächlich die Dauerausscheider den In¬ 
fektionsstoff für die Zunahme der Erkran¬ 
kungen im Sommer liefern u u d zwar direkt 
durch Kontakt, andererseits indirekt beson¬ 
ders durch N a h r u n g s m i 11 e 1 i n f e k t i o n e n, in 
letzterem Falle w o h 1 h a u p t s ä c h 1 i c h u n t e r Mit¬ 
wirkung von Fliege n a 1 s Z w i s c h e n t r ä g e r n. 
Sind wieder eine grössere Anzahl neuer Er¬ 
krankungen vorhanden, so vervielfältigen 
sich dieselben rasch auf dem gleichen Wege 
des direkten und indirekten Kontaktes, durch 
etwaige Nahrungsmittel und W a s s e r i n Sek¬ 
tionen u n d s o kommt es dann zu dem hohen An¬ 
stieg der T y p h u s k u r v e im September. 

Als praktische Konsequenz ergibt sich aus diesen Dar¬ 
legungen vor allem, dass besonders zu Beginn der heissen 
Jahreszeit jeder Darmkatarrh als verdächtig angesehen werden 
muss und der bakteriologischen Untersuchung zugänglich ge¬ 
macht'werden sollte. Nachdem der Bekämpfung der Dauer¬ 
ausscheider nach alledem das Hauptaugenmerk bei der Be¬ 
kämpfung des endemischen Typhus zuzuw enden ist, soll noch 
besprochen werden deren Stellung zur Militär- und Zivil¬ 
bevölkerung. 

Für die Militärbehörden kommt vor allem in Betracht, 
dass sie den Aufenthaltsort und die Hausnummer der Dauer¬ 
ausscheider kennen. Nur auf diese Weise gelingt es, den (le- 
fahren bei einer Einquartierung entgegenzuwirken, indem man 
im Ernstfälle das Haus des Dauerausscheiders nicht nur 
während der Einquartierung von Belegung ausschliesst, son¬ 
dern durch einen Posten vollkommen isoliert. 

Ferner kommen für Leute, welche aus solchen Häusern 
bezw. Verwandtschaft eines Dauerausscheides zur Einstellung 
gelangen, die gleichen Vorsichtsmassregeln in Betracht wie für 
Leute aus (legenden, in denen Typhuskranke sich befinden, 
das heisst wiederholte bakteriologische Untersuchungen der 
Ausscheidungen. 

In dritter Linie wäre natürlich der Bezug von Nahrungs¬ 
mitteln aus einem solchen Hause kontrainzidiert. Nach 
etwaigen Beurlaubungen in ein solches Haus müsste neuer¬ 
dings eine Kontrolle der Stuhl und Urinproben des beurlaubt 
(iewesenen sowie eine Beobachtung auf etwaige Krankheits¬ 
erscheinungen stattfinden. 

Um die Zivilbevölkerung vor den Dauerausscheidern zu 
schützen, w erden dieselben bezüglich des Aufenthaltsw echsels 
polizeilich überwacht und wird ihnen empfohlen, ständige 
I »esinfektionsmassregeln bei sich durchzutiihren. 


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Ob diese Massrcgelu einen Dauererfolg garantieren, 
möchte ich sehr bezweifeln. Manche Leute sind auch beim 
besten Willen nicht imstande, z. B. bei ambulanter Be¬ 
schäftigung, die Desinfektion in einer wirksamen W eme durch- 
zutühren. Bei strenger polizeilicher Deberw achung besteht 
für manche, wenn sie sich z. B. in dienendem Stande befinden, 
die (ietahr, dass sie um ihr Brot kommen. Die Wissenschaft 
hat bis jetzt kein Mittel gefunden, um die Typhusba/iUcn aus 
dem Darm der Dauerausscheider abzutreiben. Alle inneren 
Mittel haben versagt. 

Die von D e h 1 e r - Frankentlial w ) bei 2 Typlm^Iauer- 
atisschcideriiiPeu vorgenommenen Operationen an der (iailen- 
blase li ibeu noch nicht zu eindeutigen Resultaten geführt, 
wenn auch weitgehende Besserung erfolgt ist. 

Ein Vergleich der Häufigkeit des Entstehens von Dauer- 
ausclieidern bei der Militär- ui:J Zivilbevölkerung, bei letzterer 
hauptsächlich der in der Priv atpravis auf dem Laude behan¬ 
delten hat mich zu der Anschauung veranlasst, der Behand¬ 
lungsart bei Typhus abdominalis, namentlich der Durchführung 
streng diätetischer Massnahmen eine besondere Rolle zuzu- 
weisen. Beim Militär sind seit Liniuhrui.g der genaueren 
bakteriologischen Deberw achung mittels der neuen Nährboden 
meines Wissens Dauerausscheider noch nicht beobachtet 
worden . Bei den 2 grosseren Epidemien der letzten Jahre in 
der K. bayerischen Armee, der Typhusepideipte Landau und 
der Paratyphusepidemie Bayreuth sind zwar langerandauerude 
Ausscheidungen durch den Harn beobachtet worden. Welche 
aber zu vollkommener Heilung gelangtet!* Dauerausscheider 
sind nicht entstanden, wahrend die Herausbildung zu solchen 
namentlich m der Landpraxis im (iebiete der Westpfalz keine 
allzu seltene war. Wenn auch der Unterschied in Alter und 
Geschlecht eine Rolle spielen mag, so glaube ich doch, dass 
das günstige Ergebnis bei den Mihtarcpidcmieii zum grossen 
Teil darauf zuruckgefiihrt werden muss, dass die Pflege und 
Deberw achung beim Militär auch wahrend der Rekon¬ 
valeszenz, in welcher ertulmmgsgemass die Hauptausschei- 
dung der Typhus- und Paratyphiishazillen erfolgt, fortgesetzt 
wird, weil der Sanitätsoffizier, wie schon v. Drigalski be¬ 
tonte, seine Kranken dienstfähig entlasst, der Krankeuhausarzt 
aber in einem viel früheren Stadium, nämlich klinisch gesund, 
der Arzt auf dem Lande oft nur wahrend der schwersten 
Krankheitspiriode öfter nadis Jiaue n darf und in der Zeit der 
Rekonvaleszenz wohl durchweg abgekhut werden wird. Man 
konnte also auf (irund dieser Erwägung empfehlen* die Typhus- 
kranken auch der Ziv ilbevölkerung möglichst lange m KTar.keii- 
hausbehandlung zu belassen, um die Herausbildung zu Dauer¬ 
ausscheidern zu verhindern. Gegenwärtig erfolgt die Ent* 
lassung durchschnittlich viel zu früh, nachdem vorübergehende 
Ausscheidung schon bis zu !(• Wochen andauern kann. Die 
Rekonvaleszenten versuchen nach der Entlassung mit noch ge¬ 
schwächtem Körper die Arbeit wieder aufzunehmen, zu einer 
Zeit, in der der Organismus sich vielfach noch nicht ganz von 
den im Blute kreisenden I v phusbazillen befreit hat. So konnte 
man sich vorstellcn, dass einzelne Depots von Tv phusbazilien 
abgekapselt werden und dass eine chronische Erkrankung der 
(iallenblasenw and entsteht. 

Der oben aufgestellteri Forderung, dass man sämtliche 
Dauerausscheider keimen muss, stehen erhebliche Schwierig¬ 
keiten entgegen, da die Leute schon vielfach wissen, dass, fads 
sie als Dauerausscheider festgeMellt werden, ehe polizeilichen 
Massnahmen emsetzeii und sich der KonsjattcfHng durch Em¬ 
senden falscher Stuhlproben zu entziehen suchen. Debcrhuupt 
tritt der Bekämpfung, welche sich direkt gegen die IVrsofj der 
1 yphusbazilleii ausscheidenden Menschen richtet, hindernd ent¬ 
gegen der Unverstand namentlich der Landbevölkerung, 
welche die Isolierung und I Desinfektion als lästig empfindet, 
der es unangenehm ist, dass sie in der persönlichen Freiheit 
gestört ist und dass nach Sicherung der Diagnose ,, I v phus” 
keine mitfühlenden Besuche mehr kommen, ferner a;mh der Um¬ 
stand, dass die Desinfektionskosten meist von den BcToftencn 
selbst getragen werden müssen und d.is> für Arbei'Kiiisfaii bei 
Isolierung und Erw erbsentgaug tvi SjiWssur.-g ur . os Nah- 
rungsmittelgeschättes kenne Entschädigung geleistet wird. 

'*) Munch, med. WachensJ t.. P'i'7. ,V>. l\ 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1787 


Da infolgedessen manche Eälle verheimlicht werden, muss 
noch zu anderen Mitteln der Bekämpfung Zuflucht genommen 
werden und zwar zum ganzen Rüstzeug der Hygiene im Sinne 
v. Pettenkofers nämlich: Reinlichkeitspflege und vor 
allem zentrale Wasserversorgung auch auf dem Lande, ferner 
Beseitigung wenigstens der ärgsten Schmutzwinkel der Dörfer 
und Ueberwachung des Verkehrs mit Nahrungsmitteln, in den 
Städten noch dazu Strassenhygiene, Wohnungsfürsorge, Ka¬ 
nalisation und Abfuhrwesen. 

Mit allen diesen Mitteln, welche seit Beginn der Stations¬ 
tätigkeit in der Pfalz kräftig gefördert wurden, muss die Be¬ 
kämpfung beharrlich fortgesetzt werden, wenn man wenigstens 
ein stärkeres Aufflackern des Typhus vermeiden will. Die 
hygienischen Massregeln grösseren Stiles in endemisch mit 
Typhus verseuchten Gegenden sind gerade vom militärischen 
Standpunkt aus wichtig, denn sie dienen besonders zum Schutze 
von aus immunen Orten stammenden, und daher hoch empfäng¬ 
lichen Truppenteilen, welche etwa in endemischen Typhus¬ 
gegenden zu manövrieren haben. 

Eine entscheidende Wendung in der Typhusbekämpfung 
würde aber meines Erachtens nur dann eintreten, wenn ent¬ 
weder die Wissenschaft ein Mittel fände, um die Typhusbazillen 
aus dem Körper der Dauerausscheider zu entfernen, oder eine 
zwangsweise Krankenhausbehandlung aller jener Kranken 
stattfände, bei denen eine wirksame Isolierung und sorgfältige 
Behandlung bis zur bakteriologischen Genesung in der eignen 
Behausung nicht gewährleistet ist, eventuell eine reichsgesetz¬ 
liche Regelung für dauernde Unschädlichmachung der Dauer¬ 
ausscheider sorgte. 


Aus der chirurgischen Abteilung Pavillon Ponti des Ospedale 
Maggiore, Mailand (Direktor: Prof. Dr. Baldo Rossi). 

Ein neuer elastischer Darmschliesser. 

Von Dr. G. Solaro, Assistent. 

Es ist hinreichend bekannt, dass die bis heute im Gebrauche 
befindlichen Darmschliesser immer noch nicht als Ideal bezeich¬ 
net werden können. Denn sind die beiden Zungen aus steifem Metall, 
so ist auch bei Zwischeneinlassung von Gaze oder Verwendung 
von Gummiröhren eine Quetschung unvermeidlich, während auf der 
anderen Seite bei Verwendung sehr dünner, elastischer und somit 
äusserst wenig quetschender Zungen die Gefahr des Ausrutschens der 
Darmwand besteht. 

Dabei darf dann auch gar nicht ausser acht gelassen werden, 
dass das Streben nach Vermeidung einer auch nur geringen 
Quetschung der Darmwand vollauf berechtigt ist, da man doch häu¬ 
fig bei den Operationen, bei denen Darmschliesser zur Anwendung 
kommen, Därme vorfindet, deren Blutlaufs- und Ernährungsbedin¬ 
gungen stark verändert sind und die zuweilen heftiges Oedem der 
Wandungen zeigen, was bei einer auch nur leichten Quetschung zu 
bedeutend schwereren Folgen führen kann. 



Mein Darmschliesser hat nun im allgemeinen dieselbe Form 
und Grösse wie die allgemein üblichen, gekrümmten aus Metall, nur 
sind seine beiden Zungen etwas von der Norm abweichend, insofern, 
als eine der beiden Zungen breit gehalten und fensterartig durch¬ 
löchert jst und in der Mitte eine Fuge aufweist, in die die zweite, 
ziemlich schmale Zunge beim Schliessen eingreift und über die 
Oberfläche der ersteren durchgreift. Die gefensterte Zunge wird 
mit einem der gewöhnlich hierzu dienenden dünnen Gummischläuche 
überzogen, der an der Spitze geschlossen ist. 



Das Darmstück bleibt so doppelt geschlossen: 1. durch Ein¬ 
greifen der schmalen Zunge in die gefensterte bis über deren innerer 
Oberfläche und die so erfolgte Knickung und entsprechende Unter¬ 


brechung in der Kontinuität des Darmlumens, wie dies geschieht, 
w r enn eine Gummiröhre im scharfen Winkel gebogen wird; 2. durch 
einen leichten, aber elastischen Druck, der auf die Darmwand auch 
nicht im geringsten quetschend einzuwirken vermag. 

Das in der Illustration vorgeführte Instrument hat somit den 
Vorteil, dass es eine vollständige, kräftige Abschliessung des Darmes 
erzeugt, ohne einen Druck auf die Darmwände auszuüben, was 
durch die damit in der chirurgischen Abteilung F. Ponti vorge¬ 
nommenen Versuche vollständig bestätigt worden ist und den Apparat 
als solchen also empfehlenswert erscheinen .lässt, nachdem er sich 
als den anderen überlegen erwiesen hat. 

Vorbeschriebenes Instrument wird in der Fabrik für chirurgische 
Instrumente G. M a r e 11 i, Mailand hergestellt. 


Ein interessanter Fall von Chininintoxikation.') 

Von Dr. Oskar Salomon, Spezialarzt für Hautkrankheiten 
in Koblenz. 

Frl. Ch. war vor etwa % Jahren von mir wegen ihres Lupus 
erythematosus mit Erfolg nach Holländer-Oppenheim be¬ 
handelt worden; damals nahm die Patientin ohne besondere Be¬ 
schwerden im ganzen 18 g Chininum hydrochloricum (60 Pulver 
ä 0,3 g). Wegen Rezidivs ihrer Erkrankung suchte mich die Pa¬ 
tientin vor etwa 2 W'ochen wieder auf und ich leitete dieselbe Kur 
wieder ein. Schon nach Einnahme des ersten Pulvers erschien die 
Pat. andern Tages in der Sprechstunde und klagte über Uebelsein, 
Brechreiz und Ohrensausen; sie wurde daher angewiesen, nur ein 
Pulver am Tag zu nehmen, und zwar die halbe Dosis (0,15). Alar¬ 
mierende Nachrichten riefen mich am anderen Morgen zu der Pa¬ 
tientin und ich fand zu meinem Erstaunen eine Schwerkranke vor. 
Das ganze Gesicht war gedunsen, stark ödematös, so dass die Augen 
kaum sichtbar waren. Von den inneren Augenwinkeln zu den Mund¬ 
winkeln zogen sich dicke Blutkrusten, entsprechend den Rändern des 
Lupus erythematosus. Dieser selbst war durchsetzt von unzähligen 
kleinen Blutungen, die sich streng an die Affektion hielten. Ausser¬ 
dem bestand eine ausgedehnte Purpura haemorrhagica beider, von 
Lupus erythematosus übrigens freier, Unterschenkel; auch die Kon- 
junktiva des rechten Auges zeigte eine starke Blutung. 

Im Vordergründe des Krankheitsbildes standen aber heftige 
Atemnot, Bluterbrechen, blutige Durchfälle, Hämaturie und Schleim- 
hautblutungen des Mundes und der Nase. Durch Styptica und Ana- 
leptika wurde in wenigen Tagen Heilung erzielt. 

Besonders interessant an dem Fall ist: 

1. Die erworbene Idiosynkrasie, da Patientin früher dasselbe 
Präparat gut vertragen hat, noch auffallender deshalb, weil sonst 
doch eine allmähliche Gewöhnung an das Mittel bekannt ist; 

2. die ausserordentliche Schwere der Intoxikationserscheinungen, 
dazu auf eine so geringe Dosis hin (0,45 in 24 Stunden); 

3. die strenge Beschränkung der Blutungen im Gesicht auf die 
Effloreszenzen des Lupus erythematosus, die ihrerseits sämtlich von 
Petechien übersät waren. Dabei verdient bemerkt zu werden, dass 
nur der Lupus erythematosus des Gesichtes mit Jothionsalbe be¬ 
handelt war, nicht dagegen die auch von Blutungen frei gebliebenen 
Lupus-erythematosus-Stellen des behaarten Kopfes und der Hände, so 
dass es den Eindruck auf mich machte, als ob bei der kombinierten 
Behandlung nicht die Jodwirkung durch das Chinin, sondern die Chi¬ 
ninwirkung durch das Jod verstärkt würde. 

Bei der Gelegenheit möchte ich auch kurz noch meine Er¬ 
fahrungen mit der L e n z m a n n sehen intravenösen Chininbehand- 
lung bei Syphilis mitteilcn: in 2 Fällen applizierte ich je eine Injektion 
(5 resp. 3 ccm einer lOproz. sterilen Chininum-hydrochloricum- 
Lösung + 0,7 NaCl) mit dem Erfolge, dass die Leute unmittelbar nach 
Verabreichung ein Heisswerden im Arm und Kopfe verspürten; es 
wurde ihnen bunt vor den Augen; sie schlugen mit beiden Händen in 
die Luft, fassten sich an den Kopf und fielen hin; dazu trat Atemnot. 
Bei dem einen bedurfte es V* Stunde, bei dem anderen fast einer 
Stunde, bevor ich ihn wieder aufstehen lassen konnte. Für die 
ambulante Praxis möchte ich auf Grund dieser Erfahrung vor der 
intravenösen Chininapplikation gewarnt haben, ohne mir im übrigen 
ein Urteil über deren Wert zu erlauben. 


Zur Behandlung der Sommerdurchfälle der Kinder. 

Entgegnung auf Dr. Max G o e t z in Leipzig-Plagwitz. 

Von Dr. Robert Bing, Kinderarzt in Berlin. 

In No. 32 der Münch, med. Wochenschr. schlägt Herr Dr. G ö t z 
vor, die an Brechdurchfall erkrankten Kinder von morgens 7 Uhr bis 
abends 10 Uhr in den Keller zu stellen, sie ein oder mehrere Male 
zu baden und ihnen 1—2 Tage lang nur Thee zu geben. Im übrigen 
könnten alle anderen geeigneten Mittel allgewandt werden. Würden 
diese Vorschläge 4—8 Tage lang befolgt, dann seien die Erfolge vor- 


■) Vorgestellt auf dem X. Kongress der Deutschen Dermatologi¬ 
schen Gesellschaft in Frankfurt a. M. 


3* 


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1788 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. M. 


ziiglich. Oft scheitere diese Bcliandlungsweise an dem Widerstand 
der Mütter, denen der Keller bald zu dumpf oder feucht sei oder 
weil sie sich vor den Ratten fürchteten. Diese Anschauung der 
Mütter kann ich nur billigen. Und ich glaube, jeder Arzt, der Gc- 
legenheit hatte, viele Säuglinge im schwersten Stadium des Brech¬ 
durchfalles zu behandeln, wird froh sein, anstatt des Kellers eine 
wohnliche Krankenstube als Behandlungsort vorschlagen zu dürfen. 
Nicht auf die Kühle des Zimmers kommt es meines Trachtens an, 
sondern auf die Reinlichkeit aller mit dem kranken Kinde in Be¬ 
rührung kommenden (kgenstände. Vor allem können wohl Koch¬ 
salzinfusionen und Bäder ‘im Keller nie so peinlich sauber vorgenommen 
werden. Lüftet man dann in der heissesten Zeit das Krankenzimmer 
früh und abends recht gründlich und behandelt man die (iastroenteri- 
tis der Säuglinge nach den in der Pädiatrie derzeit als erprobt gel¬ 
tenden Massnahmen, so erlebt man die Freude, schon recht oft am 
2 oder 3 Tage die Krankheit in Genesung übergehen zu sehen. 

Zur Frage der Heilstättenbehandlung und der Anzeigen 
für dieselbe. 

Schlusswort von Dr. A. Frankenburger in Nürnberg. 

Auf die Entgegnung von Herrn Kollegen Dr. B r ä u t i g a m in 
No. 32 dieser Wochenschrift habe ich folgendes zu erwidern: 

Die Ausführungen meines Aufsatzes in No. 17 und IS haben sich 
allerdings hauptsächlich auf meine Erfahrungen an Kranken der Heil¬ 
stätten Engelthal und Eürth gegründet. Meine Schlussfolgerungen 
und Thesen waren ganz allgemeine. Es lag gar kein Grund 
vor, aus ihnen einen Gegensatz zwischen der Heilstätte Engelthal 
und der Fürsorgestelle Nürnberg, welche Zusammenarbeiten müssen., 
abzuleiten zu versuchen. Dass Heir Kollege Bräutigam sich 
dazu hat verleiten lassen, bedauere ich; noch mehr, dass er durch 
eine Qualifikation „des derzeitigen Leiters“ der Fiirsorgestelle und 
ein diesem erteiltes Misstrauensvotum der sachlichen Meinungsver¬ 
schiedenheit eine persönliche Wendung zu geben sich bewegen liess. 
welcher ich nicht folgen werde. 

Sachlich kann ich nur einige (legenfeststellungen machen und 
bitten, meine Arbeit noch einmal genau zu lesen. Ich habe nicht, „ob¬ 
wohl ich selbst zugebe bezüglich der Dauererfolge bei Kranken des 
II. Stadiums sehr skeptisch zu sein“, die Aufnahme solcher Kranker 
des II. Stadiums in die Heilstätten verlangt. Der Skeptizismus be¬ 
züglich der Dauererfolge gilt vielmehr nicht weniger iür die Kran¬ 
ken des I. Stadiums. Mein Optimismus dagegen, dass die Heil- 
stättenbehandlung in vielen Fällen des I. Stadiums durch eine billi¬ 
gere Erholungsstättenbehandlung ersetzt werden kann, gründet sich 
auf die immer wachsende Erfahrung, dass unter den sog. Kranken des 
I. Stadiums bei einzelnen Heilstätten (besonders Engelthal) ausser¬ 
ordentlich viele Fälle sich befinden, welche latente Tuberkulosen 
oder gar keine sind, welche aber in den Berichten nicht aus¬ 
geschieden, sondern den I. Stadien eingereiht sind. 

Dass eine dreimonatliche Heilstättenbeharidlung durch eine 
28 tägige Erholungsstüttenbehandlung ersetzt w erden könne und solle 
habe ich nie behauptet. 

Zu weiterer Widerlegung müsste ich den grössten Teil der Aus¬ 
führungen meiner ersten Arbeit wiederholen, was mir aber die Zeit 
und die Redaktion verbietet. 

Ich stelle jedoch fest, dass mir nach Veröffentlichung meiner 
Arbeit sehr viele schriftliche und mündliche Zustimmungen (letztere 
besonders anlässlich der Tuberkuloseärzteversammlung in München) 
von seiten der praktischen Aerzte wie von Heilstättenärzten zuge¬ 
kommen sind. 

Aus der Finscuklinik Berlin. 

Bemerkungen zu dem Artikel von K I i n g e 1 f u s s - Basel. 

Ueber Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen in 
absoluten Einheiten. Röntgenolyse. 

Von Dr. Franz Nagelschmidt. 

ln der No. 29 der Münch, med. W'ochenschr. 19öS beschreibt 
K I i n g e 1 f u ss - Basel ein Instrumentarium zur Messung und Do¬ 
sierung der Röntgenstrahlen in absoluten Einheiten. Er hat gefunden, 
dass die Reaktion der Röntgenstrahlenenergie auf der photographi¬ 
schen Platte direkt proportional ist dem Produkt aus: Spannung beim 
Stromfluss im Sekundärkreis, Stromstärke und der Expositionsd-aner, 
und schlägt vor, die hiernach ausgedrückte Arbeitsleistung als Ront- 
genolysc nach Analogie der Elektrolyse zu bezeichnen. Als Beispiel 
führt er an: „Es sei durch die Bestrahlung einer krankhaften, ober¬ 
flächlich gelagerten Stelle mit einer Rohre von ca. ftb Härteeinheiten V. 
(die Zahl bezieht sich auf die Skala des Spannungsmessers, der 15b 
Skalenteile für die Härten bis 8 Beiioisteinheiten besitzt) und mit einer 
Stromintensität von 1 Milliampere in lb Minuten eine ganz bestimmte, 
vom Arzte zu definierende Reaktion eingetreten; die Konstante hier¬ 
für beträgt also (>b lb ■ 1 öbb; diese Dosierung soll von einem 
anderen Arzte in einem Falle ebenfalls zum gleichen Zwecke ange¬ 


wendet werden. Seine Rohre zeige die Härte <>5 feine Piiicrcn/ gegen 
die erste Rohre von <>b M., die an der Bemustskala wegen der l n- 
emptindlichkeit derselben unmöglich zu ermitteln ist); dann gebe 
sein Instrumentarium die Stroinintensitat b,,s Milliamperes. I m die 
gleiche Bestrahluiigsmteiisitat durch die RontgeiioK s«. wie im vorigen 
Falle zu erhalten, muss der zweite Ar/t eine Expositions/eit von 
b.K . (>5 11,5 Minuten auw enden. Man ersieht, aus diesem einen 

Beispiel, wie einfach und sicher sich die Dosierung auf diese Weise 
gestaltet. Die Empfindlichkeit verschiedener Patienten wird in nicht 
immer die gleiche sein, aber aus dem absolut sicheren Masse bei 
der Rontgenoh se. mittels der man eine ganz bestimmte, genau 
definierbare Strahlenmenge appliziert, lasst sich r uckschäessend diese 
Empfindlichkeit beurteilen und ein sich so aiisammelndes Ertahrungs- 
material nutzbar verwerten." 

So einiach, wie K. glaubt, ist nun aber die Roiitgendosierung m 
der Praxis leider nicht. Ich verweise hierbei atu meine Bemerkungen 
in der Zeitschrift für ph\sikalische I herapie in „Kritisches zur 
Roiitgendosierung" und mochte, aut den K.sehen Vorschlag angewandt, 
folgende Emw aride erheben: 

Es ist durchaus nicht identisch, ob das Produkt 7. B. aus 
N» V.. I MA. und lb Minuten, oder aus IJn V .. 1 .• M V. und Io Minuten, 
oder aus <*b V.. 3 MA. und 3 Mm. 2b >ek. gebildet wird. Denn gerade 
in der Therapie und m der Photographie (am Körper» spielt es eine 
grosse Rolle, ob ich eine mehr oder weniger harte, sowie nchr oder 
weniger belastete (d. h. mehr oder weniger intensiv Icik äteiide > 
Rohre verwende. Da keine Rohre homogene Mrahlen entsendet, 
sondern stets ein Gemisch härterer und weniger harter Strahlen, so 
sagt mir weder das Produkt K.s noch die etwa gleiche Schwärzung 
photographischer Platten, dass die angewandten Rorngeiilichtmengeii 
identisch sind. Im Gegenteil geht aus dem genannten Beispiel sogar 
klar hervor, dass beide Resultate in einem 1 all durch eine härtere, 
im arideren durch eine weichere Rohre und dazu bei verschiedener 
Belastung erhalten wurden. I heorelisch konnte man i.i dann nach 
K. so Weit gehen, zu sagen, dass eine ganz harte Rohre mit einer ganz 
weichen identisch ist unter entsprechender Variation der anderen 
Faktoren, was vollkommen unzuti eilend Ware. Wollten wir nun m 
unserem Beispiele noch feststelieri. wie das Verhältnis der weicher: 
zu den harten Strahlen ist. so mussten wir mehrere Platten teils 
direkt, teils durch Filter hindurch zu gleicher Zeit belichten, d. h. 
eventuell das Kienböck sdie Quantimeter benutzen, um die Ver¬ 
hältnisse im menschlichen Gewebe annähernd zu Schätzen oder zu 
imitieren. Dann brauchen wir aber das ganze komplizierte neue 
Instrumentarium nicht. Auf Differenzen von 5 I mheiteii (wie in dem 
Beispiel K.s) einer Skala von 15u Teilen kommt es in vier I herapie 
niemals an; für klinische Zwecke reicht eine 81eilige Skala Vor¬ 
kommen aus. 

Die Figur K.s mit der Tabelle in der Anmerkung beweist eben¬ 
falls nichts für die Praxis. Denn die dünne photographische Schicht 
darf keinesw egs den praktischen Bestrahlungsgebietv ri gicuhgesel/t 
w erden. Auch hier geben nur v ergleichende l ntersuc hungert mit oder 
ohne Filter (z. B. Alummiumplatten) Anhaltspunkte für die Mischungs¬ 
verhältnisse der Strahlen, mithin für die therapeutisc ne Dosierung. 

Für physikalische Zwecke erscheint die Methode sicherlich vor¬ 
teilhaft, indem sie vielleicht eine exaktere Bewertung der gesamten 
verbrauchten Energie ermöglicht. Sie gibt aber nicht einen exakten 
Massstab für die tatsächlich produzierte Rotitgcuctu r eie ab. weil 
nicht alle Kathodenstrahlen im Zentrum der Antikathode zur Ver¬ 
einigung gelangen, weil die zur Produktion störe'.der Warme verloren 
gegangene Energie im Produkt mit enthaltet) ist. und weil anderer¬ 
seits die sekundären Roiitgenstr uhit n die das Produkt vermehren 
mussten, nicht in Rechnung gezogen werden. Audi ist über das 
Mischungsverhältnis harter und weicher Mrahlen nicht mehr als vier 
Mittelwert aus dem Produkt zu ersehen. Indessen ist inr ver¬ 
gleichende Untersuchungen phv sikalisc her Art die Methode 'w eileI- 
los wertvoll. Für die Medizin dagegen bedeutet sie leider nichts als 
eine überflüssige Komplizierung, welche bereits vorhandene Methoden 
einerseits nicht entbehrlich macht, andererseits kaum verbessert. 
Denn es kommt bei der Therapie im wesentlichen nicht auf die über¬ 
haupt produzierte n. sondern nur auf die resorbierten 
Strahlen an. Fan nicht unerheblicher Faktor liegt audi in der 1 at- 
sache, dass keines der bestellenden Routgemnstnimentarieii. ausser 
den von Herrn Klinge Ifuss zu dem speziellen Zweck herge¬ 
stellten Induktoren, fut die neue Einrichtung verwertbar ist. 

Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Zur Verbesserung unserer bayerischen ärztlichen 
Ehrengerichte. 

Von Dr. \V i 1 h c I m M a y c r in Fnrili. 

Der Wunsch, die ärztlichen Ehrengerichte besser nus/iP'aueu 
und lebensfähiger zu machen, ist vo It vie.cn M iteti Scimri gcaussert 
w orden und w ird bei de r Aerzteknmme' sit/ueg pro p>os w. ,»;• \oii 
den Aer/ten Selbst zur Beratung gest- 't \u-,:oi. Es sei gestattet, 
im folgenden zu referieren, was bis daher '"eben ist. ur.d w as für 
Hoffnungen auf Erfüllung der W uns.kc hcstchyri. 


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25 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1789 


Gelegentlich der Sitzung des erweiterten Obermedizinalaus¬ 
schusses im Dezember 1907 haben die Kammerdelegierten die Kam¬ 
mern von Ober- und Mittelfranken beauftragt, auf irgend eine Weise 
das kgl. Staatsministerium des Innern anzugehen, um von massgeben¬ 
der Stelle zu erfahren, welche Wege zu einer Besserung etwa gang¬ 
bar wären. 

Dr. Jungengel -Bamberg und Dr. Mayer-Fürth haben dar¬ 
aufhin um eine Audienz nachgesucht, und zu vorheriger Orientierung 
folgende Ausführungen eingereicht: 

Fürth, April 1908. 

An das Kgl. Staatsministerium des Innern, 

München. 

Betreff: 

Die ärztliche Ehrengerichts- und Standesorganisation. 

Die Unvollkommenheit der staatlichen Organisation des ärzt¬ 
lichen Standes in Bayern tritt in besonders grelle Beleuchtung, wenn 
man die Mängel betrachtet, die dem ehrengerichtlichen Verfahren bei 
den Bezirksvereinen anhaften. Der Staat hat die Bildung von 
Schied«- und Ehrengerichten in der Allerhöchsten Verordnung d. d. 
9. VII. 95 „Bildung von Aerztekammern und Bezirksvereinen“ in 
§ 13 zur Pflicht gemacht; es ist aber nichts vorgesehen, diese Ge¬ 
richte auch arbeitsfähig zu machen. Es können keinerlei Zeugen in 
richterlich brauchbarer Weise, also auf Eid, vernommen werden; 
Nichtärzte aber auch Aerzte, die der Organisation nicht angehören, 
brauchen sich überhaupt nicht vernehmen zu lassen; bei den Ehren¬ 
gerichten der Kammern (Kommission für Beschwerden im Sinne des 
§ 12 der angezogenen Allerhöchsten Verordnung) ist die Vernehmung 
von Nichtärzten sogar geschäftsordnungsgemäss ausgeschlossen. 

So ist bei sehr vielen, diesen Gerichten unterbreiteten Fällen ein 
„non liquet“ der Schluss und oft muss die moralische Ueberzeugung 
zur Herbeiführung eines gedeihlichen Endes ausreichen. 

Dann sind aber die Aerzte im allgemeinen nicht durchweg aus¬ 
reichend geschult für solche ins juristische streifende Aufgaben, und 
Verstösse gegen juristische Fundamentalgrundsätze können unter 
Umständen sich einschleichen. 

Dass Ehrengerichte aber dem ärztlichen Stande notwendig sind, 
das bedarf kaum eines Beweises. Bei keinem gelehrten Berufe — 
auch die Rechtsanwälte nicht ausgenommen — sind persönliche Kol¬ 
lisionen, die Versuchung, durch kleinere oder grössere Unrichtig¬ 
keiten sich zu nützen, dann aber auch der Widerwillen, sich unter 
feste Normen zu geben, so häufig, als bei den Aerzten. 

Der Staat dürfte wohl selbst das Bedürfnis fühlen, eine von ihm 
geschaffene Organisation so zu verbessern, dass sie die ihr gestellten 
Aufgaben erfüllen kann; dies erfordert in erster Linie, dass die 
Ehrengerichte sich bessere Unterlagen für ihre Urteile verschaffen 
könnten. Auch die Zuziehung juristischer Beisitzer zur Vermeidung 
von Rechtsirrtümern, würde ärztlicherseits auf keinen Widerstand 
stossen, wenn die Aerzte nur die Schlussentscheidung selbst in der 
Hand behalten. Auch wäre zu. erwägen, ob es nicht angängig wäre, 
den ärztlichen Ehrengerichten das Recht einzuräumen, zur eidlichen 
Vernehmung bestimmter Persönlichkeiten die zuständigen Gerichte 
zu requirieren, wie das z. B. bei den Berufsgenossenschaften der 
Fall ist. 

Solche Aenderungen Hessen sich im Rahmen der schon be¬ 
stehenden Organisation der Kammern und Bezirksvereine leicht 
machen. 

Neben den oben ausgeführten erweiterten Befugnissen für 
die Ehren- und Schiedsgerichte der Bezirksvereine wäre noch die 
Errichtung eines Instanzengerichtes bei den Kammern in Erwägung 
zu ziehen. 

Eine Reihe von Kammern haben ein solches Kammergericht 
schon freiwillig eingerichtet und sind damit zufrieden gewesen. 

Es wäre auch zu bedenken, ob nicht mit der Verbesserung der 
ärztlichen Gerichte ein Kgl. Staatsministerium es angezeigt halten 
könnte, diesen Gerichten feste Normen für ihre Urteilsfällungen zu 
geben. Mit anderen Worten, ob nicht eine Standes- und Ehren¬ 
gerichtsordnung für die jetzt bestehende Organisation erlassen wer¬ 
den könnte. Als Vorbild dürfte die vom Obermedizinalausschuss im 
Jahre 1901 sorgfältig ausgearbeitete Standesordnung dienen, deren 
gesetzliche Einführung damals verlangt wurde. Das Schicksal dieser 
Regierungsvorlage ist bekannt. Die Zutaten und Abstriche der Kam¬ 
mer der Abgeordneten hätten dem ärztlichen Stande das Gegenteil 
von dem gebracht, was er anstrebte. Dankbar sind wir daher der 
hohen Staatsregierung, die den Entwurf daraufhin zurückzog. 

Bei den heutigen Anregungen fällt daher auch eine von uns 
angestrebte Verbesserung der ärztlichen Organisation vollständig 
aus; nämlich die, sämtliche bayerische Aerzte einer Standes- und 
Ehrengerichtsordnung zwangsweise zu unterstellen. • Jetzt kann ein 
Arzt durch Nichtbeitritt zu einem Bezirksverein oder durch Wieder¬ 
austritt sich jeglicher Kontrolle und jeder Ahndung von Verstössen 
entziehen. 

Das Bestreben, eine Disziplinargewalt über alle Aerzte zu be¬ 
kommen', ist in unseren Kreisen recht lebendig geblieben. Nach dem 
Scheitern der gesetzlichen Regelung wurden mancherlei Versuche ge¬ 


macht, wenigstens teilweise diese Forderung zu erreichen; Anträge 
in den Kammern, wie der von Kissingen (1907), von allen, öffent¬ 
liche Dienststellungen in Staat und Gemeinde anstrebenden oder be¬ 
kleidenden Aerzten den Beitritt zu den Bezirksvereinen zu verlangen, 
bekunden dies. 

Wir bitten um Belehrung, wie weit solche zwangsweise Unter¬ 
stellung der Aerzte unter die Satzungen der staatlichen Organi¬ 
sation möglich ist. 

Wir bitten aber vor allem um geneigte Mitteilung, wie weit den 
übrigen oben ausgesprochenen Bitten Gehör gegeben werden kann 
und werden erst nach einem günstigen Bescheide darüber entweder 
die Entschlüsse der hohen Staatsregierung abwarten oder, wenn dies 
gewünscht würde, für Vorschläge aus den weiteren Kreisen der 
bayerischen Aerztekammern sorgen. 

Wir vertrauen darauf, dass das Wohlwollen einer hohen 
Staatsregierung, dessen die Aerzte sich stets erfreuen durften, auch 
diesmal uns zur Seite stehen wird. 

Ehrerbietigst 

Der geschäftsführende Ausschuss der Aerztekammern. 

Dr. J u n g e n g e 1. Dr. M a y e r. 

Die nachgesuchte Audienz wurde genehmigt und fand am 
28. Mai d. J. unter Zuziehung von Herrn Geheimrat v. Grashey 
statt. 

Leider waren die Aufklärungen, die wir bekamen, nicht so gün¬ 
stig, wie wir gehofft hatten. 

„Auf dem Verordnungswege könne eine Verbesserung unserer 
Ehrengerichte nur sehr unvollständig erfolgen. Einschneidende Re¬ 
formen nach unserem Begehr wären nur auf dem Wege der Gesetz¬ 
gebung möglich. So könnten die Aerzte, die nicht freiwillig der 
bestehenden staatlichen Organisation beitreten, nur durch ein Gesetz 
den Ehrengerichten unterstellt werden. Wegen der Beiziehung von 
staatlichen Gerichten oder Richtern um Zeugen zu vereidigen u. dgl. 
hat Se. Exz. der Herr Staatsminister mit dem Minister der Justiz 
Rücksprache genommen, und dort das gleiche gehört, was er 
selbst meinte, dass auch dieses nicht ohne Gesetz gehe. Einer sol¬ 
chen gesetzlichen Regelung im Sinne der 1901 von der Staats¬ 
regierung dem Landtag vorgelegten Standes- und Ehrengerichtsord¬ 
nung, steht der Herr Staatsminister seinerseits sympathisch gegen¬ 
über, weiss natürlich nicht, welches Schicksal eine erneute Vorlage 
. haben wird, und wird vorerst abwarten, ob die Aerzte selber eine 
solche Neuvorlage wünschen und verlangen. Eine für die bestehende 
ärztliche Organisation gültige Standesordnung könnten sich 
die Kammern selbst geben, und die Staatsregierung werde der Auf¬ 
nahme In Statuten und Geschäftsordnungen nicht im Wege sein.“ 

Dies das Resultat, einzig erfreulich durch die Erkenntnis, dass 
die hohe Staatsregierung die Notlage der Aerzte in Bayern bezüglich 
ihrer Organisation nicht verkennt und ihrerseits bereit ist, für unsere 
Wünsche einzutreten, dabei aber, wie schon früher, für die Aerzte 
doch lieber keine als eine schlechte Neuordnung zulassen wird. 

Uns Aerzten erübrigt in dieser Situation zweierlei. Erstens die 
Ueberlegung, ob, wann und wie die Wiedereinbringung eines Gesetz¬ 
entwurfs über eine Ehrengerichtsordnung der Aerzte angestrebt wer¬ 
den soll. Und zweitens, ob es verlohnt, an den jetzt bestehenden 
Bestimmungen zu verbessern und zu ändern, um im Rahmen unserer 
jetzigen staatlichen Organisation eine etwas arbeitsfähigere Gerichts¬ 
ordnung zu bekommen. 

Hier käme in Frage: 

1. Die nochmalige Beratung und Annahme einer für alle baye¬ 
rischen Kammerbezirke gültigen „Standesordnung“ und die Aufnahme 
in die Statuten unter Genehmigung der Staatsregierung. 

Mittelfranken hat 1903 dies schon beantragt und für sich 
auch ausgeführt. Die anderen Kammern sind nicht gefolgt, weil von 
einer Kammer betont w'urde, dass in ihrem Kreise grosser Wider¬ 
stand gegen diese Standesordnung bestünde. Dies mag so sein, 
aber diese Widerstrebenden stemmen sich überhaupt gegen Ehren¬ 
gerichtsordnungen und gegen eine Disziplinargewalt und gegen die 
Organisation der Aerzte, wie sie sich in der jüngsten Zeit entwickelt 
hat. Hier kann sich die grosse Majorität der kleinen Minderheit nicht 
fügen. Für das richtige Arbeiten von Ehrengerichten sind solche 
Normen nötig, dort, wo man sie nicht gleich aufstellt, bilden sie 
sich von selbst fast gleichlautend heraus, wie z. B. in Preussen. Es 
erscheint aber gegenwärtig für uns doppelt nützlich, eine Standes¬ 
ordnung anzunehmen, die etwa der von 1901 entspricht. Wenn sie 
unter Zustimmung der Staatsregierung eingeführt und durch kürzere 
oder längere Zeit sich bewährt hat, so werden, bei einer doch noch 
zu erhoffenden gesetzlichen Regelung unserer Standesfragen, An¬ 
griffe auf sie schwerer zu begründen und leichter abzuweisen sein. 

Zweitens erscheint es nötig, die Berufung bei den Vereinsehren¬ 
gerichten anders zu regeln und zu vervollkommnen. Eine solche be¬ 
steht jetzt auf Grund der allerhöchsten Verordnung von 1895 an die 
dazu eingesetzte Kommission der Kammer bei Ausschluss von Aerzten 
aus den Vereinen oder bei verweigerter Aufnahme. 

Auch für die übrigen ehrengerichtlichen Strafen steht dem Be¬ 
klagten resp. Verurteilten Berufung zu an das Vereinsplenum. Hier 
fehlt das Berufungsrecht des Klägers, der meist durch die Vereins- 


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1790 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


vorstandscliaft repräsentiert wird; dann scheint aber auch* die Be¬ 
rufung an den Verein nicht das Richtige; die Schlussentscheidung 
gehört vor einen s. v. v. unparteiischeren Senat. Die Vereinsehren- 
nchter gehören zu den geachtetsten Mitgliedern, die Vereinsvorstand¬ 
schaft hat die Klage erhoben — die Aufhebung eines Urteils durch 
das Vereinsplenuni, an sich recht unwahrscheinlich, würde leicht 
einem Misstrauensvotum nicht unähnlich sein, abgesehen davon, dass 
eine Vollversammlung kein geeignetes Forum ist für eingehend zu 
prüfende und zu begründende richterliche Beschlüsse. Mindestens 
müsste, wie bei dem Ausschluss von Mitgliedern oder der Nacht¬ 
aufnahme eine Instanz noch über dem Vereinsplenum stellen; das 
würde den Apparat aber, für die meisten ehrengerichtlichen Fälle 
zu schwerfällig machen. Für diese Fälle genügte darnach eine 
Instanz bei der Kammer direkt über dem Vereinsehrengericht, und 
die bekannten Bestimmungen müssten dabei festgelegt sein, dass 
Aerzte von beteiligten Vereinen nicht als Richter fungieren können. 

Mittelfranken hat diese Instanz ebenfalls schon für sich ge¬ 
schaffen, allerdings vorerst als dritte über dem Vereinsplenum. 

Auch in der Pfalz bestellt für den Verein Pfälzer Aerzte eine 
ehrengerichtliche Instanz bei der Aerztekammer und die Ausarbei¬ 
tung einer Standesordnung ist im (lange. In einigen der übrigen 
Kammern wurden wenigstens für wirtschaftliche Fragen Instanzen 
schon vorgesehen. Die Errichtung solcher Kammerehrengerichte 
wird ganz leicht zu machen und der (jcuehmigung der Kgl. Staats¬ 
regierung sicher sein. 

Neben diesen beiden Anregungen prinzipieller Natur wäre 
über die Geschäftsordnung der Gerichte noch manches zu sagen. 

So wäre zu erwägen, ob die Ehrengerichte beider Instanzen 
nicht das Recht bekommen sollten, in geeignet scheinenden Fallen 
einen richterlich qualifizierten Juristen beizuziehen. Wir haben z. B. 
in Fürth diese Einrichtung schon bei Schlichtung von Zwistigkeiten 
zwischen Aerzteverein und Krankenkassen; es wären lalle denk¬ 
bar, wo ein solcher juristischer Beirat das ärztliche Gericht vor Ver- 
stössen gegen feststehende Rechtsauffassungen bewahren konnte. 

Das Anhören von Zeugen aus ärztlichen Kreisen ist schon erlaubt, 
es sollten aber auch Laien gehört werden dürfen, wenn das Geruht 
dies beschliesst. 

Die persönliche Anwesenheit des Beklagten mul der klagenden 
Partei müsste bei der Beweisaufnahme stets gestattet sein, wahrend 
der Beschluss selbst natürlich in geheimer Sitzung erfolgt. Dass 
ein Mitglied während eines ehrengerichtlichen Verfahrens nicht 
austreten darf, ist noch nicht überall Bestimmung. 

Nach diesen kurzen Ausführungen lassen sich die einzelnen Para¬ 
graphen der bestehenden Ehrengerichtsordnungen leicht kontrollieren. 
Die Vorvcrsammlung der Kammervorsitzenden im September wird ent¬ 
scheiden, ob die ganze Frage in die Kammersitzung genommen wer¬ 
den soll, und die Vereine haben noch Zeit Stellung dazu zu nehmen 
und etwaige weitere Verbesserungen vorzuschlagen. 

Ethische Fragen für den ärztlichen Stand'). 

Zeitgemässe Revision der Etikettenfragen. 

Von Dr. Max Nassauer in München. 

So oft ich über das mir vom ärztlichen Bezirksverein gestellte 
Thema, über einzelne Fragen der ä r z t I i c h e n Ethik 
zu referieren, meine Betrachtungen anstellte, kam eine solche 
Flut von drängenden Gedanken über mich, dass sie mein Gehirn nicht 
zu fassen vermochte. Hunderte von Fragen durchzogen mein Den¬ 
ken und wenn ich sie packen wollte, wurden sie sofort durch andere, 
neue verdrängt. Ich sah ein, dass es unmöglich sei. über ärztliche 
Ethik in einem einzigen Vortrage zu referieren. Dazu musste mau ein 
Kolleg für mindestens ein Semester lesen. 

Noch deutlicher wurde mir die Fülle dieses Materials, als ich 
Versuchte, mich in der Literatur umzusehen. Da fand ich vor allem 
das 650 Seiten starke Buch von Moll „Aerztliche Ethik“, fand den 
dreibändigen Hippokrates und eine Anzahl von kleineren Spezial¬ 
schritten, darunter das grosszügige Buch von Scholz „Von 
Aerzten und Patienten“ 1 ). So hatte sich zu der noch verworrenen 
Fülle meiner eigenen Gedanken die Fülle der von anderen Seiten 
niedergclegten Ideen gesellt... ich stand vor einer unlöslichen Auf¬ 
gabe. 

Da wurde mir klar, dass ich mein Thema eiuschränkeii und nur 
ein Spezialgebiet der ärztlichen Ethik herausgreifen dürfe. um meinem 
Aufträge gerecht zu werden. Ich ward mir bewusst, dass ich mir 
zuerst über den Begriff „Ethik“ im allgemeinen, dann über „ärztliche 
Ethik“ im speziellen, klar werden müsse. 

Die P h i I o s o p h i e hat verschiedene Definitionen der F. t h i k 
gegeben, wurde von den Griechen als die Wissenschaft be¬ 

zeichnet. die den sittlichen Wert und Unwert des menschlichen Wol¬ 
fens und Handelns untersucht. W ährend die Ethik einem alten Her- 

! ) Vortrag, gehalten im ärztlichen Bezirksverein München am 
-1. März löos. 

1 ) 3. Auflage, München E*bf> (Otto Gmelins Verlag). 

•) v. E h r enteis: < irundbegriffe der Ethik. 1*07. 


kommen gemäss vielfach als „praktische Philosophie“ bezeichnet 
wurde, spricht ihr Schopenhauer als Teil der Philosophie nur 
theoretische Bedeutung zu. Sie habe keinen Einfluss auf die l mbil- 
dung des Charakters. 

Was nun ist die Aufgabe der Ethik? Sie soll uns vor allem bei 
moralischer Unsicherheit und in moralischen Konflikten behhbuh sein, 
d. h. also dann, wenn wir in gegebenen Fallen zwar niorahsji ein¬ 
wandfrei handeln mochten, aber im Zweifel darüber sinJ. weLhe 
Handlungsweise hier als moralisch geforderte anzusehen sei. P:e 
Ethik soll uns somit für den Zweck des moraiiseh emw undireiui 
Handelns ungefähr die analogen Hilfmittel geben, wie die medizini¬ 
schen Disziplinen und \ orschritten sie zum Zwecke der Htilimg \oii 
Kranken dem Arzte bieten. Aufgabe der Ethik ist die iiitedektiK le 
Belehrung des Willens zum sittlich Guten, nullt etwa dessen E.r- 
w eckung. 

So spricht der Philosoph J ). 

Ich muss gestehen, dass es mir reJit Schwer fiel, muh m den 
Gedankengang der philosophischen Deuker hmeinzuleseii. Es ist 
eine grundverschiedene Art des Denkens gegenüber unseren durGi 
die Natiiranschauung erzogenen Gehirnzellen, Aber es scheint um. 
dass schliesslich auch zwei \ erschigdetiartig gestaltete Gehirnrcihen. 
allerdings auf verschiedenen Wegen, zu demselben Ziele gelangen 
können. End so fand ich es begmiluh. dass der Mediziner .1 aks. h 
im Gegensatz zu dem Philosophen sagen kann, „er kenne keine Be¬ 
rufsethik des Arztes. Er keime nur eine ltluk: die des gebd JUeti 
Menschen." 

Dies scheint mir denn auch der springende Punkt zu sein. W um 
die praktische Ethik eine No,r,mallehre ist und die Moral somit emut 
Teil und zwar den praktisch wichtigsten I eil, das hlusse r geb* t*. 
der Ethik dar stellt, so zeigt uns sdioii die Betrachtung der GisCiiäitc 
die ja doch verschiedene Auffassungen um Moral aufweist, dass .null 
der Begriff und Inhalt der Ethik wechseln nmssui. je nach den Ku.tm- 
aiischammgen einer Zeit. 

Da die Kulfiiranschauimgen eines Volkes n,n den G«. bildet», n Jn 
Bevölkerung geschaffen und vertrete.l weiden, so ist sji.iess^h du 
Ethik in letzter Eime die MoralatiSc haiiuug der gebi.deten Mensduu. 
Und damit Schlüsse ich meinen Gedanketigaiig. Die Vertreter eirus 
Berufes, der sich zu den gebildeten zahlt, können nur eine Lth:k. 
die der gebildeten Menschen überhaupt, haben. 

Von diesem Gesichtspunkte aus müsseu wir untersudun. ob es 
eine spezielle Ethik des ärztlichen Perms überhaupt gibt und. wenn 
ja. worin sic bestellt. 

Wir kommen sofort nber die Il.iuptsdiw ler igki :t hinweg, wenn 
wir uns klar machen, dass aus den allgemeinen etlesdicn \nsdiau- 
uugen heraus sich gewisse einzelne ethische Ern Jtrimge u u.r be¬ 
stimmte Berufsklassen lieraiissdmien lassen. So bestehen denn aiuh 
t ii r uns Aerzte bestimmte ethische Eor der ungen. Und zwar dislia'b 
fiir unseren ärztlichen Beruf eng umgrenzt, weil gewisse Fragen tnr 
andere Stande gar nullt m Betracht kommen können. Ich will das 
au einem Beispiel deutlich madieii: Für uns Aerzte kann die Frage 
eier Ethik zur Erörterung kommen, ob wir einen to.'adi erkrankten 
Menschen toten dürfen; ob wir z. B. einem verbrannten, v-n duri 
IIIrclitePiuhsten Dualen verzehrten Menschen eine I uthanasu be¬ 
reiten diniert; ob wir ein Kind perforieren duften; einen Kranken 
zum Zwecke seiner Heilung bei .gen durteil ... ob wir solche und 
ähnliche, mit der allgemeinen Ethik im Widetsprudi su'runde Hand¬ 
lungen begehen dürfen. Insofern also g.bt es m dir lat e.r.e spe¬ 
zielle ärztliche Ethik. Nachdem unser Gedankengut’g uns s. vve.t 
geführt Inf, schab sidi d<>di a'im.ihluh der Kern der nur zu- 
gewirsemen Aufgabe het.ms. l s wird klar, dass uh aus der ur/*- 
liclien Ethik wieder einen besonderen Zweig luspudan s. ’i. Dieser 
Zweig der ai ztlu heil Ethik ist die gr < >sse A bti ilung de r a r / t 1 u Ii e n 
Etikette. Mit Recht weist Moll daran! hui. il.es so oft unter 
den Aerzten die wichtigsten Fragen der ar/tlulnn I ’lnk v - • ".kommen 
ignoriert werden Und der llnimtwert auf die ftiWtte und auf St .in¬ 
desfragen gelegt wird. Wer dies tue. handle uhniuh v u Stink nten. 
die aniiehuieu. der Bier'komme nt und Pauk kommt nt iml was damit 
zusammenhangt. sei der Inbegriff der stu.lt nt. seht n P’lubtleh'e. 

Ein weitsichtiger lind im modernen 1 eben shiumkr giluldeter 
Mensch - - mul das sollten w ii Aerzte do v h sein’ vvud muht m 
diesen Fehler v et laden. Ich selbst will es muht tun und darum vvili 
ich bei meinen Ausfuhrmrigen immer das grosse Zu! vor Augin lubum: 
A Ile Etiketten- und St a n d e s i r a g e n f u r weit u n - 

w i c h t i g e r zu halt e n. als die grosse ethische, sitt¬ 
lich e u ii il moralis c Ii e F o r d e r u n g. vv eiche die B : 1 - 

d ti n g a n uns als M e u s c h e n sf e ! I t. B i iu ri v\ ir im.s »- 

holleren Aufgabe bewusst, dann \v erden wu de k'en'itui Ira.eii 
der Fltiketfe und der Standeser fo'j der nisse .null \«m höhere*« < ie- 
sichts[umkte aus und mit modernen, gross/.- „ui \ugitf u. 

„Wer den Hauptwert auf 1 f:kt ttetiB a gen kgt. be ;*ft t Ver¬ 
fehlungen gegen die Sia ndesinlu Ilten zwar sehr snog. ist .der not 
dem Tadel bei ernsten Verletzungen der mbsj.oi P‘ ! s- ' r spu r - 
sam.“ I' rot / d v m sind <1 i e I r a g e n 4r r Etikette T« r 
e inen St a n d d u r c Ii a ns n i c Ii t u n w i c 1; t i g u u ,! ins. 

b e s n n d e r e b e d u r f e n die i u n g e n. in e i n e n > ! a u d n e u 

eint r e t e n d m M i t g i i e d e r e um F n b r e r s. u m, sie!’ in 

d ui St a n d e s e r f o r d e r n i s s e n / u r e c t z u t i n d t *i 1 1 - s 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1791 


um so mehr, als gerade Etikette und Standesfragen immer wechseln 
werden, während die grosse Frage der Ethik seit Bestehen einer 
Kultur in allen gebildeten Menschenherzen die gleiche Beantwortung 
gefunden hat und stets finden' wird. 

Etikette- und Standesfragen wechseln. Denn sie sind vielfach 
eine gesellschaftliche Forderung, eine Forderung der äusse¬ 
ren Manieren, des äusseren Auftretens. Und jeder Gebildete wird 
seine Bildung schon durch sein Auftreten und Benehmen dokumen¬ 
tieren. Man unterschätze die Form nicht! Die Form ist nicht die 
Hauptsache im Leben. Wohl gibt es Menschen, die nur Manier und 
Form haben und innerlich ungebildet und roh sind. Aber niemals 
gibt es einen wahrhaft innerlich Gebildeten, in dessen Auftreten, 
dessen Benehmen seinen Mitmenschen gegenüber, sich nicht diese 
innere Bildung erweisen würde. Selbstredend bezeichne ich mit 
„gebildet“ nicht den Menschen, der viel gelernt und viel studiert 
hat: Ein Analphabet kann gebildeter sein als ein Professor der Philo¬ 
sophie. Er wird es in seinen Handlungen dokumentieren. — 

Die Umwälzungen der Zeit sind meist äusserliche. Gerade die 
letzten Jahre und Jahrzehnte haben ausserordentliche Umwälzungen 
im inneren Staatsleben herbeigeführt, die auch eine Revision der dem 
ärztlichen Stande eigentümlichen Beziehungen zur Gesellschaft er¬ 
fordern. 

Von diesen Beziehungen desärztlichen Standes 
zur Gesellschaft, zur Oeffentlichkeit will ich im 
einzelnen sprechen. Ich will nur Richtpunkte aufstellen, wie 
es die Pflicht des Referenten ist, die einer möglichst ausgedehnten 
Diskussion Spielraum gewähren sollen. Aus dieser Diskussion heraus 
sollen sich dann gewisse Normen als Gesichtspunkte für die ärztliche 
Etikette der nächsten Zeit ergeben. Sie sollen aber keinen Anspruch 
erheben, dauernde Gültigkeit zu haben: Nichts ist ständig, als 
der Wechsel. Wie auch könnte ich mich unterfangen, in diesem 
fliessenden Stadium feste Normen aufstellen zu wollen? Sie würden 
hinweggespült wie Eisschollen im Frühlingsstrom. 

Vor 33 Jahren, am 14. März 1875, hat der ärztliche Bezirks¬ 
verein München schon einmal den Versuch „eines ärztlichen Gesetz¬ 
buches“ beraten. Der Titel des kleinen sehr interessanten Heft¬ 
chens lautet: „Arzt und Publikum. Eine Darlegung der beiderseitigen 
und gegenseitigen Pflichten.“ Es enthält: 1. Pflichten der 
Aerzte gegen ihre Patienten. Dieser Abschnitt betrifft 
die Art der Behandlung, Häufigkeit der Besuche, die Art der 
Prognosenstellung und stellt, analog den Vorschriften des Hippokrates, 
die sicherlich bei dem Büchlein Pate gestanden haben, als „heilige 
Pflicht für den Arzt auf, sorgfältig auf sich selbst zu achten und 
alles zu vermeiden, was den Kranken entmutigen oder sein Gemüt 
niederdrücken könnte.“ Dieser Teil enthält 7 Paragraphen. 

2. Pflichten der Patienten gegen ihre Aerzte. 
Es wird hier u. a. von den Patienten gefordert, dass sie sich nur 
wissenschaftlich gebildeten, approbierten Aerzten anvertrauen sollen, 
dann solchen Aerzten, deren Leben regelmäsig ist, die sich nicht den 
Gesellschaften, dem Vergnügen oder irgend einer Beschäftigung hin- 
geben, die mit ihren Standespflichten nicht vereinbar sind. Der 
letzte der 10 Paragraphen dieser Abteilung fordert von den Patienten, 
dass sie nach ihrer Genesung dem Arzte eine gerechte Anerkennung 
des Wertes der ihnen geleisteten Dienste bewahren. 

3. Pflichten der Aerzte gegen einander und 

gegen den ärztlichen Stand im allgemeinen. Dieser 
Teil enthält 7 Abschnitte: a) Pflichten zur Aufrechterhaltung der 
Würde des ärztlichen Standes, b) Dienstleistungen der Aerzte unter¬ 
einander, c) Pflichten der Aerzte in Bezug auf Aushilfleistungen, 
d) Pflichten in Bezug auf Konsilien (dieser Abschnitt enthält nicht 
weniger als 10 Paragraphen!), e) Pflichten im geselligen Berufs¬ 
verkehr mit Patienten eines anderen Arztes, f) Differenzen zwischen 
Aerzten, g) Von den Honoraren. * 

Der 4. Teil gibt die Pflichten der Aerzte gegen das 
Gemeinwesen und umgekehrt. 

Die ganze Broschüre ist ausserordentlich lesenswert, wenn sie 
auch Standes- mit Berufspflichten identifiziert, die jedoch 
durchaus, trotz vieler Berührungspunkte, von einander zu trennen 
sind. 

Es ist sehr bezeichnend, dass noch in diesem verhältnismässig 
jungen Büchlein die Pflichten der Aerzte in Bezug auf Konsilien, über¬ 
haupt auf Dienstleistungen untereinander und Etikettefragen unter¬ 
einander einen unverhältnismässig grossen Raum einnehmen. Aus 
dem ganzen Kodex geht hervor, dass die Aerzte kein gemeinsames 
organisatorisches Band verknüpfte, sondern, dass der einzelne mehr 
durch Imponderabilien mit dem anderen und mit dem Stande verkettet 
war. Der Eindruck einer gewissen Biedermeierzeit bleibt aus der 
Lektüre zurück. Man fühlt, dass sich die einzelnen Aerzte meist 
persönlich kannten, in der kleineren Stadt eine gewisse Kontrolle 
über einander hatten: man fühlt die Enge der Stadt, die Enge der 
Zeit und die Enge der Anschauungen. Auf alle Fälle hatten es die 
Kollegen in jener Zeit leichter, durch ungeschriebene und unsichtbare 
Bande für die Ehre und das Ansehen des Standes zu sorgen, wie heute. 

Die Zeit ist anders geworden. Die Städte sind ins ungeheuere 
gewachsen. Die persönliche Kontrolle, sogar die persönliche Bekannt¬ 
schaft der ihre gemeinsamen Interessen pflegenden Menschen ist un¬ 
möglich geworden. Und da hat die neue Zeit neue Forderungen ge¬ 


stellt. Es mussten grosszügige Verbände, mächtige Organisationen 
geschmiedet und stark geleitet werden, um den ganzen Stand zu 
festigen. Auch blieben diese Organisationen nicht auf die Städte und 
Ortschaften beschränkt, sondern sie umspannen und umspinnen das 
ganze Land. An die Stelle der einzelnen Person tritt die Organisation 
des ganzen Standes mit berufenen starken Führern. Das ist zuerst 
dort geschehen, wo die grösste Not herrschte: bei den Arbeitern. 
Aber auch der sesshafteste und konservativste Stand, der Bauern¬ 
stand, musste diesem Zuge der Zeit folgen. Und er tat es in seinen 
agrarischen Verbänden. Auch die dazwischenliegenden Berufsstände 
folgten dieser Notwendigkeit. Selbst der Beamtenstand kann sich der 
Notwendigkeit der Organisation nicht entziehen. So beginnt selbst 
der Richterstand diesem Zug der Zeit zu folgen. Der Stand, der 
nicht mittut, geht als solcher zu gründe. Wir Aerzte haben uns lange 
gegenüber dieser neuen Zeit gesträubt. Die Not hat auch uns zu- 
zur Organisation zusammengeschweisst, in der der einzelne stets die 
Forderungen des gesamten Standes mitvertreten muss. 

Dadurch aber sind auch neue Regeln für den Stand und für 
den einzelnen Arzt innerhalb des Standes aufgestellt. 

Wir haben gesehen, dass die innerliche Bildung die beste Richt¬ 
schnur für das ethische Verhalten des Arztes bildet. Diese wird als 
Takt und Geschmack den Menschen meist angeboren sein. Aber 
es gibt doch Disziplinen, die diese innerliche Bildung vertiefen können. 
Und so darf die Frage erörtert werden, ob nicht wieder höhere 
Anforderungen an die Ausbildung der Aerzte nach der Richtung der 
philosophischen Seite gestellt werden sollten. Diese Ausbildung 
w r ürde in gewissem Sinne ein Gegengewicht gegenüber einer anderen 
zu fordernden Ausbildung abgeben: Die Belehrung über wirt¬ 
schaftliche und ökonomische Fragen. 

Die ärztliche Wissenschaft ist ja glücklicherweise den Händen 
der einseitigen Philosophie entronnen. Sie ist eine Naturwissenschaft 
geworden. Welch grundverschiedene Ausbildung des heutigen Arztes 
gegenüber den Galen und Hippokrates studierenden ärztlichen 
Vorfahren! Nun aber, meine ich, wäre es als Kompensation für die 
rein naturwissenschaftliche Ausbildung des ärztlichen Gehirnes von 
Vorteil, auch die philosophischen Disziplinen ein wenig zu betreiben. 
Und wenn, was sicherlich kommen wird. Lehrstühle errichtet werden, 
die den jungen Arzt in allen Fragen des ärztlichen Standes, der 
sozialärztlichen Tätigkeit, der Anforderungen des Staates und der 
Gemeinschaft an den Arzt unterrichten, so wird dabei nicht vergessen 
werden dürfen, gerade in diesen sozialärztlichen Kursen die ethischen 
Begriffe des gebildeten Menschen vorzutragen. Dies erachte ich für 
eines der grössten Hilfsmittel, um die Bildung der Aerzte zu ver¬ 
vollkommnen und eine Basis zu legen, von der aus der Arzt von 
selbst den Weg findet zur Lösung der Etikette- und Standesfragen. 

Denn immer und ewig wird eine freiwillige Be¬ 
tätigung nutzbringender sein als jeder Zwang. Eine 
erzwungene Bildung und Ethik ist eine contradictio in adjecto! 

Vorläufig sind diese Forderungen noch nicht erfüllt. Im Gegen¬ 
teil hat man die medizinische Vorbildung den rein humanistischen 
Einflüssen entzogen und auch den Realschulen gestattet. Das wird 
sich in kommenden Zeiten rächen, wenn nicht die Universität diese 
Mängel auf dem von mir angedeuteten Weg ausgleichen wird. 

Die gegenwärtige Generation der Aerzte lebt in einer Ueber- 
gangszeit. Ihre ärztlichen Etikettenfragen und Standesfragen muss 
sie und jeder einzelne Arzt aus seinem Gefühle heraus erledigen. Alte 
Regeln sind geschwunden, andere nicht mehr ausführbar. Die Kassen¬ 
gesetzgebung, die Scheidung der Aerzte in Privat- und Kassenärzte, 
in Vertrauensärzte und wieder in staatlich angestellte Aerzte. auch 
Militärärzte, dann die fortschreitende Gliederung in praktische und 
Spezialärzte, alles Produkte einer neuen Zeit, dazu die innigere Be¬ 
rührung der populärer gewordenen Wissenschaft mit dem Publikum, 
haben ganz neue Forderungen für einzelne ärztlich-ethische Fragen 
stellen lassen, als sie bisher — geschrieben und ungeschrieben — 
gültig waren. Diese neuen Forderungen sind noch diskutabel. Ge¬ 
wisse Forderungen von früher werden sofort von vornherein negiert 
werden müssen, neue, früher undiskutable. Forderungen werden er¬ 
füllt werden müssen. 

So kommt es auch, dass die Gegensätze innerhalb der ärzt¬ 
lichen Kreise noch so stark aneinanderprallen. Die alte und die 
neue Zeit stossen aufeinander. Diese Zusammenstössc sind übrigens 
durchaus nicht unerwünscht, sondern sogar sehr zu begrüssen. Nur 
müssen sie sich in sachlichen Grenzen halten! 

Das ist ja die erste ethische Forderung überhaupt: Sachlich¬ 
keit in allen Diskussionen. Die Persönlichkeit eines jeden 
Menschen muss respektiert werden! Das schützt auch vor einer 
Yerallgeineinerung. Es wäre ein Jammer, wenn die starken Persön¬ 
lichkeiten durch Angriffe auf ihre Eigenheiten von der Mitwirkung 
an den grossen Fragen der Gesamtheit abgeschreckt w'ürden. Darin 
liegt ja auch die grosse Gefahr der modernen Organisationen schon 
an sich, dass diese an Stelle der einzelnen Persönlichkeiten eine 
Gruppe von Menschen setzen. Die Psychologie der einzelnen Per¬ 
sönlichkeit wird zu einer Psychologie einer Gruppe von Persönlich¬ 
keiten. Innerhalb dieser Gruppen mag iede einzelne Person ihre 
Ansichten und Anschauungen und Eigentümlichkeiten möglichst zur 
Geltung bringen. Dann wird das Extrakt, die Emanation dieser 
Gruppe von Persönlichkeiten, zur Wirkung und Geltung nach aussen 


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1792 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


kommen. Die Organisation selbst wirkt als Persönlichkeit. Wird der 
Kampf innerhalb der Organisationen sachlich geführt, dann wird auch 
verhindert, dass kräftige Persönlichkeiten Unfreude an der Organi¬ 
sation haben und als Cigenbrüdler dieselbe gar bekämpfen. Ander¬ 
seits ist es durchaus zu verstehen, warum aus den Kreisen älterer 
Standesgenossen nur zögernd die Mitarbeit an den organisatorischen 
Zielen sich betätigt: Es wird von diesen ein grosses Opfer gefordert. 
Es ist wohl eines der schwierigsten Opfer an Selbstverleugnung, wenn 
man gewohnt ist, nur sich selbst zu fragen und nur seinen eigenen 
Weg zu gehen, sich in seinen alten 'lagen unterordnen zu sollen. 
Das sind ja auch im Staatslebcn die grossen Konflikte, die zu revo¬ 
lutionären Kämpfen führen, wenn das Volk von den Mächtigen for¬ 
dert, Rücksicht zu nehmen auf die grosse Organisation der übrigen 
Menschen im Staate und den Eigenwillen und die Eigcnmaclit in 
ihrer Unumschränktheit aufzugeben. 

Wer von den älteren Aerzten grossziigig genug ist, wessen Cie- 
hirn noch anpassungsfähig ist, der wird die moderne unaufhaltsame 
Bewegung mitmachen und sich damit viele innere und äussere 
Kämpfe ersparen. Selbstredend werden diese Aerzte. die noch ihre 
alten Anschauungen von Ethik und Etikette haben, in der Neuschaffung 
einer ärztlichen Ethik eine ausserordentlich verdienstvolle Rolle zu 
spielen berufen sein. Sie werden die stürmische .lugend verhindern, 
zu sprunghaft vorzugehen. Sie werden die Revolution zu einer 
Evolution gestalten. Sie sind daher in erster Linie zu Rate zu 
ziehen und ihre wohlerworbenen Rechte sind zu respektieren, so 
lange man ihren Willen sieht, mitzuarbeiten. Wenn die Aerzte über 
die Uebergangszeit, die für uns Lebende ausserordentlich interessant 
ist, hinübergekommen sein werden, dann wird auch die Einigkeit 
der Aerzte wieder eine grössere sein . . . wenn nicht bis dahin 
eine allzustiirmische Zeit schon wieder neue Eorderungen aufgestellt 
und neue Umwälzungen in unseren Anschauungen gezeitigt hat. Eines 
wird immer bestehen bleiben: zwei verschiedene Weltanschauungen, 
die ich vielleicht als aristokratische und demokratische trennen darf. 
Keinem tiefer sehenden Menschen wird es entgangen sein, dass inner¬ 
halb jedes Standes diese Gegensätze zu beobachten sind und daraus 
entspringt eine grosse Reihe von Kämpfen, selbst innerhalb einer 
Interessengemeinschaft. 

Das moderne ärztliche Leben steht im viel innigeren Kontakt 
mit der übrigen Welt wie früher. Die Abgeschlossenheit der Aerzte 
gegenüber der Oeffentlichkeit ist gewichen. Wie ich schon früher 
einmal ausgeführt habe 3 ), hat cs uns die fortschreitende medizinische 
Wissenschaft, weil sie besseres und wertvolleres aufzuw eisen hat 
wie früher, leicht gemacht, dem Publikum Einblick zu geben in die 
Medizin. Zum anderen sind es die vielfachen sozialärztlichen Eragen, 
an denen wir uns beteiligen, dann der ganze Zug der Zeit, die 
Wissenschaften zu popularisieren, die uns aus unserer Abgeschlossen¬ 
heit herausgezogen und mitten ins Volksleben geführt haben. Laue 
frühere ethische Forderung, oder besser gesagt Etiketteiorderung. 
war diesem Verhalten völlig entgegengesetzt: Bescheidene Zurück¬ 
haltung dem Publikum gegenüber; sich suchen lassen: Würde be¬ 
weisen oder wenigstens, wenn man sie nicht besitzt, Vortäuschen: So 
sollte das Verhalten des Arztes sein. Was mit profanen Dingen 
zu tun hatte, Geldangelegenheiten und dergleichen, durften nicht be¬ 
rührt werden. Selbst im Aeusseren, in der Kleidung, den Be¬ 
wegungen. bestand eine Tradition. W ir haben ja gesehen, dass noch 
vor 30 Jahren Regeln dafür gedruckt werden konnten. Diese Be¬ 
ziehungen zur Oeffentlichkeit sind es vor allem, die einer durch¬ 
gehenden Aenderung unterworfen wurden und noch unterliegen. Es 
handelt sich im Gegenteil heute mehr wie je darum, dass der Mensch 
zusehe, wie er sich eine Stellung schaffe und sie behaupte. Niemals 
sind im Leben die Ellbogen und ihr Gebrauch notw endiger gewesen, 
wie in der jetzigen Zeit. Sie auf anständige Weise zu gebrauchen, 
ist Pflicht des Gebildeten. Und dafür haben sich die Normen 
weiter entwickelt. 

(Schluss folgt.) 


Referate und Bacheranzeigen. 

Alexander Bittor!: Die Pathologie der Nebennieren und 
der Morbus Addisonii. Klinische und anatomische Unter¬ 
suchungen. Gustav Fischer, Jena 190H. 1(>6 Seiten. 

Preis 4 M. 

Der Verf. nennt seine treffliche Monographie einen Ver¬ 
such einer Klinik der Nebnnierenkrankhcitcn. In der Ein¬ 
leitung bespricht er die Anatomie, Entwicklungsgeschichte und 
die Physiologie der Nebennieren, sowie die Ergebnisse der 
experimentellen Untersuchungen über die Nebennierenfunktion. 
Aus diesem Abschnitte ist von den eigenen Erfahrungen des 
Autors vielleicht hervorzuheben, dass er den Wägungen der 
Nebennieren geringen Wert beimisst, dass er sieh von dem 
Vorhandensein von Lücken in den Markvenen nicht hat über¬ 
zeugen können, und dass er bei der Besprechung der Blutver- 


3 ) Münch, med. W'Ochcnschr, 1907, S. 991. 


sorgung der Nebennieren besonders hervorhebt. wie fast alles 
in dieses Organ eintretende Blut sowohl Mark wie Rinde durch¬ 
spült. Die Chrombchandluug der Nebennieren sei zur Beur¬ 
teilung der Markverhältnisse nicht notwendig. 

Mit v. Strümpell unterscheidet B. eine primäre (iso¬ 
lierte) und eine sekundäre Erkrankung der Nebennieren. \on 
der ersteren Krankheitsform teilt der Verb 3 eigene Fälle mit; 
bemerkenswerterweise waren zwei von diesen Fällen von 
Morbus Addisonii durch Nebennierenatrophic um Status 
lymphaticus vergesellschaftet. Die Atrophie ist entweder ein¬ 
fach oder sic ist eine zirrhotische Atrophie,, welch letztere in 2 
j von 3 Fällen mehr d is Mark betraf. Die Bezeichnung der 
| Hämochromatose zur Nebennierenatrophic wird nach Meinung 
| des Ref. fälschlicherw eise im Sinne einer primären Atrophie 
I gedeutet. 

Von sekundärem Morbus Addisonii bringt der Verl. 9 
eigene Fälle. Bezüglich der Pathogenese wendet er sich gegen 
die Anschauung von \\ i e s e I, nach welcher die Addison- 
schc Krankheit von der Zerstörung des Markes, he/w. des 
ehromafiinen Systems abhängig ist. B i t t n r i nimmt zw ar als 


Ursache des 

Morbus Addisonii 

eine 

alleinige Storung 

der 

Funktion der 

Nebennieren an. 

aber 

ohne Beteiligung 

des 

Sympathikus. 

wobei er sich 

auf J 

ie Unversehrtheit 

des 


] Sympathikus beim primären Addison stutzt. Er leugnet auJi 
| die Möglichkeit der Krankheit bei gesunden Ne-nennieren. \mi 
den mitgeteilten Fällen sind auch besonders diejenigen interes¬ 
sant, in denen Personen von Addison scher Krankheit be¬ 
fallen wurden, die schon seit früher Jugend auf einfache 
physiologische Reize mit übermässig starken Pigmentierungen 
antworteten . Was den klinischen \ erlauf der Lalle betrifft, sn 
unterscheidet B. nicht verschiedene Stadien. s< r.dern \er- 
schiedcnc Typen desselben: 1. eine einfach progrediente Form. 
2 . eine chronisch-periodische, remittierende und 3. e.ne inter¬ 
mittierende Form. Die Symptome und die du'ferentialdi t- 
gnoslisehen Merkmale gegenüber anderen, ähnlichen Affek¬ 
tionen und zwischen den beiden Haaptfornieii der Krankhut 
werden besprochen und bewertet. liier sind besonders 
wiederum diejenigen Falle von Interesse, die der perniziösen 
Anämie so ähnlich sind. Dankenswert ist auch die Zusammen¬ 
stellung der nicht hinreichend bekannten \ erhaltnisse des Blut¬ 
druckes und des Blutbildes bei Morbus Addisoni. Gerade m 
Hinsicht auf alle weniger bekannten Be /lehmigen dieses Krank- 
luitsbildes ist es nach der Meinung des Ref. zu bedauern. wenn 
in dieser Monographie sich kein Sachregister findet; s< Ehe 
sorgfältigen Gesamtdarstellungen eines Gebietes irgendwelcher 
Art wie die vorliegende sollten ein Register nicht vermissen 
lassen, weil mancher Kliniker und Pathologe dankbar wäre, 
wenn er sich im Anschluss an irgend eu e Beobachtung rasch 
orientieren konnte: so z. B. wenn ihm die Frage aufstosst: 
wie verhält sich die Thymus beim Addison, was ist über das 
Pankreas bei Addison bekannt? 

Den letzten Abschnitt der Schrift bildet die Besprechung 
der Nebennierem eräuderungeii bei Intoxikationen und bei Er¬ 
krankungen anderer Organe. Die \\ i e s e I sJien Befunde 
von Markhypertrophie hei Blutdrucksteigeruüg durch chro¬ 
nische Nephritis und Herzfehler konnte B. nicht bestätigen. 
Die „Bildungszellen“ W iesels halt er für I.ymphozx teil. 

Robert R o s s 1 e - München. 

R. v. Jak sch und H. Rothky-Prag: Die Pneumonie 
im Röntgenbilde. l<). Erganzungsbaud vom Archiv und Atlas 
der normalen und pathologischen Anatomie in txpisJicn 
Röntgenbildern. 1 lerausgegeheu von Prof. Pr. A Ibers- 
S c h o n b e r g. Verlag von Lukas (i r a f e 6; Sil! e m. 
Hamburg, Eäin. Preis 11 M. 

Die Verfasser weisen in einer kurzen \ <«rbenurkuug zu¬ 
nächst auf die zunehmende Erkenntnis der Wichtigkeit der 
diagnostischen Verwertung der Ror.tgenstrabkn in der internen 
Medizin hin, betonen aber anderseits d.e spärlichen Angaben 
in der Literatur hinsichtlich einer fortJaiicrüden, mntgeuo- 
graphischen Darstellung der einzelnen Phasen des Nulauies 
einer inneren Erkrankung, inshesouders der Lungen. S.e 
haben sich deshalb der hegriisscuw erteil Aufgabe unterzogen, 
im vorliegenden Bande die patholog t sJie n \ eraiide rungeii de r 
kruppösen Pneumonie von lag zu lag an B.ide fest/nhafleui. 
Nach einigen technischen Beim: k:un s en über d.e vorge- 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1793 


nommenen Untersuchungen folgt eine Reihe von 15 Kranken¬ 
geschichten in der Form, dass nach kurzer Erwähnung von 
Anamnese und Zugangsbefund für jeden Tag der physikalische 
Befund und eine Erörterung des demselben entsprechenden 
Röntgenogramms gegenübergestellt sind. Auf 10 Tafeln und 
ebensovielen Skizzenblättern finden sich 59 Röntgenbilder 
(Lichtdruckbilder) mit der gleichen Zahl von Skizzenzeich¬ 
nungen (für den physikalischen Befund) in übersichtlicher 
Weise zusammengestellt. 

Eine Erörterung der einzelnen Röntgenogramme kann nicht 
im Rahmen vorliegenden Referates liegen. Zur Darstellung soll 
durch dieselben gebracht werden einerseits die rasch fort¬ 
schreitende Infiltration der befallenen Lungenpartien, ander¬ 
seits die in verschiedener Weise bald zentral von einem kleinen 
Herde sich ausbreitende, bald überall gleichmässig einsetzende, 
diffuse Lösung des pneumonischen Infiltrates, sowie die Dif¬ 
ferenzierung der pneumonischen Schattenbildung von der¬ 
jenigen der Tuberkulose und Atelektase. Als wertvolles Er¬ 
gebnis ist auch hier zu betonen, wie die Erkenntnis von Art und 
Umfang der pathologischen Verhältnisse durch das Röntgeno¬ 
gramm der physikalischen Feststellung weit vorauseilt bezw. 
durch dieses nur allein ermöglicht wird, besonders bei den 
Fällen mit zentralem Sitz der Pneumonie. In technischer Hin¬ 
sicht muss allerdings erwähnt werden, dass eine grössere Zahl 
der vorliegenden; Bilder der unerlässlichen Forderung an ein 
gutes Röntgenogramm — genügende Erkennbarkeit der 
Lungenstruktur, Schärfe der Herz- und Zwerchfellkonturen, 
übersichtliche Darstellung der Hilusbeschaffenheit und damit 
die Möglichkeit, die Pathologie des Falles aus dem Bilde ganz 
allein ablesen zu können — nicht voll gerecht wird, wenn auch 
zu berücksichtigen ist, dass jedes Röntgenogramm durch die 
Reproduktion an sich in Schärfe und Ausdruck aller feineren 
Veränderungen beeinträchtigt wird. Dr. E. M ü 11 e r. 

Dr. Paul J o I r e, Professor am psychologischen Institut zu 
Paris, Präsident der Societe universelle d’etudes psychiques: 
Handbuch des Hypnotismus. Seine Anwendung in Medizin, 
Erziehung und Psychologie. Autorisierte deutsche Ueber- 
setzung von Dr. med. O. v. Boltenstern in Berlin. I. und 
II. Auflage. 482 S. Text und 44 Demonstrationsabbildungen. 
Berlin, L. Marcus, 1908. Preis 8 M. 

J o i r e beschreibt die Phänomene des Hypnotismus im 
wesentlichen nach der veralteten C h a r c o t sehen Auffassung 
und berichtet viel von- seinen Heilerfolgen. Er fügt aber zu 
des Meisters drei Stadien noch ein viertes hinzu, den „medianen 
Zustand“, von dem er ein aktives und ein passives Stadium 
unterscheidet. In diesen Zuständen werden „geistige“ Sug¬ 
gestionen gegeben und angenommen, d. h. Suggestionen ohne 
sinnliche Uebertragung eines Gedankens. Die Erscheinung 
schreibt Verf. einer bestimmten Nervenkraft zu, die auch in 
die Ferne wirken kann und die er mit einem Sthenometer ob¬ 
jektiv nachweist. So lange er seine telepathischen Ueber- 
tragungen nicht vor unanfechtbaren Beobachtern ausführt und 
sein Sthenometer nicht einmal beschreibt, kann Referent ihn 
nicht ernst nehmen. Bleuler- Burghölzli. 

Widmark: Mitteilungen aus der Augenklinik des 
Carolin! sehen Medico-chirurgischen Institutes zu Stock¬ 
holm. Jena 1908. G. Fischer. 

Das 9. Heft bringt wieder sehr interessante Beiträge: 

1. Gertz beschreibt einen Apparat, den er Parallax- 
optokrit nennt und vermittelst dessen er die im vorausge¬ 
gangenen Hefte angeregte Refraktionsbestimmung 
mittelst der Reflexe der A u g e n s p i e g e 11 i n s e 
für die Praxis verwertbar zu machen beabsichtigt. 

2. und 3. L i n d a h I erhält als hautsächliches Resultat 
seiner ausgedehnten Untersuchungen über die bakterien¬ 
tötende Wirkung der Tränen und die Einwirkung 
der Tränenflüssigkeit beim Menschen auf Bakterien, dass die 
bakterientötenden Bestandteile der Tränenflüssigkeit enzym¬ 
artiger Natur sind und mit den bakterientötenden Stoffen im 
Blutserum übereinstimmen und hält das Vorkommen von 
Agglutininen in der menschlichen Tränenflüssigkeit für un¬ 
zweifelhaft. Ob die Tränendrüsen oder die Bindehaut die bak¬ 
terientötenden Substanzen bilden, lässt Verf. unentschieden. 


4. Widmark berichtet über einen Fall mehrmals rezidi¬ 
vierender bezw. sich verschlimmernder doppelseitiger Netz- 
h a u t a b 1 ö s u n g, die nach Beseitigung der durch Erkrankung 
der Nasennebenhöhlen verursachten retrobulbären Entzündung 
vollständig heilte, und hält Leber gegenüber daran fest, dass 
es sich um eine wirkliche Netzhautablösung und nicht um eine 
diese vortäuschende Einbiegung der Bulbuskapsel gehandelt 
habe. 

5. Von demselben Autor werden drei Fälle toxischer 
Amblyopie mit ungewöhnlicher Aetiologie mitgeteilt. 
Diese charakterisierten sich genau wie die in Folge Missbrauchs 
von Tabak und Alkohol durch Verfall der zentralen Sehschärfe 
mit zentralem (Farben-) Skotom bei freier Gesichtsfeldperi¬ 
pherie und Abblassung der temporalen Papillenhälfte. Miss¬ 
brauch von Alkohol oder Tabak, auch Syphilis konnte be¬ 
stimmt ausgeschlossen werden, dagegen Hess sich mit Sicher¬ 
heit feststellen, dass in den beiden ersten Fällen übermässiger 
Ka f f e e g e n u s s, im dritten Falle Arsenikintoxika¬ 
tion die Ursache war. Alle 3 Fälle betrafen Frauen. 

6. Fosmark neigt zu der Ansicht, dass ein doppel¬ 
seitig symmetrisch auftretendes epibulbäres 
Leukosarkom, das er genau beschreibt, als Gumma auf¬ 
zufassen sei. Dagegen spreche allerdings, dass die antiluctische 
Behandlung erfolglos war, allein erfahrungsgemäss erwiesen 
sich spätluetische Affektionen refraktär gegen die spezifische 
Behandlung. 

7. Widmark: Ueber die Behandlung sym¬ 
pathischer Entzündungen mit Natron sali- 
c y I i c u m. Nachdem W. mit Hinwfcisung auf die von L i n - 
dahl in No. 6 dieser Mitteilungen veröffentlichten Fälle fünf 
neue, die mit dem Mittel behandelt wurden, berichtet hat, 
lässt er sämtliche in seiner Augenklinik mit Natr. salicyl. be¬ 
handelten Erkrankungen Revue passieren und kommt zu dem 
Schlüsse, dass diese Behandlung als ausserordentlich günstig 
zu betrachten sei. Die angeführten graphischen Darstellungen 
der Erblindungen nach sympathischer Entzündung lassen diese 
schlimme Folge von Verletzungen in Schweden als eine be¬ 
sonders häufige erscheinen. 

8. Einen ungewöhnlichen ophthalmoskopischen Befund: • 
eine kropfförmige Bildung vom medialen Rande der Sehnerven¬ 
papille und ein Lymphoangiofibrosarkom der Orbita, subkon- 
junktival zutage tretend, werden zum Schluss als interessante 
kasuistische Beiträge von G. L a m m mitgeteilt. S e g g e I. 

Leo Burger stein -Wien: Zur Schulbankfrage. 

Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1908. 86 S. 

Diese als Sonderabdruck aus dem internationalen Archiv 
für Schulhygiene, Bd. V erschienene Arbeit des hervorragenden 
Schulhygienikers und als Mitverfasser des besten Handbuches 
der Schulhygiene (Burgerstein und N e t o 1 i t z k y) rühm- 
lichst bekannten Autors bedarf einer Vorbemerkung zu ihrer 
Entstehungsgeschichte. In ebenfalls im genannten Archiv 
(Bd. III) erschienenen und als Sonderbroschüre verbreiteten 
Arbeiten hatte Architekt A. v. Domitrovich, ein begei¬ 
sterter Anhänger der Rettigbank, sich u. a. scharf gegen das 
von B. verfasste Schulbankkapitel in B. und N.s Handbuch 
gewendet; dabei hatte er durch willkürliche Zitierungen mit 
Auslassungen, Anführung von lückenhaften, verstümmelten 
Sätzen, eigenmächtige Hervorhebung einzelner Worte und 
Stellen usw. die Anschauungen B.s teils verkehrt wiederge¬ 
geben, teils persönliche Angriffe unerhörter Art durchblicken 
lassen: wie z. B. die Andeutung: die von B. einem anderen 
Schulbanksysteme (der einstellbaren Bank z. B. von Schenk) 
erwiesene günstigere Beurteilung könne geschehen sein, um 
Propaganda für einen Industriellen zu machen u. a. derart. 
Mag einer in der vielumstrittenen Schulbankfrage denken, wie 
er wolle, mag er sachlich ganz anderer Meinung als B u r g er¬ 
st e i n sein, jeder wird es begreiflich und richtig finden, dass 
B. einer solchen Art von Kritik entgegentritt. Ist daher B.s 
Schrift eine Streitschrift, welche Seite für Seite an A. v. D.s 
Arbeit anknüpft, so geht sie doch über den Rahmen einer 
reinen Streitschrift hinaus und kann allgemeines Interesse be¬ 
anspruchen. Dieselbe umfassende Beherrschung des Stoffes, 
reiche praktische Erfahrung, staunenswerte Kenntnis der Welt¬ 
literatur und der Schuleinrichtungen aller zivilisierten Länder, 


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1794 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. M. 


welche B.s Schulbankkapitel im Handbuch -- wie alle seine 
Arbeiten — wiederspie^eln, sie leuchten auch aus dieser Bro¬ 
schüre heraus und machen dieselbe zu einem durch neue Tat¬ 
sachen, Erfahrungen. Literaturstudien gezierten, lesenswerten 
Abriss der Schulbankfrage, welcher alle wichtigen (iesichts- 
punkte bespricht. 

Einzelheiten aus der Arbeit zu geben erscheint nicht ange¬ 
bracht. Man muss sie im Original lesen. Wer das tut, w ird 
- selbst wenn er mit dem Verf. sachlich nicht in allem ein¬ 
verstanden ist, die Schrift nicht aus der Hand legen, ohne etwas 
Neues gelernt zu haben. Auch nicht ohne mit B u r g e r s t e i n 
einig zu sein in der Abwehr solcher Art literarischer Kritik 
und Publizistik, wie sie v. Domitro vielt beliebt hat. 

A. Frankenburger- Nürnberg. 

Diätetische Kochkunst. Unter Mitwirkung der bedeutend¬ 
sten Fachmänner der internationalen Kochkunst herausgegeben 
von Dr. nicd. Wilhelm Sternberg, Spezialarzt fiir Zucker¬ 
und Verdauungskrankc in Berlin. Mit 2] Abbildungen und 
in Tafeln im Text. Verlag von Ferd. E n k e in Stuttgart, 19t>s. 
Preis M. 2.20. 

Kann der Dichter mit dem König gehen, so kann ebenso 
leicht der Arzt mit dem Koch gehen. Nach dieser nur im ersten 
Augenblick etwas überraschenden Tatsache hat der Yeri. der 
vorliegenden diätetischen Kochkunst, welche zunächst in Form 
von 106 Kochrezepten nur die mit Hilfe von (ielatiue herzu¬ 
stellenden Speisen behandelt, sich mit einer Reihe grosser 
Kochkünstler aller Länder in Verbindung gesetzt. Der Autor, 
nach den philologischen und ethvmologischen Exkursionen 
seines Buches ein offenbar sehr vielseitiger und den Dingen 
auf den Grund geltender Mann, wünscht eine systematische 
Pflege der ärztlich zu verwendenden Kochkunst und tritt fiir 
die Errichtung eines Lehrstuhles für Kochkunst lebhaft ein. 
Er beklagt den Mangel in der Ausbildung des praktischen 
Arztes, welche darin gelegen ist, dass er in der Krankenküche 
nicht unterwiesen wird. Dies ist ja richtig, aber gar vieles 
muss eben der freiwilligen Weiterbildung nach dem Universi¬ 
tätsstudium überlassen werden. Ein scharfes Urteil fällt Verf. 
über die Krankenküche in den Krankenhäusern, von welcher 
er sagt, dass die Verhältnisse der Küche und Kochkunst selbst 
in den modernsten Krankenhäusern tatsächlich geradezu jeder 
Beschreibung spotten. Wenn das auch übertrieben ist, so ist 
doch auch manches richtige dabei. Die Einleitung zu den Re¬ 
zepten, welche mir von sachverständiger Seite als ausführlich 
und verständlich bezeichnet w erden, enthält überhaupt manche 
beherzigenswerte Sätze über Heilkunst und Kochkunst, Heil¬ 
mittel und Gifte, Apotheke und Küche. 

Dr. Grassm a n n - München. 

R. Neuhaus: Lehrbuch der Projektion. Mit 71 Ab- i 

Nldunger 1 . 2. Auflage. Halle a. S. 1908. Verlag von Wilhelm j 
Knapp. Preis 4M. 

Das Lehrbuch gibt einen IJeberblick über alles das weseiit- J 
liehe, was bisher über die Projektionskimst veröffentlicht i 
wurde, bringt vor allem eine kritische Uebersicht über die ; 
brauchbarsten Apparate und Methoden und ist somit ein recht 
angenehmer Führer für die, die projizieren oder projizieren 
wollen. O. 

Neueste Jounuüliteratiir. 

Zentralblatt fiir Innere Medizin. 1908. No. .L\ 

J. Grober: Adrenalinerkrankung der Kaninchenleber. (Med. 
Klinik in Jena.) 

An drei Lebern aus einer Serie von 21 Kanin».heu. die zu anderen 
Zwecken mit intravenösen Adrcrtalimuk-ktio.ien behandelt worden 
w aren (täglich 0,1 mg 2 4 Wochen lang), fanden sieh e igenar tige 

Veränderungen: Stauung in den l.äpnehenkapillai en und portalen (ie- 
fässen, um letztere wenig Rimd/eileniiir'ii-tration mit geringer Nei¬ 
gung zu Bindegewebsvermehrung; unter der Oberfläche, deren Kapse! 
etwas verdickt ist, Blutextravasate. Keine XcIMcgenei etion. Pie 
Grgane zeigten eine weissliehe Lleckung, kleinliöckerige (tbertläche. 
derbe Konsistenz. Von einer Leberzirrhose liess der Befund nichts 
erkennen. Ob es sich dabei um Zclklegeue rationell. Kapill irwarul- 
veränderungen oder um Thromben mit Irifarktbilehmgrn handelt. Pt 
11 och nicht entschieden. Als Schädigung der Leber durch Adrenalin 
hat der Befund Interesse. \\ . Zinn- Berlin. 


Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 

Bd. XII, Heft 4. 

K o 1 i s c h-\\ ieii-Karlsbad: Grundzüge der diätetischen Behand¬ 
lung des schweren Diabetes. 

Piesg in den drei letzten Metten der Xeitsdir. f. pli\sik. 11 diat. 
Therapie erschienene landete Abh mdlnng enthalt matulie interessante 
Gesichtspunkte und erscheint mir einer eingehenderen Besprechung 
würdig. 

Pie zahlreichen Misse i f< dee in der I hcrnpic des Piabetes sin! 
wohl darin zu suchen, dass der mensddidie Piabetes keineswegs 
eine pathologische Liriheit und sicher mdit den k rank heitst\pus ein-, t 
aussehhessliclien Lrkrankung des Pankreas dar ■sieht. An dem K- -hie - 
liv dratstofiw eclisel sind vielmehr I hvr eoide.t. Nebennieren, Pankreas. 
Parin. Muskel und Leber beteiligt; all diese Organe stellen unter 
Kontr olle des Ner\ ctts\ stems. Is ist daher be greithch, dass bisher 
noch keine ätiologische, d. h. keine Oi g.mthe r apie gtiut'den worden 
ist. und die wcscntlieke Arbeit des Vrztes bei der Behandlung eles 
Piabetes in der Regulierung eier Piat besteht. 

Per erste Teil dieser Arbeit ste llt eine st.hr klare Zus.mmvn- 
stellung des iet/igen Mundes der ’lheoric des Piabetes elar und kann 
hier nicht in Kurze w ledet gege hen werden. 

Betrehs der diätetischen Behandlung des schweren Piabetes sa„t 
Verf. iolgeiules: 

I. (,) n a n t i t a t i v e I n el i k a t i o n. | »re iiuauntatiN e 1 ms v b.: an- 
kling der Nutzung ist \icl wichtiger als ehe' Ber ik V su hti^llfig de.' 
(Jnahtat. Pa bei ist zu hemeiken. d iss d-, r sjiwere Piabetes /ti eurer 
1'iiistelliing ile s Organismus aut ein nie dt tgt i e s Na’nr im c sbedar t:i:s 
fuhrt; es ist el.mn ein Se Ihstsdmtz eit s c *r;-ui\M.mrs zu er luw Ken und 
nicht zu vergessen, elass eine zu reiddid'c Nah? un.gszufiilir ihn 4a Mi 
\ ei I lindert. Ls gelingt nullt allein, eien Piabetder \or l e ho- 
ernahrung zu Schutzen. \ich:iehr muss u de indiN nJuaasicreiule Be- 
hanillung vor allem das Naht ring sbevi irluis eles betre"enden krausen 
festzuste lle n siuheii: dieses Mruinmiu an Vdüimg. mit wehlum elcr 
Kranke noch sein Auskommen firulet, st.il u.s inundiaa' a er eiuanti- 
tativen Vor sehr Uten ehe neu. Am / w eckntassigstem ist herbei ehe 
vegetabilische 1 Hat, bei w e klier man. t-..;/ sdm geringer K.ii"run- 
weite. niemals Gewichtsabnahme sh ht. W idiPg ist es. ledwed-. 
Körperbewegung auszusdi alten und den kranken absolute Bettruhe zu 
veronlneti. 

? O ii a n t i t ä t u n el O u a I i t a t e! e r L i w e i s s / u f u ! r. 1 »ic 
Se h.iell ichkeit elcr reiehhdun t iw eiss/uiuhr lut eien PiaKtiker ist 
ietzt allgemein anerkannt. I ntspr e c heiul der Peiztl.e«-r m «ko lisch» 
bewirkt eler vermehrte I intritt \on l iweiss ui den >1-w e drse'i eme 
erholite Abspaltung \on Ziuker aus de tu Pr "(onhisma. I »a'H bt n b ; . 
de t sich Zucker .ms den Aminos.iiu en de s /er ladende n 1 iw ciss-m.ic- 
knls Und ela »llU v ll Wird Miller st« df absorbiert. eler für den nbe"'- 
sdiussigen Zikker nicht tm.hr elrspombd ist. p.ts Minimum des li- 
w eissums.»t/es eles Organismus bei geeigneter kra’t/uturr betrugt 
0.01 N pfo Kilogramm. Als /Weltes wichtiges Prn./.p eler Piabetes- 
belian f%.rig muss man also die Reduktion eler 1 iw eiss/uiul:r .irwiit n. 
Pas Piiauzcficiu e iss wirel im .e'gemeiueu \ "in 1 habe Lkwr l\sse - 
vertragen als das tierische 1 uw e iss. 

T Kohle h v d r a t z u f u h r u n d K < • h 1 e h \ d r a t k u r e u. 
Pie sog. Toleranzgr osse für k ohk h vdrate ist rudit so sedir \ "ti ek 
Menge und Art der zuge führte n kohle In el-ate abl.m.- lg a ! s \ :e!me"' 
von der Zus.immeiisetzur'g ele r Nahrimg, die ausser eb ri K« h.'e h\ cm- 
teil -gereicht \\ n d. speziell Von den . e :di'e i'lig zngetuhrteil 1 w e "• 
körpern. \bs.>!ute 1 uthaltiiug \ <-n k > <hle In dr ateii ist fur d.e n P a- 
betiker fa'sch. \ n Inn dir ist une k. st zu Waiden, w ekhe die r \- 
in.de Kohle In «Ir atzufuhr (bei de id Id übender (i!\kosune) ge s* ,•*.<. t. 
imlem mau ein- notw einlige u k-di.ebvdrate für I iweiss subst » •.'t. 

Von eien k"hle In elrate u snul am geeignetstem ehe k./t'^’eln. Me 
Setzung \on Liweiss eJTnoglid't >n isjvriiMg eie r k • •’>’eI in d» at/u:. 
Steigerung eler n erw ertbaren Kdldeln eirate ermog'kht weifgehe’ Ic 
lv eelnktioii eh - 1 l n« eiss/ufuhr . 

Voll den Zuckersum.gaten sind bh-ss Sacharin. K r n stall? ,s e. Pal- 
cin zu empfehlen. 

Pie Brotsurrogate ( Vleurotiatbrot, Kleberbrot, G!u»eubr<>t »isw f 
siiul ganz brauchbar, koimeii ieeh.c»! ebirdi iL’en ln iun 1 iweiss-^’ü.t't 
schaelen. ln den meiste n l abert kann man n t ge w .dm idie m B ■ : 
auskoninmn. 

4. \' e g e t a b i | i s c h e Piat nt i-t d:e .l.iiu : *:de Lrn.d-ru" * 
eler schwerem lalle' Non Piabetes /\\ eumie bv. iuv.se ist e n vor¬ 
trefflichen I e ttN e'lllkd. Audi fur eicll ( ie sim ’!e 11 ist de- N . g t t U • ! : I sd‘i' 
kost dic'enige. welche bet Mkuldgster k ah-'' e •v.ih' d-, n Minden m; 

( ik'iehgew idit und a r beit sf., 1 -ig edaheii ka”n Pe a’ka nd e Re¬ 
aktion eler vegetabilischen Ihat bietet ferner «ndö za i: M U T sg’ 

Aorteile. Auch ist eler W asse-rrt-u. I’^in n ! de g 1 i'nt:ge WirktP’g 
auf elie ^tuhli e gliher uug v**n \\ :d! doit. 

In den meisten Lallen wir«! es s;di e •: de' \ ’e 1 Tbe rgaug 
direkt zur vegetabilnd’e u k< sr e *■ zdg-n. I'ev.-.l./s Lei L. ko 
starker Azielosjs. welche \ • > r !; e' uao. r Ce» er a":" a’s v *; v r l * stan¬ 
den. Im allgemeinen geidd die n ec* 'iSche K- st n t e i"e r t.ig- 
liclien Zufuhr von pmii kd. --rie n and: e'e - Arnp- nbr. - ,ss 
w eg ii ng. 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1795 


5. Die diabetische Azidosis und deren Bekämp¬ 
fung. Zunächst ist empfehlenswert die Einführung einer Pflanzen¬ 
kost, ferner die Darreichung von nicht allzu grossen Dosen von 
Natr. bicarb. Die Darreichung von grösseren Alkoholmengen emp¬ 
fiehlt Verf. nicht. Es muss alles vermieden werden, was die Niere 
schädigen könnte. 

Carl Rosenthal: Zur Physiologie der Massage. 

Oute Resultate gibt die Behandlung der abnormen Fettleibigkeit 
durch Massage des Bauches, der sich in vielen Fällen zweckmässig 
eine allgemeine Körpermassage und eine solche des Halses anschliesst. 
Um den Kranken an die Manipulation zu gewöhnen, beginnt man mit 
sanft rotierenden Streichungen, von der Symphyse beginnend, über 
den ganzen Bauch, denen dann kräftigere Knetungen der Bauchdecken 
folgen. Erst wenn man die Spannung überwunden hat, beginnt man 
mit der sog. tiefen Petrissage des Darmes, sich hierbei dem Verlaufe 
des Dickdarmes anschliessend. Zum Schluss macht man Klopfungen 
und Erschütterungen der Bauchdecken und der darunterliegenden 
Darmschlingen. Dann folgt die systematische Massage des ganzen 
Körpers; die ganze Prozedur soll nicht mehr als Vs —1 Stunde dauern. 
Neben der Massage sind heilgymnastische Uebungen und natürlich 
eine vernünftige Diät zu verordnen. 

Alfred Fuerstenberg: Eine einfache Modifikation des Lon- 
gettenverbandes. 

Weiche Leinwandstreifen werden rollbindenartig um die zu 
kühlenden Teile gewickelt, wie dies Winternitz angegeben hat. 
Dann stellt man einen mit Wasser gefüllten Eimer, in den noch ein 
paar Stücke Eis getan w r erden, auf einen Tisch oder Stuhl, etwas 
erhöht neben das Bett des Kranken hin. Durch einen, durch eine 
Klemme teilweise geschlossenen Schlauch lässt man das im Eimer 
befindliche Wasser auf die umwickelten Teile tropfen. 

Besonders angenehm für den Kranken ist diese Therapie beim 
akuten Gelenkrheumatismus. 

I d e: Ueber die Wirkung der Seeluft auf die Erkrankungen der 
Luftwege. 

Affektionen der Luftwege sind an der See überhaupt relativ 
selten; Katarrh der Luftwege und manche andere Erkrankungen 
derselben finden dort sehr günstige Heilungsbedingungen; endlich 
findet die Disposition zu diesen Leiden dort eine wesentliche 
Besserung. Schrumpf - Strassburg. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 93. Band. 6. Heft. 
Juli 1908. 

31) Leiser I g e 1 s t e i n - Königsberg: Ueber die Pseudofrakturen 
der Sesambeine des ersten Metatarsophalangealgelenkes. 

Der beim Schlittschuhlaufen ausgeglittene Patient empfand 
Schmerzen in der Gegend des lateralen Sesambeins des Grosszehen- 
gelenks des rechten Fusses. Das Röntgenbild zeigte horizontale 
Zweiteilung dieses Sesambeins an beiden Füssen. 

In den in der Literatur als Fraktur des Sesambeins beschrie¬ 
benen Fällen lag auch wohl eine physiologische Zweiteilung vor. 

Das Leiden ist aufzufassen als Neuralgie der Nervenüstchen 
für die grosse Zehe. 

Therapie: Einlage, Massage, thermale Behandlung. 

32) Friedrich K e m p f - Braunschweig: Ueber den Mechanismus 
der Darmberstung unter der Wirkung der Bauchpresse. 

Physikalische Betrachtung über das Zustandekommen der Ber- 
stungsruptur des Darmes im Anschluss an einen operierten Fall. 

K. kommt zu folgenden Schlüssen: 

„1. Eine Darmberstung kann eintreten, wenn der auf einer ab¬ 
geschlossenen, mit Gas gefüllten Schlinge lastende Aussendruck nach 
vorheriger starker Erhöhung plötzlich erniedrigt wird. — Ursache 
der Darmberstung ist die plötzliche Aufhebung des Widerstandes 
gegen das Expansionsbestreben der verdichteten Darmgase. 

2. Eine Darmberstung ist anderseits möglich durch Steigerung 
des Aussendrucks, wenn ein mit Kot oder Gas gefüllter abge¬ 
schlossener Darmteil an einer Stelle seiner Wandung unter ge¬ 
ringerem Aussendruck steht als im übrigen Bereich der Wand. 

Ursache der Darmberstung ist die gleichmässige Ausbreitung 
des gesteigerten Innendrucks nach sämtlichen Punkten der Darm¬ 
wand bei Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit einer umschriebenen 
Stelle der Wandung.“ 

Die Voraussetzungen des letzten Satzes lassen sich anwenden 
auf K.s Fall (enger, zwerchsackförmiger, inguinaler Bruchsack). 

33) Oskar W y s s - Zürich: Zur Entstehung primärer Karzinome. 

W. fand bei der Untersuchung von Röntgenkarzinomen und 

anderen Karzinomen Veränderungen der subkutanen Gefässe, die 
imstande sind, die Epithelzellen von der Blutzufuhr auszuschliessen. 

Infolge des Abschlusses muss die Epithelzelle sich auf andere 
Weise ernähren, sie wird sich schliesslich nicht nur auf die sie um¬ 
gebende Flüssigkeit beschränken, sondern auch Bindegewebs- und 
andere Zellen zerstören und so zu dem parasitären Wachstum ge¬ 
langen, das der Karzinomzelle eigen ist. 

34) E. Payr: Greifswald: Zur Erinnerung an Dr. Aldo Mar¬ 
tina. 


Warmer Nachruf für Payrs langjährigen Mitarbeiter und 
Oberarzt, der am 25. April dieses Jahres nach zweitägigem Kranken¬ 
lager an Sepsis im Alter von 31 Jahren starb. 

Flörcken - Wiirzburg. 

Zentralblatt für Chirurgie. 1908 No. 29—31. 

No. 29. Hilmar Teske: Beitrag zur Aetiologie des ange¬ 
borenen Schulterblatthochstandes. 

T. beschreibt einen Fall bei 3 jälir. Mädchen, bei dem neben 
Schiefhals, Gesichtsskoliose und Schulterblatthochstand rechts rönt¬ 
genographisch beiderseitige 7. Halsrippe, sowie Deformitäten an den 
5 obersten Rippen (gabelförmige Teilung der 5.) und keilförmiges 
Wirbelrudiment zwischen 8. und 9. Brustwirbel nachgewiesen wurden. 
T. unterscheidet angebornen Schulterblatthochstand durch Störungen 
■der Entwicklungsmechanik (Hemmungsbildungen) und solchen, der 
als angebliche Missbildung aufzufassen ist. wie sein Fall und der 
Cohns etc. 

C. Bayer — Ein osteoplastischer Chopart — schildert eine Mo¬ 
difikation der Chopart sehen Enukleation, die er bei 32 jähr. Mann 
mit ausgedehnter Caries tarso-metatarsea und fungöser Weichteil¬ 
erkrankung (zahlreichen Fisteln am Dorsum und Planta podis) aus¬ 
zuführen Gelegenheit hatte und bei der er durch eine ovaläre Schnitt¬ 
führung die Gegend des 5. Metatarsus erhielt, den 5. Metatarsus 
schräg durchtrennte, so dass die ganze Tuberositas im Zusammen¬ 
hang mit dem Lappen blieb und nach Abtragung der Gelenkknorpel 
von Talus und Kalkaneus nach oben geschlagen der Sägefläche sich 
gut anlegte. Dadurch wurde eine sonst hohle Stelle im Lappen gut 
ausgefüllt, event. späterer F.xostosenbildung vorgebeugt und durch 
Erhaltung des Peroneus brevis dessen halbe Funktion als Strecker er¬ 
halten. Durch Annähen der Tibialis anticus-Sehne event. der Extcn- 
sorenstiimpfe an dem oberen Rand des Knochendeckels lässt sich die 
Neigung des Chopartstumpfes zur Valgusstellung bekämpfen. 

No. 30. Hans K o 1 a c z e k: Ueber Antlfermentbehandlung 
eitriger Prozesse ohne Inzision. 

K. glaubt trotz des günstigen Eindruckes, den er mit Müller 
von der Antifermentbehandlung gewonnen, dass durch Versuche am 
Hunde nicht über die Wirksamkeit dieser Behandlung entschieden 
werden kann (wegen der geringen Disposition der Hunde für Infek¬ 
tionen und eitrige Prozesse und der enormen ..Heilhaut“ derselben, 
sowie wegen der geringen protolytischcn Kraft des Hundeeiters im 
Vergleich zum menschlichen). 

Leop. Renner: Zur Behandlung von Verbrennungen. 

R. empfiehlt ein aus 1 Teil Bismuth. subnitr. auf 2 Teile Kaolin 
bestehendes Streupulver, das gegenüber den Wismuthbinden den Vor¬ 
teil grosser Billigkeit und stärkerer Desinfektionskraft und Sekret¬ 
verminderung hat, dasselbe wird nach gründlicher Reinigung dick 
aufgetragen, darüber einfache Lage steriler Gaze und starke Zell¬ 
stoffschicht appliziert resp. mit Binden fixiert. Die Heilung verläuft 
mit geringerem Schmerz und Fieber und gibt bessere Narben. 

No. 31. P. Sick: Zur Behandlung septischer und pyämischer 
Allgemeininfektlon. 

L. ist der Ansicht, dass sich die Antifermentbehandlung wie die 
Bi ersehe Stauung nur für leichtere, zur Abszessbildung neigende 
Fälle eignet, dagegen hat ihm in schweren Fällen das Jodipin (von 
25 proz. Lösung anfangs 10 ccm Kur nach 10—24 Stunden je 5 ccm) 
subkutan an Brust oder Oberschenkel injiziert, günstige Erfolge 
gegeben. Wenn er dasselbe auch nicht als Spezifikum ansieht, will 
er doch zu weiteren Versuchen auffordern und glaubt, dass sich die 
casus infausti damit noch verringern lassen. 

de Witt S t e 11 e n - New York: 7ur Frage der sog. „Made¬ 
lung sehen Deformität 4 * des Handgelenks mit besonderer Rücksicht 
auf eine umgekehrte Form derselben. 

St. berichtet einen Fall bei 12 jähr. Mädchen, bei dem die Ulna 
mit Konvexität nach hinten gebogen, die untere Radiusgelenkfläche 
nach hinten und zur Ulna gedreht stund und Luxat. posterior des 
Ulnaendes, Subluxation der Hand nach hinten bestand und verweist 
auf einen ähnlichen Fall von Ki rmisson: er sieht diese Fälle als 
eine besondere Form gegenüber der gewöhnlichen Madel ung- 
schen Deformität (mit nach vorn und ulnarwärts gedrehter Radius¬ 
gelenkfläche, Lux. der Ulna nach hinten und Subluxat. ant. der Hand) 
an und verweist auf spätere genauere Mitteilung. 

Monatsschrlft'ftir Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd.XXVlI. 
Heft 6. 

1) S e 11 h e i m - Tübingen: Die Erklärung der Dysmenorrhöe 
durch Bauchfellzerrung. 

Der durch die menstruellen Zusammenziehungen ausgelöstc 
Schmerz ist durch Bauclifellzerrung zu erklären. Die Mechanik der 
Zerrung leuchtet ein. wenn direkte oder indirekte Adhäsionen zwi¬ 
schen Uterus und Parietalserosa vorhanden sind. Ebenso ist eine 
Vermittlung der normalen Verbindungen des Uterus mit dem Bauch¬ 
fell möglich, weil alle Enden der Ligamente durch Fasern im wand¬ 
ständigen Bauchfell verankert sind. Häufig findet man bei Dys¬ 
menorrhöe abnorm gespannte empfindliche Ligamenta sacro-uterina. 
seltener die Ligam. infundibulo-pelvica verdickt. Dass auch hierbei 
die Schmerzen unter der Regel durch Zerrungen am Peritoneum ent- 


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1796 


MUÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


stehen, beweist schon die Heilung nach ausgiebiger digitaler Dehnung. 
Auch nach Schwangerschaft ist die Heilung der Dysmenorrhöe durch 
Dehnung der Ligamente zu erklären. Die Behandlung der Dys¬ 
menorrhöe muss sich gegen die Bünderspannung richten. Dazu be¬ 
nützt S. einen Elektromagneten, der den Bauchdecken aufgesetzt 
wird und in regulierbarem Tempo alle möglichen Eisenkerne in der 
Vagina anzieht und loslässt. Die operative Behandlung bietet wenig 
Aussicht auf Erfolg. 

2) S t e r n - Heidelberg: Ueber Prolaps der Nachgeburt bei nor¬ 
malem Sitz. 

Die Differentialdiagnose zwischen Vorfall einer normal sitzenden 
Plazenta und Placenta praevia kann schwierig oder sogar unmöglich 
sein. Verf. teilt einen Eall von Plazentarvorfall mit. Es handelte sich 
um Hydramnios und Ouerlage. Sprengen der Eruchtblase, Eingehen 
der Hand zwecks Wendung. Rascher Eruchtw asserabiluss; dabei 
Prolaps der Plazenta. Viel Fruchtwasser, rascher Abfluss bei leerem 
unteren Uterusabschnitt, dürften ätiologisch von Bedeutung sein. 

3) R e d I i c h - Petersburg: Zur Lehre von den embryoldcn Ge¬ 
schwülsten des Eierstocks. 

Aus dem rechten kleinen Becken eines 16 jährigen Mannes mit 
normalem Penis, rechtsseitigem Hoden etc. wurde eine Geschwulst 
entfernt, in der sich eine normale Tube, ein Uterushorn und das Ligam. 
rotundum nachweisen liess. Der übrige Tumor enthielt Abkömmlinge 
aller 3 Keimblätter. Kritische Besprechung dieser Gescliw ulstform. 

4) L o o r i c h - Ofen-Pest: Beitrag zur Frage der primären Ab¬ 
dominalschwangerschaft. 

Eine seinerzeit vom Verfasser demonstrierte Bauchhöhlen¬ 
schwangerschaft stand durch ein breites stieltormiges Gebilde mit der 
linken Mesosalpinx im Zusammenhang. Die Tuben und Ovarien hat¬ 
ten auf beiden Seiten keine Beziehung zum Eruchtsack, so dass das 
Ganze als primäre Abdominalschwangerschaft imponierte. Eine ge¬ 
naue Untersuchung des Sackes ergab, dass es sich um Gravidität 
in einer akzessorischen Tube handelt, deren Muskulatur mächtig 
hypertrophierte und so einen dickwandigen muskulösen Sack an 
der Mesosalpinx bildete. 

5) B r e n n e r - Heidelberg: Ein Fall von beginnendem Chorio- 
epithelioma mallgnum mit frischer, kleiner Metastase In der Scheide. 

(Schluss.) 

Genaue makroskopische und mikroskopische Beschreibung eines 
Falles, der in die Reihe der beginnenden Fälle vom typischen 
malignen Choriocpitheliom gehört und ausging von zurückgebliebenen 
Zotten einer wahrscheinlich partiell destruierenden Blasenmole. Ein 
Chorioepithelioma benignum gibt es nicht. Der bösartige oder gut¬ 
artige Verlauf eines Falles ist bestimmt durch Momente, die teils im 
Geschwulstgewebe selbst, teils im Mutterorganismus begründet liegen, 
deren Erkennung und gegenseitige Abschätzung meist nicht möglich 
ist. Bei der Steilung der Diagnose und Prognose spielen neben den 
histologischen Ergebnissen die der klinischen Beobachtung eine be¬ 
deutende, wenn nicht ausschlaggebende Rolle. Bei der Operation 
ist im allgemeinen der vaginale Weg zu bevorzugen. 

Weinbrenn er - Magdeburg. 

Zentralblatt für Gynäkologie, No. 32. u. 33 1908. 

O. ß e u 11 n e r - Genf: Eine neue Methode der Exstirpation 
doppelseitig erkrankter Adnexe. 

Die von B. in 3 Fällen erprobte Methode besteht in einer trans¬ 
versalen F u n d a I e x z i s i o n des Uterus, wie sie 
D ii h r s s e n gegen chronische Metritis empfohlen. B. w urde durch 
Fa u res Operationsverfahren auf seine Methode gebracht, die be¬ 
zweckt, die erkrankten Adnexe von innen nach aussen exstirpieren 
zu können. Seine Modifikation, deren Beschreibung im Original nach¬ 
zusehen ist, erhält die Möglichkeit der Mensti uation, was bei 
F a u r e s Methode nicht der Fall ist. 

A. S c h ö n b e c k - Brünn: Zwei Fälle von Inversio uteri puer- 
peralis. 

Beide Fälle entstanden traumatisch, das eine Mal durch Zug am 
Nabelstrange bei adhürenter Plazenta seitens der Hebamme, das 
andere Mal durch den Cr cd eschen Handgriff seitens des Arztes. 
Reposition gelang in beiden Fällen leicht; Wochenbett ohne Sto¬ 
rungen. 

Pa n k o w - Freiburg i. Br.: Was lehren uns die Nachbeobach¬ 
tungen von Reimplantation der Ovarien beim Menschen? 

Sehr interessante Untersuchungen, die aber noch zu keinem ab¬ 
schliessenden Resultat geführt haben. P. berichtet über Nachbeobacli- 
tungen an Patientinnen, an denen er früher die Reimplaiitatio.il. der 
Ovarien ausführte. Indikationen bildeten Blutungen, D\ smenorrhoe 
und Osteomalakie. Der letztgenannte Fall zeigte vorübergehende 
Besserung, später aber wieder das alte Krankheitsbild, so dass Total- 
exstirpation des Uterus nebst Adnexen erforderlich war. In den 
meisten Fällen dauerten die Menses nach der Operation Jahre lang 
noch fort. Die Dysmenorrhoe wurde nidit günstig beeinflusst, günsti¬ 
ger schon die Blutungen. P. schlägt vor, die Ovarien durch Rönt¬ 
genbestrahlung vor der Reimplantation so zu schädigen, dass zwar 
die Menstruation aufgehoben, die Ausfallserscheinungen aber hintan¬ 
gehalten werden. Zwei in dieser Weise behandelte Fälle mit Blu¬ 
tungen sind vor kurzem erst operiert; das Resultat ist noch zwei¬ 
felhaft. 


O. Jacgcr-Kicl: Drllllngsschwangerschaft mit besonderer 
Berücksichtigung des Plazentarsitzes. 

J. beobachtete eim-n Driilingspartus bei einer 31 jährigen 
IV. Para, in deren Familie nichts von mehrfachen Schw angerschatten 
bekannt war. Die Neugeborenen. I Knabe und 2 Mädchen, waren 
völlig ausgetragen und lebensfähig. Es handelte sich lim dre.e .ge 
Drillinge, da jeder Fisack ausser einem Arnimm Se n e,genes Clmn.ui 
hatte; dabei war nur eine Plazenta vorhanden. che aus 2 Teilen be¬ 
stand. 

H a m m erseht a g - Königsberg: Nochmals zur Anwendung der 
Abortzange. 

Erw iderung auf den Artikel von Th<»mä in No. 2<* des Zentral!’!, 
f. Gynäkol. (cf. diese Wochenschr. No. 2s. p. E s "3.1 

O. B e u 11 ii e r - Gent: Der nicht schwangere Uterus kann selbst 
auf Reize hin, die Ihn nicht direkt zu treffen brauchen, sein Volumen 
wesentlich verändern. 

B. beobachtete wahrend einer Laparotomie an einer 2 ^ jahngcii 
II. Para wegen doppelseitiger Adi exerkrankung. dass der l tcrus 
vor der Operation klein und hart war. nach der Erofinuug des Bauchs 
aber geschwellt, bläulich vertat bt erschien und erst ganz a..mahlu.» 
wieder abschwoll. 

Hierdurch ist für B. erwiesen, was J.c lebet sGu.it seines 
Artikels besagt und was zur Entscheidung der sehe mbareit oder 
Pscudoperforationen durch die Kiitetle von prm/.piellcr Bedeu¬ 
tung ist. 

H. L u c h s i n g e r - Petersburg: Ein Fall von extraperitonealem 
Kaiserschnitt nach S e 11 h e I m. 

Bericht über einen für die Mutter günstig verlaufenen Fall. he. 
dem L. den ,.S e 1 I Ii e i m“ wegen beginnender Infekt.op unJ Bcvkell¬ 
erige ausinhrte. Das Kind starb am 2. läge. Be. der Oper ata ■:) wurde 
das Peritoneum verletzt und musste genaht werden. Die Mutter ge¬ 
nas völlig. 

N a c k e - Berlin: Kritik der prämonitorischcn Symptome der 
Thrombose und Embolie. 

N. kommt zum Ergebnis, dass Ins jetzt U 'ch he.ne scheren p'.i- 
momtorischen Sv u’pt<>mc für Thrombose und Imhole evv e^cn. De 
dafür angegebenen M mpto'rrie. als Kopfsdmier/eil. >s ii .iMor ung. 
Mattigkeit, aulgetriebener l.cb, Blutungen. Pu'sv er ardertin.gen etc. 
halten der Kritik n.cht Stand. \ on 3" Wöchnerinnen, de solche 
Symptome aufw :esen. erkrankten nur 2 an Thrombo-phlel .t;s po»t par¬ 
tum. Dagegen hatten die von N. beobachteten P-d ich verwenden 
Embolien völlig normale Wochenbetten dm c fegcmadH. und der Tod 
war plötzlich beim ersten Autstehvn eri< ;gt. 

K. Frankenstcin - Köln: Chloroformnarkose mit überdeckter 
Maske (Handtuchmethode). 

Fr. empfiehlt, ein Handtuch über d e Ch'oroiornnr.ishe zu decken. 
Hierdurch erziele mau I ortijll d«r l.xztatiou. Lhloroformcrspa: ms 
mul prompten Eintritt der Narkose in amta.'en.d kurzer Zeit. Jede 
Chloroiormubei dosierung soll dabei verm.eden weiden, so dass aucli 
die Nach w u klingen der Narkose stark verringert ersehenen. 

J a ITC- Hambnr g. 

Archiv für KlnderbeDkunde. 48. Band. 3. u. 4. lieft. 

1) Leopold M oll: Leber Fettvermehrung der Frauenmilch durch 
Fettzufuhr, nebst einem Beitrag über die Bedeutung der quanti¬ 
tativen Fettunterschiede liir das Gedeihen des Brustkindes. 

Durch Zufuhr von F»-tt in lörm von Speck konnte bei einer 
mageren Amme mit einem durchschnittlich sehr geringen Fettgehalt 
der Milch, ein grosserer Uloppeiter) bettieichtum der Modi erreicht 
werden. Die durch die fettarme Nahrung bedingte Art der St uh 'c 
vom (HiarakPr des d\speptisclcn Ntilnes wurde zum Mhwmden 
und der des normalen Muhles naher gebracht. Das t ie deih.en des 
Kindes wurde in günstigem Mime beem’iiisst. < >h die \ er mehr ijiig 
des Eettgehaltes dem >peck als solchem zuziOch:eihen ist. d. h. a so, 
ob Speck fett m die Milch über gegangen ist. oder oh die Fettver- 
niehniiig Folge des durch die Spe. klatter ung bedingten besseren 
Er nahriingsziistandes ist, konnte bei den meist Schwankenden JoJ- 
zahjen mellt icstgestclit werden. 

2) Hans R i s e I: Spasmophllle und Kalzium. 

Nachprüfung der Hv potliese von S t •• e i t z n e r. nach welche' 
der spasntopliilen I Mathe se eine K.ibntjtm er g.itupg zugrunde liegt. 
22 Kindern mit Zeichen von >p.ismophide. vmi Ern.iiirungsstorungeii 
mler von Rachitis wurde L.tkium aceticiim m 3 s pro/. Losung ge¬ 
geben uml die elektrische Et n gf .r kt t am N. Me.l.amis tagldi zu 
gleicher Munde festge stellt. De l ntc s.:c?‘titvi :i e'g ü'cii keine Be¬ 
stätigung S t o e 1 t z n e r s. indem mJi zeute. dass die experimenteile' 
Kalzmmzufuhr bei spasmophm. n Kmd.em. gemessen an vier K. U. Z. 
und A. (). Z... nicht die gah amsc he I rivglaokeit vier pe'fcpbe'cn Nerven 
steigert und ferner, dass nichts dabir spricht, dass das Kalzium auf 
das Zustandekommen der Spasmopl, he am Ii nur anmirieriul einen 
gleichen Einfluss ausubt wie die Kuhmilch Das he-Tu-düe te \b- 
siuken der elektrischen Eircgbarkcit m vier H hm- vier f a e lasst sich 
zwanglos erklären *ds w i m rw ir k ende r I i.itluss d-s Irmihrungs- 
regimes. dessen Einsetzen sich sch-n voller im Niedrigervv erden 
der Zuckungen äusseit. 

3) I ranz Hammes: Zur Frage des Hautcmphv sems als In- 

tubationstreuma. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 





25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1797 


Beschreibung zweier Fälle, bei denen im Anschluss an die In¬ 
tubation ein Mediastinal- resp. Hautemphysem auftrat. Als Ursache 
wurde, da eine schwerere Läsion der Kehlkopf- und Trachealschleim- 
haut ausgeschlossen werden konnte, die Entstehung einer alveolaren 
Ruptur angenommen, von wo aus sich das interstitielle Emphysem 
ausbildete. Die Veranlassung zu solchen auch anderweitig beschrie¬ 
benen Alveolarrupturen bildet nach des Verf. Ansicht nicht der 
meist durch Hustenstösse u. a. hervorgerufene exspiratorische Ueber- 
druck in den Lungen, sondern Ueberdehnung der Wandungen bei 
aus irgendwelchen Gründen forcierten Inspirationsbewegungen. 

4) G. E. Wladimir off: Zur Frage vom Scharlachrheuma¬ 
tismus. 

Auf Grund klinischer sowie zweier pathologisch-anatomischer 
Beobachtungen gelangt Verf. zu der Annahme, dass unter der Be¬ 
nennung „Scharlachrheumatismus 4 zwei verschiedene Erkrankungen 
gehen. Einmal eine Synovitis serosa (H e n o c h) mit Schmerz, An¬ 
schwellung und sogar Fluktuation in dem befallenen Gelenk; zum 
andern eine Neuritis scarlatinosa ohne Anschwellung des Gelenkes, 
wobei jedoch Oedem vorhanden sein kann; der im Gelenk am 
intensivsten vorhandene Schmerz ist oft im Verlaufe der ganzen 
Extremität fühlbar und ist, wie meist bei Neuritiden, sehr variabel. 
Therapeutisch interessant war in einem Falle die günstige Beein¬ 
flussung der Schmerzen und der Temperatur durch Mosersches 
Serum. 

5) J. S. Arkawin: lieber das Bronchialasthma der Kinder. 

10 Fälle eigener Beobachtung, die das typische Bild des ka¬ 
tarrhalischen Asthmas zeigen. Das jüngste Kind war 1 Jahr 5 Mo¬ 
nate alt. 

6) Meinhard Pfaundler: Die Antikörperübertragung von 
Mutter auf Kind. 

Mitteilung einer einschlägigen Beobachtung von Uffen- 
h e i m e r als Nachtrag zur gleichnamigen Arbeit Pf.s im 47. Band 
dieses Archivs. 

7) Leonhard Voigt: Bericht über die im Jahre 1907 er¬ 
schienenen Schriften über die Schutzpockenimpfung. 

Hecker. 

Soziale Medizin und Hygiene (vormals: Monatsschrift 
für soziale Medizin). (Verlag von Leopold V o s s in Hamburg.) 
III. Bd. 6. Heft. Juni 1908. 

E. V. de Voss -Gross-Flottbeck: Londoner Hospitäler, ihre 
Milchversorgung und das projektierte neue Milchgesetz in England. 

Der Zentralausschuss der Londoner Hospitäler hat seinen Milch¬ 
lieferanten genaue Bestimmungen hinsichtlich der Gewinnung und 
Beschaffenheit der Milch, des Milchtransportes, der gesundheitlichen 
Kontrolle der Kühe und des sie versorgenden Personales auferlegt. 
Eigene Inspektoren und die Kreisärzte sollen die Ausführung der 
Vorschriften überwachen. Die hier getroffenen Massnahmen werden 
für das neue Milchgesetz von Einfluss sein. Bis jetzt haben einzelne 
Städte eine strenge Stall- und Milchkontrolle durch ihre Gesundheits¬ 
behörden eingeführt, auch hat das Landwirtschaftsministerium In¬ 
struktionen herausgegeben, die sich bereits in einigen Grossbetrieben 
eingebürgert haben. Eine Regelung und Ueberwachung der gesamten 
Milchversorgung Londons wird freilich grosse Schwierigkeiten zei¬ 
tigen bei einem jährlichen Milchkonsum von 200—240 Millionen Liter 
= V» der gesamten im Reich verbrauchten Milch. 

Eise n Stadt: Gewerkschaftsärzte. (Besprechung des Vor¬ 
schlages von A. Fischer - Karlsruhe.) 

A. Fischer hat die Aufstellung von Gewerkschaftsärzten be¬ 
fürwortet, zur Wahrung der Rechte der Arbeiter im Rentenstreit¬ 
verfahren gegenüber den berufsgenossenschaftlichen Vertrauens¬ 
ärzten. E. glaubt, dass dem Wirkungskreis dieser Aerzte sich noch 
weitere Perspektiven eröffnen würden durch Aufklärung und Be¬ 
lehrung der Gewerkschaftsmitglieder, durch Leitung ärztlicher Aus¬ 
kunftsstellen für die Fragen der Arbeiterversicherung, durch Beauf¬ 
sichtigung genossenschaftlich geleiteter Bade- und Speiseanstalten 
und mancher noch im Schoss der Zukunft schlummernder Einrich¬ 
tungen. Dabei verhehlt er sich aber nicht, dass z. Z. die Schaffung 
solcher Stellen durch die Schwierigkeit, die therapeutische Betätigung 
auszuschliessen, für die Aerzteschaft eine Gefahr bedeuten würde. 
(Ref. kann der Scharfen Kritik, die diese Vorschläge inzwischen durch 
Haeseler in No. 31 dej Aerztlichen Mitteilungen gefunden haben, 
nur beistimmen.) 

Lauenstein -Hamburg: Sind sogenannte rheumatische Be¬ 
schwerden der Schultergelenke, die während der Hospitalbehandlung 
wegen Unfallverletzungen anderer Körperteile entstanden sind, nach 
dem Reichsunfallversicherungsgesetz zu entschädigen? Ein Beitrag 
zu der Frage der Abgrenzung des Begriffes „Unfallfolgen“. 

Bei einem 60 jährigen Mann, der wegen komplizierten Ober¬ 
schenkelbruches im Krankenhaus längere Zeit im Streckverband lag, 
traten im linken Schultergelenk rheumatische Beschwerden auf, die 
später zu Muskelschwund und Bewegungsbehinderung führten. Da 
man annehmen musste, dass sie bei Lüftung des Krankensaales durch 
die Einwirkung von Zugluft auf die Schultern des ruhigliegenden Pa¬ 
tienten hervorgerufen worden seien, wurden sie schliesslich vom be¬ 
gutachtenden Arzt als indirekte Unfallfolgen bezeichnet. 


O. W e 1 g e - Hamburg: Ueber Walderholungsstätten. 

Schilderung der Bestimmung und des Betriebes der Walder¬ 
holungsstätten. 

III. Band, 7. Heft, Juli 1908. 

Brummund -Stade: Ueber häusliche Krankenpflege auf dem 
Lande, speziell im Regierungsbezirk Stade. 

Die Ausbreitung der ländlichen Krankenpflege und die Anstellung 
von Pflegerinnen hat in dem hier betrachteten Bezirk in den letzten 
Jahren wenig Fortschritte gemacht. Um hier Wandel zu schaffen ist 
es notwendig, Pflegekrätte zu gewinnen, die selbst vom Lande stammen, 
das Widerstreben der Bevölkerung durch Aufklärung zu besiegen und 
schliesslich die Aerzte für die Organisation der ländlichen Kranken¬ 
pflege mehr zu interessieren. Solange freilich den Aerzten kein Einfluss 
dabei eingeräumt wird, ist, wie Verf. zugibt, ihr Misstrauen gegen 
die Schwestern, die sich nicht immer als Gehilfinnen des Arztes be¬ 
trachten, sondern zuweilen ihm entgegenarbeiten, nicht unberechtigt. 
In dem angefügten Entwurf einer Dienstanweisung ist daher auch die 
Aufsicht des Kreisarztes über die Schwester in beruflicher Beziehung 
gefordert. (Die Vorgänge, die sich vor kurzem in Ostpreusscn zwi¬ 
schen Ae'rztekammer und Oberpräsident bei Behandlung der Schwe¬ 
sternfrage abgespielt haben (siehe Aerztl. Vereinsblatt 666, 67 u. 68] 
lassen wenig Verständnis bei den preussischen Verwaltungsbehörden 
diesem berechtigten Wunsch der Aerzte gegenüber erkennen. An¬ 
merkung des Ref.) 

Fuld-Mainz: Die Regelung des privaten Versicherungsrechts. 

Es ist wünschenswert, dass die Aerzte sich mit den neuen 
gesetzlichen Bestimmungen vertraut machen u. a. auch wegen der 
Stellungnahme des Gesetzgebers zur Selbstmordfrage bei der Lebens¬ 
versicherung 

K1 o c k e - Bochum: Ueber Krankheitsgefahren der Glashütten¬ 
arbeiter. 

Beschreibung der Glasfabrikation und der sich dabei ergeben¬ 
den gesundheitlichen Schädigungen, die durch Eindringen des Glas¬ 
staubes, Einatmen von Arsen-, Blei- und Fluorwasserstoffdämpfen 
und durch das Arbeiten bei starker Hitze hervorgerufen werden 
können. Trotzdem scheint nach den von den preussichen Gewerbe¬ 
aufsichtsbeamten im Jahre 1906 besonders angestellten Erhebungen 
der Gesundheitszustand unter den Glashüttenarbeitern, soweit die 
Erkrankungen auf die genannten beruflichen Schädigungen zurück¬ 
zuführen sind, kein auffallend ungünstiger und somit die bestehenden 
Vorschriften für den Betrieb in Glashütten ausreichend zu sein. Nur 
eine Verkürzung der Arbeitszeit, die bei einem grossen Teil der 
Bläser neun Stunden und darüber beträgt, erachten einige Aufsichts¬ 
beamten für geboten. F. P e r u t z - München. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 32 u. 33. 1908. 

No. 32. 1) M. Martens und W. S e i f f e r - Berlin: Zur Pa¬ 
thologie der Kleinhirngeschwülste. 

Bei dem 13 jährigen Patienten zeigte sich nach einem Kopf¬ 
trauma Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Doppeltsehen, Ex¬ 
ophthalmus. Die übrigen klinischen Zeichen Hessen eine Neubildung 
des Kleinhirns vermuten. Der Kranke starb nach dem 1. Akte der 
geplanten Operation, die Sektion ergab multiple Ependymgliome im 
gesamten Hirmventrikelsystem. Epikrise des Falles. 

2) E. Niessl v. M a ye n d o r f - Leipzig: Ueber die Lokali¬ 
sation der motorischen Aphasie. 

Die eigenen Untersuchungen des Verf. weisen daraufhin, dass die 
B r o c a sehe Stelle dem motorischen Rindengebiet angehört. Sie 
ist nicht der 3. Stirnwindung anzugliedern, sondern stellt den unter¬ 
sten Teil der vorderen Zentralwindung dar. Wenn P. Marie der 
3. Stirnwindung einen Anteil an der motorischen Aphasie abspricht, 
hat er daher vollkommen recht. 

3) L. Blumreich: Zum suprasymphysären Kaiserschnitt. 

Demonstration in der Berl. med. Gesellschaft, 1. VII. 08. Vergl. 

Bericht der Münch, med. Wochenschr. darüber. 

4) K. M e y e r - Berlin: Ist das Schütz sehe Gesetz der Pepsin¬ 
verdauung ungültig? 

Verf. berichtet über eigene Versuche und gibt eine Kritik der 
Gross sehen Versuchsanordnung. Hinsichtlich des Pepsins ergab 
sich das Zutreffen des Schützschen Gesetzes; für das Trypsin 
aber ist dasselbe nach den Ergebnissen des Verf. nicht gültig, wie 
auch schon V o 1 h a r d und seine Schüler angegeben haben. 

5) M. Adler- Karlsbad und R. Milchner- Berlin: Unter¬ 
suchungen des Kotfettes in einem Fall? von Pankreasdiabetes und 
dessen Beeinflussung durch Pankreon. 

Die Resultate bestätigen, dass Pankreaserkrankungen nicht not¬ 
wendig eine Steatorrhöe einschliessen. Das Pankreon übte bei 
dem Falle keinen die Fettresorption begünstigenden Einfluss aus; 
dagegen verschob sich das Spaltungsverhältnis durch Verminderung 
der Neutralfette und Steigerung der Fettsäuren, während die Seifen¬ 
werte wenig verändert wurden. 

6) Fr. H o e h n e - Frankfurt a. M.: Ueber die Verwendung von 
Urin zur Wassermann sehen Syphilisreaktion. 

Aus den Untersuchungen wird gefolgert, dass der Harn Syphi¬ 
litischer keine dem Serum dieser analoge Verhältnisse darbietet, so 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1798 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


dass er für die Anstellung der W a s s e r m a n n sehen Reaktion 
nicht verwendet werden kann. 

7) M. S t e r n - Berlin: Zur Technik der Serodiagnostik der 
Syphilis. 

Nicht zu kurzem Auszug des Wesentlichen geeignet. 

8) B. C ha j es-Berlin-Schöncberg: (Jeher Mikrosporieerkran¬ 
kung der be'haarten Kopfhaut. 

Zusammenstellung der Symptomatologie, der Diagnose und 
Differentialdiagnose des Krankheitsbildes, sowie Angaben über das 
Kulturverfahren der Erreger. Für die Beseitigung der Pilze hat sich 
Röntgenbestrahlung bewährt, ferner Epilation, Applikation von Jod¬ 
tinktur, Chrysarobin. Die Uebertragbarkeit scheint bei unserer Epi¬ 
demie nicht so gross zu sein als andeiwärts; trotzdem ist eine 
völlige Ausrottung sehr schwer. 

9) G. G a 11 i - Rom: (Jeher eine eigenartige Dyspnoe gastrischen 
Ursprungs. 

Der 32 jährige Patient, dessen Herz und Lungen normal waren, 
konnte nur zeitweise voll und tief inspirieren, meist bestand ein 
Hindernis, das nach Einnahme einer Mahlzeit zu verschwinden schien. 
Wahrscheinlich lag die Ursache hiefür in dem Vorhandensein einer 
abnorm grossen Lirftmenge im Magen. 

10) M. Bernhardt -Berlin: Weitere Mitteilungen über: „Die 
Betriebsunfälle der Telephonistinnen* 4 . 

Seinen früher (1906) veröffentlichten Beobachtungen über 60 er¬ 
krankte Telephonistinnen reiht B. 149 neue Fälle au. Erheblichere 
Hörstörungen durch Stromeintritt mittels des Hörapparates kamen 
nur selten v,or, einige Affektionen werden mitgeteilt. B. betont auch 
diesmal, dass es tatsächlich nur selten zu einem nennenswerten 
Stromeintritt bei derartigen „Unfällen“ kommt. Die sich entwickeln¬ 
den Störungen zeigen in der Hauptsache den Charakter einer 
Neurose. 

No. 33. 1)K-Steffenhage-ti-Berlin: Ueber die Beziehungen 
der Bazillen der menschlichen Tuberkulose zu denen der Perlsucht 
des Rindes. ' 

Auf Grund der Tuberkuloscai beiten aus dem Kaiserl. Gesund¬ 
heitsamte erörtert Verf. «die Wachstumseigentümlichkeiten und tier¬ 
pathogenen Eigenschaften beider Bazillenarten. Die 140 untersuch¬ 
ten Fälle zeigten, dass die menschliche Tuberkulose meist durch 
den Typus humanus hervorgeruien wird, in einem kleineren Pro¬ 
zentsatz durch den Typus bovinus. letzteres fast nur bei Kindern. 
Die Prophylaxe muss sich gegen beide Infektionsquellen wenden. 

2) Ed. K 1 e b s - Berlin-Halensee: Ueber einige weitere Ergeb¬ 
nisse meiner Forschungen zur Geschichte und Behandlung der Tuber¬ 
kulose. 

Der Verf. legt seine von der Lehre R. Virchows und 
R. Kochs u. a. in wichtigen Punkten abweichenden Ansichten über 
die Tuberkulose in einer Reihe von Schlussätzen dar, besonders auch 
die Grundzüge seiner Behandlungsmethode mit Stoffen, welche aus 
den Erregern der Kaltblütertuberkulose gewonnen sind. Letztere 
Formen stellen nach Kl. die direkten Antagonisten der menschlichen 
Tuberkulose dar. 

3) V. Schmieden -Berlin: Ueber Ellbogenresektlonen mit 
Erhaltung der Beweglichkeit. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung 
der Berl. med. Gesellschaft vom 29. VII. 0.8. 

4) C. Gantermann - Berlin: Zur Kasuistik der Abduzens¬ 
lähmung nach Lumbalanästhesie mit Tropakokain. 

Mitteilung einer einschlägigen Beobachtung (35 jähriger Kranker, 
Auftreten der Parese am 8. Tage, Heilung nach 6 Wochen). Verf. 
erklärt das Ereignis als eine toxische Spätwirkung im Sinne einer 
toxischen Kern- oder Nervenaftcktion. 

5) V. Saxtorph S t e i n - Kopenhagen: Ueber Prothesenparaffin. 

Da die für plastische Injektionen käuflichen Paraffine und -Ge¬ 
mische sehr häufig unrichtige Angaben über ihren Schmelzpunkt auf¬ 
weisen, hat Verf. mehrere Methoden zur Feststellung des letzteren 
ausgearbeitet und teilt 5 derartige Proben mit, von denen die sog. 
Scheibchenprobe die leichteste und genaueste ist. Ueber die Aus¬ 
führung derselben vergl. die Angaben des Originalartikels. 

6) R. D o e r r und H. Raubits ehek - Wien: Toxin und ana- 
phylaktlsierende Substanz des Aalserums. 

Die aus den mitgeteilten Untersuchungen gewonnenen Schluss¬ 
sätze lauten: Giftige Sera, speziell das Aalserum, enthalten zweier¬ 
lei Antigene, Toxin und anaphylaktisierenden Körper. Zerstört man 
das erstere durch Wärme oder Säure, so kann man mit dem ver¬ 
änderten ungiftigen Produkt nicht nur sensibilisieren, sondern auch 
den Tod der anaphylaktischen Tiere hervorrufen. Die Immunkörper, 
Antitoxin und anaphylaktischer Reaktionskörper, entstehen im 
Serum unabhängig voneinander. Sind sie zugleich vorhanden, so 
schützt ein solches Immunserum präventiv gegen tödliche Mengen, 
ia Vielfaches des tödlichen Eiweisses, macht dagegen anaphylaktisch 
gegen grössere Dosen derselben, künstlich ihrer Toxizität beraub¬ 
ten Ei weissart. 

7) Togami (Japan) - Berlin: Zur Wirkung von Superoxyden 
auf die Verdauungsorgane. 

Die im einzelnen mitgeteilten Sekretions- und Fermentversuche 
zeigen, dass Wasserstoffsuperoxyd, Magnesiumperoxyd und Natrium- 
perkarbonat die Magensekretion befördern. Das Wasserstofisuper- 


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oxyd in 1 proz. und 1 prom. Konzentration übt keinen Einfluss auf die 
Wirkungen von Ptyalin, Pepsin, Trypsin und Pankreasdiastase aus. 

8) E. f B a r t h - Berlin: Zur Aetlologie und Behandlung der 
Sängerknötchen. 

Die Lokalisation und histologische Struktur derselben weist auf 
eine mechanische Ursache hin, die nach den Forschungen des Verf. 
im Mechanismus der Kehldeckelbewegungen zu suchen ist. Bei fal¬ 
scher Technik der Stimmbildung, wo bei ansteigender Tonhöhe der 
Schildknorpel, statt nach unten zu gehen, nach oben steigt, d. h. 
dem Zungenbein genähert wird, übt der zu stark konvex werdende 
Kehldeckel einen fortwährenden Reiz gerade aui jene Stelle der 
Stimmbänder aus, wo dann die Knötchen sich ausbilden (cfr. Zeich¬ 
nungen im Original!). Die Therapie besteht demgemäss in der Er¬ 
lernung der richtigen Stimmtechnik. 

8) ß i e s a 1 s k i - Berlin: Die Grundzüge moderner Krüppelfür¬ 
sorge. 

Festrede. Dr. Grassmann -München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1908. No. 33. 

1) H. Fritsch- Bonn: Alte und neue Geburtshilfe. 

ln Form eines klinischen Vortrages überblickt Verf. die auf chi¬ 
rurgischem Gebiet liegenden Hauptfortschritte der letzten 40 Jahre 
und äussert sich zu den modernen Fragen. Bei Eklampsie sei das 
Rationellste die sofortige Entleerung des Uterus (Dührssens va¬ 
ginaler Kaiserschnitt mit Bummscher Technik) und bei verzwei¬ 
felten Fällen die nachfolgende Decapsulatio renum (E d e b o h 1 s). 
Diese Operationen, ebenso wie die segensreiche Hebosteotomie (nach 
Bumm oder Döderlein; ev. S c h u ch a r d tsche Schnitte) 
sollen möglichst nur in Krankenhäusern ausgeführt werden. 

2) Klaus Schilling und v. H o e_ss 1 in-Berlin: Trypano¬ 
someninfektion und Komplementbindung. 

Versuche mit der B o r d e t - G e n g o u sehen Methode ergaben 
vorläufig keine glatten Resultate, welche eine praktische Verwert¬ 
barkeit bedeuten könnten. Als Antigene wurden verwendet alkoholi¬ 
sche Leberextrakte von normalen und trypanosomeninfizierten Ka¬ 
ninchen und Meerschweinchen, normalen und mit Babesia canis in¬ 
fizierten Hunden, von menschlicher zirrhotischer Luesleber und 
luetischer Fötalleber. Die geprüften Sera entstammten trypanosomen- 
iufizicrteii Rindern, Eseln, Ziegen, Hunden, Kaninchen, Meerschwein¬ 
chen und Ratten. 

3) K. Pochhammer -Berlin: Experimentelle Berichtigungen 
zur Pathogenese des lokalen Tetanus. 

Replik auf die Ausstellungen, welche Z u p n i k in No. 26 an den 
Ausführungen K.s (No. 16) gemacht hatte. 

4) F. P i n k u s und L. Pick- Berlin: Zur Struktur und Genese 
der symptomatischen Xanthome. 

Vortrag im Verein für innere Medizin 1. VI. 08, rcf. Münch, med. 
Wochenschrift, No. 23, S. 1262. 

5) Zia Noury Pascha und H a i d a r B e y - Konstantinopel: 
Ueber den Milzbrand der Tonsillen. 

Mitteilung eines Falles von primärem Milzbrand der rechten 
Tonsille mit folgender Allgemeininfektion. Eingangspforte war viel¬ 
leicht ein kleines Geschwür hinter dern vorderen Gaumenbogen. Cha¬ 
rakteristisch für die Milzbrandangina war: blasses Oederru in die 
Umgebung fortschreitend, Mangel der entzündlichen Rötung, geringe 
Temperatursteigerung. 

6 ) Friedr. Schäfer-Berlin: Intermittierende Hydronephrose 
mit plastischer Operation behandelt. 

Fall von intermittierender Hydronephrose. Ein Schmerzanfall 
mit profusen Nierenblutungen veranlasst Operation. Ureter sehr 
schwierig aufzufinden, verlief ein Stück in der vorderen Wand des 
hydronephrotischen Sackes, durch dessen Inhalt er komprimiert 
wurde. Spaltung des Ureters, soweit er im Sack verlief, Vernähung 
der Schleimhautränder mit den Schnitträndern «des Sackes, der rese¬ 
ziert wird. Fixation der abnorm beweglichen, hypertrophischen 
Niere an der 12. Rippe. Heilung ohne Fistel. 

7) Hans B a b - Charlottenburg: Konzeption, Menstruation und 
Schwangerschaftsberechnung. 

4 Fälle von Abortus, bei welchen alle nötigen Daten und Masse 
Vorlagen, bestätigen die Sigismund-Löwenhardt sehe Regel, 
dass das befruchtete Ei der ersten ausgebliebenen Periode angehört 
und dass die Menstruation den Abort eines unbefruchtet gebliebenen 
Eies anzcigt. Ovulation und die kurz darauf folgende Imprägnation 
gehen dem Termin der ersten ausgebliebenen Regel wohl meist um 
einige Tage vorauf, können jedoch auch damit zusammenfallen. Die 
Spermatozoon können in den Tuben zwischen 2 Menstruationen be- 
fruchtungsiäliig persistieren; ihr Vordringen im Uterus wird im allge¬ 
meinen nur in der postmcnstrucllen Zeit begünstigt. 

R. Grashey - München. 

Englische Literatur. 

(Schluss.) 

Christopher Martin: Die Gefahren und die Behandlung des 
Uterusmyoms. (Lancct, 6. Juni 1908.) 

Mehr als die Hälfte aller Myomkranken leiden an schweren Blu¬ 
tungen und chronischer Anämie, viele von ihnen bekommen Herz- 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1799 


leiden, Phlebitis, Thrombosen und Embolien. Andere Kranke leiden 
an Zystitis, Pyelitis und Hydronephrosen infolge von Retention des 
Urins. In einem Drittel aller Fälle kommt es zu Erkrankungen der 
Eierstöcke und Tuben. In einem Fünftel der Fälle treten Degenera¬ 
tionen in dem Myom auf, die in 5 Proz. aller Fälle zur Nekrose des 
Tumors führen; 4 Proz. gehen in Sarkom über, bei weiteren 4 Proz. 
entwickelt sich später Krebs. Mehr als die Hälite der Kranken sind 
steril, tritt aber Schwangerschaft ein, so wird dieselbe durch das 
Myom oft sehr gefährdet. Die Naturheilung durch Ausstossung des 
Tumors ist selten und gefährlich; Involution des Tumors zugleich mit 
Involution des Uterus nach einer Entbindung ist ebenfalls selten; in 
manchen Fällen wächst oder erweicht ein Myom sehr rasch im 
Puerperium. Die Hoffnung auf Schrumpfung nach der Menopause 
wird ebenfalls oft getäuscht, da gerade in diesen Fällen das Klimak¬ 
terium oft sehr lange hinausgeschoben ist. Auf Grund aller dieser 
Erwägungen rät Verf. in jedem Fall zur Operation, ln dem eine 
Kranke von ihrem Myom Beschwerden hat. 

D. S e m p 1 e : Herstellung und Gebrauch eines Serums gegen 
Rabies. (Ibid.) 

Durch das Immunisieren von Pferden mit fixem Wutgift gelingt 
es, ein Serum mit deutlichen rabiziden Eigenschaften herzustellen; 
normales Pferdeserum hat diese Eigenschaften nicht. Die rabiziden 
Eigenschaften kann man beweisen, w'enn man das Serum mit Wut¬ 
gift mischt und Kaninchen subdural mit dieser Mischung impft. Man 
benutzt das Serum als Unterstützungsmittel der gewöhnlichen Schutz¬ 
impfungen bei schweren oder spät eingelieferten Fällen. Das Serum 
von Menschen, die gegen Wut geimpft sind, enthält ebenfalls anti- 
rabische Körper, was sich durch Kaninchenimpfungen mit Menschen¬ 
serum und Wutgift nachweisen lässt. Man kann die rabiziden Eigen¬ 
schaften des Serums eines behandelten Menschen benutzen, um fest¬ 
zustellen, wie weit die Behandlung Immunität herbeigeführt hat. 
Längere Behandlung macht das Serum reicher an diesen anti- 
rabischen Stoffen. Das Blut eines an Rabies leidenden Menschen 
kann die Krankheit bei subduraler Verimpfung nicht auf Kaninchen 
übertragen. Das Serum eines Hydrophobikers im frühesten Stadium 
kann, wenn es mit fixem Virus in vitro gemischt wird, bei sub- 
duraler Einspritzung in Kaninchen die Inkubationsperiode der Rabies 
bedeutend verlängern. 

Eugene S. Y o n g e: Die Behandlung schwerer Fälle von Heu- 
Heber mit Resektion des Nervus nasalis. (Lancet, 13. Juli 1908.) 

Verf. glaubt, dass bei Heufieber, Coryza paroxysmalis und ähn¬ 
lichen, wahrscheinlich auf vasomotorischen Störungen beruhenden 
Erkrankungen der Reiz, der den Anfall auslöst, durch den Nervus 
nasalis zum Zentrum geführt wird. Hierfür sprechen ausser anderem 
auch die klinischen Symptome des Heufiebers; Reizung des inneren 
Astes des Nerven führt zu Niesen und Hypersekretion, dasselbe 
tut Reizung des äusseren Astes. (Diese beiden Aeste versorgen den 
vorderen Teil des Septums und den vorderen Teil der Aussenwand 
der Nasenhöhle, so kann man diese Symptome zum Verschwinden 
bringen.) Der infratrochleare Ast des Nerven versorgt die Konjunk- 
tiva, den Tränensack, die Karunkel und die Lider, die entsprechenden 
Symptome der Reizung sind Jucken am inneren Kanthus, Kongestion 
der Konjunktiva, Tränenträufeln, Rötung und Schwellung der Lider. 
Der zum Frontalsinus ziehende Ast erzeugt den Stirnkopfschmerz, 
der vordere Ast, der die Nasenflügel und die Nasenspitze versorgt, 
erzeugt die Rötung dieser Gebilde; die Ciliares Iongi und der Ast 
zum Ziliarganglion versorgen den Ziliarmuskel, die Iris und die 
Hornhaut, sie erzeugen die Lichtscheu. Man sieht, dass die Sym¬ 
ptome des Heufiebers und ähnlicher Erkrankungen der Nase durchaus 
mit der Verteilung des Nasalnerven übereinstimmen. Verf. resezierte 
zuerst einem an paroxysmaler Koryza leidenden Kranken den Nervus 
nasalis einer Seite mit dem Erfolge, dass die der resezierten Seite 
entsprechende Nasenhälfte von Anfällen frei blieb, während die 
andere Seite weiter ergriffen w r urde, bis er auch die Nasalnerven der 
anderen Seite resezierte. Der Nerv wird leicht gefunden, wenn 
man einen kleinen Schnitt am inneren Rande der Orbita macht, 
der direkt oberhalb des inneren Kanthus beginnend, etwas nach oben 
und aussen verläuft. Nach Ablösung der Gew ebe vom oberen Rande 
der Orbita findet man den Nerv am vorderen Foramen ethmoidale 
und kann ihn leicht resezieren. Beide Nerven werden in einer 
Sitzung reseziert. Verf. erzielte bei Heufieber und vasomotorischen 
Störungen der Nase vorzügliche Erfolge, da die Anfälle völlig ver¬ 
schwanden und auch das begleitende Asthma aufhörte. 

Edred M. Corner: Die Behandlung gangränöser Hernien Im 
St. Thomas-Hospitale von 1901—1905. (Ibid.) 

Bei 216 inkarzerierten Leistenhernien bestand 8 mal (3,6 Proz.) 
Gangrän; bei 133 inkarzerierten Femoralhernien 12mal (9 Proz.), 
bei 46 Nabel- und Bauchhernien 10 mal (21,7 Proz.). Wenn möglich, 
machte man die Resektion mit sofortiger Wiedervereinigung. Von 
18 so operierten Fällen starben 10 (55 Proz.); am besten verliefen 
die Fälle mit zirkulärer Darmnaht, seitliche^ Anastomosenbildungen 
heilten weniger gut. Resektion mit Anlage eines Kunstafters gab 
sehr schlechte Erfolge. Von 10 Fällen starben 9 (90 Proz.); aller¬ 
dings wurden mit dieser Methode die schwersten Fälle behandelt. 
Zwei Fälle wurden mit Einstülpung und Uebernähung des kranken 
Darmstückes behandelt, beide genasen. Wenn immer möglich, lasse 
man der Resektion sofort die Darmnaht folgen. Von den kompli¬ 


zierten inkarzerierten Leistenhernien starben 37, von den Schenkel¬ 
hernien 66 und von den Nabel- und Bauchhernien 20 Proz. 

Victor Bonney: Das Bindegewebe beim Krebs und gewissen, 
dem Krebs vorausgehenden entzündlichen Vorgängen. (Lancet, 
23. und 30. Mai 1908.) 

Dem Beginn des Krebses geht immer ein Zustand voraus, der 
durch epitheliale Hypertrophie und gewisse konstante Verände¬ 
rungen des subepithelialen Gewebes gekennzeichnet ist. Dieser prä¬ 
karzinomatöse Zustand kann infolge verschiedenartiger entzündlicher 
Prozesse zustande kommen, der Schlusseffekt ist aber immer das¬ 
selbe histologische Bild. Die Bindegewebswucherung in der Um¬ 
gebung eines primären Krebses ist ein Teil des präkarzinomatösen 
Prozesses und unterstützt wesentlich den Fortschritt der Neubildung. 
Es besteht kein histologischer Beweis, dass es sich bei dieser Binde- 
gewebswmcherung vielleicht um eine Schutzmassregel der Gewebe 
gegen die Krebszellen handejt. Obwohl diese Bindegewebswuche¬ 
rungen einen grossen Einfluss auf das Einwachsen des Epithels haben, 
so ist doch, nachderii erst einmal die Malignität aufgetreten ist, das 
Weiterwachsen des Tumors unabhängig vom Bindegewebe. Die 
Arbeit enthält zahlreiche instruktive Abbildungen. 

Sir William J. Sinclair: Analgesie versus Anästhesie in Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie. (Ibidem.) 

An Stelle von Skopomorphin oder allgemeiner Narkose mit 
Chloroform, Aether etc. empfiehlt Verf. Morphium und Alkohol zu 
geben. % Stunden vor der Operation gibt man 0,01—0,02 Morphium 
subkutan; 20 Minuten später 60—90ccm Kognak oder Whisky in 
einer Mischung, die Wasser und Extr. Liquir. enthält. Diese Mischung 
von Alkohol und Morphium schläfert die Frauen soweit ein, dass man 
Dammrisse nähen, Auskratzungen und andere kleine Operationen 
ohne jeden Schmerz vornehmen kann. 

A. T.Tucker W i s e: Die Behandlung der Lungenphthise durch 
Lagerung. (Ibidem.) 

Die gewöhnliche Lage der eine Liegekur im Freien durchmachen¬ 
den Kranken ist die denkbar schlechteste, um die Lunge von Aus¬ 
wurf zu befreien. Verf. beschreibt und bildet einen Liegestuhl ab, 
der es den Kranken ermöglicht, bequem längere Zeit mit herab¬ 
hängendem Oberkörper auf dem Bauche zu liegen. Kavernen ent¬ 
leeren sich in dieser Lage sehr leicht und gründlich. Die Temperatur 
geht oft herunter und das Allgemeinbefinden bessert sich. Man 
muss nur darauf sehen, dass der Kranke langsam aus der sitzenden 
in die liegende Stellung übergeht, da sonst leicht Schwindel auftritt. 
Die Kranken empfinden die Lage sehr angenehm, viele können darin 
viel besser atmen als in der Rückenlage. 

Cyrit A. R. Ni ich: Dreissig konsekutive Fälle von diffuser 
Peritonitis. (Lancet, 20. Juni 1908.) 

Es handelt sich stets um Peritonitis nach Appendizitis. Da diese 
Fälle durch den Kolibazillus bewirkt werden und dieser Organismus 
stets eine lebhafte Phagozytose und eine rasche Degeneration der 
Leukozyten hervorruft, so ist es schädlich, die Bauchhöhle auszu¬ 
spülen, da dadurch die Phagozyten fortgeschwemmt werden. Seit 
man im St. Thomashospitale die Ausspülungen der Bauchhöhle durch 
vorsichtiges Trockentupfen ersetzt hat, ist die Sterblichkeit dieser 
Fälle von 82 auf 10 Proz. gesunken. Verf. entfernt jetzt rasch den 
Wurmfortsatz, tupft die Bauchhöhle (besonders die Gegend der 
rechte Niere und das kleine Becken) vorsichtig mit steriler Gaze 
aus, näht die Bauchwunde mit Katgut in Etagen zu und drainiert von 
einer besonderen Oeffnung in der Lumbalgegend aus. Während 
der Nachbehandlung wird der Kranke in halbsitzender, nach rechts 
geneigter Stellung gehalten und bekommt Antikolibazillenserum. 

Authony A. B o w 1 b y: Neunhundert Fälle von Coxltis tuber- 
culosa. (Brit. Med. Journal, 20. Juni 1908.) 

Verf. hat im Alexandrahospital für Koxitis in London 900 dieser 
Fälle behandelt mit einer Mortalität von 4 Proz. Seine Behandlung 
ist so konservativ als möglich; er nährt die Kinder kräftig, gibt 
Lebertran und legt Extension mit geringem Gewichte (1—4 Pfund) 
an. Abszesse werden mit kleiner Oeffnung entleert und drainiert 
ohne Anwendung antiseptischer Mittel. Man hüte sich vor Gegen¬ 
inzisionen. Resektionen hat er nie gemacht. Die Operation kann 
nicht, wde z. B. beim Kniegelenk, alles kranke entfernen, sie lässt die 
kranke Pfanne zurück und ist deshalb stets unvollständig. Er ist 
stets ohne Resektion ausgekommen und hat doch in der grossen 
Mehrzahl aller Fälle Ausheilung mit guter Funktion erzielt. Er 
empfiehlt den Bau spezieller Krankenhäuser, am besten an der See. 

E. Klein: Die Ursache des Schlechtwerdens von Schinken. 
(Lancet, 27. Juni 1908.) 

Beim Räuchern von Schinken (Trockenräucherei mit Salz und 
Salpeter) kommt es zuweilen vor, dass Schinken schlecht w r erden 
(tainted). Sie riechen faul und ihr Fleisch wdrd graugrün verfärbt. 
Das Fleisch wird weich und gallertig. Beim Mikroskopieren findet 
man Gruppen von Tyrosinkristallen in den Blutgefässen und inter¬ 
muskulären Septen. Die Reaktion dieser Muskeln ist alkalisch. Verf. 
konnte in einer grossen Schinkenfabrik als Ursache des Verderbens 
stets einen zylindrischen Bazillus nachw r eisen, den er Bacillus foedans 
nennt und dessen morphologische und biologische Eigenschaften er 
genau beschreibt. 

W. Watson Cheyne: Die Schutzmittel des Körpers Im Lichte 
der Erkrankungen des Kindesalters und der Erwachsenen. (Ibidem.) 


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1800 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .>4. 


Die sehr interessante Arbeit des erfahrenen Chirurgen eignet 
sich nicht für ein kurzes Referat. Hervorheben möchte ich nur. 
dass Verf. von der Richtigkeit der W right sehen Opsonintheorien 
durchaus nicht überzeugt ist. Er hat auch von der Uebertragnng 
dieser Theorien auf die Praxis und der Anwendung der Vakzine¬ 
therapie wenig Nutzen gesehen, so dass er durchaus noch nicht ge¬ 
willt ist W rights Rat zu folgen und das Messer fortzulegen, um 
ein Immunisator zu werden. (Wer augenblicklich in England solche 
Ansichten ausspricht, kommt bei dem Enthusiasmus, mit dem man die 
Opsonintherapie ausgenommen hat, leicht in den Verdacht, ein 
Ignorant oder ein professioneller Verneiner zu sein. Rcf. gehört aller¬ 
dings auch zu diesen und glaubt mit Sicherheit prophezeien zu 
dürfen, dass die ganze augenblicklich so moderne Opsonin- und 
Vakzinebewegung in einigen Jahren tot und begraben sein wird.) 

Er. Eve: Erfahrungen über die chirurgische Behandlung gut¬ 
artiger Magenleiden. (Ibidem.) 

Verf. empfiehlt nur die hintere Gastroenterostomie ohne 
Schlingenbildung. Alle Operationen, wie die von E i n n e v. Ko¬ 
cher u. a. angegebenen, die den Rückfluss des Duodenalinhaltcs in 
den Magen verhindern, besonders auch die Braun sehe Entero- 
anastomose. die leicht zu Ulcus pepticum fühlt, Pyloroplastik bei Pv- 
orusstenose sind ungenügend, da häufig Rezidive auttreten. Exzision 
eines chronischen Geschwürs ist sehr gefährlich und auch über¬ 
flüssig, da das GeschwMir nach Vornahme der Gastroenterostomie 
meist heilt. 

Alban H. G. Do ran: Ucber operativ entfernte Zysten 
der Nebenniere, (ßrit. Med. Journal, 27. Juni iws.) 

Verf. beschreibt 13 Eülle (1 eigenen) dieser wenig gekannten 
Krankheit, von denen nur einige operativ behandelt wurden. Es 
handelte sich meist um Blutzysten, die in einigen Eällen wohl auf 
Verletzungen zurückzuführen waren. Meist werden die Kranken 
durch kolikartige Schmerzen auf ihren rumor aufmerksam. Fluk¬ 
tuation ist meist nicht nachweisbar: das Colon descendens liegt meist 
vor der Geschwulst. Nur in einem Ealle wurde Bronzefarbe der 
Haut beobachtet, die bald nach der Operation verschwand. Verf. 
empfiehlt transperitoneal durch den äusseren Rand des Rektus vorzu¬ 
gehen. Man soll dann versuchen die Zyste zu enukleiercn: es ist 
dies zuweilen schwierig und auch gefährlich wegen der Nähe der 
Aorta. Verfs. eigener Eall wurde geheilt. (Rcf. hat vor kurzem 
einen ähnlichen Eall, in dem aber die Niere wegen untrenn¬ 
barer Verwachsungen mitgenommen werden musste, mit Glück 
operiert.) J. P. z u m B u s c h - London. 

Rumänische Literatur. 

E. S p i r t: Die Behandlung der Hydrokele mittels Einspritzungen 
von Karbolglyzerin. (Spitalul, No. 5, 1908.) 

Die Behandlung der Hydrokele mit Einspritzungen von Jodtink¬ 
tur hat den Nachteil der grossen Schmerzhaftigkeit, die nicht nur 
unmittelbar nach der Injektion auftritt, sondern noch mehrere Tage 
nachher anhält, wenn die sekundäre Entzündung des Hodens und der 
Vaginalis sich bildet. Viel besser ist schon die von Levis vor¬ 
geschlagene Methode der Einspritzung flüssiger Karbolsäure, doch 
ist derselben die Modifikation von Tcdenat vorzuziehen, welcher 
statt reiner Karbolsäure eine Mischung dieser Substanz mit Gly¬ 
zerin zu gleichen Teilen benützt. Zur Vornahme dieses operativen 
Vorganges wird zuerst die Eliissigkeit aus dem Vaginalsacke ent¬ 
leert, eventuell noch mit physiologischer Salzlösung nachgespult und 
hierauf 6 ccm obiger Flüssigkeit eingespritzt. Man knetet leicht den 
Hodensack, damit sich die Flüssigkeit gleichmässig verteilt und lasst 
dieselbe dann vorsichtig ausfliessen, indem man darauf achtet, dass 
kein Tropfen auf den Hodensack fliesst, da sonst Verschorfungen 
entstehen. Die Höhle wird mit sterilem Wasser ausgespiilt und ein 
Kompressivverband auf den Hodensack angelegt. Die Schmerz¬ 
haftigkeit ist eine kaum nennenswerte und verschwindet unter 
kühlenden Umschlägen vollständig. Die therapeutischen Resultate 
dieser Methode sind gute, und hat der Verfasser in beiden l allen, 
in denen er dieselbe zur Anwendung brachte, vollkommene Heilung 
erzielt. 

I. Potärca: Bemerkungen über die penetrierenden Wunden 
der grossen Körperhöhlen durch die modernen klelnkalibrigen Projek¬ 
tile und über die Vereinfachung des Individuellen Verbandpaketes. 

(Revista de Chirurgie, No. 4, 1908.) 

Der Verfasser, welcher Militärarzt ist, hat im Vorjahre, während 
der Bauernunruhen, eine grössere Anzahl von Schusswunden zu 
behandeln Gelegenheit gehabt, die meist durch das Projektil des 
Mannlichergew'ehres, Kaliber 6.5 cm, hervorgerufen worden waren. 
Die meisten Verwendungen betrafen revoltierende Bauern, auf 
welche die Truppe aus kleiner Entfernung geschossen hatte, und die 
dann ihre Verwundung aus Furcht vor weiterer Bestrafung, geheim 
hielten, so dass von den zu ihrer Behandlung entsendeten Aerzten 
förmliche Entdeckungsreisen in den betreffenden Dörfern unter¬ 
nommen werden mussten. Ein Teil der Wunden war infolgedessen 
in desolatem Zustande. Der Verfasser konnte bei dieser Gelegenheit 
beobachten, dass weitaus die grösste Anzahl der durch kleinkaJibrige 
Geschosse hervorgeruienen Wunden einen kleinen Umfang haben 
' ss infolgedessen, im Kriegsfälle, ein kleiner Verband genügen 


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würde, um dieselben bis zum nächsten Krankciihausc vor Verunreim- 
gung zu schützen; selbst lur penetrierende Wunden grosser korper- 
hölilen hat dies volle Gültigkeit. Kann man dies erzielen, so sind 
grössere chirurgische Eingriffe auf dem SchlachtieiJe. mit ganz ge¬ 
ringen Ausnahmen, zu unterlassen. Das von P. vorgeschlagene in¬ 
dividuelle Verbandpaket besteht aus mehreren Lagen sterner Gaze, 
über welche ein grosseres Muck (ia/e gelegt wird, worauf das 
Ganze mittels Kollodium befestigt und hermetisch abgeschlossen 
wird. Kollodium und Gaze befinden sich in einer Schachtel aus ge¬ 
presstem Karton, nebst einem kleinen, an einem Indy mit etwas 
Watte umwickelten Stäbchen. Welches zum Aulstreichen des K'dlo- 
diums dienen Soll. Mit diesen Päckchen wird der erste Verband 
auf dem Schlachtfelde ausgeiuhrt und der Verwundete dann weiter 
transportiert, wobei man die Sicherheit hat, iast immer eine Kon¬ 
taminierung der Wunde zu verhüten. 

Pociuru-Caplescu: Leber ein neues Mittel bei Puerperal¬ 
fieber. (Chirurgische Gesellschaft m Bukarest. Sitzung %orn lo. Ja¬ 
nuar Iöos.) 

In einem sehr schweren Ealle. in welchem alle üblichen Mittel 
erfolglos versucht worden waren, hat der Vortragende intrauterine 
Einspritzungen mit 0.75 - 1 proz. 1‘ormalinlosung gemacht und sehr 
rasch Besserung und später vollkommene Heilung erzielt. Die an¬ 
gewendete Eliissigkeitsmengc betrug 2 Liter und konnte schon nach 
der ersten Einspritzung das Verschwinden des bestandenen fotidef! 
Geruches testgesteilt werden. Die bis dahin täglich aultretenden 
Schüttelfröste wiederholten sich nicht mehr nnJ die Temperatur 
kehrte zur Norm zurück. Die therapeutische Wirkung war also eine 
gute und hatte P.-C. nur mit bezug auf die Gütigkeit des Mittels 
einige Bedenken, doch haben ihm die an Hunden Vorgenommenen 
Experimente und zwei Falle \oii akzidenteller Vergiftung gezeigt, 
dass die Giftigkeit des forumls eine geringe sei und dass folglich der 
Anwendung desselben zu intrauterinen Ausspülungen in der oben 
angeführten Konzentration nichts im Wege steht. 

D. Stet a n i ii: Die Behandlung gastro-lntestinalcr Störungen 
mit Laktobazillln. (Inauguraldissertation. ,lass\ pzo;.) 

Die gute Einwirkung der Milchsäure aut gastro-mtestmale Sto¬ 
rungen, narmmtlich bei Kindern, ist seit lange bekannt, es wurden 
daher, hauptsächlich von M etsc h n ik of j. mehrfache l ntersuchungen 
angestellt, um die Beeinflussung der betreuenden Prozesse durch 
lebend eingeliibrte Milchsautebazdleii festzu^telleu. I s zeigte sdi. 
dass diese Einwirkung eine sehr günstige iM und wurden daher ver¬ 
schiedene taktische und paralaktische Mikroben kultiviert und thera¬ 
peutisch angewendet. Unter diesen ist auch der Non Hcupcl im 
Pariser Paste urschen Institute gewonnene Bazillus aus dem bul¬ 
garischen Yoghurt, welcher rein gezüchtet lind mit anderen para- 
laktischen Bazillen gemischt, einen energischen Milchs.uireerzeuger 
abgibt. Der Verfasser hat auf der K mderahteilung n «»n Manica- 
tide Versuche mit diesem Präparate. 1 aktobazillm genannt, an¬ 
gestellt und namentlich bei infantiler Diarrhoe sehr gute Resultate 
erzielt. Man gibt 0.3n mehrmals täglich. 

N. Bardcscu: Die inguinale Methode liir die Operation der 
Schenkeihernien. (Revista Stimt/elor medicalc, Januar-Februar 
1908.) 

Die Operation der Kruralhernien auf inguinalem Wege ist die¬ 
jenige. welche die besten Resultate ergibt und bat Verf. nach der¬ 
selben an 22 Patienten 2s Hermen mit bestem Lrtofge operiert. Der 
Eingriff hat den Vorzug der Einfachheit und den, dass ein breites, 
gut beleuchtetes Operationsfeld geschaffen wird, ausserdem kann 
durch Eröffnung des Bauchperitoiieiims eine gute Ablösung aller Ad¬ 
härenzen iles Backes durchgeluhrt werden, der Nick kann hoch oben 
abgebunden werden und durch eine v oilk< .rmnene Schliessung des 
Kruralrmges werden güte Verhältnisse lur die Radikal*ur geschahen. 
Die Operation besteht im grossen und ganzen m Erovnung des In- 
gumalkanals, in Praparienmg. in I.osiosung und l eher luhr ung des 
Sackes in die Ingiimalgegeiul. Erotiming und Naht desselben und 
schliesslicher Naht des Kruralbogens an das Uoopersdie Liga¬ 
ment. Die Operation wird schliesslich mich der Bassi ruschen 
Radikalmetlmde beendet. 

C. P a r h o n und C. I r e c h e: Die Rolle der Thyreoidea ln der 
Behandlung des Ekzems, (spitalul. No. 7, E>os ) 

Aetiologie und Pathogeme des Ekzems geboren zu den dunklen 
Fragen der Dermatologie, doch ist es sicher, dass zur Entwicklung 
der Hautaffektion ein besonders empMnlhcher Boden Nnrli.in.ien Sein 
muss, wie er in den meisten l allen durch die arthntische Konstitution 
gegeben wird. A rthritisimis beruht aber auf einer V eriari gsamung 
des Stoffwechsels und m dieser Beziehung ist die Rolle der Schild¬ 
drüse, welche eine Besc h'eumgiiug der Stoff w echseiv organgc be¬ 
wirkt. bekannt. Eine Insuni/ienz m der Funktion dieser Druse muss 
also auch zu einer Verlangsamung des Stoff w echscls fuhren und es 
besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese : be in der Ent¬ 
wicklung der Ekzeme eine Rolle spielt. Eine Stutze dieser Vn- 
nalime liegt in der günstigen Beeinflussung gewisser Ekzeme durch 
Verabreichung von Schilddrüse. Andererseits bewirkt d:e Insuffi¬ 
zienz der Schilddrüse auch eine man/elhafte kalkablagerung im 
Organismus, w odurch Storungen m der Gew ebs. s~n.se. eine stärkere 
Durchtränkung der Gewebe mit Pruritus und Lkzembkdung zustande 
kommen. Es erklärt dies die gute Einwirkung der Einnahme von 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1801 


Chlorkalk auf Pruritus und Ekzem, wodurch eine Verbesserung der 
Kalkverhältnisse im Organismus zustande kommt. 

I. J i a n u: Einige Betrachtungen über die Lumbalpunktion bei 
Schädelbrüchen. (Spitalul, No. 8, 1908.) 

Die Lumbalpunktion spielt eine wichtige Rolle in der Diagnose 
der Schädelbrüche; ist die hierbei entleerte Flüssigkeit blutig tin- 
giert, so kann fast mit Sicherheit ein Bruch des knöchernen Schädel¬ 
gerüstes angenommen werden. Es kann aber Vorkommen, dass man 
bei der einen Punktion eine klare, bei einer anderen hingegen eine 
blutige Flüssigkeit erhält und hat der Verf. die Beobachtung gemacht, 
dass hierbei die Haltung des Patienten eine ausschlaggebende Rolle 
spielt, indem man positive Resultate hauptsächlich bei in sitzender 
Haltung vorgenommenen Punktionen erhält. Auch ist es von Wich¬ 
tigkeit, hierbei eine grössere Menge zephalo-rhachidianer Flüssigkeit 
(etwa 30 ccm) abfliessen zu lassen, da die ersten Portionen, falls es 
sich um kleinere Mengen handelt, oft vollkommen klar sind. 

Eine weitere Vorsichtsmassregel ist die, bei Vornahme mehrerer 
Punktionen dieselben von unten nach oben zu verschieben, damit 
nicht durch eine akzidentelle, der vorhergehenden Punktion zuzu- 
schreibenden Blutung, eine Rotfärbung der Punktionsflüssigkeit be¬ 
wirkt wird und dies zu Trugschlüssen Veranlassung gibt. 

V. Babesch: Der jetzige Stand des Kampfes gegen den Krebs. 
(Sitzung der Rumänischen Akademie, 4. April 1908.) 

Der Vortragende ist nicht Anhänger der parasitären Theorie mit 
bezug auf die Krebsbildung, sondern der Ansicht, dass derselbe fol¬ 
genden zwei Ursachen seine Entstehung verdanken kann: 1. Es 
kommt vor, dass epitheliale Zellgruppen sich im Organismus verirrt 
haben, an Stellen, wo sie ihre Rolle nicht ausüben können, viel¬ 
mehr ein vegetatives, unabhängiges Leben führen, so dass sie mit 
der Zeit auch ihre Eigenschaften ändern und auf Kosten der sie um¬ 
gebenden Gewebe leben, in dieselben eindringen und sie zerstören, 
Lymphbahnen durchdringen etc. und dies namentlich, wenn der 
Gesamtorganismus durch Alter oder andere Ursachen geschwächt ist. 
2. Infolge lange andauernder Reizungen gewisser Gegenden, kommt 
es vor, dass das Epithelium degeneriert, sich diesen Reizungen an¬ 
passt, hierdurch aber resistenter wird und seinen ursprünglichen 
Charakter ändert. Es kommt zur Bildung einer neuen Zellenart, 
welche infolge der immerwährenden Reizungen ihren ursprünglichen 
Zweck nicht mehr erfüllen kann, in die Tiefe dringt und dort auf 
Kosten der umgebenden Oewebe weiter vegetiert. Diese Zellen ge¬ 
winnen eine grosse Wachstumskraft und scheiden gewisse Sub¬ 
stanzen ab, welche für die umgebenden Zellen und den Organismus 
im allgemeinen giftig sind. Die bedeutende Erhöhung der Harn¬ 
giftigkeit spricht für die Annahme der Toxinausscheidung von seiten 
der Krebszellen. 

Diese Erklärung der Krebsbildung kann für alle Fälle An¬ 
wendung finden und es ist nicht notwendig, Mikrobentheorien heran¬ 
zuziehen. 

Der Vortragende bespricht des weiteren verschiedene moderne 
Behandlungsmethoden des Krebses mit Einspritzungen verschiedener 
Sera und Extrakte, die Behandlung mittels Röntgenstrahlen und Ra¬ 
dium und hält alle für unwirksam. Die Präventivbehandlung, die 
frühzeitige Diagnose und rechtzeitige, radikale Exstirpation geben 
bisnun die besten wissenschaftlichen Resultate. Um Rezidiven vor¬ 
zubeugen hat B. versucht, den betreffenden, operierten Patienten Sub¬ 
stanzen, die aus dem exstirpierten Tumor gewonnen wurden, einzu¬ 
spritzen und dieselben des Weiteren mit anderen Substanzen aus 
malignen Geschwülsten zu behandeln, um auf diese Weise eine Im¬ 
munität des Organismus zu erzielen. Die bis nun gewonnenen Re¬ 
sultate sind ermutigend und werden weitere Untersuchungen an¬ 
gestellt. 

Ioan Jianu: Note über die kavo-meseralsche Anastomose. 
(Spitalul, No. 9, 1908.) 

Die Ligatur.der Cava inferior unterhalb der Nierenvenen be¬ 
wirkt ein ausserordentlich grosses, chronisches Oedem der unteren 
Extremitäten, infolge Behinderung des venösen Abflusses; die Ligatur 
oberhalb der Nierenvenen bewirkt den Tod infolge von Nieren¬ 
degeneration. Beides kann verhütet werden, falls man die Kava mit 
der Vena mesenterica superior seitlich anastomosiert. Diese Opera¬ 
tion wird derart ausgeführt, dass nach präventiver Blutstillung die 
beiden Venenstämme aneinandergelegt und mit Katgut No. 00 in der 
Ausdehnung von etwa einem Zentimeter zusammengenäht werden. 
Es werden nun zwei Fensterchen in die gegenüberliegenden Venen¬ 
wände gemacht, dieselben mit penetrierender Naht vereinigt und 
darüber mit dem von der ersten Naht übriggebliebenen Katgutende 
eine weitere Konsolidierungs-naht ausgeführt. Nach Entfernung der 
provisorischen Ligaturen geht der Blutstrom von der Cava inferior 
in die Mesenterica superior. 

Diese experimentellen Venenanastomosen könnten bei unabweis- 
licher Ligatur der Pfortader, bei Behinderung der Leberzirkulation 
oder derienigen der Mesenterialvenen zu therapeutischen Zwecken 
herangezogen werden. 

C. Severeanu und Ioan Jianu: Versuche zur Behandlung 
der Neubildungen durch lymphatische Stase: die Ligatur des Bogens 
des Ductus thoraclcus und die Ligatur der P e c q u e t sehen Zisterne. 

(Revista de Chirurgie, Juni 1908.) 


Die Verfasser haben die Ligatur des Ductus thoracicus an Jener 
Stelle, wo derselbe sich in die Vena subclavia ergiesst, vorgenommen 
und hierdurch in sehr günstiger Weise die Schmerzen bei einem 
grossen, nicht operablem Sarkom der Bauchhöhle beeinflusst; auch 
das Allgemeinbefinden und der Appetit besserten sich. In drei Fällen 
von inoperablem Karzinom des Uterushalses wurde die beiderseitige 
Unterbindung der Art. hypogastricae und der P e c q u e t sehen Zi- 
sterna chyli gemacht. Dieser Eingriff beeinflusste in sehr günstiger 
Weise das Neoplasma, indem die Sekretion, die Blutung und Fötidität 
auffallend abnahmen, resp. ganz verschwanden. Der Allgemein¬ 
zustand wurde ebenfalls besser und die Kranken verloren ihr 
kachektisches Aussehen. Die Verfasser nehmen sich vor, in Zukunft 
in Fällen von nichtoperablen Gebärmutterkrebsen nur die Cisterna 
chyli und nicht auch die hypogastrischen Arterien zu unterbinden, um 
den Einfluss der reinen lymphatischen Stase auf das Neugebilde zu 
studieren. 

Poenaru-Caplescu: Die Knochennaht und der Gips¬ 
apparat ln der Behandlung der Beinbrüche. (Ibidem.) 

Nach einer kurzen historischen Uebersicht beschreibt der Ver¬ 
fasser die auf der Abteilung von Th. Jonnescu übliche Behand¬ 
lungsmethode der Beinbrüche. Im grossen und ganzen besteht die¬ 
selbe darin, dass aus zehn- bis zwölffachen Organtinstreifen, die mit 
Gips imprägniert sind, drei Leisten zugeschnitten werden, von denen 
die eine vom mittleren Drittel des Beines beginnend über die hintere 
Fläche, den Absatz und die Sohle läuft und über den Zehen umbiegt 
und bis auf den Fussrücken hinübergreift. Eine zweite Organtinleiste 
umfasst beide Seitenteile des Beines und geht wie ein Steigbügel 
über die Fussohle. Mit Binden und später mit Diachylonstreifen 
werden diese Leisten nach vorgenommener Adaptierung der ge¬ 
brochenen Teile befestigt und nach stattgehabter Erhärtung des 
Gipses bleibt das Bein nur durch die beschriebenen gegipsten Or- 
gantinleisten fixiert, die mittels der Pflasterstreifen am Platze ge¬ 
halten werden. Auf diese Weise kann das Glied in seiner ganzen 
Ausdehnung beobachtet, offene Wunden können bequem ver¬ 
bunden und durch die Diachylonstreifen kann der Verband 
fester angezogen oder gelockert werden, je nachdem es die statt¬ 
gehabte An- oder Abschwellung verlangt. Nach 25—30 Tagen wird 
der Verband abgenommen und mit Massage, Bädern und Mechano- 
therapie begonnen. Der angegebene Verband ist der modifizierte 
Maisonneuvesehe Apparat der Beinfrakturen. Eine weitere 
Neuerung ist die, dass die Koopticrung der Knochenfragmente, falls 
dieselbe sehr schmerzhaft ist, unter Rhachistovainisierung vor¬ 
genommen wird. Bei komplizierten Brüchen oder bei solchen, bei 
welchen die Teile nur schwer oder gar nicht in der richtigen Lage 
gehalten werden können, werden die Jacoel sehen Klammern an¬ 
gewendet und, wie die beigegebenen Röntgenographien zeigen, sehr 
gute Resultate erzielt. 

V. Babesch und Th. Mitronescu: Die akute aufsteigende 
tödliche Paralyse nach der antlrablschen Behandlung. (Romania 
medicala. No. 6 7, 1908). 

Es entwickeln sich mitunter, infolge der antirabischen Behand¬ 
lung, Symptome von Mvelitis, die zum Tode führen und von mehreren 
Autoren als durch die Behandlung abgeschwächte Wutinfektion an¬ 
gesehen wurden. Eine nähere Untersuchung der einschlägigen Fälle 
zeigt aber, dass es sich keineswegs um Wut handelt, sondern wahr¬ 
scheinlich um eine Vergiftung mit antirabischem Toxin, deren Auf¬ 
treten durch eine besondere Prädisposition des betreffenden Organis¬ 
mus möglich gemacht worden ist. Zur Unterstützung dieser Ansicht 
führen die Verfasser einen kürzlich beobachteten Fall, eine 40 iährige, 
von einem tollen Hunde gebissene Frau betreffend, an. Am 15. Tage 
der antirabischen Behandlung traten bei derselben Lähmungen der 
unteren Extremitäten auf, die sich rasch nach oben hin ausbreiteten 
und nach kurzer Zeit zum Tode führten. Bei der Nekropsie fand man 
ein Oedem der Meningen und des Gehirns, sowie eine ausgebreitete 
Degenerierung des ganzen Lenden- und unteren Rückenmarkes. 
Ausserdem bestanden Erscheinungen von Ncnhritis. Einimpfungen, 
die man mit Teilen des Rückenmarkes an Kaninchen machte, er¬ 
wiesen, dass es sich keineswegs um Wuterkrankung gehandelt hatte, 
da die Tiere gesund blieben. 

I. Ettinger: Jährliche Wettbewerbe für Kinder mit Prä¬ 
miierung der gesündesten. (Spitalul, No. 10. 1908.) 

Der Kampf gegen die überaus grosse Sterblichkeit der Kinder 
in den ersten Lebensjahren ist ein sehr vielseitiger und muss nicht 
nur gegen die verheerenden Krankheiten, sondern auch gegen Un¬ 
wissenheit und Vorurteile der Bevölkerung, namentlich derienigen 
auf dem flachen Lande, geführt werden. Hierzu eignen sich in erster 
Linie Wettbewerbe, welche mit Geldprämien ausgestattet, die Eltern 
ansDornen. möglichst gesunde und kräftige Kinder zu haben. Die 
Preisverteilungen können zu populär-hvgienischen Vorträgen be¬ 
nützt werden und auserdem durch Tafeln, welche in jedem Wohn- 
hause an der Wand befestigt werden sollen, den Bewohnern, Auf¬ 
klärung über elementare Prinzipien der Kinderaufziehung und der 
Behandlung der häufigsten Krankheiten, namentlich der Magendarm¬ 
erkrankungen. gegeben werden. Auch die Eltern müssten darauf 
aufmerksam gemacht werden, dass solange ihr eigener Gesundheits¬ 
zustand kein guter ist, sie nur kranke und schwächliche Kinder zur 
Welt bringen können, es folglich in ihrem eigenen Interesse liegt. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1802, 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Krankheiten wie Syphilis, Pellagra, Malaria etc. ärztlich in genügen¬ 
der Weise behandeln zu lassen. 

V. Babesch: Die kapillären Gallengänge In den Neubildungen 
der Leber. (Romania medicala, No. 6,7, 1908.) 

In ähnlicher Weise, wie bei der Regenerierung des Leber¬ 
parenchyms in Lallen von Cirrhose dieses Organs, kann auch bei 
Leberneoplasmen die Bildung kapillärer (iallengänge aus den Tra¬ 
bekeln beobachtet werden. Auch hier bilden sich dieselben durch 
Kanalisierung der Trabekeln und durch Bildung von eosinophilen 
Verlängerungen, die anfangs solid, später kanalisiert erscheinen und 
Verbindungen zwischen Blut- und Leberkapillaren darstellen. Bei 
gewissen Neubildungen kann man die Bildung von Kanälen auch im 
Inneren der Riesenzellen beobachten. E. T o f f - Braila. 

Otologie. 

H e g e n e r - Heidelberg: Statistik der Ohreiterungen und Hirn- 
komplikatlonen, beobachtet In der Heidelberger Universltäts-Ohren- 
kllnlk 1897—1906. (Zeitschr. f. Ohrenheilkunde, 56. Bd., 1. Heft.) 

Unter 10187 zur Behandlung gekommenen Mittelohrciterungen 
fanden sich 4554 = 45 Proz. akute, 5633 55 Proz. chronische. Von 

den akuten kamen zur Aufmeisselung 441 10 Proz., von den chro¬ 
nischen zur Radikaloperation 708 13 Proz. und zur Hammcrambos- 

extraktion 74 — 1,3 Proz. Die Labyrintheiterungen und Bogengangs¬ 
erkrankungen zusammen machten 0,6 Proz. aller Ohreiterungen aus. 
Im Verhältnis zu den operierten Fällen sind akute Eiterungen mit nur 
0,7 Proz. daran beteiligt, die chronischen aber mit 7,8 Proz. Bei 
1,2 Proz. aller Eiterungen fanden sich unkomplizierte Extradural¬ 
abszesse und zwar fanden sich bei der Aufmeisselung akute Eite¬ 
rungen in 21 Proz., chronische in 4,7 Proz. Sinusthrombosen kamen 
48 zur Beobachtung, 14 mal verursacht durch akute, 34 mal durch 
chronische Mittelohreiterungen. Hirnabszesse fanden sich 24 mal, 
4 mal infolge akuter, 20 mal infolge chronischer Eiterung. Von allen 
akuten Eiterungen führten zum Tode etwa 0,3 Proz., von allen chro¬ 
nischen 0,8 Proz. Verf. schliesst mit den Worten: Wir werden in der 
Hirnchirurgie noch bessere Resultate erzielen, wenn unsere Dia¬ 
gnostik noch weiter ausgebildet ist und — wenn wir die Patienten 
nicht erst in der Agone zugeschickt bekommen. 

Muck -Essen (Ruhr): Die Behandlung der akuten Mittelohr- 
elterungen mit zitzenförmiger Perforation durch Ausaaugen des Elters 
aus derselben vom Gehörgang aus. (Ibidem.) 

Verf. berichtet über 5 Fälle mit ausgesprochener zapfenförmiger 
Perforation im hinteren oberen Quadranten im subakuten Stadium, 
welche unter der Saugbehandlung mit der von ihm angegebenen Saug¬ 
vorrichtung (vergl. Münch, med. Wochenschr. No. 9, 1907) nach durch¬ 
schnittlich 8 Tagen heilten. 

S c h ö t z - Heidelberg: Histologische Befunde an den Gehör¬ 
knöchelchen bei nicht tuberkulöser, chronischer Otorrhöe. (Ibid.) 

Verf. begrenzt die noch vielfach verworrenen Begriffe „Karies 
und Nekrose“. Er schlägt vor, den Ausdruck „Karies* nur da zu ge¬ 
brauchen, wo wirklich noch eine Einschmdzung von Knochensubstanz 
durch Qranulationsgewebe im Gange ist, den Ausdruck Nekrose da, 
wo es zum Absterben des Gewebes, zur Sequesterbildung gekommen 
ist. Bei dieser Abgrenzung kommt Verfasser zum Ergebnis, dass die 
Karies der Gehörknöchelchen ein relativ benigner Prozess ist. 

K r a m m - Königsberg: lieber die Diagnose des Empyems des 
Saccus endolymphaticus. (Beiträge zur Anatomie, Physiologie, Patho¬ 
logie und Therapie des Ohres, der Nase und des Halses, Bd. 1, Heft 4.) 

Verf. hat sich folgende Fragen vorgelegt, deren Beantwortung 
der Förderung bedarf: 1. Wie oft erkrankt der Saccus endolymphati¬ 
cus im Anschluss an Labyrintheiterungen? 2 a. Unter welchen Be¬ 
dingungen bleibt eine entstandene Eiterung des Saccus auf diesen 
beschränkt? 2 b. Unter welchen Umständen und in welcher Richtung 
schreitet sie weiter auf die Umgebung fort? 3. Aus welchen Sym¬ 
ptomen kann eine Eiterung des Saccus endolymphaticus erkannt 
werden? 4. Wie sind diese Empyeme zu behandeln? Von prak¬ 
tischem Interesse sind vor allem die Fragen 3 und 4. doch gehen 
die Angaben über eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose nicht hinaus. 

Sonntag (aus der Poliklinik von Privatdozent Dr. Brühl 
und Dr. Sonntag in Berlin): Nachbehandlung der Totalanfmeisse- 
lung ohne Tamponade. (Ibidem.) 

Verf. ist der Ansicht, dass die bisher übliche Methode mit 
lockerer Tamponade vorteilhafter ist als die neuerdings mehrfach 
empfohlene tamponlose Behandlung. 

H a s s 1 a u e r - München : Die Freilegung des Bulbus der Vena 
jugularis Int. (Sammelreferat. Internat. Zentralbl. f. Ohrenheilkunde, 
Bd. 6, Heft 7.) 

Verf. gibt einen sehr lehrreichen geschichtlichen Ueberldick über 
die operative Bekämpfung der otitischen Pyümie: zunächst einfache 
Aufmeisselung des Warzcnteils. dann .liigularisunterbindung. später 
Sinuseröffnung und endlich Freilegung und Eröffnung des Bulbus der 
V. jugularis. Durch genaue Beschreibung der von den Autoren hier¬ 
bei geübten Technik hat die Arbeit auch praktisches Interesse. 

Normann H. P i k e - London (aus der k. k. Universitätsklinik in 
Wien): Untersuchungen über das Verhalten des Vestlbularapparates 
hei nicht eitrigen Erkrankungen des Ohres. (Monatsschr. f. Ohren- 
’ 42. Jahrg., 5. Heft.) 


Die Untersuchungsmethoden, welche angewendet wurden, sind: 

1. Die Beobachtung des Nachnystagmus nach Drehung auf dem 
Drehstuhl, wobei die von Baratt y emgefuhrte undurchsichtige Brille 
benutzt wurde. Die Drehungsgeschw mdigkcit betrug für l'< Um¬ 
drehungen etwa 20 Sekunden. Es tritt bekanntlich bei Rechtsdrehung 
Nystagmus nach links und umgekehrt bei Linksdrehung N\stagmus 
nach rechts auf. Normale Erregbarkeit wurde nur dann angenommen, 
wenn die Dauer des Nystagmus nach rechts und links über 25 Se¬ 
kunden betrug. 

2. Die Beobachtung des kalorischen Nystagmus durch Aussprit/en 
des Gehörganges mit kühlem W asser von 15- 2o" C. wodurch bei 
aufrechter Kopfstellung Nystagmus nach der uisht ausgespritzten Seite 
hervorgerufen wird. 

3. Bei Prüfung einseitiger Taubheit kam die von Barany ein¬ 
geführte neue Methode zur Verwendung, welche darin besteht, dass 
in dem nicht zu prüfenden Ohr ein Lärm von derartiger Starke er¬ 
zeugt wird, dass dieses Ohr vom Horakt vollkommen ausgeschlossen 
wird (Baranys Lärmapparat, zu beziehen von F. Reiner m 
Wien). 

Die Untersuchungen ergaben, dass unter 74 mit hochgradiger ein- 
oder beiderseitiger Schwerhörigkeit mul Taubheit einhergchen Jen 
nicht eiterigen Erkrankungen 35 Fäile 47.3 Pro/., verminderte oder 
aufgehobene Erregbarkeit zeigten. D o 1 g c r - Erankfurt a. .M. 

Inauguraldissertationen •). 

Konrad Zirkel: Beiträge zur Komplikation von 
S c h w angcrschaft und Tuberkulös e. Inauguraldisser¬ 
tation, Wiir/burg P*»S. (G Seiten. 

Auf Grund der Beobachtungen am MJter.a! von Prof. Hol¬ 
me i e r - W iirzburg kommt Zirkel zu folgendem Resu’tat: 

1. Jedem tuberkulösen .Mädchen ist d:e Ehe aufs Ernsteste zu 
w iderraten. 

2. Heiratet es dennoch, so ist besonders bei schwerer here¬ 
ditärer Belastung die Sterilität an/ustreben. eine Massrege!. die viel¬ 
leicht selbst bei tuberkulöse verdächtigen Laben am Platze ist, denn 
die Schwangerschaft stellt stets eine gefährliche Kompilation der 
Tuberkulose dar. Eur die Mutter bedeutet s:e vielfach eine zu¬ 
nehmende Verschlimmerung ihres Leidens und die Kinder tuberkulöser 
Mütter sind zum grossen Teile zeitlebens schwächlich und kränk¬ 
lich und gehen, wie die Beobachtungen Zirkels 'ehren, der Mutter 
öfters sogar im Tode voran. 

3. Kommt cs zur Schwangerschaft, so ist zunächst eine ständige 
ärztliche Beobachtung des Allgemeinbefindens der Mutter geboten, die 
sich vor allem auch auf die sorgfältigste Kontrolle des Körperge¬ 
wichtes zu erstrecken hat, bei Zunahme der Beschwerden oder auf¬ 
fallender Gewichtsabnahme eine baldige Unterbrechung der 
Schwangerschaft durch den künstlichen Abort, jedoch stets erst nach 
Beratung mit einem erfahrenen Inter nisten. 

4. Die künstliche Eriihgeburt ist a's ein schwerer Eingriff in der 
Regel zu verwerfen und nur in den l allen am Platze, wo eine wesent¬ 
liche Erleichterung grosser Beschwerden für die Mutter zu erwarten 
ist, denn es muss 

5. bei jeglichem Handeln des Arztes die Soige für das Leben der 
Mutter, namentlich bei Mehrgebarenden. die Richtschnur bilden, ohne 
Rücksicht auf das zu erwartende Kind. (Dieser Standpunkt wird auch 
von juristischer Seite eingenommen.) 

(>. Neben der Schwere der Erkrankung ist besonders auch die 
soziale Lage der Mutter bei der f rage e.ues kmiM ichen Eingriffes 
wohl zu windigen. 

7. Allgemein gültige Regeln lassen sich n.clit aufs teilen, sondern 
es ist Suche des Ai/tes. v-m Eai! zu I all d.e Entscheidung hinsicht¬ 
lich seines Handelns zu treffen. 

Heinrich Schulte: Leber die Beziehungen der 
genuinen Optikusatrophie zur progressiven Para¬ 
lyse. \\ iir/burg B»o7. 21 S. Memmingers Ver'ags.mstalt. 

Aus vorliegender, auf Anregung von Pn\atJ<>/cnt R e i c h a r d t. 
\\ iirzburg, entstandenen Arbeit ergeben sk.1i cm.ge wichtige Folge¬ 
rungen: Die primäre Optikusatrophie M bei progressiver Para’v se 
offenbar etwas sehr seltenes. Sie war stets schön \orliandeii. als 
•die Parah se begann. Sic tritt ausserofde ntiich \ ;c! häufiger doppel¬ 
seitig lind bezüglich der Intensität svmmetr .s Ji auf. als e.nse.t.g Und 
findet sich inst stets (oder stets?) mit einer H nt«.: strangerkrankimg 
kombiniert. Letztere ot in der ,Meh r /ahi der lue. sowohl k,.n:sgh. 
wie anatomisch, echte Tabes. Das fi uii/e t.ge Auftreten der Optikus- 
atioplue bei reiner Tabes scheint häufig m.t e uem St 'Stand der 
tabischen Symptome cuiher/ugehen. Ist bei 1 abeskranken die 
Paralyse manifest geworden, so lässt s ; Ji ein l 'ntersJned im \ er¬ 
lauf der Paralyse mit oder ohne Opt kus.itroph e nicht mehr fest- 
steilen. Klinische und anatomische Beobachtungen machen es über¬ 
wiegend w ahisehemlKlt, dass de Op: o iisum-pLe keilt der Meter- 
strangerkr aukiing koordinierte K: aukhe.t ist. w e Alle gew .ssermassen 
zufällig zur lahcs Imi/ut:.11. sondern dass s.e ein der M.nte'strang- 


*) Zusendung von Disscrl.it'*, jten an d'e Adresse der Rcdakton, 
Alimcheti. Aniu'fstiMsse jp. erbe ten. B*_ sp ; ev bieg \ • -r! eh.Vten. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1803 


erkrankung subordiniertes Symptom ist; sehr wahrscheinlich ist sie 
von einer Erkrankung im obersten Halsmark oder untersten ver¬ 
längerten Mark abhängig. Fritz L o e b. 

Neu erschienene Dissertationen. 

Universität Breslau. Mai bis Juli 1908. 

Masaki Okamoto: Blasenzysten infolge von Dilatation und bauchi¬ 
ger Vorwölbung des Ureters in der Harnblase. 

Brossok Georg: Beitrag zur Lehre von der Hebosteotomie. 
Kohn Stefan: Die Geburten bei engem Becken in den Jahren 
1903/04—1907/08. 

Kapischke Paul: Die Geburten bei engem Becken in den Jahren 
1900/01—1902/03. 

Kummer Ulrich: Die Operation der Blasengenitalfisteln nach 
Küstner-Wolkowitsch. 

Lissauer Ludwig: Beitrag zur Frage der Entstehung der Pfort¬ 
aderthrombose. 

Universität Rostock. Juni 1908. 

Werner Friedrich: Ueber kongenitale Lipome und schwanzähn¬ 
liche Bildungen beim Menschen. Ein Fall eines kongenitalen 
Lipofibroms der Kreuzsteissbeingegend. 

Prätorius Albert: Ueber die Häufigkeit des Stillens und die 
Gründe des Nichtstillens bei der ärmeren Bevölkerung Rostocks. 

Universität Strassburg. Monat Juni 1908. 

Nichts erschienen. 

Juli 1908. 

Zöllner Friedrich: Ein Fall von Tumor der Schädelbasis, ausgehend 
von der Hypophyse. 

Cohn Louis: Encephalitis haemorrhagica acuta. 

Frank Erich: Ueber die genuinen orthostatischen Typen. 
Katzenellenbogen Abraham: Ueber die Wirkung von Staub¬ 
filtern bei Ventilationsanlagen. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin 
und Nervenheilkunde. 

(Bericht des Schriftführers.) 

XV. Ordentliche Versammlung vom 21. Juni 1908 
in Köln. 

Vorsitzender: Herr Hoffmann -Düsseldorf. 
Schriftführer: Herr Strasburger -Bonn. 

Herr Lenzmann - Duisburg: Hämorrhagische Pankreatitis. 

M. H.! Ich gestatte mir, Ihnen ein Präparat zu demonstrieren, 
das Sie wohl alle schon einmal gesehen haben, das aber doch in 
dieser -ausgeprägten Form selten ist. Es handelt sich um Fettgewebs- 
nekrosen des grossen Netzes im Anschluss an eine Durchblutung 
des Pankreas, bezw. eine hämorrhagische Pan¬ 
kreatitis. 

Die Krankheitsgeschichte der Patientin, die dieser Erkrankung 
erlag, ist folgende: In der Nacht vom Sonntag auf Montag erkrankte 
die vorher kerngesunde, kräftige 25 jährige Frau unter heftigen 
Schmerzen in der Magengegend, die aber sehr bald in die linke Regio 
iliaca sich ausbreiteten und hier hafteten. Der am Montag hinzu¬ 
gerufene Kollege fand die Patienten kollabiert, der Puls war sehr be¬ 
schleunigt, der Leib aufgetrieben und in der Gegend der Fossa iliaca 
sinistra spontan und auf Druck äusserst schmerzhaft. Am Abend 
stellte sich heftiges Erbrechen ein, die Patientin behielt nichts. 
Fäkulent war das Erbrechen nicht, hatte auch nicht den Charakter 
des Aufbrodelns, wie bei Ileus. Am Dienstag zog der Schmerz 
auch in die Regio ileo-coecalis, nahm also die ganze Unterbauch¬ 
gegend ein. Diese Gegend war auch tympanitisch aufgetrieben, 
während die Magen- und Nabelgegend keine besondere Abnormität 
zeigten. Das Erbrechen dauerte fort. 

Am Donnrstag abends sah ich die Patientin. Die Unterbauch¬ 
gegend war auch jetzt noch — besonders bei Berührung — äusserst 
schmerzhaft, Döfense musculaire — der Leib wurde bei der leisesten 
Berührung bretthart. Der Puls weich, kaum fühlbar, 130 pro Minute, 
Hände klebrig, Facies abdominalis. Kein Fieber, häufiges Er¬ 
brechen, aber ohne Ileuseharakter. Flatus waren in den letzten Tagen 
nicht mehr entleert. 

Was war das? Ileus schlossen wir aus, weil das Erbrechen — 
auch am vierten Krankheitstage — nicht das charakteristische Auf¬ 
brodeln übelriechender fäkuloider Massen zeigte, es war immer noch 
reflektorisch, auch im Anfänge der Erkankung waren keine peri- 
staltischen Darmbewegungen beobachtet worden. 

Wir blieben mit unserer Diagnose bei einer Perforationsperito¬ 
nitis stecken. Da es sich um eine Konzentration des Schmerzes in der 
Unterbauchgegend handelte, so dachten wir natürlich an den Haupt¬ 
missetäter, ^en j JViirmfprtsa l tz. Die.se Diagnose, schien uns die* wahr¬ 
scheinlichste, trotzdem der Schmerz links begonnen hatte lind nach 


rechts hinübergezogen war, auch trotzdem Fieber nicht bestand. 
Denn es gibt Fälle von Appendixperforationen, die zunächst links¬ 
seitig die schwersten Symptome zeigen, und es gibt Perforations¬ 
peritonitiden, die fieberlos verlaufen. Allerdings sind diese Formen 
meistens die schweren septischen. Da hätte die Patientin schon ad 
exitum kommen müssen. Es gibt aber keine Regel ohne Ausnahme. 
Kurz, wir konnten uns keinen anderen Vers machen, als: Peritonitis 
des Unterbauches infolge einer Perforation der Appendix. 

Wir schlugen einen sofortigen Versuch einer Operation vor, zu¬ 
mal wir Grund hatten anzunehmen, dass die Peritonitis noch auf die 
Gegend unterhalb des unteren Randes des grossen Netzes beschränkt 
war, dass es sich um eine diffundierende, nicht eine 
diffuse Entzündung handelte. 

Die Operation musste in der Wohnung der Patientin ausgeführt 
werden, da sie nicht transportabel war. Schnitt in der Regio ileo- 
coecalis. Vorliegender Darm gesund, ebenso die Appendix. Jetzt 
Schnitt in der linken Fossa iliaca. Vorliegender Darm gerötet, eine 
schmutzig-rötliche, seröse Flüssigkeit fliesst aus. Ein vorliegender 
Netzzipfel ist mit weissen, etwas erhabenen Flecken 
besät, die eine Grösse von 0,2—0,6 cm haben. Jetzt war die Dia¬ 
gnose klar. Die Flecken stellten Fettgewebsnekrosen dar. 
Tamponade der Wunden. Eine Eröffnung der Bursa omentalis wagten 
wir nicht mehr, wir waren froh, die Patientin lebend vom Operations¬ 
tisch zu bringen. 

Nach der Operation Befinden auffallend besser. Puls ruhiger 
und kräftiger, Hände warm. Erbrechen und Schmerzen gering. 
Sonnabend Verbandwechsel. In der Nacht von Sonnabend auf Sonn¬ 
tag stellt sich wieder Erbrechen ein, das jetzt i 1 e u s a r t i g wird. 
Leib kolossal gespannt. Puls rasch, aussetzend, kaum fühlbar. In 
der folgenden Nacht, also gerade eine Woche nach Beginn der Er¬ 
krankung, tritt unter unsäglichen Qualen der Exitus ein. 

Sie sehen hier die Präparate. Das Pankreas ist zu drei Vierteln 
vollständig durchblutet, geradezu zertrümmert. Dort, wo wir blutige 
Durchtränkung nicht finden, ist das Organ von nekrotischen Herden 
durchsetzt. Das grosse Netz ist mit grauweissen bis weissen Flecken 
vollständig besät. In der Ausdehnung, in welcher das Netz am 
queren Dickdarm inseriert, in welcher es also in der J Nähe des Krank¬ 
heitsherdes liegt, ist es ausserdem noch blutig t^urchtränkt. 

Bezüglich der Auffassung des ganzen Krankheitsbildes ist es am 
meisten einleuchtend, eine Intoxikation mit Trypsin — dem vor¬ 
nehmsten Sekretionsprodukte des Pankreas — anzunehmen. Ex¬ 
perimente von G u I i c k e und von Bergmann (Naturforscher¬ 
versammlung 1905) weisen auf die Giftigkeit des Trypsins hin. Dass 
neben dem Trypsin auch noch andere für den Organismus giftige 
Körper z. B. Albumosen, die durch Einwirkung des Trypsins auf die 
Drüsensubstanz gebildet werden, im Spiele sind, ist nicht ausge¬ 
schlossen (Mafthes). 

Wie gelangt aber nun das Trypsin, bezw. die in der Drüse ge¬ 
bildeten Giftstoffe zur Resorption? Dieser Vorgang ist wohl zu er¬ 
klären durch einen plötzlichen entzündlichen Ver¬ 
schluss des Ductus pankreaticus. Wir würden dann die Folge der. 
Vorgänge haben: Pankreasausführungsgangs-Verschluss, Stauung des 
Sekrets, Bildung von giftigen Verdauungsprodukten (Albumosen), 
Resorption des Sekrets und der Albumosen, Intoxikation. Dort, wo¬ 
hin das Gift in hoher Konzentration gelangt, bewirkt es Schädigung, 
der Blutgefässe und Hämorrhagie, in Verdünnung bringt es Nekrosen,, 
zustande. So hätten wir uns das Zustandekommen der Hämor- 
r h a g i e n im Pankreas und den nahe anliegenden Netzpartieen zu 
erklären durch die Wirkung eines besonders konzentrierten Giftes, 
während die entfernteren Pankreas- und Netzteile, auf die verdünnte 
Giftmengen einwirken, nur Nekrosen aufweisen. 

Der kurz vorgetragene Fall hat mich manches gelehrt. 

Es ist nicht richtig, dass — wie es meistens behauptet wird — 
der Schmerz bei einer perakuten Pankreatitis haemorrhagica vor¬ 
nehmlich in der Gegend der Bursa omentalis seinen Sitz 
hat und dass diese aufgetrieben sei. Der Schmerz kann allerdings 

— wie in unserem Fall — in der Magengegend beginnen, dann aber 
sofort nach unten sich konzentrieren. Die Unterbauchgegend ist 
dann auch aufgetrieben. In einem solchen Falle, in dem auch der 
Locus morbi gar nicht gekennzeichnet ist. ist es unmöglich, eine Dia¬ 
gnose vor der Autopsie in vivo zu stellen. 

Betrachtet man den Fall epikritisch, so hätte es allerdings 

— bei Annahme einer Perforationsperitonitis — schon vor der Ope¬ 
ration auffallen müssen, dass der Prozess am 4. Tage nicht weiter 
vorgeschritten war. Eine akute Peritonitis würde höchst wahrschein¬ 
lich am 4. Tage schon charakteristische Ileussymptome bewirkt haben. 

Auch hätte die Art des Schmerzes auf die richtige Fährte 
führen können. Er ist bei einer akuten Peritonitis — wenigstens in 
der ersten Zeit — mehr ein periodischer, von peristaltischen 
Bewegungen des entzündeten Darms herrührender. Hier war der 
Schmerz ein dauernder, eine unsägliche anhaltende Qual. 

Derartige feine Unterschiede in den Symptomen der Peritonitis 
und der Pankreatitis sind sicher vorhanden. Die richtige Würdigung 
und Verwertung gelingt aber meistens erst post festum. Trotz allen 
diagnostischen Scharfsinns wird es nur in seltenen Fällen gelingen,, 
über eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose hinauszukontuten. m 


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rao4 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Diskussion: Herr Matthes-Köln fräst an, oh Melliturie 
vorhanden war und wie die Cammidgeprobe ausgefallen ist, 
macht darauf aufmerksam, dass Durchwanderungspleuritiden bei 
Fettgewebsnekrose polynukleäre Leukozyten führen und betont, 
dass die Actiologie doch noch unklar ist. Jedenfalls könne man wirk¬ 
sames Pankreassekret in das Unterhautfettgewebe spritzen, ohne dass 
Nekrosen entstehen. 

Herr W i t z e 1 - Düsseldorf bestätigt, dass zurzeit die Diagnose 
der akuten Pankreasnekrose klinisch nicht möglich ist. Die Fälle 
bieten in der Regel durchaus die Symptome der Appendixperforation. 
Man findet bei der Inzision ein hämorrhagisches Exsudat und dann 
beim weiteren Nachsehen die weissen F’ettnekrosen. -- Anders bei 
dem ausgebildeten Pankreasabszess. Hier bestehen die Symptome 
in der Oberbauchgegend. 

Zucker war in den Fällen im Urin nicht nachweisbar. 

Herr Bardenheuer - Köln bespricht die Entstehung und 
Behandlung der subkutanen Kompresslonslähmungen. 

Die Lähmungen der peripheren Nerven entstehen oft infolge 
eines akut oder chronisch (langsam) wirkenden Druckes. Derselbe 
entsteht selten allein durch Ueberdehnung; hierzu gehört gleichzeitig 
eine Fixation des Nerven an einem oder mehreren Punkten entweder 
durch Verwachsung desselben mit dem Knochen oder durch Ein¬ 
klemmung zwischen 2 Knochen. 

Relativ häufig ist die Entstehung der Lähmung der unteren Wur¬ 
zeln des Plex. cervicalis durch starke Elevation und gleichzeitige ab¬ 
norme Rotation des Oberarmes (er teilt 3 Fälle vom letzten Jahre mit. 
wo er diese Entstehung beobachtete. 1 mal entstand sie durch Fall 
auf die Schultcrhöhe, wobei die 5. und 6. Wurzel zwischen dem Quer- 
fortsatze des 6. und 7. Querfortsatz.es und der Klavikula eingeklemmt 
und vollständig durchquetscht wurde, während die 7. und s. Wurzel 
nur gequetscht wurde. Es bestand eine komplette Lähmung 
des ganzen rechten Armes. In diesem Falle besserte die Naht der 
5. und 6. Wurzelenden den Zustand rasch, während die Lähmung der 
7. und 8. Wurzel innerhalb 8 Tagen schwand. Die Entfernung des in 
der Nervenscheide Vorgefundenen Blutes, der Lymphe und des ent¬ 
zündlichen Exsudates war genügend, um die Unterbrechung der 
Nervenleitung zu beheben. 

Referent ist der Meinung, dass bei der Kompression die intra- 
und perineuralen Blut- und Lymphgefässe zerrissen seien und dass 
durch den Druck seitens des Blutes, der Lymphe in den epi-, peri- 
und endoneuralen Räumen eine Entzündung entstanden sei. w eiche 
die Nervenleitung unterbrochen habe und vielleicht auch noch bei 
längerem Bestehen zu einer kompletten Unterbrechung des Nerven 
und zu einer sekundären Degeneration des peripheren Stückes ge¬ 
führt hätte. 

An der Hand dieses Falles ist er daher der Mdnung, dass bei 
solchen traumatischen Lähmungen, wofern inncrliülb 14 Tagen 
eine Steigerung der elektrischen Erregbarkeit mit sekundär 
folgender Entartungsreaktion sich zeigt (was fiir eine tiefere Ver¬ 
letzung, eine Durchtrennung des Nerven spricht), es geboten sei, den 
Nerven blosszulcgen und eventuell, wenn man durch die Palpation 
die intravaginale Durchtrennung des Nerven konstatiert, die Nerven¬ 
scheide in der Länge zu spalten und die Nervenenden zu vernähen: 
wenn aber das lange Andauern der kompletten Lähmung, ohne das 
Auftreten der Entartungsreaktion, nur auf eine leichtere Läsion des 
Nerven hinweise, man gleichfalls berechtigt sei, den Nerven bloss- 
zulegen, die Nervenscheide zu spalten, aber nur das entzündliche 
Exsudat abzulassen, um so die Ursache für das Bestehen der Läh¬ 
mung und die endoneuralc Spannung zu heben. 

In einem 2. Falle, wo die Lähmung durch starke Elevation und 
Retroversion des Oberarmes entstand, verweigerte Patient die Opera¬ 
tion, die Lähmung bestand hier monatelang ohne dass eine wesent¬ 
liche Aendcrung eintrat. 

B. hält daher bei Entbindungslähmungen, wo die Prognose aller¬ 
dings im allgemeinen relativ günstig ist, doch unter den obig skiz¬ 
zierten Verhältnissen die Operation, die Blosslegung des Plexus fiir 
indiziert, da doch zuweilen das Leiden für das ganze Leben bestehen 
bleibt. 

Er stellt ausserdem noch einen Fall von Drucklähmung des 
Rückenmarkes vor bei einer bestehenden Kvphosis als Folge einer 
Caries tiiberc.: die Lähmung. Paraplegie mit kompletter Sphinktercn- 
lähmung der Blase und des Rektums mit einer totalen Aufhebung der 
Sensibilität bis zum Nabel und mit heftigen tonischen und klonischen 
Krämpfen der Beine bestand seit 3 Jahren. 

Durch die Lamniektomic in der Ausdehnung vom 5.—11. Wirbel. 
Entfernung des Wirbelbogens (ohne Eröffnung der Dura) trat rasch 
eine Besserung ein, das Gefühl kehrte in 6 Wochen wieder; die Re- 
flcxkrämpfe schwanden im Laufe eines Jahres, die Lähmung der 
Sphinktereil innerhalb 5—6 Monaten, und heute nach genau 1 Jahre 
kann Patientin in einem Laufstuhle herumgehen. 

B. wirft die Frage auf: In welcher Weise hat sich hier die Ner¬ 
venleitung wiedcrhergcstellt? Etwa allein durch die Aufhebung des 
Druckes oder durch Bildung von Neufibrillen zw ischen den Ganglien 
des Rückenmarkes? Nach den Untersuchungen und Experimenten 
von J e n k e 1. B o r s t etc. ist letzteres möglich. 

Bei der Blosslegung der Medulla ergab sich, dass dieselbe im 
f : ' i'. te des Giblws iiir die Palpation stark verdünnt, atrophisch, ober¬ 


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halb und unterhalb der Verdünnung aber normal gespannt, eher ver¬ 
dickt war. 

B. bespricht noch 2 Falle, welche er nicht vorstellen konnte, da 
er ihrer nicht habhaft zu werden vermochte. 

ln dem einen Falle handelte es sich um eine seit 2 Jahren be¬ 
stehende komplette Lähmung des N. peron. und tibial. des linken l uter- 
schenkels, welche entstanden war muh einer Fract. suprac<»iui\ i. fern. 
Die motorische Lähmung war eine komplette, die Sensibilität voll¬ 
ständig aufgehoben; es bestand ein Dekiilmalgeschw ur an der Ferse, 
welches trotz rationeller Behandlung nicht au sh eilen wollte. 

B. legte von einem longitudinalen Schnitte aus die Pophteal- 
gegend bloss und fand den Nerv, peron. und tihiaäs \ <>n Narbeii- 
gewebe umgeben und die Nerven selbst stark verdünnt, bläulich ver¬ 
färbt. Oberhalb und unterhalb der Verdünnung sali der Ner\ gl...nyend 
weiss aus. war stark verdickt gegenüber dem normalen Umfange 
des betreffenden Nerven im zentralen \ erlaufe desselben. 

Nach der Exzision der Narbe trat äusserst rasch die Heilung ein. 
die Sensibilität kehrte rasch (innerhalb 14 lagen) wieder; ebenfalls 
die motorische Funktion der Muskeln; das Geschwür heilte trotz 
frühzeitigen Merumgeheiis von selber innerhalb 3 Wochen. 

B. wirft die Frage auf: Worauf beruht hier die Besserung? Auf 
der Aufhebung der Konstriktion allein und der hierdurch bedingten 
W iederkehr der Nervenleitung oder aui der raschen Neubildung xoti 
Nervenfasern zwischen den beulen Nervenenden? I ur letzteres 
spricht etwas das Bestellen der starken, noruialgeiarbteu. gliicii- 
mässigen (nicht knotigen) Anschwellung der Nerven oberhalb und 
unterhalb der atrophischen Ncrvenvlmke. gicichs.im als ob daselbst 
sich Neurofibrillen entwickelt hatten. Fs lasst sich \\ * •! l! denken, dass 
nach der Aufhebung der Einklemmung die Neufibrillen rasch aus- 
lind dem peripheren Stucke entgegenw uchseii. 

Er bespricht noch einen anderen Fall, wo mich einer Operation 
ein Tuberkul. des Os isclm und ( K ilei (des oberen Randes der Itids. 
ischiadica, eine Ischias entstand. Die W unde heilte aus. es entstand 
aber eine heftige Neuralgie. Bei der Operation war der Nerv, 
ischiadicus von Narben umgeben und ward gegen das Os isclm ge¬ 
zerrt. Durch die Exzision des N irbeiigcw ebes und \eriagening des 
N. ischiadicus zwischen 2. Muskebapperi weLhe aus dem (ilutueus 
maxim. gebildet waren, ward die Neuralgie geheilt. 

Hier stellt B. wiederum die Frage. Woher kommt es. dass die 
Einklemmung des N. ischiadicus nur eine Neuralgie und jiuht gleich¬ 
zeitig eine Lähmung desselben hervorruft. Haben die sensiblen 
Nerven, resp. besser gesagt die Nerven, welche die Empfindung des 
Schmerzes (vielleicht die svnipath. Nervenfasern O ppe n h e i m) ver¬ 
mitteln eine weniger geschützte Lage als die motorischen und sen¬ 
siblen Nervenfasern. 

B. spricht auch die Neuralgie der übrigen Nerven des Trigeminus 
etc. als eine Druckwirkung seitens der knöchernen Knmbwaiide an. 

Diskussion: Herr S cli n I t / e - Bonn: Bei der Beurteilung 
von Besserungen peripherer Lähmungen durch Druck oder nach 
Trauma sind die Feststellungen von Head richtig, der /. B. folgen¬ 
des fand: Fr liess an sich selbst eimn ober ti.ich iJien Ast des 
Radialis dnrchschneideii und fand, dass damuh die Berühr ungs- 
enipfirullichheit in dem zugehörigen Bezirke der Haut völlig erhalten 
blieb; auch die Empfindung für Schmer/ wurde bald wieder her- 
gestellt. 

Bei den Besserungen von Kompressioiisfo'gen des Rückenmarks 
spielt die Hauptrolle wohl die Aufhebung der I. vmphstauung im 
Rückenmark. I ine starke Zerstörung durch I nt/imdurig liegt ge¬ 
wöhnlich nicht Vor. also keine Kompressiopsmv e'itts. Eine gewisse 
Regeneration kommt von den einstrabU nJen Sensiblen W ur/elfasern 
zustande, wie nachgewiesen winde. < >b suh die P\ ramnk nbahn- 
fasern nicht auch etwas rrmiei icre” könne« weiss man noch nicht. 

Herr R u in p f - Bonn: I )er von Herrn K’o'lec« n B n r d e n h e u e r 
demonstrierte Fall Voll transversaler Beemtrachtigurig des Rücken¬ 
marks. w elcher nach 3 Jahren durch (iperatu«»» der tuberkulösen 
Wirbelsäule eine beträchtliche Besserung erfahren hat. giriert itm 
allgemeinen zu den Seltenheiten. Ich habe mindestens sechs, ich 
glaube aber mehr Falle aus ähnlicher Frs.uhe operieren lassen und 
cs ist mir dann eine Besserung ein getreten, we'ü das Ru keu'ma i k 
nur m einem kleinen I eil oder nicht geschädigt war. Ich sah das 
einmal bei W n beis.uileufuber' iilos,- Und /wtitral bei Irakrur der 
Wirbelsäule, bei welchem das Rückenmark se'bst nur wenig oder cur 
nicht lädiert war. In der Mehrzahl der Falle. we'Jie eine völlige 
Kompression resp. Erweichung des Rückenmarks zucten. trat trotz 
der Fortualmie der komprimierenden Knochen keine Spur einer 
Besserung von Motditat und Sen.srbiiit.it ein. Nur Basen« und Mast- 
darmfimktionen besserten sich. Fine Vubihhi”'' von leitenden B.dmen 
des Rückenmarks konnte ich in den schweren EWn nicht beob.uhten. 

Herr B :i r fl c tr h euer erwidert dem Finvvurfe von Prof. 
Rumpf gegenüber, dass er in seinem Falle von Ric ketimarks- 
kompression keine (Jueriasu.n suppoimrt habe. 

Herr \V e g e I c - Königs! ..ru : Leber Polyposis xcntricuH 
multiplex. 

\’ortr. weist zunächst auf die Sehen heit der in Rc ’e stehenden 
Affektion hin. die in der deutschen 1 üva'.ur nur weh Beacbtung 
gefunden hat. dagegen in Frankreich öfter K• •bäcli’et und beschrieben 
wurde. Fr hatte Gelegenheit, einen s-hhin Fad zu behandeln, der 


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25. August 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1805 


klinisch die Symptome eines Magenkarzinoms bot und bei dem jede 
Magensondierung einen Gewebsfetzen zu Tage förderte. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung durch Herrn Prof. Jores-Köln liess 
Karzinom nicht völlig ausschliessen; bei der Operation zeigte sich die 
ganze Magenschleimhaut mit hunderten grösseren und kleineren 
Polypen übersät. Da der Pylorusteil besonders befallen war, wurde 
die Gastroenterostomie gemacht (Geh. Rat Bier). Vortr. erörtert 
am Schluss die Möglichkeit der karzinomatösen Degeneration dieser 
Polypen auf Grund des mikroskopischen Befundes und der vorliegen¬ 
den Erfahrungen der Autoren. 

Diskussion: Herr Jores-Köln: Bei der mikroskopischen 
Untersuchung des Stückchens ergab sich eine adenomatöse Wuche¬ 
rung. Die Frage, ob diese bereits in destruierendes Wachstum über¬ 
geht, ist auf Grund der „Stückchendiagnostik“ meist nur schwer und 
unsicher zu beantworten. 

Herr von den Velden-Düsseldorf: Zur Pharma¬ 
kologie des Kochsalz. 

V. streift die Frage über die physiologische Dignität der 
Salze, ob sie nur als Energievermittler oder auch als Energie¬ 
träger anzusehen sind. Seine mitzuteilenden Resultate stehen 
mit 2 Tatsachen in Verbindung: 1. Der grossen Bedeutung der 
Chloride für die Funktionstüchtigkeit des Zentralnerven¬ 
systems; 2. der Anregung des Flüssigkeitsstromes zwischen 
Gewebe und Qefässystem durch Kochsalz. 

Beim ersten Punkt berichtet V. über Resultate am 
tierischen und menschlichen Kreislauf, die eine deutliche 
Besserung der Anspruchsfähigkeit bis zur Uebererregbarkeit 
gewisser nervöser Zentralorgane nach Kochsalzzufuhr zeigten. 
Er teilt ferner die Ergebnisse von Stoffwechseluntersuchungen 
am Menschen mit. Bei gewissen Fällen von genuiner Epilepsie 
gelang es ihm, durch NaCl-Zufuhr epileptische Insulte ein¬ 
wandsfrei auszülösen, ebenso wie bei zwei Fällen von chro¬ 
nischer Nephritis, Urämie. 

Mit dem zweiten Moment bringt V. in Verbindung Resul¬ 
tate, die er bei dem Studium der Blutkatalase, der Gerinnungs¬ 
fähigkeit und der Viskosität des Blutes an Tier und Mensch 
erhalten hat, Resultate, die bei Zusatz von NaCl in vitro 
nicht zu erzielen sind und nur bei Passage des Salzes durch 
den Tierkörper eintreten, im Sinne einer Erhöhung sämtlicher 
angeführten Eigenschaften des Blutes. 

Während diese unter 2 angeführten Ergebnisse sich auch 
durch Bromide nicht durch Jodide erzielen lassen, den Salzen 
also wohl eine rein physikalisch-chemische Rolle hier zufällt, 
ist dieser Erfolg bekanntlich bei den unter 1. angeführten 
Momenten nicht vorhanden, so dass es sich hier doch wohl 
um spezifisch chemische Wirkungen handeln muss. 

Als praktisches Ergebnis resümiert V. die kochsalzarme 
Ernährung bei Uebererregbarkeit des Zentralnervensystems, 
event. die Entchlorung durch Brom (wie sie sich auch schon 
bei gewissen Nephritisformen gut bewahrt hat) und die Be¬ 
handlung *der Hämoptoe mit Kochsalz oder Bromiden. Die 
klinischen Erfahrungen sprechen sehr für diese einfache 
Therapie, die als altes Volksmittel hiemit in ihrer Wirkungs¬ 
weise unserem Verständnis näher gerückt ist. 

Herr Liebermeister -Köln: Ueber Meningokokken¬ 
sepsis. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser Wochen¬ 
schrift.) 

Herr Finkelnburg- Bonn: Ueber das Babinski- 
sche Phänomen beim epileptischen Anfall. 

Nachdem Babinski in Arbeiten aus den Jahren 1896 
und 1898 zuerst darauf aufmerksam gemacht hatte, dass bei 
organischen Nervenkrankheiten, die mit Erkrankung der 
Pyramidenbahnen und spastischen Erscheinungen einhergehen, 
sehr häufig statt der normalen Plantarflexion der Zehen schon 
bei schwachen Reizen von der Fussohle aus eine Dorsalflexion 
der grossen Zehe allein oder verbunden mit Dorsalflexion der 
übrigen Zehen auftritt, hat diese Erscheinung unter dem Namen 
des Babinski »sehen Phänomens eine anerkannte 
diagnostische Bedeutung gewonnen. 

Die Mehrzahl der Nachuntersucher hat die Angabe 
B a b i n s k i s bestätigen können, dass bei richtig aus¬ 
geübter Untersuchungstechnik eine Dorsal- 
flexion der Zehen bei gesunden erw achsenen 
Personen und bei Kranken mit rein funktionellen 
Nervenstörungen nicht vorkommt und dass somit dem 
Phänomen als Unterscheidungsmerkmal zwischen hyste¬ 
rischen und organischen Lähmungen pathognomonische Be- 


. deutung zukommt. Von entgegenstehenden Ansichten er¬ 
wähne ich die Angabe von W. Roth in seinem Referat auf 
dem Congres de mödecime 1900, dass man ausnahmsweise eine 
Grosszehendorsalflexion bei der Hysterie sehe; ich weise 
weiter auf die äusserst seltenen Beobachtungen hin, in denen 
nach Goldflam bei nicht organisch Nervenkranken', z. B. 
bei chronischem Gelenkrheumatismus mit sekundären Kon¬ 
trakturen und bei schmerzhaften Affektionen des Unter¬ 
schenkels, das Babinski sehe Zeichen auftrat. Hier handelt 
es sich um reine periphere, mechanische Ursachen, die bei 
der Diagnosenstellung unschwer ausgeschaltet werden können. 

In späteren Arbeiten (1898 und 99) hat dann B. schon 
darauf aufmerksam gemacht, dass sein Phänomen auch vor¬ 
übergehend bei epileptischen Anfällen zum Vor¬ 
schein kommen könne, während er es bei hysterischen 
Anfälfen stets vermisst habe. Diese Mitteilung gab einigen 
französischen Autoren Veranlassung, das Verhalten des Fuss- 
sohlenreflexes bei Epilepsie während und nach den Anfällen 
genauer zu verfolgen. Diese Untersuchungen hatten das 
interessante Ergebnis, dass verhältnismässig häufig kürzere 
oder längere Zeit nach dem epileptischen Insult das Zeichen 
ein- oder doppelseitig nachweisbar war; in den Fällen mit 
positivem Babinski bestand meist gleichzeitig eine Steigerung 
der Sehnenreflexe. So sah Charüel unter 33 Kranken das 
Zeichen 27 Mal am Ende der Anfälle und in der Periode der 
Schlafsucht, Crouzonbei27 Kranken 17 Mai; bei gehäuften 
Anfällen war das Phänomen in einem Falle nach 7 Stunden 
nach dem letzten Insult auslösbar. Weiterhin wurde dann 
von einer Reihe von Autoren über das nicht seltene Auftreten 
der Dorsalflexion bei den Anfällen der progressiven Paralyse 
berichtet. In Deutschland hat man dieses Symptom bei Epi¬ 
lepsie kaum beachtet, so dass es in Lehrbüchern und selbst 
in Monographieen über Epilepsie (B i n s w a n g e r) gar nicht 
erwähnt wird. 

Unsere eigenen Beobachtungen, die den letzten Jahren 
entstammen, fussen auf 31 Fällen, in denen während oder un¬ 
mittelbar nach Krampfanfällen der Sohlenreflex kontrolliert 
werden konnte; in 23 Fällen handelte es sich um genuine 
Epilepsie, in 8 Fällen um ein- oder doppelseitige Krämpfe bei 
Gehirntumoren, Gehirnabszess und bei Urämie; 19 Mal, also 
in 61 Proz. unserer Beobachtungen, war ein- oder doppel¬ 
seitige Dorsalreflexion der grossen Zehe vorhanden und zwar 
in der Regel einige Minuten lang bis zu Vi Stunde nach dem 
Abklingen der eigentlichen Krampfperiode, einmal sogar noch 
3 Stunden nachher; in zwei Fällen von Gehirntumoren war das 
Zeichen regelmässig nur einseitig auf der dem Sitz der Ge¬ 
schwulst gegenüberliegenden Körperseite nachweisbar, so dass 
wir einen Hinweis ahf den Hemisphärensitz des Tumors hatten, 
den die Sektion bestätigte. Ein Abhängigkeitsverhältnis 
zwischen* Schwere der Epilepsie und dem Auftreten des 
Babinski lässt sich aus unseren Beobachtungen mit einiger 
Wahrscheinlichkeit nicht entnehmen; unter den 12 Kranken 
mit negativem Babinski befanden sich solche mit schweren 
Krampfattacken und andererseits war nach leichteren An¬ 
fällen das Zeichen deutlich auslösbar. Immerhin sind die Be¬ 
obachtungen von Pastrovich und Räcke beachtenswert, 
in denen gerade das Phänomen nach gehäuften Anfällen und 
während eines längeren Dämmerzustandes stundenlang nach¬ 
weisbar war. Unter 4 Fällen von Petit mal sah ich es einmal. 
Bei hysterischen Anfällen haben wir den Babinski 
bisher n i e beobachtet. 

Unsere Untersuchungen stehen also durchaus im Einklang 
mit den Angaben der französischen Autoren über die relative 
Häufigkeit des Babinskizeichens nach den epileptischen In¬ 
sulten. Der positive Befund bietet in den Fällen, in denen der 
Arzt den Anfall selbst nicht beobachten konnte, ein wertvolles 
diagnostisches Hilfsmittel. Denn während sich 
ein überstandener epileptischer Anfall nur äusserst selten 
durch eine längere Zeit den Anfall überdauernde Pupillenstarre 
oder posthemiplegische Lähmung kennzeichnet, scheint der 
postepileptische Babinski verhältnismässig häufig 
zu sein. 

In welcher Weise können wir uns das Zustandekommen 
der Dorsalflexion erklären? Der Erklärungsversuch, der dem 
klinischen Beobachtungsmaterial am meisten gerecht wird. 


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1806 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


geht von der durch die Physiologie und Pathologie gestützten 
Anschauung aus, dass als normaler Uebertragungsort der 
Hautreflexe das Orosshirn in Betracht kommt, dass also der 
Reflexbogen des normalen Fussohlenretlexes im (irosshirn liegt. 
Wir sehen nun, dass, wenn im Schlaf oder bei pathologischen 
Zuständen im Koma und epileptischem Anfall die Gross- 
hirntätigkeit bis zu einem gewissen Grade a u s g e - 
schaltet wird, der normale Plantarreflex schwinden und 
statt seiner eine Dorsalflexion auftretcn kann. Wir wissen 
ferner, dass bei vollständiger (,)uerläsion des Rückenmarks 
das B a b i n s k i sehe Zeichen beobachtet worden ist (J o I l y, 
Kausch), so dass mit Sicherheit als Uebertragungsort für 
den dorsalen Zehenreflex das Rückenmark in Betracht kommt. 

Man darf also annehmen, dass bei Reizung der Fussolile 
sich 2 Reflexe auslösen lassen, von denen unter normalen 
Bedingungen nur der Hirnrindenreflex in Gestalt einer Plantar¬ 
flexion zum Vorschein kommt. Wird bei pathologischen Zu¬ 
ständen die Bahn dieses Hirnrindenreflexes geschädigt, so 
' überwiegt der Rückenmarksreflex in Gestalt einer 
Dorsalflexion der Zehen. 

Dabei braucht bei krankhaften Zuständen der normale 
Plantarreflex keineswegs ganz geschwunden zu sein; er ist 
häufig nur verdecktdurchden spinalen B a b i n s k i. 
So sieht man namentlich nn Beginn einer multiplen Sklerose 
einen auffallenden Wechsel zwischen normalem Selinenreflex 
und dem dorsalen Typus; auch kann man nicht selten je nach 
der Intensität und der Reizqualität einen der beiden Reflexe 
auslösen (E. Mülle r). Ebenso tritt das Wechselspiel mit 
spinalem und zerebralem Sohlenreflex bisweilen bei Hemi¬ 
plegien zu Tage, in dem von der Sohle des gelähmten Beines 
Babinski, von der gesunden Seite dagegen am gelähmten Bein 
ein normaler Plantarrcflex auslösbar ist. 

Das vorübergehende Auftreten des Babinski bei Epilepsie 
dürfen wir also darauf zurückführen, dass nach den Anfällen 
die Leitungsbahnen des Gehirns bisweilen so geschädigt sind, 
dass die Uebertragungsmöglichkcit des Hirnrindcnreflexes 
fehlt und nun der spinale Reflex überwiegt. Bei den hyste¬ 
rischen Anfällen scheint eine derartige funktionelle Storung 
nicht vorzuliegen, so dass bis auf weiteres das Habinski¬ 
zeichen für Epilepsie charakteristisch ist. Freilich müssen wir 
ja bei der Hysterie immer auf Ucbcrraschungen gefasst sein, 
da ja selbst das klassische Zeichen der Epilepsie, die Pupillen¬ 
starre, auch bei hysterischen Attacken festgestellt werden 
konnte. 

Diskussion: Herr Schiller- Essen: Sch. hat im Jahre |s«;o 
am dem grossen Material der Charite in Berlin Untersuchungen über 
das Babinski sehe Phänomen angestellt und solches nicht nur bei 
Störungen der Pyramidenseitenstränge, sondern auch in einem Falle 
von anämischer Hinterstrangdegeneration und 2 hüllen von Tabes, 
sowie in einem Falle von Hysterie positiv gefunden. Bei Epileptikern 
hat Sch. ebenfalls Untersuchungen vorgenommen und keinen positiven 
Ausfall der Probe gesehen. Es kann daher das Babinski sehe 
Phänomen nicht als unbedingt pathologisches Unterscheidungs/cichcn 
zwischen organischer und funktioneller Erkrankung angesehen 
werden. Wie dasselbe gerade bei der Epilepsie zu erklären ist, ist 
Sch. nicht recht verständlich. 

Herr S c h u 11 z e - Bonn: Die Untersuchungen auf der medi¬ 
zinischen Klinik in Bonn sind mit Sorgfalt gemacht worden und haben 
bis jetzt das Ergebnis gehabt, dass bei keinem Falle von hysterischen 
Anfällen Erwachsener das B a b i n s k i sehe Phänomen sich zeigte. 
Selbstverständlich ist die Möglichkeit vorhanden, dass es hie und da 
auch einmal bei Hysterie Vorkommen kann, gerade so wie die 
Reaktionslosigkeit der Pupillen gegen Licht. Sind doch auch bei 
hysterischen Anfällen Dämmerungszustände vorhanden, die vielleicht 
zu ähnlichen Veränderungen des (irosszehcnreflexes führen, wie die 
Veränderung des Gehirns bei epileptischen Anfällen. Bisher ist uns 
aber das Erscheinen des B a b i n s k i sehen Reflexes nach epilep¬ 
tischen Anfällen von grosser Bedeutung gewesen. 

Herr M i c h c 1 s - Düsseldorf: In der J o 1 I y sehen Klinik haben 
wir nach epileptischen Anfällen häufig das Babinski sehe Phä¬ 
nomen beobachtet. Besonders trat dieses Zeichen nach gehäuften 
Anfällen oder schweren Attacken auf. Bei einem Jungen Mädchen, 
welches an sehr häufigen Petit-mal- Anfällen leidet, habe ich in der 
letzten Zeit oft das Babinski sehe Zeichen nachw eisen können, 
doch ist es nicht nach jedem Anfall vorhanden. 

M. richtet an den Vortragenden noch die Frage, ob er auch das 
O p p e n h e i m sehe und M e n d e 1 sehe Phänomen postparoxysmal 
beobachtet habe. M. hat diese Zeichen bis jetzt vermisst. 

Herr Finkelnburg (Schlusswort): Pass bei hochgradig 
Anämischen und bei Tabes das Babinski sehe Zeichen beobachtet 

rden ist, kann nicht gegen seine anerkannte pathognomonische Be¬ 


deutung sprechen. Gerade bei Anämie finden sich bekanntlich aus 
gesprochene Ruckenmarksverander ungeii. die zu Pegencr atiom. n der 
P\ rarmdenbalmen fuhren können. In den auss^rst seltenen fu. cn. 
in denen das Zeichen bei I abes beobachtet worden sein s.. ; I. tragt er¬ 
sieh. ob nicht gleichzeitg eine Paia!\se im Anzug war oder Eins 
spmalis \orlag. bei der das Zuehen natürlich \ • >rk< •rsmeii kann. \m 
den M e n d e I sehen Reflex habe ich nicht geprüft. Per Oppen¬ 
heim sehe Reflex war einmal deutlich iiw eisbar neben c.e'i 
Balunski. 

Herr M e i s s e n - Mnlienlnmiiei: Tuberkulinproben und 
Tuberkulinkuren. 

Das Ergebnis der Ausführungen des Vortrages ist fol¬ 
gendes: 

1. Die Abnahme der Tuherkulosesierhhchkeb in England 

lind Deutschland seit 2 3 Jahrzehnten beruht nicht auf eitler 

Abnahme der tuberkulösen I n i e k t i o n. sondern auf der 
Verminderung der tuberkulösen Erkrankt! n g infolge der 
snzialliygieiuscheii Fortschritte. Tuberkulose Infektion und 
tuberkulöse Erkrankung sind nicht identisch und müssen ge¬ 
trennt werden: Jene, deren Häufigkeit durch die Sektions¬ 
ergebnisse der pathologischen Anatomie sicher erwiesen wird, 
ist ein Zustand, der zur tuberkulösen Erkrankung fahren kann, 
aber nicht führen muss. Zur Entwicklung dieser gehören 
allermeist auslosende Momente, aut die wir durch die allge¬ 
meine Gesundheitspflege einwirken können und eingewirkt 
haben. 

2 . Die s u h k u t a n e T u b e r k u 1 i n p r n b e (R. Ko c h) 
ist ein seht fernes Reagens sowohl für die tuberkulöse Infektion, 
wie für die tuberkulöse Erkrankung. Sie ist nicht ganz un¬ 
gefährlich. und überdies für die klinische Diagnose im allge¬ 
meinen zu fein. Für diese eignet sie sich nur in solchen Fallen, 
wo die auftretende lokale Reaktion dem Auge zugänglich ist. 

3. Die k u t a n e T u b e r k u 1 i n p r o h e (v. P i r q u et) 
steht an Empfindlichkeit der subkutanen kaum nach; durch ihre 
Einfachheit und völlige Gefahrlosigkeit eignet sie sich ganz be¬ 
sonders zur Untersuchung der Verbreitung der tuberkulösen 
Infektion, um die Ergebnisse der pathologischen Anatomie zu 
ergänzen. 

4. Die k o n j ti n k t i v a 1 e T ti b e r k u I i r p r o b e 
(\V o 1 f i - F i s n e r) ist bei richtiger Ausführung durchaus un¬ 
bedenklich; sie eignet sich anscheinend zu prognosti¬ 
schen Z w e c k e n. d. h. zur Beurteilung der Widerstands¬ 
fähigkeit des tuberkulös erkrankten Organismus: Fehlende 
oder sehr schwache Reaktion bei man,fester Lungentuber¬ 
kulose ist von übler Vorbedeutung, positiver Ausfall bedeutet 
mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass der Organismus noch 
kampffähig ist und mit Unterstützung hygienisch-diätetischer 
Massnahmen vielleicht zum Siege gelangen kann. 

5. Das Tuberkulin in allen bisher angegebenen Formen ist 
kein erwiesenes direktes Heilmittel der Tuberkulose. Seme 
Anwendung erfordert grosse Vorsicht und sorgfältige l'eber- 
wachung, wie sie im allgemeinen mir in K rarkenhä'i<crn und 
Anstalten möglich ist. Die Tuberkulinkur sollte nur in aus- 
gewählten Fällen versucht werden nach einem Verfahren, das 
sich auf die zweifellos vorhandene hyperamisu. reit de. an¬ 
regende Einwirkung auf die tuberkulo^n Herde stutzt, da¬ 
gegen auf die streitige immunisierende Wirkung verzichtet, 
also besonders grosse Gaben gar nicht erstrebt. Hierdurch 
wird sie ganz gefahrlos und kann vielleicht /um Erfolge bei¬ 
tragen. 

Herr M a 11 h e s - Köln : Zur Diagnose einiger Darm- 
erkrankungen. 

Vortragender hebt hervor, dass über den modernen Unter- 
siichungsniethoden häufig eine der wichtigsten, nämlich die 
Untersuchung in Narkose vergessen wiirJe. An einigen Bei¬ 
spielen wird gezeigt, von welcher Bedeutung eure frühzeitige 
Narkosemintersiichung sein kann. Abgesehen davon, dass mau 
sonst nicht palpable Geschwülste oder Abszesse rechtzeitig 
findet und dem Chirurgen Zufuhren kann, ist die Narkose auch 
deswegen unerlässlich, weil sie das e:r./ege Mittel ist. eine 
starke spastische Darmkontraktion ais solche zu erkennen und 
von einem Tumor zu differenzieren. \ ortrageuder fahrt als Illu¬ 
stration einen Fall an. dem bereits die Exstirpation des angeb¬ 
lichen Rektalkarzinoms enrpf«war. bei dem aber der an¬ 
gebliche ’I mnnr in Narkose vollständig verschwand. Vor¬ 
tragender rät dringend, jeden irgeudw ie unklaren Eall früh¬ 
zeitig in Narkose zu untersuchen. 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1 1807 


Physiologischer Verein in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Juli 1908. 

Herr Fr. Klein: Die Bedeutung der den Stäbchen und 
Zapfen vorgelagerten Netzhantschichten für das Sehen und die 
Rolle des Pigmentepithels. 

Eine Anzahl, von Tatsachen sprechen dafür, dass beim 
Sehen, zunächst von Nachbildern, ausser den Stäbchen und 
Zapfen noch andere Netzhautschichten beteiligt sind. 

Die Phylogenese des Auges. 

Bei Wirbellosen stülpt sich das Auge an einer Stelle des 
Ektoderms ein, die nicht dem späteren Medullarrohr an¬ 
gehört. Die ursprünglich äusserste Schicht bildet die Seh¬ 
zellen ; sie sind dem Lichte z u g e k e h r t. Bei Tintenfischen 
erreicht dieses Auge insofern eine grosse Vollkommenheit, als 
es sämtliche Hilfsapparate des Wirbeltierauges, Linse, Ziliar¬ 
körper, Iris, Kornea und Augenlider besitzt. Einen blinden 
Fleck besitzt es nicht. Trotzdem geben die Wirbeltiere (und 
schon einige Wirbellose) diesen Weg der Entwicklung auf und 
verlegen die Augenanlage auf die Medullarplatte, so dass sie 
später als Ausstülpung des Medullarrohrs erscheint. Durch 
Einstülpung der Augenblase von vorn (von der Körperober¬ 
fläche) und unten entsteht ein Auge, dessen Netzhautschichten 
umgekehrt wie bei den Wirbellosen liegen, d. h. die 
Stäbchen und Zapfen sind vom Lichte abgekehrt. Diese 
Umkehrung ist um den Preis einer blinden Stelle erkauft, die 
einen Mangel des Auges darstellt. Auch sind die Netzhaut¬ 
schichten nicht vollkommen durchsichtig (Qefässe). Die An¬ 
nahme liegt nahe, dass diese Nachteile überwogen werden von 
Vorteilen: Das Licht durchsetzt eine Anzahl von 
Schichten, bevor es die Sehzellen erreicht: Dies könnte von 
funktioneller Bedeutung sein. 

Dife Anzeichen einer Funktion der vorge¬ 
lagerten Schichten. 

Das Wegreiben des Druckphosphens. 

Schwacher Druck in der Netzhautperipherie gibt einen 
hellen Fleck, stärkerer einen dunklen Fleck mit hellem Rand 
(die Randzone entspricht dem schwächeren Druck). 

Dies beruht keinesfalls auf mechanischer Reizung 
der Stäbchen und Zapfen, denn durch anhaltendes 
Reiben lässt sich der Fleck vollständig zum 
Verschwinden bringen. (Archiv für Physiol. 1905, 
S. 149 f.) Die vorher durch den Fleck verdeckten Aussen- 
dinge werden dann ganz so gesehen, wie gewöhnlich (Ver¬ 
brauch einer Substanz!). Der weggeriebene Fleck lässt sich 
im Hellen nach ganz kurzer Pause Sekunde) im Dunkeln 
erst nach mindestens zwanzigfach längerer Pause durch 
Druck von neuem erzeugen. (Regeneration der Substanz 
abhängig vom Licht!.) 

Der durch Druck oder Reiben hervorgerufene Prozess 
wirkt, wenn schwach, auf die Stäbchen und Zapfen w i e 
Licht; wenn stark, gibt er die Empfindung „Dunkel“ 
(erinnert an ein negatives Nachbild!); da der Fleck die Aussen- 
dinge verdeckt, so muss der ihm zu Qrunde liegende Pro¬ 
zess in einer vor den Sehzellen liegenden Schicht lokalisiert 
sein. Der durch stärkeren Druck hervorgerufene Prozess 
verändert die Netzhaut für die Dauer seines Bestehens so, 
dass sie undurchsichtig für äusseres Licht wird! 

Die Hypothesen zur Erklärung des Druckphosphens, 
welche dasselbe auf mechanische Reizung der Stäb¬ 
chen und Zapfen zurückführen wollen, sind durch das 
Wegreiben widerlegt. 

Erhöhung des intraokularen Drucks; Druck¬ 
bilder. 

Durch Druck vorn auf den Bulbus des geschlossenen 
Auges erscheinen anfangs meist helle und dunkle Wellenzüge, 
dann Bilder, die durch leuchtend helle oder dunkle, vom 
blinden Fleck ausgehende Qefässe mit Sicherheit als Netz¬ 
hautbestandteile erkannt werden. Die Bilder sehen genau aus, 
wie mikroskopische Präparate. Charakteristisch für die ein¬ 
zelnen Bilder sind Striche, die je nachdem kurz und gerade 
oder kurz und gebogen, oder länger und zu gewellten Büscheln 


vereinigt sind, oder aus Punktreihen bestehen. Auch die 
Striche können hell oder dunkel sein. Die Prozesse, welche 
diese Bilder erzeugen, indem sie auf die Stäbchen und Zapfen 
wirken, wie Licht, müssen sich in mehreren Schichten 
abspielen. 

Durch plötzliches Oeffnen des Auges lassen sich diese 
Druckbilder nach aussen auf eine helle Fläche projizieren. 
(Möglichkeit der Messung.) — Einige (halbschematische) 
Zeichnungen solcher Druckbilder werden vorgezeigt. — Wird 
der Druck in vollständiger Dunkelheit ausgeführt, so nimmt 
der Erfolg bald ab. (Verbrauch einer Substanz, langsame 
Regeneration im Dunkeln!) 

Nachbilder. 

Aus einer Uebersicht über die Nachbilder sei erwähnt, 
dass an Stelle des sekundären positiv-komplementären 
(Purkinje sehen) Nachbildes bei schwächerer Belichtung 
(in der Dämmerung) ein negatives Nachbild treten kann; 
dieses dunkle Nachbild kann einen scharfen, leuch¬ 
tend hellen Rand haben und zwei leuchtende Gefäss- 
züge (immer dieselben!) zeigen. Diese sind unter geeigneten 
Bedingungen regelmässig zu sehen. Im positiven (pri¬ 
mären?) Nachbilde erscheinen zuweilen dunkle Qefässe. — 
Bezeichnung des primären, sekundären und tertiären Nach¬ 
bildes als a-Nachbilder. — 

Auf 30 Sekunden langes Fixieren einps (sehr) hellen Ob¬ 
jektes (Mattscheibe) folgen im verdunkelten Auge im Laufe 
der nächsten 3 Minuten (Mittel) bis zu 25 und mehr „spontane“ 
^-Nachbilder, die anfangs hell, dann farbig, dann dunkel (zu¬ 
letzt wieder schwach hell) sind und stückweise auftreten 
(vergl. Arch. f. Physiol. 1905, S. 169 f.). Die sehr merk¬ 
würdigen Folgen der Belichtung in diesem yS-Stadium werden 
hier übergangen. r 

Wiederbelebung durch Licht. Nach Ab¬ 
lauf der spontanen Nachbilder lässt sich in den nächsten 
15 bis 45 Minuten durch Belichtung des geschlossenen (oder 
offenen) Auges noch ein Nachbild erzielen; es ist negativ 
beim Belichten, positiv beim Wiederverdunkeln (y -Nachbild). 
— Im Endstadium ist es beim Belichten positiv oder gar nicht 
zu sehen, beim Wiederverdunkeln negativ (<5-Nachbild). 

Latenzzeit. Der. Erfolg der Belichtung tritt nicht 
immer gleich ein, sondern unter Umständen erst beim 10. Mal! 
(Die Assimilation unter dem Einfluss des Lichtes erfordert 
Zeit; photochemische Induktion.) 

Helligkeitsminimum. Bei einer mittleren Stärke 
des wiederbelebenden Lichtes ist das auftretende negative 
y-Nachbild samtschwarz, bei geringerer und bei 
grösserer Lichtstärke ist es weniger dunkel; bei je einer be¬ 
stimmten Lichtstärke oberhalb und unterhalb des Minimums 
ist kein Nachtbild zu sehen. 

Wiederbelebung durch Druck. Drückt man 
bald nach Aufhören der spontanen ^-Nachbilder auf den 
Bulbus, so können in der Reihe der „mikroskopischen Netz¬ 
hautbilder“ oder „Druckbilder“ solche auftreten, in welchen 
das helle oder dunkle Nachbild sichtbar ist; in 
einigen Fällen (immer?) sind diese Bilder charakterisiert durch 
Büschel welliger Linien. Vor- und nachher er¬ 
scheinen andere Bilder ohne eine Spu r des Nach¬ 
bildes. Es tritt bald Erschöpfung ein (Verbrauch — geringe 
Regeneration im Dunkeln). 

Die durch Druck erschöpfte Netzhaut gibt bei Belichtung 
von neuem ein Nachbild (Regeneration durch Licht!). 

L.agebestimmung der Netzhautschichten. 

Durch das Auftreten von Qefässen im sekundären (und 
primären?) Nachbilde, von bestimmten Formen in dem durch 
Druck wiederbelebten Nachbilde (und anderes) ist die Aussicht 
eröffnet, die Schichten, in welchen das Nachbild seinen Sitz 
hat, zu bestimmen. Dass am Zustandekommen der Nachbilder 
mehrere Netzhautschichten beteiligt sind, folgt daraus, dass 
die früheren und die späteren Nachbilder mit verschie¬ 
denen Netzhautbestandteilen zusammen sichtbar werden. 
Deformierende Qrössenschwankungen von 

Nachbildern (und Netzhautbildern). 

Beim Auftreten von Nachbildern im völlig verdunkelten 
Auge schwankt die Qrösse der Bilder ein oder mehrere 


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1808 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT» 


No. 34 . 


Male. Am leichtesten zu sehen ist die Grössenänderung des 
durch Licht wiederbelebten negativen y-Nachbildes, das beim 
Erscheinen schnell kleiner, dann langsamer wieder grösser 
wird. 

Am primären, sekundären und tertiären Nachbilde sind 
die Grössenschwankungen am bequemsten bei m ä s s i g e r 
Helligkeit des Objektes zu sehen; sie sind dann langsamer. 
Dabei werden die hellen Teile, z. B. die Scheiben eines Fen¬ 
sters kleiner, gleichzeitig die dunkeln Holzleisten breiter (und 
umgekehrt). Diese deformierende, bildverzerrende Grössen¬ 
schwankung kann nicht im Gehirn zustande kommen, auch 
nicht vom dioptrischen Apparat herrühren. Sie kann auch 
nicht in den Stäbchen und Zapfen selbst ihren Ursprung haben, 
sondern fordert mit Notwendigkeit die Beteiligung 
einer anderen Netzhautschicht. Wenn in dieser 
das Nachbild seinen Sitz hat, und das Nachbild seinerseits die 
Sehzellen erregt, wie Licht, so ist die deformierende 
Grössenschwankung verständlich: Stäbchen und Zapfen ver¬ 
dicken sich unter dem Einfluss des Lichtes, rücken also teil¬ 
weise in den Bereich der dunkeln Teile des Bildes. Wird aber 
die Z a h 1 der Sehzellen in den hellen Teilen kleiner, so wird 
das Bild im Gehirn ebenfalls kleiner. Entsprechend werden 
die dunkeln Teile im Gehirn grösser. — Höchstwahrschein¬ 
lich ändern aber auch die Nachbildschichten, wenn in ihnen die 
zur Reizung der Sehzellen führenden Prozesse ablaufen, ihre 
Dimensionen. Dadurch steigen die Möglichkeiten der Grössen¬ 
schwankungen, deren bis zu 5 beobachtet sind. Ausge¬ 
schlossen ist durch die Grössenschwankungen die An¬ 
nahme, dass die Uebertragung des Reizes von der 
Nachbildschicht auf die Stäbchen und Zapfen auf nervösem 
Wege erfolgt. Sie erfolgt so, als wenn die Nachbildschichten 
leuchteten. 

Die Rolle des Pigmentepithels. 

Richtet man das verdeckte, dunkel adaptierte 
Auge gegen ein sehr helles Fenster und belichtet für einen 
Moment, so sieht man sofort ein riesiges, blendendes, ver¬ 
waschen in die Umgebung übergehendes Nachbild. Es zieht 
sich rasch zusammen, wird vollkommen scharf und 
macht noch eine Grössenschwankung. 

Sieht man auf ein kleines schwarz und weisses Schach¬ 
brettmuster (vergl. Hering: Grundzüge der Lehre vom 
Lichtsinn, 2. Lief., S. 152, Fig. 31) bei so geringer Helligkeit, 
dass die Grenzen von Hell und Dunkel völlig unscharf sind, 
so sind sie in folgender Weise scharf zu erhalten: Man ver¬ 
deckt das Muster mit einem weissen Blatt, beleuchtet das 
weisse Blatt mit einem Streichholz und reisst das Streichholz 
und fast gleichzeitig das weisse Blatt fort (nicht vom Beob¬ 
achter auszuführen), so dass das Muster selbst nicht be¬ 
leuchtet wird. Der Beobachter sieht im ersten Moment alles 
dunkel (negatives Nachbild des weissen Papiers); dann taucht 
das Muster völlig scharf aus der Dunkelheit auf; dann 
verschwimmt es wieder. 

Erklärung für beide Versuche: Das Pigment¬ 
epithel dient zur optischen Isolierung der Aussenglieder. In 
der Dunkelheit zieht es sich zurück, das in die Aussenglieder 
eintretende Licht verteilt sich in abnehmender Stärke in die 
benachbarten Aussenglieder — wir sehen das Bild unscharf, 
auch wenn das optische Bild an sich scharf ist. 

Infolge der Belichtung rückt das Pigmentepithel wieder 
vor und isoliert die Stäbchen und Zapfen. Wenn demnach in 
einer den Stäbchen und Zapfen vorgelagerten „Nachbild¬ 
schicht“ ein scharfes Nachbild vorhanden ist, das auf die 
Stäbchen und Zapfen wirkt, wie Licht, so werden die jetzt 
optisch isolierten Sehzellen das Nachbild scharf 
sehen. Ebenso werden sie das schwach beleuchtete Schach¬ 
brettmuster so lange scharf sehen, bis das Pigmentepithel sich 
wieder zurückgezogen hat. 

Vollständig unvereinbar mit diesen Beobachtungen 
ist die Annahme, dass das Nachbild allein auf Prozessen 
beruht, die in den Stäbchen und Zapfen selbst vor sich gehen. 

Die theoretische Verwertung der auszugsweise mit- 
geteilten Tatsachen beruht auf der allgemeinen Eigenschaft der 
Nerven, nur durch rhythmische Vorgänge erregt, d. h. er- 
regungsleitend zu werden. 


Der N. opt. muss also vom Nervenend- 
apparat, den Stäbchen und Zapfen, rhythmische 
Impulse erhalten. 

Licht von gleichbleibender Helligkeit liefert an sich 
keine rhythmischen Impulse (die Aetherschwingungen 
kommen nicht in Betracht). 

Es liegen nur zwei Möglichkeiten vor: Entweder 
reagieren die Stäbchen und Zapfen selbst auf konstante Be¬ 
lichtung mit einem Rhythmus, oder es ist ein anderer Ap¬ 
parat eingeschaltet, welcher den Rhythmus 
herstellt, also konstantes Licht in intermittierendes ver¬ 
wandelt. Nur die letztere Annahme steht mit den mitgeteilten 
Beobachtungen im Einklang. 

Danach würden in mehreren Netzhautschichten, deren 
Beteiligung beim Sehen (von Nachbildern) durch die Beob¬ 
achtungen (Druckphosphen, Druckbilder, durch Licht und durch 
Druck wiederbelebte Nachbilder, deformierende Grössen¬ 
schwankungen der Nachbilder) festgestellt ist, intermit¬ 
tierende Prozesse ablaufen, welche auf die Sehzellen 
wirken, w i e L i c h t. Es ist möglich, dass die Sehzellen 
ausschliesslich durch intermittierendes Licht erregt 
werden; dann müssen jene Prozesse mit Lichtentwicklung 
verbunden sein. Dafür ist der direkte (subjektive und ob¬ 
jektive) Beweis noch nicht geführt. (Versuche sind im 
Gange.) Jedenfalls haben aber die Prozesse mit dem 
Lichte das gemein, dass sie Licht absorbieren. 
Gewaltsam (durch Druck) verstärkt, würden die Einzelpro¬ 
zesse zu einem kontinuierlichen Prozess verschmelzen, 
der die Druckstelle für äusseres Licht undurch¬ 
dringlich macht und selbst keine rhythmischen 
Anstösse gibt: Daher erscheint das Druckphosphen bei 
nicht gar zu schwachem Druck dunkel! (Schwarzes Licht!) 

Beim Seherr von Netzhautbildern (nicht Nachbildern) 
wirken die rhythmischen Prozesse (bei geeigneter Intensität!) 
nach dieser Annahme so, dass sie das (konstante) äussere 
Licht abwechselnd durchlassen und absorbieren (schwächen). 
Der Wechsel erfolgt 70—100 mal in der Sekunde, unter Um¬ 
ständen vielleicht auch viel häufiger (Abhängigkeit von der 
Lichtstärke). Wenn, wie angenommen, die Streifung, die 
Unterbrechungen des primären Nachbildes dem Wechsel ent¬ 
sprechen, so nimmt die Dissimilation viel kürzere Zeit in An¬ 
spruch, als die Assimilation; während der Dissimilation findet 
keine Assimilation statt (Refraktärstadium; dies soll hier nicht 
ausgeführt werden). 

Die vorstehend andeutungsweise wiedergegebene Hypo¬ 
these hat zu einer einheitlichen Auffassung der 
Nachbilder geführt, die keiner der bekannten Er¬ 
scheinungen gegenüber versagt. (Ohne Zeich¬ 
nungen in Kürze nicht wiederzugeben.) — (Nur erwähnt sden 
gewisse, offenbar von einem Zentrum beherrschte Prozesse, 
die sich in 1 ä n g e r e n Perioden [ca. 1—10 Sekunden] wieder¬ 
holen; erwähnt sei auch noch, dass viele Beobachtungen 
die bekannte Sonderstellung der Netzhautmitte erkennen 
lassen.) 

Was die Stäbchen und Zapfen betrifft, so sind sie 
nichts anderes, als der stets bereite und „Stimmungen“ oder 
„Umstimmungen“ nicht unterworfene Aufnahmeapparat. 

Die meisten der mitgeteilten Beobachtungen dienen seit 
einigen Jahren als Uebungsversuche im physiologischen 
Praktikum. 

Die ausführlichere Veröffentlichung zunächst eines Teiles 
der Arbeit soll im Archiv für (Anat. u.) Physiol. erfolgen. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 22. Jiuni 1908. 

Vorsitzender: Herr Strohe I. 

Schriftführer: Herr Klein jun. 

Herr Keller: Ueber den Oesophagusmund (KiKIian). 

Herr Wellmann: Ueber künstlichen Pneumothorax. 

Ausgehend von der Beobachtung, dass phthisische Pro¬ 
zesse in einer Lunge durch Exsudate oder durch Entstehen 
eines Pneumothorax öfters günstig beeinflusst werden, hat man 
von verschiedenen Seiten versucht, künstlich dieselben Ver- 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1809 


hältnisse zu schaffen, und so entstand der künstliche Pneumo¬ 
thorax. 

Nach kurzer Darlegung der normalen Druckverhältnisse 
im Thorax und der Aenderung derselben im Pneumothorax, 
geht der Vortragende über zu dem Verhalten der intrathora¬ 
kalen Organe. Der Kollaps der Lunge, die Verdrängung des 
Mediastinums und des Herzens, der Tiefstand des Zwerchfells 
der betreffenden Seite und die paradoxe Zwerchfellbewegung, 
das sog. Kienböck sehe Phänomen, werden als hauptsäch¬ 
lichste Folgen des künstlichen Pneumothorax erwähnt. 

Ein wichtiges Unterstützungsmittel zur Feststellung des 
Pneumothorax und seiner Ausdehnung ist neben den physi¬ 
kalischen Methoden das Röntgenverfahren, wie an Aufnahmen 
erläutert wird. 

Durch den künstlichen Pneumothorax soll nach Brauer 
folgendes bewirkt werden: 

Entspannung der Lunge und dadurch Erhöhung der 
Schrumpfungstendenz, völlige Ruhigstellung der erkrankten 
Lunge, eine Aenderung der Blut- und Lymphzirkulation und 
eine Beseitigung der Stagnation von Sekreten in den Höhlen. 

Darauf setzt der Vortragende nach einem kurzen histo¬ 
rischen Ueberblick die verschiedenen Verfahren zur Anlegung 
eines künstlichen Pneumothorax auseinander und geht zuletzt 
auf die von Brauer geübte Methode näher ein. 

Die technische Seite des Verfahrens erklärt der Vor¬ 
tragende unter Demonstrierung der nötigen Apparate. 

An Stelle des Quecksilbermanometers, das Brauer in 
die Stickstoffleitung zum Bestimmen des interpleuralen 
Druckes einerseits und des Druckes in der Stickstoffzuleitung 
andererseits eingeschaltet hat, ist auf der Abteilung Prof. 
M a 11 h e s’ das Tonometer von Recklinghausen gesetzt 
worden. 

Eine andere geringe Modifikation ist die, dass mit dem 
stumpfen Troikart Interkostalmuskulatur und Pleura zusammen 
durchstossen werden. 

In der ersten Sitzung werden etwa 1500 ccm Stickstoff 
infundiert. Nach Verlauf von mehreren Tagen jedesmal wer¬ 
den Nachfüllungen mit einer gewöhnlichen Injektionsnadel vor¬ 
genommen. So entsteht allmählich ein vollständiger Pneumo¬ 
thorax, der jedoch nach Brauer mindestens 1—2 Jahre er¬ 
halten werden muss. 

Die Nachfüllungen werden später in immer grösseren Zeit¬ 
räumen nötig, da die Resorptionsfähigkeit der Pleura abnimmt. 
Auch bei Beobachtung der notwendigen Kautelen bei Anlegung 
eines Pneumothorax sind unglückliche Zufälle nicht ganz aus¬ 
zuschalten. Doch wurden dieselben bisher äusserst selten be¬ 
obachtet. 

Als Voraussetzung für das Gelingen eines Pneumothorax 
ist es notwendig, dass ausgedehnte Verwachsungen fehlen. 

Geeignet für die Pneumothoraxbehandlung sind alle chro¬ 
nischen einseitigen Lungenerkrankungen, so Phthise, chro¬ 
nische Pneumonien und Bronchiektasen. 

Die bisher veröffentlichten Fälle lassen noch kein end¬ 
gültiges Urteil über die Nutzanwendung des Verfahrens zu. 

Der Vortragende stellt nach diesen Ausführungen zwei Fälle von 
chronischen Pneumonien des linken Unterlappens vor, bei denen im 
Augustahospital zu Köln auf der Abteilung Prof. Matthes’ der 
Pneumothorax angelegt ist. 

Beide Fälle wurden nach dem Brauer sehen Verfahren be¬ 
handelt. Bei der einen Patientin war die tägliche Auswurfsmenge 
von 100 ccm auf 10 ccm zurückgegangen. 

Doch lässt sich ein Urteil über den eventuellen Erfolg bei der 
Kürze der Behandlungsdauer noch nicht abgeben. 

Herr Kudlek: Heber farbige, stereoskopische Photographien. 

Aerztlicher Verein München. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 1. April 1908. 

Herr Schneider: Die Brillenträger in einigen Münchener 
Gymnasien. 

M. H.! Von vornherein muss ich Sie bitten, meine Mitteilungen 
nur als eine Art Anhang zu den interessanten und ausführlichen Re¬ 


feraten der Herren Doernberger und G r a s s m a n n, die Sie in 
der letzten Vereinssitzung gehört haben, aufzufassen. 

Nur unter dieser Voraussetzung und mit Rücksicht auf den Um¬ 
stand, dass die hiesigen Mittelschulen zurzeit ein Sesamberg für schul- 
und augenhygienische Untersuchungen sind, und daher genauere Er¬ 
hebungen sich von selbst verbieten, wage ich es. Ihnen einige Auf¬ 
zeichnungen vorzulegen, die Ihnen einen ganz allgemeinen und nur 
unvollkommenen Ueberblick über die Zahl der nicht normalsichtigen 
Schüler einiger hiesiger Gymnasien geben sollen. 

Und zwar bin ich im Besitze von ziffermässigen Zusammen¬ 
stellungen der brillentragenden Schüler, welche im laufenden Schul¬ 
jahre das Luitpold-, Max-, Wilhelms- und Theresiengymnasium be¬ 
suchen. Zwei der Zusammenstellungen beschränken sich auf die An¬ 
gabe der in jeder Klasse oder jedem Kurse vorhandenen Brillen¬ 
träger, während in den beiden anderen die Kurzsichtigen noch be¬ 
sonders rubriziert sind (s. Tabelle 1). 

(Tabelle siehe nächste Seite.) 

Unter 666 Schülern des Luitpoldgymnasiums befinden sich 118 
augengläsertragende Schüler, das sind 17,7 Proz., unter den 
684 Schülern des Maxgymnasiums 107, das sind 15,6 Proz., unter den 
772 Schülern des Wilhelmsgymnasiums 139, das sind 18 Proz. und 
unter den 838 Schülern des Theresiengymnasiums 108, das sind 
12,6 Proz.; also ein auffälliger Unterschied von 5,1 resp. 3,0 resp. 
5,4 Proz. zu Gunsten des Theresiengymnasiums. Von den 17,7 Proz. 
der Brillenträger des Luitpoldgymnasiums sind 16 Proz., von den 
12,6 Proz. des Theresiengymnasiums 12 Proz. Myopen. Verfolgt man 
nun im einzelnen von der ersten bis zur neunten Klasse die Zahl der 
brillentragenden Schüler, so sieht man, wie sie bei allen vier Schulen 
und zwar ausschliesslich durch die Zunahme der Myopen anwächst. 
Das Steigen der Zahlen präsentiert sich noch deutlicher auf der 
Tabelle (2), auf der die prozentualen Werte notiert und in,Kurven 
zum Ausdruck gebracht sind. 


Tabelle II. 

Tabelle 2. Vergleichung der prozentualen Anzahl 
der Brillenträger (Myopen). 


L . 8. 

M. fi. 
W.6. 

11.6. 

8,9(4,5) 
6,7 

9,5 

4 6(4,6) 

9.2 (6,9) 

5.2 

4,9 

10.8(10.1) 

12,0(10,3) 

6,0 

6,8 

6,5 (6,5) 

6,7 (6,7) 
11.0 

12,5 

9,9 (9.9) 

23,5>22,6} 

22,5 

31,0 

11.8(11,8) 

18.0(18,0) 

19,0 

22,0 

20,6(19,8) 

34,5(30,0) 

20,7 

25,4 

20,0(20,0) 

38,0(36,6) 

40,0 

34,3 

29,4(26,0) 

40,0(37,5) 

36,0 

39,3 

20,5(16,3) 


1 

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Luitpoldgymnasium- Wilhelmsgymnasium 

Maxgymnasium Theresiengymnasium 


Die Verhältnisse bei dem Luitpold-, Max- und Wilhelmsgym¬ 
nasium zeigen im Gegensatz zu denen des Theresiengymnasiums 
weitgehende Uebereinstimmung. Diese erstreckt sich sowohl auf den 
Verlauf der Kurve, wie auf die Höhe ihres Anstieges. Abgesehen von 
kleinen Schwankungen, die wohl mehr durch Zufälligkeiten zu er¬ 
klären sind, fällt besonders der jähe Anstieg der Kurven zwischen der 
4. und 5. Klasse bei jenen drei Mittelschulen auf. Die Prozentzahlen, 
bis zu denen in der 9. Klasse die Brillenträger der drei Anstalten sich 
vermehrt haben, differieren in maximo um 4 Prozent, indem das 
Luitpoldgymnasium mit 40 Proz. die grösste, das Wilhelmsgymnasium 
mit 39,3 Proz. die mittlere und das Maxgymnasium mit 36 Proz. — in 
der 8. Klasse sind es 40 Proz. — die niedrigste Ziffer aufweist. Er¬ 
freulich stechen von den angeführten Zahlen die des Theresiengym¬ 
nasiums ab. Bei ihm tragen in der obersten Klasse nur 20,5 Proz. 
der Schüler Augengläser. Dementsprechend weicht auch der Ver¬ 
lauf der Kurve von dem der anderen Gymnasien, ab. In den 4 unteren 
Klassen geht sie, abgesehen von kleinen Differenzen, mit den anderen; 


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1810 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Tabelle I. 




I 



II 



III 



IV~ 



V 



VI 


1 VII 


i vni 



IX 


I Total 

Klasse 

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u — 

■ 

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L-Gymn. 

90 

8 

4 

87 

8 

6 

126 

15 

13 

75 

5 

5 

71 

17 

17 

72 

13 

13 

55 

19 

16 

42 

16 

15 

48 

19 

18 

666 

118 

107 

M.-Gymn. 

119 

8 

— 

96 

5 

— 

101 

6 

— 

63 

7 

— 

71 

16 

— 

73 

14 

— 

58 

12 

— 

50 

20 

— 

53 

19 

— 

684 

107 

— 

W.-Gymn. . . . 

105 

10 

— 

122 

6 

— 

103 

7 

— 

88 

11 

— 

80 

25 

— 

82 

18 

— 

67 

17 

— 

64 

22 

— 

61 

23 

— 

772 

i 139 

— 

Th.-Gymn. . . . 

131 

6 

6 

146 

16 

15 

137 

9 

9 

91 

9 

9 

85 

10 

10 

82 

10 

10 

59 

12 

12 

58 

17 

i 

15 

49 

10 

8 

838 

1 106 

i 

1 

100 


*) B = Bri 


lienträger. 


**) M = Myopen. 


dann aber fehlt der scharfe Absatz zwischen der 4 . und 5. Klasse; der 
weitere Anstieg ist sanfter und erreicht eine relativ bescheidene Höhe. 

Was können wir aus diesen Zahlen entnehmen? Zunächst bin 
ich mir wohl bewusst, dass sie durchaus keinen Anspruch auf Exakt¬ 
heit und Vollkommenheit machen können. Immerhin dürften sie zur 
oberflächlichen Orientierung genügen. Zunächst konstatiert man eine 
stärkere Zunahme der Brillen, im speziellen Konkavgläser tragenden 
Schüler in den 3 ersterwähnten Schulen. Und dabei ist zu berück¬ 
sichtigen, dass die Zahlen sicher nur die Schüler einschliessen, die 
notwendigerweise Qiäser tragen müssen. Es unterliegt keinem Zwei¬ 
fel, dass eine gründliche ophthalmologische Untersuchung der Gym¬ 
nasiasten eine ganz erkleckliche Zahl weiterer Ametropen leichteren 
Grades zutage fördern würde. Es sind daher die hier rubrizierten 
Daten als Minimalwerte anzusprechen, die um ein Wesentliches zu 
erhöhen sind, wenn sie mit den Zahlen in Parallele gestellt werden 
sollen, die von fachmännischer Seite gelegentlich anderer Schüler- 
untersuefiungen ermittelt worden sind. 

‘ Von dieser Erwägung ausgehend, stehe ich nicht an, die Zahlen 
des Luitpold-, Max- und Wilhelmsgymnasiums jenen gleichzusetzen, 
die vor über 40 Jahren Hermann Cohn gefunden hat, die bei Be¬ 
hörden, Schulmännern und Eltern die schwersten Bedenken hervor¬ 
gerufen haben und in segensreicher Weise der Anlass aller schul¬ 
hygienischen Bestrebungen geworden sind. 

Die Ziffern jener 3 Gymnasien weisen auf Zustände hin, wie sie 
damals Cohn am Elisabeth- und Magdalenengymnasium in Breslau 
gegeisselt hat. 

Versöhnlich stimmt die Zusammenstellung des Theresiengym- 
nasiums. Sie ist nicht das Produkt des Zufalles, und es ist kein Opti¬ 
mismus, wenn man sie als das erfreuliche und ermutigende Resultat 
einer in jeder Hinsicht vernünftig betätigten Schulhygiene deutet. 

Neben dem Umstande, dass in diesem Gymnasium die Zahl der 
brillentragenden Myopen nur auf 12 Proz. in der obersten Klasse 
anwächst, fällt das kontinuierliche sanfte Ansteigen der Myopiekurve 
infolge des Fehlens eines rapiden Anstieges in der 5. Klasse angenehm 
auf. Dies zeigt uns, dass trotz gesteigerter Arbeitsintensität auch die 
für die Entwicklung des Schülers kritischste Zeit des 14. und 15. Le¬ 
bensjahres ohne besondere Schädigung der Augen überwunden wer¬ 
den kann. Beim Luitpold-, Max- und Wilhelmsgymnasium wird 
durch die angeführten Zahlen das Vorhandensein schädigender Mo¬ 
mente in einem Grade eklatant, wie er gewiss nicht notwendigerweise 
durch den Schulbesuch bedingt ist. Hierfür die schlechte Beleuch¬ 
tung oder die mangelhaften Subsellien der Schulräume allein verant¬ 
wortlich zu machen, geht nicht an. Es ist dies allerdings früher in 
einseitig übertriebener Weise geschehen; heute weiss man und es 
ist eigentlich selbstverständlich, dass das Allgemeinbefinden in Be¬ 
ziehung zur Entwicklung der Myopie steht. Wird die Körpermuskula¬ 
tur im ganzen, wie es durch Sport und körperliche Uebung jeder Art 
geschieht, gestählt, dann wird auch der Akkommodationsmuskel davon 
profitieren; wird die Resistenz der Gewebe gesteigert, so wird auch 
die Sklera weniger leicht einer Dehnung infolge Nahearbeit aus¬ 
gesetzt sein. 

Und dennoch, ein wichtiger Faktor ist in der Schule die Beleuch¬ 
tung. Dies beweist schon die Tatsache, dass sie so vielfach Gegen¬ 
stand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen ist: ich erinnere 
nur an die Arbeiten von Cohn, Erismann, Prausnitz, 
M. v. Grube r, Eversbusch, Seggel u. a. 

So möchte ich die Hauptschuld für die unerfreulichen Erhebungen 
an jenen 3 Anstalten ihren schlechten Beleuchtungsverhältnissen zu¬ 
messen. 

M. H.! Es gibt Autoren, die jeden Einfluss hygienischer Mass¬ 
nahmen in den Schulen auf die Myopie leugnen und mit einer ge¬ 
wissen Resignation die Kurzsichtigkeit für einen Teil unserer stu¬ 
dierenden Jugend als unvermeidlich erachten. Gegen diese Anschau¬ 
ung sprechen, abgesehen von unserer Zusammenstellung, die Er¬ 
fahrungen, die u. a. Schmidt-Rimpler, v. Hippel, Kirchner, 
Seggel, (»reff, A s k und Widmark gemacht haben, nach 
denen auf Grund ausgedehnter und langjähriger Beobachtungen mit 
Erfüllung hygienischer Forderungen in den untersuchten Schulen die 
Kurzsichtigkeit nach Frequenz und Grad abgepommen haben. Den 
deutlichsten und grössten Effekt hat Ask und Widmark fest¬ 
stellen können, die 20 Jahre hindurch ihre Beobachtungen durchge¬ 


führt haben und in dieser Zeit einen Rückgang der Kurzsichtigenzahl 
um 40 resp. 50 Proz. verzeichnen konnten. 

Man hat auch bestritten, dass die Myopie Nachteile für die Be¬ 
treffenden mit sich bringe. Nun hat bereits vor 30 Jahren Seggel 
auf die Schädigung der Sehschärfe bei den Kurzsichtigen hingewiesen 
und in neueren ausgezeichneten Untersuchungen hat derselbe Autor 
auch eine beträchtliche Herabsetzung des Lichtsinns bei Myopen 
konstatiert; es bedingt also die Myopie eine Verminderung der Funk¬ 
tionstüchtigkeit des Sehorgans. Dazu kommt, dass sie für manche 
Berufe untauglich und das lästige Tragen von Gläsern nötig macht. 
Die Myopie bedeutet daher einen körperlichen Defekt, an dessen 
Entstehen und Zunahme die Schule mit ihrer Nahearbeit mitschuldig 
ist. Staat, Eltern und Kinder haben ein grosses Interesse daran, dass 
diese Schuld nach Möglichkeit verringert und der schädigende Ein¬ 
fluss des Studiums abgeschwächt werde. Keines der Mittel, die zur 
Erreichung dieses Zieles dienen können, ist unbenutzt zu lassen. Auch 
unsere Schulbehörde wird sich dieser Auffassung und der Berech¬ 
tigung der Forderung verbessernder hygienischer Massregeln in 
unseren Mittelschulen, für die unsere hiesigen Volksschulen vorbild¬ 
lich sein können, verschliessen. 

Damit soll nicht gesagt sein, dass z. B. etwa mit einem Schlage 
alle ungenügend beleuchteten Schulräume aufgelassen oder nieder¬ 
gerissen werden müssen. Es lässt sich in dieser Hinsicht, wie M. v. 
Grube r in seinem Referate über „Tagesbeleuchtung der Schulen“ 
auf dem 1. internationalen Kongress für Schulhygiene im Einzelnen 
ausgeführt hat, sehr viel durch bauliche Verbesserungen erreichen. 
Ohne die Pietät gegenüber dem kunstsinnigen Ludwig I. verletzen zu 
wollen, der romanische Rundbogen des Maxgymnasiums ist für ein 
Schulgebäude unzweckmässig und daher zu beseitigen. Mit Hilfe 
eiserner Träger sind die Fenster zu verbreitern und die Fenster¬ 
stürze möglichst bis zur Decke zu erhöhen. Die Fensterpfeiler sind 
abzuschrägen und die plumpen Fensterrahmen durch schmale zu er¬ 
setzen. Die blinden Fensterscheiben sollen gutgeputzten, neuen, 
klaren, der schmutziggraue Wandanstrich der unfreundlichen Schul¬ 
stube einem helltonigen, heiteren weichen. Lichtbeschränkende 
Bäume sind zu entfernen und nachbarliche störende Gebäude und 
Geschosse u. a. abzutragen. Wo dies alles nicht genügt, da befolge 
man den Rat M. v. G r u b e r s, ausschliesslich die Obergeschosse der 
Gebäude für Schulzimmer zu verwenden, in das Erdgeschoss oder die 
Untergeschosse Amtsräume etc. zu verlegen oder gegebenen Falles 
sie als Kaufläden zu vermieten. Ein vorzügliches, allerdings immer 
noch teueres Hilfsmittel, das, wie ich aus eigenen photometrischen 
Messungen weiss, die Erhellung der Schulzimmer bedeutend — bis 
über 50 Proz. — zu verbessern vermag, sind die Luxferprismen. 

Diese Andeutungen über etwaige bauliche Veränderungen mögen 
Ihnen zeigen, mit welchen Mitteln bereits bestehende Schulgebäude 
hygienischen Forderungen angepasst werden können. Bei der Mehr¬ 
zahl der Münchener Mittelschulen dürfte zur Besserung der hygi¬ 
enischen Verhältnisse von dem einen oder anderen Mittel Gebrauch 
zu machen sein. Es würde dadurch wenigstens ein kleiner Teil 
dessen geleistet, was die Schulkommission des ärztlichen Vereins im 
Interesse der studierenden Jugend anstrebt. Dass die Aktion der 
Kommission berechtigt und notwendig ist. haben Ihnen die Aus¬ 
führungen der Herren Kollegen Doernberger und Grass- 
m a n n gezeigt und wollte auch ich dartun. Hoffen und arbeiten wir, 
dass die massgebenden behördlichen Stellen unseren Wünschen ent- 
gegenkommen und unsere Bestrebungen würdigen! 

Diskussion zu den Vorträgen der Herren Crämer, 
Grassmann, Doernberger und Schneider. 

Herr M. v. G ruber: Der Aerztliche Verein schuldet 
seiner Schulkommission und insbesondere den Herren Grass¬ 
mann und Doernberger wärmsten Dank für ihre ebenso mühsame 
als wertvolle Arbeit, die unsere Kenntnisse über den heutigen Mittel¬ 
schulbetrieb erheblich bereichert hat. Ihre Ergebnisse beruhigen 
uns darüber, dass die Anforderungen der Schule und der Neben¬ 
studien nicht so hoch sind, um den Schülern die nötige Schlafzeit in 
bedenklicher Weise zu verkürzen. Dagegen haben sie uns bewiesen, 
dass die geistige Arbeit in der Schule und zu Hause keine Zeit übrig 
lässt, um körperliche Uebungen in freier Luft in auch nur annähernd 
genügender Weise zu betreiben. Wir können es unmöglich . dulden, 
dass ein derartiger Zustand andauert. Durch eine solch unhvgienisehe 
Lebensweise ist die richtige körperliche und geistige Entwicklung 


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25. August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1811 


der Schüler, aufs ernsteste gefährdet. In den Mittelschulen wird 
derjenige Teil der männlichen Jugend herangebildet, dem vermöge 
Begabung und Kenntnissen und sozialer Stellung die Führung der 
Nation im wesentlichen zufallen wird. Es ist von äusserster Wichtig¬ 
keit für die Wohlfahrt der Nation, dass gerade dieser Teil der Jugend 
körperlich und geistig tüchtig und gesund sei. In Wirklichkeit aber 
steht es damit sehr schlimm. Wir haben im Laufe dieser Diskussion 
wieder Zahlen über die Wehrfähigkeit der zum Einjährig-Freiwilligen- 
dienste Berechtigten gehört, die ein überaus trauriges Licht auf die 
körperliche Tüchtigkeit der akademisch Gebildeten werfen und vor 
wenigen Tagen habe ich im Aerztlichen Bezirksverein die Aufmerk¬ 
samkeit der Kollegen auf die furchtbare Tatsache des Massenausster- 
bens der Familien der höheren Stände gelenkt. Sicherlich ist dabei 
eine Vielheit von Ursachen beteiligt, aber die unverständige Vernach¬ 
lässigung der Körperpflege hat daran gewiss ihren Anteil. Redner ist 
durchaus nicht für eine wesentliche Herabsetzung der Anforderungen 
an die geistige Leistungsfähigkeit der Schüler. Er weiss, dass das 
Gehirn heute das wichtigste Organ für den Konkurrenzkampf ist, und 
dass das Wissen heute die wertvollste Waffe ist. Ohne ernste und 
starke Anstrengungen ist es unmöglich, das Gehirn auszubilden und 
einen genügenden Schatz von Wissen und Können zu erwerben. 
Dr. Uffenheimer hat dem Redner seinerzeit aus dem Herzen ge¬ 
sprochen, als er in seinem vortrefflichen Vortrage die Aerzte warnte, 
geistiger Gemächlichkeit das Wort zu reden. — Weichlichkeit ist die 
grösste Gefahr, die uns bedroht! — Aber alle diese Ueberlegungen 
können nicht abhalten, die unbedingte Forderung zu stellen, 
dass Zeit und Gelegenheit für ausgiebige Körperpflege und 
körperliche Uebungen geschaffen werden müsse! Und zwar dass 
diese Zeit geschaffen werden müsse, ohne dass dadurch die Schlaf¬ 
zeit verkürzt wird! Es ist Sache der Schulmänner den Weg zu 
finden, auf dem diese Forderung erfüllt werden kann. Durch einen 
rationelleren Schulbetrieb und durch Einschränkung der Hausauf¬ 
gaben und häuslichen Geistesarbeit muss es gelingen. Die Freunde 
der Körperpflege, die unter des trefflichen Herrn v. Schencken- 
dorffs Führung im Ausschüsse zur Förderung des Volks- und 
Jugendspiels vereinigt sind, haben ihre Wünsche auf die Forderung 
der Schaffung der freien Spielnachmittage konzentriert. 
Diese Forderung muss auch der Aerztliche Verein zu der seinigen 
machen; nur mit vereinten Kräften können Erfolge errungen werden. 

Die wichtigen Feststellungen der Schulkommission zeigen deut¬ 
lich, welchen Nutzen es bringt, wenn sachverständige Aerzte Ein¬ 
blick in Schule und Schulbetrieb gewinnen und sie stützen daher 
aufs beste die alte Forderung, dass auch die Mittelschulen der stän¬ 
digen Ueberwachung durch Schulärzte unterstellt werden 
müssen. Eine der wichtigsten Aufgaben dieser Schulärzte wird sein, 
periodische Untersuchung der Schüler vorzunehmen 
und einen Gesundheitskataster für die gesamte Schüler¬ 
schaft anzulegen. Erst mit Hilfe solcher Personalgesundheitsbögen 
und solcher Gesundheitskataster wird es möglich sein, eine wirklich 
zutreffende Kenntnis von dem mittleren physischen Zustand der 
Bevölkerung und von seinen Veränderungen im Laufe der Zeit zu 
erhalten, wie Redner schon bei verschiedenen Gelegenheiten dar¬ 
gelegt hat. Weder die Sterbeziffern, noch die mit zahlreichen Fehlern 
behafteten Rekrutierungsziffern geben uns darüber genügende Auf¬ 
schlüsse. Hier, wo es sich um den wichtigsten Teil der männlichen 
Jugend handelt, liegt der Nutzen solcher Feststellungen besonders klar 
zutage. Man sollte denken, dass sie auch den Schulmännern er¬ 
wünscht sein müssten, denn die Untersuchungen der neu eintretenden 
Schüler wird ohne Zweifel ergeben, dass die Schule völlig unschuldig 
ist an sehr vielen krankhaften Störungen, die ihr heute aufgebürdet 
werden. Als sehr erfreulich bezeichnet Redner die Ergebnisse der 
Erhebungen Dr. Schneiders. Die günstigen Befunde am 
Theresiengymnasium dürften sich kaum anders deuten lassen, denn 
als Erfolge der technisch-hygienisch vollkommeneren Einrichtung 
dieser Schule. Sie müssen daher als Ansporn wirken, auf dem hier 
betretenen Wege der Verbesserung rüstig weiter zu schreiten. 

Herr Dieudonne: Ueber die Tauglichkeit der Mittelschüler 
zum Militärdienst wird bald eine offizielle Statistik herauskommen, 
da bereits eine Zählkartenstatistik darüber eingeleitet ist. Die von 
Herrn Grassmann angegebene Tauglichkeitsziffer von 38 Proz. 
ist eher zu hoch als zu niedrig; bei einem Münchener Regiment 
betrug sie in den letzten Jahren nur 16,4—21,6 Proz. 

Herr Crämer (Schlusswort): M. H.! Dem Herrn Vorredner 
sage ich im Namen der Schulkommission meinen verbindlichsten 
Dank für seine anerkennenden Worte. Das Wichtigste ist, dass die 
Schulkommission in ihrer Tätigkeit vom Aerztlichen Verein unter¬ 
stützt wird; die Forderungen werden um so gewichtiger sein, je 
mehr man sieht, dass der ganze Aerztliche Verein hinter ihnen steht. 
Es genügt natürlich nicht, dass Wir nur hier unsere Reformvorsch-läge 
und Forderungen im engeren Kreise Vorbringen, wir müssen die 
Oeffentlichkeit dafür interessieren, die Presse muss dafür eintreten, 
dann werden diejenigen Behörden, denen die Durchführung von Re¬ 
formen obliegt, die dringende Notwendigkeit der letzteren nicht mehr 
leugnen können. Wir haben nun alle unsere Reformvorschläge und 
die> Ergebnisse unserer Beratungen in Form einer Eingabe an die 
Kammern geschickt, in der Abgeordnetenkammer wird die Eingabe 
kaum mehr zur Beratung kommen, weil der Kultusetat schon erledigt 


ist, dagegen dürfen wir erwarten, dass in der Reichsratskammer 
eine entsprechende Würdigung unserer Vorschläge stattiinden wird. 
Ich habe nicht versäumt, die betrübenden Zahlen der höchst mangel¬ 
haften Tauglichkeit der Mittelschüler beizufügen, ebenso das 
rapide Anwachsen der Brillenträger, Zahlen wirken mehr, wie 
lange Auseinandersetzungen. Die von Herrn Prof. G r u b e r auf¬ 
gestellten drei Forderungen müssen wir auf das lebhafteste begrüssen, 
wir werden nicht ermangeln, in der Schulkommission diese Forde¬ 
rungen genauer zu präzisieren und zur öffentlichen Diskussion zu 
stellen, ohne welche wir nie etwas erreichen können. 

Eine Forderung muss ich noch besonders betonen, das ist die einer 
Vertretung im obersten Schulrat. Sie wissen, dass vor 4 Jahren 
schon der Herr Minister davon gesprochen hat, bei .geeigneten Fragen 
einen praktischen Arzt zuzuziehen, das ist nicht geschehen; wir haben 
diese Forderung neuerdings wiederholt und nun wurde die Zuziehung 
eines praktischen Arztes, wenn auch nicht Im Hauptamt, in Aussicht 
gestellt. Wir können aber unser Ziel nur erreichen, wenn wir un¬ 
entwegt weiterbohren, wir müssen uns den Einfluss erzwingen, der 
uns als berufenen Vertretern der Volkshygiene gebührt und deswegen 
dürfen wir in unserer Stellungsnahme nicht erlahmen, auch wenn die 
Aussichten noch so ungünstig erscheinen. Ich bitte Sie nur, m. H., auch 
künftighin die Schulkommission in ihrem Vorgehen warm unterstützen 
zu woMen. 

Herr Grassmann (Schlusswort) weist mit Bezug auf die 
erste der von Herrn M. v. G r u b e r aufgestellten Forderungen 
nach Einschränkungen der häuslichen Arbeitsstunden auf die Ver¬ 
hältnisse in Preussen und Württemberg hin. Letzteres speziell hat 
erst kürzlich eine erhebliche Reduktion der häuslichen Lernstundpn 
eintreten lassen. Bei uns in Bayern sind letztere, wie aus der Um¬ 
frage ersichtlich, betr. der untersten und obersten Klassen zu lang. 
Das Bedenkliche ist das Ansteigen der Nachtarbeit. Die Darstellung 
des Herrn Schneider über die Brillenträger und deren Zunahme 
in den mittleren und oberen Klassen weise auf einen Parallelismus 
zwischen Ansteigen der Nachtaibeit und jenem der Myopie hin. Die 
Forderung betr. des obligaten Spielnachmittags müsse von den 
Aerzten lebhaft unterstützt werden; er stehe übrigens auf dem 
Standpunkte, dass nicht die Schule allein für die körperliche Aus¬ 
bildung des Schülers zu sorgen habe, sondern unbedingt auch die 
Familie. Eine wirklich harmonische geistige und körperliche Aus¬ 
bildung sei ein kaum erreichbares, aber kräftig anzustrebendes Er¬ 
ziehungsideal. 

Herr Doernberger (Schlusswort): Der nicht nur von 
G r u b e r, sondern gleich allen Freunden körperlicher Kräftigung 
auch von der Sohulkommission in ihren Vorschlägen geforderte 
schulfreie Nachmittag muss auch ein aufgabenfreier sein, da 
sonst die Arbeiten auf den Abend verschoben werden, oder die 
Schüler an den Jugendspielen nicht teilnehmen. Bestimmt aber sollten 
die sogen, freien Nachmittage (Mittwoch und Samstag) ohne Aufgabe 
und der Sonntag müsste unbedingt ein völliger Feiertag sein. Diese 
Forderungen sind nach Besprechungen mit Schulmännern zu ermög¬ 
lichen. Es lassen sich nach ihrer Ansicht die Aufgaben beschränken 
und sogar das Lehrpensum ohne Benachteiligung der geistigen Bil¬ 
dung, so dass Zeit für leibliche Betätigung gewonnen wird. Ueber 
die gesundheitliche Beschaffenheit der Schüler und 
Schülerinnen erweisen die Bemerkungen der Eltern hierüber in den 
Erhebungsbogen, dass trotz geringer Lernzeit Kränklichkeit akut, 
chronisch, durch Heredität oder Pubertät veranlasst, bestehen kann, 
wie auch trotz vieler häuslicher Arbeit volle Gesundheit. Vielfach 
fehlt den Eltern die Einsicht, dass gerade bei schwächlichen Kindern 
Spaziergänge und Leibesübungen nötiger sind als Privat- und Nach¬ 
hilfestunden zur Verbesserung der Noten. Die Befürwortung und Be¬ 
vorzugung der Morgenarbeit ist deshalb etwas bedenklich, weil 
zu fürchten ist, dass trotz des hiezu bedingten früheren Aufstehens 
nicht früher zu Bett gegangen und so eben der Schlaf verkürzt werde, 
dass ferner nach längerer Frühtätigkeit nicht nur das Frühstück zu 
rasch und ungenügend eingenommen und der Weg zur Schule, um 
sich nicht zu verspäten, überhetzt w r erde, dass schliesslich die geistige 
Regsamkeit während des folgenden mehrstündigen Unterrichts leide. 

Herr Schneider (Schlusswort) weist auf das Ermutigende 
hin, das in der Zusammenstellung des Theresiengymnasiums gegen¬ 
über denjenigen der anderen Mittelschulen liegt, hin und drückt den 
Wunsch aus, dass es bald möglich würde eine gründliche Ergänzung 
der angeführten Zahlen durchzuführen. 

(Schluss folgt.) 


Militärärztliche Gesellschaft München. 

Sitzung vom 16. Januar 1998. 

Vorsitzender: Herr H o f b a u e r. 

Teilnehmer: 51. 

Der Vorsitzende begriisst als Gäste: Korpsstabsapotheker U t z, 
Stabsapotheker Koller, japanischen Stabsarzt Hassimodo, 
griechischen Oberarzt P a s k a 1 i s. 

Herr May: Ueber diagnostische Tuberkullnelnsprltzungen. 
Bei 27 Fällen beginnender Lungentuberkulose konnte die Dia¬ 
gnose frühzeitig nur durch probeweise Tuberkulineinspritzung <Alt 


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1812 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .M. 


Koch) exakt gestellt werden. Bedingungen fiir diagnostische Tuber¬ 
kulineinspritzungen sind: Fehlen von ausgesprochenen klinischen 
Symptomen und Fiebcrlosigkcit. .. 

Anfangsdosis war 0,0001 g, höchste Dosis 0,001 g I uherkulin 
Koch-Alt. Im negativen Falle wurde die letzte Dosis nur einmal 
wiederholt. 

Irgend welche schädliche Folgen oder seihst nur stärkere sub¬ 
jektive Beschwerden durch die diagnostischen Einspritzungen kamen 
nicht zur Beobachtung. Die Einspritzung wurde nur vorgenommen 
mit Einwilligung der Kranken. 

Die Tuberkulinprobe soll nur in den Fällen in Betracht kommen, 
bei welchen die genaue klinische Untersuchung allein zur Ent¬ 
scheidung der exakten Diagnose nicht ausreicht, bei welchen aber 
namentlich durch die Beobachtung bei der Truppe der Verdacht aut 
aktiv latente Tuberkulose begründet ist. , . t . 

An der Diskussion, die sich auch auf die Impnncthode, Iuunktmns- 
kur und Ophthalmoreaktion erstreckt, beteiligten such die Herren: 
Exz. v. Bestelmeyer, Wittmann, Haucnschild, v. j 
Heuss, v. Ammon, Selling, Dieudonne. . , | 

Oberstabsarzt Kolb: Mitteilungen über den XV. Internationalen 
ntedlz. Kongress In Lissabon 1906. . 

Schilderung der Reisecindriicke und Bericht über den Kongress 
selbst, insbesondere die militärärztliche Sektion. 

Sitzung v o m 20. E ebruar l‘k 
Vorsitzender: Herr H <> i b a u e r. 

Teilnehmer: (>o. 

An Stelle der wegen Trauer im Künigshause ausgefallenen 
Stiftungsfeier wurde ein musikalischer Herrenabend mit gemein¬ 
schaftlichem Abendessen abgehalten. 

Sitzung vom 2(>. März 190S. 

Vorsitzender: Herr 11 »f baue r. 

Teilnehmer: 52. 

Die Sitzung war ausgezeichnet durch die Anwesenheit Sr K. 
Hoheit Prinz Rupp recht. Kommand. (len. I. A.-K.. für höchst 
dessen Erscheinen der Vorsitzende den untertänigsten Dank der 
militärärztlichen Gesellschaft ausspricht. 

Als Gast hält Herr Oberstleutnant v. Stetten, Chef des 
Generalstabes I. A.-K., den zugesagteu Vortrag: Krlegssanltatsdlenst 
und Kriegshygiene bei den Japanern während des russisch-japanischen 

Krieges 1904 05. „ , . . . c * 

Der Herr Vortragende war als Zuschauer auf japanischer Seite 
und betont zunächst, dass die Organisation des Sanitätskorps und 
des Sanitätsdienstes vollständig nach deutschem Vorbild erfolgt ist. 
Wenn der Vortragende nun auf Grund seiner Beobachtungen sich d e 
Frage vorlegt: Genügt die Zahl des Sanitätspersonals selbst in den 
ausserordentlich blutigen, grossen Schlachten, die entgegen früherer 
Annahme infolge des sogen, humanen Geschosses, der geänderten 
Taktik usw. durchaus nicht weniger blutig geworden sind, so kann 
diese Frage mit .!a beantwortet werden. Der kolossale Andrang von 
Verwundeten an einzelnen Stellen in wenigen Stunden hisst sich aber 
nur dann bewältigen, wenn an Operationen und Verbänden nur das 
absolut notwendige geschieht, wenn grösste Ruhe und Ordnung 
herrscht und für schleunigen Abtransport gesorgt wird. Der letztere 
war dadurch möglich, dass die Japaner grosse 1 rupps Chinesen -- 
und zwar immer erst im Bedarfsfälle — mieteten, zu 1 räger und 
Kolonnen formierten und mit ihnen den Abtransport bewerkstelligten. 

Auch für diie 'Beschaffung und Verteilung des Sanitätsmaterials 
waren die deutschen Einrichtungen vorbildlich. Jeder Soldat trägt 
1 Verbandpäckchen in der linken Brustseite des Waftenroeks. Die 
Sanitätsausrüstung entspricht ungefähr der unsern und wird mit Rück¬ 
sicht auf die schlechten Wege auf Tragtieren mitgeführt ebenso wie 
die der Sanitätskompagnic, die SO Tragen besitzt. Krankenwagen zum 
Verwundetentransport sind bei letzteren im Gegensatz zu den Russen 
wegen der schlechten Strassen nicht vorhanden, dieser geschieht 
mittels chinesischer Karren. Jede Division hat eine Sanitäts¬ 
kompagnie und 4 —6 Feldlazaratte, die letzteren fuhren ihr Material 
auf 22 zvveiräderigen Trainwagen mit. haben aber kein Material fiir 
Einrichtung von Lagcrstellen. Bei jeder Division ist ein Feldlazarett 
mit einem Röntgenapparat ausgestattet. Die Feldlazarette sind eigent¬ 
lich zur Aufnahme von 200 Verwundeten bestimmt, später vor 
Mukden war Vorsorge getroffen, dass sie Mio looo Verwundete auf¬ 
nehmen konnten. 

Die freiwillige Krankenpflege und das Rote Kreuz sind wie bei 
uns organisiert und weit verbreitet, werden aber zur Hilfeleistung 
auf dem Kriegsschauplatz nicht zugclassen. hier finden nur Angehörige 
der Armee Verwendung. Erst im zweiten Teil des Feldzuges waren 
Schwestern vom Roten Kreuz in den Etappeiila/arctten in D i!;iv 
tätig. Entsprechend unsern Bestimmungen geht die Halite der Aerzte 
und zwar die jüngeren mit der 'Empire ins (ieieeht, obwohl in der 
Zone des Infanteriefeuers jede ärztliche Hilfe ausgeschlossen ist. auch 
die gefürchteten primären Verblutungen bei Mantelgeschoss sehr 
selten sind und diese Massnahme nur zahlreiche Verluste bei den 
Acrzten zur Folge hat. 


Die andere Halite der Aerztc errichtet den Truppetiv erbau Jp'atz. 
oft nahe hinter der (iefechtslmie. nur gegen < icw ehrte; j er geschützt, 
vielfach ohne Wasserstelle. Wum möglich w ,rd lnr 1 Reg.ment nur 
1 Truppenverbandplatz errichtet. Grossere chirurgische* Eiugrtfc 
sind ausgeschlossen, es werden nur Notvcrbnnde angelegt. Es war 
eine auffallende Erscheinung, dass beim Angriii die Verwundeten s.ch 
oft in dichten Schaden aus der Eciierimie zu den 1 ruppcii\erbat: J- 
plätzcn zur ucksclilepptcn, wenn sie nur irgendwie konnten. De Ver¬ 
luste waren oft ganz crhcbäJic. so hatten bei Muk.lcn 2 Data «me 
in der ungefähren Sänke \mi 2"‘>" Mann 1- M< > Mann 57 1 *r"Z. Ver¬ 
luste. Von allen Verwundungen s.nd s " b-s s5 Pro/., ia b.s zu »/" Pro/, 
durch liiJanteriegeschosse \ <. rursacht' d"e!i s.n.l d.e Verwundungen 
durch das humane Mantelgeschoss Ic.Ji* und hci.cn gut. 

Von der Samtatskompagmc wurde häufig /iin.idist 1 Zug e n- 
gtsetzt, der Hauptverbandplatz lag immer ;n euer Grtschaft. d.e 
Entfernung von der Ucicchtshmi zwischen I 1 . und 4 km SchwanketiJ. 
meist nicht auvserhaib des Bereiches des A rtillcricfcuers. Be. 
Mukden wurden Hauptverbandplätze teils direkt hinter der Gefechts- 
linie errichtet. Die Krankcutuuc: p.ttroml eil konnten erst emgre.teii. 
wenn der Angriff vorwäits gegangen war. Auf dem liaup’ve r '\md- 
platz erforderten Bauc’mchäAse und Blutungen am häuf gsten 
chirurgisches l ingrciku. Vmputammeii waren aüsverst selten. 

Die Feldlazarette gr.üen am spaten N.uhmitt ig des |. < iekchts- 
tages ein und übernahmen ge w ohniuh den Haupts <. * ban.dpl.it/. Sie 
mussten sich unbedingt ausseiha'b jeder Svhussw e.te mmdestens 
5 km hinter der < iefechtslmie befinden. 

Finge richtete l.a/arett- und Kranken./uge zum Rücktransport 
der Verw undeten gab es nnht. dazu wurden gew ob-, .c he G.-tcr- 
w ;u;en verwemlet und emger iclitet. D e Verwimdeten brauchten 
/tim Transport vom Sch'achttVdc bis in die Heimat mmdestens \ 
längstens 25 l äge, im Durchs Juntt 2" l äge. \ui die K r;e gsti\ g.ene 
wurde das grösste Gewicht gelegt und v!e nie ntspr c Jieniel auch fcervor- 
ragender Erfolg erzielt. Je .kr MolJ.it erhielt ein t ie sutui.he-itvmvk- 
biiclilein. ausserdem fanden häutige Belehrungen s*.*11 u; vl beJ> Igt 
der japanische Soldat de erteilten Rutsch’.«ge genau und gern, weil 
er von der Fürsorge und Vutont.it seiner Vorgesetzten fest überzeugt 
ist. Zur Körperpflege wurden häufige Bader sc 'bst bei strenger Kalte 
genommen. bevorzugt werden heisse Hader \i-n -4'* - 45 °. l»:e Mund¬ 
pflege wurde nicht \ ernachlass.^t. liquidere Aiitme: ksamke.t wurde 
der Kleidung /ingewandt und da’'ei der w eshseInden J.tkrcs/e :t Rech¬ 
nung getragen. Wurden doch Temperaturen von :m Sommer * do • 
im Schatten, im W inter 27° gerrusseii. 

Auf dem Körper wurde nur Eeuien getragen, ieder So’d.tt war 
mit einer Eeibbinde ausgestattet. Mange l.alt eisdi enen manchmal 
die Eatr ineuanlagen besonders mit Riukvcht auf die ausserordent¬ 
liche Eliegenplage. Die Ernährung war .ms^ez.-vhiiet. neben dem 
liiieiitbehr liehen Reis wurden h.ni’ig frisches 1 e.scli, gute Kon¬ 
serven mul ein sehr angenehmer Zwieback gegeben; Wasser wurde 
nur gekocht genossen. \ :e liadi mit I hee : grosse l iltrier apparatv 
standen zur Verfügung. Im V c’ duuuugsspurigen vor/nheiigen er¬ 
hielten die Soldatem taghell eine K r eosotj*. e. dem d e Japaner e.nc 
gute, den Dann desinfizierende Wirkung /lisch: ic ben. Ul diesen 
vortrefflichen li\ gienrsclten Mavvnahmeu hatten es die Japaner zu 
verdanken, dass sie \oii grosseren 1 indem ei! \ e'Schiuit bl.eben und 
der Krankenstand wahrend des ganzen l c’d/uges ein se*!rr nied¬ 
riger war. 

Aus den französischen medizinischen Gesellschaften. 

Acad&nle de m6decine. 

Sitzung vom 21. J ti n i P>os. 

Die prophylaktischen Impfungen mit Tetanushellserum. 

I. u c a s - C h a m p i o n n i e r c findet die Wirkung des Serums 
bei 'Eieren eine ausgesprochene. Die Tatsache, dass das I etanus- 
lieilseriim bei den verschiedensten I lerarteu. wo es versucht wurde, 
wirkt, ist eine sehr wichtige. Es wäre sehr merkwürdig. dass adern 
der Mensch unter allen I lereu das Privilegium hatte, die Schutz- 
wirkiing des Serums nullt zu gemessen, wahrend derselbe Bazillus, 
dieselben lufektioiisbedmgungeii ihm den Tetanus bringen. 1 angg 
Beobaelitnngsreiheii in elnr in g isc tu n VnMalteii. wo ehedem der I e- 
tanus vorkam. halben dessen Verschwinden unter dem Einfluss des 
Heilserums gezeigt. Lh. war Selbst Zeuge einer veritabieit Telamis- 
epidcmic. welcher durch beharrlich fortgesetzte In ektMiien Einhalt 
getan wurde. .Mehrere spezielle, wohl beobachtete I atsachen schei¬ 
nen zu guusteii der prophylaktischen Wirkung zu sprechen. Zweifel¬ 
los kann es Vorkommen, dass mnzierte Individuen keinen Vorteil 
von eler Einspritzung haben, aber solche l abe sind viel seltener ais 
man umgibt. Berücksichtigt mau die lalle, wo die Vorschriften 
schlecht oder gar nicht ausge Mir t werden, so ist das Versagen des 
Serums ein so seltenes, dass es Ptluht des L'irurgeii ist. iiu*tn.i.' 
bei einer verdächtigen Wunde die Senimimekb'amu zu u-ie'h.svcn. 
Uebrigens fahren die meisten seiner < k jier. die Meb.'zab: 'euer, die 
Zw eifel an der Scnimw ir kung rh"''i. u haben, fort, es zu benutzen 
und zu dessen Anwendung w e *e* zu r. •*<.”. .r ' Ji *spmm: w c 
mancher Arzt, der ge s in : U .. ; de K*: ..Meti An¬ 

griffe erhebt und es nicht nute: h.sst. seme Kinder n-iptm zu lassen. 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 



25. August 1903. 


MUEHCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1813 


Die Mundieukoplasie (Raucherplaques). 

Aus den Fällen, welche Landouzy beobachtet hat, geht her¬ 
vor, dass das Vorhandensein einer solchen Affektion stets an Syphilis 
denken lassen muss; L. führt eine Reihe von Beispielen an, wo die 
spezifische Behandlung mit Erfolg eingeleitet, auch die Leukoplasie 
des Mundes zum Verschwinden gebracht hat. Was den Tabak¬ 
gebrauch betrifft, so begünstigt er zweifellos die Entwicklung der 
Leukoplasie, aber man findet dieselbe häufig bei Männern oder 
Frauen, die niemals geraucht haben. 

Fournier teilt völlig die Ansicht L.s und führt den interessan¬ 
ten Fall eines Kranken (34 jährigen Mannes) an, welcher als vor¬ 
geschritten tuberkulös angesehen worden ist und bei welchem die 
Leukoplakie eine versteckte Heredosyphilis annehmen liess; die in 
diesem Sinne eingeleitete Therapie hat auch völligen Erfolg gehabt. 

Sitzung vom 30. Juni 1908. 

Zur Lokalanästhesie. 

Reelus erklärt die Lokalanästhesie für eine sehr grosse Zahl 
von Operationen für hinreichend und findet es merkwürdig, wie 
wenig Chirurgen sie trotzdem anwenden; die Allgemeinnarkose bietet 
so viele Unannehmlichkeiten, dass man sie so oft wie möglich ver¬ 
meiden muss. Das Kokain existierte allein am Beginn von R.s 
Tätigkeit; er konnte damit mehr als 10 000 Fälle schmerzlos ope¬ 
rieren, ohne einen einzigen Todesfall. Die von anderen Chirurgen 
konstatierten unglücklichen Zufälle hätten leicht vermieden werden 
können, wenn man einige Hauptvorsichtsmassregeln befolgt hätte: 
der Kranke muss liegen und wenigstens eine Stunde nach der 
Anästhesie noch liegend verweilen, alle der Operation zu unter¬ 
werfenden Stellen müssen der Reihe nach injiziert werden, denn 
das schmerzstillende Mittel diffundiert nur 4—5 mm nach allen 
Seiten, die injizierte Dosis darf 20 cg nicht übersteigen, die an¬ 
gewandten Lösungen müssen sehr schwach sein. Das S t o v a i n ist 
ebenfalls ein vorzügliches anästhetisches Mittel, etwas weniger wirk¬ 
sam, aber auch weniger toxisch als Kokain. Nach den Ausführungen 
von Gouteaud erhöht die Assoziation von Kokain und Stovain 
die schmerzstillende Wirkung beider Substanzen, ohne dass ihre gif¬ 
tige Wirkung zunimmt. R e c 1 u s wendet eine Mischung von 
. 'A Kokain und Stovain an. Auch das Novokain, das zuletzt 
eingeführte Mittel der Lokalanästhesie, hat sich als gutes Ersatz¬ 
produkt, bewährt. Die Rachianästhesie sieht R. als gefähr¬ 
lich und unnötig an. 

In Fortsetzung der Diskussion über die Prophylaxe des Tetanus 
verteidigen Labbe und Vai 11 a r d energisch die prophylaktische 
Anwendung des Tetanusheilserums, während Reynier darauf be- 
. stehen bleibt, dass es beim Menschen weniger energisch wirke, wie 
bei Tieren und davor warnt, dass man dessen Anwendung den 
Aerzten zur Pflicht mache; deren Ausserachtlassung könnte ihnen 
schlimme Sorgen machen, wie dies schon vorgekommen sei. 

Sociötö mödicale des hdpitaux. 

Sitzung vom 22. Mai 1908. 

Chronischer Rheumatismus und Schilddrüseninsuffizienz. 

Emile Serge nt scheint es nicht zweifelhaft, dass in der kom¬ 
plizierten Gruppe der chronischen Rheumatismen einer ätiologisch 
besonderen Abart, welche mit Insuffizienz der Schilddrüse zusammen¬ 
hängt, ein ziemlich wichtiger Platz einzuräumen ist. S. hat selbst im 
Jahre 1894 die erste mit Autopsie verbundene Beobachtung eines 
Falles veröffentlicht, wo Atrophie und kalkige Degeneration der 
Schilddrüse bei einer Frau vorhanden war, die mit Psoriasis, Arthro¬ 
pathie und tödlichem Myxödem behaftet war. Andererseits kann der 
Uebergang mancher akuter Formen von langwierigem Rheumatismus 
in den chronischen Zustand seine Erklärung in einer Insuffizienz der 
Schilddrüse, die wiederum die Folge einer erhöhten funktionellen 
Tätigkeit derselben während der akuten Krisis ist, finden — wofür 
S. persönliche Erfahrungen und die Untersuchungen von Vincent 
anführt. Auch ist interessant, Heilung oder Besserung mancher 
Arten von chronischem Rheumatismus durch interkurrentes Auf¬ 
treten des Basedow sehen Symptomenkomplexes zu beob¬ 
achten. S. hält diese Betrachtungen für so wichtig, dass unsere Be¬ 
mühungen nun dahin gehen sollen, die differentiellen klinischen Sym¬ 
ptome des durch Schilddrüseninsuffizienz hervorgerufenen chronischen 
Rheumatismus, des einzigen, der durch Schilddrüsensubstanz heilbar 
oder wenigstens besserungsfähig ist, festzustellen. 

Die Sporotrichose. 

De Beurmann hat die in Frankreich und Amerika veröffent¬ 
lichten Fälle von Sporotrichose gesammelt und ist zu dem Ergebnisse 
gekommen, dass alle diese Fälle auf eine wenig verschiedene Art 
von Sporotrichose, das Sp. Beurmanii, zurückzufiihren sind. Die 
Sporotrichose ist in England und Deutschland noch nicht beobachtet 
worden. 

Sitzung vom 29. Mai 1908. 

Traumatische Insuffizienz der Mitralis. 

C1 a i s s e und S o c q u e t berichten über einen Fall rein trau¬ 
matischer Ruptur der Mitralklappe, ohne dass eine Herzerkrankung 


vorangegangen wäre. Dieser Fall ist verschieden von den anderen 
bis jetzt berichteten Fällen, wo die Verletzung an einer durch Atherom 
veränderten Klappe zu stände kam und wäre von Bedeutung be¬ 
züglich der Unfallsrente und der Haftpflicht des Arbeitgebers. 

Vaquez hat einen ähnlichen Fall beobachtet und ist der An¬ 
sicht, dass solche Fälle im Sinne der ausgedehntesten Verantwortlich¬ 
keit des Arbeitgebers ausgelegt werden müssen. Selbst in den Fällen, 
wo man bei der Sektion Atherom konstatiert, kann der medizinische 
Sachverständige versichern, dass vor dem Trauma der Kranke keine 
merkbaren Veränderungen hatte und erst nach dem Unfälle eine 
solche zu konstatieren war. Sache der Parteien wäre es nun, die 
Gründe einer verminderten Verantwortlichkeit geltend zu machen und 
der Gerichte, darüber zu entscheiden. : 

Sitzung vom 6. Juni 19p8. 

Die chronische Appendizitis. 

C o m b y gibt einen zusammenfassenden Bericht über dieses 
Leiden, das im jugendlichen Alter häufig und von sehr komplizierter 
Aetiologie sei. Man kann die Appendizitis bei einem Kinde, das bis 
dahin sich wohl befunden, keine Enteritis gehabt und in guten hy¬ 
gienischen Verhältnissen gelebt hat, beobachten: in solchen Fällen 
scheint die Heredität eine Rolle zu spielen (familiäre Disposition, 
lymphatischer oder arthritischer Natur) und man findet keine Ge¬ 
legenheitsursachen. In einer zweiten Kategorie von Kindern, welche 
zahlreicher vertreten ist, findet man von früheren Erkrankung Angina, 
adenoide Vegetationen, Magendarmaffektionen (Atonie, Dyspepsie, 
Enteritis und Enterokolitis); zu den anderen infektiösen Krankheiten, 
welche zu Appendizitis disponieren, zählt noch die Influenza, be¬ 
sonders in der mit Halsdrüsenschwellung verbundenen Form, ferner 
Scharlach, Masern, Keuchhusten, Mumps und besonders Typhus, ln 
anderen Fällen muss man fehlerhafte Ernährung, Uebermass an 
Fleisch ansprechen. Die chronische Appendizitis ist selten in der 
ersten Kindheit, häufiger in den späteren Kinderjahren und besonders 
beobachtet man sie im Alter von 15—20 Jahren. Das Symptomenbild 
ist ein sehr kompliziertes und von einem zum anderen Falle wech¬ 
selndes; besonders periodisches Erbrechen, Leibschmerzen nach 
einem raschen Lauf oder lebhaftem Spiel, katarrhalischer Ikterus, 
hartnäckiger Husten, der durch keine physikalischen Zeichen zu er¬ 
klären ist, eine Hemmung in der Entwicklung, nervöse Symptome, 
wie Traurigkeit, Neurasthenie, Lipothymie; zuweilen sind die Re¬ 
geln sehr schmerzhaft geworden. Die direkte Untersuchung ermög¬ 
licht, die wirkliche Ursache all dieser Symptome zu erkennen: der 
Darm ist schmerzhaft, es ist Schleim, Blut in den Fäzes. Differential- 
oiagnostisch kämen Leber- und Nierenkoliken, die im Kindesalter 
se.ten sind, oder Salpingitis als Folge einer Vulvovaginitis, die eben¬ 
falls selten, in Betracht. Die Prognose der chronischen Appendizitis 
ist eine wechselnde; sie kann spontan heilen, aber meist muss man 
zur Operation schreiten, die zur Notwendigkeit wird, sobald die 
Diagnose eine bestimmte ist 

Sitzung vom 12. Juni 1908. 

Ueber den chronischen Schilddrüsen- = tuberkulösen Rheumatismus. 

Leopold L 6 v i und H. de Rothschild heben wiederholt 
diese ganz spezielle Form des Rheumatismus hervor und zwar stützen 
sie sich zu dessen Begründung auf: 1. die Aetiologie, 2. die Ver¬ 
schiedenartigkeit und 3. die therapeutische Wirkung. In 10 Fällen, 
wo die Tuberkulinprobe gemacht worden ist, wurden 8 Besse¬ 
rungen durch Schilddrüsenbehandlung erzielt. Daher erscheint der 
Schluss berechtigt, dass der Verdacht eines tuberkulösen Rheuma¬ 
tismus den sorgfältig überwachten Versuch mit Schilddrüsenbehand¬ 
lung nicht ausschliesst. Der Schilddrüsenrheumatismus ist häufig: 
nach der Statistik der Akademie 32 Besserungen auf 39 Fälle. Was 
den zweiten Punkt betrifft, so wirkt die Schilddrüsendarreichung bei 
den verschiedensten Formen von Gelenksaffektionen und bezüglich 
des dritten Punktes glauben Verfasser, könne man in der Art der 
therapeutischen Wirkung Unterscheidungen treffen; sie glauben, dass 
Jod, Phosphor, gewisse Thermen, starke Salzwassereinspritzungen 
durch eine Art indirekter Schilddrüsentherapie wirken. 

Sitzung vom 26. Juni 1908. 

S o u q u e s berichtet über 4 Autopsien von chronischem Rheu¬ 
matismus; in keinem der Fälle käme ein tuberkulöser Rheu¬ 
matismus in Frage; bei zweien trat zwar der Tod infolge akuter 
Miliartuberkulose ein, die aber nur als letzte Komplikation anzusehen 
war. In Anbetracht des merkwürdigen Ausfalles der Tuberkulin¬ 
reaktion — bei einem dieser letzten Fälle negativ, bei dem anderen 
positiv, von den beiden anderen, wo auch die Sektion keine Spur von 
Tuberkulose zeigte, reagierte ebenfalls einer positiv — stellt S. die 
Spezifität der Tuberkulinreaktion in Frage und erinnert an die neuen 
diesbezüglichen Untersuchungen von Arloing und Entz. 

St. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. M. 


1814 


II. Internationaler Kongress für Chirurgie 

in Brüssel vom 21.-25. September 19i>8. 

Tagesordnung: 

1. Natur des Krebses (Referent: R o s w e 11 Park- Buffalo). — 
2. Pathogenese und Behandlung des Bpithclialkrcbses (Referent: P e 1- 
bet-Paris). —3. Behandlung des Lippenkrebses (Referent: v. Ilon s- 
d o r f f - Helisingfors). — 4. Behandlung des Krebses der Mundhöhle 
(Zunge etc.) (Referent: Coli ins W a r r e n - Boston). - 5. Be¬ 

handlung des Krebses der Nasenhöhle, des Pharynx und Larynx (Re¬ 
ferent: Ci 1 u c k - Berlin). — b. Behandlung des Krebses des Oeso¬ 
phagus, der Leber, (iallcnwege und des Peritoneums (Referent: 
C z e r n y - Heidelberg). — 7. Chirurgie der Leber: a) Steine (Re¬ 
ferent: K e h r - Halberstadt, b) hntziindungen: 1. Zirrhose (Referent: 
K o c h - Groningen). 2. Cholangitis (Referenten : O u e n u - Paris und 
D u v a I - Paris). ,L Abszess (Referenten: L e g r ;i n d - Alexandrien 
und V o r r> n o f f - Kairo). 4. Tumoren (Referent: Payr-Greifs¬ 
wald). — 8. Behandlung des Magen- und Pankreaskrebses (Referent: 
C z e r n y - Heidelberg). — 9. Behandlung des Krebses des I ninn- 
darnis, Dickdarms, Rektum und Anus (Referent: V o e I c k e r - Heidel¬ 
berg). — 1(1. Behandlung des Brustkrebses (Referent: Halsted- 
Baltimore).— 11. Anästhesie: a) Allgemeine (Referent: Val¬ 
las-Lyon). b) Medulläre (Referent: R e h n - Frankfurt), c. Lokale 
(Referent: M a c A r t h u r - Chicago). — 12. Hernien: I. bei Plr- 
wachsenen: Inguinalhernien (Referent: Alessandri - Rom). Cru- 
ralhernien (Referent: H i 1 d e b r a n d - Berlin). Nabelhe rmen (Re¬ 
ferent: Praenkel- Wien). 2. bei Kindern (Referent: L o r t h i o i r- 
Briissel). 3. Operatives Verfahren und Endresultate (Referent: K a I- 
1 i o n t z i S - Athen). 4. Aetiologie der Hernien (Reieient: I' o r g u e - 
Montpellier). Behandlung des Hautkrebses (Referent: Mnresiin- 
Paris). Krebs der Nebennieren (Referent: T a v e I - Bern). — 13. 
Chirurgie der Wirbelsäule: a) Verletzungen (Referent: 
de Q u e r v a i n - Chaux-de-Ponds). b) Tumoren (Referenten: 
B e r a r d - Lyon, K r a u s e - Berlin).— 14. Behandlung des Kiebses 
der Harnwege und der männlichen (ieschlechtsorg me (Referent: 
L e g u C n - Paris). — 15. Röntgen- lind Radiumbehaiullimg des 

Krebses (Referent: S e q u e i r a - London). — l(>. Behandlung des in¬ 
operablen Krebses (Referent: M o r r i s - London). 17. Pm- 

jektionsabend (Reierent: K r a u s e - Berlin). - ls. Behandlung des 
Krebses der weiblichen Geschlechtsorgane (Referent: Paure- 
Paris). — 19. Kndresultate der operativen Behandlung des Krebses 
(Referent: D o 11 i n g c r - Ofen-Pest). 

Prof. Dr. Sonnenburg - Berlin, Hitzigxtr. 3, Bt Delegierter 
fiir Deutschland und ist zu Auskünften über den Kongress bereit. 


Verschiedenes. 

Therapeutische Notizen. 

Die Azidose — die Bildung von Oxybuttersäure. A/etcssig- 
säure und Azeton — bildet bei den D i a b e t e s k r a n k e u die 
wichtigste und gefährlichste Komplikation. Die Oxybuttersäure kann 
sich, wie Baer (Therap. Monatsh. 6, ti.s) ausfiihrt, in erster Linie 
aus Pettsäurcn bilden. Auch die Piweisskörper enthalten reichliches 
Material, aus dem Oxybuttersäure entstehen kann. 

Den Grad der Azidose erkennt man leicht aus dem Verhalten 
des Urins. Genügen beim Gesunden Gaben von 2 g Natron bicar- 
bonicum, um den Urin alkalisch zu machen, so müssen beim Dia¬ 
betiker mehrere Tage hintereinander 5 g und in schweren I allen 
10—40 g und mehr gegeben werden. 

Die Auffassung des Coma diabeticum als einer Sänrevergiitung 
hat die Behandlung desselben mit grossen Mengen Natron biearbom- 
curn gezeitigt. Bei Kindern sind mehrere Palle von Koma mit Hilfe 
dieser Behandlung geheilt. Beim Lrwachsenen sind nur wenige In¬ 
folge berichtet, insbesondere gelang es in sicheren Komatalien, die 
zum Pxitus kamen, nie alkalischen Urin zu erzielen. Um die Be¬ 
handlung des Koma an dessen Wurzel anzugreiteti, haben einige 
Autoren Injektionen von glutarsaurem Natron gemacht, das bei 
Hunden mit Phloridzindiabetes die Zuckerausscheidung und die Azi¬ 
dose stark herabsetzt. Auch die Prfolge dieser Behandlung sind 
noch unsichere. Kr. 

Bei der Behandlung der chronischen Obstipation 
empfiehlt S i m o n - Karlsbad in erster Linie die sorgfältige Berück¬ 
sichtigung des Grundleidens: Cholelithiasis, Ulcus ventiiculi. Appendi¬ 
zitis, Hämorrhoiden, Neuralgien, Nephrolithiasis, Neurasthenie usw. 
(Ther. Monatsh. h, os). Piir die eigentliche atoiiische Porm emp¬ 
fiehlt sieh vornehmlich die „schlackenreiche" Kost in Verbindung 
mit allgemeinen Wasserprozeduren, Massage. Plektrizität. Mnuirs 
nüchtern ein Glas kaltes Wasser oder Zuckerwasser. Grahambrot. 
Simonsbrot mit Marmelade, Honig und Butter. Mittags reichlich Ge¬ 
müse. viel Kompott und rohes Obst. Apfelwein und alkalische Wässer 
unterstützen die Wirkung. Daneben Massage des Unterleibes. G\m- 
nastik, autsteigende Dusche. Oelkivstfere. Von den zahlreichen 
Medikamenten empfiehlt sich am meisten das Regulin. Daneben 
Brustpuver, Kaskarapastillen, Bitterwasser. Unbedingt notwendig 


ist die Beziehung des Kranken, seaieii Stuhl zu eaier bestimmten Ze.t 
zu entleeren. Kr. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ii n c h e n, den 2*\ August 1:9 *s. 

Die S p e z i a I a r z t f i a g c w ml m ['miss e n /unaclist 
eine aussergeset/'iVue Regelung finden. \\ e aas einem an anderer 
Stelle dieser Nummer t s. u.) mitgeteilten l Lass des preussischen 
Medizinaitmmsters hervorgeht. hat die erw e ierte w ,suiivhaK.,2ic 
Deputation für das McJ;/tftaiw eseii empnaieii. d.c >;u ziahstviitragc 
als ärztliche Stundest!jge zu behandeln mul zunächst der atzt ,dien 
Standesorgamsalion ( Al i ztekammern. Lhrcngci ich'e • zu u! cr'assen. 
Der Munster sieht daher \mi einer W e:ter\ertoigung der Angc.egen- 
lieit zurzeit ab. Dass Standes«-:driung u d Läfcugc ridvte. w<- 
solche mit Disziplinär beiiigtus ausgestuttet bestehen, m vier lat ge¬ 
eignet sind, Auswachsen vks M’c/.alistcntums zu begegnen, zeigt z. B. 
das weiter unten mitgetc, te Lt kermtn.s des s.u hs.s v :,c n p.nreti- 
geI ichtsliofs, das einen der .schlimmsten M.ssbraiuhc aal ü esim Ue- 
biete trifft. 

— - I he Präge der b a v e r i s eben ä r z t 1 i c h e n Pi h rin¬ 
ge r i c h t e. die nach 7 jährigem SJ;. ummer zunächst durch eie ii I ad 
Hutzlef wieeier aktued wurde, scheut jetzt seitens der Standcs- 
\ e r ti etmigeii w icder eiiugisJi m Angriff genommen werden zu so. <.n. 
An anderer Stelle dieser Nummer tS. I7ss) berichtet Herr H- Iiat 
Max er-lurth aber ehe Schritte, ehe bisher geschehen s.r.d und aber 
elas, was zunächst angestiebt werden s<d. D*e I läge ist. ob nach 
eien trübe» Lrlahi ungeti mit dem Lntwuri emer 1 hrengei idits. u duung 
\om Jahre 1 * J ' 1 xon neuem e.ne gesct/i.dic Regelung der nr/t.uncn 
I. h re Tiger ich t sb.i i k e 1 1 an^cMicbt wer eien soll, oder «*b man Sich Hut. 
emer gesetzlichen Mmktion nicht beulmtetulen, Verbesserungen der 
I estchcnJcu P.iiiTiehtungen begnügen >o,,. Der Minister bat erklärt, 
dass er der gesetziu hen Regelung s\ n.pa&sch gegenüber steile und 
scheint bereit zu sein, eine Neu\««riagc ein/ubi mgen. wenn eins von 
dem Aerztem gew mischt wird. 1 s wird als.. \<m den x orauss.ehtiicheTi 
Lhaiictn der Vorlage im Landl.t s e abu.ingen, ob man s.di dazu ent- 
Seluiessem wird, elie geset/dclie Rege.ung der Lht enger u iitsl rage 
iieueidmgs zu betreiben. Da ist nun zu benuks:dU.gcn, dass Se.t 
|bo| sich vieles geändert hat und e.ne lur die Act /te so ungünstige 
Situation, wie damals, wohl nicht wieder zu erwarten ist. Vor ai.nn 
ist ein M.ss^itl in der Wald des Rcle re uten. wie er d.mia's gemacht 
wurde. Wo mich denn I < • d e A ubs eJas Retei.it über die Vori.ige einem 
Reieieilten anxertraut winde, der selbst nicht approb.etter homöo¬ 
pathischer Krankenbehandic r und extrem ar/teieaul dl war, ein 
zweites Mal nicht zu beturchten. Sodann aber lut s.cli inzw.Sclien 
die V ei besser BÜgsbediiMtigkeit der ar/t.uhen I. in enge ruhte m so 
hellem Lullte gezeigt, dass den Aerzten der \\ muJi muh Reformen 
kaum abgesehiagen werden kann. Da man d e 1 luengeruhte mellt 
abschaften kann, was manchen Ire.heb Meheuht das liebste wäre, so 
wird man sich dazu eiitsdi.icsscri müssen, olleu.cimdue Mangel* zu 
beseitigen. Bei den Li ortet angelt über den Pa.i II u t/it r waren es 
vor aLeiii zwei Mangel, die x of! der Presse aller Parteien Scharf 
kritisiert wurden: die l nmog'ichkeit Zeugen e.vb.di zu vernehmen 
und das Pehlen .must sJieil Beirates. Diese beiden Zugeständnisse 
zum lmiklesteu miissre n Jen Aerzten, wenn s.e \-u ihnen Xeriangt 
wurden, gewahrt weiden; sie sind wulit.g genug, um den \ er sudi 
der gesetzlichen Regelung der 1 tage lim hiietwi. eil zu rechtfertigen, 
selbst wenn w eite r gehende 1 -uder urigen, w e /. B. d.c Aus.ie Jiniiug 
der L li i e u g e 11 c h t sb.i i k ei t auf a 1 i e ba\ ei ische n Aerzte, vor .autig aus- 
Siehtsios waren, liintral wer iefl audi die luxcnsd.cn Aerzte e.ne 
bi a Heilbar e l.lir enge; u htsoi dnuug, wie - s e sich m eien me,steil 
anderen Maaten auis beste bewahrt, bekommen müssen. Nach Ab¬ 
lauf \ oii 7 Jahren duitte es mdit zu Ir uh sein, el.e damals ge¬ 
scheiterten Bestrebungen nadi gese t/iidie r Regelung der Präge 
wieder aui/iinehmen. 

— Zur Be/ei c li n u n g als „S p e / i a 1 a r z t" (jS 5 des är zt- 
l'chen Stande.'Ordnung für das hoii.greidi Muhten ) hat der Aerzti. 
I hi engerichtshof für das komgre.ch Muhseti m vier Sitzung am 
G. Juli ei. J. folgende pr.n/.p.e.: wuhtge Lntsdie sdung getroffen. 

Der Arzt Dr. X. m D. Hatte suh as ..M'e/.a ar/t lur Magen- 
tmd Darmkranklieiten und Ner x ciikianUieitcn" bezodmet. Der zu- 
statulige 1 In eil rat hatte elresc Beze .diniiug a s un-danmiM erklärt. 
Dr. X. ei in .b dar aufti.n Berufung an den I, Irrer ge; dnsUm Letzterer 
al-er hat elas Urteil des l.hienrates mit bh.-eirder Begründung be¬ 
stätigt: 

„Selbst wenn man annimmt. d.i'S der Besdni’d ,;:e s..w<hi für 
Darm- und Magenkrankheiten ; ls muh im Ner x emsraukhe :ten 
eine genügende Ausbi Jung bes tzt. um s. v > dafür as Spez.aiar/t 
zu beze icliile n, s ■ ;st es vh di a»is«,e - -sc* n, dass er }| m,t 
beiden Spe/ialladiern gle.di/e.t.g „x <%% ie K e ud" be^cli.iltigen 

') Der Paragraph lautet: Du Pk/e-dm.img als S-u/.a r/t kommt 
nur dem Arzte zu. vier s.ci g: mul, , die Vts ■ ung in .lern !>e t'effende n 
Spezialladie erw-.rl-en iiat und s,di x-a w .cser.J n:.t eerr.se, i eil be¬ 
schäftigt. 1 Le m.ssbiai)cl;..c:ie Bt/e.d.:.u::g a.s Spez.a.arzt ist un¬ 
statthaft. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




25 . August 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1815 


kann (§ 5 St.-O.). Es folgt aus dem Begriffe des Wortes „vor¬ 
wiegend“, dass es sich dabei immer nur um ein Spezialfach 
handeln kann. Besteht ein so enger Zusammenhang zwischen zwei 
Gebieten der ärztlichen Wissenschaft, wie dies bei den Magen¬ 
krankheiten und Darmkrankheiten der Fall ist, so können diese 
beiden Gebiete sich sehr wohl als ein Spezialfach darstellen. Dass 
ein solcher Zusammenhang aber zwischen Magen- und Darmkrank- 
heiten einerseits und Nervenkrankheiten andererseits besteht, wird 
vom Beschuldigten selbst nicht behauptet. Es handelt sich dabei 
vielmehr — trotz mancher Berührungspunkte — um zwei ver¬ 
schiedene Fächer, von denen man sich immer nur mit einem „vor¬ 
wiegend“ beschäftigen kann. Der Beschuldigte darf sich dahier 
nach dem klaren Wortlaute des § 5 St.-O. auch nur für eins der 
beiden Fächer als Spezialarzt bezeichnen.“ 

— In ihrem Kampfe gegen den „Spezialarzt für Zahn- 
und Mundkrankheiten“ Dr. Johann Breitbach in Dresden 
haben sich die Dresdener Zahnärzte eine neue Niederlage geholt. Der 
Verein approbierter Zahnärzte in Dresden hatte beim kgl. Land¬ 
gericht Dresden den Antrag gestellt, den genannten Arzt auf Grund 
des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb zu bestrafen, weil 
er trotz des in dieser Sache ergangenen Reichsgerichtsurteiles den 
Titel „Spezialarzt für Zahn- und Mundkrankheiten“, wenn auch jetzt 
mit dem Zusatz „Nicht Zahnarzt“, weiter führe. Dieser Antrag war 
Anfang Juni vom Landgericht kostenpflichtig abgelehnt worden und 
die Zahnärzte hatten gegen diese Entscheidung bei dem zuständigen 
Oberlandesgericht Beschwerde erhoben. Auch diese Beschwerde 
wurde (Beschluss vom 30. VI. 1908) kostenpflichtig abgewiesen. In 
der .Entscheidung wird zunächst nochmals festgestellt, dass die Führung 
des in Rede stehenden Spezialarzttitels nicht „schlechthin“ unter¬ 
sagt sei. Ferner wird ausdrücklich hervorgehoben, dass das Reichs¬ 
gerichtsurteil kein generelles sei, sondern sich nur auf den Einzelfall 
des Dr. B r e i t b a c h beziehe. Das Obcrlandesgericht habe lediglich 
festgestellt, dass aus der Art, wie Dr. B. seine Zahnpraxis ausübe 
und kundgebe, zu- erkennen sei, dass er sich mit seiner Bezeichnung 
„Spiezialarzt für Zahn- und Mundkrankheiten“ als auch „Zahnarzt“ 
ankündige. Dieser Auslegung habe aber Dr. B. jetzt durch den 
Zusatz „Nicht Zahnarzt“ hinlänglich vorgebeugt, womit er dem vom 
Dresdener Landgericht seinerzeit erlassenen Gebote vollauf genügt 
habe. — Dass nicht jeder Spezialarzt für Zahn- und Mundkrankheiten 
durch Führung dieser Bezeichnung gegen das Gesetz über den un¬ 
lauteren Wettbewerb verstosse, haben die Gerichte bereits in einem 
anderen Falle dadurch bekundet, dass der beklagte Spezialarzt frei¬ 
gesprochen wurde. (Sächs. Korr.-Bl.) 

— Der Kaiser hat aus seinem Dispositionsfonds der Robert- 
Kochstiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose 
100 000 M. bewilligt Die Sammlung hat damit einschliesslich der 
Carnegiespende von 500 000 M. die Summe von 1 Million über¬ 
schritten. 

— Die Akademie der Medizin in New York hat ein V e r z e ic h - 
nis der bedeutendsten medizinischen Biblio¬ 
theken, besonders solcher, die von ärztlichen Gesellschaften, 
Hospitälern, medizinischen Schulen unterhalten werden, unter Aus¬ 
schluss der medizinischen Abteilungen allgemeiner öffentlicher Biblio¬ 
theken, angelegt. Hiernach besitzt die grösste medizinische Biblio¬ 
thek mit 175 000 Bänden die medizinische Fakultät in Paris; es folgt 
die Bibliothek der Kaiserl. Akademie der Medizin in St. Petersburg 
mit 170 000 Bänden und die durch ihren grossen Katalog berühmte 
Bibliothek des Surgeon Generals Office in Washington mit 
158 791 Bänden. 100 000 Bände haben die Bibliothek der medi- 
ziirischen Akademie in Brüssel und der Akademie der Medizin in 
Paris. In den Vereinigten Staaten haben grosse Bibliotheken ausser 
der schon genannten die Akademie der Medizin in New York 
(85 000 Bände), das College of Physicians in Philadelphia (84 423 
Bände), die medizinische Gesellschaft von Brooklyn (65 ü(X) 
Bände) und Boston (57 493 Bände). Die grösste Bibliothek Gross- 
britanniens hat das R. College of Physicians in Edinburg mit 
80 000 Bänden; es folgen die Royal Society of Medicine und das 
R. College of Surgeons, beide in London, mit 70 000 bezw. 60 000 
Bänden und das College of Physicians and Surgeons in Glasgow 
(50 000 Bände). Die deutschen medizinischen Büchersammlungen 
müssen sich mit einem bescheidenen Platz begnügen; das Verzeichnis 
nennt nur die Bibliothek der Kaiser-Wilhelms-Akademie in Berlin 
mit 65 000 .und die der Berliner medizinischen Gesellschaft mit 
30 000 Bänden. Sonstige bemerkenswerte medizinische Bibliotheken 
besitzt das Medical College of Bengal in Kalkutta (50 000 Bände), 
das Karolinische Institut in Stockholm (40 000 Bände), die wissen¬ 
schaftliche Schule in Florenz (30 000 Bände), die Universität Kyoto, 
Japan (25 000 Bände). Die 56 000 Bände zählende Bibliothek des 
Aerztlichen Vereins München fehlt in dem Verzeichnis. 

— Im Herbste dieses Jahres werden an den hygienischen Insti¬ 
tuten der drei bayerischen Landesuniversitäten erstmals Kurse zur 
Ausbildung von Desinfektoren stattfinden. Der Kurs 
am hygienischen Institut in München wird in der Zeit vom 19. bis 
26. Oktober, der Kurs am hygienischen Institut in Erlangen in der 
Zeit vom 12. bis 19. Oktober, der Kurs am hygienischen Institute 
in Würzburg in der Zeit vom 23. bis 31. Oktober abgehalten. Ausser¬ 
dem werden die bisher an der K. Bakteriologischen Untersuchungs- 
Station in Landau i. Pfalz eingerichteten Kurse fortgesetzt. Diese 


Kurse sind unentgeltlich (für Bedienung 2 M.); Gesuche um Zu¬ 
lassung sind mit den erforderlichen Belegen 2 Monate vor Beginn 
des Kurses bei den Distriktspolizeibehörden einzureichen. Es ist 
Vorsorge getroffen, dass unbemittelte Teilnehmer Unterstützungen 
aus öffentlichen Mitteln erhalten. Nach Beendigung des Kurses wer¬ 
den die Teilnehmer einer Prüfung unterzogen, über deren Erfolg 
ein Zeugnis ausgestellt wird. 

— Desgleichen hat das K. Staatsministerium die Abhaltung von 
Kursen zur Unterweisung der Amtsärzte im Des- 
infektionswesen an den 3 Landesuniversitäten angeordnet. 
Diese Kurse sollen die Amtsärzte zu einer gleichmässigen- Beaufsichti¬ 
gung und Unterweisung der ausgebildeten Desinfektoren ihres Be¬ 
zirkes befähigen. Der Unterricht wird in der Regel von den Vor¬ 
ständen der hygienischen Institute erteilt. Die Kurse dauern 3 Tage, 
ihr Beginn wird jeweils amtlich bekannt gegeben. Mit der Ein¬ 
richtung der Kurse hat das K. Staatsministerium des Innern gleich¬ 
zeitig die notwendigen Anordnungen erlassen, um die Aufstellung von 
verlässigen und sachverständigen Desinfektoren in den unmittelbaren 
Städten und in den Distrikten in der dem Bedürfnis entsprechenden 
Zahl und örtlichen Verteilung zu sichern. Ihre Beaufsichtigung in 
technischer Beziehung obliegt den Amtsärzten. 

— Für den kurzfristigen Zyklus unentgelt¬ 
licher Fortbildungskurse in Berlin (vom 19.—31. Oktober) 
gelangt soeben das Teilnehmerheft zur Ausgabe. Der erste Abschnitt 
umfasst das Kursprogramm, den Arbeitsplan und die Ausweise. Der 
zweite Abschnitt ist ein Wegweiser für den in BerLin fremden Arzt, 
der hier alle erforderlichen Hinweise in übersichtlicher Anordnung 
findet (Wohnung, sämtliche medizinischen und hygienischen Institute, 
Verkehrswesen usw.). Der dritte Abschnitt ist eine Zusammenstel¬ 
lung der Vergünstigungen, welche den- Teilnehmern in den Berliner 
Theatern während der ganzen Dauer des Zyklus gewährt werden. An 
der Veranstaltung kann jeder deutsche Arzt gegen Erlegung einer 
Einschreibgebühr von M. 15 teilnehmen. Meldungen sind zu richten 
an das Kaiserin Friedrich-Haus (z. Hd. des Kassiers, Herrn O. Z ü r t z, 
Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4). 

— An dem psychiatrischen Fortbildungskurs, der 
in München vom 9. bis 28. November d. Js. stattfindet, wird sich 
Prof. Li ep mann-Berlin mit 10 einstündigen Vorträgen (12. bis 
23. November) über „Aphasie, Apraxie und Agnosie“ beteiligen. 

— Eine kurze aber vortreffliche Uebersicht über alle Fragen der 
„Krankenversicherung“ gibt Dr. H. Scholl- München in 
einer im Verlage des „Fortschritt“-München erschienenen kleinen 
Broschüre. Der Stoff wird nach folgender Einteilung behandelt: 
1. der Kreis der versicherten Personen; 2. die Träger der Ver¬ 
sicherung, d. h. die verschiedenen Krankenkassen; 3. die Leistungen 
der Krankenkassen; 4. die Aufbringung der Mittel; 5. der Rechtsweg; 
6. Umfang und Wirkung der Krankenversicherung. Aui kleinstem 
Raun; ist hier dasjenige aus dem grossen Gebiete zusammengestellt, 
was jeder Staatsbürger, besonders aber jeder Arzt, darüber wissen 
sollte. 

— Cholera. Russland. Laut Bekanntmachungen der Kommission 
zur Bekämpfung der Pest sind bis zum 8. August an der Cholera er¬ 
krankt (und gestorben) im Gouv. Astrachan 126 (54), im Gouv. Sa¬ 
ratow 215 (105), im Gouv. Samara 4 (3). 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 26. Juli bis 2. August 
3 Personen an der Pest erkrankt und 2 gestorben. — Aegypten. 
Vom 1.—7. August sind an der Pest 21 Personen erkrankt (und 
3 gestorben). — Britisch-Ostindien. Während der beiden Wochen 
vom 28. Juni bis 11. Juli sind in ganz Indien 512 -f 569 Erkrankungen 
und 435 - 453 Todesfälle an -der Pest zur Anzeige gelangt. 

— In der 32. Jahreswoche, vom 2.—8. August 19U8, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Recklinghausen mit 46,0, die geringste Dt. Wilmersdorf mit 6,5 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlach in Zabrze, an Masern und Röteln 
in Flensburg, an Keuchhusten in Gleiwitz, Linden, Remscheid. 

V. d. K. G.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Frankfurt a. M. Privatdozent Dr. Bernhard Fischer- 
Bonn-Köln hat den Ruf an das Senckenbergische pathologisch-ana¬ 
tomische Institut als Nachfolger Albrechts angenommen. 

Bern. Der a. o. Professor für medizinische Chemie und 
Pharmakologie, Dr. Emil B ü r g i wurde zum ordentlichen Professor 
ernannt, (hc.) 

Bologna. Habilitiert: Dr. O. Viana für Geburtshilfe. 

N e w Y o r k. Dr. Andrew Hunter zum a. o. Professor der 
Physiologie an der Cornell-Universität ernannt. 

Ofen-Pest. Habilitiert: Dr. E. Wein für Chirurgie. 

W i e n. Der o. Professor Dr. med. Joseph M o e 11 c r in Graz 
ist aui den Lehrstuhl der Pharmakognosie an der hiesigen Universität 
berufen worden, (hc.) 

(Berichtigung.) In der Arbeit: „Magen-motilitäts- 
prüfungen mit Hilfe der Röntgenstrahlen“ von Dr. K a e s 11 e soll es 
auf S. 1736, rechte Spalte, 2. Zeile heissen: „dadurch und weil es sich 
um u n verdauliche Massen handelt“, statt „um v e r dauliche Massen“. 


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Original fram 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1816 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3-f. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung. Dr. Wilhelm Ortloph in Unter¬ 
steinach i. Steigerwald. — Dr. Rud. diesen, appr. I9D7, in Pomulorf. 

Verzogen. Dr. P i p e r in Eslarn, 13.-A. Vohenstrauss, nach 
Fiirstenwerder in der Uckermark. 


Bekanntmachung, 

die Anstellung eines Landesgewerbearztes betreffend. 

Auf Qrund des ordentlichen Budgets für die Jahre I9i»S und 19i>9 
ist die Stelle eines Landegewerbearztes zu besetzen, der die üe- 
werbeaufsichtsbeamten des Königreichs als hygienischer Fachmann 
beraten soll. 

Der Landesgewerbearzt muss mit der wissenschaftlichen Me¬ 
thodik, sowohl der statistischen als der experimentellen, vertraut und 
für hygienisch-ätiologische Untersuchungen durch entsprechende 
Schulung in der klinischen, physikalisch-chemisch- und bakteriolo¬ 
gisch-hygienischen Methodik vorgebildet sein. 

Dem Landcsgewerbcarzt werden Dienstreisen zum Zweck des 
Besuches von Fabriken und sonstigen gewerblichen Betriel>en in er¬ 
heblichem Umfang obliegen. Fr ist den Kgl. (iewerberüten koordiniert. 

Bezüge nach der am 1. Januar 19»>9 in Kraft tretenden (iehalts- 
ordnung 48(X) M. Anfangsgehalt, der alle .3 Jahre um 5m M. bis zu 
7200 M. steigt; eventuell Bureauentschädigung; bei Dienstreisen 
Reisekostenersatz und Tagegeld von 11 M. Ausübung von Privat¬ 
praxis ausgeschlossen. 

Amtssitz: München. 

Bewerbungsgesuche sind mit geeigneten Belegen über Vor¬ 
bildung und etwaige bisherige wissenschaftliche Arbeiten 
bis 15. Oktober I i d. J s. 
beim unterfertigten Staatsministerium einzureichen. 

München, den 16. August 1908. 

Kgl. Staatsministerium des Kgl. Hauses und des Aeussern. 
gez.: Frhr. v. P o d e w i 1 s. 


Amtliches. 

(Preussen.) 

Behandlung der Spezlalistenfrage. 

„Der Minister der geistlichen, 

Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. 

M. Nr. 4264/07. U I. 

Die zunehmende Zahl von Spezialärzten, welche zum Teil diese 
Bezeichnung sich ohne eine genügende wissenschaftliche besondere 
Vorbildung und ohne die erforderliche praktische Uebung beilegen, hat 
mich veranlasst, die Erweiterte Wissenschaftliche Deputation fur das 
Medizinalwesen gutachtlich über die Frage zu hören: 

„Soll die Berechtigung der Aerzte, als Spezialärzte für einzelne 
Gebiete der praktischen Medizin sich zli bezeichnen, an bestimmte 
Bedingungen geknüpft werden und zutreffenden Falles an welche?" 

Die genannte Deputation hat in ihrer Verhandlung am 16. Oktober 
vorigen Jahres ihre gutachtliche Auffassung in folgenden Sätzen 
niedergelegt: 

„1. Die Berechtigung der Aerzte, sich als Spezialarzt fiir ein¬ 
zelne Gebiete der praktischen Medizin oder mit einem anderen 
gleichbedeutenden Titel öffentlich zu bezeichnen, ist an bestimmte 
Bedingungen zu knüpfen. 

2. Folgende Finzelgcbicte der Medizin kommen zurzeit haupt¬ 
sächlich in Frage: 

a) InnereMedizin. 

b) Chirurgie. 

c) Augenheilkunde. 

d) Hals- und Nasen- oder Ohrenkrankheiten. 

e) Geburtshilfe und Gynäkologie. 

f) Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

g) Nerven- oder psychische Krankheiten. 

h) Kinderheilkunde. 

3. Für die Berechtigung, sich als Spezialarzt oder mit einem 
anderen gleichbedeutenden Titel öffentlich zu bezeichnen, ist eine be¬ 
sondere Ausbildung nach Erlangung der ärztlichen Approbation zu 
fordern. 

Die besondere Ausbildung muss bestehen: in der wissenschaft¬ 
lichen Fortbildung und praktischen Beschäftigung während eines Zeit¬ 
raumes, der erfahrungsgemäss zur selbständigen Betätigung auf dem 
gewählten Gebiete erforderlich ist. 

In der Regel sind drei Jahre als erforderlich zu erachten. 

4. Die besondere Ausbildung muss in Universitätsanstalten, An¬ 
stalten der Akademien für Praktische Medizin, Spezialabteilungen 
grösserer Krankenhäuser oder bei anerkannten Spezialärzten ge¬ 
wonnen w'erden und zwar in der Stellung als Assistent. Ein Ver¬ 
zeichnis der in Betracht kommenden Anstalten und Spezialärzte wird 
alljährlich von der zuständigen Behörde aufgestellt und veröffentlicht. 


Ausnahmen können unter b esor.de; en Verhalt i>sen von der gleichen 
Behörde zugelassen werden. 

5. Dauer und Erfolg der spezialistischeii Beschäftigung smJ 
durch eine Bescheinigung des aiMnldenden Arztes i adi^iw cacm." 

Von den Referenten ist bei der Beratung unter Zusi.mmuug 
der Mehrzahl der Mitglieder der Erweiterten W is>e:;s J.aitäcken De¬ 
putation der Meinung Ausdruck gegeben, dass es sich empieh eri 
werde, die Speziahstenirage als eine ärztliche Standenage zu be¬ 
handeln und die weiteren Schritte zunächst der är/t.ichcn Standes¬ 
organisation (Einwirkung der Aerztekamnier. Ehrengerichte* zu über¬ 
lassen. Indem ich dieser Auffassung Rechnung trage und m den Be¬ 
schlüssen der Deputation eine geeignete Grur.d.age fur eine e.rtst- 
weilige aussergeset/hchc Gestaltung vier Behänd.img der Spe/iahstcn- 
frage erblicken mochte, sehe ich zurzeit von emer W c.ter\erndgung 
der Angelegenheit meinerseits ab und ersuJie Ew. Ev/cücuz er¬ 
gebenst. der Aerztekamnier für die dort.ge Provinz die Besch uxse der 
Erweiterten \\ isseiischattiu.heii Deputation für das Med./.naiw esc» 
zur weiteren geeigneten Bekanntgabe unter den Aerztcn des kam- 
merbezirks gefälligst mit/uteiien. 

Von der Aufstellung des in /;!!. 4 der Beschüsse in Auss.Jit 
genommenen Verzeichnisses wird d.esxeits vor.aung abgesehen." 


Korrespondenz. 

Praktisches Jahr. 

Der S 14 der jungst erschienenen ..\nwcMi.ig über das prak¬ 
tische Jahr der Mediziner" lautet: 

../ur Erreichung des Zieles des Praktischen Jahres geragt 
es nicht, dass der Kand.dat nur die Morgen- mul Vbend\.s:tc m:t- 
tnacht. im iibrigen aber \oti der Anstalt icrnbie.bt. \ ic.mthr ist 
es erforderlich, dass er x.Ji wahrend des Iagcs dauernd :n der 
Anstalt aufhalt und sich ganz der Bt iiardlung und vier Be.'b.uh- 
tung der Kranken wohnet. Deshalb ist es w unsJjctsxw ert* dass 
der Kandidat wahrend seiner praktischen lut.gkeit .n einer Kran¬ 
kenanstalt m der seil'eil Wohnt und \erp;iegt w.rd. t icstatten de 
Verhältnisse die Unterbringung des Kandidaten in der Kranken¬ 
anstalt mclit, so sollte ihm we- igsftjis d.e Mog ; v hke;t, s.ch in der 
Anstalt zu beköstigen, gewahrt werden." 

In einer Zuschrift aus Praktik.inieiikreiseii an uns wird nun 
darauf luugew lesen, dass diese Bestimmung gerade Non den 1 m- 
N ersitätskliiukeit und sonstigen staatlichen Aust.i teil nicht tri 11 
wird. Wahrend sehr \iele Leine re K ra ikenn.niser den Brak: kanten 
freie Wohnung und Verpflegung gewahren, müssen d.ese in den 
freisten Umversitatsk’imken aussirha b der Vnstu't wetten und s .Ji 
selbst vet pflegen. Darunter leidet nicht nur. was der erwähnte 
§ 14 der Anweisung gerade verhüten w II. d.e Aus’--'Jung. S' : d.m 
es können auch nur w ohibeiuitteite I eilte au Kän ktn prukiv.crcn. 
wahrend minderbemittelte geiiot.gt sind, d.e k.v.ueren Ausladen aut- 
zusuehen. Eis waie aber im Interesse der K mken ge.egen, wenn 
.sie ihr Praktikanteiimatci :a]« aus dem s.ch \ii.iuch d.e \ss>;euten 
rekrutieren, nicht nach dem Vermögen, sondern mich vier l icht g- 
kut auswählen konnten. Nicht in jeder Khu.k w.rd iur Brak t.kanten- 
wohnungen gelingend Platz vorhanden scu: überall aber '.isst sdi 
die Verköstigung d**r Praktikanten im Mause gegen Ersatz der 
Selbstkosten einrichten. Es bedarf wob, nur e.ncr V-ostv ,m;g an zu- 
stäi'.digcr Stelle, um das zu erreichen mul daunt den § 14 der An¬ 
weisung auch m den staatlichen Aust.i teil du. ch/u; .hrcii. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 32. Jahreswoche vom 2. bis 8. Aug. löos. 

Bevolkcrungszahl 55o um. 

Todesursachen: Angeborene Ecbensschw. (E Leb.-Ml in (15*i, 
Altcrssehw. <uh. (>n J.) 2 (4). kindbcttiiebcr 1 11, and. E'olgeu der 
Geburt 1 (1), Scharlach 2 (I). Masern u. Röteln 1 < -), Ikphth. u. 
Krupp — (3), Keuchhusten 2 dl, T\phus - i h. ubertragb. Tierkrankh. 
— (—g Rose (Er\sipel) -- dl. and. W undmfcktionskr. uinsctil. Biut- 
u. Eitervergift.) 1 <3i. Tuberkul. d. Einigen 21 ( Joi, luberkul. and. 
Org. 2 ((>), Miliartuberkul. 3 t2), Eungeuent/uud. ilbiemnoii.i s Hi, 
Influenza 1 ( —). and. ubertragb. Krunkh. 4 <7), Entzünd. d. Atmungs- 
orgaue 2 (2). sonst. Krankt), derselb. 1 (4i. orgam Mer/leul ln iUn, 
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg (eiuschl. Mer/sdilagi 14 i71. * iehirnschiag 
3 (f>l, (ieisteskrankh. 2 (4l. Eraiseti. I klamps. d. Kinder 5 1 3». and 
Krankh. d. Nervensystems (3 ». Magen- u. Darm.-K at . IWu!ulu r chfail 
(einschl. Abzehrungi 35 (3m, Krankh d. I eher 4 i % Krankh. des 
Bauchfells 1 (I). and. Krankh. d. Verdauungsorg. 7 dg Krankh d. 
Harn- u. < ieschleclitsorg. 2 i5i. Krebs iKar/moiii. Krankroidi In d‘n. 
and. Neululdg. (emsclil. Sarkom.) 5 t3>. >«.'hstue nd 1 ( i, 1 od durch 
fremde Band — (—). I nglucksf.tile 4 d"i, aiiy ubrig. Krankh. 7 i3>. 

Die (iesamt/ahl der Merbei.ilie I s a < m. V edi.iltuis/.ahl auf das 
Jahr und Imimi Einwohner iin allgemeinen 17.1 d l '.3i. iur die aber 
dem 1. Lebensjahre stehende Be\o!kcrung ll.n (12Jö. 


•) Die emgeklammcrten Zahlen bedeuten die E.iüe der Vorwoche. 


Verleg tos j. F. Lehm ab* 1b München. — Prack von E. MUhltbelcn ud Kiuutdrackcru A O.. Muachce. 

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Original from 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 








(Me Münchener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich 
Im Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. • Preis der einzelnen 
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Herausgegeben von 

O.T.Innerer, th.Heiler, lUBelliip, I.(Miami, H.BeHerich, I.r.Leibe,G.v.lerkel,J.v.lichel, l Peazoldt, 8.v.Ranke, 1.Spatz, f.liierte!, 

München. Freiburg 1. B. München. Leipzig. Eisenach. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 


No. 35. 1. September 1908. 


Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann. Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


(Nachdruck der Orighudartikel ist nicht gestattet.) 


Originalien. 

Aus der medizinischen Klinik in Heidelberg (Geheimrat Prof. 

Dr. K r e h 1): 

Einige Beobachtungen bei experimentellen Anämien. 

Von Dr. P. M o r a w i t z und Dr. J. P r a 11 aus Boston (Mass.). 

Bei Gelegenheit experimenteller Untersuchungen über die 
Sauerstoffversorgung bei Anämien 1 sind wir auf einige Er¬ 
scheinungen gestossen, die ein gewiss allgemeines Interesse 
bieten und eine kurze vorläufige Mitteilung rechtfertigen. 

Es handelte sich bei' unseren Versuchen darum, fest¬ 
zustellen, welche kompensatorischen Vorrichtungen im Orga¬ 
nismus des Anämischen herangezogen werden, um eine ge¬ 
nügende Versorgung der Gewebe mit Sauerstoff zu ermög¬ 
lichen. 

Die Versuche wurden grösstenteils an Kaninchen aus¬ 
geführt, bei denen durch Injektion eines Blutgiftes — wir 
haben dazu das salzsaure Phenylhydrazin gewählt — eine 
chronische Anämie hervorgerufen wurde. Meist wurden die 
Tiere nach 2 bis 4 Wochen, wenn sie stark anämisch geworden 
waren, getötet. In einigen Versuchen haben wir uns auch der 
einfachen Blutentziehung bedient. Täglich oder alle zwei Tage 
entnahmen wir aus einer Ohrvene 10—20 ccm Blut. Diese 
Methode ist etwas mühsam und bei manchen Tieren ist man 
nicht imstande, dadurch eine Anämie von längerer Dauer zu 
erhalten, weil die Ohrvenen bald thrombosieren. Bei einigen 
Kaninchen konnten wir aber auch auf diesem Wege Anämien 
von 3—4 wöchiger Dauer hervorrufen. Um genügend Blut zu 
bekommen, muss man eine Hyperämie des Ohres erzeugen, 
was durch Abreiben mit Xylol leicht gelingt. Doch bekommen 
viele Kaninchen danach eine Ohrentzündung. 

Im Blute der anämischen Tiere wurden nun Hämoglobin¬ 
bestimmungen, Analysen der Blutgase und Eisenbestimmungen 
vorgenommen. Auf die Resultate dieser Untersuchungen, die 
mit ähnlichen Versuchen an anämischen Menschen parallel 
gehen, wird an anderer Stelle ausführlicher einzugehen sein. 
Zum Verständnis des folgenden muss aber bemerkt werden, 
dass die Hämoglobinbestimmungen mit der von Haldane 1 ) 
verbeserten Q o w e r s sehen Methode ausgeführt wurden. Bei 
dieser Methode wird das Blut in einem graduierten Röhrchen 
mit destilliertem Wasser lackfarben gemacht und die Farbe 
der klaren Blutlösung mit einem Standardröhrchen verglichen, 
das eine Lösung von Kohlenoxydhämoglobin enthält. Zur 
Blutgasbestimmung diente die von Barcroft und Hal¬ 
dane 2 ) ausgearbeitete Methode. Hierbei wird aus dem Blut 
der Sauerstoff durch Ferrizyankalium in Freiheit gesetzt und 
das Volumen des entwickelten Gases durch ein feines 
Wassermanometer gemessen. Das Bhit muss vor Zusatz des 
Ferrizyankaliums im Apparat durch eine schwache Ammoniak¬ 
lösung vollständig lackfarben gemacht werden. Ferrizyan¬ 
kalium setzt den Sauerstoff nämlich nur aus gelöstem Hämo¬ 
globin in Freiheit, nicht aber aus intakten roten 1 Blutkörper¬ 
chen. Zum Verständnis des Folgenden sind- diese kurzen 
methodischen Bemerkungen notwendig. 

Unsere Aufgabe bestand darin, das maximale Sauerstoff- 
bitidungsvermögen des Hämoglobins bei anämischen Tieren 


*) Haldane: Journ. of. Physiol. 26, 501. 

► *) Barcroft und Haldane: Journ. of Physiol. 28, 232, 1902. 
No,'35 


zu untersuchen und ferner festzustellen, ob bei Anämien die 
prozentische Ausnutzung des im arteriellen Blute enthaltenen 
Sauerstoffs vermehrt ist. Man weiss ja, dass beim Normalen 
nur ungefähr ein Drittel des gesamten Sauerstoffvorrates in 
den Kapillaren verschwindet, von den Geweben verbraucht 
wird; das venöse Blut ist also noch etwa zu zwei Dritteln mit 
Sauerstoff gesättigt. 

Diesen Versuchen stellten sich nun einige ganz unerwartete 
Schwierigkeiten entgegen». 

Nach den ausgedehnten Untersuchungen von Tall- 
q u i s t 3 ) tritt bei Hunden, die man durch Injektion von Phenyl¬ 
hydrazin oder Pyrodin (Azethyl-Phenylhydrazin) anämisch 
macht, sehr bald eine gewisse Immunität gegen das Gift ein. 
Im Verlaufe des Versuches sind allmählich immer grössere 
und grössere Dosen von Pyrodin erforderlich, um die Anämie 
zu steigern oder auch nur auf dem erreichten Stadium zu 
halten. Starke individuelle Schwankungen kommen hierin bei 
Hunden zwar vor, die vermehrte Resistenz gegen das Gift 
ist aber die Regel. Diese Angaben sind inzwischen von 
Mosse und Rothmann 4 ), Samuely 5 ) u. a. bestätigt 
worden. T a 11 q u i s t ist der Ansicht, dass es sich hier nur 
um eine scheinbare Immunität handelt, indem im Verlaufe 
der Anämie die regeneratorische Tätigkeit des Knochenmarkes 
dauernd steigt, weil das rote, erythroblastische Mark sich über 
immer grössere Partien des Skelettsystems ausdehnt. Ausser¬ 
dem hält es T a 11 q u i s t auch für möglich, dass die Leuko¬ 
zyten im Verlaufe des Versuches die Fähigkeit gewinnen, das 
Gift unschädlich zu machen 6 ). 

Auch wir haben in unseren Versuchen an Kaninchen die 
Angabe bestätigen können, dass sehr bald immer grössere 
Dosen des Blutgiftes zur Steigerung der Anämie erforderlich 
sind. Die Hauptursache dafür liegt aber sicher nicht in den 
von T a 11 q u i s t herangezogenen Momenten, sondern in einer 
Steigerung der Resistenz der roten Blut¬ 
körperchen gegen alle hämolytisch wirken¬ 
den Momente, soweit wir solche geprüft haben. 

Injiziert man Kaninchen täglich 0,01 g salzsaures Phenyl¬ 
hydrazin subkutan, so beobachtet man, dass nach etwa 4 bis 
5 Tagen die Hämoglobinbestimmung nach Haldane nicht 
mehr möglich ist, da es nicht gelingt, die Blutkörperchen durch 
destilliertes Wasser vollständig zu zerstören. Bei weiteren 
Injektionen nimmt die Resistenz noch mehr zu, so dass auch 
das Lackfarbenmachen des Blutes mit Ammoniak, wie es für 
die Gasanalyse nach Barcroft-Haldane erforderlich ist, 
nicht mehr möglich ist. Versuche an Suspensionen ge¬ 
waschener und in Kochsalzlösung aufgeschwemmter roter 
Blutkörperchen zeigen, dass diese Eigenschaft vornehmlich, 
wenn nicht ausschliesslich den Blutkörperchen selbst, nicht 
dem Serum zukommt. Die Blutkörperchen der anämischen 
Tiere zeigen diuxhweg eine vermehrte Resistenz gegen hypo¬ 
tonische Salzlösungen, Alkalien, Saponin, Chloroform, Aether 


3 ) Tallquist: Ueber experimentelle Blutgiftanämien. Berlin 

1900. 

4 ) Mosse und Rothmann: Deutsche med. Wochenschr. 1906/ 
No. 4 u. 5. 

5 ) Samuely: Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 89, S. 220, 1906. 
°) Tallquist kritisiert übrigens auch die ältere Angabe von 

Bignami und Dionisi. (Zentralbl. f. allg. Pathol. 1894, S. 422), 
die eine „Immunität der roten Blutkörperchen" vermutet, aber durch 
keinen Versuch bewiesen hatten. 

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1818 


MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. ,1*. 


und hämolytisch wirkende Sera. Die Rcsistcnzvcrmehrung 
ist in einigen Versuchen so stark, wie sie bisher weder unter 
normalen, noch unter pathologischen Verhältnissen beobachtet 
worden ist und zwar ist, worauf wir besonderen Wert legen, 
sowohl die maximale als die minimale Resistenz der roten 
Blutkörperchen stark erhöht. Bekanntlich verhalten sich schon 
unter normalen Verhältnissen nicht alle Blutkörperchen des¬ 
selben Individuums in dieser Hinsicht gleich, worauf beson¬ 
ders Janowsky 7 ) hingewiesen hat. Die am wenigsten 
resistenten roten Blutkörperchen des Menschen werden schon 
von einer 0,6proz. NaCI-Lösung aufgelöst, die resistcntesten 
erst bei 0,3 Proz. In einigen unserer Versuche war normales 
Kaninchenblut schon total hämolysiert, während im anämischen 
noch keine Spur von Hämolyse beobachtet wurde. Die mini¬ 
male Resistenz des anämischen Blutes liegt also in diesem 
Palle noch höher, als die maximale des normalen. 

Es ist nun natürlich sehr verlockend, in dieser merk¬ 
würdigen und so schnell eintretenden Veränderung eine Schutz¬ 
vorrichtung des Organismus bei schweren Anämien zu sehen, 
die dann in teleologischem Sinne zu deuten wäre. So ganz 
einfach liegt aber die Präge nicht; denn bei unseren Versuchen, 
allein durch Blutentziehungen eine Vermehrung der Resistenz 
hervorzurufen, haben wir in zwei Fällen nur eine recht ge¬ 
ringe Resistenzvermehrung bemerken können, obwohl sich die 
Versuche über etwa vier Wochen ausdehnten und die Anämie 
ebenso schwer war, wie bei den mit Phenylhydrazin be¬ 
handelten Tieren. Es kann sich bei der Steigerung der Re¬ 
sistenz daher offenbar um zweierlei handeln: entweder ist 
dafür die Einführung eines Giftes in den Organismus mass¬ 
gebend oder aber der Umstand, dass bei dem mit Phenyl¬ 
hydrazin behandelten Tier ein reichlicher Zerfall roter Blut¬ 
körperchen im Organismus selbst stattfindet. Wir glauben 
nun dem letzteren Moment eine gewisse Bedeutung zuschreiben 
zu müssen; denn bei einem Kaninchen, das dnr.1i Ade-lä^c 
anämisch gemacht, dem aber zu gleicher Zeit, lackiertes Blut 
intraperitoncal injiziert wurde, fand sich schon nach S 'l agen 
eine deutliche Resistenzvermehrung der Erythrozyten. Das 
spricht dafür, dass die Resistenzvermehrung nicht ausschliess¬ 
lich als Wirkung des Giftes aufzufassen ist, sondern dass aus 
den zerfallenden Erythrozyten Substanzen frei werden, die in 
noch unbekannter Weise auf die Erythrozyten einwirken. 

Etwas klarer werden diese verwickelten Verhältnisse, 
wenn man die bisherigen Resultate solcher Untersuchungen 
bei menschlichen Anämien überblickt. Wir verweisen hierbei 
besonders auf die ausführliche Darstellung dieses Gegen¬ 
standes bei Bezancon und L a b b e *) und R i b i e r r e “), 
wo sich zahlreiche Literaturangaben finden. Die Resultate der 
Resistenzbestimmungen sind bei schweren Anämien ausser¬ 
ordentlich widersprechend: während einige Autoren eine Ver¬ 
mehrung gefunden haben, geben andere eine Verminderung an. 
Auch wir haben bei Gelegenheit von Blutgasuntersuchungen 
bei 20 Fällen von Anämie verschiedener Art mehrfach be¬ 
obachtet, dass sich das Blut gar nicht oder nur sehr schwer 
durch Ammoniak lackfarbcn machen lässt, während das in 
anderen Fällen leicht gelingt. 

Aus den Beobachtungen von Jakusche wsky 10 ) er¬ 
gibt sich aber nun — die Arbeit war uns leider nur im Referat 
zugänglich —, dass die Resistenzveränderungen der Erythro¬ 
zyten einem schnellen Wechsel unterworfen sind. Eine Resi¬ 
stenzvermehrung hat er, auch bei Anämien, in der Regel zu¬ 
gleich mit einer Verschlimmerung der klinischen Symptome 
beobachtet. Er hat den Eindruck gewonnen, dass eine Re¬ 
sistenzerhöhung so lange besteht, als toxische Substanzen im 
Organismus kreisen. 

Wir haben nun beobachtet, dass schon 4 6 Tage nach 
Aussetzer, der Injektionen die vorher so starke Rcsistenz- 
vermehrung der roten Blutkörperchen verschwunden ist. 
Diese Erscheinung ist nach zwei Richtungen hin von Inter- 

7 ) Janowsky: Klinische Wochcnsdir. 1KS9, St. Petersburg 
lrussisch); zit. nach Lang: Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 47. S IM 
> 302 ff e 7 a n g 0 n und L a b b Traite d'Hematologie. Paris 19i 4. 

^ Ri hier re: Polin haematologica. II. 1905. 5. 15.3. 
c *1^. k u s cJ 1 e w s k y: Russ. nied. Rundschau, 1904, No. 6 , 

*>• 345. Zit. n. Polia haematologica, II, S. 21. 


esse: Erdens erklärt sie die widersprechenden Resultate der 
Untersuchungen bei menschlichen Anämien. Die perniziöse 
Anämie verläuft in der Regel in Schüben. Remissionen wech¬ 
seln mit Verschlechterungen des Blutbildes ab. Die Angabe 
von J a k n s c h e w s k y. dass die Resisten/vcrmchrung be¬ 
sonders bei \ erschümmerungcn der klinischen Symptome be¬ 
obachtet w; r d, gewinnt in diesem Zusammenhänge an Be¬ 
deutung. Der Wechsel der Resistenz kann eben mit sehr 
grosser Schnelligkeit erfolgen. In diesem Sinne glauben wir 
daher in der R e s i s t e n z v e r m e h ru n g der Ery- 
t h r o 7 y t e n, d i c bei s c h w e r e n A n ä m i c n ver- 
s c h i e d c n e r Art u n t e r g e w i s s e n Beding u n g e n 
beobachtet w i r d, eine Schutz v o r r i c h t u n g d e s 
ü r g a n i s m u s z u sc h e n, deren Bedeutung w enigstens bei 
der experimentellen Phcnylhydra/inanämic sehr hoch ver¬ 
anschlagt werden muss. 

Aber die Beobachtung, die vorhin erwähnt wurde, lässt 
noch einen anderen Schluss zu. Bei der grossen Geschwindig¬ 
keit, mit der die roten Blutkörperchen nach Aussetzeii der 
Injektionen ihre vermehrte Resistenz verlieren, ist es wohl 
sicher, dass man es mit wirklichen Aenderungeii der zir¬ 
kulierenden Blutkörperchen zu tun hat und nicht, wie mehr¬ 
fach vermutet wurde, mit der Neubildung mehr oder weniger 
resistenter Elemente im Knochenmark. Welcher Art aber J;e 
Veränderung ist, die den ResisteuzversJiiebiingen der Erythro¬ 
zyten zugrunde liegt, können wir leider vorläufig nicht sagen. 
Wir sind übrigens mehr geneigt an feine physikalische \er- 
änderungen zu denken. Das durfte mehr im Einklänge stehen 
mit der Tatsache, dass die Erhöhung der Resistenz gegenüber 
allen von uns untersuchten hämolytisch wirkenden Substanzen 
nachweisbar ist, am stärksten aber gegenüber Aenderur.gen 
der Isotonie. 

Eine weitere Schwierigkeit ergab sich für ur.se re gasar.a- 
lytischen Versuche aus einer Erscheinung, d:e im felgenden 
mitgeteilt werden soll. Es handelt sich kurz gesagt um das 
Auftreten reduzierender, s a u e r s t o f f z e h r e n - 
der Substanzen im Blute der anämischen Ka¬ 
li i n c h e n. 

Entnahmen wir diesen Tieren unter aseptischen Kamelen 
und Luftabschluss mit einer Spritze Blut aus der Karotis, 
so begann dieses Blut sehr bald seine hefte Farbe zu ver¬ 
ändern. In den beiden ausgesprochensten Fallen war schon 
nach H Stunde das arterielle Blut vom venösen nicht mehr 
zu unterscheiden. Nach 1- 2 Stunden lasst sich aus dem 
arteriellen Blute überhaupt kein Sauerstoff mehr entwickeln, 
ja es zeigt sich sogar, dass eine Verminderung des Gas¬ 
volumens im B a r c r o f t - H a 1 d a n e sdien Apparat emtritt. 
die nur so erklärt werden kann, dass ein Teil der Luft, die bei 
Beginn des \ersuches in dem Apparat eingeschlossen war, 
durch das Blut aulgenommen wird. Dieselbe Erscheinung 
konnte auch am venösen Blute beobachtet werden, ebenso 
auch im Blut, das durch Schütteln mit Luft bei Beginn des 
Versuches mit ()? gesättigt worden war. Im letzteren Falle 
entwickelte sich zunächst eine gewisse Menge Sauerstoff; nach 
2 d Stunden oder in kürzerer Zeit war aber das Manometer 
wieder gesunken und zeigte sogar negative Werte, so dass 
also ein Gasvolumen durch das Blut gebunden sein musste, 
das grosser war, als die im Beginn des XersuGies entwickelte 
Sauerstoffmenge, ln normalem Blut haben wir diese merk¬ 
würdige Erscheinung me beobachtet. Ebenso wurde sie ver¬ 
misst, wenn wir statt Blut die gewaschenen Blutkörperchen 
anämischer Tiere untersuchten. Die reduzierenden Körper 
müssen also im Serum sich finden. Dementsprechend hesseii 
sich auch durch Ziilugen von Serum zu gewaschenen roten Blut- 
korpeichen die Erscheinungen wieder hervorruien. Line 
! * ständige Erwärmung auf 5s (*\ u schädigte die Reduktions- 
kraft des Serums nicht; doch haben wir hier nur einen Versuch. 
Mit der Resistenzvermehrung der Eryihiozyten hat die Er¬ 
scheinung sicher nichts zu tun. Sie war auch in dem Blute 
solcher Kaninchen nachweisbar, die mehrere läge keine In¬ 
jektion von Phenylhydrazin bekommen hatten und bei denen 
die Resistenz der roten Blutkörperchen wieder normal oder 
annähernd normal war. 

Von unseren 6 mit Phenylhydrazin vergifteten Kaninchen 
zeigten 4 die Erscheinung in ausgesprochenster Weise. Bei 


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>sle 


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1. September 190& 


MUENCHENER MEDiZlNlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


1&19 


den anderen beiden war sie deutlich, aber schwächer. Natür¬ 
lich lag es am nächsten, die Sauerstoffzehrung auf die An¬ 
wesenheit von Phenylhydrazin im Blut zurückzuführen. Da¬ 
gegen sprach allerdings schon die Tatsache, dass die Erschei¬ 
nung auch bei solchen Tieren beobachtet wurde, die mehrere 
Tage lang keine Injektion mehr bekommen hatten. In der Tat 
konnte denn auch durch Zusatz von Phenylhydrazin zu nor¬ 
malem Blut eine Zehrung nicht hervorgerufen werden, selbst 
wenn man viel grössere Mengen zusetzte, als jemals im Blute 
der anämischen Tiere vorhanden sein können. ’ Der beste Be¬ 
weis dafür, dass das Phenylhydrazin in der Tat nichts mit der 
oben beschriebenen Erscheinung zu tun hat, liegt aber darin, 
dass wir bei zwei Kaninchen, die nur durch Venaesektionen 
anämisch gemacht worden waren, ebenfalls eine starke Zeh¬ 
rung beobachteten, die in einem Falle ebenso bedeutend war, 
wie bei den besten Versuchen mit Phenylhydrazin. 

Leider sind wir bisher nicht in der Lage, anzugeben, wie 
lange die Sauerstoffzehrung im Blute sich beobachten lässt. 
Ebenso möchten wir vorläufig in suspenso lassen, ob sich da¬ 
bei wirklich Kohlensäure bildet, wie wir auf Grund eines Ver¬ 
suches vermuten möchten. 

Will man diese Vorgänge richtig verstehen, so muss man 
ziemlich weit in der Literatur zurückgehen. Bald nachdem 
auf Grund der bahnbrechenden Arbeiten von C. Ludwig 
und E. Pflüger die ersten exakten Blutgasanalysen aus- 
geftihrt waren, hat man sich bemüht, Oxydationen im Blute 
nachzuweisen. Nachdem schon früher N a w r o c k i ll ) und 
S*achs 11 ) gezeigt hatten, dass Blut, welches längere Zeit bei 
Körpertemperatur steht, Sauerstoff verliert, wies E. Pflü¬ 
ger 13 ) nach, dass bei sofort vorgenommener Entgasung des 
Blutes in der Regel weniger Kohlensäure und mehr Sauerstoff 
gefunden wird, als wenn man das Blut erst längere Zeit 
stehen lässt. Die Differenzen bewegten sich zwischen 0.2 
und 10 Proz. des Blutvolumens. Alexander Schmidt 14 ) 
zeigte dann, dass bei kurzdauerndem Digerieren von Er¬ 
stickungsblut mit Oz 0—4 Proz. des Sauerstoffs verschwinden 
können. Schmidt glaubte, dass die reduzierenden Sub¬ 
stanzen aus den Geweben stammen und daher im Plasma resp. 
Serum zu suchen seien. Spätere Arbeiten aus Ludwigs 
Laboratorium 15 ) 16 ) schienen aber dafür zu sprechen, dass nur 
die Blutkörperchen, nicht das Serum reduzierende Sub¬ 
stanzen enthalten. C o h n s t e i n und N. Z u n t z 17 ) haben bei 
Versuchen mit Nabelvenenblut von Schafföten eine starke 
Sauerstoffzehrung gefunden, die sie unter Hinweis auf 
die genannten Untersuchungen aus Ludwigs Labora¬ 
torium vermutungsweise auf die oben erwähnten Unter¬ 
suchungen auf die reichliche Anwesenheit von Leukozyten im 
Nabelvenenbtut zurückführten. Herr Geheimrat Professor 
Dr. Zuntz hatte die grosse Liebenswürdigkeit, uns mitzu¬ 
teilen, dass er gelegentlich im Blut, das von anscheinend ge¬ 
sunden Pferden stammte (aus der Arterie entnommen) das Ver¬ 
schwinden der Hauptmasse des Sauerstoffs in wenigen Stun¬ 
den beobachtet hat. Immerhin sind diese Beobachtungen, bei 
denen auf bakterielle Einwirkungen keine Rücksicht ge¬ 
nommen werden konnte, mit einiger Zurückhaltung zu be¬ 
urteilen . Ausserdem ist die Sauerstoffzehrung meist relativ 
sehr geringfügig, in stärkerem Grade nur vereinzelt und ohne 
sicher nachweisbare Ursache beobachtet worden, so dass 
daraus eine nennenswerte Beteiligung des Blutes an den oxy¬ 
dativen Vorgängen nicht erschlossen werden kann. Die Oxy¬ 
dationen finden, wie Pflüger das bewiesen hat, unter nor¬ 
malen Verhältnissen in den Geweben bis zu den Endprodukten, 
Kohlensäure und) Wasser, statt. In der Tat findet man ja 


u ) Nawrocki: Studien d. phys. Institutes zu Breslau. II. 
S. 144. Zit. n. Zuntz: Der respirat. Gaswechsel in HerWianns 
Handb. d. Physiol., IV. 2, S. 92. 

**) Sachs: Arch. f. Anatomie und Physiol., 1863, S. 348. Zit. 
n. Zuntz: Der respirat. Gaswechsel in Hermanns Handb. d. 
Physiol., IV. 2, S. 92. 

13 ) Pflüger: Zentralbl. f. d. med. Wissenschaften, 1867, S. 321 
und 722 . 

14 ) Alexander Schmidt: Dortselbst 1867, S. 356. 

15 ) Afonassiew: Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., XXIV, 
S. 253. 1872. 

Tschicciew: Ebenda, XXV, S. 116, 1874. 
f 17 ) Cohnstein und Zuntz: Pflügers Archiv, Bd. 34, S. 226. 


auch gewöhnlich im Blute nur eine minimale oder gar keine 
sichere Sauerstoffzehrung, aseptisches Arbeiten vorausgesetzt. 

Um so auffälliger ist die enorme Sauerstoffzehrung bei 
unseren Versuchen. Es finden also bei diesen 
anämischen Tieren zweifellos ganz be¬ 
deutende Oxydationen im Blute statt. Man 
muss annehmen, dass bei diesen Zuständen, 
die zu einer länger dauernden Erschwerung 
der Sauerstoffversorgung führen, unvoll¬ 
kommen oxydierte Produkte des Stoffwech¬ 
sels in die Blutbahn gelangen, die entweder im 
Blute selbst oder in anderen Geweben zu Kohlensäure und 
Wasser oxydiert werden. Auffallend ist es, dass wir diese 
starke Sauerstoffzehrung in zahlreichen Anämien gar nicht oder 
höchstens nur angedeutet gefunden haben. Allerdings haben 
wir vielleicht auch nicht genügend darauf geachtet. Möglich 
ist es aber, dass bei sehr chronisch verlaufenden Anämien die 
Erscheinung nicht beobachtet wird, da der Organismus besser 
imstande ist, sich den Verhältnissen der verminderten Sauer¬ 
stoffzufuhr ^nzupassen. 

Im Lichte unserer Befunde gewinnen einige Beobach¬ 
tungen von Bohr und Henriques 18 ), die vielfach be¬ 
stritten wurden, neue Bedeutung. Bohr und Henriques 
behaupten, dass ein Teil des respiratorischen Stoffwechsels 
nicht in den Geweben, sondern in der Lunge stattfindet. Die¬ 
ser Anteil soll von 0—60 Proz. des gesamten respiratorischen 
Stoffwechsels schwanken können. Die Autoren stellen sich 
vor, dass die Oxydationen in den Geweben nicht immer bis 
zu den Endprodukten vor sich gehen, sondern dass unvollstän¬ 
dig oxydierte Stoffwechselprodukte in den Kreislauf und die 
Lunge gelangen, wo sie zu COs und Wasser verbrannt wer¬ 
den. Nun haben aber Bohr und Henriques unter Bedin¬ 
gungen gearbeitet (Abklemmung des Aortenbogens), die zu 
einer starken Sauerstoffarmut in grossen Teilen des Körpers 
führen. Ihre Resultate haben sie auf Grund der Aenderungen 
des respiratorischen Quotienten gewonnen. 

Mit ganz anderen Methoden sind wir zu einer Ansicht ge¬ 
kommen, die viele Berührungspunkte mit den Anschauungen 
der dänischen Forscher bietet und die wir kurz dahin zu¬ 
sammenfassen können, dass bei schweren Anämien 
experimenteller Art die Oxydationen in den 
Geweben nicht vollständig bis zu den End¬ 
produkten des Stoffwechsels vor sich gehen, 
sondern zum Teil im Blut oder in anderen Or¬ 
ganen (Lunge?) zu Ende geführt werden. Das 
wesentliche Moment dabei dürfte der Sauer¬ 
stoffmangel sein. 

Vielleicht sind* wir in der Lage, in einiger Zeit über die 
chemische Natur der reduzierenden Substanzen berichten zu 
können. Es wäre auch von Interesse, quantitativ den respira¬ 
torischen Gaswechsel isolierter Gewebe von normalen und 
anämischen Tieren in vitro zu untersuchen 19 ). 

Die Protokolle unserer Versuche werden später an anderer 
Stelle mitgeteilt werden. 


Aus der medizinischen Poliklinik zu Tübingen (Vorstand: 

Prof. Otfried Müller). 

Das absolute Plethysmogramm. 

Von Prof. Otfried Müller. 

Man sucht seit langer Zeit nach einer Methode, die es ge¬ 
statten soll, den Blutgehalt menschlicher Extremitäten nach 
absolutem Mass zu bestimmen. Der Nutzen, den eine solche 
Methode bringen könnte, liegt klar zutage. Gelingt es, den 
Blutgehalt eines menschlichen Armes zu jeder beliebigen Zeit 
einwandfrei zu bestimmen, so kann man die Schwankungen des 
Blutgehaltes in der Körperperipherie über längere Zeiträume 
hin verfolgen. Dadurch würden sich dann unsere Kenntnisse 
über Wesen und Verlauf zahlreicher Kreislaufstörungen er¬ 
weitern lassön; auch wäre es vielleicht möglich, die Wirkungs- 

18 ) Bohr und Henriques: Arch. de physiol., 1897, pag. 710. 

19 ) cf. B a 11 e 11 i und Stern: Respiratorischer Gaswechsel 
isolierter tierischer Gewebe. Internat. Physiologenkongress Heidel¬ 
berg 1907. 

1 * 


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1820 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sn. .n. 


weise mancher therapeutischer Massnahmen besser kennen zu 
lernen, als bisher. 

Die Plethysmographie lässt uns hier im Stich. Mit dem 
Plethysmographen können wir uns nur über Schwankungen des 
arteriellen Blutgehaltcs orientieren, die in verhältnismässig eng 
begrenzten Zeiträumen ablaufen; über die absolute Grösse der 
im Arm gelegenen Blutmenge, auf der diese Schwankungen 
sich aufbauen, erfahren wir nichts; der Nullpunkt der plethys¬ 
mographischen Kurve bleibt unbekannt. Nun lassen sich ja, 
wie die Untersuchungen der R o m berg sehen l ) Schule, 
speziell die Arbeiten von O. Müller*), 3 ) u. *) und die mit 
dessen Methodik ausgeführten weiteren Bearbeitungen von 
Weiland 6 ), S c h 1 a y e r"), Bruns 7 ) u. *), C ursch- 
mann 9 ) und G e i s s 1 e r 10 ) gezeigt haben, auch schon aus 
der Feststellung solcher in kurzer Zeit ablaufender Schwan¬ 
kungen des arteriellen Blutgehaltes wichtige pathologisch¬ 
physiologische und klinische Kenntnisse gewinnen. Aber der 
Mangel eines Nullpunktes, einer Kenntnis der absoluten Grösse 
der Kurven hat sich doch bei der Plethysmographie immer 
wieder in ganz ähnlicher Weise geltend gemacht, wie früher, 
vor ihrer Kombinierung mit der Druckmessung, bei der 
Sphygmographie. Will man vergleichende Untersuchungen 
über längere Zeiträume hin anstellen, so muss man gerade 
beim Plethysmogramm danach streben, die absoluten Werte 
seiner Kurven kennen zu lernen. Erst wenn sich das durch¬ 
führen lässt, werden sich die Studien über die Blutverteilung 
in gesunden und kranken Tagen über lange Zeiträume hin mit 
neuem Erfolg fortsetzen lassen. 

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass man schon früher 
immer wieder versucht hat, einen Arm durch irgendwie aus¬ 
geübte Kompression blutleer zu machen, späteren Blutzutritt 
durch Anlegen einer Kompressionsbinde am Oberarm abzu¬ 
sperren, den Vorderarm dann in Wasser zu tauchen, die Binde 
zu lösen und nun festzustellen, wie viel Wasser durch das 
wieder eintretende Blut verdrängt wird. Dieser Gedanken¬ 
gang liegt nahe und ist deshalb von verschiedenen Autoren 
verfolgt worden. Seine Durchführung bietet aber weit 
grössere Schwierigkeiten, als man zunächst glauben sollte. 

Zunächst hat man den Arm nach Esrnarch anämisiert. 
G r ö b e n s c h ü t z u ) hat den anämischen Arm einfach in 
Wasser getaucht und beobachtet, wie viel Wasser beim Lösen 
der komprimierenden Gummibinde durch das wieder ein¬ 
tretende Blut verdrängt wird. Hürthle 12 ) hat ebenfalls 
nach Esrnarch anämisiert und den Arm dann in ein mit 
Wasser gefülltes Plethysmographengefäss gelegt. Er mass 
die beim Lösen der Gummiligatur aus dem Plethysmographen 
austretende Wassermenge und schloss daraus auf die in den 
Arm eingetretene Blutmenge. Diese Versuche sind nach dop¬ 
pelter Richtung hin ungenau. Einmal wissen wir durch die 
Untersuchungen von P. Bruns 13 ) an amputierten Gliedern, 
denen wir die ersten Anhaltspunkte über die Blutfülle 
menschlicher Extremitäten verdanken, dass durch die 
Esrnarch sehe Blutleere nur etwa 70 Proz. der Ge¬ 
samtblutmenge aus einer Extremität verdrängt werden. 
Zweitens verursacht eine Esrnarch sehe Blutleere nament¬ 
lich durch die komprimierende Ligatur am Oberarm beträcht¬ 
lichen Schmerz. Schmerz kann man aber bei Studien über die 
Blutverteilung durchaus nicht brauchen, da er dieselbe in ganz 
unberechenbarer Weise verändert. Wir würden also bei 
dieser Versuchsanordnung künstlich abnorme Verhältnisse 
schaffen und diese mit einer ungenauen Methodik studieren. 


*) Rom berg: Kongress fiir innere Medizin 19U4. 

2 ) O. Müller: Deutsches Archiv fiir klinische Medizin 1905. 

; ‘) O. Müller: Deutsche medizinische Wochenschriit P>no. 

') O. Müller: Kongress fiir innere Medizin 1907. 

r ’) Weiland: Inauguraldissertation, Tübingen bei Pietzker, 

1905. 

Schlaycr: Münch, nied. Wochenscfeft 1907. 

7 ) O. Bruns: Zeitschrift fiir klinische Medizin 1907. 
s ) O. Bruns: Zeitschrift für klinische Medizin 1907. 

") C u r s c h m ann: Münch, nied. Wochenschr. 1907. 

G c i s s 1 e r: Miincli. rned. Wochenschr. 190S. 

3 J) ü r ü b c n sc h ii t z: Inauguraldissertation. Herlin 1*74. 

5 *) Hiirthle: Deutsche medizinische Wochenschrift lsoo. 

J,: ) P. Bruns: Yirchows Archiv 1S70. 


' Ich selbst habe mich seit 4 Jahren bemüht, eine Methodik 
auszubilden, welche einmal einigermassen genaue Resultate 
ergibt und zweitens ohne Schmerz anwendbar ist. Ich habe 
darüber bereits auf dem Kongress fiir innere Medi/m im April 
1907 berichtet“). Der Unterarm wurde in ein mit Wasser 
gefülltes, durch eine starkw andige Manschette abgeschlossenes 
Plethysmographengefäss gelegt und darin einem In heil Druck 
ausgesetzt. Der Druck wurde entweder durch, eine Luft- resp. 
Wasserpumpe oder durch die Wasserleitung oder durch eine 
Kohlensäurebombe erzeugt. Trotzdem ich aber Drücke bis 
zu () Atmosphären anwardte. gelang es nur nullt, auf diese 
Weise den Arm völlig blutleer zu machen. Der hohe hydro¬ 
dynamische Druck teilte suh eben auch der abschliessenden 
Manschette mit, diese komprimierte die abführenden Neuen 
und so blieb immer noch etwas Blut im Arm. auch wenn d.c 
Arterien längst nicht mehr pulsierten. Ich bin aus diesem 
Grunde schon vor längerer Zeit von der Anwendung hydro¬ 
dynamischen Druckes zur Anämisierung abgekommen und bin 
zum hydrostatischen Druck übergegangen. 

Man kann einen Arm sehr gut anamisieren, wenn man ihn 
in Quecksilber taucht. Der Druck l^t am Boden des Gelasses 
am grössten und nimmt nach oben lu;i gradatim ab. Das ge¬ 
rade wird gebraucht. Dadurch wird das Blut aus den peri¬ 
pheren reilen des Armes gewissenlosen ausgepressl ur.J 
nach den zentralen hm lortgedruckt. Sperrt man dann den 
späteren Hintzu!hiss durch l mlcgen einer Binde am Arm ab. 
so bleibt der Arm auch nach dem Meraus/iehen aus dein 
Quecksilber annähernd blutleer. Ganz blutleer ist er freilich 
auch dann noch nicht und zwar aus folgendem Grunde: Dicht 
unterhalb des Ouecksilberspiegels ist der auf den Arm em- 
wirkeiide Oueckvilherdruch nicht so gross, dass er d.e Blut¬ 
gefässe komprimieren konnte. In einer menschlichen Bra- 
chialis herrscht ein Druck von etwa 12o mm Mg. Die Brachiaiis 
wird mithin bis mindestens 12 cm unterhalb des Quccksilber- 
spiegels gefüllt bleiben und erst in dieser liefe etwa von dein 
Aussendruck zusammengepresst werden. Ls muss mithin stets 
ein Rest Blut unterhalb der komprimierender Binde liegen 
bleiben und einen Fehler des Neriahreus darstcllc«. Aus 
diesem Grunde habe ich die schon lauge von mir geubte Me¬ 
thode noch nicht weiter ausgestaltet und praktisch angew endet. 

Inzwischen hat dann Mnraw itz : ) im No\ einher B<"7 
nach ganz ähnlichen erfolglosen Bennduingen, wie ich s:e früher 
gemacht hatte, eine weitere Methode angegeben, um einen 
Arm zu anamisieren und dadurch seinen Blntgehalt zu be¬ 
stimmen. Er lässt den Arm eine Minute laug senkrecht erheben, 
legt am Oberarm eine Kompressionsbinde um. taucht den 
anämischen Arm in ein Plethysmographengefäss, lost die Koin- 
pressioiisbmde und sieht aus der ahfliessendeii Wassermenge. 
! 9ae viel Blut in den emgetau Jiten I eil des Armes eingetreten 
ist. Mo r a w itz schreibt: „Durch eine Minute langes senk¬ 
rechtes Erhellen des Armes lasst sieh eine annähernd gleich- 
mässige Blutleere erzielen, die wahrscheinlich nahezu voll¬ 
ständig ist." Das trifft rieht zu. Die durJi Erheben eines 
Armes erzielte Blutleere ist nicht annähernd vollständig. Man 
kann an einem selbst sehr lange Xut senkrecht erhobenen 
j Arme jederzeit noch den Radialpuls änsserst deutlich fühlen, 
i und man kann von einem solchen senkrecht erhobenen Arm ein 
! Sphygmogramm, ein Plethysmogramm und ein Tachogramm 
| aufnelimen, die alle drei einen sehr deutlichen ptilsatnris Ji und 
j respiratorisch schwankenden Blntgehalt naJiw eisen. Beim 
I ienkrechten Erheben eines Armes fliesst nur Blut aus den 
, Neuen, vielleicht auch aus einem grösseren Teil der Kapillaren 
I ab, die Arterien bleiben noch ziemlich stark gefüllt. Selbstver- 
; stäiiJlieh wird der Druck in ihnen um so viel vermindert 
; werden, als der Hohe der Blutsaule, d.e beim Erheben des 
i Armes über dem Merzen stellt, entspricht. Das Blutleer- 
i werden des Armes wird also bestimmt dnrJi die 11-die des 
i arteriellen Druckes der betreffenden \ ersuvh'Spersim e.uerseits. 

und durch die Grosse des hydrostatischen Momentes der aber 
| dem Merzen sich erhebenden Biutsaule an Je rerse.ts. Der Arm 
hat daher auch na Ji längerem Erheben noch einen mein unbe- 
trächthehen liauptsäJf|ih arteriellen Blntgehalt. der andauernd 


J “1 <>. Müller: K'-ng-ess f :r naan- Medizin P>o7. 
i l ') M nriu itz: \...! numns mmar.iung kams v hvr V ■'{: cc 
! 19u7, No. 40’. 



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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1821 


pulsatorische respiratorische und lang hinziehende vaso¬ 
motorische Schwankungen macht. Diese Tatsache erklärt die 
kleinen Werte, die M o r a w i t z für den Blutgehalt des Armes 
findet. Durchschnittlich etwa 4 Volumenprozent Blutgehalt ist 
für den Arm zu wenig. Ich habe gezeigt, dass man den Blut¬ 
gehalt eines Armes durch einfaches Auflegen eines Eisstückes 
am Oberarm um nicht weniger als 2,5 Volumprozent Blut 
binnen weniger Sekunden vermindern kann 10 ) u. 17 ). und ich 
habe plethysmographische Kurven, bei denen durch Vasokon¬ 
striktion im kalten Vollbade der Blutgehalt des Armes um 
3 Volumenprozent fast momentan verringert erscheint. Das 
wäre nicht möglich, wenn überhaupt nur 4 Volumprozent 
Blut im Arme vorhanden wären. Es kommt dazu, dass 
Hürthle 18 ) bei Entblutung des Armes nach Esmarch 
etwa 60 ccm Blut für den Unterarm fand. In dem kurzen 
Unterarmplethysmographen, den Hürthle bei seinen Unter¬ 
suchungen anwandte, und der auch von mir teilweise benutzt 
wird, lässt sich aber selbst durch einen sehr kräftigen Unter¬ 
arm keine grössere Wasserverdrängung als höchstens ein 
Liter erreichen. Das heisst das Volumen des im Plethys¬ 
mographen liegenden Armteiles hat bei dem Hü rthleschen 
Versuch nur höchstens ein Liter betragen. In diesem einen 
Liter Armvolumen fand Hürthle schon bei E s m a r c h scher 
Ajnämisierung 60 ccm, d. h. also 6 Volumprozent Blut. Und 
dieser Wert ist offenbar noch zu gering, da nach Bruns 19 ) 
die Esmarch sehe Blutleere nur etwa 70 Proz. des vor¬ 
handenen Blutes verdrängt. Man würde also demnach einen 
Blutgehalt von mindestens etwa 7 Volumprozent im Arme 
normalerweise zu erwarten haben. 

Ich habe nun inzwischen die jahrelang fortgesetzten Ver¬ 
suche wieder aufgenommen und bin nach eingehender Prüfung 
aller bisher angegebenen Methoden zu dem Resultat ge¬ 
kommen, dass man nur durch das von mir zuerst angewandte 
Eintauchen des Armes in Quecksilber Genaueres erfahren 
kann. Es ist mir auf eine sehr einfache Weise gelungen, den 
oben beschriebenen Fehler der Quecksilbermethode zu ver¬ 
meiden. Legt man die abschnürende Binde oberhalb des 
Quecksilberspiegels an, so bleibt etwas Blut im Arm. Könnte 
man sie mindestens 12 cm unterhalb des Quecksilberspiegels 
anlegen, so würde das nicht geschehen. Ich lege deshalb jetzt 
eine von den früher üblichen schmalen Riva-Rocci sehen 
Druckmanschetten unmittelbar oberhalb des Ellbogens um den 
Arm. Dann tauche ich die ganze Extremität mitsamt der 
nicht aufgeblasenen Manschette bis zur Achselhöhle in einen 
mit Quecksilber gefüllten Zylinder, so dass der Spiegel des, 
Quecksilbers etwa 12—15 cm oberhalb der Druckmanschette 
steht. Dann blase ich in der Tiefe des Quecksilbers die Druck¬ 
manschette mit einer Luft- oder besser Wasserpumpe auf und 
schaffe so einen Abschluss zwischen den Teilen des Gefäss- 
systemes, die dicht unterhalb des Quecksilberspiegels liegend 
noch mit Blut gefüllt sind, und jenen, die in der Tiefe liegen 
und von dem starken Druck wohl wirklich annähernd voll¬ 
ständig anämisiert sind. Nunmehr ziehe ich den 1 Arm aus dem 
Quecksilber heraus. Er erweist sich dann, soweit das ohne 
äussere Verletzung nachweisbar ist, blutleer; die Venen sind 
völlig zusammengefallen, jede kapillare Rötung fehlt, die Haut 
fühlt sich kühl an. Dann lege ich den anämisierten Unterarm 
fast bis zum Ellbogen entweder in einen mit Wasser von 34° 
gefüllten Plethysmographen, oder ich tauche ihn einfach bis zu 
der genannten Höhe in einen bis zum Rande mit warmem 
Wasser gefüllten Glaszylinder. Lasse ich nun den Druck in 
der Kompressionsmanschette durch Austreten von Luft oder 
Wasser langsam absinken, so tritt Blut in den Arm ein, und 
es muss eine entsprechende Menge von Wasser aus dem Ple- 
thysmographengefässe oder dem Glaszylinder abfliessen. 
Endlich nehme ich den Arm wieder aus dem Plethysmographen 
oder dem Wasserzylinder heraus und bestimme das Volumen 
seines vorher eingetauchten Teiles, indem ich sehe, wieviel 
Wasser ich in den Zylinder oder den Plethysmographen ein- 


1# ) O. Müller: Deutsches- Archiv für klinische Medizin 1905, 
Seite 556. 

17 ) O. M ü 11 er : Deutsche medizinische Wochenschrift 1906, 
No. 38 und 39. 

“) Hürthle: 1. c. 

1# ) P. Bruns: 1. c. 


giessen muss, um wieder eine Füllung bis zum Rande zu er¬ 
zielen. Jetzt habe ich also die Menge des in den eingetauchten 
Teil des Armes wieder eingeströmten Blutes und ausserdem 
das Volumen des eingetauchten Teiles. Ich kann also direkt 
in Volumenprozenten angeben, wie viel Blut im Vorderarm 
enthalten ist. Diese Zahl scheint beim Gesunden unter nor¬ 
malen Verhältnissen durchschnittlich etwa 7 Proz. zu betragen. 
Das würde auch zu dem Ergebnisse H ü r t h I e s stimmen, 
wenn man den durch die Esmarch sehe Blutleere bedingten 
Fehler dabei in Rechnung stellt. 

Ich möchte mich aber auf diese Zahl von etwa 7 Volum¬ 
prozent für den durchschnittlichen Blutgehalt eines normalen 
Vorderarmes noch nicht festlegen, da ich erst nach mehreren 
hundert Versuchen ein abschliessendes Urteil abzugeben im¬ 
stande bin. Ebenso möchte ich erst später Näheres über 
technische Details der Methodik bringen, die sich bei weiteren 
Versuchen voraussichtlich noch bequemer und sicherer wird 
gestalten lassen. Nur soviel möchte ich jetzt schon sagen: Es 
erscheint zweckmässig, wenn die Versuchsperson ihren Arm 
in sitzender Stellung in einen etwa 75 cm hohen leeren Glas¬ 
zylinder von zirka 12 cm lichter Weite hineintaucht. Es muss 
dann durch eine mit dem Zylinder fest und unverrückbar ver¬ 
bundene gepolsterte Handhabe, die nach Art eines Achsel¬ 
stückes von oben her auf die Schulter greift, dafür gesorgt 
werden, dass der Arm nicht durch den starken Auftrieb des 
Quecksilbers nach oben aus dem Zylinder herausgedrückt 
wird, denn es gehört eine beträchtliche Muskelanstrengung 
dazu, um einen Arm aktiv bis zur Achselhöhle in Quecksilber 
einzutauchen. Eine solche Muskelleistung würde aber im 
Arm eine abnorme Blutverteilung schaffen, auch könnte man 
sie manchen Kranken nicht zumuten. Liegt der Arm in der 
beschriebenen Weise mit nach oben festem Widerlager in dem 
leeren Glaszylinder, so lässt man das auf etwa 34° C er¬ 
wärmte Quecksilber aus einer höher stehenden Flasche durch 
einen weiten Druckschlauch und ebensolche Glashähne von 
unten her in den Zylinder eintreten, bis sein Spiegel fast die 
Achselhöhle erreicht. Dann wird die vor dem Eintauchen des 
Armes in den Zylinder dicht oberhalb des Ellenbogens an¬ 
gelegte schmale Riva-Rocci sehe Druckmanschette auf¬ 
geblasen und das Quecksilber auf dem gleichen Wege durch 
Niedrigstellen, der Behälterflasche wieder abgelassen. Das 
Quecksilber kann durch die weiten Hähne und Schläuche sehr 
rasch zu- und abfliessen. Auf den Arm soll es etwa eine 
Minute einwirken. Ist das Quecksilber abgeflossen, so kann 
man zur Bestimmung der beim Lösen der Binde einschliessen- 
den Blutmenge zwei Wege einschlagen. Entweder nimmt man 
den anämisierten Arm aus dem Glaszylinder heraus, legt ihn 
in einen mit Wasser zu füllenden Plethysmographen, löst die 
Binde und misst die aus dem Plethysmographengefäss ab- 
fliessende Wassermenge. Oder man belässt den Arm im 
Zylinder, lässt durch einen anderen Hahn Wasser von 34° 
bis zur Höhe des Ellenbogens einfliessen, löst die Kompres¬ 
sionsbinde durch Ablassen von Luft oder Wasser, bestimmt 
die durch das einschiessende Blut eintretende Wasserver¬ 
drängung und stellt schliesslich durch Herausziehen des Armes 
das Volumen des eingetauchten Teiles fest. Bei dieser 
letzteren Versuchsanordnung kann die ganze Prozedur in 
3 Minuten erledigt sein. Wendet man den Plethysmographen 
an, so dauert der Versuch doch etwa 5 Minuten. Da bei senk¬ 
rechtem Eintauchen des Armes in Wasser in der Tiefe des 
Zylinders ein hydrostatischer Druck von etwa 40 cm Wasser 
auf die eingetauchten Teile einwirkt, so könnte sich daraus ein 
Fehler ergeben, der dem plethysmographischen Verfahren 
nicht in dem gleichen Masse anhaften würde. Aber einmal 
kann man an Stelle des Wassers eine spezifisch leichtere 
Flüssigkeit nehmen, bei der sich dieser Fehler stark ver¬ 
mindern lässt; und zweitens sind die Werte, die man mit 
beiden Methoden bekommt, tatsächlich so wenig verschieden, 
dass der ja zweifellos vorhandene Fehler praktisch keine grosse 
Rolle spieft: Jedenfalls ist es ein grosser Vorzug, wenn man 
den Versuch so schnell wie möglich und ohne Vornahme allzu- 
vieler verschiedener Manipulationen abwickeln kann. Bei 
längerem Liegen der Kompressionsbinde tritt, man mag sie 
gestalten, wie man will, doch Schmerz oder wenigstens Unbe¬ 
hagen ein; auch wird die reaktive Hyperämie, welche der 


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1822 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25. 


Anämisierung folgt, um so grösser, je länger die Anämie be¬ 
standen hat. 

Nun lassen sich verschiedene Einwändc gegen die Me¬ 
thode erheben. Unter ihnen kommen die Folgenden am 
meisten in Betracht: 

Erstens lässt sich sagen, man misst auf diese Weise nicht die aus 
dem Arm im gegebenen Falle entfernte Blutmenge, sondern man 
misst die in den anämisch gemachten Arm wieder eintretende. Es 
könnte mithin im Anschluss an die Anämisierung eine reaktive Hy¬ 
perämie eingetreten sein, und diese durfte dann die gefundenen Werte 
grösser ausfallen lassen, als den wahren Verhältnissen entspncht. 
Dieser Einwand lässt sich gegen alle bisher geschilderten Methoden 
srheben, denn sie alle machen den Arm zuerst blutleer und messen 
dann die wiedereintretende Blutmenge. Der Fehler, der durch den 
Eintritt reaktiver Hyperämie bedingt werden könnte, wird nun aber 
im allgemeinen um so geringer sein, je kürzere Zeit die Anämie des 
Armes bestanden hat. Man kann sich immer wieder davon über¬ 
zeugen, dass länger dauernde Anämie eine starke, kurz dauernde 
nur eine unbedeutende reaktive Hyperämie im (ieiolge hat. Bei 
meinem Verfahren braucht die Anämie nur sehr kurze Zeit (etwa 
3 Minuten) zu bestehen. Nun sieht man auch nach dieser kurzen 
Zeit den vorher anämisierten Arm sicher in der Regel etwas stärker 
gerötet, als den anderen unberührten. Doch lässt sich gerade hier 
leicht zeigen, dass diese geringen Grade reaktiver Hyperämie bei der 
Messung keinen nennenswerten Felder bedingen. Man braucht dazu 
nur den Gang des Versuches umzukehren. Man würde also zuerst 
rlen bluthaltigen Arm bis zu einer vorher mit Farbstift bezeiclmeten 
Kreislinie in Wasser tauchen und sein Volumen feststellen. Dann 
würde man ihn mit Quecksilber anämisieren und nun in anämischem 
Zustand wieder bis zu der bczeichncten Höhe in Wasser tauchen, 
um neuerdings sein Volumen in blutleerem Zustande zu erfahren. Aus 
der Differenz der beiden Volumina ergibt sich die aus dem Arm im 
gegebenen Falle entfernte Blutmenge. Vergleicht man die aus dem 
Arm entfernte Blutmenge mit der nachher wieder einschiessenden, 
so erhält man doch im allgemeinen so geringfügige Unterschiede, 
dass man den Fehler, der durch reaktive Hyperämie bedingt wird, 
gut vernachlässigen kann. Erst bei längerer Dauer der Hyperämie 
differieren die beiden Zahlen stärker. 

Weiter lässt sich einwenden, dass durch den Druck des Queck¬ 
silbers nicht nur Blut, sondern auch Lymphe und Gewebswasser 
aus dem Arm entfernt werden könnte, und dass man dadurch eben¬ 
falls eine künstliche Erhöhung der gefundenen Werte erzielen durfte. 
Auch dieser Einwand lässt sich nicht völlig beseitigen. Sicher kann 
durch den Druck des Quecksilbers auch etwas Lymphe aus dem 
Arm entfernt werden. Das würde in ähnlicher Weise bei der Anämi¬ 
sierung nach Esmarch in Betracht kommen, ja cs würde wohl 
auch beim einfachen Hochheben des Armes nicht ganz ausbleiben. 
Es fragt sich nur, ob die Menge von Lymphe und Gewebswasser, 
die mit dem Blut entfernt w r ird, so gross ist, dass dadurch ein für 
klinische Zwecke ins Gewicht fallender Fehler entsteht. Das scheint 
mir an der Hand folgender Beobachtungen unwahrscheinlich: Lässt 
man den Arm etwa eine Minute im Quecksilber, so verringert er sein 
Volumen durch Flüssigkeitsverlust um etwa 7 Volumprozent. Lässt 
man ihn sehr lange (5 Minuten und länger) darin, so wird diese 
Volumsverminderung grösser. Es ist nicht anzunehmen, dass diese 
mit der Zeit eintretende Zunahme der Volumsverringerung durch 
weiteren Austritt von Blut zustande kommt, denn schon nach weniger 
als einer Minute ist der Arm, soweit sich das ohne verletzende Ein¬ 
griffe überhaupt beurteilen lässt, offenbar blutleer. Seine Arterien 
sind in einer Tiefe über 120 mm unterhalb des Quecksilberspiegels 
sicher fcfr. Frey 20 )] komprimiert (sofern wenigstens keine Druck- 
Steigerung bestand), die Venen sind absolut leer, das Kapillargebiet 
ist völlig blass und kalt. Man wird mithin kaum fehlgehen, wenn 
man annimmt, dass bei längerer Dauer des Druckes nicht mehr Blut, 
sondern Gew'ebsw'asser ganz allmählich durch die Kapillarwand aus¬ 
gepresst und nach oben aufsteigend aus dem Arm entfernt wird. Ich 
möchte demnach glauben, dass eine stärkere, klinisch in Betracht 
kommende Entstellung der gefundenen Werte durch Auspressen von 
Lymphe und Gewebswasser nicht stattfindet. In dieser Annahme be¬ 
stärkt mich auch die Tatsache, dass ein nur kurze Zeit anämisierter 
Arm. sich beim Einschiessen des Blutes sofort auf sein dauerndes 
Volumen einstellt, wührend ein längere Zeit anämisierter Arm nach 
dem raschen Einschiessen des Blutes länger dauernde Volumen¬ 
schwankungen aufweist. Es scheint also auch hier so, als ob das 
Blut rasch wiederkehrte, das abgepresstc Gewebswasser erst lang¬ 
samer. Doch müssen diese Verhältnisse erst noch eingehender ge¬ 
klärt werden. 

Es ist nun von Wichtigkeit, dass man durch Eintauchen 
des Armes in Quecksilber nicht nur die Blutmenge messen 
kann, sondern wie Frey M ) schon vor längerer Zeit gezeigt 
hat, auch den Blutdruck. Taucht man die Ha ml in ein Oefäss 


*°) M. v. Frey: Festschrift für Benno Schmidt, Leipzig 
*') M. v. Frey: 1. c. 


mit Quecksilber, so bemerkt man in einer gewissen Tiefe 
unterhalb des Quecksilberspiegels ein eigenartiges klopfendes 
(iefiihl in den Fingerarterien. Zuerst tritt diese klopfsensation 
in der letzten Fingerphalanx auf, heim weiteren Eintauchen 
riickt sie in die Mittelphalanx hinauf und in die < irimdphalanx. 
Geht man noch tiefer in das Quecksilber herein, so kann man 
die Kloptsensation im Holilhandbngen, au der Stelle des Radial¬ 
pulses und schliesslich in den unteren Abschnitten der BraJii- 
alis fühlen. Es ist anzunehmen, dass an der Stelle der KTnpi- 
sensation die Arterien durch den Aussendnick des Quecksilbers 
ziisammengedriickt blind endigen, und dass diese Sensation 
dadurch entsteht, dass die Blutwelle gegen die blinde Endigung 
des Gebisses anprallend in mannigfachen Wirbeln zuriickge- 
w orten wird. Misst man mm nach, wie weit unterhalb des 
Quecksilberspiegels die klopienJe Stelle gelegen ist. so erhalt 
man direkt in mm Hg den systolischen Blutdruck in dem 
betreffenden Gefäss. Man kauft also mit dieser Methode das 
Druckgefälle aus der Brachiahs m die Radialis. in den Mobl- 
handbogen ja bis in die letzten Endigungen der Fingerarterien 
hinein verfolgen. Ergänzt man dann diese FrcysJie Me¬ 
thode der hydrostatischen Driickmessniig, die sich für die 
Praxis selbstverständlich nicht eignet, als Kontrollverfahren 
fiir andere physikalisch weniger exakte Metln-Jen der Driick- 
messimg aber noch viel zu wenig beachtet ist, durch Ein¬ 
tauchen des Armes in durchsichtige Flüssigkeiten von Indiern 
spezifischem Gewicht, so kann man auf h\drostatischem Wege 
auch den Kapillardruck und Yericiulnick bestimmen. Man 
braucht den Arm nur in einen hohen Zylinder mit einer spezi¬ 
fisch schweren Salzlösung zu tauchen, um in euier bestimmten 
Tiefe die Venen zusammenfallen und die Kapillaren erbleichen 
zu sehen. Man kann also in der Tat durch eine physikalisch 
gleichartige Methode, nämlich durch hydrostatische Kom¬ 
pression, das ganze Druckgefälle aus der Brachiahs bis in die 
Fingcrartericn.in die Kapillaren und in die Venen bestimmen. 
Selbstverständlich hat man dabei darauf* zu achten, dass die 
gefundenen Werte sämtlich auf Mir/hohe berechnet werden, 
damit man sie wirklich unter einander vergleichen kann. Diese 
Methode der hydrostatischen Bestimmung des Druckgefälles 
hat vor der v. R e c k I i n g h a u s e n sJien manches voraus, 
v. R e c k I i n g h a u s e n **) misst den 1 »nick m Jer Braduaiis 
mit seiner breiten Manschette, in den Fingerarterien mit dem 
(i ä r t n e r sehen Apparat, in den Kapillaren und Venen mittelst 
Luftkompression. Das sind ungleichartige Methoden, die ver¬ 
schieden grosse Fehlerquellen haben, wahrend bei der hydro¬ 
statischen Methode die Fehlerquellen stets gleichartige sind. 
Fine genauere Messung des Druckgefälles aus grossen Arterien 
bis in die Venen hinein ist aber für die Erkenntnis vieler Kreis¬ 
laufstörungen, speziell der Hypertonien von nicht zu unter¬ 
schätzender Bedeutung. 

Nun hat naturgemass jede Methode, l'ei der nun i;:r die Messung 
auf die Angaben der \ ersuclisper sollen angewiesen ist, nun Jus 
gegen sich. Das zeigt sich auch hier. Manche \ ersiuhspersimen 
können die Klopfsensation nicht gut w ahrnehmen un i m.ufien un¬ 
genaue Angaben. Darum habe ich sj;«.n lange ruJi einem \ er¬ 
fahren gesucht, das uns die erste Wiederkehr des Birses m vier 
liefe des Quecksilbers nbiektiv an/eigt. I >ie Bh\siker verwenden 
nach dem Vorgang von K <• h I r a u s Ji- ’l zum Nachweis sehr ge¬ 
ringfügiger Bewegungen Mikrophone, die im ahcexjilosseiien lee- 
Plion cm der emtretenderi feinen Bewegung eutspreuhendes sehr 
deutliches DernusJj w .ihrnehmen lassen. In der Tat kann man 
beim \ufset/en eines Mikr<■nh<ms aut ufle pi: verende Arterie im 
angeschlossenen ’l eiephon ein dem Bii.s entsprechendes, v.gar die 
Ihkrotie deutlich w ie de r ge Sende s GeräusJi wahrnehmen. Man 
würde also auf diese M i ise auJi den ersten w ;e derkehrenden l’tils- 
schiag sehr rem und gin.ui n.iJiweiHii km*eti. I s hat aber sehr 
grosse Schwierigkeiten. Mikrophone he r /uste en. ehe de tu m vier 
liefe des Quecksilbers her r se hende u Driuk sum,{halten. und uh 
habe deshalb dicsbe/ug de he \ersiuhe au:.:* geben. Ibers, ha! e 
ich Versuche um gegeben, ehe aus vier I ir • sse- der elektnsj*. n | e;t- 
Tahigkeit festste Ihn sollten, ob ehe A'tetieu au emem K stimmtet! 
Blinkte unterhalb des Quecksilber spie ge .s r t B nt gj ;dt se -.n r 
nullt. Set/t man eine br eile- kie k t:- de auf die Brust, eme KmmL 
elektroele z. B. auf den Radiaipuls u.u.l leitet nun e "en Mr*m; \«m 
etwa 3 Milliampere durch eien Arm. so bekommt man am Galv »ibsw. 


") v. R e c k I i n g haus e n: Archiv f. e\per. Bat 1 ' 1 u. Bharma- 
kol. ]sup. BJ. ro. 

•*) Kohl rausch: zitirrt n.iJi B i a s , .. sikal:s<4u.* 

Lehmigen für Mediziner. Leipzig l v "'. 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1823 


meter grössere Ausschläge,.wenn die Arterie mit Blut gefüllt ist, als 
wenn man sie entblutet hat. Man könnte also wohl daran denken, 
auf diese Weise den ersten wiederkehrenden Pulsschlag durch einen 
Ausschlag am Galvanometer zu erkennen. In der Tiefe des Queck¬ 
silbers macht aber die notwendige Isolierung der auf einen ganz be¬ 
stimmten Punkt zu applizierenden kleinen Elektrode grosse Schwie¬ 
rigkeiten. Schliesslich bin ich dazu übergegangen, den wieder¬ 
kehrenden Puls durch das Zucken einer Gasflamme nachzuweisen. 
Ich setze zu diesem Zweck auf die zu untersuchende Arterie eine 
kleine, mit Membran abgeschlossene Luftkapsel. Am Finger kann 
man das sehr güt mit einer Gärtner sehen Fingermanschette 
machen, deren Innenblatt ja sehr fein und weich ist. Dann bringe 
ich den der Arterie anliegenden, durch eine Membran ab¬ 
geschlossenen Luftraum durch ein annähernd starrwandiges Rohr, 
z. B. durch einen dickwandigen halbelastischen Katheter, mit einer 
Kries sehen Pulsflamme in Verbindung. Sobald der Puls schlägt, 
zuckt die Flamme, wird er unterdrückt, so hört sie auf, kehrt er 
wieder, so fängt sie wieder an, sich zu bewegen. Soweit ich bis jetzt 
sehe, kann man mit diesem Verfahren auch unterhalb des Queck¬ 
silberspiegels an jeder beliebigen Stelle den wiederkehrenden Puls 
nachweisen. Man hätte also damit eine objektive Methode zur 
Erkennung des wiederkehrenden Pulses im Quecksilber, und man 
könnte somit die hydrostatische Methode der Druckmessung zum 
Studium des Druckgefälles bei Kreislaufkranken gut anwenden. 

Können- wir also bisher durch die hydrostatischen Me¬ 
thoden einmal die in einem Arm liegende Blutmenge und 
zweitens das in ihm stattfindende Druckgefälle aus der Bra- 
chialis bis in die Venen hinein mit klinisch zureichender 
Genauigkeit feststellen, so wäre es ganz auserordentlich er¬ 
wünscht, raun noch weiter zu gehen und ferner in Erfahrung zu 
bringen, wie viel von der gefundenen Gesamtblutmenge im 
arteriellen, wie viel im kapillaren und wie viel im venösen An¬ 
teil des betreffenden Kreislaufabschnittes gelegen ist . Diese 
weitere Ausgestaltung der Untersuchungsmethoden würde, 
wenn sie reinlich durchführbar wäre, für die Erkenntnis von 
Wesen und Verlauf zahlreicher Zirkulationsstörungen, der 
krankhaften sowohl, als der durch therapeutische Eingriffe be¬ 
dingten von Bedeutung sein. 

Ich habe den Gedanken einer derartigen Differenzierung der ein¬ 
zelnen Kreislaufabschnitte bereits auf dem Kongress für innere Medi¬ 
zin im Jahre 1907 ausgesprochen und eine Methode zu seiner Durch¬ 
führung angedeutet. Da aber das Verfahren, mittels dessen ich 
damals den Arm anämisierte (hydrodynamischer Druck) sich nicht 
hinreichend bewährt hat, so muss auch die Differenzierung der 
Arterien von den Kapillaren und Venen anders durchgeführt wer¬ 
den. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass die Unterscheidung 
des Blutgehaltes der verschiedenen Kreislaufabschnitte bisher noch 
nicht durch genügend zahlreiche Versuche empirisch sicher begrün¬ 
det ist, wie die Bestimmung der Gesamtblutmenge und des Druck¬ 
gefälles auf hydrostatischem Wege. Ich würde demgemäss auch 
nicht über diese noch im weiteren Werden befindlichen Versuche 
berichten, wenn man nicht in unserer schnellebigen Zeit bei all¬ 
zulangem stillschweigenden Arbeiten an einer schwierigen Frage 
gar zu leicht in die Gefahr käme, der Priorität verlustig zu gehen. 
Als vorläufige Mitteilung über meine nach dieser Richtung hin in 
Gang befindlichen Versuche möchte ich deshalb folgendes anführen: 
Anämisiert man einen Arm in Quecksilber und legt ihn dann in 
einen mit Wasser gefüllten Plethysmographen, so kann man bei 
langsamem Lösen der komprimierenden Binde das Wiedereintreten 
des Blutes in den Arm sehr allmählich erfolgen lassen. Ein äusserst 
langsames Lösen der Binde lässt sich erreichen, wenn man die 
Riva-Rocci sehe Kompressionsmanschette mit Wasser auf¬ 
pumpt und nun aus einem feinen Reduzierventil das Wasser tropfen¬ 
weis abfliessen lässt. Ganz allmählich tritt nun Blut in den Arm 
ein, und zwar zuerst in die Arterien. Man fühlt, wie langsam eine 
warme Welle in der Tiefe des Armes distalwärts strömt. Schliess¬ 
lich erreicht die Pulswelle die feinen Arterien der Fingerspitze. Man 
kann ihr Auftreten dort wiederum durch das Zucken einer Puls¬ 
flamme nachweisen, die man durch die Wand des Plethysmograph en- 
gefässes mit einer um die letzte Fingerphalanx gelegten Gärt¬ 
ner sehen Manschette in Verbindung bringt. Wenn man nun abliest, 
wie viel Wasser aus dem Plethysmographen durch Bluteintritt ver¬ 
drängt ist, bis zu dem Augenblick, in dem die erste arterielle Pulsa¬ 
tion an der Fingerspitze auftritt, so erhält man einen ungefähren 
(schematischen) Anhaltspunkt, für die in einem bestimmten Teil des 
arteriellen Systemes gelegene Blutmenge. Bald nach dem Eintritt 
der ersten Pulsation in den Arterien der Fingerspitze beginnen dann 
die Kapillaren sich zu füllen. Man sieht zunächst eine Rötung in 
den weitesten Teilen des Kapillarsystems, die sich gewöhnlich über 
den Knöcheln der Metakarpophalangealgelenke finden. Später röten 
sich dann auch diese und jene andere Stellen und endlich kommt ein 
Moment, in dem eine völlige Rötung der ganzen Haut eintritt. Bald 
mich dem EiAschiessen des Blutes in die Kapillaren der Haut beginnt 
sich dann die erste Venp eben zu erheben. Liest man nun ab, wie 


viel Wasser durch eintretendes Blut aus dem Plethysmographen 
verdrängt worden ist vom Augenblick des Eintrittes der ersten Pul¬ 
sation an der Fingerspitze bis zum eben wahrnehmbaren Erscheinen 
der allerersten Venenfüllung, so hat man zwischen diesen beiden 
Punkten die Füllung des Kapillarsystems eingegrenzt, und man würde 
demgemäss diese Wassermenge als ein relatives (schematisches) 
Mass für die in einem bestimmtem Teile des Kapillarsystemes ge¬ 
legene Blutmenge ansehen können. Liest man endlich ab, wie viel 
Wasser aus dem Plethysmographen noch abfliesst von dem Augen¬ 
blick, in dem sich die erste Vene eben gerade zu füllen beginnt, 
bis zum Sistieren des Wasserabflusses, so bekommt man ein relatives 
(schematisches) Mass für die in einem bestimmten Abschnitt des 
Venensystems gelegene Blutmenge. Ich hebe immer wieder hervor, 
dass es sich bei dieser Trennung der arteriellen, kapillaren und 
venösen Blutfüllung nur um grobschematische Masse handeln kann. 
Immerhin scheint mir nach meinen bisherigen Versuchen, als ob 
sich beim gesunden Menschen unter normalen Verhältnissen an¬ 
nähernd konstante Zahlen würden gewinnen lassen. Man könnte 
dann aus wesentlichen Abweichungen von diesen Normalwerten bei 
Kranken Anhaltspunkte für eine vermehrte oder verminderte Fül¬ 
lung des einen oder anderen Abschnittes des peripheren Gefäss- 
systems ableiten. 

Wie diese Bestrebungen aber auch ausfallen mögen, so¬ 
viel ist jetzt schon sicher, man kann durch die hydrostatischen 
Methoden einmal die absolute Blutmenge im Arm mit klinisch 
zureichender Genauigkeit messen und damit einen Nullpunkt 
für eine im Anschluss an die Messung zu schreibende plethys¬ 
mographische Kurve geSviranem und man- kann weiter das 
Druckgefälle aus der Brachialis in die Radialis, in die Kapillaren 
und Venen nach einer einheitlichen Methode darstellen. Wenn 
nun auch beide Verfahren wegen ihrer Kompliziertheit und der 
durch sie bedingten hohen Ausgaben ganz sicher nicht be¬ 
stimmt sind, in die ärztliche Praxis eingeführt zu werden, so 
darf man von ihnen doch im Laboratorium manchen Aufschluss 
über Wesen und Verlauf der verschiedensten Kreislaufano¬ 
malien erhoffen. 


Aus der K. Universitäts-Frauenklinik zu Kiel (Direktor: Geh. 

Rat Prof. Dr. P f a n n e n s t i e 1). 

Zur Einschränkung der Pessartherapie. 

Von Dr. Franz Cohn, I. Assistenzarzt der Klinik. 

In der heutigen Zeit, in der die vielfach nur sympto¬ 
matischen, sich lange hinziehenden und dadurch häufig dieNeur- 
asthenie geradezu züchtenden Behandlungsmethoden der so¬ 
genannten kleinen Gynäkologie immer mehr durch operative, 
radikale, zwar eingreifendere, aber schnell z>um Ziele führende 
und die Erwerbsfähigkeit arbeitender Patientinnen rasch 
wiederherstellende therapeutische Massnahmen verdrängt 
werden, hat auch die Pessartherapic sehr an Boden verloren. 
Der Grund dafür ist nicht allein in der operativen Tendenz 
unserer Zeit zu suchen, sondern viel mehr in den Unzulänglich¬ 
keiten, die der Pessartherapie anhaften, und die einen Ersatz 
derselben durch andere Behandlungsmethoden erheischen. 

Der kardinale Fehler, der der Pessarbehandlung anhaftet, 
und den K ü s t n e r treffend mit den Worten „öde Fremdkörper¬ 
therapie“ charakterisiert, ist, dass in eine sekreterfüllte Körper¬ 
höhle ein umfangreicher Fremdkörper dauernd zu liegen kommt. 
Dass ein derartiges Verweilen einesGegenstandes in derVagina, 
trotz diätetischer Massregeln, für die Schleimhaut nicht ganz 
gleichgültig sein kann, liegt auf der Hand, und nirgends in der 
Medizin finden wir ein Analogon für eine solche, lange Zeit aus¬ 
gedehnte Fremdkörpertherapie im Inneren eines Körper¬ 
hohlraums. 

Wenn nun auch, namentlich seit B. S. S c h u 11 z e das 
Pessar aus einem bloss ausfüllenden und zurückhaltenden 
Fremdkörper verfeinert worden ist zu einem sinngemässen, 
den architektonischen Verhältnissen der Genitalien angepassten 
Stützapparat, so ist gerade durch die hierdurch bedingte Kom¬ 
plizierung des Verfahrens ein weiterer Mangel desselben her¬ 
vorgerufen. Es handelt sich jetzt darum, zu individualisieren, 
das richtig sitzende Pessar für den betreffenden individuellen 
Genitalapparat zu finden und auch der im Verlaufe der Be¬ 
handlung sich verändernden Schelde entsprechend die Form 
und Grösse des Pessars zu modifizieren. Misslingt dies, so 
setzen wir durch ein falsch gewähltes Pessar oft Schädigungen, 
die den Nutzen der Behandlung völlig paralysieren. Dass nun 
die Kunst des Pessareinlegens schwer zu erlerrien und nament- 


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1824 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


lieh im klinischen Unterricht kaum gründlich zu lehren ist, wird 
jeder klinische Lehrer zugeben. Und wenn Fritsch, einer 
der Meister der Pessartherapie, verrät, dass er bis zur völligen 
Beherrschung dieser Kunst 10 Jahre gebraucht habe, so wird 
man ermessen können, ein wie unsicheres und „zweischnei¬ 
diges“ Instrument das Pessar in der Hand des weniger ge¬ 
übten Praktikers sein kann. 

Dazu kommt noch ein Nachteil, der an dem Herstellungs¬ 
material des Pessars selber liegt. Kein Material erfüllt die 
idealen Anforderungen, die Scheide nicht zu reizen, an der Ober¬ 
fläche nicht rauh zu werden, seine Form nicht zu verändern 
und nicht durch seine Schwere einen Druck auf die Schleim¬ 
haut auszuüben. Die zahlreichen Modelle, aus den verschieden¬ 
artigsten Stoffen hergestellt, sind ein Beweis dafür, dass keine 
Pessarform allen Bedingungen entspricht. 

Ein Uebelstand, der allerdings nicht dem Pessar selbst zur 
Last zu legen ist, ist seine Anwendung bei Lagearten des 
Uterus, bei denen eine Pcssarbchandhmg überhaupt nicht indi¬ 
ziert ist. Wir finden sehr häufig bei Patientinnen, die die 
klinische Sprechstunde aufsuchen, dass vom Hausarzt Pessare 
eingelegt sind bei der infantilen, einer frühen Entwicklungs¬ 
stufe entsprechenden Retroversionsstellung des hypoplastischen 
Uterus mit kleinem, meist stark anteflektiertem Korpus. Hier 
führt die verlängerte und stark nach hinten gerichtete Zer¬ 
vikalpartie, wenn die Anteflexion des kleinen Korpus über¬ 
sehen wird, wie das bei der erschwerten Untersuchung 
neurasthenischer Nulliparae sehr leicht möglich ist, dazu, 
fälschlich eilte Retroflexio anzunelmien. Dann w'erden die 
bestehenden dysmeuorrhoischen oder allgemein neurasthe- 
nischen Beschwerden, über welche Nulliparae mit hypo¬ 
plastischen Genitalien ]a sehr häufig klagen, auf die vermeint¬ 
liche Rückwärtsknickung bezogen und durch ein Pessar zu 
beheben versucht, was natürlich nicht den gewünschten Er¬ 
folg hat. Hier muss eine allgemein antineurasthenische und 
ionisierende Behandlung, eventuell eine Zervixdilatation oder 
aus Indikation der Sterilität eine Chrobaksche Diszision 
an Stelle der Pessartherapie treten. 

Ob eine mobile unkomplizierte, d. h. nicht mit perimetri- 
tischen Prozessen, chronischer Metritis, Deszensus oder Gra¬ 
vidität verbundene Retroflexio als ein pathologischer Zustand 
anzusehen ist, der eine Lagekorrcktion durch Pessar oder 
Operation bedarf, darüber sind die Meinungen noch sehr ge¬ 
teilt. Während in den letzten Jahren der Auffassung der 
mobilen Retroflexio als einer pathologischen Lage von ver¬ 
schiedenen Seiten entgegengetreten worden ist, wird diese 
Meinung neuerdings wieder von Sippe l 1 ) energisch ver¬ 
fochten. Auch Küstner hält in seinen neuesten Publi¬ 
kationen 2 ) an der Anschauung fest, dass die Retroflexio mo- 
bilis als krankhafter Zustand behandlungsbedürftig und auch 
mittels orthopädischer Therapie durch Kräftigung des Hand¬ 
apparates zu beseitigen sei. Gegenüber dem Optimismus 
K ü s t n e r s hebt Schwab ;i ) an der Hand des Menge sehen 
Materials die sehr problematischen Resultate der Pessar¬ 
therapie sowohl bei der Retroflexio mobilis als beim Prolaps 
hervor. 

An der Pfannen stiel sehen Klinik, die seit Jahren an 
dem Prinzip festhält, die mobile unkomplizierte Retroflexio 
statt einer lokalen einer Allgemeinbchandlung zu unterwerfen, 
haben wir mit dieser Therapie durchaus gute Resultate zu ver¬ 
zeichnen-. 

Es bliebe somit nach Ausschaltung der mobilen Retroflexio 
als das alleinige Gebiet der Pessarbehandlimg der Deszensus 
und Prolaps übrig, und zwar - ein Resultat, zu dem auch 
Schw ab kommt — auch nur als Notbehelf in den beiden 
Altersklassen, in denen man sich schwer zu einer Operation 
entschliesst. Das sind erstens die jungen, noch gebärfähigen 
Frauen, bei denen die Operation doch eine gewisse Rezidiv¬ 
gefahr nach folgenden Geburten oder eine Erschwerung der 
Geburtstätigkeit mit sich bringt. Diese kann man mit einem 
Pessar über die Jahre der Zeugungsfähigkeit, wenigstens bis 


J ) Nippel: Die klinische Bedeutung der Rfickvv ürtslagenmg 
des rielnirniutterkörpers. Mnnntssclir. f. (ieb. u. <ivn.. Bd. 2n. 1 «>i»7. 

*) Medizinische Klinik 190\ Nu. 15 und Veits llainlhiieh der 
Dynakologie. Bd. 1, 2. Au fl. 

‘) Miinch. ined. Woohensclir., I9n7, Nu. 29, S. MD. 


zu einem gewissen Grade, bis zur Erzielung einer ausreichen¬ 
den Nachkommenschaft, liuivv egbrmgeii, um sie nachher einer 
definitiv heilenden, eventuell mit Tubenresektion verbundenen 
Operation zu unterwerfen. Bei hochgradigen Prolapsen wnd 
man indessen auch in jugendlichem Alter die Operation der 
Pessartherapie vorziehen müssen, um nicht beim Eintritt einer 
Gravidität nach Entfernung des Pessars dem \\ ;eJervortreteii 
des Prolapses mit seinen (jefahren für das Wochenbett macht¬ 
los gegenüberzustehen. 

Die andere Altersklasse wären Greisinnen mit hoch¬ 
gradiger Senihrät oder Dekrepiditat. bei denen man einen 
operativen Eingriff nicht mehr riskieren zu können glaubt. Die 
Hoffnung, durch die Lumbalanästhesie wenigstens d,e Gefahren 
der Inhalatioi.snarkose, namentlich die pt.*:< perat.\e Pneu¬ 
monie zu beseitigen, muss mau anges;Jits der Warnungen 
Kronigs vor der Anwendung der Lumbalanästhesie bei de- 
krepiden Personen w < hl umgeben. Dagegen hat sich uns das 
Frühaufstehern nach der Operation, das wir audi sonst sehr 
schätzen gelernt haben, be-sot ders bei alui Frauen ausser¬ 
ordentlich bewahrt, und so haben wir, iiaJtdem die Gcfahreti 
der längeren Bettruhe ausgeschaltet waren, auch der Ope¬ 
rabilität der Prolapse bei Greisinnen bedeutend weitere Gren¬ 
zen gezogen. 

Was uns, ebenso wie andere Autoren, da/ti veranlasst. J.e 
Pessarbehaudlung immer mehr zu Gunsten der opira:,\ oi 
Therapie cinznschränken. das sind die Schädigungen, wekhe 
der in der Scheide liegende Eremdkorper auf d.e ^chkimhaut 
derselben ausuht. Gegenüber dem Optimismus mancher 
Publikationen verdient doch her\orgeln.heu zu werden, dass 
das Pessar keineswegs in der überwiegenden .Mehrzahl der 
Ealle reaktinuslos \ ertragen wnd. I rot/ richtiger Auswahl 
der Pessare in Bezug auf Form. Grosse und Material m.d trotz 
sorgsamer Pflege des Pessars begegnet es uns d<dl sehr 
häufig - wie auch aus Schw ahs Mat.st.k ■instruktiv her- 
vorgeht , dass subjektive Beschweideii der Patientin oder 
objektiv nachweisbare \ erlet/uuge u oder Ent/tiu. Jungen der 
Scheide uns zwingen, die begonnene Pessartherapie ais un- 
zweckmässig und schädlich wieder aui/ugeben. 

Es ist zwar nicht zu leugnen, dass manche Scheide das 
Pessar anstandslos \ ertragt; Ealle, wie der \nii Prochow - 
uik ‘), wo ein Schalenpessar IN lahre ohne Wechsel getragen 
w urde, ohne dass Kolpitis ('der En ^->i i cn zustande kamen, 
dürften indes zu den Seltenheiten gehören. 

Es ist eben der Mangel der Pessartherap.e. die der prak¬ 
tische Ar/t immer noch als eine völlig harmlose .Methode an- 
iisehen geneigt ist, dass sich die Reaktion der Scheide auf das 
Pessar im Emzelfalle nicht im \oraus berechnen lasst. m:d 
dass wir durch das Pessar dem Grnudlvideii Komplikationen 
hinzufügen können, die viel Beschwerden machen und nicht so 
bald wieder zu beseitigen sind. Wie oft bedarf ein Prolaps 
mit Pessardekubitus erst einer vv oellenlang«.n Krankeuhaus- 
behaudhing zur Abheilung der De kub.talges Jnv ure. ehe die 
Operation vorgenommen werden kann. 

Es ist in den meisten Publikationen über die schäJl.cheii 
Wirkungen der Pessare vorwiegend die Rede von \ erk t/m gen 
und Retentionen, die durch abnorm langes \erv\e.k-n vernach¬ 
lässigter Pessare liervorgerutkn sind. Namentlich die ver¬ 
dienstvolle /iisammenstelltftig Neugeba uersl entrollt ein 
drastisches Bild der /erstonmgen. ehe der E'remdkorper. v iel- 
faeli auch durch seine unzvv eckma^^ige f orm, hervorgebracht 
hat. 1 iudeu sich doch nmer diesen Ea kn allem -4J mal 
Blasensclieideiiiistelu, M mal RehtimiSvheidiuriMeln und läntnl 
kombinierte Blasen- und Rektum'*J r .deuiisteln. Aus der 
nein reu I.heraMr hisst skli die Statistik \ e u g e b a u e r s 
noch bedeutend vermehren, z. B. durch Eu le von Jung- 
e ii g e I ' ). ,M a I t o s ), S k u t s e h ') u. a. kh selbst hal'e Hi 
I der mittelrhuniscI kii Gesellschaft für (iebtirtsh.itk- und Gvn.iko- 
logie") über .s derartige Ealle ans der Giessuter Klm.k be- 

') (ich. (i-s. /'i f l.iiuluir c. >U/ung \ >ri PT dual P'<w*. 

') Vulkmamis Neue i -d. \ ., |os 

Eraiikise li;e < i-s. f. u. ii\n„ 27 . Iiau p*>v 

') biafüt.-l »iss. Miit/Hirg hnt, 

s ) < ic s. f. ( ii-n. u. * j \ n. A\i Iai;v s . 1", | J,r. p>"7. /k”t'.(M. 

f. (iyn. 1 <>■ »7. S. (>7.\ 

) \ >»1 1 1 d. Mai ! ‘> 11 ,, '' ■! 1 i ^l i ' i ( iM' |l <i\u I• »7 

S. (.25. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1825 


richten können; in einem dieser Fälle war durch ein Löh¬ 
lein sches Pessar eine grosse Rektum-Scheidenfistel ver¬ 
ursacht. Jetzt kann ich diese Fälle noch um 7 eingewachsene 
Pessare aus der Kieler Klinik vermehren; unter diesen befindet 
sich ebenfalls eine Patientin, bei der das Pessar das Septum 
rectc-vaginale durchbrochen hatte und durch das Rektum aus- 
gestossen wurde. 

Dass auch die Meyerschen Weichgummiringe, denen 
wegen ihrer Weichheit fälschlich eine gewisse Unschädlichkeit 
nachgerühmt wird, die verhängnisvollsten Folgen haben 
können, beweist der tödlich verlaufene Fall von Büche- 
1 e r ,0 ). Hier hatte das regelmässig gewechselte Pessar durch 
Druckusur des Scheidengewölbes, des parazervikalen Gewebes 
und des Peritoneums eine intraperitoneale, gegen die Därme 
abgekapselte Abszesshöhle gebildet und war in diese ver¬ 
schwunden. Nach Entfernung des Pessars und anscheinend 
glatter Rekonvaleszenz erfolgte plötzlich der Tod an Embolie 
aus einer Thrombose der rechten Iliaca externa. 

Wegen des scheusslichen Fluors und der heftigen Kolpitis, 
die sie verursachen, sollten die Weichgummiringe, wie schon 
von anderen Seiten so oft betont, endlich vollkommen aus der 
Liste der Pessare gestrichen werden. 

Alle diese zahlreichen Fälle von unzweckmässigen oder 
vernachlässigten Pessaren können indes nicht als berechtigte 
Einwände gegen eine rationelle Pyssartherapie gelten. Anders 
ist es jedoch, wenn trotz richtiger Anwendung zweckmässig 
gebauter Pessare und sorgfältiger Pflege derselben sich schäd¬ 
liche Wirkungen bei ihnen geltend machen. Dass dies nicht so 
selten der Fall ist, und dass hierin eine Veranlassung zur Ein¬ 
schränkung der Pessartherapie liegt, darauf hinzuweisen ist 
der Hauptzweck dieser Zeilen. 

Hofmeier“) hält bei ausschliesslicher Verwendung von 
Hartgummipessaren 4—6 Monate als einen ausreichenden 
Zwischenraum für den Wechsel des Pessars, jedoch unter 
Berücksichtigung der individuell verschiedenen Reizbarkeit 
der Scheide. Dass die Patientin unterdessen das Pessar durch 
Spülung rein halten muss, ist selbstverständlich. 

Obwohl wir nun das Intervall für den Pessarwechsel auf 
nur 3 Monate, in Fällen von anscheinend etwas reizbarer 
Scheide sogar auf 2 Monate bemessen und unseren Patientinnen 
stets eine sorgsame Reinhaltung des Pessars durch Spülungen 
zur Pflicht gemacht haben, sind uns doch im Laufe der Jahre 
eine ganze Anzahl von Fällen begegnet, in denen die Scheide 
entweder bald oder erst nach längerer Behandlung heftig auf 
das Pessar reagierte. Zur Verwendung gelangten bei uns aus¬ 
schliesslich Hartgummipessare, und zwar vorwiegend ent¬ 
weder die parallelbügligen Pessare nach Bo w oder bei Alters¬ 
prolapsen die Prochownik scheu Siebschalen. Auf die 
richtige Auswahl der Pessargrösse wurde selbstverständlich 
stets grosses Gewicht gelegt. 

Die Reaktion der Scheide besteht bei den jüngeren, noch 
nicht klimakterischen Frauen mit sukkulenter Schleimhaut in 
einer beträchtlichen Vermehrung des Scheidenfluors mit kol- 
pitischer Reizung. Der Fluor wird oft in kurzer Zeit so er¬ 
heblich, dass die Frauen sich stark belästigt fühlen und selbst 
die Entfernung des Pessars wünschen. Dekubitalulzera da¬ 
gegen haben wir bei jüngeren Frauen kaum beobachtet. Nur 
die aufgelockerte Scheide der Graviden macht hier eine Aus¬ 
nahme. Wir konnten erst vor kurzer Zeit bei einer im 
3. Monat Graviden, der wegen mobiler Retroflexio uteri gravidi 
zur Verhütung einer Inkarzeration ein sicher nicht zu grosses 
B o w sches Pessar eingelegt worden war, schon nach 13 Tagen 
im hinteren Scheidengewölbe ein tiefes Dekubitalulcus mit leb¬ 
haft granulierenden Rändern beobachten. 

Eine Form der Reaktion der Scheide auf das Pessar, wie 
sic meines Wissens bisher noch nicht beschrieben worden ist, 
konnte ich bei 3 Frauen im klimakterischen Alter beobachten. 
Hier war, ohne dass Dekubitusbildung aufgetreten war, die 
Scheidenschleimhaut durch Bildung hyperplastischer Knoten 
in die Löcher von Siebschalenpessaren eingewachsen. In allen 
Fällen waren die Pessare regelmässig gewechselt und gut 


10 ) Aerztl. Verein Frankfurt. Monatsschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 23. 
”) Fränk. Ges. f. Geb. u. Frauenkrankh., 13. Mai 1907. Zentralbl. 
f. Gyn., 1907, S. 295. 

No. 35 


sauber gehalten worden. Der höchstgradige Fall stammt von 
einer 43 jährigen Frau, die ihr Pessar schon seit Jahren ohne 
Nachteile getragen hatte und bei der sich auf einmal bei dem 
pünktlichen 3 monatlichen Ringwechsel die Verwachsung des 
Pessars herausstellte. Die beigefügte Abbildung stellt den 



Moment dar, in dem das Pessar, an der hinteren Scheidenwand 
festgewachsen, aus dem Introitus herausgeklappt ist. Das 
Pessar war von 6 knopfförmigen Wucherungen durchsetzt; 
nur die kleineren davon Hessen sich glatt aus den Löchern 
herausziehen, die grösseren mussten abgeschnitten werden. 
Das mikroskopische Bild der entfernten Knötchen zeigte eine 
lebhafte papilläre Schleimhautwucherung, ähnlich dem Bilde 
bei spitzen Kondylomen . In den beiden anderen Fällen Hess 
sich das Pessar durch Herausziehen der Knöpfchen aus den 
Löchern leicht von seiner Verwachsung befreien; die Schleim¬ 
hautwucherungen blieben noch lange Wochen an der hinteren 
Vaginalwand sichtbar und reproduzierten die ringförmige An¬ 
ordnung der Löcher im Pessar. 

Ein Analogon zu diesen Befunden bieten die Fälle von 
Calmann, Falk, Lomer, Selig mann, Prochow- 
n i k 12 ), bei denen in die grosse zentrale Oeffnung des Schalen¬ 
pessars die Portio eingewachsen war. In einem Falle von 
v. W i n c k e 1 war die inkarzerierte Portio sogar gangränös 
geworden. 

Die dünne und leicht verletzliche Scheide der Greisinnen 
reagiert auf das Pessar nicht mit hypertrophischen Vorgängen, 
sondern mit ulzerativen und Schrumpfungsprozessen, wie sie 
durch die senile Atrophie der Schleimhaut bedingt sind. Der 
konstante Druck des Pessars erzeugt eine Usur der atro¬ 
phischen Schleimhaut, die in kurzer Zeit zu tiefen Dekubital- 
geschwüren führen kann. Erst nach Entstehung dieser Wund¬ 
flächen tritt ein eitriger, meist etwas blutig verfärbter Fluor 
auf, der die Patientinnen auf die Pessarschädigungen erst auf¬ 
merksam macht, wenn dieselben schon grössere Ausdehnung 
erlangt haben. So haben wir derartige symptomlos ent¬ 
standene Ulzera bei dem dreimonatlichen Pessarwechsel an 
Greisinnen entdeckt, manchmal auch bei Fällen, in denen die 
Pessartherapie schon seit langer Zeit ohne Reaktion durchge- 

12 ) Geb. Ges. in Hamburg, 16. Januar 1906. 

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MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3S. 


18 26 


führt gewesen war. In einem Falle von M a 11 o s fand sich 
bereits nach 2 Monaten eine schwere Scheidenverletzung. 
Hildebrandt 13 ) berichtet über einen Fall, in dem bei einer 
71jährigen Frau ein Menge sches Keulenpessar nach 
5 Monaten mit der Keule die hintere Scheidenwand usuricrt 
hatte und wie ein Hemdenknopf im Septum recto-vaginale sass. 

Eine andere Reaktion der senilen Scheide ist die narbige 
Schrumpfung der Schleimhaut, die ebenfalls in ziemlich kurzer 
Zeit zu einer Retention des Pessars ohne Bildung von 
Dekubitus führt. Die Entfernung des inkarzerierten Pessars 
gelingt seit Anwendung der G i g 1 i sehen Drahtsäge meist 
leicht, ohne dass Verletzungen entstehen oder Inzisionen ge¬ 
macht werden müssen, P i w n i c z k a u ) hat ein eigenes 
Instrument, eine scherenförmige Kneifzange, Pessariotom 
genannt, zur Entfernung inkarzerierter Pessare angegeben. 
In seltenen Fällen, wie in dem von Hoffman-n 1!i ) berichteten, 
kann allerdings die durch das Pessar hervorgerufene Narben¬ 
stenose heilend auf den Prolaps wirken; in Hoff mann s 
Falle war bereits nach l A Jahre eine derartige Verengerung 
eingetreten, dass der Prolaps ohne Pessar 10 Jahre darauf 
nicht wieder eingetreten war. 

Auch Kermauner 1 *) weist neuerdings auf die heilende 
Wirkung der narbigen Schrumpfung hin und hält derartig spon¬ 
tan geheilte Fälle für nicht so selten. 

Die Entstehung maligner Wucherungen auf dem Boden 
von Pessardruckfurchen wird sicher in ihrer Häufigkeit über¬ 
schätzt; vielfach werden ulzerierendc Granulationsmassen 
fälschlich für Karzinom gehalten. Neugebauer stellt 
9 Fälle maligner in Pessarusurcn entstandener Tumoren zu¬ 
sammen, die indes nicht sämtlich mikroskopisch sichergestellt 
sind. Wir erlebten in Giessen einen Fall, bei dem im Grunde 
eines Pessarulcus sich ein, auch mikroskopisch deutliches, 
Sarkom gebildet hatte. Obwohl Portio und Scheide in grosser 
Ausdehnung entfernt wurden, ist doch nach Bericht des Haus¬ 
arztes in kurzer Zeit ein Rezidiv eingetreten. 

Die erwähnten durch die Pessare verursachten Schädi¬ 
gungen müssen uns veranlassen, eine recht häufige und sorg¬ 
same Kontrolle derselben, wenn möglich in noch geringeren 
Intervallen als 3 Monaten durchzuführen. Hierbei werden wir 
genötigt sein, eine ganze Anzahl von Patientinnen von der 
Pessartherapie wieder auszuschliessen, weil sich die Scheide 
dem Fremdkörper gegenüber refraktär verhält. Gerade aus 
den beiden Altersklassen, in denen wir das Pessar als Not¬ 
behelf noch haben gelten lassen, nämlich dem jugendlichen, 
im Beginne der Gebärfähigkeit stehenden und dem Greiscn- 
alter, fallen dadurch sekundär noch viele Fälle der operativen 
Therapie anheim. 

Dazu kommt noch, dass eine ganze Reihe von Prolaps¬ 
formen von vornherein für eine Pessartherapie überhaupt 
ungeeignet ist, weil das Pessar in der Scheide keine genügen¬ 
den Halt- und Stützpunkte findet und daher bald wieder heraus¬ 
fällt. Das sind erstens die Fälle mit grossem Dammriss, die 
dem Pessar keinerlei stützenden Boden gewähren, zweitens die 
hochgradigen Zystozelen, die sich an jedem Pessar vorbei oder 
durch dasselbe hindurch drängen, und drittens die Fälle mit 
spitzem, nach oben zu konisch zulaufendem oder zu flachem 
Scheidengewölbe, die dem oberen Teile des Pessars keinen 
Halt bieten. 

Es ist demnach in der Prolapsbehandlung der operativen 
Therapie ein weit grösseres Feld anzuweisen als der Pessar¬ 
behandlung. Bei der arbeitenden Klasse kommt dabei noch 
das Moment der schnellen Wiederherstellung in Betracht, das 
die Operation in ca. 3 Wochen und bei der steigenden Ver¬ 
vollkommnung der Technik mit immer geringerer Rezidiv¬ 
gefahr gewährleistet. Wir haben seit ausgedehnter An¬ 
wendung der Vaginifixur, die wir bei Zystozelenfällen aus¬ 
nahmslos ausführen, unter vielen Hunderten von Fällen nur 
sehr spärliche Rezidive zu verzeichnen gehabt und auch diese 
meist durch kleine Nachoperationen, wie Portioamputation, 
beheben können. In noch gebärfähigem Alter führen wir die 
Vaginifixur transperitoneal, mit Zwischenlagerung des Peri- 


,:1 ) Zentral!)], f. Gyn., Bd. 28, 1904. S. 482. 
n ) Zentralbl. f. Gyn.. Bd. 27, 1902, S. 1302. 
l:> ) Mittelrhein. Ges. f. Geb. u. Gvn., 4. Mai 1907. 
1 ") Monatsschr. f. Geb. u. Gyn., 1908, Heft 5. 


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toncum aus; bei Frauen am Ende des 4. und im 5. Lebens¬ 
jahrzehnts, die schon über ausreichende Nachkommenschaft 
verfügen, wenden wir die direkte vaginale Fixierung der 
Gebärmutter mit Resektion der uterinen Tubenenden an. 

Obwohl nicht streng zu unserem Thema gehörig, mochte 
ich zum Schluss noch auf die schädlichen Folgen der Intraute¬ 
rinpessare hinweisen, um zu einem energischen Kampfe gegen 
diese Instrumente aufzufordern. Heutzutage werden sie wohl 
nur noch als antikonzeptionelle Mittel verwandt und leider 
auch vielfach von Aerzten eingelegt. Die antikonzeptionelle 
Wirkung kommt indes meist nicht durch Verhütung der Be¬ 
fruchtung, sondern durch Zerstörung einer bereits gebildeten 
Gravidität zustande, indem der im Uterus liegende Fremd¬ 
körper als Abortivum wirkt. Abgesehen davon, dass hierin ein 
verbrecherischer Akt liegt, ist hierbei die Infektionsgeiahr 
durch den intrauterinen Fremdkörper nicht zu unterschätzen. 
Ein Fall von ausgedehnter, die Patientin sehr erschöpfender 
para- und perimetritischer, nach Abort eingetretener Exsudat- 
bildung, den ich in der Giessener Klinik beobachtete, ist dafür 
ein klassisches Beispiel. Die Patientin beichtete nach längerem 
Klinikauienthalt, dass sie schon seit langer Zeit ein v< m Arzt 
eingelegtes Intrauterinpessar trüge, das sie auch — cs war ein 
Aluminiumobturator ’km vorzeigte. Trotz des Pessars war 
Konzeption, durch das Pessar Abort eingetreten, der spontan, 
ohne Eingriff, verlief, aber sofort von einer schweren, zu 
Exsudatbildung führenden Infektion mit hohem Fieber gefolgt 
war. Solche Fälle sind gewiss häufig, kommen aber nur selten 
zur Kenntnis 17 ). Namentlich auf die Intrauterinpessare Konnte 
der Ausspruch von Fritsch Anwendung finden, dass man 
wie bei gütigen Medikamenten einen freien Verkant' dieser 
Instrumente verhindern sollte. Zum mindestens sollte man in 
den Katalogen, die den Aerzten von verschiedenen Firmen 
übersandt werden, nicht mehr, wie es so häufig der bail ist, 
eine Anpreisung der Intrauterinpessare als völlig harmloser 
antikonzeptioneller Mittel vorfinden. 


Aus der K. chirurgischen Universitätsklinik zu Bonn (Direktor: 

Geheimrat Prof. Dr. Garr e). 

Ein neuer Beitrag zur Basedowthymus. 

Von Dr. Capelle, Assistenzarzt der Klinik. 

In der Lehre vom Morbus Basedow hat in letzter Zeit, 
neben der Schilddrüse, auch ein anderes Organ erhöhte Auf¬ 
merksamkeit verlangt. Es ist das die zur Zeit der Pubertät 
in starker Rückbildung befindliche, beim Erwachsenen ge¬ 
wöhnlich nur noch in Resten anzutrefferde Thymusdrüse. 
Während man sie früher zu den lymphoiden Organen rechnete 
und ihr allenfalls noch im fötalen Leben gewisse blutbildende 
Eigenschaften zuerkannte, kamen neuere anatomische wie bio¬ 
logische Forschungen zu dem Schluss, dass sie ungleich mehr 
zu den Drüsen mit selbstständiger innerer Sekretion zu 
rechnen ist und in ihren Resten im fertigen Organismus, wenn 
auch maskiert, das epitheliale Organ bleibt, als das sie primär 
angelegt wurde. 

Die Sektionen von Basedow kranken mehrten nun die 
merkw ii r d i g e B e o b a c h t u n g. dass dies in allem 
noch recht rätselhafte Organ bei Basedow oft zu 
finden ist und zwar, was besonders a u t f a 11 e n 
m u s s t e, in einer ( j r o s s e, die g e w o h n 1 i c h n u r 
au f der H ö he sein er E n t w i c kIu n g bei Nenne- 
b o r e n en oder Kindern in den erst e n L e he n s- 
fahren an ge troffen wird. Bei der Mehrzahl dieser 
Autopsien war das Interesse am Sektionsbefur.d durch die Art 
des eiiigetretenen Todes geweckt; vor allem waren es die 
Fülle, die in chirurgischer Behandlung zugrunde gegangen 
waren. Bei einem Teil von ihnen hatte nach technisch meist 
glatt verlaufener Operation und Narkose gewöhnlich ln bis 
20 Stunden später eine spontan einsetzer.de. klinisch durch 
nichts zu begründende, aber auch durch kein Analept.kum auf¬ 
zuhaltende Herzschwäche in wenigen Minuten bis Stunden zum 
Exitus geführt, bei einem anderen Tel war sie schlagartig 


*') Vergl. Wagner: Septischer Ah"rt durch ein Intrauterin¬ 
pessar. Munatsschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 25. lvu7. 


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1. September 1008. 


MUENCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


18 21 


während der Operation eingetreten mit dem gleichen, für die 
Angehörigen und den Operateur gleich schmerzvollen Aus¬ 
gang in Tod. 

Die letzten Augenblicke der Kranken hatten dabei 
etwas eigenartig typisches im Bilde: ent¬ 
weder, beim Operationstod, blieb unvermerkt der bis zuletzt 
noch gute Puls fort, während die Patienten mit einem Schlag 
kollabierten, gewöhnlich noch einzelne Respirationen bei freien 
Atemwegen machten und nach wenigen Momenten unwieder¬ 
bringlich verloren waren, trotz aller Wiederbelebungsver¬ 
suche (künstliche Atmung nach Tracheotomie, Tappotement 
des Herzens, direkte Herzmassage, Kampher, Kochsalzinfu¬ 
sionen etc.) verloren blieben; o d e r die Operation verlief tadel¬ 
los, der Puls blieb von A—Z gut, der Kranke lag schon eine 
Zeitlang, wie ein normal Operierter im Bett, war zu sich ge¬ 
kommen, hatte vielleicht schon den erleichternden Schlaf ge¬ 
funden, da plötzlich wird er unruhig, klagt über Herz¬ 
beklemmungen und wirft sich in Angstgefühlen hin und her. 
Der Puls ist klein und fliegend geworden. Die Beklemmungen 
werden stärker, das Gesicht blass, kalter Schweiss tritt auf die 
Stirn, die Augen treten stärker aus den Höhlen heraus und 
nach einem minuten- bis stundenlangen Todeskampf tritt der 
Exitus meist bei klarem Bewusstsein ein. 

Bei den Versuchen, diese Katastrophen, die meist wie ein 
Blitz am heiteren Himmel erscheinen, auf Ursachen zurück¬ 
zuführen, kamen die Autoren zu recht abweichenden Ver¬ 
mutungen. 

Einige brachten ihn in: Zusammenhang mit der Nar¬ 
kose, speziell dem Chloroform, dem wohl noch immer am 
meisten verwandten Narkotikum, und erklärten die Todesfälle 
schlechthin für Narkosentode, wie sie ab und an auch einmal 
bei anderen chirurgischen- Eingriffen erlebt werden. 

Andere legten den Hauptnachdruck auf eine plötzliche 
U e b e r s c h w e m m u n g des Körpers mit Schild¬ 
drüsenprodukten», dadurch zustande kommend, dass bei 
den heute gangbaren Operationsarten: das Schilddrüsengewebe 
angeschnitten, eine Menge von Lymphwegen eröffnet würden, 
aus denen dann die spezifischen, herzschädigenden Drüsen¬ 
produkte massenhaft und mit einem Male in den Körper aus¬ 
geschwemmt würden; die Antwort auf dieses Zuviel gäbe das 
Herz in Form der geschilderten Paralyse. 

Beide Annahmen hatten» zunächst viel Bestechendes, je¬ 
doch traten ihnen allmählich andere Erfahrungen 
gegenüber: einmal erlebte man die gleiche Katastrophe auch 
in reiner Lokalanästhesie, ohne einen »Tropfen Chloroform, 
ein andermal konnte von der Möglichkeit einer „plötzlichen 
Ueberschwemmung des Körpers mit Schilddrüsentoxinen“ 
überhaupt keine Rede sein, weil nur eine Unterbindung der 
Schilddrüsenarterien vorgenommen war, ohne dass auch nur 
die Kapsel der Drüse dabei verletzt worden wäre. 

Man zog nun die grosse Thymus heran, deren 
häufiges Vorkommen bei den zur Sektion gelangten Basedow¬ 
fällen schliesslich nicht mehr zufällig genannt werden konnte. 
Auf ihre Häufigkeit machte vor allem v. Hansemann auf¬ 
merksam. 

Ein französischer Forscher, Bonnet*), war es dann, 
der sich neuerdings eingehender mit der Basedowthymus be¬ 
schäftigte, und der auf Grund grösserer Beobachtungsreihen zu 
dem Schlüsse kam, dass für die plötzlichen Basedowtode zum 
grössten Teil die Thymus verantwortlich gemacht werden 
muss. 

Veranlasst durch drei selbst erlebte Missgeschicke bei 
Basedowoperationen haben auch wir a. a. 0. 3 ) die überall zer¬ 
streuten Berichte (60 an der Zahl) zusammengestellt und einer 
kritischen Durchsicht unterzogen. 

Dabei bekamen wir zunächst das überraschende Ergebnis, 
dass sämtliche Basedowkranke, deren Aut¬ 
opsie vorlag, zu 79 Proz. eine hypertrophische 
Thymus aufzuweisen hatten; ein Ergebnis, welches zu dem 
Schluss berechtigt, dass die Thymus bei Basedow eine prin- 


*)v. Hansemann: Schilddrüse und Thymus bei Morbus 
Basedow. Berl. klin. Wochenschr. No. 44 a, 1905. 

*) Thymus et mort subite. Province med. 1899, No. 36, 37, 38. 
3 ) Capelle: Ueber die Beziehungen der Thymus zum Morbus 
Basedow. Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie 1908. Bd. LVIII. 


zipieWe Eedeutung beansprucht. Das leuchtet um so mehr ein, 
wenn man bedenkt, wie selten sonst bei Sektionen Erwachsener 
das hypertrophische Organ ziu finden ist. 

Weiterhin konnten wir, in Rücksicht auf »die ein¬ 
zelnen Todesarten bei den 60 Fällen, deutliche 
Frequenzunterschiede einzelner Kategorien 
feststellen: Während nämlich die an interkurrenten Krank¬ 
heiten gestorbenen Basedowpatienten etwa zur Hälfte (44 
Proz.) die Thymus persistens s. hypertrophica darboten, stieg 
diese Zahl bei den ohne Nebenkrankheiten rein an der Schwere 
ihres Basedow Eingegangenen auf 82 Proz., erreichte bei den 
op. und postop. Herztoden schliesslich 95 Proz., ja 
schloss bei den letzteren, wenn wir einen durch grossen Blut¬ 
verlust komplizierten und deswegen nicht ganz einwandfreien 
Fall mitrechnen, mit einer Konstanz von 100 Proz ab. 

Diese Statistik veranlasste uns zu den Schlussfolgerungen, 
dass die Thymus 1. anatomisch nichts Zufälliges im Bild des 
Basedow ist, dass sie 2. klinisch einen Indikator 
für die Schwere eines Falles darstellt, und dass 
3. die Herzkatastrophen nach Basedowoperationen als 
reguläre Thymustode aufzufassen sind, ganz im Sinne 
der Pal tauf sehen Lehre vom Status thymicus 4 ). 

Der Zufall will es, dass wir kaum einige Wochen nach 
Mitteilung unserer eigenen Erfahrungen und den aus der Zu¬ 
sammenstellung ähnlicher Mitteilungen gezogenen Schlüssen, 
wieder in der Lage sind, über Thymustod bei Base¬ 
dow zu berichten. Dieser letzte Fall reiht sich klinisch wie 
pathologisch-anatomisch wieder ganz den bekannten an, so 
dass seine bemerkenswerten Daten kurz folgendermassen zu- 
sammenzufassen sind: 

Charlotte N., 16 Jahre alt, war, abgesehen von einer Halsent¬ 
zündung im 14. Lebensjahre, gesund bis vor 16 Monaten. Seit der 
Zeit schwoll der Hals an, die Augen traten stärker vor, Patientin 
wurde aufgeregt, magerte ab. Pinselungen des Halses und Diät 
hatten keinen Erfolg. 

Status: Für ihr Alter schlecht entwickeltes junges Mädchen, 
sehr nervös, in weinerlicher Stimmung; Exophthalmus, Zeichen von 
Graefe, Möbius, Stell wag positiv. Rechtsseitige weiche 
Struma, mit vergrössertem Isthmus und Lobus pyramidalis, links¬ 
seitige Struma auch gross, wenn auch weniger wie rechts. Ueber 
dem linken Lappen starkes Schwirren, rechts ebenfalls bestehend. 

Halsumfänge: 

Proc. spin. vert. prom.-Jugulum = 38Vs cm, 

„ „ „ „ -Prominentia = 37 cm 

„ „ „ „ Vorderhalsmitte = 39 cm. 

Die Struma reicht nicht retrosternal. 

Ueber dem Manubrium sterni eine Dämpfung, 
die der Herzdämpfung aufsitzt und die Grenzen 
des Manubrium nicht überschreitet (Thymus?). 

Flimmern um den Mundwinkeln. 

Ch vos tek negativ. Tremor der Finger. Starkes Herzklopfen. 
Herzgrenzen verbreitert, Spitzenstoss im 5. Interkostalraum stark 
hebend, so dass die ganze Brustwand mitzittert. Puls 144 Schläge 
pro Minute. 

Systolisches Geräusch über der Spitze. 

Lungen und Abdomen ohne Befund. 

Operation: In ruhiger Aethemarkose rechtsseitiger Schräg¬ 
schrift vor dem Kopfnicker. Die Struma ist durch Verwachsungen 
offenbar entzündlicher Natur mit der Umgebung verklebt und er¬ 
schwert zunächst etwas die sonst komplikationslos und mit geringem 
Blutverlust verlaufende Operation. 

Unterbindung der Art. thyreoidea sup. und inf. dextra, Resektion 
des rechten, weichen Strumalappens; dann Ligatur der Art. thyr. 
sup. sin vom kleinen linksseitigen Schnitt aus. 

Keilexzision aus dem Isthmus. Vernähung des Wundbettes. 

Blutung steht vollkommen. Tampon in den unteren Mund¬ 
winkel, Hautnaht. 

Post operationem: Pat. zunächst ziemlich kollabiert, erholt 
sich in den nächsten Stunden, Puls ziemlich kräftig, 160 pro Minnute. 
Freie Atmung, viel Durst. Der Nachmittag geht gut vorüber. 

Gegen Abend, 12 Stunden post operatinem wird der Puls plötz¬ 
lich klein, frequent, beträgt 180 Schläge pro Minute; blasses, nicht 
zyanotisches Aussehen, Lufthunger, Aufregung, Protrusio bul. stärker. 
10 Minuten nach Beginn des Anfalles endigt die Herzparalyse bei 
klarem Bewusstsein tödlich. 

Wunde ohne Befund. 

Autopsie: Keine Nachblutung; Herzhypertrophie, Leber und 
Intestinum ohne Befund, vergrösserte Rachenmandel, Milzfollikel- 

•) Pal tauf: Ueber die Beziehungen der Thymus zum plötz¬ 
lichen Tod. Wien. klin. Wochenschr. 1889. No. 46, 1890, No. 9. 

2 * 


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1828 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Schwellung; im vorderen Mediastinum etwa 1 cm vom unteren 
Strumarand beginnend eine persistierende Thymus von 10 :6' 2 : 2‘4 ein. 
Diagnose: Status thymicus. Struma mikroskop.: Paren¬ 
chymatöse Form, ohne Kolloid. 

Also klinisch ein Schulfall von schwerstem Basedow mit 
weicher, parenchymatöser Schilddrüse als Unterlage. Nach 
ergebnisloser interner Behandlung lässt (der Chirurg sich zum 
Eingriff bestimmen, trotzdem eine Dämpfung über dem oberen 
Sternum warnt! 

Nach glatt und ruhig verlaufener Operation in Aetlier- 
narkose erfolgt nach einem 12 ständigen einwandfreien Zw i¬ 
schenstadium in bekannter Weise der tödliche Herzkollaps und 
die Autopsie zeigt wieder den Status der vergrösserten 
Thymus. 

So spricht dieser Fall wieder seinem ganzen Verlauf nach 
für die Richtigkeit unserer Schlüsse, die w ir für die Indikation 
resp. Kontraindikation zu einer BasedowOperation gemacht 
haben: 

Es ist ein Gebot der Notw endigkeit, bei j e d e m s c h w e- 
r e n Basedow, der operativ angegriffen wer¬ 
den soll, das Bild des Status thymicus vor 
Aiugen zu behalten, wie es uns Pal tauf in seiner 
ganzen Widerstandsunfähigkeit auch gegen geringe Schädi¬ 
gungen geschildert hat, und jedesmal erst die diagnostische 
Kunst zu erschöpfen, für die Frage, ob der zu operierende 
Kranke eine vergrösserte Thymus besitzt. Lässt sich eine 
Dämpfung über dem oberen Sternum einwandfrei hcrausper- 
k'Utieren mit begleitender blassroter Hypertrophie der Ton¬ 
sillen, fühlt man bei Inspirationen vielleicht im Jugulum einetie- 
schwulst aus der Tiefe des Mediastinum anschlagen, haben 
wir im Röntgenbikl den von Hotz 6 ) beschriebenen Schatten 
oder bestehen Zeichen einer follikulären Hyperplasie am Kör¬ 
per (Tonsillen, Zungenbalgdrüsen, Milz), so ist die vergrösserte 
Thymus mehr als wahrscheinlich; dann ist aber gleichzeitig 
auch das Urteil bezüglich Operation gesprochen, denn nach 
unseren Erfahrungen gibt der Nachweis einer grossen 
Thymus eine Kontraindikation zu einem Ein¬ 
griff bei Basedow ab, wegen der zu gewärtigenden und 
bei ihrem Eintritt durch nichts aufzuhaltendcn Herzkata¬ 
strophen, die wir mm schon zum 4. Male immer in gleicher 
Weise haben verlaufen sehen. 


Blutbefunde bei periodischer Azetonämie grösserer 
Kinder. 

Von Privatdozent Dr. Hecker in München. 

Die Pathogenese dieser sicher nicht allzu seltenen, in 
Deutschland aber noch wenig studierten Erkrankung ist noch 
ganz unklar. In einer früheren Arbeit ‘) habe ich die verschie¬ 
denen herrschenden Theorien gestreift und dann der Meinung 
Ausdruck gegeben, dass das Primäre bei der stets mit Magen¬ 
erscheinungen einhergehenden Störung des Fettchemismus 
nicht in dem Erbrechen, nicht in hysterischer Veranlagung, 
nicht in bestehender Appendizitis u. a. zu suchen sei, son¬ 
dern in einer konstitutionellen Anomalie, in einer 
Entwicklungshemmung der Fettabbaufunktion. Gestützt wurde 
diese Annahme durch den Blutbefund bei dem einen der Fälle, 
einem 6 jährigen Knaben mit typischem rekurrierenden 
azetonämischen Erbrechen: neben ausgesprochener Ver¬ 
minderung der weissen Blutkörperchen (Leukopenie) fand sich 
ein sehr auffälliges Ueberwiegen der Lymphozyten über die 
polymorphkernigen Zellformen; eine Verschiebung also des 
Blutbildes in der Richtung des Säuglingsalters, eine Entwicke- 
lungshemmung auf anderem Gebiete. 

Der eigentümliche Befund veranlasste mich einerseits, die 
bei zwei anderen Kindern hergestellten Blutausstriche erneut 
durchzumustern, andererseits Kontrolluntersuchungen in an¬ 
fallsfreien Zeiten vorzunehmen. Aus äusseren Gründen — die 
Kinder entstammen der Privatpraxis — konnte ich letzteres 
nur an zwei Fällen durchführen. Die Leukozytenzählung 


6 ) Hotz: Die Ursachen des Thymustodes. Bruns Beiträge 
zur klin. Chirurgie, Bd. 55. 

*) Ueber periodische Azetonämie bei grösseren Kindern. Münch, 
-cd. Wochenschr. 1908, No. 29. 


geschah in der T h o m a - Z e i s s sehen Zählkammer, w obei 
stets mindestens zwei getrennte Zählungen vorgenommen wur¬ 
den. Zur Notierung der einzelnen Formen dienten exakt her¬ 
gestellte Blutausstriche aui sorgfältig m Alk«dud und Aether 
gereinigten Objektträgern. Gezählt wurden von jeder Blut¬ 
probe zweimal je ÖIH) Zellen. Von beiden Zahlen wurde das 
Mittel genommen, wobei die Differenzen nicht mehr als ImJi- 
stens 4 5 Proz. betrugen. Folgende Formen wurden berück¬ 
sichtigt: kleine und grosse Lymphnzx teil. Polymorpho/ytert, 
Dcbcrgangszellcn, grosse einkernige Zellui. eo\*.roplnlc Zellet:. 
Da die letzten drei Arten keinerlei konstantes \ erhalten auf- 
w lesen, lasse ich sie hier ausser Betracht und berücksichtige 
nur das Verhältnis der (kleinen und grossen! L\mph<>/\teil zu 
den Polymorphkernigen. 

Fall 1. .■ jähriger Knabe. t\ pisjies Beispiel m*ii pen< JisJie.i 

IIrhreellen mit A/etoiiamic. S Tage \** r dem schweren. J . 1 .uv 

dauernden Anfall zeigte das Blut ausgispr<. v In ne Leukopenie: 
nur 27 00 weisse Blutkörperchen bei einem l r\t!in>/\teiigehait \<>n 
5 : -■ Millionen. Die Ausstriche ergaben stärkest e b e r w 1 e g e n 
der Lymphozyten gegenüber den P<.';\ m>*r|>hkeriiigeii. 
75.s Pro/, zu lb.0 Pro/. 5 Mmiate n.uli dioeiii \nta.l. zu einer /.ut 
besten Wohlbefindens hatte das Blut annähernd me malen 1. e 11 k«»- 
z\teiigehalt ( 13 JlM 1 pro KubikmilimieterL das hisl"i"gisJ:c lb:J zeigte 
immer noch ein Ueberwiegen der L\mpln'/\teil. jed" V h nmht tm.br 
So exorbitant, wie kurz \nr dem Amall. 52 l'o»z. I.x mpfm/x teil zu 
4n Pro/. I’o|\im• rplikermgen. 

Fall II. 5 • lahriges MaJJieri. subakutes, mehrere Wachen 
dauerndes Kranklieilsbild mit A/etmiamie und gastrischen ITschei- 
nungen. Das Blut wahrend der L.rkrankling zeigte rin Ausstrich sehr 
auffällige Leukopenie (eine /ahiiing m der X.ih Kammer war 
aus äusseren Urninleii unnn.gaJi» und starkes l eher wiegen 
der Lymphozyten mit 75.1 Ln./, gegenüber den Pö!\m--rph- 
kernigen mit 2o.fi Pro/. 2 Wochen 11 a Ji der Heilung 1 it.rm. 1 e' 
Leukozytengehalt (14 non), vermindertes, aber poch deut¬ 
liches Ueberwiegen der L v m p h o 7 v t e n: 55.5 I’r< /. zu 
39,5 Proz. 

Fall III. 3 iahnges Madeberi mit akutem, '.echten \ria M . Bat 
während der Krankheit hat 11«»"» Lenk. >/\ teil. Die l.xmph"- 
/ y t e n ti I) e r w legen mit (»3 Pro/, gegenüber den P<>’\ rm 'r p'"- 
kernigen mit 35 Pro/. Ihne UntersuJiung in gesumier Zeit k-nnte 
nicht gemacht werden. 

Ein zur Kontrolle untersuchter gesunder Knabe vi-n U * .1 .ihre 11 
ergibt 40.0 Pro/. l.vmph"/vten und 5n.s Pr../. P AnmrphK t rm v e. 
also ein den Normai/ahien \<>n Car st armen (s. u.i ungefähr ent¬ 
sprechendes Bild. 


Im folgenden gebe ich die Befunde i 
zur Orientierung einige Z.iKm be.. w e 
einer grossen Menge von Präparaten fnr v 
alter des Kindes aufgesteilt hat. 

Tabelle 1. 

n Tabedenn .rm und L,g. v 
s e Garst a n > e n ; » a as 
le versJm.denen Lebens. 


L\ mph"- P"l\ nmrph- 
z\ teil kernige 

3iälir. Mädchen wahrend des \nfa!les 

bl Pf"/ 3 5 Pr.. 7 . 

5' .’jalir. Mädchen wahrend des Antalles 

73.1 . >0 . 

dasselbe 2 Wochen nach der Heilung 

5'.5 . 5«.5 

6 ' .nähr. Knabe kurz \ 0 r dem Amall . . 

75.s . l*.r« 

derselbe 5 Monate nas.li dem Anfall . . 

5d . 4o 

6 ' dalir. Knabe (KontrollkinJ). 

4".'» . 5i..s 


Tabelle 2 



5 ) M. Garst atmen: Wie verhalten s.Ji de pro/ettt: sehen 
Verhältnisse der verscluedenen formen der weissen IL ;tk'.rper^hen 
beim Menschen unter normalen LTbTUmdci:? Jab.rb. i. Kmdcrhcük.. 

Bd. 52, 1900. 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1829 


ln 3 Fällen von periodischer Azetonämie findet sich also 
während, bezw. kurz vor dem Anfall eine pathologische starke 
relative Lymphozytosis, die bei zweien der Fälle in ver¬ 
mindertem Masse auch in der anfallsfreien Zeit nachweisbar ist 
Beim 3. Fall konnte die Kontrolluntersuchung noch nicht aus¬ 
geführt werden. Die gefundene Präponderanz der Lym¬ 
phozyten gegenüber den Polymorphkernigen kann keine zu¬ 
fällige individuelle Schwankung sein, da selbst die in gesunder 
Zeit gezählten niedrigeren Werte noch weit über dem von 
Carstanjen aufgestellten oberen Grenzwerten der betr. 
Lebensalter stehen. 

Die Abnahme der relativen Lymphozytosis nach dem An¬ 
fall rührt wahrscheinlich nicht von einer Verminderung des 
Lymphozytenbestandes her, sondern von einer reichlichen Ein¬ 
fuhr polymorphkerniger Zellformen aus den betreffenden De¬ 
pots in den Blutkreislauf. Dafür spricht die numerische An¬ 
näherung dieser Zellen an die Lymphozyten bei gleichzeitiger 
Zunahme der Gesamtleukozytenzahl nach dem Anfall. 

Das Blutbild der azetonämischen Kinder in der anfalls¬ 
freien Zeit entspricht einem Zustande, wie er sich in frühester 
Säuglingsperiode findet und stellt demgemäss eine Entwick¬ 
lungshemmung dar. Während des Anfalles erfährt der Zu¬ 
stand eine akute Steigerung durch vorderhand unbekannte 
Gründe. 

Meine früher ausgesprochene Ansicht, dass die peri¬ 
odische Azetonämie der grösseren Kinder 
nicht als zufällige Störung, sondern als eine 
konstitutionelle Anomalie im Sinne einer 
Entwicklungshemmung und- zwar der Fettab¬ 
baufunktion aufzufassen sei, erhält durch den vorstehend 
gefundenen Parallelismus zwischen ihr und einer rückständigen 
Blutentwicklung neue Stützen. 

Des weiteren geht aber aus den mitgeteilten Befunden 
auch hervor, dass die weissem Blutkörperchen wichtige Be¬ 
ziehungen zu rein chemischen Prozessen des Organismus, 
hier zur Bildung der Azetonkörper haben. Ob die Lympho¬ 
zyten und mit ihnen die Lymphdrüsen als ihre Hauptbildungs¬ 
stätte das aktive Prinzip darstellen oder ob die Störung bei den 
polymorphkernigen Zellen bezw. ihren speziellen Ursprungs¬ 
stätten zu suchen ist, muss vorderhand dahingestellt bleiben. 


Zur Entstehungsgeschichte und Behandlung der Einge¬ 
weidebrüche. 

Von Prof. Dr. Wilhelm Koch. 

III. Die inneren Eingeweidebrüche. 

Als häufigste und deshalb wichtigste Variante dieser 
Gruppe durfte bisher die H. duodeno-jejunalis, jene darm¬ 
erfüllte Fossa duodeno-jejunalis betrachtet werden, welche wir 
an der durchschnittlich bogigen Uebergangsstelle des Duo¬ 
denum ins Jejunum, dort finden, wo der T r e i t z sehe Muskel, 
ein Gebilde den Danm überkreuzen würde, welches nach der 
Auffassung meines Mitarbeiters C o r 1 e i s für das Duodenum 
als Sphinkter in ähnlicher Weise wie der Pylorus für den 
Magen zu gelten hat. Hier, überwiegend häufig also links 
zwischen Wirbelsäule und dem Hauptaste der Vena mesen- 
terica inferior, schmiegt sich die Grube mit ihren bald ein¬ 
fachen, bald doppelten, verschiedentlich aufgestellten Begren¬ 
zungsfalten der Milzseite der duodenalen Knickung zum Jeju¬ 
num aufs innigste an. Den nicht so einfachen Werdegang der 
Grube kennen wir erst durch Klaatsch. 

Ich empfehle, den Aufriss des Darmes während der Phase der 
Nabelschleife sich vor Augen zu halten, ein Stück Draht, dessen 
oberes Ende vom Beobachter ab, also zur Wirbelsäule hin konvex 
ausgebogen wird. Es ist der noch lotrechte Magen. Dann folgen 
kaudalwärts in etwa sagittaler Ebene, das Duodenum als wirbel- 
säulenwärfts offener Dreiviertelkreis, diesem die schmale Nabel¬ 
schleife mit absteigendem gewundenen Dünndarm- und aufsteigen¬ 
dem gradem Dickdarrnschenkel, dem späteren üaecum-asccndens. 

In Höhe des unteren Duodenum biegt dieser Schenkel, als Urflexur, 
in das links von der Mittellinie haltende Kolorectum, den Inbegriff des 
späteren Transversum, Descendens und Rectum um. Und all diese 
Segmente erfüllt wirbetsäulenwärts das Mesenterium commune uno 
continuo, eine von der Wirbelsäule ausgehende, Aortengekröse ge¬ 
nannte Duplikatur des Bauchfelies, welche nur begrifflich in Meso- | 
gastrium, Mesoduodenum, Gekröse der Nabelschleife und JVleso- 


rectum sich scheiden lässt Den zwischen Ende des Duodenum und 
Urflexur sich ausspannenden, durch die Mesenterica etwa halbierten 
Teil dieses Meso färbe man als Faden zum Duodenum hin rot zur 
Urflexur hin schwarz und merke, dass schon im Entstehen der sagit- 
talen Krümmungen Duodenum und Urflexur auch seitlich abweichen. 
Infolgedessen erscheint das Duodenum mit seinem Meso rechts¬ 
gekehrt, ohne jedoch die hintere Leibeswand zu erreichen; hingegen 
die Urflexur mit dem Kolorectum, in Erinnerung an Zustände niedrig¬ 
ster Säuger, von allem Anfang an links, milzwärts von der Wirbelsäule. 
Alsbald wandert aber auch die Urflexur nach rechts hinüber und 
gelangt dabei auf die ventrale Fläche des Mesoduodenum, um mit ihr 
als Flexura colico-duodenalis (KJaatsch) ligamentös sich zu ver¬ 
binden. Dabei muss das Mesenterium commune zwischen Duodenum 
und Urflexur, die primäre Radix (Klaatsch), unser gefärbter 
Faden, im Sinne der Urflexur, entgegengesetzt also dem Urzeiger, 
so sich drehen, dass der schwarz gefärbte Teil ventralwärts vor 
dem roten zu liegen kommt Durch diese Bewegungen wird nicht 
nur die Uebergangsstelle des Duodenum zum Jejunum verdeckt, son¬ 
dern zwischen Duodenumende und Kolorectum ein Recessus gebildet 
welchen leberwärts und zum Rectum hin abziehende Falten des 
Bauchfells efinschneiden, kopfwärts aber die primäre Radix be¬ 
deckt. Das ist der Recessus recto-duodenahs Klaatsch, die spätere 
Fossa duodeno-jejunalis. Der gleichsinnigen Drehung des Duodenum 
und der Urflexur wegen wird diese Grube zunächst rechts von der 
Wirbelsäule zu suchen sein. Später, während das Kolon leberwärts 
von der Flexura colico-duodenalis nach rechts, die Flexura d.-j. 
nach links hinüberreichen, wird zusammen mit letzterer die Grube 
die Wirbelsäule überkreuzen und dann sich links von dieser ein¬ 
stellen müssen, wobei links von der Fl. colico-duodenalis aus dem 
bogigen Kolorectum das Trans versum ebenfalls nach links hinüber 
mit einem Meso sich entwickelt, (welches in einer Flucht mit der 
primären Radix liegt, also zum Dach der F. d.-j. ebenfalls beiträgt. 
Es hängt also ganz von der Zeit ab, ob die Fossa 
d.-j. leberwärts von der Wirbelsäule, auf dieser 
oder milzwärts von ihrangetroffen wird und über¬ 
all hier ist die Flexura d.-j. mit der Grube aufs engste 
verbunden. 

Nun steht zweierlei fest. Erstens, dass der (menschliche 
Darm im Bilde der Nabelschleife jenem der Ursäuger, bei 
langewundenem Caecum-ascendens jenem gewisser Rep¬ 
tilien, nach seiner Ueberkreuzung und Befestigung ans Duo¬ 
denum zunächst jenem der Beutler und Nager, später, wenn 
Bindungen auch an die Magenkurve eingeleitet werden, jenem 
der Prosimier gleicht. Zweitens aber dass, genau wie beim 
Zwerchfell, diese Entwicklungsphasen auch auf das spätere 
Leben übernommen weiden können, ohne letzteres zu gefähr¬ 
den oder in seinen Aeusserungen zu beeinträphtigen. Kann 
sich aber der Darm des Ausgewachsenen dauernd im Bilde 
vergleichsweise niedriger tierischer Familien halten, so wird 
diesem unsere dem Darm anhängende Grube ebenfalls nach- 
kommen müssen; auch beim Erwachsenen muss es, je nach 
seinem Vorbilde, die bald rechts, 'bald auf der Wiirbelsäule, 
bald links von ihr haltende Fossa d.-j. geben; sie wird hier 
nicht auf einen unverrückbaren Punkt angewiesen sein, son¬ 
dern, wie bei den einzelnen Arten der in Vergleich kommen¬ 
den Sippe, «in messbarer Breite sich bewegen können. 

Bis auf Klaatsch ist all dieses übersehen und infolge¬ 
dessen die Grube, wenn sie an anderer als legitimer Stelle 
sich zeigte, eigens benannt, ein Verfahren geübt worden, wel¬ 
ches die grösste Verwirrung zeitigte. Dieser entgehen wir nur, 
wenn wirdie eng an dieFlexura d.-j. gebundene 
und letztere als frühes Erbstück regelmässig 
begleitende Grube ohne Rücksicht auf den 
Ort als Ein «heit auffassen, also auch einheit¬ 
lich benennen. 

Doch hat man noch weiteres nicht voll gewürdigt. 

Wie in der Wagrechten schwankt nämlich das Duodenum 
auch in der Lotrechten. Vgl. e S. 150, wo als seine äussersten, 
allerdings selten begangenen Grenzen der Brustkorb (im Fall 
der Zwerchfelldefekte) und, im anderen Extrem, der Processus 
vaginalis, als mittlere Lage jene auf dem 2. und 3. Lenden¬ 
wirbel, unter Umständen auch auf Teilen des 1. und 4. Lenden¬ 
wirbels, nachgewiesen werden. Selbstredend folgt die Grube 
dem Darm ohne Ausnahme. 

Die Fossa d.-j. ist aber auch, beim Menschen wie beim 
Tier, verschieden gross (e S. 61); bald nur ein winziger 
Schlitz, bald erbsengross, bald mittleren, bald so erheblichen 
| Umfanges, dass sie, gewissemiassen als zweiter Innenraum, 
ausschliesslich der Drüsen und des Dickdarms, den ganzen 


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18 JO 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


Bauchfellsack ausfüllt. Das Verwirrendste sind dann Gruben 
und Taschen in der Nähe der Fossa d.-j.; namentlich aus¬ 
wärts von der Vena mesenterica inferior und ausser Zu¬ 
sammenhang mit der d.-j.-Flexur. Diese haben ich und die 
älteren Autoren bis Jonnesco hinunter, letzterer in seinem 
schönen Buch über die inneren Hernien, mit der duodeno- 
jejunalen Grube ausnahmslos zusammengeworfen. Doch 
konnte ich den Irrtum noch während des Druckes von e. auf 
S. 258 richtig stellen und dort vorschlagen, alles nur der Nach¬ 
barschaft, nicht der Flexur selbst angehörigc parakolisch zu 
nennen. Solche parakolische Aussackungen traf ich in ver¬ 
schiedener Grösse und Gestalt auch rechts; zu dreien über¬ 
einander zeigen sie Fig. 52 und 53 e S. 183. Und sind diese 
Aussackungen der hinteren Leibeswand zwischen Kolon und 
Wirbelsäule, so gibt es ähnliche auch auswärts vom Dick¬ 
darm, wenigstens vom Ascendens, wo ich bis zu 12, über- und 
nebeneinander, an einer Leiche gezählt habe ‘). 

Enthält nun die Grube Dann, so spricht man von der 
Hernia duodeno-jejunalis. Jedesmal ist es der Dünndarm, 
welcher die Tasche füllt. Bald mit einer, bald mit allen seinen 
Schlingen. Liegt die Grube links, wie gewöhnlich, so steckt 
in ihr nur diese und jene Schlinge, viel oder der ganze Dünn¬ 
darm hingegen im Fall der medianen oder rechtsseitigen Ein¬ 
ordnung. Je niedriger also der Zustand ist. welcher wieder¬ 
holt wird, um so inniger gestalten sich die Beziehungen zwi¬ 
schen Darm und Grube. Dieses Verhältnis wurde bisher gänz¬ 
lich übersehen und nur selten unternahm man es, der durch 
die Darmeinlagerung bedingten Komplikation auf den Grund 
zu kommen. Geschah cs, so rechnete man auch hier nur mit 
der Macht der Bauchpresse und des Darminhaltes. Selbst 
die Muttermilch sollte, noch während sie das Duodenum 
passiert, am Werke sein. Man klammert sich also an physi¬ 
kalisch Unmögliches, an Velleitäten, welche die eine Frage 
a/btut, warum, wäre es so, nicht ieder Mensch so bruchkrank 
ist, da doch jeder, bei durchschnittlich leerer Grube. Milch 
bekam und alsbald substantiell ernährt wurde. Und der 
Bauchpressc oder gar der wachsenden Leber w ird Aelmliches 
wie dem Kameel vor dem Nadelöhr der Wüstenherberge zu¬ 
gemutet — der Anfang des Jejunum ist, gleichgültig ob er 
eine Windung oder einige Schlingen darstellt, durchschnittlich 
der dickwandigste und umfänglichste Teil des Dünndarms, 
die Grube durchschnittlich sehr klein, flach und dazu von 
Falten eingefasst, w eiche sich der hinteren Bauch wand eng an¬ 
schmiegen. Jejunum und Leber dürften also die Tasche höch¬ 
stens fester verschliessen, als es ohnehin der Fall ist. 

Versagt aber auch hier jeder Mechanismus des späteren 
Lebens, so bleibt nichts übrig, als auf ein und dieselbe ent¬ 
wicklungsgeschichtliche Notwendigkeit zurückzugreifen, ob 
die Grube leer oder ob sie mit Darm erfüllt ist. Ohne schei¬ 
den zu dürfen, sehen wir in beiden Modifikationen nur ein 
und dasselbe Prinzip, keinerlei Aussenwirkungen, sondern 
Motive, welche im Darm und seinem Bauchfell selbst liegen, 
wie Arteigentümlichkeiten im Fall der Leere und Füllung, so 
auch Arteigentümlichkeiten, je nachdem die Grube rechts oder 
in der Leibesrnitte oder links hält; Artenfremdes also sowohl, 
wenn die Grube bei einer Familie, für welche wie beim Men¬ 
schen die Leere den Durchschnitt vorstellt, mit dem Darm 
besetzt erscheint und umgekehrt, w enn sie in Familien, welche 
darmerfüllte laschen auszeichnen, leer bleibt. Nicht spät im 
Leben, sondern wenn sie anschiesst, im Verlauf also der Phase 
der Nabelschleife, geht auch der Darm in die Grube ein. Und 
erinnert man sich des Drahtes, dessen, dass der Diinudarm- 
schenkcl der Nabelschleifc rechts im Bauche, unmittelbar vor 
dem Rezessus zu suchen ist, und ist in dieser Zeit der Eingang 
zum Rezessus vergleichsweise weit, letzter selbst flach, so 
bereitet nicht die Kopulation, sondern nur die Antwort auf die 

*) Es ist auffällig, dass gerade auswärts vom Ascendens das 
parietale Peritoneum, nach K 1 a a t s c li das I.ig. hepatn-eavo-dtio- 
denale, so häufig seitenständig sich faltet und dadurch Taschen er¬ 
zeugt. Die halte desselben Bandes von der Mmterseite des Caecum 
zur Darmschaufel hinunter setzt sich nicht selten bis in den Leisten¬ 
selbst Schenkelkanal hinein fort und ist wohl dasselbe wie die 
1 reitzsche Pliea genito-enterica. Von letzterer handeln Engel, 
/ u c k e r k u n d 1 und Sachs ebenfalls. 


Frage Schwierigkeiten, warum nicht jedesmal und dann, wenn 
er sich zu schlängeln anfängt, Darm in die Grube emtritt. 
Dieses verhindern auf die l auer, meiner Meinung nach, mir 
die in die einzelne Spezies gelegten besonderen, augenblick¬ 
lich ganz unbekannten Motive. 

Freilich kann ich in dieser Reihe ein Glied als tatsächliches 
nicht nachw eisen, tierische Familien nicht nennen, deren Grube 
den Darm regelmässig einschliesst. Das ist ein l'ebelstan 1. 
aber kein Uehelstand, der diese Auffassung aus der Well Schafft. 
Er besagt, dass die vergleichende Anatomie für klinische Fra- 
Ken bisher nur innerhalb bescheidener Grenzen interessiert 
werden konnte. Auf diese Frage ist sic von nun an fort und 
fort zu verweisen, sintemal aus der gemeinschaftlichen Arbeit 
nicht nur neue Aufgaben für die Theorie sich ergeben, sondern 
auch die Komplexe sich werden eins Jiranken lassen, deren 
Existenz wir zu behaupten gezwungen sind, ohne dass wir 
sie gesellen und materiell sichergestellt hatten. Doch ist es 
eingestandenermassen Vorzug gerade der Vergleichung, in 
dieser Weise indirekt, in der Art der Antizipation schhosen 
und den Dingen beikonunen zu dürfen, wie z. B. die Er¬ 
fahrungen über die (iastrula. die Milchleisten und mm auch d..s 
Zwerchfell es dargetan haben. 

Im Punkte der dimdrno-jeiimalen Hernie stützen meine 
Auffassung dann noch folgende Erfahrungen. Bei der kleinen 
linken Variante ist der Pickdarm im BilJe jenes der Anthru- 
piden, also so gesehen worden, wie er midi den Lehr¬ 
büchern • jedesmal aussehen soll. Bei den grossen und sehr 
grossen Brüchen aber iibcrhrückt den Sack wiederum der erst 
zw eischenklige Dickdarm, gebunden an die Flexura colicn- 
duodcnalis, mit reichen Windungen, Divertikeln, Nct/lipomcii 
u. a., namentlich in seinem aufsteigenden Teile. Es sind Bil¬ 
der, welche fortan auch der überzeugteste Entemptotiker als 
abhängig von Druck, Zerrung und ähnlichem nicht wird 
nehmen dürfen. Zum zweiten ist hier eine eigentliche Inkarce- 
ration so wenig sichergestellt worden, dass ich sie habe be¬ 
streiten können*). Trotzdem ist die Eingangspforte sehr eng 
und umklammert mit dem Anfänge des Je um um das Ende des 
Ileum, vor der H a u li i n i sehen Klappe, gleich dem sehne - 
denden Ring. Auch dieses weist zusammen mit der Tatsache, 
dass der Darm dieses Bruches überhaupt nur ausnahmswe.se 
erkrankt, eher auf angeborene als auf erworbene, pathologische 
Einrichtungen hin beide Teile mussten sich trotz ihres Miss¬ 
verhältnisses von allem Anfang an ineinander schicken. Des¬ 
halb erscheinen sie bei Neugeborenen und totui Fruchten im 
selben Ausmass wie bei alten Leuten, gleichgültig oh diese 
einer Darm- oder anderen Krankheit erlagen. 

Ich vermag nicht an/ugeben, wie oft die Hernia d.-i. zu er¬ 
warten ist und in welchem Verhältnis >:e zur parakulischcn 
Hernie steht. Denn die meisten von einigen 7n Berichten, 
welche ich durchgesehcn habe, lassen sich über die Fixpunkte 
der beiderseitigen Bruchpforte nicht genau genug aus. wie 
diese einerseits zur Elexura d.-j. imd andererseits zum Haupt¬ 
ast der V. mesenterica, ienem sich \ erhalt, welcher einwärts 
vom Stamm der Vene der W irbeLa ilc im Pa »gen zustrebt. 
Darf ich aber abschätzen, so wäre die Hernia d.-j. sens. strict. 
ein sehr seltenes Ereignis, 8 bis höchstens 12 mal in ieveti 
HH) Fällen zu erwarten, da die hintere und seitliche Lcibcs- 
wand darmerfiillte PauchfeMtascheii a:m/eichrien. Wie ich 
sagte, liegt diese Variante links; sie ist klein oder sehr klein, 
im Extrem umfänglich höchstens wie d;c Madcher.faust und 
umschliesst, je nachdem, eine oder mehrere, niemals alle Duun- 
darmw indungen. l'ncntsclrcdcn will ich lassen, ob derartige 
Eormatc möglich sind, wenn die Grube mit der zugehörigen 
Parmflexur rechts oder auf der Wirbelsäule halt, wenn also 
der Aufriss des Darmes niedrig ist. Dieser P;sp<. m';< m ent¬ 
sprechen eher grosse und sehr grosse Grübelt und daher die 
grosse oder sehr grosse, selbst den Baud] i\. lende, immer 

J ) Als Einklemmung im Same des Panr.\e• ''i-ss.-s \\ »j-Je bei 

den inneren Zw ei chiV'hei n.i n imd dem s g t j». | e :s zecher- 

weise eine hämorrhagische lute'n s gen- um in; dema P.r.is.tcn ich 
wenigstens nicht kenne. D e L sdei /<„ dwn tr’v'tn en dann 
der „Bruchent/iiiKlung“ oder ..chnm.s J ui I ise* irud'. w .e die 
Praktiker sagen, nur in f .n/e Ut teil. • e” , \ d.r a teil v gen. 
elastischen t nk’en meng. L'-'i. b u e. 


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Original fram 

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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1831 


aber eng an die Flexur anschliessende Hernie mit ebenfalls 
enger Eingangspforte und mit dem erst zweischenkligen Dick¬ 
darm, Bilder also, welche wir in der Ahnenreihe erst 
abwärts von den Prosimiern vermuten dürfen. (Ab¬ 
bildungen e S. 62—68.) Bisher wurden diese grossen 
Varianten etwa ebenso häufig wie die kleine linke 
gesehen. Endlich scheinen die parakolischen Brüche immer 
gross zu sein und mit ihrer übrigens sehr verschieden ge¬ 
stalteten Eingangspforte vorwiegend der linken Hälfte des 
Bauches anzugehören. Für diese charakteristisch ist dann noch 
die Lage ausserhalb des Hauptastes der V. mesenterica, 
zwischen diesem und der Stammvene, oder selbst auswärts 
von letzterer usw. Immer in mehr oder weniger grossem 
Abstand von der Flexura d.-j., wie es an den rechtsseitigen 
Exemplaren besonders in die Augen springt. Letztere hat jüngst, 
in erfreulicher Übereinstimmung mit meinen Abbildungen 
e S. 183—184, Fig. 52 und 53, Martens Mitt. a. d. Grenzge¬ 
bieten der M. u. Ch. III, Supplem. 1907 sichergestellt. Ebenso 
schied vor kurzem, wahrscheinlich ohne meine Arbeiten 
zu kennen, auch V a u t r i n Rev. d. Chirurg. XXVII No. 1 
zwischen rechts- und linksseitigen paraduodenalen Brüchen. 

Die parakolischen rechten und linken gehören zu den 
häufigsten, die duodeno-jejunalen also zu den selteneren Darm 
einschliessenden Bauchfelltaschen. Rücksiohts ihrer Häufig¬ 
keit nähern sich also die duodeno-jejunalen dem bisher von mir 
nicht gewürdigten Reste innerer Eingeweidebrüche, der H. 
foraminis Winslowiii (besser Bursae omentalis), den peri¬ 
caecalen und intersigmoidealen Hernien. Diese letzteren 
müssen in genetischer Richtung der duodeno-jejunalen und 
parakolischen Variante durchaus gleich bewertet werden, ob¬ 
schon zuzugeben ist, dass die H. Bursae und periaecalis, an 
regelmässig vorhandene, die intersigmoidea aber an nur 
seltene Taschen anknüpften. Ich charakterisiere sie des ge¬ 
naueren nicht, verweise vielmehr auf e S. 55 und 258 und auf 
Jonnesco H. internes retro-pöritoneales, Paris 1890, dessen 
Darstellung bis heute nicht überboten worden ist. Denn kasu¬ 
istische Mitteilungen neuerer Zeit haben eigentlich nur die Art 
der Danmeinlagerung gelegentlich der H. bursae etwas besser 
kennen gelehrt, sonst unentschieden lassen müssen, ob in 
diesem Falle die Bursa omentalis mit ihren zwei Abteilungen 
oder aber die Bursa hepato-enterica im Sinne K1 a a t s c h’, 
Morph. Jahrb. XVIII, S. 395 ff. nachgeahmt wurde. Von Fort¬ 
schritten in Sachen der H. pericaecalis und intersigmoidea aber 
weiss ich nicht zu berichten. Neue Varianten der inneren Hernien 
wären die parakolischen rechten und linken, innen und selbst 
aussen vom Dickdarm möglichen. 

Ich also vermag in allen inneren Hernien den Ausdruck 
nur typischer, während der embryonalen Periode eingeleiteter 
Beziehungen zwischen Darm und Bauchfell zu erkennen, von 
vornherein intendierte Wachstumserscheinungen und Ausge¬ 
staltungen zu erblicken, welche auf tierische Muster hinweisen, 
keinesfalls Folge der Bauchpresse, des Darminhaltes, des 
Trauma oder gar der Infektion sind. 


Aus der Hautabteilung der Städt. Krankenanstalt Altstadt in 
Magdeburg (Oberarzt Dr. Schreiber). 

Die Kromayersche Quecksilber-Inhalationskur bei 
Syphilis. 

Von Dr. Paul Bendig, Assistent der Abteilung. 

Nachdem durch die experimentellen Untersuchungen von 
Juliusberg 1 ) der Beweis erbracht war, dass bei der anti¬ 
luetischen Schmierkur die Quecksilberinkorporation im wesent¬ 
lichen durch Einatmung der entstehenden Quecksilberdämpfe 
geschieht, sind wiederholt neue Methoden der Quecksilber¬ 
inhalation angegeben. So hat Thalmann*) eine neue Dis¬ 
pensierung des Quecksilbers eingeführt, indem er, statt wie 


*) Juliusberg: Experiment und Untersuchungen über die 
Quecksilberresorption beim Schmieren. Archiv für Dermatologie und 
Syphilis 1901. 

s ) Thal mann: Die Syphilis und ihre Behandlung im Lichte 
neuer Forschungen. Dresden 1906, pag. 27. 


Welairder 3 ) grössere Hautflächen mit Quecksilbersalbe zu 
bestreichen-, kleinere Mengen davon einfach in die Nase strich. 
Ferner hat C r o n q u i s t *) die Quecksilberschnupfungskur 
eingeführt. Er liess die Patienten Hydrargyrum cum creta 
schnupfen. Abgesehen davon, dass es bei dieser Methode 
ausserordentlich leicht zu Nasenbluten kommt, sowie Schmer¬ 
zen in der Nase, da das Hydrargyrum cum creta, wie Cron- 
q u i s t selbst zugibt, die Nasenschleimhaut reizt, ist dieselbe 
auch nur bei Patienten anwendbar, die immer, auch während 
des Schlafes, ausschliesslich durch die Nase atmen; ein Nach¬ 
teil, den sie mit der T h a 1 m a n n sehen Methode gemein¬ 
sam hat. 

Dieser Uebelstand ist beseitigt bei der neuesten Queck¬ 
silberinhalationskur, wie sie von Kromayer 6 ) angegeben 
ist. Das Prinzip besteht in der Inhalation von feinstem Queck¬ 
silber mittels einer Maske. Diese Maske besteht aus einem 
biegsamen Drahtgestell und ist von einer doppelten Lage Mull 
überzogen, der genau 8 g regulinisches Quecksilber impräg¬ 
niert enthält. Sie wird des Nachts oder auch am Tage über 
Nase und Mund durch zwei an den Maskenrand befestigte 
Bänder fixiert, die oberhalb der Ohren nach dem Hinterkopf 
geführt, dort gekreuzt und vorne über der Stirn zusammen¬ 
gebunden werden, und gibt an die Atmungsluft das für die 
Syphilisbehandlung notwendige Quecksilber ab. Vermöge 
ihrer Biegsamkeit passt sie sich den Formen der Nase und des 
Kinnes bequem an. Nach Kromayer reicht eine solche 
Maske für die Dauer von 10 Tagen aus: Und zwar wird jede 
Maske 5 Tage in einer Lage und 5 Tage in der entgegen¬ 
gesetzten Lage getragen, damit auch die oberen Teile der 
Maske über dem Nasenrücken zur Verwertung gelangen. 

Die durchweg zufriedenstellenden Erfolge Kromayers 
mit dieser Maske gaben die Veranlassung, diese Art der Queck¬ 
silberinkorporation auch im hiesigen Krankenhause versuchs¬ 
weise einzuführen. 

Es sind bisher 20 Patienten damit behandelt worden. In 
allen Fällen handelte es sich um ausgesprochene Sekundär¬ 
erscheinungen: Zahlreiche, zum Teil konfluierende Condylo- 
inata lata an den Genitalien, universelles Exanthema maculo- 
papulosum und Angina luetica. 

De‘r klinische Verlauf bei Anwendung dieser Inhalations¬ 
kur ist wohl am besten durch Einsicht in eine Krankengeschichte 
zu erkennen. 

H. S., Dienstmädchen, 21 Jahre, aufgenommen wegen Lues II. 

29. IV. 08 Status praesens: Breite, z. T. nässende Kon¬ 
dylome an der Vulva, grosses makulöses Exanthem, starke Angina 
specifica. Beide Labia majora ausserdem hochgerötet und ödematös. 

Da Patientin sich im übrigen wohl befand, sofortiges Einleiten 
einer Maskenkur. Keine Lokalbehandlung. 

2. V. 08. Entzündung und Oedem zurückgegangen. 

5. V. 08. Kondylome sind trocken, flacher, Exanthem fast ver¬ 
schwunden, Tonsillen nur noch leicht gerötet. 

15. V. 08. ’ Kondylome nur noch als leicht gerötete Stellen er¬ 
kenntlich, Exanthem ziemlich abgeblasst. 

18. V. 08. Kondylome verschwunden, desgleichen das Exanthem. 
An den Tonsillen nichts pathologisches mehr sichtbar. 

Aehnlich war der Verlauf in den anderen Fällen: Schon 
nach zwei- bis dreimaliger Anwendung der Maske — dieselbe 
wurde nur nachts getragen — waren die Entzündungserschei¬ 
nungen an den Genitalien zurückgegangen. Die Kondylome 
nässten nicht mehr. Im weiteren Verlaufe wurden die Kon¬ 
dylome immer flacher und waren gewöhnlich am 16.—20. Tage 
nur noch als leicht gerötete Stellen im Niveau der übrigen 
Haut sichtbar. Hierbei sei ausdrücklich bemerkt, dass, um 
den wirklichen Effekt der Inhalation allein beobachten zu 
können, jede Lokalbehandlung der Kondylome mit irgend 
welchen Hydrargyrumpräparaten oder sonstigen Mitteln voll¬ 
ständig unterblieb. 

Der Rückgang des Exanthems war verschieden. In den 
meisten Fällen war dasselbe bereits nach 5—6 Tagen spurlos 
verschwunden, in anderen Fällen blieb es 2 —3 Wochen be- 


8 ) Welander: Ueber die Behandlung von Syphilis mittelst 
Ueberstreichens — nicht Einreibens — von Quecksilbersalbe. Archiv 
für Dermatologie 1893. 

4 ) Cronquist: Eine Quecksilberschnupfungskur. Archiv für 
Dermatologie 1907, Bd. 86. 

“) Kromayer: Ueber eine neue Quecksilberinhalationskur bei 
Syphilis. Berliner klinische Wochenschrift 1908, No. 8. 


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1832 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


stehen, um dann einer Pigmentierung Platz zu machen. In 
einem Falle wurde es, wie es ja oft genug auch bei den anderen 
Quecksilberapplikationen vorkommt, zunächst noch intensiver, 
bildete sich dann aber im weiteren Verlaufe der Inhalations¬ 
kur allmählich zurück. 

Am schnellsten verschwand die Angina luetica. Am 4. Be¬ 
handlungstage war davon gewöhnlich nichts mehr zu sehen. 
Eine sehr schwere Angina mit dicken schmierigen Belegen 
auf den geschwollenen Tonsillen heilte in 8 Tagen vollständig 
ab. Diese schnelle Abheilung der Angina dürfte vielleicht auch 
mit darin ihren Qrund haben, dass bei der Inhalation durch 
die Atmungsluft feinste Quecksilberpartikelchen direkt auf die 
Tonsillen gebracht werden und dort lokal antiluetisch wirken. 

In einem Falle handelte es sich um eine luetische Psoriasis. Der 
ganze Körper sowie die Extremitäten, namentlich die Beine waren 
mit psoriatischen Borken bedeckt. Ferner bestand Psoriasis der 
Handflächen und Fussohlen, sowie Psoriasis der äusseren Gehörgänge. 
Ausserdem hatte Pat. nässende Papeln an den Genitalien. Schon nach 
wenigen Tagen der Inhalationskur war ein deutliches Zurückgehen 
der Psoriasis wahrzunehmen und am 9. Tage waren bereits zahl¬ 
reiche Borken, besonders am Rumpfe, abgetallen. 

Ferner wurde eine Rupia specif. der Maskenbehandlung unter¬ 
zogen. Es befanden sich mehrere bis bohnengrosse Rupiastellen am 
Oberkörper sowie zwei grössere, etwa 2 markstückgrosse Stellen im 
Nacken an der Haargrenze. Am 14. Tage der Inhalationskur waren 
am Körper nur noch gerötete Stellen, und auch die Borken im Nacken 
begannen abzufallen. Nach weiteren 14 Tagen waren auch diese 
versclnvunden. 

Bei einem Falle bestanden neben den gewöhnlichen luetischen 
Erscheinungen, Oedem der Labien, breiten Kondylomen und papulo- 
niakulösem Exanthem ausserdem noch zahlreiche Papeln auf dem 
Zungenrücken. Auch diese gingen innerhalb weniger Wochen gänz¬ 
lich zurück. 

Unter diesen 20 Fällen trat nur ein einziges Mal, und 
zwar schon am dritten Tage der Maskenbehandlung, eine 
ziemlich heftige Stomatitis mercurialis auf, die nach Weglassen 
der Maske und Lokalbehandlung mit Chromsäure sehr bald 
schwand, so dass die Patientin nach 6 Tagen die Inhalations- 
Kur fortsetzen konnte. 

Im übrigen haben jedoch die Patienten niemals über 
Schmerzen von seiten des Mundes geklagt. Klagen über 
leichten Druck im Kopf und Schwindel des Morgens, sowie 
über unruhigen Schlaf, die nach Kromayer gelegentlich 
in den ersten Tagen der Maskenbehandlung vorgekommen 
seien, habe ich in meinen Fällen niemals konstatieren können. 

War somit der klinische Erfolg durchaus zufriedenstellend, 
denn alle Erscheinungen gingen mindestens in der gleichen Zeit 
zurück, wie bei der Schmierkur, trotzdem keine Lokalbehand¬ 
lung mit Kalomel stattfand, so kam es jetzt darauf an, nach¬ 
zuprüfen, wie viel Quecksilber bei der Inhalationskur dem 
Körper einverleibt wurde, resp. wie viel Quecksilber durch 
den Urin ausgeschieden wurde, da ja nach W i n t e r n i t z 
bei einer jeden Quecksilberkur die Elimination des Metalles 
durch die Nieren der eingeführten Menge bis zu einem ge¬ 
wissen Grade proportional verläuft. Leider habe ich nicht 
tägliche Untersuchungen, wie cs wohl wünschenswert wäre, 
sondern nur einzelne machen können. Ich bediente mich 
dabei der von Höhne 6 ) angegebenen quantitativen Queck¬ 
silberbestimmung. Die gefundenen Werte sind aus nachfolgen¬ 
der Tabelle ersichtlich: 

(Siehe nebenstehende Tabelle.) 

Ich fand demnach am 6. Behandlungstage in der Tages¬ 
menge von 1100 ccm Urin 1,75 mg Quecksilber, am 12. Tage 
in 1500 ccm Urin 3,24 mg Hg, atu 18. Tage in 1400 ccm Urin 
4 mg Hg, am 22. Tage in 1400 ccm Urin 3,04 mg Hg, am 
30. Tage in 1050 ccm Urin 4,08 mg Hg und am 30. Tage in 
1500 ccm Urin 4,82 mg Quecksilber. Es findet also ein all¬ 
mähliches Steigen der ausgeschiedenen Quecksilbermenge statt. 

Aber noch in anderer Hinsicht ist die Tabelle bemerkens¬ 
wert;'man ersieht nämlich daraus ein allmähliches Zunehmen 
der täglichen Urinmenge. Schon Biirgi 7 ) hatte gefunden, 
dass die Urinmenge infolge der diuretischen Wirkung des 
Quecksilbers bei der Schmierkur fast durchweg von Woche 

°) Fritz Höhne: Zur Behandlung der Syphilis mit Mergal. 
Arch. f. Heimat. u. Sypli., 1907. Bd. *7. 

‘) Biirgi: Grosse und Verlauf der Quecksilberausscheidung 
durch die Nieren bei den verschiedenen üblichen Kuren. Archiv für 
Perinatologie 19U(», Bd. 79. 



zu Woche zugemunmen hatte, dagegen hei dein interne:; Ge¬ 
brauch des Quecksilheis das Verhalten des l'ruts mJit ein 
deutig war. Ein Blick auf die Tabelle zeigt znn.aJist. dass die 
durchschnittliche Tagesuiciige vnn der ersten Dekade zur 
zweiten steigt, um auch in den folgenden Dekaden auf d.eser 
Höhe zu bleiben. Dann aber findet sich noch innerhalb jeder 
Dekade ein Urinmaximum, und zwar vom o. s. läge. B.s 
dahin steigt die Menge allmählich, vom 8. Tage ab sinkt sie 
immer wieder ziemlich bedeutend. Lh habe daher n<>Ji bei 
drei anderen Patienten, die ebenfalls eine QueAsdhermha- 
lationskur durchmachten, die taghellen l'ru.mengen gemessen 
und folgende W erte geiunden: 



II. 



Zunahme der durchs JimttHJicii 'I agc smen^e des Urins von 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDiZiNiSCHE WOCHENSCHRIFT.___[833 


der ersten zur zweiten Dekade statt und weiter zur dritten und 
vierten Dekade, genau so, wie sie B ü r g i bei der Schmierkur 
beobachtet hatte. Ferner besteht auch bei diesen drei Fällen 
innerhalb jeder Dekade ein Maximum am 6.—8. Tage. Zieht 
inan aus diesem Ansteigen und Fallen der Diurese innerhalb 
einer Dekade einen Rückschluss auf die Quecksilberaufnahme 
durch dem Körper, so dürfte vom achten Tage an die Maske 
nicht mehr in vollem Masse genügen. ' Es wäre daher wün¬ 
schenswert, jede Maske nur 8 Tage tragen zu lassen. 

Wie lange nun eine solche Inhalationskur dauern soll, 
darüber müssen erst noch weitere Beobachtungen auf Rezidiv¬ 
erscheinungen angestellt werden, ferner weitere Quecksilber¬ 
bestimmungen stattfinden, und zwar nicht nur im Urin, son¬ 
dern auch in den Fäzes. Soll doch nach K r o n f e I d und 
Stein die Qfuecksilberausscheidung durch dem Darm der 
durch die Nieren nicht nachstehen. Allerdings habe ich 8 ) in 
einem Falle von Syphilis, der im Verlaufe einer Schmierkur 
— Pat. hatte 115 g Unguent. cinereum verrieben — ganz 
plötzlich infolge akuter gelber Leberatrophie ad exitum und 
zur Autopsie kam, im Dünndarminhalt kein Quecksilber ge¬ 
funden. Nur der Blaseninhalt enthielt Spuren von Quecksilber. 

Das Idealste wäre es freilich, wenn man die so bequeme 
Inhalationskur ohne Schaden für den menschlichem Organismus 
so lange fortsetzen könnte, bis der Ausfall der Wasser¬ 
mann sehen Serumuntersuchung negativ wäre. 

Vorläufig sprechen die klinischen Beobachtungen dafür, 
die Inhalationskur auf dieselbe Zeit wie die Schmierkur aus¬ 
zudehnen, also auf zirka 40 Tage. Die Patienten werden gern 
die Kur solange fortsetzen, da dieselbe mit keinerlei Unan¬ 
nehmlichkeiten verbunden ist. Aus diesem Grunde werden die 
Patienten sich auch viel eher zu einer intermittierenden Kur 
entschliessen, auch wenn keine neuen Erscheinungen vor¬ 
handen sind. 

In der Privatpraxis dürfte sie daher bald den anderen 
Kuren Konkurrenz machen. Denn vor der bisher wohl noch 
immer an erster Stelle stehenden Schmierkur hat sie den Vor¬ 
zug der Sauberkeit und Bequemlichkeit. Oft genug dürfte 
auch die Schmierkur wegen mancher Erscheinungen, wie 
Rupia, Psoriasis spez. sowie besonders allgemeiner Körper- 
schwache nicht ausführbar sein. 

Gegenüber der ohnehin sehr ungenauen internen Queck¬ 
silbermethode besteht ihr Vorteil darin, dass sie in keiner 
Weise Magendarmstörungen verursacht. Und der bisweilen 
sehr schmerzhaften Injektionskur, klagen die Patienten doch 
oft genqg über heftige Schmerzen an der Injektionsstelle in den 
ersten 24 Stunden nach der jedesmaligen Injektion, ist sie vor 
allen Dingen wegen der event. Vergiftungsgefahr überlegen, 
weil die geringste Quecksilberintoxikation sofort durch Weg¬ 
lassen der Maske inhibiert werden kann . 

Auf einen Punkt möchte ich nicht verfehlen hinzuweisen: 

Die Apotheken müssen gehalten sein, nur auf ärztliche An¬ 
ordnung hin diese von P. Beiersdorf, 'Hamburg ange¬ 
fertigten Inhalationsmasken abzugeben, und zwar nicht allein 
die erste Maske, sondern auch jede weitere Maske soll vom 
Arzt angeordnet sein, so dass also die Patienten gezwungen 
sind, wenn nicht öfter, so doch jeden 8. Tag sich der ärztlichen 
Kontrolle zu unterziehen. Nur so lässt sich eine gewissen¬ 
hafte Kur durchführen. 

Zum Schlüsse sei es mir gestattet, Herrn Oberarzt Dr. 
S c h r e i b e r für die Anregung zu dieser Arbeit meinen Dank 
zu sagen. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i. Br. 

Ein Dysenteriebazillenträger. 

Von Privatdozent Dr. med; E. Küster, Assistent am Unter¬ 
suchungsamt des Instituts. 

Bei der immer grösseren Bedeutung, welche auf Grund 
ätiologischer Studien die Bazillenträger für die Entstehung von 
Krankheiten gewinnen, dürfte jeder Beitrag zur Frage des 
Vorkommens pathogener Bakterien im Organismus des ge- 


8 ) B endig: Ein weiterer Beitrag zu dem Artikel: Akute gelbe 
Leberatrophie bei Syphilis. Berl. klin. Wochenschr., 1908, No. 26 . 
No. 35 


sunden Menschen im Interesse prophylaktischer Massregeln 
erwünscht sein. 

Bei einer Reihe von Infektionskrankheiten (Diphtherie, 
Typhus, Zerebrospinalmeningitis, Tetanus u. a.) ist heute das 
Vorkommen von gesunden Bazillenträgern zweifellos fest¬ 
gestellt. Bei anderen, z. B. der Dysenterie, ist es nach An¬ 
sicht verschiedener Autoren zwar sehr wahrscheinlich, doch ' 
stehen bestimmte Untersuchungsresultate bisher noch aus. Ich 
hatte im Laufe des letzten Jahres Gelegenheit, einen Dys¬ 
enteriebazillenträger zu beobachten und teile das Ergebnis 
meiner Untersuchungen hier mit. 

Ein Mitkämpfer in dem Feldzug gegen die Hereros in Süd¬ 
westafrika wurde wegen eines Herzleidens als Invalide ent¬ 
lassen' und an dem bakteriologischen Untersuchungsamt des 
hygienischen Instiuts als Laboratoriumsdiener angestellt. Der 
betreffende A. M. machte bei seiner Anstellung und während 
der Zeit seiner Beschäftigung einen durchaus gesunden und 
leistungsfähigen Eindruck; lediglich der Umstand, dass er von 
einer in Südafrika überstandenen Ruhrerkrankung erzählte und 
auf Befragen angab, dass er auch jetzt noch zuweilen dünn¬ 
breiige, schleimige Darmentleerungen habe, veranlasste uns, 
bei ihm bakteriologische Stuhluntersuchungen vorzunehmen. 
A. M. wurde angewiesen, sobald er wieder verdächtige Stuhl- 
entleerungen habe, jeweils seine Fäzes zur bakteriologischen 
Untersuchung zu bringen. Dies geschah im Laufe des letzten 
Jahres 5 mal. 

Die Entleerungen dünnflüssiger Stühle, welche ohne be¬ 
sondere Krankheitssymptome erfolgte und die bei Fehlen 
anamnestischer Angaben sicherlich auf zufällige harmlose 
Darmkatarrhe zurückgeführt worden wären, hielt immer nur 
kurze Zeit (etwa einen Tag) an, so dass bei jeder Attacke 
mit Rücksicht auf die Dauer, welche eine Fäzesuntersuchung 
beanspruchte, immer nur einmal ümersucht werden konnte. 
Die beigebrachten Dejektionen waren dünnflüssig, missfarbig, 
sehr übelriechend und enthielten reichlich Schleim, zuweilen 
Spuren'von Blut. Es wurde nach dem Drigalskiverfahren unter 
Verwendung von Lackmusnutrosezuckeragar in grossen 
Schalen untersucht. Das Resultat war zunächst vollkommen 
negativ. Auch die mikroskopische Untersuchung des Stuhl¬ 
materials und die Anamnese bezüglich vorausgegangener Diät¬ 
fehler war ergebnislos. Da wir bei dem verdächtigen Aus¬ 
sehen der Dejektionen ein Vorhandensein pathogener Darm¬ 
bakterien doch annfchmen mussten, und das negative Resultat 
der Untersuchung auf die Verarbeitung zu geringer Mengen 
Dejektion zurückführten, wurden bei jeder neuen Untersuchung 
die Serien der Drigalskiplatten vergrössert; nichtsdesto¬ 
weniger gelang es erst bei der 5. Untersuchung typische Ruhr¬ 
bazillen auf der Platte nachzuweisen. Zunächst dachte ich in 
den auf Drigalski blaugewachsenen Kolonien Typhusbazillen 
vor mir zu haben, zumal in der später ausführlich folgenden 
Krankengeschichte eine 2 Jahre zurückliegende Typhusinfek¬ 
tion angegeben wird, aber die weitere kulturelle Untersuchung 
der gefundenen Stäbchen liess über die Dysenterienatur der¬ 
selben keinen Zweifel. Das gefundene Stäbchen war kürzer 
und plumper wie Typhusbazillen und vollkommen unbeweg¬ 
lich. Gasbildung aus Traubenzucker, sowie Indolbildung auf 
Bouillon fehlten. 

Es wurde nun nach Art und Konzentration des Barsiekow- 
nährbodens eine wässerige 1 proz. Nutrose, 0,5 proz. Koch¬ 
salzlösung hergestellt und je 100,0 derselben 5,0 Lackmus¬ 
lösung (K a h 1 b a u m) und 1 g von verschiedenen differential¬ 
diagnostischen wichtigen Kohlehydraten zugesetzt. Das 
Wachstum des gezüchteten Stäbchens (Stamm F), verglichen 
mit dem von Reinkulturen bekannter Bakterien auf den be¬ 
schriebenen Nährlösungen zeigt folgende Tabelle. 

(Tabelle siehe nächste Seite.) 

Das aus der Tabelle ersichtliche Wachstum des Stam¬ 
mes F lässt keinen Zweifel darüber, dass wir es mit einem 
Ruhrbazillus zu tun haben, der zu dem Typus Shiga gerechnet 
werden muss. Die Untersuchung mit Hilfe des Agglutinations¬ 
verfahrens bestätigt diese Annahme, denn einmal wurde der 
Stamm F von einem spez. agglutin. Dysenterieserum (Shiga), 
welches das hiesige bakteriologische Untersuchungsamt vom 
Reichsgesundheitsamt bezogen hatte, bis zur Titergrenze ag- 

3 


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18.34 


MUFNCHENFR MFDIZINISCHF WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 35. 



Dextrin 

Innulin 

Mannit [ 

Lävulosc 

Maltose 

Sacharose 

Trauben¬ 

zucker 

Lackmus- 

niolkc 

Milchzucker 

Stamm F. 

unverändert 

blau 

1 

blau 

rot 

violett blau 

blau 

geronnen 

rötlich 

v n Jett blau 

Shiga-Sammlung . . 


„ 

i • 

„ 

rötlich 


violett blau 



Shiga Wien. 

n 




violett blau 

. 

geronnen 

. 


Flexner-Sammlung 

geronnen 

geronnen 

rot 

geronnen 

geronnen 

geronnen 

• 

• 


Flexner Wien ... . 



geronnen 

„ 


blau 

. 



Typhus . 

unverändert, 

violett blau | 

violett blau 

rot 

rot 

- 

rot 

• 



glutiniert und ausserdem zeigte das Serum des Patienten fol¬ 
gende Agglutination: 

Blutserum F. a g g 1 u t i n i e r t am 3. April 19ns. 
Serumverdiinnung 



1:100 

1:200 

i 

1:300 

1:400 

1 :5oo 

Stamm F . . . 
Stamm Flexner 
Stamm Shiga . 
Stamm F . . 
Stamm Flexner 
Stamm Shiga . 

4* 

4 ~ 

4 - 

+ 

+ I 

1 + i 

+ + - 

4 - 

V, 

1 nach 1 Stunde bei 

4- - - - , 370 

^ *^_ _ nach weiteren 6 

Stunden bei 37» 


-f- = Agglutination; -|-= Grenze der Agglutinationsw irkung; 

— — keine Agglutination. 


Bacterium coli wurde von dem Serum des Bazillenträgers 
bis 1:200 (1 Stunde bei 37°) agglutiniert, während Bact. typhi, 
sowie Bact, paratyph. B nicht beeinflusst wurden. 

Die histologische Blutuntersuchung bot bei dem Patienten 
keine Besonderheiten. 

Ich lasse die Krankengeschichte des Bazillenträgers nach 
Aufzeichnungen seines Kriegstagebuches hier folgen: 

A. M., geboren am 23. X. HO, war in seiner Jugend nie krank: 
trat am 4. X. 00 beim Militär ein und ging am (». XII. 04 zur Scliutz- 
truppe nach Südwest-Afrika; am 2. und 14. II. 05 wurde er in 
Liiderizbucht zweimal gegen Typhus geimpft. Bei der ersten Impfung, 
welche an der linken Brustseite subkutan vorgenommen wurde, trat 
eine starke örtliche schmerzhafte Reaktion ein; die zweite Impfung 
vom 14. II. wurde vormittags 11 Uhr au der rechten Brustseite sub¬ 
kutan ausgeführt. Noch an demselben Abend begann unter wiederum 
starker lokaler Schwellung, Rötung und Schmerzhaftigkeit die 
Temperatur anzusteigen. Das Fieber, welches 3b Stunden anhielt, 
bewegte sich zwischen 39 und 40,5" C. Der rechte Arm konnte 
3 Tage lang nur mit grossen Schmerzen bewegt werden; am vierten 
Tage nach der Impfung spürte Pat. noch leichtes Stechen an der 
rechten Seite, fühlte sich aber sonst wohl. Vom 17. V. 05 bis 
7. VII, 05 hat Pat. nach seinen Angaben einen leichten Typhus in 
Bethanien durchgemacht, er fieberte damals 14 Tage lang zw ischen 
38 und 39°. Häufige Stuhlentleerungen enthielten viel Schleim, zu¬ 
weilen etw f as Blut. Fr erholte sich rasch wieder und war am 8. VII. 
wieder felddienstfähig. Vom 10. X. 05 bis 2. XI. 05 machte Pat. 
einen fieberlosen Darmkatarrh durch; er hatte täglich 20 3u Fnt- 
lecrungen, dieselben waren hell wässerig, erhsensuppeiiälmlich und 
sehr übelriechend; häufig bemerkte er Blut in seinen Darmeut- 
lcerungen; hin und wieder will er grüne Stühle gehabt haben (viel¬ 
leicht die Folge therapeutischer Massnahmen). Am 2. XII. 05 war 
er soweit wieder hergestellt, dass er wieder als dienstfähig ent¬ 
lassen wurde. 

Vom 25. V. 06 bis 1. VII. 06 wurde Pat. wiederum w egen Darm¬ 
katarrh im Feldlazarett behandelt. Fr wurde zwar am 1. VII. u<> 
wieder felddienstfähig, fühlte sich aber trotz gutem Appetit immer 
matt und krank, hatte täglich 5 b breiige Stuhlgänge, denen dann 
und w-ann etwas Blut, häufig viel Schleim beigemischt war. 

Am 24. VIII. Ob stellten sich wieder starke Leibschmerzen mit 
ausgeprägtem allgemeinen Miidigkeitsgefiihl ein. Häufige Stuhlent¬ 
leerungen mit vermehrtem Schleimgehalt; Pat. bemerkte jetzt auch 
häufiges Herzklopfen, sein Puls betrug 104 in der Ruhe, bei mässiger 
Bewegung auf 140 bis 160 ansteigend. 

Am 9. XI. Ob wurde er als Invalide in die Heimat entlassen. 
Während der ganzen Seereise hielt der Darmkatarrh und die schlei¬ 
migen, häufig blutigen Fntleerungen noch an. Finmal hatte er auf 
Schiff eine stärkere Darmblutung. 

Nach seiner Rückkehr in die Heimat besserte sich sein Zustand 
allmählich, er wurde wieder arbeitsfähig und war imstande, seine 
Stelle als Laboratoriumsdiener, die immerhin auch ein mittleres Muss 
von körperlicher Leistung erfordert, (Arbeitszeit vormittags 7 12, 

nachmittags 2 -7 Uhr) auszufüllen. Nur hie und da traten noch Leib¬ 
schmerzen auf, die aber nicht so heftig w aren, dass sie ihn zur I nter- . 
brecluir.g seiner Arbeit gezwungen hätten. Täglich 4 Stühle, oft ' 
dünnbreiig, mit Schleim durchsetzt. Auffallend war für seine Um- I 


gebung, dass er häufig ohne sichtbare \ er anl.isstmg an ausge^pr* >J cmn 
Blutkongestionen nach dem k<<|Ue litt. Das ganze Gesicht erschien 
hochrot und odeinatos geschwellt; bei sojjien Zuständen machte mJi 
eine erhöhte nervöse Erregbarkeit geltend. Audi die Reaktn.ns- 
empimdlichkeit seiner Haut erschau \ ermdirt; dies zeute mJi v..r 
allem darin, dass bei zufälliger Berührung mit ieidit atzenden 1 o- 
sungen häufig starke lokale >chw cliungen und I iiiyM.ndungcn ein- 
trateii. Als ihm eines I aggs ein I r<>pien einer P» pro/. L\s. . i..suug 
wider die Nase spritzte, entwickelte sich eine 2 Jace andanc: ru.c 
Hautentzündung, die durchaus eien Lindriick einer I r\ sipe'.ns Judci 
machte. 

Die eingehende klinische l niersiichung des Patienten. \\e- die an: 
15. |V. Os von Herrn Prof. > c h u I e m liebensw urduster W e isc \ 
genommen wurde, ergab im allgemeinen normalen Befümi. keine 
Milzscliw elliing, keine Pnic keinptindlidikeit dis Udmr.ins. ves,- 
kulares Atmen, reme. regeimassige Her ztöne; Leber mdit \ ergn-ssert. 
(ialleiiblase nicht iuhlbar. Die rektoskopiSche l uterMiditmg. me l..r 
eien Patienten sehr schmerzhatt war. zeigte polvp,*se. Ieidit blutende, 
zum Teil oberflächlich ulzei le reiule W udie rmuen der Re k t.ii.,ean- 
liaut. Therapeutisch luss sic h bisher beim Patienten kein Dauere'!*’ g 
erzielen. Die schleimigen Parmentleerungen \ cP* hw mden mit lind 
ohne Beliandlung mich kurzer Zeit, um nach einem Intervall \>m 
einer Ins mehreren Wochen m de r gleichen Weise w iede'/ukehreti. 

Da der beschriebene Rulirba/illenträger wohl mit Sicher¬ 
heit seine Bazillen in Sudw estafrik a wahrend des Feldzuges 
akquirierte, so haben die Berichte ober Dvsenterieepidetnien. 
die während des Mereroanfstandes unter den duitschcn Trup¬ 
pen herrschten, natürlich iur seine Beurteilung besonderen 
Wert. Ich mochte auf diese Vermiet tlidmr.gen in kurze mir 
so weit eiugehen. als in ihnen von dein \orkommen cliromscher 
Dysenteriefälle und Dyseiiterieha/iilenträgern die Rede ist. 
Leider stellen mir mir zwei derartige Berichte von Mi Me¬ 
hr echt: „Deher ruhrartige Erkrankungen in Dtiitsch-Sud- 
westatrika“ und Boi inner: ..lebcr die in LiiJcrit/hticht be¬ 
obachteten Riihrerkiankungen und ihre bakteriologische Unter¬ 
suchung“ (Referat im /entralbl. i. Bakt., Bd. 87 u. 8 4 >) zur 
Vertilgung. 

M i I I e b r e c h t fasst das Ergebnis seiner Untersuchungen m 
folgenden hier wichtigen Mitzcn zusammen: 

1. Ls gibt m De utsc Ii-Mulw est.iinka eine bisher nicht naher 
beschriebene Abart dir Ruhr, die sich m den auf.mg heben klinischen 
Erscheinungen durch m nichts von ikn bisher bekannten Ruhrnmmi 
imtei scheidet, die aber m ihrem klinischen \i faule derartig gut¬ 
artig ist. dass man sie als besondere Krankheit autt.issen kann. 

2. Die siidvv estamkamsche Ruhr wird seiten. vieSiugÄt auch nie¬ 
mals. chronisch. 

3. Als Nachkrankheit sind l.eherabv/i sse bisher nicht beobachtet, 
wohl aber chronische Durcln.ilie. ohne Schleim- und P.lutbeimengungen 
zum Mühl. 

7. Die Behandlung der chronischen Durvhfalle muh Ruhr ist Vor¬ 
wiegend diätetisch, \ieliadi war eine reichliche. der heimischen h>st 
ähnliche tr nähr umg von guter Wirkung, wahrend milde reiziose I Mut 
schlecht vertragen w urdc. 

H. Das bisher bekannte Verbreitungsgebiet di r Ruhr m Dentsch- 
Siidw estafrika ist das I lererolaud. wo me Rulir stits eiiTimsJi ge¬ 
wesen zu Sem scheint. Ibis N.mia'aml war Ins letzt rul" U ei, 

ln. Die Ff reger der sudw est.if r ikanisc heu Ruhr sm.l jfoch nuht 
festgestellt, sie Scheinen aber weder Amoben, m'dl der Bazillus krtise- 
Shiga zu sein. 

Zu wesentlich anderen Resultaten gelangte B o f i n g e r. 
Fs gelang ihm aus den meisten Stahle:; dir Ruhrkranken Ruhr¬ 
bazillen zu isolieren, die morpliolog.scii. k uDu re II und sero¬ 
logisch als Typus Slugii hc/eidir.M werdin muss'.ui. Fi 
hält es für bewiesen, dass Ruhrkranke radi dir (icsimdu’g 
noch monatelang die spe/ifisdien Paz.licu lu i sidi tragen 
j können, hält aber eine monateiarge Isolierung aas praktischen 
(iriinden niefit für möglich. 

Meine Untersuchung würde far d.e Ansicht Botin ge rs 
iiber Art der südafrikanischen Ruhr, sowie über die dauernde 
Bazillcnaussclieiduug f rillte rer R nhrpatu n.ten e;:;e wettere 
Stütze abgeben. Fa:e Isolierung des Pat.ettcn war aadi in 


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1. September 1908. 


muencHener Medizinische Wochenschrift. 


1835 


unserem Falle nicht durchführbar, da derselbe sich wohl und 
arbeitskräftig fühlte. Wir mussten uns auf eine Empfehlung 
diätetischer und prophylaktischer Massregeln beschränken. 

Die bisher in der Literatur beschriebenen Fälle von Ruhr¬ 
bazillenträgern wiesen immer nur eine spezifische Bazillen¬ 
ausscheidung auf, die sich» höchstens über einige Monate er¬ 
streckte. Es dürfte daher hier zum erstenmal der strikte 
Nachweis für eine mehrjährige Ausscheidung von Dysenterie¬ 
bazillen durch einen gesunden Menschen erbracht sein. 


Aus der chirurgischen Abteilung des Städt. Katharinenhospitals 
Stuttgart (Direktor: Prof. Dr. Steinthal). 

Ueber indirekte Mittelfuesbrüche. 

Von Dr. Alban Nast-Kolb, Oberarzt der Abteilung. 

Fast alle Mitteilungen der letzten Jahre über Mittelfuss- 
brüche stammen aus der Feder von Sanitätsoffizieren. Die 
militärische Fuss- oder Marschgeschwulst, früher in ihren Ur¬ 
sachen meist ungeklärt, ist seit der Anwendung der Röntgen¬ 
strahlen als mindestens in zwei Drittel der Fälle durch die 
Fraktur eines Metatarsalknochens verursacht erkannt worden. 
Die ungemeine Wichtigkeit dieser Erkrankung für die Marsch¬ 
fähigkeit unserer Truppen hat zu zahlreichen Untersuchungen 
Veranlassung gegeben, viele hundert an Fussgeschwulst er¬ 
krankte Soldaten sind röntgenographiert worden und so ist in 
das rätselhafte Dunkel, das ehemals diese Erkrankung unserer 
Erkenntnis verhüllte, durch die Röntgenstrahlen Licht und Klar¬ 
heit gekommen. 

Die Fussgeschwulst wird hauptsächlich während der 
Marschperiode beobachtet, von Frühjahr bis nach den grossen 
Herbstübungen in steigender Anzahl. Als Veranlassung 
werden anstrengende Märsche, besonders mit vollem Gepäck, 
angeschuldigt. Allgemein wird hervorgehoben, dass ein ein¬ 
maliges Trauma oft nicht nachgewiesen werden kann. Durch 
die Ermüdung soll das Fussgewölbe einsinken, der Metatarsus 
kommt dadurch dem Boden näher und wird beim Gehen über 
eine Unebenheit oder durch einen Tritt in eine Vertiefung ab- 
geknickt. Jedenfalls spielt die Ermüdung der Fussmuskulatur 
für die Entstehung des Leidens eine ganz ausschlaggebende 
Rolle. Die Symptome bestehen in einer teigigen Schwellung 
des Fussrückens, Bruchschmerz und Schmerzen beim Gehen. 
Bluterguss und Krepitation sind nur ausnahmsweise vorhanden. 

So gewöhnlich und allgemein bekannt nun dem mili¬ 
tärischen Leben die Fussgeschwulst ist, so selten scheint sie 
im Dasein des nicht mit schwerem Gepäck stundenlange 
Märsche ausführenden Zivilisten beobachtet worden zu sein. 
Soweit ich die Literatur durchgesehen habe, ist die indirekte 
Fraktur eines Mittelfussknochens im Zivilleben als etwas 
ziemlich Seltenes aufgeführt. Um so überraschter war ich, in 
meiner hiesigen Tätigkeit kurz hintereinander zwei Fälle indi¬ 
rekter Mittelfussfraktur und zwar «bei zwei Dienstmädchen zu 
finden. Die zwei Fälle haben so viel Gemeinsames, dass ich 
nicht glauben kann, dass es sich hier um einen Zufall handelt. 

Die beiden Mädchen standen im jugendlichen Alter, eine war 
siebzehn, die andere sechzehn Jahre alt. Sie stammten vom Lande 
und hatten erst vor kurzer Zeit ihren ersten Dienst in der Stadt 
angetreten. Sonst ganz gesund, waren sie für ihr Alter kräftig ent¬ 
wickelt, ohne Zeichen stärkerer Rachitis. Ueber besonders an¬ 
strengenden Dienst oder grosse Ermüdung hatten Sie nicht zu klagen. 
Ein nennenswertes Trauma hatten sie nicht erlitten; sie wussten 
nicht einmal genau den Zeitpunkt des Eintrittes ihrer Schmerzen 
anzugeben. Sie kamen in unsere Ambulanz mit der Klage über seit 
einigen Tagen bestehende Schmerzen und Schwellung eines Fusses. 
Die Untersuchung ergab eine geringe teigige Schwellung des Fuss¬ 
rückens, keine Zeichen eines Blutergusses, keine Krepitation, eine 
ziemlich diffuse, nicht hochgradige Druckempfindlichkeit über den 
Metatarsen. Bei genauer Palpation konnte man dann über einem 
Metatarsus einen besonders druckempfindlichen Punkt feststellen. 
Auf der Röntgenplatte ergab sich nun deutlich das Bild einer Fraktur, 
einmal war der dritte, das andere Mal der zweite Metatarsus der 
verletzte. Eine Dislokation war nicht zu sehen; die Frakturlinie 
bildete einen ausserordentlich feinen, queren Spalt, einmal in der 
Mitte, das zweite Mal an der Grenze von -distalem und mittlerem 
Drittel des Metatarsus. Nach 14 Tagen wurden wieder Röntgen¬ 
aufnahmen gemacht und nun sah man einen deutlichen spindelförmigen 
Kallus an der Stelle der Fraktur. Die Behandlung bestand lediglich 
in Bettruhe und feuchten Verbänden. Nach 14 Tagen konnten die 
Mädchen ohne Schmerzen auftreten und bald nachher beschwerde¬ 


frei geheilt entlassen werden. Beide' hatten keine Piattfiisse, sondern 
ein gut entwickeltes hohes Fussgewölbe. 

Es handelte sich also bei beiden Patientinnen um eine in¬ 
direkte, durch kein nennenswertes Trauma verursachte, Infrak¬ 
tion eines Mittelfussknochens. Als prädisponierend haben 
wir wohl das jugendliche Alter anzusehen, als Ursache die 
Ermüdung der an die Arbeit und an das harte Pflaster der 
Grossstadt nicht gewöhnten jugendlichen Muskulatur, dadurch 
ein Nachgeben des Fussgewölbes und seiner muskulären 
Spannung und die Abknickung des Metatarsus über eine Un¬ 
ebenheit, eine Treppenstufe oder eine Trottoirkante. Merk¬ 
würdig bleibt immerhin, dass eine solche Infraktion unter so 
geringen Schmerzen erfölgt. Das erklärt sich wohl durch die 
geringe Verletzung des Periostes; sehen wir doch auch bei 
Kindern häufig Infraktionen ohne nennenswerte Schmerzen 
sich ereignen. 

Auf die Therapie will ich hier nicht näher eingehen. Es 
sind Gipsverbände, Extension, Stauungshyperämie empfohlen 
worden. Diese Infraktionen heilen wohl unter jeder Behand¬ 
lung. Hinweisen möchte ich nur auf die unter Umständen, 
besonders für militärische Verhältnisse wertvolle ambulante 
Behandlung, wie sie von militärärztlicher Seite verschiedent¬ 
lich vorgeschlagen worden ist 1 ) 2 ). Im Prinzip beruht sie auf 
der Anlegung festsitzender Heftpflasterverbände. 

Ich glaube, dass bei genauerer Beobachtung diese indirekte 
Metatarsalfraktur, die sog. militärische Fussgeschwulst, auch 
im Zivilleben bei jugendlichen Individuen nicht so sehr selten 
gefunden werden wird. Schon Mai liefert 3 ) hat anläss¬ 
lich eines von ihm beobachteten Falles diese Ansicht ausge¬ 
sprochen, es sind aber meines Wissens seitdem nur ganz ver¬ 
einzelte Fälle beschrieben worden. Sicher lassen sich in den 
Ambulanzen» und Polikliniken der Grossstädte, wo so zahl¬ 
reiche, jugendliche Individuen mit Fussschmerzen Hilfe suchen, 
diese Beobachtungen rasch vermehren. Wahrscheinlich finden 
sich auch bei jungen Krankenschwestern, die häufig im Be¬ 
ginn ihres Berufes über Schmerzen beim Gehen und Stehen in 
den Füssen klagen, nicht selten derartige Metatarsalfrakturen. 
Bei dem Fehlen eines Traumas und bei den wenig ausge¬ 
sprochenen lokalen Symptomen verschwinden wohl manche 
dieser Verletzungen unter dem grossen Heer der Plattfuss- 
anlagen und Plattfussbeschwerden. Mit der häufigeren An¬ 
wendung der Röntgenphotographie werden, sich manche der¬ 
artige Fälle als Mittelfussbrüche entpuppen, und, was ich für 
das wichtigste halte, einer geeigneten Therapie zugeführt 
werden können. Es gilt heute nicht mehr, was M a i 11 e f e r t 
noch 1900 sagen konnte: Die Röntgenstrahlen im Anfang zu (be¬ 
nutzen, hat keinen Zweck (nämlich vor der Kallusbildung). Die 
Technik der Röntgenographie ist so fortgeschritten, dass wir 
Infraktionen auch ohne Dislokation im Röntgenbilde erkennen 
können. Nur ausnahmsweise wird uns bei aufmerksamer Be- 
o»bachtung ein Mittelfussbruch auf der Platte entgehen. 
Natürlich kann man in ausgesprochenen Fällen, die 
starke Schwellung, Bruchschmerz, eventuell Krepitation dar¬ 
bieten, die Diagnose auch ohne Röntgenbild stellen, aber in 
den zweifelhaften Fällen, ohne Trauma, ohne wesentliche 
Schwellung, ohne stärkere Schmerzen sind die Röntgenstrahlen 
ein unentbehrliches Hilfsmittel. 

Ich möchte also darauf hinweisen, bei jugendlichen Indi- 
widuen, die, ohne ein Trauma erlitten zu haben, mit massiger 
Schwellung des Fussrückens und geringen Schmerzen beim 
Gehen zur Behandlung kommen, an derartige indirekte Meta- 
tafsalfrakturen zu denken und die Röntgenphotographie zur 
Sicherstellung der Diagnose heranzuziehen. Ohne Zweifel 
wird sich die Zahl derartiger Beobachtungen rasch ver¬ 
mehren und durch die Möglichkeit der richtigen Therapie die 
kleine Mühe reichlich lohnen. 

Literatur siehe bei Kirchner: Die Frakturen des Metatarsus. 
Schmidts Jahrbücher 1906, Bd. 291, S. 18. 

Reproduktion von Röntgenphotographien: Meiser: Brüche der 
Mittelfussknochen. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, 
IV. Band. 


l ) Blecher: Deutsche militärärztliche Zeitschrift, 1907, H. 21. 
s ) v. Heuss: Ibidem 1908, H. 1. 

3 ) Maillefert: Münch, med. Wochenschr., 1900, No. 36. 

3* 


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1836 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35. 


Ein Fall von Distensionsluxation im Atlanto-epistropheal- 
Gelenke.*) 

Von Privatdozent l)r. Arnold \V i 11 c k in Graz. 

M. H.! Ich will Ihnen einen interessanten kasuistischen 
Beitrag zur Kenntnis von den Verschiebungen in den Gelenken 
zwischen ersten und zweiten Halswirbel bringen. Und zwar 
handelt es sich um keine traumatische Verrenkung, sondern 
um eine durch einen Krankheitsprozfcss entstandene. Bekannt 
sind die Verrenkungen im Bereiche der obersten Halswirbel, 
wie sie im Verlaufe der Wirbeltuberkulose als Destruktions¬ 
luxationen Vorkommen. Dabei ist vom ersten und zweiten 
Halswirbel mehr oder weniger durch den kariösen Prozess, zu¬ 
meist auch der Zahnfortsatz, zerstört. Bekannt sind ferner 
solche Subluxationen, wie sie im Gefolge von rheumatischen 
Affektionen auftreten: Jaksch, Coudray, Böger haben 
derartige Fälle beobachtet und als Malum suboccipitale rlieu- 
maticum bezeichnet. Man muss bei diesen Krankheitsbildern 
annehjnen, dass ein Erguss in die Gelenke zwischen ersten und 
zweiten Halswirbel stattgefunden hat, der den Bandapparat der 
Gelenke so weit schädigen konnte, dass abnormale Gelenks¬ 
verschiebungen eintreten konnten. Ich habe nun folgende, auf 
anderer ätiologischer Grundlage eingetretene, Stellunganomalie 
der ersten beiden Halswirbel zu einander beobachtet und stelle 
Ihnen gleichzeitig den betreffenden Kranken selbst hier vor. 

Es handelt sich um einen bis zum April 1907 vollständig ge¬ 
sunden, kräftigen Knaben, der damals im Alter von 11 Jahreit stand. 
Aniangs April 1907 erkrankte er an Zahnschmerzen, die von einem 
kariösen Mahlzahn des linken Unterkiefers ausgingen. Der Kranke 
weigerte sich den kranken Zahn extrahieren zu lassen; da stellte sich 
einige Tage darauf am linken Unterkiefer eine Periostitis ein. welche 
zuerst konservativ behandelt wurde. Am 4.-5. Tage seitdem die 

Periostitis begonnen hatte, 
wurde von seiten des Kran¬ 
ken über Schmerzen im Hin¬ 
terkopf und im Nacken ge¬ 
klagt. Gleichzeitig wurde 
der Kopf nach rechts geneigt 
gehalten und bei jeder Be¬ 
wegung des nun das Bett 
hütenden Kranken mit den 
Händen an Kinn und Hinter¬ 
haupt gestützt. In dieser 
Zeit bestand Fieber bis zur 
Höhe von 38°. Dann bildete 
sich am Unterkiefer eine 
deutlich fluktuierende Ge¬ 
schwulst, welche ein herbei- 
geholter Chirurg am 12. 
Krankheitstage operativ 
öffnete. Anlässlich dieser 
Operation wurde auch der 
kranke Zahn extrahiert. Schon am 2.Tage nach der Operation war die 
Temperatur normal; die Operationswunde verheilt in wenigen Tagen, 
doch blieb die Schiefstellung des Kopfes bestehen; ebenso die 
Schmerzen in den rechten Nackenpartien, wenn auch in viel ge¬ 
ringerem Masse als vorher. Sonst fühlte sich der Knabe wieder ganz 
wohl und bewegte sich frei ausser Bett. Die Schiefstellung des 
Kopfes bestimmte die Eltern den Kat des Orthopäden einzuholen. 
Damals fand ich folgendes: Ein sehr kräftiger, blühend aussehender 
Knabe weist nichts Abnormes auf, ausser der Haltung seines Kopfes. 
(Fifg. 1.) Der letztere wird nach rechts geneigt gehalten, dabei ist 
das Gesioht nach links gedreht und der ganze Kopf scheint etwas nach 
vorne verschoben. Die aktive Beweglichkeit des Kopfes ist im Sinne 
der Rotation eingeschränkt; besonders die Drehung nach rechts ist 
fast aufgehoben. Nickbewegungen sind nur wenig behindert; ija s 
Seitwärtsneigen des Kopfes ist nach rechts frei, nach links fast gar 
nicht möglich. Bei allen diesen iBewegungsversuchen steigern sich 
die auch in Ruhelage noch immer vorhandenen Schmerzen im Nacken: 
ebenso bei vorsichtig ausgefiihrten passiven Bewegungen. Das Betasten 
der rechten hinteren Nackenpartie, sowie der angrenzenden Schädel¬ 
partie wird vom Kranken als schmerzhaft bezeichnet. Irgendwelche 
Symptome von Seite des Rückenmarkes und der Hirnnerven sind nicht 
vorhanden. Ich dachte damals, dass es sich um entzündliche Vor¬ 
gänge in den rechten Nackenmuskeln handeln dürfte; und zwar wahr¬ 
scheinlich im ursächlichen Zusammenhänge mit der vorhanden ge¬ 
wesenen eitrigen Periostitis. Entzündliche Vorgänge, welche Span¬ 
nungen in diesen Muskelgruppen hervorgerufen hätten, die ihrerseits 
wieder zu der geschilderten abnormalen Kopfstellung Veranlassung 


*) Nach einem in der Versammlung des Vereins der Aerzte in 
Steiermark am ü. Mai 19U8 in Graz gehaltenen Vortrag. 


gaben. Vorsichtig ausgeführte Massagen dieser Muskelgruppen 
brachten aber keine Besserung weJer in Bezug auf die Schmerzen, 
noch hinsichtlich der Kopfhaltung. Das veranlasst mich, das vor¬ 
her unwahrscheinlich Geschienene anzunehmen, dass es sich viel¬ 
leicht doch um eine Verschiebung in den gelenkigen Verbindungen 
im Bereiche der obersten Halswirbelsäule handeln konnte. I nd 
tatsächlich fand man beim Abtasten der hinteren Rachenwand, dass 
der vordere Atlasbogen abnormal gegen die Rachenhohle vorragte 
und eine deutliche Stufe gegen den zweiten Halswirbel bildete. 1 ne 
nunmehr vorgenommene Röntgenaufnahme zeigt die pathologischen 
Verhältnisse. Vorerst aber will ich Ihnen die normalen Verhältnisse 
dieser Korperregion im Rontgenbilde demonstrieren. Bei der seit¬ 
lichen Aufnahme (Fig. 2) sieht man den Schatten des Hinterhaupt¬ 
beines, der sich nicht deut¬ 
lich in allen Teilen von 
dem Schatten des ersten 
Halswirbels trennen lasst; 
deutlich markiert sich nur 
das Tub. anticum und 
posticutn, sowie der Arcus 
posterior des Atlas. Hin¬ 
ter dem Tub. anticum ist 
der Zahnfortsatz sichtbar, 
dessen Schatten sich nach 
unten in den Schatten des 
Körpers des zweiten Hals¬ 
wirbels fortsetzt. Die Sil¬ 
houetten der Massac la¬ 
terales des Atlas sind w ie¬ 
der nicht scharf vom 
Schatten des zweiten Hals¬ 
wirbels abgrenzbar. Nach 
riickwärts vom Schatten 
des zweiten Halswirbel- 
korpers setzt sich der Bo¬ 
gen des zweiten Halsw ir¬ 
bels fort, um schliesslich in 
dem Schatten des mächti¬ 
gen Dornfortsatzes des 
Epistropheus zu endigen. Nach unten vom zweiten Halswirbel setzen 
sich die Schatten der folgenden Halswirbel i«*rt. an welchen man m 
immer wiederkehrender Weise Körper, GeienkMortsatze. Bogen und 
Dornfortsätze erkennen kann. Zieht man sich vom vordersten Punkt 
des Tub. ant. des Atlas eine Linie, welche die \ordere Begrenzung 
der Halsw irbelkorper trifft, so entsteht e.n ziemlich gleichnuvsiger, 
nach vorne leicht konvexer Bogen. Eine analoge Lime verbindet 
die hintere Begrenzung des Schattens des Zahnfortsatzes mit den 
hinteren Begrenzungsflächen der W irbelkorper. Eine 3. solche in 
gleicher Art und im gleichen Mime gebogene Lime entsteht, wenn 
man sich die Ursprünge der lk»rnfortsatze an den Wirbe’.bogen 
untereinander verbindet. Der Fortsatz dieser Lime trifft nach oben 
den Ansatz des Tub. post, am hmteien Atlasr.nge. Die zwei letzt¬ 
genannten Linien geben die Begrenzung tur den Kanal für das 
Rückenmark und die Medulla oblongala. Vor der Wirbelsäule * s t 
der Schatten der Unterkiefer sichtbar; zwischen diesem und dem 
Schatten der Wirbelsäule der weniger dichte der We:chteiie der 
hinteren Rachenwand, welcher wieder einen analogen Bogen bildet, 
w ie die bereits genannten drei Richtungslinien. Diese beschriebenen 
Verhältnisse gelten für die aufrechte Stellung, bei welcher der Kopf 
weder nach vorne noch nach rückwärts geneigt wird, also sozusagen 
bei einer Mittellage des Kopfes. Wie schon herxorgehoben wurde, 
ist bei der seitlichen Projektion weder eine genaue Abgrenzung des 
Okziput vom Atlas, noch eine solche des letzteren vom Epistropheus 
möglich. Um sich die betreffenden Gelenke im Rontgenbilde dar¬ 
stellen zu können, ist von 11 o 1 z k n c c h t ein \ erfahren angegeben, 
welches darin besteht, an sagittaler Protektion die ersten beiden 
platte sichtbar zu machen. Ddbei sieht man sehr gut den zweiten 
Halswirbel, die seitlichen Teile des Atlas mit ihren Ouerfortsat/en 
und die Gelenke zwischen Atlas und zweiten Halswirbel; weniger 
gut, weil zumeist vom Schatten des Hinterhauptbeines überdeckt, die 
Gelenke zwischen Atlas und Okziput. Ausserdem ist die Methode 
Holzknecht nicht immer anwendbar, so z. B. bei Erkrankungen im 
Bereiche der obersten Halswirbel, wenn der K-»pf in einer Beugung 
nach vorne fixiert ist. Diese pathologische Stellung ist manchmal so 
hochgradig, dass das Kinn, dem Brustbeine genähert ist und der 
Mund infolgedessen nicht genügend weit geotfoct werden kann. Für 
solche Fälle ist es notwendig, um sich die ersten zwei Halswirbel 
in sagittaler Projektion darzustellen, d e Lagerung des Kranken bei 
der Röntgenaufnahme so anzuordnen, dass man mit den Rontgen- 
strahlen durch den Nasenraum die ersten zwei Halswirbel zur Dar- 
Halswirbel durch den maximal geöffneten Mund aut der Rontgen- 
stellung zu bringen sucht. Bei diesen Aufnahmen sieht man auch d.e 
Gelenke zwischen Atlas und Schädel sehr gut. Es gibt aber auch 
noch eine andere Möglichkeit der Darste.iung der Atlanto-Okzipita!- 
Gelenke, d. i. in seitlicher Projektion, wenn gleichzeitig d.\s Gesicht 
von der unterliegenden Platte nach auiwarts weggedreht wird. An 
Stelle des Schattens des Tub. ant. ist die der P.atte aufregende Sei- 




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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1837 


tenmasse des Atlas mit dem leicht markierten Querfortsatz vor 
dem Zahn des zweiten Halswirbels erschienen (Fig. 3). An der 

oberen Begrenzung dieser 
Seitenmassc des Atlas 
zeichnet sich deutlich der 
Gelenkspalt zwischen 
erstem Halswirbel und 
Schatten des Hinterhaupt- 
kondylus ab. Man kann 
also auf diese Art, voraus¬ 
gesetzt, dass die Dreh¬ 
bewegungen des Kopfes 
normale sind, sich das 
Atlanto-Okzipitalgelenk 
darstellen. Nach dieser 
Abschweifung auf normale 
Verhältnisse, deren Kennt¬ 
nis für das Verständnis 
von pathologischen Stel¬ 
lungen notwendig ist, 
kehren wir zu dem vor¬ 
gestellten Krankheitsfall 
zurück. Auf der Röntgenplatte (Fig. 4) desselben ist folgendes 
sichtbar: 

Schädel und erster Halswirbel zeigen in ihrer Stellung zu¬ 
einander nichts Abnormes, wohl aber hat der erste Halswirbel seine 



Fig. 4. 

Stellung gegen den zweiten verändert in der Art, dass das Tub. ant. 
sich vom Zahnfortsatz gegen den Rachen hin verschoben hat. In 
demselben Grade hat sich das Tub. post, des Atlas der hinteren 
Begrenzung des Zahnfortsatzes genähert, so dass der Zahn jetzt 
letzterem näher steht als dem ersteren. Dadurch sind die am normalen 
Bilde erwähnten leicht nach vorne konvexen Grenzlinien vom Wir¬ 
belkörper, Rückenmarkskanal unid Weichteilschatten der hinteren 
Rachenwand so verändert, dass die Linien am Uebergang vom zwei¬ 
ten zum ersten Halswirbel gebrochen erscheinen, und an dieser 
Stelle nach vorne konkav werden. Besonders deutlich ist das am 
Schatten der hinteren Rachenwand zu bemerken. Zu erwähnen wäre 
noch, dass der Atlas ausser seiner Verschiebung nach vorne auch 
noch eine Drehung um eine frontale Achse in dem Sinne ausgeführt 
hat. dass er sich samt dem Kopf vorne gesenkt und hinten ge¬ 
hoben hat. 

Wenn wir nach Analysierung des Röntgenbildes zu diesem 
Krankheitsfall zurückkommen, so finden wir: Eine Luxation 
des Atlasses gegen den Epistropheus entstanden während einer 
eitrigen Periostitis. Es ist naheliegend und jedenfalls das 
Wahrscheinlichste, dass von der Periostitis aus ein meta¬ 
statischer Erguss in die Gelenke zwischen ersten und zweiten 
Halswirbel stattgefunden hat. Man kann annehmen, dass durch 
diesen Erguss in das Gelenk zwischen Zahnfortsatz und vor¬ 
deren Atlasring einerseits und Zahnfortsatz und das Lig. 
cruciatum anderseits, sowie in die unteren Gelenke zwischen 
Atlas und Epistropheus eine derartige Ueberdehnung von Ge- 
lenkskapseln und Bandapparaten stattgefunden hat, dass eine 
so hochgradige Verschiebung möglich wurde. Man muss nicht 
annehmen, dass zu derartigen Verrenkungen ein Zerreissen der 
Lig. alaria oder des Lig. transversum notwendig ist. Bei einem 
Zerreissen der Bänder wäre es wohl zu einer schweren Ge¬ 


fährdung des Markes durch den plötzlich frei werdenden Zahn¬ 
fortsatz gekommen. Man könnte aber auch daran denken, 
dass es nach Ueberdehnung der an der Spitze des Zahnfort¬ 
satzes inserierenden Haftbänder zu einem Durchschlüpfen des 
Zahnes unter dem Lig. transversum kommen, könnte. Wie be¬ 
reits Boy er für Verrenkungen des Atlas ohne Bruch des 
Zahnfortsatzes infolge forcierter Beugung bei Kindern für mög¬ 
lich gehalten hat. Im Kindesalter sei der Zahnfortsatz noch 
nicht zu seiner vollen Länge entwickelt, dabei die Bänder 
weniger fest und relativ länger. Auch bei der Annahme dieses 
Verschiebungsmechanismus müsste es doch wahrscheinlich zu 
einer Schädigung des Markes gekommen sein. Das nahe¬ 
liegendste erscheint mir somit, dass es sich nur um eine maxi¬ 
male Ueberdehnung der Bänder gehandelt hat. Unwahrschein¬ 
lich wäre die Annahme, dass gleichzeitig mit der Periostitis ein 
zweiter differenter Prozess in den Wirbelgelenken stattgefunden 
habe. Es kämen da tuberkulöse, osteomyelitische oder rheu¬ 
matische Prozesse in Frage. Für keine von diesen sind ge¬ 
währleistende Erscheinungen zu finden gewesen. 

Die Therapie beschränkte sich darauf, den Kopf durch 
eine Kravatte zu stützen. Nach Anlegung derselben ver¬ 
schwanden die subjektiven Beschwerden vollständig. Durch 
entsprechende Massnahmen an der Kravatte gelang es die 
Schiefstellung und die Rotation des Kopfes auszugleichen. Viel 
weniger liess sich bisher die Vorschiebung des Kopfes beein¬ 
flussen; doch ist das Resultat im Ganzen ein ziemlich be¬ 
friedigendes. Die Bewegungen sind nach allen Richtungen 
freier geworden und zeigen nur im Sinne der Rotation nach 
rechts eine leichte Einschränkung. Schmerzen sind wie gesagt 
gar nicht mehr vorhanden auch nicht mehr bei Vornahme der 
Bewegungen. Der Kopf wird auch nach der in allerletzter 
Zeit erfolgten Weglassung der Kravatte aufrecht und gerade 
getragen. Eine nunmehr vorgenommene Röntgenaufnahme 
zeigt aber, dass die Verschiebung des Atlas nach vorne eigent¬ 
lich gar nicht gebessert wurde. Wohl aber sieht man Knochen¬ 
schatten zwischen vorderen Ring des Atlasses und Körper des 
zweiten Halswirbels. Es scheint dort eine Anbildung von 
Knochensubstanzen stattgefunden zu haben. 

Ich habe Ihnen diesen Fall mitgeteilt, weil ich kein Ana¬ 
logon dazu in der mir zugänglich gewesenen Literatur finden 
konnte. 

Zur Kasuistik der abortiven Pneumonie.*) 

Von Dr. Simon in Plauen i. V. 

Im Februar und März d. J. habe ich zwei Patientinnen an 
Pneumonie behandelt, die beide Male einen eigentümlichen 
Verlauf nahm, einen Verlauf, wie ich ihn in meiner 22 jährigen 
Praxis noch nicht beobachtet habe: nach zweitägigem Bestehen 
der Pneumonie trat die Krisis ein, an welche sich wiederum 
recht schnell die restitutio in integrum in den erkrankt ge¬ 
wesenen Lungenpartien anschloss. 

Derartig schnell verlaufende Pneumonien nannte Wun¬ 
derlich abortive, Fi n k 1 e r rudimentäre: ich werde in fol¬ 
gendem mich an die Bezeichnung abortiv halten. 

Die Veröffentlichungen über sicher beobachtete abortive 
Pneumonien sind sehr gering; wahrscheinlich deshalb, weil 
die Aerzte dieser Form der Pneumonien skeptisch gegenüber¬ 
standen, da sie dieselben nicht von Anfang an zu beobachten 
Gelegenheit hatten und der Anamnese der Patienten keinen 
rechten Glauben schenken mochten. Ihr Vorkommen ist aber 
sicher festgestellt. So haben Thomas 1 ) 3 Fälle, T o p h o f f. 
B a r u c h und Bernhard je 2 Fälle zweitägiger Pneumo¬ 
nien, L e u b e 2 Fälle und Weil einen Fall von eintägiger — 
ephemerer — Pneumonie veröffentlicht. 

In den mir zur Verfügung stehenden Lehrbüchern der 
speziellen Pathologie fand ich entweder die abortive Pneu¬ 
monie überhaupt nicht erwähnt, wie bei P e n z o 1 d t und 
S t i n t z i n g. bei Strümpell oder wie bei N i e m e y e r, 
nur eine kurze Bemerkung von S e i t z, der auf Grund seiner 


*) Nach einem im Verein der Aerzte zu Plauen i. V. am 
15. IV. 08 gehaltenen Vortrage. 

*) Die Lungenentzündungen, von Geh. San.-Rat Dr. E. Aufrecht, 
1899, S. 128 und 129. 



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1838 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


Beobachtungen seinerzeit in der Göttinger Klinik das Vor¬ 
kommen der abortiven Pneumonie zugibt. Ausführlicher be¬ 
schäftigt sich in seinen „Lungenentzündungen“ Aufrecht 
mit der abortiven Pneumonie, deren Vorkommen er ohne Wei¬ 
teres zugibt, und von der er behauptet, dass sie öfter vor¬ 
kommt, als man allgemein annimmt, und wegen ihrer kurzen 
Dauer häufig übersehen werde. Der französische Autor See 3 ) j 
widmet der abortiven Pneumonie ein besonderes Kapitel und 
beschreibt sie folgemlermassen: „Die Krankheit beginnt un¬ 
vermittelt mit einem heftigen Schüttelfröste, der von Seiten¬ 
stechen mit Husten und Brustbeklemmung gefolgt ist. Das 
Thermometer steigt auf 40 0 und darüber. Sputa können fehlen, 
einfach zäh-klebrig und gelblich sein oder das typische, ziegel¬ 
mehlartige, rostfarbene Aussehen kies pneumonischen Aus¬ 
wurfs haben. Man findet an einer ganz begrenzten. Stelle 
etwas krepitierendes Rasseln, dem bald pfeifendes und Bron¬ 
chialatmen mit bronchophonischem Widerhall der Stimme 
folgt. Dann am nächsten oder nächstfolgenden Tage, während 
man erwartet, die Pneumonie sich ausdehnen oder das Bron¬ 
chialatmen mehr hervortreten zu sehen, hält die Krankheit 
ebenso unvermittelt inne, abortiert; das Thermometer fällt 
auf den Normalstand, und innerhalb 24 oder 48 Stunden ist 
jedes örtliche Krankheitszeichen verschwunden.“ 

Wir haben hier also das Bild einer richtigen Pneumonie, 
deren Eigentümlichkeit ihr ausserordentlich schneller Ver¬ 
lauf ist. 

Ich komme nunmehr zur Beschreibung der von mir be¬ 
obachteten 2 Fälle von abortiver Pneumonie. 

1. Frau Olga Helene A., 33 Jahre alt, erkrankte am 27. II. 08 
unter heftigem Schüttelfrost. Am 28. II. 08 stellte ich bei meinem 
ersten Besuche bei der Patientin folgendes fest: Patientin klagt über 
Seitenstechen links und quälenden Husten; Temperatur 39,4, Puls 108; 
von der 6.—8. Rip,pe hinten links Dämpfung und krepitierendes 
Rasseln; 1—2 Finger breit oberhalb und unterhalb der gedämpften 
Lungenpartie Bronchialatmen; Fremitus pectoralis über der er¬ 
krankten Stelle verstärkt; Sputum zähklebrig und rostfarben. 

Diagnose: Pneumonia crouposa. Auf Grund dieses Befundes 
glaubte ich natürlich, dass die Pneumonie sich noch über die 6. Rippe 
nach oben und über die 8. Rippe nach unten weiter ausdehnen würde. 
Umsomehr war ich erstaunt, als ich bei meinem Besuche am 29. II. 08 
die Patientin ruhig und leicht atmend mit einem äusserst zufriedenen 
Ausdruck im Bette liegend vorfand; sie gab an, gegen Mitternacht 
reichlich zu schwitzen angefangen und sich danach plötzlich ganz wohl 
gefühlt zu haben, das Seitenstechen wäre vollständig geschwunden 
und der Husten, der sie tags zuvor noch sehr gequält hätte, jetzt 
sehr leicht. T. 36,9, Puls 66; Sputum noch etwas rostfarben; Schall¬ 
verkürzung, bronchiales Atmen und Rasselgeräusche über der er¬ 
krankten Stelle. Am 1. III. betrug die Temperatur 36,6, Puls 66; 
Auswurf schleimig, wenig und leicht; die Dämpfung über der er¬ 
krankten Stelle war geschwunden und es waren dort nur vereinzelte 
Rasselgeräusche sowie vesikulo-bronchiales Atmen zu hören. Am 
2. III. 08 war der Befund über der erkrankt gewesenen Stelle aus¬ 
kultatorisch sowie perkutorisch vollständig normal und kein Auswurf 
mehr vorhanden; Temperatur und Puls normal; Allgemeinbefinden 
sehr gut. In der weiteren Rekonvaleszenz traten irgendwelche Stö* 
rungen nicht auf. 

Die Patientin hat also in zwei Tagen eine kruppöse Pneumonie, 
die als solche objektiv ganz genau festzustellen war, durchgemacht. 
Dass diese Pneumonie nicht länger als zwei Tage, den 27. und 
28. II, 08, gedauert haben kann, geht noch daraus hervor, dass ich, 
als ich am 26. II. 08 das an Influenza erkrankte und In meiner Be¬ 
handlung gewesene Töchterchen der Patientin zum letzten Male be¬ 
sucht hatte, bei dieser Gelegenheit die Mutter noch ganz gesund ge¬ 
sehen hatte. 

2. Die 17 Jahre alte Schneiderin Frl. Johanna H. war am 
13. III. 08 morgens ganz gesund aufgestanden. Auf dem Wege nach 
ihrer Arbeitsstelle fror sie recht heftig, arbeitete aber trotzdem unter 
grossen Beschwerden, die sich besonders in Seitenstechen und quälen¬ 
dem, trockenen Husten äusserten, noch den ganzen Tag. Am 14. III. 08 
konnte sie nach einer schlecht verbrachten Nacht nicht mehr auf¬ 
stehen und liess mich zu sich rufen. An diesem Tage stellte /ich 
folgenden Befund fest: Temp. 39,6, Puls 120; von der 7.—10. Rippe 
rechts hinten Dämpfung, krepitierendes Rasseln. Bronchialatmen be¬ 
sonders deutlich nach Aufhusten der Patientin; Fremitus pectoralis 
über der gedämpften Stelle verstärkt; von der 7. Rippe nach auf¬ 
wärts ca. 2 Finger breit bronchiales Atmen; Sputum rostfarben. 
Diagnose: kruppöse Pneumonie. Natürlich glaubte ich auch hier, 
dass die Pneumonie sich noch weiter ausdehnen würde; aber schon 


s ) Die Krankheiten der Lunge, von O. See, Professor der kli¬ 
nischen Medizin an der Faculte de medccine in Paris. II. Teil. S. 
180 u. f. 


am folgenden Tage, d. 15. III. 08, betrug die Temperatur 36,8, Puls 72; 
das Sputum war schleimig und locker; die Auskultation ergab bron¬ 
chiales Atmen und Rasselgeräusche über der 7.—10. Rippe, die Per¬ 
kussion ebendaselbst keine Dämpfung mehr, sondern verkürzten 
Schall. Die Patientin lag ruhig und leicht atmend im Bette und 
erzählte mir, dass gegen Morgen reichlicher Schweissausbruch ein¬ 
getreten sei und danach alle Beschwerden, die sie die vergangenen 
zwei Tage so sehr gequält hätten, verschwunden seien. Am 16. III. 
waren Temperatur und Puls normal, Husten leicht und sehr wenig 
schleimiges Sputum, das Atmungsgeräusch vesikulär, ab und zu über 
der erkrankt gewesenen Stelle ein Ronchus zu hören, die Dämpfung 
war vollständig geschwunden. Die Rekonvaleszenz verlief unge¬ 
stört. 

Also auch hier geht eine objektiv genau festgestellte krup¬ 
pöse Pneumonie nach 2 Tagen in Genesung über. Das Charak¬ 
teristische an diesen beiden Pneumonien war die Raschheit 
ihrer Entwicklung, ihre kurze Dauer und rasche Deferveszenz. 
Und doch waren es unzweifelhaft richtige kruppöse Pneumo¬ 
nien: Wir fanden erhöhte Temperatur, frequenten Puls, krepi¬ 
tierendes Rasseln, Bronchialatmen, Dämpfung, verstärkten Fre¬ 
mitus pectoralis, rostfarbenes Sputum — und all diese Erschei¬ 
nungen verschwanden nach 2 Tagen und machten recht schnell 
dem früheren normalen Zustande wieder Platz. 

Wie erklärt sich nun der schnelle Verlauf der abortiven 
Pneumonie? In den beiden von mir soeben geschilderten 
Krankengeschichten sahen wir, dass der Krankheitsprozess be¬ 
züglich der Ausdehnung eng begrenzt gewesen und wahr¬ 
scheinlich nicht weit in die Tiefe der Lunge gedrungen ist, son¬ 
dern sich mehr oberflächlich gehalten hat; auf diese Weise 
würde auch die schnelle Resorption des Exsudates leichter ver¬ 
ständlich sein. Vielleicht könnte man auch noch daran denken, 
dass der Diplococcus Friedländer durch irgendwelche, uns 
vorläufig unbekannte Umstände in seiner Virulenz stark ab¬ 
geschwächt ist, und infolge dessen ein weiteres Umsichgreifen 
der Krankheit verhindert wird. Beides, die nur oberflächliche 
Erkrankung eines kleinen Teiles des Lungengewebes und 
andererseits in ihrer Virulenz abgeschwächte Pneumokokken 
dürften, da wir andere Ursachen bisher nicht kennen, zur Er¬ 
klärung der abortiv verlaufenden Pneumonie wohl ausreichen. 


Die neue Erklärung der Tuberkulinwirkung. 

Entgegnung auf die Arbeit von Zieler über toxische Tu'ber- 
kulosen, diese Wochenschrift 1908, No. 32. 

Von A. Wolff-Eisner - Berlin. 

Zielers Einwände gegen meine Erklärung der Tuberkulin¬ 
wirkung beruhen im wesentlichen auf 2 Tatsachen: 

1. man erzielt eine Kutanreaktion auch mit filtriertem Tuberkulin 
Höchst, in dem keine Tuberkelbazillensplitter nachweisbar sind; 

2. auch Dialysate erzielen, wenn auch schwache TuberkuMn- 
wirkung. 

Nebenbei stellt Zieler fest, dass in der gesamten Literatur 
meine neue Theorie ohne Widerspruch zitiert wird. Es ist zwar 
leider nicht der Fall, doch angenehm zu hören. 

Beide oben erwähnten Tatsachen sind mir bekannt und in meiner 
Monographie (Wiirzburg, Stüber 1908) ausführlich mitgeteilt. Ich 
habe mit Chamberland- und Berkefeldfiltraten, die keine Splitter nach- 
weisen Messen, Kutanreaktionen erhalten und aus der Tatsache, dass 
Höchster Tuberkulin (das filtriert und splitterfrei ist) Kutanreaktionen 
von typischer Struktur erzeugt, den Schluss gezogen, dass die An¬ 
sicht von Pick nicht haltbar sei, dass durch sichtbare Splitter die 
tuberkelähnliche Struktur der Kutanpapel erzeugt wird (cf. Berl. 
klin. Wochenschr. 1908, No. 30, S.-A. S. 10). Auf Grund neuer Ver¬ 
suche (Berl. klin. Wochenschr. 1908, No. 30/31) komme ich sogar zu 
dem Schluss, dass der Splitter nicht an sich den Tuberkel er¬ 
zeugt, sondern erst dann, wenn er in den löslichen Zustand 
übergeht (lysiert wird). Hieraus wird der Schluss zu ziehen 
sein, dass die im filtrierten Tuberkulin vorhandenen wirksamen 
Stoffe ultramikroskopische Splitter sind. Es ist der „Splitter“ ein Bild, 
das ich stets verwende, da ich die Wirkung von Eiweiss (Zentralbl. f. 
Bakteriol., Bd. 40, H. 3) ebenfalls unter dem Bilde ultramikro¬ 
skopischer Splitter erklärlich mache. Wenn man will, kann man 
sagen, dass die Wirkung an Tuberkelbazilleneiweiss geknüpft ist. Dass 
eine geringe Menge der wirksamen Substanzen im Tuberkulin in voll 
gelöstem Zustande vorhanden ist (wie bei allen Endotoxinen, was 
Zieler ganz richtig anführt) halte ich für möglich, dass es aber 
nur wenig ist, geht daraus hervor, dass Gesunde auf Tuberkulin 
nicht reagieren. Doch bin ich selbst auf diese naheliegende Annahme 
gekommen, um zu erklären, dass Gesunde auf sehr grosse Mengen 
Tuberkulin (ca. 2 cg) doch reagieren. Andererseits habe ich ebenda 
.den Nachweis erbracht, dass die Tuberkulinimpfung bei Tuberkulösen 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1839 


identisch mit der Wirkung von Bazillenleibersubstanzen ist. Da 
ich für das in Wirkung Treten der Stoffe ebenfalls ein in Lösung 
Gehen der Stoffe annehme, scheint mir der Unterschied nicht gross 
genug, um eine Polemik zu rechtfertigen. 

Ueber dfe Versuche, aus denen eine Dialysierbarkeit der im 
Tuberkulin wirksamen Stoffe hervorgeht, habe ich auf S. 95 und 96 
meiner Monographie berichtet. Es liegen also keinerlei 
neue Tatsachen für eine Kritik vor. 

Auf die aus der Komplementbindung gegen meine Tuberkulin- 
theorie erhobenen Einwände von Zastka (Wien. klin. Wochenschr. 
1908, No. 24) die von Zieler belobt werden, nach meiner Meinung 
aber unhaltbar sind, komme ich in kurzem in der Wien. klin. Wochen¬ 
schrift zu sprechen. Die Arbeit erscheint Ende August oder Anfang 
September. 

Ich bitte die Kürze dieser Erwiderung damit zu entschuldigen, 
dass ich in der demnächst in der 2. Auflage meiner Monographie aus¬ 
führlich auf die Grundlagen meiner Tuberkulintheorie eingehen kann. 


Zur Technik der Nadelextraktion. 

Bemerkungen zu dem Artikel von Dr. Carl H a e b e r 1 i n. 
Von Privatdozent Dr. G. Holzknecht und Dr. Richard 
L. G r ü n f e 1 d in Wien. 

ln No. 32 dieser Wochenschrift teilt H a e b e r 1 i n ein Verfahren 
mit, welches die chirurgische Entfernung eingedrungener Fremd¬ 
körper durch eine zweckmässige Lokalisation mittels der Röntgen¬ 
strahlen erleichtern soll. Diese Methode bestünde in dem „syste¬ 
matischen Hin- und Herbewegen des den Fremdkörper enthaltenden 
Gliedes“ hinter dem Schirm. Die weiteren Angaben des Autors, 
nämlich: man möge „in vielen Ebenen durchleuchten“, ferner „den 
Körper um die Längsachse“, weiters „um die sagittale Achse“, end¬ 
lich „die Hand im Handgelenk“ bewegen, enthalten keine präzise Be¬ 
schreibung dieser Prozedur. 

Der Vorschlag ist vielmehr eine genetische Vorstufe einer von 
v. Karajan und dem einen von uns angegebenen Lokalisations¬ 
methode für Fremdkörper in den Extremitäten (Fortschr. a. d. Geb. 
d. Röntgenstr., Bd. 4, pag. 174, 1900—01; siehe auch den dieser 
Methode gewidmeten Abschnitt unserer Arbeit: „Die Fremd- 
körperharpunierung“ im Zentrallbl. f. d. ges. Therapie, XXII. Jahrg., 
H. 2, 19U4), welche seither auch in radiologische Lehrbücher Ein¬ 
gang gefunden hat. Diese Methode besteht in kurzen Worten darin, 
dass der Körperteil, in welchem sich der Fremdkörper befindet, hinter 
den Schirm derart eingestellt wird, dass die Nadel auf dem Schinne 
als Punkt erscheint. Man markiert nun die beiden Punkte der Haut, 
welche sich mit dem punktförmigen Schatten decken (den uns und 
den der Röhre zugewendeten Punkt) und hat damit die Lage der 
Achse bestimmt. Man wendet nun den freigewählten Ort der In¬ 
zision dem Schirm zu, sieht jetzt den Fremdkörper in seiner Längs¬ 
ausdehnung und markiert seinen Schatten auf der Haut. Senkrecht 
über die Mitte dieser Marke zieht die Inzisionslinie. Wo diese 
Methode prinzipiell versagt, muss man selbstverständlich die Nadel¬ 
end punkte einzeln in der gleichen Weise wie rundliche Fremd¬ 
körper lokalisieren; gerade das sind die einfachsten Fälle. Im 
Röntgenlaboratorium des k. k. allgemeinen Krankenhauses in Wien 
stehen diese geometrisch präzisen Methoden seit 7 Jahren 
(1901) in Verwendung, haben allen berechtigten Ansprüchen genügt 
und es ist doch kein Grund vorhanden, eine Methode an deren Stelle 
zu setzen, welche sich lediglich als Rückschritt Qualifiziert. 

Die Fälle, in denen auch die genauesten Lokalisations¬ 
verfahren bei der Operation versagen, weil der menschliche Körper 
nun einmal kein« feste und geometrisch einfache Form hat, weil alle 
Marken sich durch Lagerung, Gelenkstellung und Eingriff verschieben, 
können nur auf einem Wege, nämlich durch die Benützung der Rönt¬ 
gendurchleuchtung während der Operation, wie sie in unseren 
Arbeiten: „Die Fremdkörperentfernung bei wechselndem Röntgen- 
und Tageslicht etc.“ (Wiener klin. Wochenschr., No. 9, 1904, ferner 
D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 73, 1904), sowie nach uns von Perthes 
(Zentralbl. f. Chir., No. 22 u. 23, 1904) beschrieben sind, erledigt 
werden. 

Dass die hierfür erforderliche Einrichtung vielfach nicht zur 
Verfügung steht, wie Haeberlin bemerkt, ist wohl richtig, aber 
bedauerlich, denn dann bleibt der Fremdkörper drin. 

Wien, 14. August 1908. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Ethische Fragen für den ärztlichen Stand. 

Zeitgemässe Revision der Etikettenfragen. 

Von Dr. Max Nassauer in München. 

(Schluss.) 

Wie nun soll der jung niedergelassene Arzt eine Praxis er¬ 
werben? Wie soll und darf er sich ankiindigen? Was soll er tun, 
um bekannt zu werden, Klienten zu finden, seinen Unterhalt zu ver¬ 
dienen, wissenschaftliches Material zu erlangen . . . und wie soll er 


anderseits sich zu seinen Kollegen stellen, ohne sie zu schädigen, 
ohne das Ansehen des gemeinsamen Standes herabzusetzen? 

Da müssen wir von vornherein eine erste allgemein ethische 
Pflicht erfüllen, wenn wir uns anschicken, diese Frage zu beant¬ 
worten : Wir müssen ehrlich sein. Und da müssen wir von 
vornherein ehrlich zugestehen, dass jeder neu sich niederlassende 
Arzt ein neuer Konkurrent ist. Und zwar ein gefährlicher Kon¬ 
kurrent. Denn er wird mit all seiner jungen Tatkraft und Energie 
kranke Leute in Behandlung zu bekommen suchen und damit seinen 
Lebenszweck auszufüllen streben. Da nun nicht vorgeschrieben wer¬ 
den kann, dass der junge Arzt nur solche Patienten übernehmen darf, 
die noch keinen anderen Arzt haben, so ist er also darauf ange¬ 
wiesen, seinen Kollegen, den anderen Aerzten, Klienten abzunehmen. 
Das wird nun hinwiederum diesen nicht erwünscht sein. Sie werden 
einen passiven Gegenstoss unternehmen müssen. So setzt der Kon¬ 
kurrenzkampf ein. Wie in jedem anderen Beruf. Dieser Kon¬ 
kurrenzkampf muss kollegial geführt werden. Das 
ist die erste und wichtigste Forderung der ärztlichen Ethik! 

Und dazu werden Etiketteregeln aufgestellt werden müssen, wie 
bei einer Mensur auf dem Paukplatz. Dieser Komment des ärzt¬ 
lichen Kampfplatzes ist es, den wir im einzelnen besprechen wollen. 

In diesem Kampfe, in dem jeder Sieger sein will, können ausser¬ 
ordentlich leicht Verstösse gegen die kollegiale Gesinnung erfolgen. 
Darum ist es vor allem erforderlich, ein allgemeines Solidaritäts¬ 
gefühl zu gestalten, wie es das Standesbewusstsein darstellt. Wird 
dieses Standesbewusstsein allen Aerzten eingepflanzt, dann fügen 
sie sich freiwillig -den sich entwickelnden Anforderungen des Standes. 
Diese Freiwilligkeit aber ist, wie ich schon ausgeführt habe, ein 
besserer Halt als der Zwang. Da indessen in jedem Stande un- 
: lautere Elemente vorhanden sind, für welche nur Zwangsmassregeln 
wirksam sind, sind gesetzliche Einrichtungen erstanden oder 
im Erstehen begriffen, die eine Handhabe zur Bestrafung bieten. 
Innerhalb der Aerzteschaft sind jedoch die Meinungen über diesen 
j gesetzlich festgelegten Komment sehr geteilt. Unbedingte Voraus¬ 
setzung für eine wahrhafte Kollegialität ist es, dass man allen Mit¬ 
gliedern des Standes Duldsamkeit entgegenbringt und versucht, sich 
in die verschiedenen Charaktere und die Eigenheiten der einzelnen 
Kollegen hineinzudenken und darnach sein Urteil einzurichten. 

Früher hatten die alteingesessenen Aerzte infolge ihrer Macht 
und ihres Ansehens zu verhindern gesucht und auch gewusst, dass 
der junge Arzt zu rasch bekannt würde. In einem kleinen Büchlein 
„Meine Nachtglocke“ schildert Edel sehr anschaulich die klein¬ 
städtischen kollegialen Verhältnisse: „Die wenigen ansässigen Aerzte 
terrorisierten jeden Eindringling durch ihre spöttischen Bemerkungen, 
durch lieblose Urteile und begünstigten dadurch unbewusst die un¬ 
reinsten Elemente.“ Aber der neu angekommene Arzt wurde damals 
wenigstens noch bemerkt, bekrittelt und begutachtet. Dadurch kam 
er wenigstens in das Gerede der Leute. Er wurde bekannt. Die 
Tagespresse spielte noch keine Rolle. Die Reklame steckte in jeder 
Beziehung noch in den Kinderschuhen, ja sie war kaum noch geboren. 
Es war verfehmt ein irgendwie grösseres oder auffallendes Schild 
anzubringen, die Sprechstundenzeit, eventuelle Spezialität, anzu¬ 
schreiben, ja sogar eine Nachtglocke galt schon vielfach als un¬ 
erlaubte Reklame. Nun vergegenwärtige man sich, dass auch in 
den anderen Berufen die Reklame etwas durchaus ungewohntes war! 
Dann kam mit dem Anwachsen der Bedeutung der Presse die wach¬ 
sende Reklame durch die Zeitungen und schliesslich die schwindel¬ 
hafte Reklame. In deren Gefolge das Gesetz gegen den unlauteren 
Wettbewerb. 

Die Tagespresse wuchs zur ungeheuren Macht heran . . . nur 
wer den Augenblick ergreift, der ist der rechte Mann. 

Wer von den Kaufleuten es verstanden hat, sich die Zeitungs¬ 
reklame bald nutzbar zu machen, hatte den Erfolg auf seiner Seite. 
Dann kam die Zeit, in welcher die räumliche Ausdehnung der Stadt 
es für die Aerzte zur Notwendigkeit machte, gewisse dringende Mit¬ 
teilungen an ihre Klienten durch die Tagespresse bekannt zu geben. 
Gerade die beschäftigsten Aerzte werden zuerst in der Lage ge¬ 
wesen sein, ihren Urlaub, ihre Wiederkehr durch die von jedem ge¬ 
lesene Tageszeitung kund zu tun. Immerhin mag der erste Arzt, der 
diesen Weg beschritt, eine gewaltige Revolution in den Köpfen seiner 
Kollegen angerichtet haben und manches böse Wort mag an den 
Stammtischen und Honoratiorentischen der Stadt gefallen sein, an 
denen die Herren Doktoren ihren würdigen Platz innehatten. Und 
wer es dann gewagt haben wird, seine Niederlassung ebenfalls 
durch die Zeitung anzuzeigen, der wird wohl gar von seinen älteren 
Kollegen keines Grusses mehr gewürdigt worden sein. 

Heutzutage ist die Tagespresse einfach für den Arzt nicht mehr 
zu entbehren. Dort ist der Ort, wo er seine Niederlassung ver¬ 
kündet, seine Rückkehr von einer Reise mitteilt. Ich möchte den 

Weg der anständigen Annonce nicht nur nicht für unethisch, sondern 
im Gegenteil für ethisch notwendig erklären. Denn es ist ethisch, 
alle anständigen Wege zu beschreiten, um seine Persönlichkeit zur 
Geltung zu bringen. Ethisch ist es, alle anständigen Handlungen zu 
unternehmen, um sich unabhängig zu machen, seine Familie zu er¬ 
nähren. Für unethisch würde ich es im Gegenteil erachten, wenn 
eine grössere Zahl von Kollegen, infolge guter ererbter Ver¬ 
hältnisse sich über ihre Kollegen für zu erhaben hielte, um Mass- 


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Original frnm 

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1840 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _N<» *5. 


nahmen mitzumachen, die für den grösseren Teil der Kollegen für 
notwendig erachtet werden. Gerade der materiell gut gestellte Kid¬ 
lege kann seinen sittlichen und ethischen Wert darin erweisen, dass 
er den materiellen Unterschied beim Publikum verwischt und sich 
nicht als einen Arzt höherer Ordnung betrachten lässt. So darf der 
gut gestellte Arzt nicht etwa durch zu geringe Rechnungen die Wer¬ 
tung der ärztlichen Leistungen heruntersetzen; er soll z. B. sich der 
im Interesse der wenig begüterten Kollegen geschaffenen x \ oder 
Vs jährigen Rechnungsstellung anschliessen usw. 

Nun werden in der Tradition befangene Leute sagen können, 
dass es wohl erlaubt sei, zu annoncieren: aber nur 1 oder 2 mal. 
Ich muss gestehen, dass ich da nicht so ängstlich bin. Ich kann 
es verstehen, dass ein junger Arzt, wenn er nach seiner Nieder¬ 
lassungsannonce lange vergeblich auf Klienten gewartet hat, den 
Versuch wiederholt und noch einmal seinen Namen in die Zeitung 
bringt. Ich kann eine Grenze für die Zahl der Annoncen eigentlich 
nicht als berechtigt anerkennen, selbst wenn ein Kollege in der un¬ 
glücklichen Lage wäre, ein Jahr lang alle paar Wochen wieder annon¬ 
cieren zu müssen. Ls würde schliesslich nur derjenige Ar/t annon¬ 
cieren, der es nötig hat. Wer aber schon eine gute und anständige 
Klientel hat, wird sich hüten, durch häufiges Annoncieren zu dokumen¬ 
tieren, dass er diese Art der Reklame noch braucht. Selbstredend 
w r ill ich damit nicht einem schrankenlosen Annoncenunfug das Wort 
reden; ich will nur Vorschlägen — und darauf werde ich zuruck- 
kommen —, dass w ir eine Aenderung in dem bisherigen Modus treffen 
müssen und die nun einmal bestehende Woge in ein richtiges und stan¬ 
deswürdiges Fahrwasser leiten müssen. , 

Eine solche würdige Annonce — ihr Inhalt ist wichtiger, als die 
Anzahl ihres Erscheinens — halte ich für anständiger, als wenn je¬ 
mand eine lächerliche Ausrede annonciert. Wenn ein Ar/.t mit Namen 
und Strasse, Telephonnummer und Bezeichnung der Spezialität an¬ 
kündet, dass er vom 22 . bis 24. Dezember verreist sei, dann am 25.. 
27. und 29. Dezember wieder annonciert, dass er zurückgekehrt sei, 
so ist das unwürdig und, was eigentlich ebenso schlimm ist, lächer¬ 
lich. Das schlimmste in der Welt ist, sich lächerlich zu machen. 
Solche Leute sind aber auch dumm. Die in Dummheit Sündigenden 
müssen w r ir belehren; die sich lächerlich machenden Kollegen müssen 
wir vor weiterer Lächerlichkeit bewahren, die das Publikum täu¬ 
schenden müssen wir strafen. Denn das Publikum schiebt die 
Dummheit und die Lächerlichkeit und die Täuschung schliesslich dem 
Stande zu. Der Stand aber darf auch seinerseits keine dummen 
und keine lächerlichen Massregeln treffen und in denselben Fehler 
verfallen, wie die, die er belangt. Darum wird er in den bisher an¬ 
gezogenen Fällen von Fall zu Fall entscheiden müssen. So w ird er 
es für durchaus berechtigt erklären müssen, die Rückkehr vom Ur¬ 
laub ein- oder auch mehrmals anzcigcn zu dürfen. Jeder beschäftigte 
Kollege hat die Erfahrung gemacht, dass seine Klientel auf seine 
Rückkehr wartet, auch wenn sie durch einen Vertreter zur Not¬ 
durft versorgt ist. Meist nehmen die Leute gar nicht den Vertreter, 
sondern irgend einen Arzt, dem nun wdeder wenig daran gelegen 
sein kann, die Rückkehr des Kollegen den Patienten zu vermelden. 
Da ist es direkt Pflicht gegenüber den Klienten, sic zu benachrichti¬ 
gen. Mir selbst ist es oft begegnet, dass während des Urlaubs 
Dutzende von Karten meines Vertreters an die Klienten der Sprech¬ 
stunde gegeben wurden, dass sich bei diesem aber nur ein ganz ge¬ 
ringer Bruchteil eingefunden hat. Die einmalige Benachrichtigung 
in der Zeitung von meiner Rückkehr wurde sehr oft übersehen, wie 
dann die Patienten ärgerlich erklärten, die erst später zufällig von der 
Rückkehr hörten. 

Wie ich schon andeutete, sollte die ganze Annoncenfrage in 
grosszügige Bahnen geleitet werden. Die ärztlichen Organisationen, 
die sich mit Standesfragen beschäftigen, sollten für ihre Mitglieder 
sorgen! Gerade für die Bedürftigsten, die auch der Versuchung 
am ehesten unterliegen, zu verzweifelten, imethischen Massnahmen 
zu greifen, sollten die Organisationen sorgen. Werden diese in der 
Organisation eine Stütze finden, so werden sie zum Standesbewusst- 
sein und zur Befolgung der ärztlichen Etikette erzogen. Nicht aber 
dann, wenn ihnen die Vorschriften der Organisation und der Etikette 
alle möglichen Flindernisse in den Weg legen, bekannt zu werden. 
Da wäre folgender Weg zu überlegen: Die Organisation, im ein¬ 
schlägigen Falle der ärztliche Bezirksverein, unterhält in den Tages¬ 
zeitungen eine ständige Rubrik, in welcher alle Mitteilungen der 
einzelnen Aerztc an die Oeffentlichkeit gelangen: Niederlassungen, 
Urlaub, Rückkehr, Wohnungswechsel etc. Von Vorteil dürite es 
sein, in diese Rubrik auch allgemein interessierende ärztliche Tat¬ 
sachen, kurze Warnungen vor Schwüidelrnitteln. kurze hygienische 
Winke u. dergl. aufzunehmen, um das Interesse des Publikums auf 
die Rubrik zu lenken und es wach zu halten. In diese Rubrik, die 
von dem Bezirksvereiu redigiert würde, soll nach Bedürfnis auch 
eine gewisse Reklame fiir bedürftige Aerzte gelangen dürfen. Die 
Organisation soll da nach Prüfung und Wägung der eingehenden An¬ 
träge nach gutem Gewissen handeln dürfen. Der beschäftigte Arzt 
wird nur für seine wichtigsten Mitteilungen um Auinahme nach¬ 
suchen, der in Sorge lebende wird dieser Nachhilfe öfters zu Teil 
werden. Es konnte damit noch etwas Gutes geschaffen werden: 
Die Outsider, die bis letzt gewinnsüchtiger- und uuaustandigerweise 
annonciert haben, werden damit kalt gestellt. Bis jetzt haben diese 


von ihrer Unanständigkeit profitiert. Nur die wenigen Namen der 
unanständigen Aerzte prangten bis jetzt in den Zeitungsannoncen. 
Aber gerade, weil es wenige Namen waren, konzentrierte sich das 
Auge der Lesenden auf diese Wenigen. Erscheint nun eine ständige 
Rubrik mit vielen Namen und damit, ständig wechselnd, eine neue 
Serie von Namen ... dann verschwinden die unanständigen Annoncen 
von selbst. Denn sie verschwinden unter der Menge der anderen 
und verlieren damit ihren Wert. Andererseits wird es bald bekannt,, 
dass diese Annonceure von den Acrzten nicht als Kollegen be¬ 
trachtet werden und anrüchig sind. Aber ein anrüchiger Arzt er¬ 
wirbt kein Vertrauen. Und es wird verhindert, dass die anständigen 
Annoncen vorn Zeitungsdrucker kunterbunt mit den unanständigen 
zusammengestellt werden, wie es bis jetzt vieüadi der Fall ist. 

Diese homöopathische Behandlung der Anrn»itccnfrage sei Ihrer 
Diskussion emptohlen! Selbstredend werden durch dieses \ <»rgehen 
nicht alle unsauberen Elemente \ erhindct t. neue Wege der eigen¬ 
süchtigen Reklame zu finden. Aber die Differenzierung ist zu offen¬ 
kundig. als dass sie vom Publikum nicht bemerkt wurde. Das soll 
auch der Fall sein! Denn wir sollen uns durchaus nicht scheuen 
— und das ist ein sehr wichtiger Punkt die unsauberen Elemente 
unter uns offenkundig als solche zu deklarieren! Das Publikum be¬ 
kommt viel mehr Achtung vor uns. wenn wir offen und eh-lich zeigen, 
dass es auch unanständige Aerzte gibt, als wenn wir \ersuchen 
wollten, alle Verfehlungen innerhalb des Standes mit dem Mantel 
der Kollegialität zu \ erdecken. Dadurch kommen wir allzu leicht in 
Gefahr, dass uns das Publikum insgesamt unter diesen etwas flecki¬ 
gen Mantel steckt! So sollen wir auch die Namen dcriemgen Kol¬ 
legen, die sich w iederholt und bew usst gegen unsere Ethik 
vergangen haben, zum ersten unter uns nennen und uns dann audi 
nicht scheuen, sie auch denen gegenüber zu nennen, die vmi ihnen 
geschädigt worden sind, z. B. die Krankenkassen. So wird unse r 
ehrlicher Wille erkannt, dass wir auf absolute Anständigkeit inner¬ 
halb des Berufes den grössten Wert legen. Dies ist besser, als Wenn 
nur die sachlichen Verfehlungen genannt und deren l rheber nur v-m 
Ohr zu Ohr geflüstert werden. - Dies Vorgehen wurde audi j ro- 
ph\ taktisch wirken! 

Nun aber kann, ausser durch Annoncen, die Tagespresse auf 
andere Weise zur Reklame benutzt werden. Das sind die Dank¬ 
sagungen von Patienten mit Namensnennung ihrer Aei/te. Die 
Münchener Zeitungen lehnen sokhe Annoncen grundsätzlich ab. Mit 
Recht. Gar zu leicht und gar zu oft kann diese Reklame vom Arzte 
selbst redigiert und veranlasst werden, wie dies denn auch ein be¬ 
kannter Iric der Kurpfuscher ist. 

Eine unwürdige Reklame wird auch vielfach im redaktionellen 
Teil der Zeitungen getrieben. Da wird das Bu.-.etm irgend eines er¬ 
krankten Grossher/ogs als Deckmantel fiir tägliche Reklame benutzt. 
Staunend lesen die arglosen l.eser von der Berufung eines Arztes 
zu einer Persönlichkeit nach Bukarest oder sonstwohin. In München 
sind wir noch nicht so weit; da aber diese feine Blute der Rekiame 
im Norden schon heimisch geworden ist. ist ihre Verpflanzung hier¬ 
her nur eine Frage der Zeit. Das Bedauerlichste ist dabei, dass diese 
Reklame selbstredend meistens durchaus nicht von notleidenden 
Aerzten veranstaltet wird! Wenn eine Privatkümk auf Brief¬ 
kuverts etc. dm Stadtplan mul rot angestrichen die Klinik darauf 
und den Weg vorn Bahnhof dahin markieren wurde, wurde das von 
den Kollegen als nicht stamlcsgemavs bc/cichnci werden. Ob staat¬ 
liche Kliniken und deren Leiter davon aiis/muhmen sind, darüber 
wird die Diskussion vielleicht auch Auikiarung ergeben. 

Lline weitere Reklame kann, bewusst oder unbewusst, m der 
Darstellung von populärer Medizin in den 1 ages/citiingvn tur den 
Verfasser erfolgen. Gegen diese Art der indirekten Reklame wird 
dann nichts einzuvv enden sein, wenn die I »ar Stellung wirklich geb,alt- 
voll. belehrend und nutzbringend ist. Line geschickte Populari¬ 
sierung der Medizin wird nur zum Ansehen der ar/tlidien Wissen¬ 
schaft und damit der Aerzte beitragen. Macht sich der geschickte 
ärztliche Antor dadurch einen Namen, so hat er dusen I rndg mir 
Seiner Tüchtigkeit zu verdanken und damit ist auch seine Betätigung 
gutzuheissen. Ich meine, es konnte in diesem Punkte noch viel mehr 
geschehen. W ir haben viel zu wenig Kollegen, die es verstehen, 
einen guten Kontakt zwischen Pub.ikum lind Ver/ten durch gute 
Populäre Medizin lier/ustellen. 

Ebenso wird tm nies LraditeüS e re irv inni ge. beüctr s; sj-.. 
htefa rische Betätigung, auch aus .e/'ü 1 i in M eil heraus, wenn s e 
von grosszügigen, al.gemem menschlichen (iesichtspunkten aus er¬ 
folgt, mir zu Künsten des Standes W.IM.I 1 können. Audi eh rt. wo 
menschliche Schwächen der Aerzte v-n d enii sdbst ’.td:e*ul ge- 
geisselt werden. Man muss andi u'm vdi selbst i.icKn k-«r ihu 
und manchem üblen Denken wird de N’.t/e abgebr« dien, wem- 
man selbst zuerst sei ne Leiber ’adiend I e s-. f . >,.’die fe'.r.sd'e 
Betätigung hat noch von ieher Ja zu ! t „ e ! * a }>. das Vrtvd’eu der 
Aer/te zu erhöhen. Im IY Ja 1 ;: hu mH '• war das a:iss. ro-den: .d’e 
Ansehen der Aer/te n.dit zum maule ste u m : gt durch d ese v e - 
iache Betätigung der Ver/te in a de • e mn K : ’ .mt item Les¬ 
sing und Schiller stammen aus :? e : / " sd-, m >:am ! e; Bdl- 
r o t h. Volk m a n n - 1. e a n d e r, S v h eM.ig.» Salus 

haben dem ärztlichen Stande gew ,s< an V ^ en kc nett Abbruch 
getan. 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1841 


Im übrigen würde man sich sehr täuschen, wenn man annehmen 
würde, dass ein Arzt durch literarische Betätigung seine berufliche 
Tätigkeit vermehre. Es ist im Gegenteil die Beobachtung zu machen, 
dass sch-riftstellernde Aerzte, wenn sie auch noch so seriös sind, 
sich in ihrer Praxis schädigen. Das Publikum glaubt vielmehr, dass 
der betreffende Arzt seine literarischeTätigkeit auf Kosten seiner ärzt¬ 
lichen Gründlichkeit ausübe. Ich bin sicher, dass B i 11 r o t h oder 
Volk mann durch ihre literarische Tätigkeit nicht einen einzigen 
Patienten neu erworben haben und nur etwa eine sehr sensitive 
Dame könnte durch ein lyrisches Gedicht von Hugo Salus be¬ 
wogen werden, ihn als Geburtshelfer beizuziehen, damit, wenn auch 
nicht die Grazien, so doch die Musen an der Wiege ihres Kindes 
stehen. 

Als erlaubte Reklame möchte ich öffentliche hygienische Vor¬ 
träge 'bezeichnen*. Natürlich werden sie gehaltvoll und geschmack¬ 
voll sein müssen. Ebenso muss das Publikum dazu ausgewählt sein. 
Es geht aber nicht an, hygienische Vorträge in irgend einem Verein 
zu halten, der sich von vornherein in einen Gegensatz zur Medizin 
und ärztlichen Ausbildung stellt. So sind Vorträge in Naturheil¬ 
vereinen und dergl. absolut standesunwürdig. 

Wer aber das Talent und den Fleiss dazu aufwendet, Vorträge 
seines Faches in nutzbringender und würdiger Form zu halten, der 
soll es tun. Erzielt er dadurch eine grössere Klientel, so ist das 
sehr verdienstlich. Denn der Tüchtige hat noch immer das Recht, 
seine Tüchtigkeit für seine Stellung und seinen Erfolg zu verwerten. 
Nur Neid und Missgunst sind geneigt, etwas unwürdiges dahinter zu 
erblicken, während dieser absprechende Kollege vielleicht gerade 
seinen Frack anzieht, um mit seinen gesellschaftlichen Eigenschaften 
als Protektor für irgend ein Fest zu gunsten einer sanitären Ein¬ 
richtung auf den Patientenfang auszugehen! 

Wenn der jung niedergelassene Arzt seine Annoncen in die 
Zeitungen gegeben hat, muss er den nun zu erwartenden Patienten 
auch den Weg in seine Studierzimmer zeigen. Er muss unten am 
Haus ein Schild anbringen. Es ist eigentlich kleinlich und lächerlich, 
über die Zahl, Form, Farbe der Schilder, über den darauf befind¬ 
lichen Text viel zu diskutieren. Man sollte meinen, dass da ein jeder 
den richtigen Geschmack besitze. In der Stadt ist ein . Schild un¬ 
bedingt notwendig. Der Mangel wäre eine Rücksichtslosigkeit gegen 
das Publikum. Seine event. Spezialität muss der Arzt unbedingt be¬ 
zeichnen, damit nicht etwa zu einem Frauenärzte unnötigerweise 
Männer die verschiedenen Treopen hinaufsteigen. Ebenso wird er 
seine Sprechstundenzeit angeben müssen. Die Zahl der Schilder und 
ihre Grösse wird nicht nach einem Schema vorgeschrieben weiden 
können und dürfen. An einem sehr grossen Haus wird ein kleines 
Schild verschwinden. An einem von anderen Schildern schon über¬ 
säten Hause darf das ärztliche auch versuchen, seinen Platz und 
sein Dasein durch irgend eine auffallende Unterscheidung von den 
anderen kenntlich und bemerkbar zu machen. Denn schliesslich ist 
das ja sein einziger Daseinszweck. An einem Eckhaus kann einem 
zweiten Schilde, je einem an jeder Ecke, die Daseinsberechtigung 
nicht abgesprochen werden. Gegen ethische Forderungen wird 
meines Erachtens hauptsächlich durch den Text gefehlt. Wenn je¬ 
mand die verschiedensten Spezialitäten auf das Schild schreibt, so 
ist das unwürdig, weil damit in den meisten Fällen eine Täuschung 
des Publikums vorliegt. Wenn jemand ein ganz spezielle Behand¬ 
lungsmethode angibt, z. B. Massage bei Frauenleiden, so dürfte das 
vielfachen Anstoss erregen, da damit der Anschein beim Publikum er¬ 
weckt wird, vielleicht auch erweckt werden soll, als ob gerade dieser 
Arzt nur das Verfahren pflege. Noch schlimmere Reklametafeln 
weisen einzelne Spezialisten für Lichtbehandlung auf. z. B. „Ambula¬ 
torium für Chirurgie, Gynäkologie, Elektrotherapie, Haute Frequence, 
Sinusoidalewechselstrom, Voll- und Zellenbäder speziell für Herz-, 
Nerven- und Frauenkrankheiten, Zirkulationsstörungen, Rheumatis¬ 
mus, Gicht, Fettsucht, Lähmungen etc., Röntgenkabinett....“ Diese 
Annonce stammt aus einer Strasse in München. Das grundlegende 
Verfehlen liegt darin, dass der Arzt sich nicht dem Kran¬ 
ken gegenüber von vornherein festlegen soll, wie er ihn 
behandelt, sondern dass er ihn behandelt. Denn in dieser 
Festlegung seiner Behandlungsmethode liegt zugleich die Herab¬ 
setzung oder Geringerschätzung der anderen Behandlungs¬ 
methoden, d. h. die Tätigkeit der Kollegen. Die Bezeichnung als 
Spezialist für Lichtbehandlung oder Röntgen verfahren Ist berechtigt; 
unberechtigt ist eine Detaillierung auf dem Schilde; noch unberech¬ 
tigter die Angabe bestimmter Krankheiten, die man mit dieser Spe¬ 
zialmethode behandelt. 

Bei der Schllderfrage ist der Vorgang zu erörtern, dass Aerzte 
an verschiedenen Orten der Stadt ihr Schild befestigt haben. An 
sich kann darin nichts Unethisches liegen, seine Hilfe an mehreren 
Orten bereit zu halten. Die Professoren ordinieren in ihrer Klinik 
und in der Privatwohnung; andere haben Privatsprechstunden in 
ihrer Wohnung, Ambulatorien oder Polikliniken an anderem Orte; 
wieder andere praktizieren an gewissen Tagen in einer anderen Stadt. 
Mit all diesen Betätigungen ist für den betr. Arzt eine grössere Ar¬ 
beitsleistung verbunden, die ihm niemand wehren kann. Wenn je¬ 
mand Zeit findet und diie Arbeitskraft hat, täglich an zwei Orten zu 
praktizieren, kann kein Grund gefunden werden, ihm das zu ver¬ 


wehren. Denn dazu ist eine Standesvertretung schliesslich nicht da, 
die Konkurrenz auszuschalten und dem Tüchtigen und Arbeitsfrohen 
Schwierigkeiten zu bereiten zu Gunsten der vielleicht weniger 
rührigen Kollegen. 

Trotzdem gilt zurzeit das Praktizieren an verschiedenen Orten 
nicht für standeswürdig — meines Erachtens mit Unrecht. Was auch 
hat man mit diesem Verbot erreicht? Es wird einfach das Verfahren 
verschleiert. Man behauptet, dass man an dem zweiten Orte nur 
Kassenpraxis ausübe, dass man zu Hause praktiziere, am zweiten 
Orte ein Röntgeninstitut habe etc. Wer aber wird ernstlich einen 
Privatpatienten abweisen, der in die Kassensprechstunde kommt und 
umgekehrt? Ich bin sogar sicher, dass diese doppelte Tätigkeit mit 
den wachsenden Grossstädten immer mehr um sich greifen wird; 
Die Stadtzentren werden immer mehr Geschäftsquartiere und der 
Privatwohnungen beraubt. Der Arzt einer nahen Zeit wird, ebenso 
wie die Familien anderer Stände, aufs Land hinaus, an die Peripherie 
der Stadt ziehen, seine Sprechstunden in der Stadt und eine zweite in 
seinem Wohn- und Schlafort abhalten. Und er wird dort wie hier 
auch an ihn ergehenden Rufen Folge leisten. Wenn wir Aerzte nur 
schon so weit wären, unser Wohnhaus aus der verrussten Stadt 
hinausverlegen zu können und draussen in der Natur uns Tag für Tag 
erholen zu können von all dem Leid und Elend, das uns täglich vor 
Augen steht! Alles in allem gebe ich meiner Meinung über die 
Schilderfrage dahin Ausdruck, dass ein jedes Schild für sich zu be¬ 
urteilen ist. Fällt ein solches durch Form und Text als geschmacklos 
oder standesunwürdig auf, so wird eine Mahnung bei standesbewussten 
Kollegen stets Remedur schaffen. t Eine etwa zu schaffende Kom¬ 
mission zur Erledigung aller ärztlichen Etikettefragen sollte die Beauf¬ 
sichtigung dieser Schilder übernehmen und von Fall zu Fall gross¬ 
zügig entscheiden. 

Gelegenheit zur Reklame geben in der Stadt Adress- und Tele¬ 
phonbücher. Es ist meines Erachtens nichts dagegen einzuwenden, 
wenn ein Arzt in diesen offiziellen Verzeichnissen seine Angaben 
ausführlich macht: Strasse, Stockwerk, Sprechstundenzeit. Spezialität, 
Telephonnummer. Auch in die detaillierten Spezialverzeichnisse soll 
er wieder seinen Namen setzen. Komisch und lächerlich und. weil 
auf Täuschung berechnet, unethisch ist die Angabe verschie¬ 
dener Spezialitäten, so dass derselbe Name etwa bei den Kinder¬ 
ärzten und bei den Halsärzten steht. Genau so, wie es unstatthaft 
ist, auf einem Schild der Vorstadt eine andere Spezialität 
anzugeben, wie in der Stadt selbst. 

Eine zweischneidige Reklame betreiben diejenigen Arzte, welche 
ihren Namen für den Vertrieb eines Heilmittels hergeben. Auch wenn 
in der Tat das Mittel von dem betr. Kollegen für vorzüglich befunden 
worden ist, so ist es doch unstatthaft, dem Fabrikanten unbeschränkte 
Erlaubnis zu geben, davon Kunde zu geben. Der Fabrikant und Kauf¬ 
mann hat ganz andere, ihm erlaubte, Grundsätze in Bezug auf Re¬ 
klame. wie wir Aerzte, und er wird schrankenlos in seinen Reklamen 
den Namen des Arztes mitverwerten. So kann es kommen, dass ein 
in gutem Glauben abgegebenes Gutachten jahrelang durch alle 
Zeitungen geschleppt wird, ja noch nach dem Tode des Arztes wird 
sein Name geschäftlich verwertet. Sollte dies geschehen, so darf 
sich der betr. Arzt nicht damit begnügen, die Achseln zu zucken: 
sondern er ist es dem Stande schuldig, dass er mit allen Mitteln auf 
der Entfernung seines Namens aus der Reklame besteht. Eine andere 
Frage ist die der kommerziellen Beteiligung von Aerzten an Heil¬ 
mitteln, die sie erfunden oder in die Praxis eingeführt haben. Ich 
glaube, dass da viel zu oft die Fabrikaktionäre den dem Arzte ge¬ 
bührenden Anteil in die Tasche stecken. Der Arzt aber ist — un¬ 
berechtigterweise — mit dem idealen Erfolge abgespeist. 

Die Frage, ob der Arzt dem Hotelportier, der ihn rufen liess. ein 
Geldgeschenk' verabreichen darf, muss von zwei Gesichtspunkten 
aus betrachtet werden. Der Hotelportier ist überhaupt auf Trink¬ 
gelder angewiesen und in seinen Augen wird derjenige Arzt, der ihm 
kein solches verabreicht, weniger Ansehen gemessen, als der 
„noblere“ Arzt, der dies nicht versäumt. Etwas anderes ist es und 
gewiss nicht standeswürdig, wenn gleichsam Kontrakte mit den 
Hotelportiers geschlossen werden und diese für jeden einzelnen Fall 
eine Entlohnung erhalten. — Viel wichtiger ist die Stellung der Aerzte 
zu den Hebammen. Es ist bekannt, dass gar mancher Arzt die 
Hebammen zu veranlassen sucht, ihn zu empfehlen. Dazu werden 
die verschiedensten Mittel in Anspruch genommen. Darunter die 
allerunwürdigsten. Was soll man dazu sagen, wenn Aerzte 
Hebammen zum Kaffee einladen, wobei dann eine jede unter ihrem 
Teller ein Geldgeschenk vorfiudet? Das ist Bestechung im schlimm¬ 
sten Sinne, doppelt verwerflich, als ein solcher Arzt dazu beiträgt, 
auch die ethischen Qualitäten der Hebammen zu untergraben. Allzu¬ 
leicht wird eine solche Hebamme versuchen, den sie entlohnenden 
Arzt auch zuzuziehen in den Fällen, in welchen die Gebärende ärzt¬ 
licher Hilfe gar nicht bedürftig ist. Bei solchen engen Beziehungen 
von Aerzten zu Hebammen schädigt nicht nur der Arzt das Ansehen 
des ärztlichen Standes, ei korrumpiert auch die Hebammen und 
schädigt die Patientinnen an Geld. Gewiss ist ein freundliches Ver¬ 
halten gegen die schwer und verantwortungsvoll arbeitenden He¬ 
bammen am Platze; gewiss wird man oft genug Gelegenheit nehmen, 
ihr Ansehen bei den Gebärenden zu stützen, auch manchen Fehler 


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1842 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N *. 25. 


derselben vor -den 1 Gebärenden zu verheimlichen: aber all die«c 
Rücksichtsnahme auf unsere am Gcbärbette mitarbeitenden Gehilfinnen 
darf nicht so weit gehen, dass man etwa Zirkulare an sie erlasst und 
sich oder seinen ärztlichen Nachfolger empfiehlt! — Die Hebammen¬ 
frage ist von einer Seite her kompliziert, die sich ihres schädigenden 
Vorgehens sicherlich nicht recht bewusst ist und die doch in erster 
Linie berufen wäre, ärztliche Ethik zu treiben und zu verbreiten: 
Das sind die Universitätskliniken oder Polikliniken. Da ist es fast 
allgemein Sitte, dass die Hebammen für eingeschickte Präparate ein 
Geldgeschenk erhalten. Dagegen wäre nicht allzuviel eiiizuw enden, 
weil dadurch manches wertvolle Studienobjekt gewonnen wird. Aber 
ausserordentlich schädigend wirken die unter dem Namen von 
„Prämien“ segelnden Geldgeschenke bei Inanspruchnahme der poli¬ 
klinischen Hilfe bei Geburten. Man überlege sich folgendes: Die 
Hebammen sind an sich in schlechter materieller Lage. Darum haben 
sie ein Interesse daran, möglichst viele solcher Prämien zu er¬ 
halten. Die weniger bemittelten brauen der Gressstadt wohnen nun 
meist an der Peripherie, weit entfernt von den Polikliniken und 
Kliniken. In Erwartung der Prämie wird nun die Hebamme leicht 
geneigt sein, bei gefährdeten Gebärenden in die Klinik zu schicken, 
während vielleicht ein oder auch mehrere Aerzte ganz in der Nähe 
wohnen. Dadurch wird die brau einer Gefahr ausgesetzt. Man 
denke an Blutungen, schlechte Herztone des Kindes etc. So laufen 
also schon die Mutter und das Kind eine Gefahr. Nun aber denke 
man sich in das Herz eines schwer arbeitenden Kassenarztes in diesen 
Vorstädten hinein. Die herumwohnenden brauen werden poliklinisch 
entbunden. Ihm entgeht aus seinem mageren und schwer errungenen 
Verdienst die Gebühr, die ihm noch am meisten einbringen wurde. 
Erbittert wird er sich schliesslich sagen, warum soll ich nicht auch 
eine „Prämie“ zahlen, um mich von der gewaltigen Konkurrenz 
cinigermassen zu befreien? Er kann sich sagen, was die Universität 
dem Lehrzweck schuldig zu sein und mit ihm entschuldigen zu 
können, glaubt, das kann ich mit meinem mageren Verdienst und 
meiner grossen bamilie ebenso gut ethisch rechtfertigen. Sicherlich 
ist dies nicht richtig und nicht standesw iirdig: aber der Anreiz zur 
Vernachlässigung der Standeswürde in diesem Punkte geht nicht von 
dem armen Arzte aus! — Man denke weiter und frage sich, ob der 
poliklinische Assistent, der die „Prämien“ ausgezahlt hatte, mit dem 
Tage seiner eigenen Niederlassung eine neue Ethik an/iehen soll und 
nun das als unwürdig betrachten soll, was er a's Universitätsassistent 
als ethisch zu betrachten gelernt hat? 

Wir sehen an diesem Beispiele am klarsten die von mir am 
Eingang meiner allgemeinen Betrachtungen erhobenen borderungen 
erwiesen: Gerade die Universität müsste sich es angelegen sein 
lassen, nicht nur Mediziner auszubilden, sondern in der Praxis 
stehende und bestehende Aerzte. Die von Sc h wen in ge r 
erhobene Forderung nach Aerzteschulen ist ganz gewiss berechtigt 
und könnte und müsste von den Universitätslehrern mit verwirklicht 
werden. Oder die Zeit bringt unaufhaltsam Aerzteschulen, in denen 
die Aerzte aus eigener Kraft heraus Lehrer bestellen, die die jungen 
Aerzte über soziale und Standesfragen aufklären. Vor allem mussten 
selbstredend die Universitätslehrer die ärztlich-ethischen Grundsätze 
kennen und, was noch wichtiger ist, in strengster b'orm betätigen 
und sich mehr, wie bisher, an den ärztlichen Standesfragen aktiv 
beteiligen. 

Wenn ich nun zurückschauend die von mir speziell besprochenen 
Fragen, wie sie sich mir Glied an Glied in die beder gedrängt 
haben, überdenke, so sehe ich, dass mich meine Deduktionen em 
abgeschlossenes Kapitel der ärztlichen Ethik Inben abhaiuleln lassen. 
Das ist das Kapitel der Reklame, und zwar der ärztlichen Re¬ 
klame. Nun ist mir klar geworden, dass die Reklame auch bei den 
Aerzten sich Eingang verschafft hat. Meine Betrachtungen haben 
auch schliesslich dazu geführt, dass eine ärztliche Reklame unter ge¬ 
wissen bormen standeswürdig ist. Bestanden Int die Reklame von 
jeher. In einer früheren Zeit, die es liebte, verschw iegene und indirekte 
Wege einzuschlagen und die einen Gefallen daran fand, gewissen 
Erscheinungen nicht den richtigen Namen zu geben, war auch die 
ärztliche Reklame eine mehr indirekte und verschämte. In unserer 
offeneren, brutaleren und rücksichtsloseren Zeit, welche die borm 
und das Aeusscrc nicht mehr so sehr in den Vordergrund schiebt, 
wie früher, hat auch die ärztliche Reklame sich ihres Mäntelchens 
mehr und mehr entkleidet. Ungezügelt und aussein eilend darf sie 
niemals im ärztlichen Stande werden . . . eine eigene ärztliche Eti¬ 
kette werden wir immer aufrecht erhalten müssen. Nur weiden w ir 
diese Etikette von Zeit zu Zeit wechseln und revidieren müssen, 
damit wir nicht Zunft regeln aufstellen, die. starr und moderig, 
die fortschreitende Zeit negierend, den ärztlichen Stand zu einer 
moderigen Zunft entarten lassen. 

Die ethischen borderungen an sich aber werden nie und nimmer 
geändert werden dürfen. Sie müssen stets die ethischen Anspinchc 
d'T gebildeten Menschen befriedigen Mögen uns die vielfachen 
Kämpfe, die wir um die Erhaltung der Höhe unseres Standes zu fuhren 
haben, mögen die Anfeindungen von oben und unten her uns niemals 
solche Elemente zuführen, die unsere ethischen Anschauungen auf ein 
niederes Niveau herabdrücken könnten! 

Vielleicht werden rückständige Merzen mir den Vorwurf machen, 

1 < ne weitgehenden Zugeständnisse au die Reklame schon im 


Widerspruch mit den ethischen Anforderungen an den ärzfichen 
Stand stehen. Diesen Leuten mochte ich erw dein, dass ich mit 
meinen Ausführungen nur einem Kinde der. riditueii Namen gegeben 
habe, das Ins jetzt ungetauft herumgelauteu und sJmu recht krall,g 
geworden ist. .letzt muss es in die >c!iuie gehen und wir Aerzte 
müssen sein verständiger Lehrer sein. Dies k aul aber ist n.dit 
mein Kind und auch nicht das Ku.d des arzthJien Mundes: Ls ist 
ein Kind der Zeit! 

Seiner Zeit aber mit klaren Augen ins Auges.Jit zu sehen, ist 
das Haupterfoideiins iur irden denkenden Menschen, de r den Pi.it/ 
in seiner Zeit ausiuiien und an dem Bau der kunt! gen /e t n:.'wirken 
Will. Wenn wir Aerzte dies mit a, uase-en Konten erst'eben und 
uns dessen bew nst ble.beil, dann n ag d.e ../akuutt des Arztes“ e r e 
solehe werdet!, wie sic Nietzsche I sJu.dert. der du sagt: ..Es 
gibt keinen Beim, eie*i eine so h< lic Mcigcunig zu .es\e. w .e der des 
Arztes. Die höchste geistige Ausb.ldimg eines Arztes ist letzt fi.Jit 
erreicht, wenn er ehe besten, neuesten Methoden kennt und aut s.e 
eingciibt ist . . . er muss ausserdem tmc Beredsamkeit bes.i/en. d.e 
sieh jedem Individuum anpasst - e ne M.«rni:Jike:t. deren Au: ..ds 
selnm den Kleinmut Verse beucht - eine Dipomule uge s^ iime idigke it 
. . . . die Ecmheit eines Piu/ei.ige alten und \d\i-kulcn. ehe Gehc.rn- 
insse einer Seeie zu verstellen, ohne sic zu verraten - kurz c.n guter 
Arzt bedarf jetzt der Kuustgrifie und K uristv«-r re chtc a‘ er aride reu 
Berufsk lassen: so ausgerüstet ist er dann imstande, de: ganzen 
(iesellschatt ein Wohltäter zu werden er wnd .uis einem Med.zn- 
mami ein Heiland miel braucht d"vh keine Wunder zu tun. hat auch: 
mellt notig, sich kicuzigcn zu Losen.“ 


Referate und Bacheranzeigen. 

Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheilkunde, 
herausgeg. von F. Kraus, O. Minkowski. Fr. Müller. 
H. Sahli, A. Czerny, O. Heubner. Redigiert von 
| Th. Brugsch, L. Langstein. Erich Meyer, A. Schit- 
; tenhelm. I. Band. Verlag von Jul. Springer, Berlin. 
Preis 18 M. 

Das neue Werk will in peru disJici böige Fragen aus der 
inneren Medizin und Kinderheilkunde, sowie ihren (irund- und 
(ireii/.gebieteti soweit sie eine /usunnnculasscndc Dar¬ 
stellung vertragen in kritischer Weise von einem 
einheitliche' n Standpunkte aus durch möglichst berufene, 
auf dein betreffenden Gebiet selbst arbeitende Autoren be¬ 
handeln lassen. Man ist also des trockenen Eons der obkktiv 
Arbeit tiir Arbeit referierenden „Ergebnisse“ satt. In einer 
kurzen Besprechung dem überreichen Inhalt des Btuhes ge¬ 
recht zu werden, ist nicht möglich; das zwingt den Referenten 
zur Beschränkung. 

Friedrich Kraus lebet das Werk mit einem Aufsatz 
,.ii he r die A b h ä n g i g k e i t s h e z i c h u n g e n z w i s c h e n 
Seel e u n d Körper i u b r a g enden n n e reu Medi- 
z i n“ ent: die Beherrschung der philosophisch und phv siofogisJi- 
psychologischi n Literatur und ihte gku.zcnde Darstellung 
durelt einen internen Mediziner dessen Arbeitsgebiet diesen 
Fragen bisher fern zu stellen schien muss Staunen erwecken: 
dass K raus dem ärztlichen Leser eine schwere, sehr sch.were 
Kost bietet, kann man nicht ihm. sondern eher der mangel¬ 
haften philosophischen und psychologischen Schulung des letz¬ 
teren Zimt Vorwurf machen. Die innere Medizin sollst kommt 
aber leider das muss ausgesprochen werden bei k raus 
zu kurz; interne Pathologen, die experimentell und klinisch au 
den Fragen des obigen Titels mitgearbeitet haben (Bickel. 
L. R. M ii I I e r, K ö It 1 e r u. a.) sind nicht berücksichtigt. 

Ibis folgende Kapitel behandelt den Morgagni-Adams- 
S t o k e s s c It e n S v m p t o me n k o in p I e \ (D. P I e t n e w ) 
in sehr klarer und erschöpfender Weise; bei der theoreüseben 
Schwierigkeit dieses modernsten Abschnitts der Me rzpathologte 
ist eine derartig zusammenfassende Daistellm g em besonderes 
Bedürfnis gewesen. Der A. F r a e n k e I sehe Aufsatz über 
D i g i t a I i s t h e r a p i e gipfelt in der fei karrten I etidetiz des 
verdienstvollen Autors: der dringenden Mahnung, nur w irk- 
1 i c Ii exakt dosierbare Digitaiisprap.irute anzu w enden* 
Seine besondere Linpfebltmg gilt der mtrav ei:««seit Stroph.m- 
thiiuherapie, seine besondere Abneigung dein Dualer.; F\- 
treine, die aus de r Arbeiten des V e r f ass.-r s w * b| ve r s!ai;jluh 
sind, denen man aber in weiteren Kreisern jp.ch inJi; vnü zu- 
stimmen wird. Es folgt mm e i.e Hamlets die e'Per.nien- 
tell-pathologische und khmsclfe AiEe.t l u bev* II beriicksiJui« 


:i ) N i c t / s c Ii c : Memsc 1 :' .!\s. \ 


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Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1843 


gende Darstellung des Kapitels Ikterus durch H Ep- 
Pinger. — Das nächste Kapitel bringt die Ergebnisse 
der experimentellen Erforschung der bös¬ 
artigen Geschwülste“ von Carl L e w i n - Berlin.; 

. s schwierige, für den Praktiker nicht mehr übersehbare Ka¬ 
pitel wird in seinen überaus wichtigen Ergebnissen von be¬ 
rufener, mitschöpfender Seite vorzüglich dargestellt. — Das 
I b r ahim sehe Kapitel über die Pylorusstenose im 
o a u g 1 1 n g s a 11 e r lässt uns über das enorm rasche An¬ 
wachsen der Literatur dieser modernen Säuglingskrankheit 
staunen. I b r a h i m, dem wir selbst ausgezeichnete Unter¬ 
suchungen über den betr. Gegenstand verdanken, gibt in seiner 
klaren, sachlichen und wohldisponierten Art einen guten Ueber- 
bhek über den' jetzigen Stand der Frage, an der vor allem 
das Kapitel der Therapie und hier die überwiegenden Erfolge 
der internen Behandlung interessieren werden. — Wolfg. 
H e u b n e r behandelt das' aktuelle Thema der experimen¬ 
tellen Arteriosklerose in kritischer und sehr knapper 
Weise; er beweist, wie sich Kürze mit erschöpfender Darstel¬ 
lung vereinen können. DieArteriosklerosedesZen- 
tralnervensystems zeigt in der an sich guten Darstel¬ 
lung durch den Psychiater C i m b a 1, wie ungemein schwierig 
der klinische Teil der Aufgabe (besonders der leichteren Krank¬ 
heitsformen) für einen Psychiater allein, dem in der Wahl und 
Sichtung der grossen internistischen Arterioskleroseliteratur 
keine genügenden Erfahrungen zu Gebote stehen können, ist. 

— Das folgende Kapitel behandelt in mustergültiger Weise die 
Ernährungsstörungen und den Salzstoff¬ 
wechsel beim Säugling (Ludwig F. Meyer- Berlin). 

— Das ungemein wichtige und interessante Kapitel über d i e 
Azetonkörper hätte kaum einen besseren Bearbeiter 
finden können, als Magnus-Levy, der in wirklich sou¬ 
veräner Weise die schwierige Materie gemeistert hat und sie 
auch dem Verständnis des Nichtfachmannes nahe bringt. — Der 
aktuelle Abschnitt „Allergie“ ist bei dem Schöpfer dieses 
Begriffs, v. Pirquet, natürlich am besten aufgehoben; bei 
der grossen Bedeutung, den der Stoff hat, und den mangelhaft 
verbreiteten Grundbegriffen, die aus manchen Arbeiten über 
die neuen Tuberkulinreaktionen sprechen, kommt diese klare, 
kurze (und dabei so wohltuend bescheidene) Darstellung des 
Spiritus rector der Frage einem allgemeinen Bedürfnis ent¬ 
gegen. — Ueber ältere und neuere Fermentfor¬ 
schungen berichtet ein bekannter und in vielen Fragen 
grundlegender Autor, Peter Berg eil. — „Die biologi¬ 
sche Forschung in Fragen der Säuglings¬ 
ernährung“ (B. S a 1 g e - Göttingen) behandelt die inter¬ 
essante Frage über die angebliche Differenz des enteral ein¬ 
geführten artfremden Einweisses (Hamburger contra 
L a rt g s t e i n, S a 1 g e u. a.) in durchaus negierendem Sinne. 

— L. Tobler -Heidelberg hat das wichtige Kapitel der 
Verdauung der Milch im Magen, an dem er selbst 
durch vorzügliche Experimentaluntersuchungen 1 mitgearbeitet 
hat, in sehr schöner und erschöpfender Weise dargestellt. — 
Die Therapie der Tabes (besonders Uebungstherapie) 
findet im Schöpfer der letzteren, F r e n k e 1 - Heiden, den 
berufensten Bearbeiter; Fr. rechnet mit Recht wieder scharf 
mit der Polypragmasie der Apparatübungstherapie ab; im 
übrigen (trotz allen Interesses) ein für die Aufgaben des Werkes 
etwas zu enges, zu spezialisch behandeltes Thema! — Die 
klinische Diagnose der Bronchialdrüsen- 
tuberkulose wird von dem auf diesem Gebiet so ver¬ 
dienstvollen O. de la Camp in mustergültiger Weise dar¬ 
gestellt. — Den Schluss des I. Bandes bildet eine recht geist¬ 
volle, dabei Natürlich etwas subjektive Behandlung der 
Pseudobulbärparalyse durch Georg Peritz, der dies 
Kapitel zu recht interessanten allgemein! pathologisch-physio¬ 
logischen Ausführungen (über den unnötigen Dualismus von 
Hemmungs- und Erregungszentren u. a.) benützt. 

Soweit in gröbsten Zügen der Inhalt des Werkes. Wenn 
es in Zukunft hält, was es in seinem ersten Band verspricht 
(und die schon angekündigten Arbeiten des nächsten Bandes 
erwecken grosses Vertrauen), wird es eine wissenschaftliche 
Tat werden und für die Weiterarbeitenden unter den Aerzten 
eine starke Quelle der Belehrung und des sich stets erneuenden 
Interesses an wahrer Wissenschaft in der Medizin. 

Hans Curschmann -Mainz. 


v. Bergmann, Bier und Rochs: Operationskursus 
an der Leiche. BerHin 1908, Hirschwald. 463 S. 

Das in dieser Wochenschrift wiederholt angezeigte Werk 
liegt jetzt in 5. Auflage vor. An die Stelle des verstorbenen 
v. Bergmann ist dessen Nachfolger Bier getreten. Die 
bekannten Vorzüge des Werkes, das für die typischen Ope¬ 
rationen bei aller Kürze höchst klare Vorschriften gibt unter 
Fortlassumg alles UeberflüsSigen, kommen auch der neuen Auf¬ 
lage in hohem Masse zu. Die 'in den letzten Jahren neu be¬ 
kannt gewordenen und als bewährt erprobten Operationsver¬ 
fahren sind überall berücksichtigt. An dem Charakter des 
Buches ist nichts Wesentliches geändert. Man erkennt aber 
doch vielfach die bessernde Hand des neuen Autors Bier, 
der aus seiner reichen Erfahrung namentlich auf die bewährten 
einfachen Methoden hinweist; es sei nur verwiesen auf die Be¬ 
tonung der Vorteile der einfachen Lembertschen Darm¬ 
naht. Das Buch wird auch in der neuen Auflage rasch weitere 
Freunde gewinnen. j( r 

Schoenborn und Krieger t: Klinischer Atlas der 
Nervenkrankheiten. Mit 186 Lichtdrucktafeln und 13 Textab¬ 
bildungen. Carl Winters Universitätsbuchhandlung. Heidel¬ 
berg 1908. Preis 28 M. 

Das vorliegende Werk ist weniger eine wissenschaftliche 
als eine künstlerische Leistung. Die beiden Autoren, von denen 
der eine die Fertigstellung des prächtigen Atlasses nicht mehr 
erleben durfte, fixierten während ihrer * Assistentenzeit alle 
typischen und seltenere neurologische Krankheitsfälle mit 
grossem Geschick und Verständnis auf die lichtempfindliche 
Glasplatte. Da sie beide lange Zeit an der Erb sehen Klinik 
m Heidelberg waren, ist es kein Wunder, dass ihr Material so 
ausserordentlich reichhaltig und schön ist. Neben den ver¬ 
schiedenen Arten von Muskelatrophien, von Hemiplegien, von 
Tabes, Syringomyelie, Tetanie, Hydrozephalus und allen an¬ 
deren geläufigen Erkankungen des Nervensystems, die mit 
charakteristischen Krankheitsbildern einhergehen finden sich 
in dem vorliegenden Atlas auch die seltensten Raritäten, wie 
ein prächtiger Fall von Hemiatrophia facialis, von Akromegalie, 
von Kopftetanus, von Sklerodermie, von Huntington scher 
Krankheit, von Fazialiskrampf und anderen Feinheiten mehr. 
Ja fast zu viel bietet das Werk; so sind manche Fälle im Bild 
wiedergegeben, bei denen die klinische Diagnose nicht mit 
Bestimmtheit gestellt werden konnte; auf anderen ist auch bei 
längerem Studium kaum etwas krankhaftes zu sehen. Gerade¬ 
zu klassisch sind die Abbildungen, welche die Ulnaris-, Medi- 
an/us- und Radialislähmung und die Lähmung der verschiedenen 
Schultermuskeln illustrieren. Ausgezeichnet sind auch die ver¬ 
schiedenen Augenmuskellähmungen wiedergegeben. Am 
Schlüsse des Werkes findet sich eine Serie von Aufnahmen 
eines jugendlichen Athleten in den verschiedenen Stellungen, 
welche die Wirkung der einzelnen Muskelgruppen dartun. Der 
Text beschränkt sich bei jeder Tafel auf einige, das Krankheits¬ 
bild erklärende Zeilen, handelt es sich doch auch um einen 
Atlas und nicht um ein Lehrbuch oder um einen Abriss der 
Nervenkrankheiten. Die Ausstattung des Buches ist, abge¬ 
sehen von der grell roten Einbanddecke, ausserordentlich ge- 
schmackvoll und solide. Die Reproduktion der Bilder ist über 
alles Lob erhaben; solche Tafeln sind eben auch nur dort 
möglich wo die Orginalaufnahmen mit so künstlerischem Ge¬ 
schick hergestellt wurden. Erb gibt in einem Geleitworte 
dem Werke als der letzten aus seiner Klinik hervorgegangenen 
Arbeit lebhafte Wünsche für seine Verbreitung mit auf den 
Weg. Diesen Wünschen kann sich der Referent auf das 
Wärmste anschliessen. L. R. Müller. 

Jahrbuch der praktischen Medizin. Kritischer Jahres¬ 
bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte. Heraus¬ 
gegeben von Prof. Dr. J. Schwalbe in Berlin. Mit 54 Ab¬ 
bildungen und 2 farbigen Tafeln. Jahrgang 1908. Stuttgart 
Verlag von Ferd. Enke, 1908. Preis M. 15.40. 655 Seiten, 

, Das so überaus praktische Jahrbuch, welches der Heraus¬ 
geber mit seinem bewährten Stabe von Mitarbeitern auch heuer 
wieder sehr prompt veröffentlicht hat, erlaubt durch die in 
kritischer Form gegebenen Zusammenfassungen der im Vor¬ 
jahre erschienenen medizinischen Literatur eine rasche Orien¬ 
tierung über alle wichtigen' neueren Erscheinungen und ver- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1844 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 85. 


dient auch heuer wieder in vollem Masse die warme Emp¬ 
fehlung, welche wir auch den früheren Jahrgängen mitgeben 
konnten. Als ein Fortschritt gegenüber dem bisher (iebotenen 
erscheinen heuer zum ersten Male die für manche Punkte aus 
den Referaten gewiss gerne aufgenommenen Abbildungen und 
farbigen Illustrationen, von denen besonders auch die letzteren 
technisch hübsch gelungen sind. 

Dr. Ü r a s s rn ann- München. 

Artur Freiherr v. Hü bl: Das Kopieren bei elektrischem 
Licht. Enzyklopädie der Photographie. Heft 59. Verlag von 
Wilhelm K n a p p. Halle 1908. 1.80 M. 

Artur Freiherr v. Hübl: Die Theorie und Praxis der 
Farbenphotographie mit Autochromplatten. Enzyklopädie der 
Photographie. Heft 60. Verlag von Wilhelm Knapp. Halle 
1908. 2 M. 

Dr. E. König: Die Autochromphotographie. Photo¬ 
graphische Bibliothek, Bd. 23. 1.20 M. 

Bei der zunehmenden Bedeutung der wissenschaftlichen 
Photographie für medizinische Zwecke mag ein Hinweis auf 
obige Schriftchen berechtigt sein. Das erste gibt die iiir Ko¬ 
pierzwecke bei künstlichem Licht geeigneten Lampentypen mit 
Berücksichtigung der Inteusitäts- und Lichtstromverhältnisse 
an; die beiden anderen sollen vor allem jenen empfohlen I 
werden, die das einfache und überaus schöne Resultate gebende 
farbenphotographische Verfahren mit den bekannten Lumiere- 
schen Autochromplatten anwenden wollen. (). 

Neueste Journalllteratur. 

Zeitschrift für Tuberkulose. Band XII. Heft 6. 

Karl Damann und Lydia R a b i n o w i t s c h: Die Impftuber- 
kulose des Menschen, zugleich ein Beitrag zur Identitätsfrage der von 
Mensch und Rind stammenden Tuberkelbazillen. 

Die Arbeit tut dar. dass zwischen dem menschlichen Tuberkel¬ 
bazillus und dem des Rindes Beziehungen bestehen, die eine gegen¬ 
seitige Ansteckung unmöglich machen. 

O. S c h e 11 e n b e r g - Beelitz: Der Wert der Röntgen¬ 
untersuchung für die Frühdiagnose der Lungentuberkulose und die 
Bedeutung der röntgenologischen Lungenuntersuchung für die 
Lungenheilstätte. 

Die Röntgenuntersuchung ist betreffs der Frühdiagnose der 
Lungentuberkulose in mancher Beziehung den üblichen klinischen 
Uritersuchungsrnethoden nachzustellen, in mancher aber höher als 
diese. Sie bildet jedenfalls eine wertvolle Ergänzung und soll immer 
mehr eingeführt werden. 

A. D u t o i t - Burgdorf (Schweiz): Ein Beitrag zur medi¬ 
kamentösen Behandlung der Lungentuberkulose. 

Verschiedene Beobachtungen an Lungenkranken, nicht zum 
wenigsten der schreckliche Zustand von deren Zähnen, zeigen, dass 
der Körper an Kalkarmut leidet. Verfasser empfiehlt daher eine Zu¬ 
fuhr von Kalk, besonders durch alkalisch-erdige Duellen. 

Erhard S u e s s, Oberarzt der Heilanstalt Allaml: Ucbcr den 
Einfluss der Radlumemanation auf Tubcrkelbazillen und auf experi¬ 
mentelle Tuberkulose. 

Radiumemanation hat auf keine Bakterienart eine wachstum¬ 
hemmende oder keimtötende Wirkung. 

Klimnier - Dresden: Tuberkuloseschutzimpfung der Rinder 
mit nichtinfektlösen Impfstoffen, (Eortset/uug aus Heft 5.) 

„Den heutigen Stand der Forschung auf dem (iebiete der 
Tuberkuloseschutzimpfung kann man in folgende Sät/e zusamnien- 
fassen: 

1. Den Rindern kann eine erhebliche Widerstandsfähigkeit gegen 
eine Tubcrkiiloseinfektion durch die Impfung mit niehtriiulerpatlio- 
genen Tubcrkelbazillen verschiedenen Ursprungs leicht verlieben 
werden. 

2. Der erzielte Impfschutz währt nicht, wie man früher annulnn. 
zeitlebens, sondern mir etwa ein Jahr. 

X Der Impfschutz ist durch alljährliche Nachimpfungen zu ver- j 
längern. i 

4. Zu den Nachimpfungen sind mir nicht infektiöse Impfstoffe I 
brauchbar. 1 

Es ist hiernach ohne weiteres verständlich, dass die Tuberkulose- ! 
immunisierungen nach v. B e h ring mul K o c h - S c li ii t z in der i 
Praxis versagen mussten und den gehegten Erwartungen nicht ent- | 
sprechen konnten und dass das Problem der Tuberkuloseschutz¬ 
impfung nur mit Hilfe nichtinfektiöser Impfstoffe gelost werden kann, 
wie dies in folgendem ausführlich dar gelegt wird.“ 

Mit diesen Worten bezeichnet K. das Programm seines interes¬ 
santen Aufsatzes, dem er zuerst einen an Literaturhinweisen längeren 
historischen und kritisierenden Ueberblick vorausschickt. Der 
2. Teil behandelt: Eigene Tuberkuloseschutzimpfimgsversuche und das 


von mir ausgearbeitete Verfahren. Rinder gegen die Tuberkulose 
mit Hilfe mclitmfektioser Impfstoffe zu immunisieren. Abschnitt 1: 
(iew innung der mclitiniektioseii Tuberkuioseitnpfstoffe und zwar 
durch Erhitzen von Mcuscheiituberkelba/iüen. deren Infektiosität m.t 
Zunahme der Erhitzung'' lauer üjbmmmt und deshalb w :-!kar‘:ch 
bis zu ihrem Verschwinden abgesc hw acht werden kann. D.c zwe te 
Art nennt er die a virilen teil I ube; ke !ha/:l!en, das konnten «ein 
Menschentut#rkelbazi;len, d:e den Mo! Ji passiert haben, k .il'dwüer- 
tuberkiilosel’a/iüen und säurefeste Sapr< pti\ teil. Da a K cr d.e Be¬ 
obachtungen die beiden letztgenannten Arten ausschl.essen, kann 
es sich hei den avirulenten Ba/illvn in W .rkbdikeit nur um Mvn- 
bazillen mit Molch passiv handeln. D;c dritte Art w rd durc| <ie- 
w innung* von Rindcrtubcrkc'ba/.lle n gewonnen. Lri. fragt trau- 
riiehr: Wirken die Dresdener Tuber kill* *se :inpf st* »ffe miekt.os oder 
toxisch? Said sie für Menschen ungefahrheh ? und hea-.tw ortet 
dieses dahin, dass die abgescliw achten Mensciientuberkalov<.ba/.l eti 
M. (iruppe) nicht mehr infektiös sind, nicht einmal nulir für Mee r - 
scliw einchen. >ie erlangen auch im ’l itrkorper ihre Iutekt < s tat 
nicht wieder. Dasselbe gilt \ ofl der 2. < iruppe. den .n nr vielt 
Tuberkeiba/ii'en. Der 2. Abschnitt /e gt, dass diese sogen. Pcsde'M 
Schut/impfstoffe von den Rinde) u sehr gi.t \ei tragen wederu I :u 
e!'e nächste I rage zu beantworten: Schnt/t das Dresdener I ttbe*’- 
kuloseimpiv er fahren die Rinder \or einer I übet kulose.nie k!.• r: ? 
: 11 nsv man sich zmiachst daiubcr < u \\ ,»slie t v.rschaöc’t. "b de' 
Imptlrng frei von 'I uhe: kir s V ;st. Dum Immun.tatsp' 'dang ge¬ 
schieht naliirlic!i durch Tubeikw n. >e M .i! er m v'ct P;a\> ...i’ 
nicht notig. 

Das E'ilgei* de bringt aut m-vb L’ v e tui d.nrJi /.i'öi \h- I *• • 
kol'e he'egte Xiisiuhr im-.w :i '.du i d.e Pihtimg der W ile^'aeS'.: - 

keit sc hllt/ge;n;pl!er R.mier aui dm Wege der r.iitr i.Jicn \' steck im.' 
mul der kmisl.ie! eil latvkt.oii. die n.idi M.f.t lim.g und Ans Mt de s 
\ erf. alle zu se'*r gm M gen Ergehn evui r irrten, Is w.rd d 

Dresdener 1 über ku losesc. iiut/mipfs er f.th: c n äv'i UM. des » i.o .U 
auf V .< Gelten iMj'iuals zusammeiigcfasst und m.t e nun Nk' ".' u. 
und mit einem Xrk.mge \ ef%hcn. 

I. i e 1' c - W a’dk t Blge's' ein". 

Zentralblatt für Gynäkologie. No. 34. 19uS. 

(i. Z i c k 1 - Bi r ! ir : Zu der Mitteilung des Herrn Dr. (ioth: 
„Ein neuer Handgriff zur Behandlung der atonischen Nachblutungen. 

Z. hat dmi \o-i ( i. t nip?. ui et.cb H.p'dgr.u in einem I a e %■ n 
•\toiiie hei einer d< i.du eu: Mirtpaa angew ei'.de|i dabei al e' e' - 
lebt, tlass Luit ilt den l '.das gongte und Pa!, k-■ lable: te. Wegen 
der < iefalir einer 1.ulten b. e m-uhte er d.eseii Har: Jgr.ff da!:er n\ ; :I 
empfehlen. 

I s c h r o e d e r - K"ii.gsK :g : Einfache Therapie bei einer Va- 
Kiuolixatlnnsgehurt. 

filier dfMaln. VIII. Para war vor 2 Eihren \. ■ n >. de riliT.gt 
\aginoii\.it;o ulen etlnie isol.ct te Naht des I *e r .tnia ums gemacht w •»:- 
den. Am Ende der 0. Mhw tngcrsJuiit war he. |U .mn vier <u’ a f 
die Portio nach Irnten abge w iciien. der Muttermund ohne Na: kose 
picht zu er re.eben, der Kopf beweglich über dun Becken. S. i te 
die halbe liand vorn in den Uterus ein um! u Ute e.neri \ gc:i 

Zug nach vo r n unten aus. Dabei folgten Zervix und unteres l ter.n- 
seguient und mit ihnen der kindliche Kopf mit g- -sse r le.cht.gkeit 
ins Becken. In/is : .,m des Mutter munde s und eiue'c Z.uuc beendeten 
die (iebui t. Mutter mul Knie! hhebeii am l eben. 

N a c k e - Berlin: Menstruatio praecox. 

Es handelte suh um e n tui'i’ali'iges M.ilch.c”. das sc t sc irr, 
X .Iahte regelmässig menstruierte. D e Brüste s -d gut entw cke't. 
prall, die < ie mtabc li behaart. der Habitus der er es e't-.it.: .gen 
Mädchens. 

A. W e i s c h e r - H.iimii i. W.: Zirkulärer AhrBs d«*r Vagina 
am Introitus. 

Es handelte sich um eine dl iahiige I. Paia, d.e bei Bcg.nu der 
Uubuit ii« »eil muhei gegangen war. >p<«>b»ugeburt \ *r Ankunft des 
Ai/tes. W. fand einen zentralen Dammriss \m dein l arge; Ercntilum 
mul Anus eiha’ten. Die ganze \ agina lag am-ge r o' t in ei er Nabe 
! der Zervix, die Urethra hmg in die Vag na herab. W. nahte che 
abgerissene Vagina an die d sta'e Zu kirnte 'er/ des mbc deiie r.gargs. 
Hcdnmg. 

Ihne totale /iiku’are \btreiimtr'g der \‘ag na konnte W. n de: 
Eiter.• tur nicht autmnlcti. .1 a ! f e - Ham: :r g. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrgang II. Heft 14 

Walter P f e i 1 s t i c k e r - Mut-t^a: t : Die \V a I c h c r sehe oder 
die B u m m sehe Hebosteotomie? i \us der k.l. Lande ^-Pc iaumieu- 
schule in Stuttgart.) 

Polemik zur Wahrung der PrioM.it vier W a h e r vUmn Me- 
tfiode der subkutanen 1 te bosteo». n> e. weiche \ • .p der B ii tn tn - 

sclieri .Methode in einigen iebviis.i.hhchen Pimkiert nute • sJ:c det. 

Richard W e b e r - Breslau: l eher ventrifixierende Methoden bei 
j Verlagerung der Beckenorgane. < Xus de- k m s vott iö. I.. I r a c n - 
I k e 1 in Breslau.) 

I Veri. unterzieht d e f’Nher W'"’" c’-'e”. nu! : m <iebrauch der 

I Operateure hetindhclien Methoden der 1 ,\.r.. :: des l tcras e.r.er aus- 


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l.~ September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1845 


fiihrlichen Besprechung. In zwei mitgeteilten Fällen wurden nach 
Ventrifixur und Vaginifixur Geburtstörungen beobachtet. Als be¬ 
sonders brauchbar hält Verf. die von L. Fraenkel geübte Methode, 
welcher die Fixationsfäden aus unresorbierbarem Material an den 
Ansatzstellen der Ligg. rotunda anlegt und auf der Haut knüpft. 

In einem weiteren Teile geht Verf. auf die Ventrifixura vaginae 
ein, welche in zwei Fällen von Prolaps der Scheide nach früherer 
anderweitig ausgeführter Exstirpation des Uterus in der Fraenkel« 
sehen Klinik mit gutem Erfolge ausgeführt wurde. 

Im dritten Teile der Arbeit ist die Ventrifixur des Mastdarms 
unter Mitteilung eines einschlägigen Falles besprochen. 

Emil Eckstein -Teplitz: Anstalts- und Hausgeburten. (Ein 
Beitrag zur Bekämpfung des Puerperalfiebers in 
der geburtshilflichen Praxis in Oesterreich.) 

Anknüpfend an das Werk „Das Kindbettfieber“ von O. v. H e r f f, 
M. Walthard und M. Wildbolz sucht Veri. die Frage zu be¬ 
antworten, warum die Hausgeburten gegenüber den Anstaltsgeburten 
eine so grosse Mortalität an Kindbettfieber aufweisen. Es liegt dies 
seines Erachtens einmal an der Ausbildung der Aerzte, welchen auf 
der Universität die Geburtshilfe der Klinik und nicht die der Praxis 
gelehrt wird; „die Geburtshilfe der Hausgeburten resp. die Aus¬ 
bildung des praktischen Geburtshelfers^ist ein Stiefkind der medi¬ 
zinischen Alma mater geblieben* In zweiter Linie ist daran schuld 
die mangelhafte Vorbildung der Hebammen. Aus diesem Grunde ver¬ 
langt Verf. eine Vermehrung der Gebäranstalten; eine Besserung 
erhofft er von der Zukunft: genau wie man in letzter Zeit die Tuber¬ 
kulose durch Einrichtung von Heilanstalten etc. bekämpft hat, wird 
man auch die Mortalität der Hausgeburten bekämpfen. Zur Durch¬ 
führung dieser hohen Ziele verlangt Verf. die Bildung einer dem 
Ministerium angegliederten Körperschaft, zusammengesetzt aus den 
Vorstehern der geburtshilflichen Kliniken und Hebammenlehranstalten, 
welche alle akut gewordenen Forderungen auf dem Gesamtgebiete 
der Geburts- und Wochenbettshygiene realisieren sollen. 

A. Ri 1 eiänder -Marburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 34. 1908. 

1) Z i e h e n - Berlin: Beziehungen zwischen angeborenen Mus¬ 
keldefekten, infantilem Kernschwund und Dystrophia muscularls pro¬ 
gressiva Infantilis. 

Mitteilung eines Falles, bei dem sich an dem 18 jähr. Patienten 
eine kongenitale Ophthalmoplegia externa, Pektoralisdefekt, kongeni¬ 
tale Hypoglossus- und Fazialislähmung zusammen vorfanden; ein 2. 
vorgestellter Fall bot totalen einseitigen Defekt des M. pector. major 
dar. Im Anschluss hieran bespricht Z. die-systematische Gruppierung 
der oben bezeichneten Affektionen. Im 1. Falle könnte es sich, statt 
um eine kongenitale Anlage, auch um eine durch Blutungen intra 
partum verursachte Kernparalyse gehandelt haben. 

2) M a s c h k e - Strassburg: Ueber 2 Fälle von multipler Enze¬ 
phalitis bei Meningokokkenmeningitis. 

Mitteilung der betr. Obduktionsbefunde, mikroskopischen und 
bakteriologischen Untersuchungsergebnisse. Die gefundenen Kokken 
der Meningitis und Enzephalitis entsprachen sehr wahrscheinlich dem 
Meningococcus Weichselbaum. 

3) Ed. Melchior-Berlin: Ueber multiple peritoneale Pseudo¬ 
metastasen eines Ovarialdermoids. 

4 einschlägige Fälle werden aus der Literatur zusammengestellt, 
ein 5. Fall aus eigener Beobachtung mitgeteilt. Bei letzterem (48 jähr. 
Patientin) fanden sich zahlreiche Dermoidknoten am parietalen Blatte 
des Bauchfells, am Dünndarm, der Serosa des Magens, am Zwerch¬ 
fell. Mitteilung mikroskopischer Einzelheiten. 

4) R. Fabian und H. Knopf- Berlin: Weitere Ergebnisse der 
Konjunktivalreaktion auf Tuberkulose. 

150 Fälle kommen zur Untersuchung. Bei den Tuberkulösen im 
3. Stadium konnte kurz vor dem Tode ein negativer Ausfall der 
Reaktion festgestellt werden. In einigen Fällen ging der anfänglich 
negative Ausfall in einen positiven über, entsprechend der Besserung 
des Befindens, in anderen Fällen war der Verlauf der Reaktion 
analog umgekehrt, so dass ein gewisser prognostischer Wert der 
letzteren besteht. Positive Reaktion spricht sehr für Tuberkulose, 
negative nicht völlig dagegen. Einen Schaden durch die Reaktion 
sahen die Verfasser nie entstehen. 

5) H. Boas und G. Hauge-Kopenhagen: Zur Frage der Kom- 
pfementableukung bei Skarlatina. 

Die Untersuchung von 61 Sera Skarlatinöser ergab, dass die Kom¬ 
plementablenkung eine so seltene ist, dass sie den Wert der Was- 
ser mann sehen SyphHisreaktion nicht einschränkt. 

6) M. Einhorn - New York: Ueber eine Vereinfachung der J a - 
koby-Solmssehen Rizinmethode der Pepsinbestimmung. 

Abbildung und Beschreibung des von E. angegebenen Apparates 
vergl. im Original. Die Untersuchungszeit kann durch die Methode 
von 3 auf Vs Stunde herabgesetzt werden. 

7) Edm. Förster- Berlin: Ueber die körperlichen Strafen in 
der Schule. 

F. teilt eine Anzahl von Fällen mit, wo es bei psychisch kranken 
Kindern noch zu körperlicher Bestrafung in der Schule gekommen 
ist. Die z. Z. geübte Aufklärung der Lehrer führt, wie weitere Bei¬ 


spiele zeigen, von Seite letzterer nicht selten zu diagnostischem 
Uebereifer. F. spricht sich für Abschaffung körperlicher Strafen in 
der Schule aus. 

8 ) M. Böhm-Berlin: Erinnerungen an Amerika. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1908. No. 34. 

1 ) F. L o e f f 1 e r, K. R Ci h s und E. Walter- Greifswald: Die 
Heilung der experimentellen Nagana (Tsetsekrankheit). Dritte Mit¬ 
teilung. 

Kombinierte Anwendung von arseniger Säure und Atoxyl hat 
sich auch weiterhin als die beste Behandlungsweise der experimen¬ 
tellen Nagana bewährt. Die ausprobierte zweckmässigste Dosierung, 
welche sichere Heilung ohne Gefährdung herbeiführt, wird für die 
einzelnen Tierarten, Meerschweinchen, Katzen angegeben. Hunde 
waren weniger geeignet. Prophylaktische und heilende Wirkung ge¬ 
lang bei Meerschweinchen auch mit arseniger Säure in Substanz, 
doch mussten die Dosen 5—6 mal grösser genommen werden als bei 
Anwendung der arsenigen Säure in Lösung. 

2 ) Georg Lockemann und Martin P a u c k e - Berlin: Ueber 
den Nachweis und den Gang der Ausscheidung des Atoxyls im Harn. 

Die Untersuchungen der Verf. ergaben, dass Atoxyl nach sub¬ 
kutaner Injektion grösstenteils durch den Harn sehr schnell fast ganz 
unverändert ausgeschieden wird. Geringe Arsenmengen lassen sich 
noch tagelang im Harn nachweisen. Bei kurz nacheinander folgen¬ 
den Injektionen zog sich bei den untersuchten Kranken die Ausschei¬ 
dung 25 Tage hin. Während der ersten beiden Tage scheint in ge¬ 
ringem Mass ein wachsender Zerfall des Atoxyls in seine Kompo¬ 
nenten stattzufinden, später wird ein gewisser Teil des Arsens im 
Organismus gebunden und dann allmählich durch die Keratinsub¬ 
stanzen ausgeschieden. 

3) Paul R ö m e r - Greifswald: Der gegenwärtige Stand der 
Pneumokokkenserumtherapie des Ulcus serpens. 

Verf. betont, insbesondere v. Hippel gegenüber, Wert und 
Wirksamkeit seines Serums, über dessen Anwendungsweise er nähere 
Angaben macht. 

4) H e i 1 e - Wiesbaden: Zur Behandlung des Hydrozephalus. 

Auszugsweise vorgetragen auf dem Chirurgenkongress 1908, s. 

Referat Münch, med. Wochenschr. No. 20, pag. 1097. 

5) Liepmann -Berlin: Relative Eupraxle bei Rechtsgelähmten. 

Bemerkungen zu dem Artikel von S. Meyer in No. 26 gleicher 

Wochenschrift; L. weist daraufhin, dass die objektiv kompliziertere 
Handlung nicht immer die schwierigere Leistung ist, dann nämlich 
nicht, wenn sie im Dienst einer sehr oft .vollzogenen Aufgabe steht 
und die gewohnheitsmässig sie auslösenden sensiblen Reize gegeben 
werden. Daher kann der Kranke z. B. Asche wegpusten, Gegenstände 
vom Boden aufheben, den Rock abbürsten, aber nicht auf Geheiss 
den Mund vorstülpen, die Hand schliessen. 

6 ) R e n n e r - Augsburg: Ueber einen Fall von Milzbrandsepsis 
mit auffallend geringen Lokalerscheinungen an der Impfstelle. 

Der beschriebene 16 jähr. Kranke war bei der Notschlachtung 
eines Tieres beschäftigt, bei dem sich Anthrax fand. Trotz intensiver 
Waschung und Desinfektion der frostrissigen Hände nach 3 Tagen 
Allgemeinerscheinungen. Am Handrücken nur eine kleine Pustel. 
R. nimmt als Ursache der geringen Lokalerscheinungen an, dass eine 
Allgemeininfektion auf dem Blutweg erfolgte und dadurch die An- 
thraxbazillen an der Eingangspforte eine Abschwächung erhielten. 

7) Alban K ö h 1 e r - Wiesbaden: Momentaufnahmen mit ein¬ 
fachem Röntgeninstrumentarium. 

K. macht sog. Momentaufnahmen mit gewöhnlichem Induktor 
und einfachem Gleitkontaktunterbrecher, den er den elektrolytischen 
entschieden vorzieht, schon wegen des sparsameren Röhrenver¬ 
brauchs. 

8 ) N. J. M a c r y - Berlin: Die mechanische unblutige Erweite¬ 
rung des unteren Uterusabschnittes durch einen neuen, verbesserten 
Konkavmetreurynter. 

Da der trichterförmige Ballon dem kindlichen Kopf eine konkave 
Fläche zukehrt, gleitet er nicht ab. 

9) Viktor H e r r n s t a d t - Posen: Ein Beitrag zur Appendizitis 
während der Schwangerschaft. 

10) P. J. E i c h h o f f - Elberfeld: Ein neuer Fall von Vakzine¬ 
infektion. 

Die Infektion erfolgte durch gemeinsames Baden eines Ekzem¬ 
kindes mit einem Vakzinekind. 

11 ) H a m m - Braunschweig: Die Gefahren des Gasbadeofens. 

R. Grashey - München. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVIII. Jahr¬ 
gang. No. 13 bis 15. 1908. 

Theodor Kocher-Bern: Appendizitis gangraenosa und Früh¬ 
operation. (Mit 2 Tafeln.) 

V. greift 9 typische Fälle heraus (7 initiale und 2 von akuter 
Spätperitonitrs) und gibt von ihnen Beschreibung und Bild. Er 
teilt die akute Appendizitis klinisch ein in A. acuta Simplex (nicht 
superficialis) und gangraenosa. Mit Asch off erklärt er Geschwüre 


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1846 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nn. 3'. 


und chronische Prozesse am Wurmfortsatz für Folge. nicht Ursache 
des primären Anfalls; er findet die Blutungen und Nekrosen oft zir¬ 
kulär angeordnet. Als Ursache des ersten Anfalls genügt nicht die 
„Retention“ (auch nicht die „akute Verschwellung der Schleimhaut" 
nach Sprengel), nicht die Kotsteine. sondern nur eine plötzliche 
Infektion durch besonders virulente Keime oder durch akute Ge¬ 
websschädigung. Hämatogene Infektion kommt weniger in Betracht 
als intestinale. Die Nekrosen werden bedingt durch die Parmtiora 
und (schon im Beginn) durch Zirkulationsstörungen und Blutungen. 
Praktisch wichtig ist die Häufigkeit der A. gangraenosa schon im 
ersten Beginn, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, nicht zu war¬ 
ten. Die reine A. ergibt keine Dämpfung und keine prägnanten 
Bntziindungserscheinungen. Perityphlitis ist schon ein zweites Sta¬ 
dium. 

Ernst Anderes: Betrachtungen über Wohnungsdesinfektion 
mittels Formaldehyddämpfen unter Berücksichtigung des Autanver- 
fahrens. (Aus der bakteriol. Abt. des Hygiene-Inst. Zürich.) 

Vergleichende Versuche mit dem F 1 ii g g e sehen Apparat, dem 
Apparat St. Margarethen und mit Autan ergaben für die beulen letz¬ 
ten wesentlich geringere Leistungsfähigkeit, ferner die verschiedene 
Leistungsfähigkeit jeder Methode nach den Bakterienartciu dem 
Ort der Objekte und der Luftfeuchtigkeit. Eormaliu leistet aber stets 
nur Oberflächendesinfektion. 

E. Sch warzembach-Zürich: Ueber die Aetiologic und 
Therapie des Schwangerschaftserbrechens. 

V. nimmt an, dass es sich um eine Intoxikation handelt, wobei 
das Gift in den Magen ausgeschieden wird. Durch hantige, regel¬ 
mässige Nahrungsaufnahme wird deren Wirkung verhindert. Die 
Kranken sind hierzu anzuhalten. Die wesentliche Mitwirkung der 
Suggestion wird zugegeben. 

Ernst S o m m e r - Zürich: lieber Röntgentherapie. 

Kurze Zusammenstellung des Wichtigsten über Natur der Rönt- 
genstrahlen, ihre Wirkung und Anwendbarkeit. 

Rudolf D i e t s c h y: Die Geburten im Skopolamin-Morphium- 
Dämmerschlaf. (Aus dem Erauenspital in Basel.) 

V. schildert anschaulich die Art der Anwendung und die Wir¬ 
kung. Die Erfahrungen im Baseler Spital zeigen, dass sich die 
Methode nicht für (jrossbetrieb, auch kaum ihr die Privatpraxis 
eignet. Irgendwelche Schädigungen von Mutter und Kind konnten 
der Methode nicht zugeschrieben werden. Die Kontraindikationcn 
decken sich mit den von üauss (Archiv f. Üynäkol., Bd. 7 \ M. 3) 
angegebenen. 

M. Tieche: Ein Fall von multiplen dlphtheritischen Ulzera- 
tlonen der Haut nach Pemphigus neonatorum resp. infantills. (Aus der 
dermatol. Universitätsklinik Bern.) 

Die Hautdiphtherie, deren Herkunft unerklärt blieb, wurde durch 
Serumernspritzung sehr rasch geheilt. 

P. T h e 11 u ti g: Ovarialzyste bei einem Mädchen von ft Jahren. 
Stieltorsion, Achsendrehung des Uterus. Vioformvergiftung. 

Der Uterus war um 360° gedreht. Es w urde lm/JAcm 2 ': proz. 
Vioformgaze eingelegt. Vergiftungserscheinunger»: sehr ircmienter 
Puls, starke Alteration der Psyche, häufiges Erbrechen. Im Urin 
kein Jod. Heilung. 

E. M e 111 e r - Rorschach: Zur Therapie der Melaena neo¬ 
natorum. 

Die (echte) Meläna wurde durch 10 ccm 10 pro/. Gelatine sub¬ 
kutan rasch und sicher geheilt. P i s c h i n g e r. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 33. M. B1 a s s b e r g - Krakau: Neuere Anschauungen über 
die Sprachzentren. (Revision der Aphasiefrage.) 

Ueberblick über die Entstehung der herrschenden Anschauungen 
und über die in letzter Zeit von französischen Autoren (Marie, 
Dejcrine, Souques, Moutier, Bernheim) vertretenen 
neueren Auffassungen. 

A. Puchs- Wien: Neurologische Kasuistik. 

Krankengeschichten: a) Fast normale elektrische Erreg¬ 
barkeit bei Portdauer vollkommener Lähmung des Pazialis. b) Spi¬ 
nale Hemiplegie (einseitig aszendierende Spinalparalyse), c) Eigen¬ 
tümliche Sensibilitätsstörung (Tastlälmmng) bei Polyneuritis. d) 
Zwangsvorstellungen bei R a y n a u d scher Krankheit. 

L. Hess und P. Saxl-Wien: Zur Kenntnis der proteo¬ 
lytischen Zelltätigkeit maligner Tumoren. 

Nach den Versuchen der Verfasser wird bei der gemeiusamen 
Autolyse zweier Organe desselben Individuums weniger in Siede¬ 
hitze lösbares Eiweiss gebildet als bei der getrennten AutoKse der 
Organe, cs findet also bei gemeinsamer Autolyse eine Hemmung des 
Abbaues statt; dasselbe zeigte sich bei der gemeinsamen AutoKse 
von Karzinom und einem normalen Organ des gleichen Individuums. 
Es fand sich keine Vermehrung des Eiweissabbaues durch Karzinom, 
letzteres verhält sich bezüglich der Heterolyse wie ein normales 
Organ. Bei der Autolyse des Karzinoms ist die Geschwindigkeit des 
Piweisszerfälles dieselbe wie bei Organen von dem gleichen Zcll- 
■ Ttum. 


A. W o I f i - E i s n e r - Bei Im : Die Gefahren der Ophthalmo¬ 
reaktion und ihre Vermeidung. 

Nach W.-E. sind die Gefahren der Reaktion auf die Nichtig adi- 
tung der Kontramdikationeii und die Anwendung ungeeigneter Prä¬ 
parate /iiruckzuiuhrei). Als Kontramdikationen sind zu be/csdl-neii : 
Remstillatioiieii, besonders dann Wenn dasselbe Auge bereits einmal 
positive Reaktion zeigte. Zudem lasst eine Reaktion eist auf wieder¬ 
holte Instillation keinen Mhluss auf aktive I ul ei kua.se, s u'u!i r u nur 
auf eine eventuelle latente zu. I einer die Instiilation \on 'I isbcr- 
k u 1 1 n bei bestehender oder vermuteter Augentuber k tia >se. he-soiUcrs 
auch wo einmal skroph ul-o.se A ugetik r auk heile n bestanden haben. 
Zu empfehlen ist das von dem \ert. geprutte und koutro;a c rte luber- 
kühn zur Ophthalmoreaktion der I irtna Ruete-I iijoch in Ham- 
burg, Hermannstrasse. 

A. S t r n b e I 1 - 1 »resdeii : Zur Semiotik der Herzkrankheiten. 

(Schluss.) 

Die Besprechung kann nur kurz auf die einen breiten Raum 
einnehmenden Erörterungen imer die \ngi"sk!erosc eilige he n. Die 
letztere steht in Zusammenhang mit der vermehrten I ..asti/ital der 
Geiasse bei mehr oder weniger gestörter, verminderter oder nudi 
pervers vermehrter Reaktionstalugkeit. M. unterscheidet eine An/aul 
von sich steigernden 1 v peil der Kiankheit: 1 Me tuuktu nie ,.e vas«>- 
molorische Kontraktion der Abdoimiuhget isse bei Nervösen, Pseudo* 
angU'sklcrose nach v. Basch; die toxischen Zustande, wie Nik- tVtas- 
niiis. die akute Ncphntis. Bleibende i' iasti/itatsveruieiirung entsteht 
bei subakuter und chronischer Nikotmv et gittung, den Zustande n ar 
Schlemmer. Dabei tritt die sekurul.it e I lei ziu pc r tropine auf: stärkere 
aiigiosklerotische Veränderung der Gelasse und dauernde Biutdnick- 
steigeruug findet sich bei chronischer Nepiiritis; daun l"igt die latente 
Angioskleidse midi v. Basch, bei der die Ihcrapie weniger au! die 
Markung des Herzens ( I erramk ur en u. de-t-gi.) a.s auf eine Be¬ 
einflussung vier Gelasse < l Mir uikui en) gerichtet sein muss; sdi.icss- 
licli die ausgesprochene Arteno- un i Angioskkn'sc mit den bekannten 
schwereren Erscheinungen. 

No. 3-L A. i; b e r - Leipzig: Leber den Tuberkelbaziliengchalt 
der ln Leipzig zum Verkauf kommenden Milch und Molkereipro¬ 
dukte. 

Die ausgedehnten Untersuchungen - Impfungen \ oti Meer¬ 
schweinchen mittels einer Probe und 1 estMei.ung der law \"ii 
generalisierter 1 uberkuiose von der Impiste.ie aus durch die Ob- 
duktioii des Tieres führten zu folgenden interessanten Ergebnissen. 
Von 7tl innerhalb eines Jahres dreimal Konti oiiier teil .Miidi K e sd.-iITe n 
lieferten W J7.1 Pro/, mindestens einmal eine 1 über ke.bazi :e n 
enthaltende Milch. \"ii Milchprobeii waren 22 l"d Pr-»', 
tuberkelbazillenhaltig. \ oii lAo B ut t e r proben enthielten 1 2 Pro/. 
Tuber kelbazrlfen: dabei waren von der .Molkereibntter erster Oua i- 
tiit PS Proz. {über kelbaziiieuha.tig. von der Baiiei ubuttcr > Pro/. 
15 ii Proben von Margarine, bu deren Herstellung die MetT.i- 
satimi des Mateiials eine Rolle spielt, waren trei von | über ke.ba/:. eil. 
Von den .All > a h n e proben enthielten f> Pro/., von An (,) u a r k proben 
4 Proz. Ttiberkelbazilien. Diese im al.gemeinen recht bedenk'icheii 
Resultate spiechen tur die I oideruüg euer allgeiiu men Schärferen 
MilchkoutioHe und lur einen Vusb.ui des Mudteng«.setzes mit Be¬ 
seitigung der kranken I lere. fur weiche dem Besitzer eine tavuiw’ 
Lntschadigung zu gewahren ist. Dann aber muss der Betrieb der 
Molkereien verbessert werden; zur [Erstehung von Butter ist die 
Verwendung pasteurisier teil Rahmes za \ er ungen. worüber sdum 
lange die bestell I Nahrungen v orlie geil. 

R. .1 o s s e k - < iraz : Die Theorien über die Entstehung der Alters¬ 
katarakt. 

I Probevorlesung. Ueber sicht über die m dem l auf der Ze it auf- 

] gestellten Theorien. Verf. ist. zum I eil auf Grund eigener l liier* 
I suchungen lind elcr R o me r Sc heil Beobachtungen iler Meinung., eiass 
Storungen gewisser Blutdi tiseii. welche die memaie reginaiM isdie 
I Lntgittuug autotoxischer Stofte verhindern uuJ die Anwesenheit So|- 
; eher Luisengifte in eie-r Blutbahn begünstigen, vo-i Bedeutung sind, 
daneben Veränderungen der normalen Zirkulation m den Gelassen 
eles Ziliarkörpers, eventuell auch de ge lier ativ e Vorgänge m ele:i 
Ziliarepithelien. welche eien l el'ertritt gdt ger M- fe in die 1 r- 
niihrmigsflussigkeit elcr Linse ei tiiog idieu. I’.e k on/eiitratioiis- 
äiulerimgen eles Kammerwassers und spuit-W-dtmgcn in der Linse 
j u. ä. sind nicht als Ursachen, sondern logen der Murhildung zu 
betrachten. 

! S. I e u z e r - \V lett; Leber Befunde von pulsierenden Gelassen 
j im Rachen. 

; T. fand in der Literatur derartige T.Tc. wobei es siji w.ilir- 

I schein lieh um elie Carotis interna oder \Me-n,t plia-vruwn asecudens 
1 gehandelt haben Soll; dieselben Geiasse kamen m zwei v-n ihm bc- 
; obachteten Eällen in Betracht, von dimeti der emc eine 7 S -.ihr.ige an 
Arteriosklerose leidende I rau. der andere nn kir'd betraf. 

| M. K r a e m e r - \V ien : Blutuntersuchungen in verschiedenen 
peripheren Gefässprovinzen bei Zirkulationsstörung. 

R. hat von eien betreffenden l s kranken das Blut der Emger- 
heere. des Ohrläppchens mul der Z.eiienkuppe tmtersudit. und zwar 
i auf den Hämogiobmgehalt. das spezinsche Gewühl, die Zahl der 
! Erythrozyten und Leukozyten, den Pr ozeMgehait der mom.-nuklcären 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1847 


Elemente, und schliesslich durch den Befund der gefärbten Trocken¬ 
präparate. Die in Tabellen zusammengefassten Resultate ergaben, 
dass bei bettlägerigen Kranken mit allgemeiner Stauung gewöhnlich 
eine Anhäufung der Erythrozyten im Blute der Zehen besteht. Dabei 
ist in der Regel das spezifische Gewicht des Zehenblutes erhöht. 
Dieser Unterschied zwischen Zehenblut und Ohrläppchenblut ist ein 
Merkmal ungenügender Herzarbeit. 

O. Burkard - Graz: Aufgaben und Ziele sozialer Medizin. 
(Schluss folgt.) B e r g e a t - München. 

Englische Literatur. 

Sir Almroth E. W right: Ueber Vakzinebehandlung' und 
Immunlsationstherapie. (Practitioner, Mai 1908.) 

Der erste Teil von Verf. Arbeit sucht zu beweisen, dass alles, 
was wir von wissenschaftlicher Immunisierung und Vakzinetherapie 
wissen, auf der Entdeckung des opsonischen Index beruht und dass 
die Methode der Indexbestimmung eine durchaus zuverlässige und 
wissenschaftlich genaue ist; dass ferner eine wirklich wirksame 
Vakzinebehandlung (z. B. Tuberkulinbehandlung) im Einzelfalle nur 
durchzuführen ist, wenn man dieselbe unter steter Kontrolle des 
opsonischen Index vornimmt. Tuberkulin und andere Vakzine¬ 
injektionen auf Grund klinischer Beobachtung allein sind unwissen¬ 
schaftlich und in der Mehrzahl der Fälle direkt gefährlich. Der 
zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie die anti¬ 
bakteriellen Kräfte, die der Kranke besitzt oder die er durch künst¬ 
liche Immunisierung erwirbt, benutzt werden können, um die Bak¬ 
terien am Orte der Infektion zu zerstören. Verf. bespricht die Ver¬ 
teilung der antibakteriellen Agentien im normalen Organismus; die 
Art der entzündlichen Reaktion, die einer bakteriellen Invasion der 
Gewebe folgt und die Veränderungen in der Verteilung der anti¬ 
bakteriellen Agentien, die dieser Reaktion folgen; dann werden die 
Bedingungen geschildert, die vorhanden sind, wenn Mikroben die 
entzündliche Reaktion (die ihrer Invasion folgte) überlebt und sich 
an einer bestimmten Gewebsstelle festgesetzt haben. Dann zeigt 
Verf. wie man diese antibakteriellen Agentien durch therapeutische 
Massnahmen aus dem zirkulierenden Blute auf den Infektionsherd 
konzentrieren kann. Grosses Gewicht legt er dabei auf die Ver¬ 
minderung oder Vermehrung der Gerinnungsfähigkeit und Viskosität 
des Blutes durch Zitronensäure oder die Kalziumsalze. Er glaubt, 
dass vermehrte Gerinnungsfähigkeit des Blutes mit verminderter 
Transudation der Lymphe und mit Zunahme der Gerinnung der in 
die Gewebsmaschen ausgetretenen Lymphe einhergeht und dass 
dieser Zustand zur harten braunen Schwellung der Gew r ebe (Angina 
Ludovici, Karbunkel) führt. Man muss also in diesen Fällen Zitronen¬ 
säure geben. Ein anderes Hindernis für den Eintritt von Phagozyten 
und antibakteriellen Stoffen in den Infektionsherd (Abszess z. B.) sind 
die dort aufgehäuften bakteriellen Toxine und digestiven Fermente. 
Inzisionen und Aspirationen von Abszessen oder Phiegmonen er¬ 
füllen ihren Zweck ebenso wenig, wie die mit ihnen verbundene Saug¬ 
behandlung, da entweder der Lymphstrom bald stockt oder, wenn ge¬ 
saugt wird, die Wände der Kapillaren reissen; man muss punktieren 
oder inzidieren und dann durch Tamponade oder Spülung mit 0,5 proz. 
Natr. citric.-Lösung in 1,5—2,0 proz. Salzlösung den Lymphstrom 
flüssiger und dadurch reichlicher machen. Bei oberflächlichen Wun¬ 
den entfernt er die Krusten, spült mehrere Minuten bis Va Stunde 
lang die Wunde mit der eben erwähnten* schwächeren Lösung und 
pudert dann mit Calc. chlor. 1 zu Cret. praec. 400,0. Zum Schluss 
stellte Verf. die Behauptung auf, dass in Zukunft sowohl der Internist 
wie der Chirurg den grössten Teil ihrer jetzigen Tätigkeit aufgeben 
und zu Immunisatoren werden werden. (Wenn Sir Almroth W r i g h t 
uns nicht mehr Tatsachen als bisher und weniger Theorien gibt, so 
dürfte bis zu diesem goldenen Zeitalter in der Medizin noch recht 
viel Zeit vergehen. Ref.) 

Alexander Fleming: Bemerkungen über den opsonischen In¬ 
dex, mit besonderer Berücksichtigung der Genauigkeit der Methode 
und ihrer Fehlerquellen. (Ibid.) 

Verf., einer der Mitarbeiter W r i g t h s, kommt in dieser Arbeit 
zu folgenden Schlüssen: Die Variationen im tuberkulo-opsonischen In¬ 
dex gesunder Personen sind so gering, dass man normales Serum gut j 
als Standard für die tägliche Vergleichung mit dem Serum tuber¬ 
kulöser Personen heranziehen kann. Mit der Verminderung der Zahl 
der gewaschenen Blutkörperchen in der opsonischen Mischung geht 
eine Vermehrung der Phagozytose einher. Agglutinierung der ge¬ 
waschenen roten Blutkörperchen vermehrt die Phagozytose. Der 
tuberkulo-opsonische Index ist derselbe, ob man gewaschene Blut¬ 
körperchen von einem gesunden oder tuberkulösen Individuum be¬ 
nutzt. Nimmt man mit dem Serum rote Blutkörperchen auf, so wird 
die Phagozytose vermindert. Serum, das in einer versiegelten Ka¬ 
pillare bei Zimmertemperatur gehalten wird, behält, wenn es von ge¬ 
sundem Blute stammt, für mindestens eine Woche seine volle Kraft; 
stammt es von einem kranken Individuum, so erlischt die opsonische 
Kraft 1 bis 2 Tage früher. Blutkörperchen, die einige Stunden offen 
gestanden haben, geben sehr ungenaue Resultate. Zw ei geübte Unter¬ 
sucher erhalten bei Zählungen derselben Präparate höchstens Unter¬ 
schiede von 10 Proz. Bestimmen zwei Beobachter diesen opsonischen 
Index tuberkulöser Kranker, so variieren ihre Zahlen höchstens um 
20 Proz. 


J. H. Wells: Der opsonische Index bei Säuglingen. (Ibid.) 

Verf., der ebenfalls seine Untersuchungen unter W r i g h t s Lei¬ 
tung gemacht hat, glaubt, dass ein niedriger opsonischer Index bei 
Kindern unter einem Jahre nichts zu bedeuten hat; derartige Kinder 
können ganz gesund sein und sich auch bei fallendem Index gut weiter 
entwickeln. Ein niedriger Index steigt nach Impfung mit der ent¬ 
sprechenden bakteriellen Vakzine. Gesunde, an der Brust gesäugte 
Kinder haben keinen höheren opsonischen Index, als gesunde Flaschen¬ 
kinder. Die antibakteriellen Verteidigungsmittel des kindlichen Or¬ 
ganismus müssen auf anderen Dingen beruhen, als auf den Opsoninen. 

Arthur W. White: Irrtümer in der Bestimmung des tuberkulo- 
opsonischen Index. (Ibid.) 

Verschiedene Autoren haben behauptet, dass die Fehlerquellen 
in der Technik der Indexberechnungen zu gross seien, um wissen¬ 
schaftlich einwandsfreie Resultate zu ergeben. Verf. sucht nachzu¬ 
weisen, dass diese Behauptung unrichtig ist und dass selbst ungeübte 
Untersucher höchstens 4 bis 13 Proz. Variationen erhalten; dass aber 
bei geübten Untersuchern die Zahlen nur von 2 bis 6 Proz. variieren. 

M. Greenwood: Statistische Erwägungen in Bezug auf den 
opsonischen Index. (Ibid.) 

Es ist durchaus unerwiesen, dass die Fehlergrenzen meist 20 Proz. 
der Durchschnittswerte überschreiten. Bei dünnen Emulsionen sind 
Irrtümer nach oben häufiger als nach unten. Es ist möglich, (aber 
unbewiesen), dass wenn man allgemein mit dicken Emulsionen ar¬ 
beitet, die Variationen symmetrischer werden. Man muss also hohe 
opsonische Indizes kritischer betrachten, als niedrige und man sollte 
stets mit dicken Emulsionen arbeiten (bei normalem Serum sollten 
mindesten 3 Bazillen auf jedes weisse Blutkörperchen kommen). 

A. Butler Harris: Die Behandlung mit bakteriellen Vakzinen. 
(Ibid.) 

Wenn möglich, suche man vor Operationen wegen Tuberkulose 
den opsonischen Index zu bestimmen, ist er niedrig, so erhöhe man 
ihn durch Inokulationen und operiere erst, wenn er dauernd hoch ist. 
Ausser Tuberkulose hat Verf. besonders Akne, Furunkel und Kar¬ 
bunkel mit Staphylokokkenvakzine behandelt, ferner Komplikationen 
der Blase und Nieren, des Uterus (Endometritis) und des Darmes 
(Colitis mucosa) mit Kolivakzine. Auch bei Maltafieber sah er gute 
Erfolge mit Vakzinebehandlung. Zum Schlüsse gibt er eine Tabelle 
der Dosierung der verschiedenen Vakzinen. Tuberkulin Vioooo bis 
Vaooo mg alle 10 Tage; Kolivakzine 5 bis 15 Millionen Bazillen alle 
2 bis 5 bis 10 Tage; Pneumokokkenvakzine 10 bis 50 Millionen 
Kokken alle 36 bis 48 Stunden; Pneumokokkenvakzine 20 bis 60 Mil¬ 
lionen wöchentlich und später alle 2 bis 3 Wochen; Staphylokokken¬ 
vakzine 100 bis 1000 Millionen alle 10 Tage; Maltafieber */i« ccm der 
Kultur alle 7 bis 14 Tage. 

A. C. Inman: Der Wert des opsonischen Index In der Behand¬ 
lung der Lungentuberkulose. (Ibid.) 

Frühe, nicht fiebernde Fälle von Phthise können mit graduierten 
Körperübungen in frischer Luft behandelt werden. Es handelt sich 
dabei um eine Tuberkulinbehandlung durch Autointoxikation. Hierbei, 
wie bei der Behandlung mit Tuberkulineinspritzungen sollte der op¬ 
sonische Index regelmässig kontrolliert werden. Bei fieberhaften 
Fällen von Tuberkulose ist Ruhe am Platze und in diesen Fällen muss 
man auf die Autoinokulation verzichten und durch sorgfältig unter 
steter Leitung des opsonischen Index vorgenommene Tuberkulin¬ 
injektionen die Immunisierung des Körpers anzustreben suchen. 

J. Charlton B r i s c o e und E. U. Williams: Die Behandlung 
der Lungenerkrankungen durch Vakzine unter Leitung des opsonischen 
Index. (Ibid.) 

Die Verfasser haben bei Empyemen Pneumokokkenvakzine ein¬ 
gespritzt und, wie sie glauben, mit gutem Erfolge. Bei verzögerter 
Resorption konsolidierter Lungenabschnitte spritzten sie mit Erfolg 
Staphylokokkenvakzine ein. Die besten Erfolge erzielten sie bei 
Tuberkulose der Lungen. Sie benutzten T.B. R. und zwar meist in 
Mengen von Vicoo mg. Meist wurde alle 14 Tage eine Einspritzung ge¬ 
macht; in 2 Fällen musste wöchentlich gespritzt werden, um den 
Index hoch zu halten. Am besten reagieren die Fälle von Tuberkulose, 
in denen Verdichtungen des Lungengewebes im Vordergründe des 
Interesses stehen. Fälle mit Kavernen oder Erweiterungen der Bron¬ 
chien geben viel weniger gute Erfolge. Im allgemeinen eignen sich 
die chronischen Fälle besser für die Tuberkulinbehandlung als die 
akuteren. 

H. Stansfield Collier: Der opsonische Index in der Chirurgie. 

(Ibid.) 

Die Bestimmung des opsonischen Index unterliegt allerlei Fehler¬ 
quellen. Verf. liess das Blut eines Kranken von 11 verschiedenen La¬ 
boratorien untersuchen; der Index der zur selben Zeit entnommenen 
Blutprobe schwankte zwischen 0,84 und 1,7. Trotzdem glaubt Verf., 
dass die stete Kontrolle des Index von grossem Nutzen ist; in allen 
Fällen von Tuberkulose, die zur Ausheilung kamen, zeigte der Index 
ein stetiges Ansteigen von einer niedrigen Zahl zur Norm. Bleibt der 
Index dauernd normal, so kann man annehmen, dass die Heilung ge¬ 
lungen ist. Eine Indexkarte mit steilen Kurven bedeutet eine un¬ 
günstige Prognose. Die Tuberkulinbehandlung lässt sich nur beur¬ 
teilen aus einer grösseren Zahl so behandelter Fälle, da einzelne Fälle 
von Tuberkulose grosse Tendenz zur spontanen Heilung zeigen. Verf. 
glaubt aber, bei mehr als 150 mit Tuberkulin behandelten Fällen von 


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1848 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


chirurgischer Tuberkulose den Eindruck gewonnen zu haben, dass sic 
viel glatter und rascher heilen als die ohne Tuberkulin behandelten. 
Verkäste Drüsen heilten nicht unter Tuberkulinbehandlung. Vert. 
empfiehlt daher, Drüsen, von denen man annimmt, dass sie verkäst 
sind, zu entfernen und später prophylaktisch Tuberkulin zu geben. 
Bei Mischinfektionen muss man gleichzeitig Vakzine gegen die anderen 
Mikroorganismen anwenden. In jedem Ealle müssen die Ein¬ 
spritzungen unter steter Kontrolle des Index erfolgen. Operationen 
soll man vornehmen, wenn der Index niedrig ist, da die Operation 
als Autoinokulation wirkt. 

Arthur W h i t f i e 1 d: Der opsonische Index In der Dermatologie. 

(Ibid.) 

Verf. behandelt nur die Staphylokokkeninvasionen und die Tu¬ 
berkulose der Haut. Bei allgemeiner Furunkulose ist die Behandlung 
mit Staphylokokkenvakzine die beste, die es gibt; alle so behandelten 
Fälle kamen zur Heilung, die längste zur Heilung erforderliche Zen 
betrug 12 Wochen (8 Einspritzungen). Man muss aber den opsoni¬ 
schen Index kontrollieren. Bei frischen Fällen von Sykosis brachte 
die Vakzinebchandlung allein sehr rasche Heilung, bei chronischen 
unterstützte sie sehr die Behandlung mit Rontgenstrahleii. Bei Akne 
ist der Erfolg unsicher, in vielen Fällen aber höchst eklatant. Tuber¬ 
kulöse Geschwüre werden sehr günstig beeinflusst. Lupus dagegen 
nicht. Hier ist das Finsenlicht oder die Exzision der Tuberkulm- 
behandlung vorzuziehen. 

Hunter F. T o d und G. T. Western: Die Behandlung des Lu¬ 
pus und der Tuberkulose der Nase, des Kehlkopfes und des Ohres mit 
Tuberkulin. (Ibid.) 

Diese Arbeit stammt aus dem London Hospital, das ein eigenes 
Inokulationslaboratorium besitzt. Die Verfasser glauben, dass Inoku¬ 
lationen, die mit der richtigen Dosis und in den richtigen Zwischen¬ 
räumen gemacht werden, ungefährlich sind. Akute Verschlimme¬ 
rungen wurden nie beobachtet. Bei akuten Fällen mit niedrigem In¬ 
dex leisten die Inokulationen meist vortreffliches; bei mehr chroni¬ 
schen Fällen und leidlich hohem Index kann man von ihnen allein nicht 
viel erwarten. Das liegt daran, dass bei den chronischen Fällen 
stärkere Bindegewebswucherungen vorliegen, die eine genügende Zir¬ 
kulation am Orte der Krankheit erschweren; wenn man also auch die 
Opsonine im Blute erhöht, so gelangen diese doch nicht an den Krank¬ 
heitsherd. Man muss also in diesen Fällen gleichzeitig eine lokale 
Kongestion herbeizuführen suchen; hieran scheitert z. B. die Behand¬ 
lung des Lupus der Schleimhäute, da die üblichen Methoden, eine 
lokale Kongestion zu erzeugen, hier versagen. Man soll also die I ii- 
berkulinbehandlung mit der operativen Behandlung verbinden. Ope¬ 
rationen dürfen nur dann gemacht werden, wenn der Index normal 
oder iibernormal ist; ist er dies nicht, so muss er zuerst durch Inoku¬ 
lationen erhöht werden. (Collier s. o. sagt gerade das Gegenteil. 
Ref.) Die Bestimmung des opsonischen Index kann in zweifelhaften 
Fällen die Diagnose sichern. 

Thomas J. Norder: Die Vakzinebehandlung bei der ulzerösen 
Endokarditis. (Ibid.) 

Bei 28 konsekutiven Fällen fand Verfasser 18 mal Streptokokken 
(S. salivarius und S. faecalis), 5 mal Influenzaba/.illen, 8 mal Pneumo¬ 
kokken, je 1 mal Gonokokken und Staphylokokken im Blute. Es ge¬ 
lang Verf. niemals, durch bakterizide Seren oder durch Medikamente 
Heilungen zu erzielen. Er hat 4 Fälle (2 Streptokokken, 2 Influenza- 
bazillen) mit Vakzine behandelt, die von den Mikroben des Patienten 
hergestellt w urden. Bei den 2 Streptokokkentüllen trat Nachlassen des 
Fiebers und Besserung des Allgemeinbefindens ein, doch starben beide. 
Von den Influenzafällcn wurde der eine geheilt. Das Blut wurde frei 
von Bazillen. 

J. W. Thomson Walker: Die Tuberkulinbehandlung der Uro¬ 
genitaltuberkulose. (Ibid.) 

Die Tuberkulinbehandlung gibt die besten Resultate bei der pri¬ 
mären und sekundären Blasentuberkulose; bei der reno-vesikulen und 
genitalen Tuberkulose ist sie ein gutes Hilfsmittel in Verbindung mit 
operativen Massnahmen. Benutzt w urde T. R. zuerst in Dosen von 
Vaso bis i§ mg in 1—4 wöchentlichen Zwischenräumen. Neuerdings 
wurde stets der opsonische Index bestimmt und wurden nur 1 ?imm bis 
’/ftoo mg wöchentlich oder zwciw'öchentlich eingespritzt. Die Ei folge 
waren gute, doch sind manche der Kranken seit über 4 Jahren in 
Behandlung. 

R. W. Allen: Der opsonische Index in der Augenheilkunde. 

(Ibid.) 

Verf. beginnt bei primärer Tuberkulose des Auges mit T. R. von 
menschlichem Typus; hilft dies nichts, so versucht er nach 2 bis 8 Mo¬ 
naten T. R. vom Typus bovinus; zuweilen mischt er auch beide in 
gleichen Mengen von Anfang an. Ist die Tuberkulose des Auges ver¬ 
gesellschaftet mit Lungentuberkulose, so benutzt er T. R. vom Typus 
humanus, bei gleichzeitiger Driisentuberkulose T. R. Vom Typus bo¬ 
vinus. Stets müssen die Einspritzungen unter Kontrolle des Index 
vorgenommen werden. Ist das ganz, unmöglich, so injiziere man 
( 1,00001 und steige jeden Monat, bis man o.oooob erreicht. Chorioidcal- 
tuberkel verschwinden dabei sehr schon; Phlyktänen und Episkleritis 
werden nur wenig beeinflusst. Tuberkulose der Orbitalknochen wird 
oft geheilt, bei Mischinfektionen muss man die entsprechenden Vak¬ 
zinen anwenden. Bei gonorrhoischer Konjunktivitis, beginne man so¬ 
fort mit Gonokokkenvakzine (125 Millionen abgetötete Kokken); oft 


gelingt es, die Entzündung in 24 Stunden zum Stillstand zu bringen. 
Konjunktivitiden, die auf anderen Mikroorganismen beruhen, werden 
mit den entsprechenden V akzinen behandelt. Ganz besonders günstig 
wird die sonst so hartnäckige Konjunktivitis, die auf der Gegenwart 
des F r i e d I ä n d e r sehen Bazillus beruht, durch die entsprechende 
Vakzine (250 Millionen Organismen) beeinflusst, Heilung nach 5 los 
4 Einspritzungen. Dasselbe gilt von der hartnäckigen Konjunktiv ins. 
die auf dem M o r a x - A x e n f e I d sehen Bacmiis lacunatus beruht; 
hier bringen 2 bis .i Fanspritzungen von im Millionen Huzulen in 2 
bis d wöchentlichen Zwischenräumen bald Heilung. Audi die tuber¬ 
kulöse Konjunktivitis wnd günstig durch Tuberkulin beeinflusst. Bei 
Ulcus serpens corneae erzielte Verf. gute Erfolge mit Pneumokokken¬ 
vakzine, die wie m allen Fallen von den aus dem l Icus gezüchteten 
Mikroorganismen präpariert wurde. In einem Falle war der Index 
vor der Injektion 2,5 (also ganz ungewöhnlich hoch. Ret.i. Verf. 
spritze 25(1 Millionen Organismen ein. Fs kam soiort zur Besserung; 
nach 15 lagen wurde dieselbe Menge emgespritzt, der Index liegt 
auf b.d. Das Auge des so jährigen Mannes, das vorher verloren Schien, 
wurde gerettet und behielt eine gewisse Sehschärfe. 

Das M\pop\ oiiulcus wird besonders dann günstig beeinflusst, 
wenn es auf dem Pneumokokkus beruht. Dunstige I tmlge wurden 
auch erzielt bei Hordeolum und Chalacion. sowie hei Pac r\ oc v st it in 
chronica, die fast minier auf dem Siteptococcus longus beruht. 

(Die hier referierten Arbeiten genen einen kiunen Begrill von 
dem Eifer, mit welchem augenblicklich itt London V akzmetherapie 
getrieben wild. Von überall her. besonders aber auch Von Deutsch¬ 
land. strömen | meist recht junge | Aerzte nach London, um an der 
Duelle die neue Weisheit zu studieren, die. wenn man VV right 
Glauben schenken darf, m absehbarer Zeit den Ar/t. wie er bisher 
war, völlig uhei flussig machen wird und an seine Steile den Immtim- 
sator setzen wird. Fragen wir uns mm aber einmal, was denn neues 
an der ganzen Bewegung ist, so müssen wir die therapeutische Seite 
der Frage als etwas alles bezeichnen; neu sind höchstens die kleinen 
Dosierungen. Was nun den opsonischen Index betrmt. so ist dessen 
Bestimmung mit so viel Fehlerijuellen behaltet, dass es dem Ref. 
wenigstens äusserst fraglich erscheint, ob man auf eine solche Be¬ 
stimmung wirklich viel geben kann; da/u kommt noch, dass es bisher 
völlig unbewiesen ist. was man als einen normalen Index bezeichnen 
kann und ob das Ansteigen des Index ohne weiteres als etwas \i.r- 
teilhaftes iiir den Kranken zu bezeichnen ist. Ausserdem sind die An¬ 
sichten sehr geteilt darüber, ob es wirklich notig ist, stets den opso¬ 
nischen Index zu bestimmen, wenn man Vakzine emsprit'en wiil. 
selbst die entschiedensten Vertreter dieser Meinung geben aber zu. 
dass die Untersuchungen sehr zeitraubend sind, unj deshalb wirj 
auch dort, wo mau bei der V ak/inebehandlung die stete Kontrooe 
des Index fordert, diese Regel oft v ernachlassigt und man richtet sich 
vielfach nur nach den klinischen >\mptomcii. Wer die oben rete- 
rierten Arbeiten genau durchstudiert, wird sicherlich dem ReJerenten 
beistimmen, dass etwas weniger Entteusiasmus mul mehr Kritik, etwas 
weniger Theorien und mehr Tatsachen sein w unsJiensw ert waren.) 
(Schluss folgt.) 

üewerbehyglene. 

L. Lew in-Berlin: Leber die gewerbliche \ erglftung mit 
Chromverbindungen. i/eirschr. i. Gewerhehvg. etc. l'*'\ s,,. i=u; » 

Wahrend bei manchen Betrieben, m denen mit L-hrcütn geai beitet 
wird, z. B. den Alkalichromtabriken. behördlicherseits gewisse Re¬ 
geln und Vorschriften gegen eine Geiahrduug durch Chrom erlassen 
sind, sind andere Chrofhlabrikations/w eige tiodt nicht damit bedacht. 
Es ist dies um so wünschenswerter, ais alle C h r o m s t o f j o. so¬ 
wohl die Chromo\\de. wie die Same. wie die Salze und zwar im 
gelosten wie im festen Zustande gütig sind. Die häutigsten Verände¬ 
rungen sind zunächst die Aet/ungeii im Gesicht, besonders an der 
Nasenscheulew and mul den Händen, spater die allgemeine Vergütung 
durch Aul nähme des Chroms m das Blut, wodurch Magenstorungcn 
und Nierenentzündungen veranlasst werden. Wichtig ist daher vier 
gleiche Schutz gegen die Aufnahme des Chroms in diu Körper bei 
Färbern, Walkern, Holzbeizein. Zeugdruckern. I .ipeteiidrucke'i). 
Malern. Zmulholzarbeitern usvv. V oii Bedeutung ist bei den Vor- 
siclitsmassregeln die Regelung der Arbeitszeit. Schutz vor atzender 
Wirkung durch Emreihen mit Gel. Handschuhen oder K-■^ditim.iber- 
zug, das Tragen von Respiratoren und eine möglichst weitgehende 
Reinigung, ähnlich, w ie es bei der Bleitab: ikatioii geboten ist. 

Zur Hygiene in der Haarfilz- und Hutfahrlkation. (Ebenda. 
No. 7. S. Ib2.) 

Bei der Haarfilz- und Hutfabr ikatmn kommen eine Reihe \<>u 
Manipulationen m Frage, bei denen durch die Chemikalien und den 
ausserordentlich reichen Staub die Arbeiter sehr gefährdet werden. 
Zunächst w ird hei dem Lostrennen der Biber-, Ilasen- und Kaumdien- 
liaare vorn Fell und beim Sortieren viel staub erzeugt. aS.ianrf ge¬ 
langen bei der Sogen. Sekrctage. bei we’Jier die Maare mit Sa’.pcter- 
saurer Ouecksilberlosung imprägniert werden. Dampte von Gueck- 
Silber und Kohlynoxydgase aus den animd.-cdien I rockenkam'tuern 
in den .Arbeitsraum. Der meiste staub wird aber beim Karden, heim 
Bearbeiten mit dem Lach bogen und besonn-s beim Abreiben der 
i geformten Hute mittels Glaspapier erzeugt, wo aas Glas und leichtem 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1849 


Wollstaub bestehender Staub aufwirbelt. Zur Vermeidung dieser 
Unzuträglichkeiten werden einige bereits in französischen Industrien 
mit Erfolg eingeführte Massnahmen beschrieben. Besonders wird auf 
die Abschaffung der alten Trockenkammern, auf Ersatz des Queck¬ 
silbers und auf staubabsaugende Apparate Gewicht gelegt. 

Vergleichende Statistik der Unfälle Im Bergbau und Im Ge¬ 
werbebetriebe. (Ebenda, No. 7, S. 167.) 

Die interessante Statistik zeigt, dass der Bergbaubetrieb, in dem 
man gewöhnlich die weit schwersten Unfälle vermutet, weit hinter 
manchen gewerblichen Betrieben zuriicksteht. Im Jahre 1905 ent¬ 
fielen auf 10 000 Arbeiter im Steinbruchbetriebe 425, in der Holz¬ 
verarbeitung 364, in Hütten 343, in Maschinenfabriken 321, im Bau¬ 
gewerbe 300, bei Eisenbahnen 268, bei Bauunternehmungen 252 
schwere Unfälle. Dagegen weist der Bergbau nur 111 schwere Un¬ 
fälle auf. Ganz ähnlich verhält es sich bei den tödlichen Unfällen. 
So entfallen auf 10 000 Arbeiter in Gräbereien 37, in Steinbrüchen 26, 
im Baugewerbe 21, bei Transport zu Lande 16 tödliche Unfälle. Auf 
den Bergbau dagegen nur 14,5. 

Die Nickelkrankheit, Ursachen, Verlauf und Schutzmassnahmen. 

(Ebenda No. 8, S. 185.) 

Die sogen. Nickelkrankheit oder Nickelkrätze wird 
beobachtet in galvanischen Anstalten, Lampenfabriken, Messing- und 
Metallwarenfabriken, Ofenfabriken und Vernickelungsanstalten. Sie 
äussert sich in Jucken und Brennen an den Händen, darauf in knöt¬ 
chenartigem Ausschlag, der manchmal von den Händen und Armen 
auf Gesicht und Brust übergeht. Die Haut wird rot, es bilden sich 
kleine Bläschen, die beim Aufspringen einen wässerigen Inhalt ab¬ 
sondern. Es macht den Eindruck, als ob alle Arbeiter nicht gleich 
empfänglich wären, bei manchen tritt sie stärker auf und wiederholt 
sich auch. Es ist jetzt als sicher anzunehmen, dass die Nickelkrätze 
wirklich nur auf einer Einwirkung von Nickelsalzen beruht und man 
hat besonders Nickelsulfat und Nickelammoniumsulfat als verdächtig 
angesehen, da man die Beobachtung machte, dass Arbeiter, welche 
nach der Erkrankung den Betrieb gewechselt haben, von ihrem Uebel 
befreit wurden. Die Meinungen über die Entstehung des Ekzems 
gingen und gehen allerdings noch auseinander und man kann aus ein¬ 
zelnen Gewerbeberichten entnehmen, dass die Erkrankungen auf die 
Wirkung des Aetzkalkes, mit dem die zu vernickelnden Gegenstände 
vor dem Vernickeln gereinigt werden, zurückzuführen wären. Auch 
die galvanischen Bäder, Messing- und Kupferbäder und auch Benzin 
und Petroleum, welches in den Vernickelungsanstalten gebraucht 
würde, führen zu dieser Erkrankung. 

Die Schutz- und Vorbeugungsmassnahmen gegen die Nickelkrank¬ 
heit bestehen in gutem Abtrocknen, ausgiebiger Benützung von Zink¬ 
salbe und Byrolin, falls nicht etwa zweckmäsig ein Uebergang zu 
einem anderen Gewerbe in Frage kommt. In die Nickelsalzlösungen 
darf nur mit Haken oder Gummihandschuhen hineingefasst werden 
und ein Verspritzen der Lösung ist zu vermeiden. Neuerdings wird 
ein Verfahren erprobt, welches die Entfettung der zu vernickelnden 
Gegenstände auf elektrolytischem Wege bezweckt. Auch wird der 
Aetzkalk durch Bimstein ersetzt. 

Ueber Arbeiterwechsel. (Ebenda 1908, No. 9, S. 203.) 

Dieses Stück soziale Hygiene erfährt eine gute Beleuchtung in 
dem Bericht der preussischen Regierungs- und Gewerberäte von 1907. 
Die Ursachen des Arbeiterwechsels liegen in lokalen Eigentümlich¬ 
keiten, sozialen Verhältnissen, Alter, Stand, Geschlecht, Heimats¬ 
zugehörigkeit und Nationalität. Daher sind auch die Massnahmen zur 
Vermeidung der Abwanderung recht verschieden. Uebereinstimmend 
werden als günstig wirkend angeführt: Beschaffung von guten Woh¬ 
nungsgelegenheiten, auskömmliche Lohnzahlung, Aussetzen von Prä¬ 
mien für Innehaltung längerer Arbeitsfristen, Schaffung günstiger Ein- 
kaufsgelegenheiten für Nahrungsmittel, Brennmaterial usw. 

Verheiratete Arbeiter sind leichter geneigt, sich diese Vorteile zu 
Nutze zu machen, während Unverheiratete oft nur um zu wandern 
günstige Verhältnisse ausschlagen. Ein weiteres Mittel zur Sesshaft- 
machung der Arbeiter ist die Erstellung hygienischer Arbeitsräume 
und technisch vollkommener Betriebsmittel. Ferner wurde von einem 
Unternehmer der Versuch gemacht, durch Gründung einer Gesellschaft 
mit beschränkter Haftung, die aus ihm und seinen Arbeitern bestand, 
ein längeres Bleiben derselben zu veranlassen. Bei der Aussetzung 
von Lohnprämien ist der Erfolg ein zweifelhafter. Das Vorhandensein 
von Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Pensionskassen, die Erwerbung 
von liegendem Besitz für Arbeiter-Spar- und -Unterstützungskassen, 
Dienstaltersprämien ist mitbestimmend. Lebensmittelteuerung ver¬ 
treibt die Arbeiter. Arbeiterinnen ziehen in den Gegenden, wo sich 
Bäder und Kurorte befinden im Sommer meist dorthin, weil sie als 
Zimmermädchen und dergl. besseren Lohn finden. 

Interessant ist, dass infolge der geringen Sesshaftigkeit der Ar¬ 
beiter sich die leichteren Unfälle stark vermehrt haben. Andererseits 
befördern Unfalls- und Gesundheitsgefahren in den Betrieben und 
mangelnde hygienische Einrichtungen den Arbeitswechsel ganz be¬ 
deutend; überhaupt macht sich eine Strömung bemerkbar, dass die 
Betriebe, die sich durch Entstaubungsanlagen, gute Ventilation. Licht 
und Luft, allerhand hygienische Einrichtungen auszeichnen, aufgesucht 
werden. Und durch gute und billige Wohnungen, Pensionsversiche¬ 
rungen, Zuschüsse für unfreiwillige Beurlaubungen und für die 


jüngeren Arbeiter Sparkassen mit Werkzulagen werden die Arbeiter 
gehalten. 

Victor S t e i n e r - Wien: Hygiene Im Kleingewerbe. (Ebenda, 
1908, No. 10, S. 227.) 

In dem Masse, wie sich die hygienischen Verhältnisse in der 
Industrie und im Grossgewerbe verbessert haben, haben sie sich im 
Kleingewerbe verschlechtert. Die gewerbehygienischen Massnahmen 
sind ausschliesslich der Fabrikhygiene zugute gekommen. Daher fin¬ 
den wir auch im Kleingewerbe schlechte Arbeitsstätten, die zugleich 
noch Wohnräume sind, weder Ventilation noch Entstaubungsanlagen, 
die Arbeitszeit ist unbegrenzt, Erholungspausen unter Tage gibt es 
nicht, dazu kommt noch mangelhafte Ernährung und Alkoholgenuss. 
Diesen Schäden entgegenzuwirken, ist eine schwierige Aufgabe, da 
die gesetzlichen Bestrebungen vielfach an der Indolenz der betreffen¬ 
den Kreise scheitern. Zu fordern wäre möglichste Trennung der 
Wohn- und Arbeitsräume, eine rationelle Wohnungs- und Werkstätten¬ 
hygiene, nebst Ventilation und Beleuchtung, Regelung der Arbeitszeit 
und anderes. Freilich gehört dazu auch die obligatorische Sicherung 
des Kleinhandwerks gegen Krankheit und Invalidität. Mit Recht be¬ 
tont Verf., dass man in Vereins- und Jünglingsversammlungen Vor¬ 
träge mehr gemeinnütziger Art über hygienische Dinge halten solle, 
anstatt die Leute mit „steriler politischer Schwadroniererei“ zu 
füttern. 

Ganz: Euböolith als vortrefflicher Fussboden für Spinnereien 
und Webereien. (Ebenda 1908, No. 10, S. 234.) 

Von den Euböolithwerken in Zürich und Prag wird eine Fuss- 
bodenmasse in den Handel gebracht, die sich als beinharte Fussboden- 
schicht für Kasernen, öffentliche Gebäude, Fabriken und gewerbliche 
Räume ausserordentlich gut bewährt hat. Das Euböolith besteht aus 
einer Mischung von Holzfasern, Chlormagnesium und Magnesit. Es 
wird in breiiger Masse auf Beton oder Steinunterlage aufgetragen 
in 12—16 mm dicker Schicht und erhärtet alsbald. Besondere Vor¬ 
züge sind die leichte Befreiung von Staub, die Fugenlöslichkeit, die 
schlechte Wärmeleitung, eine gewisse Elastizität und die bequeme 
Reinigung. 

Heim und H. A. H 6 b e r t: Beitrage zur Prophylaxe der durch 
Arsenwasserstoff bedingten gewerblichen Vergiftungsfälle. (Zeitschr. 
f. Gewerbehygiene 1908, No. 10, S. 229 und No. 11, S. 251.) 

In experimentellen Versuchen ermittelten die Verf., dass Arsen¬ 
wasserstoff in einer Konzentration von ca. 3,5 Prom. bei Meerschwein¬ 
chen nach weniger als V» Stunde eine schwere Vergiftung hervor¬ 
ruft. Eine chronische Vergiftung mit tödlichem Ausgang wird durch 
wiederholte Einschliessung um V* Stunde und dazwischenliegende 
24 ständige Pausen bei einer Konzentration von 0,05 Prom. hervor¬ 
gebracht. 0,02 Prom. konnten 8 mal ungestraft eingeatmet werden. 
Vögel sind viel empfindlicher. Bereits eine Atmosphäre mit 0,09 Prom. 
tötet nach weniger als V* Stunde. Zwei Einschliessungen in einer 
Atmosphäre von 0,02 Proz. bringen ebenfalls tödlichen Ausgang. Es 
muss daher 1:50 000 = 0,02 Proz. Arsenwasserstoff für den Vogel als 
bereits schädlich wirkende Minimaldosis angesehen werden. Nach 
der Berechnung für den Menschen würde der Gehalt an Arsenwasser¬ 
stoff in der Luft 1:200 000 niemals überschreiten dürfen. Um Ver¬ 
giftungsgefahren in industriellen Betrieben auszuschliessen, würde 
man demnach prophylaktisch nur Materialien benützen dürfen, bei 
deren Verarbeitung sich keine grösseren Arsenwasserstoffgasmengen 
entwickelten. Die Bestimmung des ArsenwasserstofTs geschieht mit¬ 
tels Quecksilberchlorürpapiers, nachdem Schwefel-, Phosphor- und 
Antimonwasserstoff absorbiert sind. Der hierzugehörige Apparat ist 
in Abbildung beigegeben. 

Gewerbehygiene In Zuckerfabriken und Zuckerraffinerien. 

(Ebenda 1908, No. 11, S. 256.) 

Beobachtet sind in Zuckerfabriken durch Einatmung von Zucker¬ 
staub Lymphangoitis und nach P o i n c a r 6 auch Diabetes. Anderer¬ 
seits aber auch durch örtliche Einwirkung des Zuckerstaubes Furun¬ 
keln an den Extremitäten. Besonders sind die Arbeiter an den Zentri¬ 
fugen und die das Umrühren der Melasse zu bewirken haben den 
Schädigungen ausgesetzt. M e u d r a glaubt, dass bei der Erzeugung 
von Lymphangoitis und Furunkulose Staphylokokken mit im Spiel 
seien und man will beobachtet haben, dass in den Fabriken, wo das 
Ausbringen des Zuckers aus den Rüben mittels schwefliger Säure be¬ 
trieben wird, die Krankheiten — vielleicht wegen der Desinfektions¬ 
kraft der schwefligen Säure — in geringerer Menge auftreten. Pro¬ 
phylaktisch ist als einzig rationelle Massnahme die Einführung von 
Absaugevorrichtungen einzuführen. 

Frois-Paris: Die Beseitigung der Staubgefahr und Desinfi¬ 
zierung der Stücke in den Wäschereien. (Ebenda 1908, No. 11, S. 258.) 

Der beim Sortieren von schmutziger Wäsche entstehende Staub 
soll nach den Angaben von Landouzy die Ausbreitung der Infek¬ 
tionskrankheiten, besonders der Tuberkulose, erheblich fördern. Alle 
Massregeln zur Verhütung des Staubes führten zu keinem günstigen 
Resultat, auch nicht die Befeuchtung der Wäsche, weil sie nur in un¬ 
genügender Weise ausgeführt wird. Verf. bringt daher die ameri¬ 
kanische „Schlagmaschine“, welche das Abstauben und Befeuchten 
der Wäsche besorgt, in Vorschlag. In dem zylinderartigen Kessel 
wird durch mechanischen Antrieb die Wäsche in fortwährender 
Drehung und Umkehrung gehalten, dadurch tüchtig ausgeklopft und 
später mit Dampf, der in den Zylinder hereingelassen wird, benetzt. 


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1850 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


Die Caissonkrankheiten und Caissoneinrichtungen. (Ebenda 
1908, No. 11, S. 260.) 

lieber die Entstehung der Caissonkrankheiten existieren eine 
Reihe Theorien, von denen die „Gastheorie“, d. h. das Freiwerden 
der Gase durch plötzliche Verringerung des Luftdruckes die an¬ 
erkannteste ist. Das freiwerdende Gas soll nach den Untersuchungen 
von Bert nicht Kohlensäure oder Oxygen, sondern Nitrogen sein, 
und der Krankheitsgrad davon abhängen, aus welcher Körpergegend 
Nitrogen frei wird und wohin sich dieses verteilt. Bei den Schleusen¬ 
bauten bei Nussdorf bei Wien sind von 675 Arbeitern im ganzen 198 
~ 29,3 Proz. an Caissonkrankheiten erkrankt. 2 mal kamen Todes¬ 
fälle vor, in 68 Fällen Ohrenkrankheiten. Alle Krankheiten entstanden 
beim Ausschleusen, also bei der Verringerung des Druckes. Der 
Ueberdruck von 1,4 Atmosphären scheint am kritischsten zu sein. Ein¬ 
atmen von Sauerstoff hat eine günstige Wirkung, weil es den in das 
Zellgewebe eingedrungenen Stickstoff beseitigt. Das Ausschleusen 
muss derart bewerkstelligt werden, dass die Druckvermindening um 
0,1 Atmosphäre 2 Minuten dauern soll, so dass bei 3 Atmosphären 60, 
bei 5 Atmosphären 100 Minuten erforderlich sind. Auf eine Person 
soll mindestens 0,7 ccm Luftraum entfallen und die 'Temperatur soll 
höchstens 18° betragen. 

Karl Hencke - Wesel: Ersatz der Quecksllbersekretage durch 
unschädliche Prozeduren. (Ebenda 1908, No. 12. S. 281.) 

Die Quecksilbersekretage, ein Vorgang, den man auch als 
Karroticrcn oder Beizen bezeichnet, besteht in dem Einreiben von 
Fellen auf der Haarseite mittels einer Lösung von salpetersaurem 
Quecksilber, und wird gehandhabt in Hutfabriken, Filzfabriken usw. 
Auch bei den weiteren Manipulationen bis zur Fertigstellung der 
Haarprodukte kommen die Arbeiter mit den Quecksilberverbindungen 
dauernd in Berührung. Trotz der verschiedenen Versuche an Stelle 
des Quecksilbers einen anderen chemischen Körper, wie /. B. reine 
Salpetersäure einzusetzen, sind bisher noch keine Erfolge er¬ 
zielt worden. Auch das Quecksilber in ungiftige Verbindungen iiher- 
zufiihren hat keine praktisch brauchbaren Resultate ergeben. Es 
bleibt daher nichts übrig, als die prophylaktischen Massnahmen zu 
beachten, die in folgendem bestehen: Die Beizer müssen Gummihand¬ 
schuhe bis über die Gelenke tragen. Die 'Trockenoien und sämtliche 
Arbeitsräume müssen ständige Ventilation aufweisen. Die Arbeiter 
sollen einen besonderen Oberanzug und deckenden Kopfschutz tragen. 
Essen und Trinken während der Arbeitsperiode sind unbedingt zu 
vermeiden. Es müssen reichlich Waschgelegenheiten vorhanden sein 
und äusserste Sauberkeit in den Betriebssälen. Jeder Arbeiter wird 
vor Arbeitsantritt ärztlich untersucht, um bei den geringsten An¬ 
zeichen von Merkurialismus die Arbeit inhibieren zu können. 

Josef Rambousek: lieber die Verhütung der Bleigefahr. 
(Wien und Leipzig, Hartlebens Verlag, 1908, 79 S.. 3 M.) 

In dieser lesenswerten Studie sucht Verf. den Beweis zu er¬ 
bringen, dass die bisher ergriffenen Massnahmen gegen die Blei¬ 
gefahr noch keine vollkommenen sind, dass ausserdem die Erkran¬ 
kungshäufigkeit dadurch beeinflusst wird, in welcher Form dem Ar¬ 
beiter das Blei unter die Hände kommt und dass endlich die Blei¬ 
erkrankung uns bei verschiedenen Beschäftigungsarten in verschie¬ 
denen Formen entgegentritt. Im ersten Teil seiner Arbeit bringt er 
„Wichtiges über die Pathologie der Bleivergiftung mit praktisch be¬ 
deutsamen Folgerungen“ und im 2. Teil „Verwertung der praktischen 
Schlüsse zur Bekämpfung der Bleigefahr in der Technik“. Die meisten 
Erscheinungen der Bleivergiftung lassen sich auf Erkrankungen des 
Blutes zurückführen. Das wichtigste Ausscheidungsorgan fnr das 
Blei ist der Darm, die wichtigste Resorptionsstätte der Magen. Blei¬ 
sulfid ist die einzige Bleiverbindung, welche relativ ungiftig ist. da¬ 
her besteht bei der Aufbereitung von Bleierzen, sofern nur Bleiglanz 
in Betracht kommt, keine Bleigefahr. Man müsste deshalb bei der 
weiteren Verarbeitung des Bleies, sobald cs möglich ist. w ie z. B. 
bei Bleigegcnständen, einen dauernden Sulfidüberzug schaffen können. 
Auch der persönliche Schutz der Bleiarbeiter Hesse sich verbessern, 
wenn bei Wasch- und Reinigungsprozeduren Schwefelw asserstoff zur 
Bildung von Bleisulfidcn benutzt werden könnte. Bleihaltige Luft 
soll aufs äusserste vermieden werden, ebenso sollte jede Ucber- 
anstrengung der Bleiarbeitcr ausgeschlossen werden können. 

R. O. Neu mann - Heidelberg. 

Inauguraldissertationen *). 

Willy Vogel liefert in einer Arbeit aus der k. psychiatrischen 
und Nervenklinik der Universität Breslau (Prof. Dr. B o n h o e i f e r) 
einen wertvollen Beitrag zur Klinik der Puerperal- 
Psychosen und zur Prognose der Katatonie. (Breslau 
19i>s, 59 S., Breslauer Ocnossensch.-Dnickeiei.) Fr hat 38 Fülle 
aus den Jahren 1892—1897. welche aus Stadt und Land stammende 
und den verschiedenen Ständen ungehörige Frauen betreffen, unter¬ 
sucht und den späteren Verlauf katamnestisch fest/ustellen versucht. 
Unter diesen Fällen befinden sich manisch depressive Zustände in 
II Fällen r - 28,9 Proz., Amentia 8 Fälle ' 21 Proz., Dementia praecox 

15 Fälle = 39,5 Proz. (katatonische Form 10, paranoische 5 Fülle), 


*) Zusendung von Dissertationen an die Adresse der Redaktion, 
München, Arnulfstrasse 26, erbeten. Besprechung Vorbehalten. 


unklare Fälle 4. In 21 Fällen 55.2 Proz. erfolgte der Ausbruch der 
Psychose innerhalb der ersten 6 Wochen nach der Geburt, m 15 Faden 
39.4 Proz. erst nach der b. Woche: die beiden übrigen Fal e s.nd 
unklar. Abgesehen von diesen sind II 1 u de wahren! der Ps\ch<»se 
gestorben, 23 Falle G',5 Pro/, sind gehe dt be/w . gebessert. - Die 
Zusammenstellung der Falle mit Katatonie bestätigt d e neuerd.ngs 
von verschiedenen Seiten ausgesprochene Meinung, dass die Pro¬ 
gnose der Katatonie nicht so ungünstig ist. 

H i s t o 1 o g j s c li e Unters u c h u n g e n über d i e Hei¬ 
lung von T r e p a n a tion sw u n d e n an Kan:n c hen- 
Schädeln hat Mas.iichi K o c h i t ama m.t Unterstützung von 
Prot. Borst, Wiir/burg. angestellt. Fr fasst d.c Ergebnisse seiner 
Untersuchungen wie fo’gt zusammen: Nach Purchmcisselung des 
Schädels von Kaninchen — unter gleichzeitiger stärkerer Sch.ul.gurig 
des Periosts und Schnitts eoet/ung der Dura muter — beteiligt sich 
an den Meilungsvorgangen Mark g e w e b e, Pcriost und die dem 
Knochen aufliegende Schicht der Dura in ater. Der Defekt wird 
ausgetullt durch junges Bindegewebe, welches sich \<>m Defekt¬ 
rand zentralw ärts fortschre.tend m Knochen umwandelt. Zum Ted 
entsteht der neue Knochen auch an der Oberfläche praform.erteil 
Knochens durch saumartig angeorJnete Osteoblasten. In den zen¬ 
tralen 'Teilen des Defektes sind nur Anlaute zur Kimchcnbädung 
bemerkbar. Der neue Knochen wird ganz \<>rw egend vom Marke 
geliefert; in einigen Fallen ist jedoch audi das Pera*st uivd die Dura 
mater deutlich an vier Knochertbilduug bete gt. Junge Knochen¬ 
substanz lagert sich auch regelmässig an der Oberfläche nekm- 
biotischen Knochens ab. Resorption \on praform.ertem Knochen 
ist im Verlaufe der Heilung nur m geringem Masse nachwesbar. 
Deutlich war sie ep;dtiral unJ subpcriosta! m der nächsten Umgebung 
des Defektes zu verfolgen, wo sie durch iimges ze lredies Gewebe 
besorgt wurde, aber nur sehr geringen Umfang hatte. De Heilungs- 
Vorgänge fuhren fast nie zu vollstatid.ger knöcherner Deckung des 
Defektes, sondern es heilen die zentralen Jede des Deliktes 
fast immer mit bindegewebiger Narbe. Interessant ist. dass 
fertiges Bindegewebe m K nodieflgew ebe umgew arolelt werden 
kann, wenn cs vom Mark her neu v.isku ar.siert wird. Der Knochen 
entstellt liier ans dem Bindegewebe unter dem Firffuss der Mark ge¬ 
fasst 1 und der sie begleitenden osteoblastischen Zel en; es handelt 
sich also um eine besondere Form \<n J rar s’j. umatn *n des B.ndc- 
gewebes. nicht um echte Metap’ave. Echt metaplast.schc Prozesse 
waren nicht nachzuw eisen. Kn-*rpe‘b: dtirg trat in ke nern Falle 
auf. (Wurzburg I9i»8. 21 S.> Fr.tz I. » c b. 

Neu erschienene Dissertationen. 

Universität Göttinnen. Mai August F>os, 

K. Albert: Beiträge zur Resektion der Hamrohrenstrikturen. 

G. Andrae: Zur Zvtodiagrmse der Meningitis. 

(). Beckmann: Klinische Beobachtungen über die Tonhohe patho¬ 
logischer (iehorsempfindiingen. 

L. Bl eck wenn: Zwei seltene Hererlet/ungen. 

M. Brauner: Versuche über die täglichen \ ariationen der Nieren- 
b istimg bei konstanter Kost. 

C. Davids: Beitrage zur Urogenitaltuberkulose. 

H. Giffhorn: Beitrag zur Aetiologie der k-ingenitalen Atresie des 
Oesophagus mit Oesophagotrachea’hMel. 

T. Grnenew old: Ueber professionelle Sdiw eriorigkeit bei Fisen- 
hahnheanitcn. 

W. Kornriimpf: Ueber vasomotorische Krampi/ustünde. inter- 
rmttier ende P\ skittesiv mul verwandte Frk'ankimgvformen. 

K. Lehmann: die grosseren Ampiitatiorien und Fxartikulatiorien der 
ch nur gischen Klinik in Gottmgen m der Zeit \"in I. Dezember 1s‘)5 
bis I. Oktober 1 f >i>7. 

R. Mehrdorf: Fibrosarcoma m\\<.matoi| t s pleurae permagnum. 

H. M c ii die: Beitrage zu der lehre \ «in Fr\sipe! desph.ir\n\ und 
Larynx. 

R. Redepenning: Der geistige Besitzstand von sogen. Dementen. 
P. Sonnenberg: Zwei lade R a v n a u d scher Krankheit. 

K. Stern: Operative Behandlung eines \nmr\smn emb<4"-m\ko- 
ticum der Arteria mesenterica superior. 

H. T a c h a u : Beiträge zur Lumba ! anästhesie mit Stovain. 

G. Thal he im: Die Fiweisskorper der glatten Muskeln. 

Universität Wiirzbtirg. Juli l° l 'v 

[) ii r i g Franz: Ueber den Fm’hms *Ls Selbststil’ens der Mutter auf 
die Neugeborenen ln dm erteil Lebenslagen. 

Mir sc Ilfeld Alfred: Zur >\mptomati üg.e und Pathologie der 
traumatneben Hirnverletzungen. 

K i r c ii n e r Karl: Ueber Ster fl b e r e s eigenartige unter dem B:\Ie 
der Pseudoleukamie verlaufende Tuberkulose des lymphatischen 
Apparates. 

Schiemann Lina: Ueber Regenyrat mi im Gehirn. 

S ii s s e Kar!: Zur Frage der konzentr.schen Hyperostose der Schä- 
del Jachkriochen. 

Ziirndorfer Ludwig: Das Trauma als Fntstehungsursache der 
Syringomyelie und rmiltip'en r-klen sc. 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1851 


Vereins- und Kongressberichte. 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offizielles Protokoll.) 

XXIII. Sitzung vom 4. April 1908. 
Vorsitzender: Herr Schmorl. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr Brückner: Demonstrationen: 

a) 5 Monate alter Knabe mit angebornem partiellen Riesenwuchs 
der rechten Hand, der, wie das Röntgenbild zeigt, nicht auf einer 
nennenswerten Vergrösserung des Knochengerüstes beruht. Die 
starke, lediglich die Mittelhand betreffende Grössenzunahme ist viel¬ 
mehr, wie in anderen Fällen, wohl ausschliesslich durch die lipo- 
matöse Umbildung des Unterhautfettgewebes bedingt. 

b) Zwei Schwestern im Alter von 6 und 11 Jahren mit hereditärer 
Ataxie, Typ Friedrich. Das ältere Mädchen lernte nie selbst¬ 
ständig gehen. Seit dem 4. Jahre vermag sie es überhaupt nicht mehr. 
Gehirnnerven ohne Befund. Augenhintergrund normal. Kein 
Nystagmus. Geringe Ataxie der oberen und unteren Extremitäten, 
Starke lokomotorische und statische Ataxie. Kann nicht ohne Unter¬ 
stützung sitzen und gehen. Erhebliche Muskelschwäche der unteren 
Extremitäten. Keine Sensibilitätsstörungen. Patellarreflexe ge¬ 
schwunden, Babinski beiderseits positiv. Sprache schwerfällig. 
Skoliose, Spitzfuss mit Extensionsstellung der Zehen. 

Bei der jüngeren Schwester dieselben Symptome, nur zur Zeit 
noch geringere Beeinträchtigung der Lokomotion. Ausgesprochen 
ataktischer Gang. 

c) 11 jähriges Mädchen mit Dextrokardle, angeborenem Herz¬ 
fehler, wahrscheinlich Septumdefekt und Lungentuberkulose. 

Tagesordnung: 

Herr Ganser: Krankenvorstellung: 

1. Fall von Akromegalie. 60 jähriger Schlosser, frei von erb¬ 
licher, Anlage, Trunk, Syphilis; hat 2 gesunde Kinder, aus dem Feld¬ 
zuge 70,71 liegt ein Lichtbild von ihm vor, das völlig normales Aus¬ 
sehen zeigt; während des Feldzuges Typhus, später häufig „Darm- 
leiden“ unbekannten Charakters; 1892 wegen Darmblutungen 32 
Wochen krank gelegen; näheres darüber ist nicht zu erfahren. 1907 
Schlaganfall mit Sprachstörung, leichter Lähmung der Finger rechter 
Hand, Erblindung; die Sprachstörung und Fingerlähmungen nach 
wenigen Tagen geschwunden, das Sehvermögen besserte sich all¬ 
mählich, so dass nach 4 Monaten die Arbeitsfähigkeit wiedergekehrt 
war. In letzter Zeit häufig Schwindelanfälle, seit Mitte März allge¬ 
meine Schwäche, Vergesslichkeit und unklares Sprechen. In der 
Nacht zum 21. März Anfall von Bewusstlosigkeit, darnach heftige 
motorische Erregung und Verwirrtheit, Aufnahme in die städtische 
Heilanstalt, nach kurzer Zeit Klarheit. 

Status: Am Knochensystem die bekannten charakteristischen 
Veränderungen: mässige Entwicklung der Arcus superciliares, der 
Lineae semicirculares, der Ober- und Unterkiefer, zapfenförmig vor¬ 
springende Protuberantia occipit. externa; ungeschlacht grosse, 
plumpe Hände, die mit Länge und Dicke der Arme kontrastieren; 
kyphotische Veränderung der Rückenwirbelsäule; stark vorspringen¬ 
der Angelus Ludowisi des Sternum; Füsse nicht auffällig. Im Augen- 
hintergrunde: beiderseits Papille hyperämisch, Grenzen verwaschen, 
Venen etwas erweitert, Neuritis optica. Sehnen-, Haut-, Pupillenreflexe 
ohne Störung, desgleichen Motilität und Sensibilität. Innere Organe 
ohne Befund, keine Pulsverlangsamung noch -beschleunigung; Urin 
frei von abnormen Bestandteilen; Geruch und Geschmack ungestört. 

Ueber den Beginn des Leidens ist nur soviel bekannt, dass es 
nach der Militärzeit entstanden sein muss, aber seit vielen Jahren 
besteht; der Kranke und seine erwachsenen Kinder wissen nicht 
anders, als dass er immer so grossen Kopi und Hände gehabt, dass 
er sich immer Mütze und Handschuhe besonders habe machen lassen 
müssen; das alte Lichtbild weist aber, wie gesagt, keine Spur der 
Krankheit auf. 

Diskussion: Herr Rostoski beobachtet zurzeit einen 
Fall, der bei seinem Eintritt ins Krankenhaus das Bild einer Tabes 
dorsalis darbot; doch fiel damals schon eine besonders starke Ent¬ 
wicklung des unteren Teiles des Gesichtes, der Genitalien und 
der Hände auf, ohne dass man berechtigt war, eine Akromegalie zu 
diagnostizieren. Röntgenaufnahmen des Schädels Hessen erkennen, 
dass die S e 11 a t u r c i c a, auf der bekanntlich die Hypophyse liegt, 
eine grössere Ausbuchtung besass, als es normaler Weise der 
Fall zu sein pflegt. Dieser Befund ist bekanntlich zuerst von Oppen¬ 
heim bei der Akromegalie erhoben worden und sicherte im vor¬ 
liegenden Fall die Diagnose schon zu einer Zeit, wo sie sonst noch 
nicht möglich war. Inzwischen ist das Krankheitsbild nach Verlauf 
von noch nicht einem Vierteljahr ganz deutlich geworden. Im Ge¬ 
sicht ist das Wachstum des rechten Unterkiefers und der bedeckenden 
Weichteile dem des linken vorausgeeilt. Die Kombination von 
Tabes und Akromegalie ist sehr selten, bisher sind erst 1 bis 
2 Fälle beschrieben. 

2. Fall von hereditärer Ataxie (Fried reich). 17jähriger 
Mensch, von einem verkommenen Trinker und schwachsinniger 


Mutter abstammend; von seinen 6 Geschwistern ist der jüngste 
(10 jährige) Bruder schwachsinnig und mit demselben Leiden behaftet 
wie er selbst. Er ist gleichfalls ausgesprochen schwachsinnig, schon 
in der Schulzeit wiederholt straffällig, später mehrmals wegen Dieb¬ 
stahls, Betrugs, Unzucht gerichtlich bestraft, zuletzt in Zwangs¬ 
erziehung gebracht worden, hat dort Selbstmordversuch gemacht 
und ist endlich der städt. Heil- und Pflegeanstalt übergeben worden. 

Status: Kleiner Kopf, schmaler Gaumen, Kyphoskoliose nach 
rechts, Fazialisgebiet symmetrisch, normal imverviert, Zunge zittert, 
Sprache schlecht artikuliert. Starkes Rombergsches Phänomen. 
Gang breitbeinig spastisch ataktisch; Hände zittern, intendierte Be¬ 
wegungen stark ataktisch; Nystagmus; grobe Kraft gering; keine 
Sensibilitätsstörung. Die Pupillen zeigen in jeder Beziehung nor¬ 
males Verhalten; die linke Papille temporal abgeblasst. Haut- und 
Schleimhautreflexe erhalten: rechts B a b i n s k y sches Phänomen 
deutlich, links angedeutet; Patellarsehnenreflexe lebhaft, Anconaeus- 
reflex erhalten, Achillessehnenreflex nicht auszulösen. 

Diskussion: Herr Seifert fragt nach Sprachstörungen. 

Herr Ganser: Dieselben fehlen hier. 

3. Fall von Tabes cerebralis. 

L., 51 Jahre alt, Porzellandreher, verheiratet. Vater von 3 ge¬ 
sunden Kindern (3 Kinder sind gestorben, 1 Fehlgeburt), stellt Trunk 
und Syphilis in Abrede, gibt Gonorrhöe zu; sonst keine erhebliche 
Krankheit. Ist kurz vor Weihnachten 1907 mit der Stirn an Laternen¬ 
pfahl angerannt, hatte seither Kopfschmerzen, keine Erscheinungen 
von Commotio. Seit Anfang Januar beständig schmerzhafte Emp¬ 
findungen beiderseits in symmetrischer Ausbreitung in der Haut der 
Stirn, Nase, Lippen, Zahnfleisch und Mundschleimhaut; schmerzhaftes 
Gefühl, als ob die Lippen geschwollen wären; Zunge frei von 
Parästhesien; Doppeltsehen. Suchte Zahnarzt auf, der ihn zum Re¬ 
ferenten schickte. 

Status Mitte Februar: Kein Romberg, Gang normal, 
keine Ataxie; grobe Kraft erhalten, Sprache fliessend; Gesicht sym¬ 
metrisch. Fazialrsinnervation beiderseits gleich, Zunge nach links ab¬ 
weichend; Augenbewegungen nach allen Seiten ausgiebig, keine 
Doppelbilder; beide Pupillen myotisch und reflektorisch starr. Augen¬ 
hintergrund normal; keine objektive Sensibilitätsstörung; Parästhesien 
beiderseits auf das Trigeminusgebiet beschränkt; Patellarreflex 
beiderseits erhalten, eher lebhaft. 

Mitte März: Subjektive Beschwerden unverändert, quälend; 
unteres Fazialisgebiet rechts deutlich paretisch; leichte Kontraktur 
in der linken Oberlippe; Pupillen myotisch, reflektorisch starr, 1> r; 
Akkommodation und Konvergenzreaktion erhalten; linker Patellar¬ 
reflex deutlich schwächer als rechter. 

Ende März: Status idem; rechts im Gebiete des II. Trige¬ 
minusastes objektive Sensibilitätsstörung: manche Berührungen 
werden nicht empfunden, die Schmerzempfindlichkeit ist daselbst 
herabgesetzt; Patellarreflex 1 < r. Geruch und Geschmack intakt. 

Keine Krankheitserscheinungen innerer Organe, keine Albu¬ 
minurie, noch Glykosurie, Pulsfrequenz 80—120. Psyche völlig frei. 

Nachdem bisher Jodkalium wirkungslos war, soll Hg-Kur ein¬ 
geleitet werden. 

Herr Hans H a e n e I: Das Problem der Vergrösserung der 
Gestirne am Horizont. 

Die Frage: Weshalb ist der Mond am Horizont ver- 
grössert? beschäftigt die Menschen seit den ältesten Zeiten. 
Von Ptolemaeus und Aristoteles an, von den alten 
arabischen Astronomen bis auf die jüngste Gegenwart sind Er¬ 
klärungen gegeben und Theorien darüber aufgestellt worden; 
ihre grosse Zahl beweist nur. dass keine bisher voll befriedigte, 
keine die Frage endgültig gelöst hat. Vortr. gibt eine Dar¬ 
stellung der Hauptgruppen dieser Theorien. Zugrundegelegt 
muss die Tatsache werden, dass das Phänomen kein physi¬ 
kalisches ist: mit optischen Instrumenten gemessen beträgt die 
Grösse des Mondes stets ca. 31 Min. Alle Theorien, die eine 
reale vergrössernde Wirkung der Luftschichten am Horizonte 
annehmen, erledigen sich damit. Es handelt sich um eine 
optische Täuschung im engeren Sinne, um eine Urteils¬ 
täuschung, und die meisten Theorien gehen in der Tat auch 
hiervon aus. Die naheliegende Erklärung, die die Täuschung 
auf einen Vergleich mit den entfernten irdischen Gegenständen 
zurückführt, ist unzureichend, weil sie nicht für alle Fälle 
stimmt, z. B. nicht, wenn der Mond über einer hohen Berg¬ 
wand aufgeht. Die Lichtschwäche und gelbrote Farbe am 
Horizonte kann nicht der Grund sein, weil eine künstliche Ab¬ 
schwächung und Tönung durch gefärbte Gläser oder Rauch 
das Gestirn im Zenith nicht vergrössert. Gegen andere Theo¬ 
rien sind jedesmal andere Einwände geltend gemacht worden. 
Am häufigsten zitiert wird die von H e 1 m h o 11 z näher aus¬ 
geführte Theorie, die von der scheinbaren Form des Himmels¬ 
gewölbes ausgeht. Nach dem Vorgänge von Ptolemaeus. 


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1852 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


Euler u. a. schreibt er diesem eine flachkuppelförmige Ge¬ 
stalt zu, folgert daraus, dass uns der Mond am Horizonte wei¬ 
ter erscheint als im Zenith, iund nach den Gesetzen der Per¬ 
spektive ist für uns von den Gegenständen gleicher Gesichts¬ 
winkelgrösse derjenige, den wir für näher halten, der kleinere, 
der fernere der grössere. — Stimmt jene Voraussetzung, dass 
der Himmel eine abgeflachte Kuppel ist, so wäre damit das 
Problem gelöst; an der Richtigkeit dieser Voraussetzung hat 
man aber berechtigte Zweifel erhoben, und in der Tat ant¬ 
worten die meisten Menschen auf die Frage, ob ihnen der 
Mond iim Zenith näher oder weiter erscheint, ohne Zögern mit: 
„Weiter!“ Das beweist, dass auch die Flachkuppeltheorie 
unzulänglich ist. 

Betrachten wir auf einem freien Felde stehend oder auf 
dem Meere, den wolkenlosen Himmel, und versuchen wir, 
seine Form zu beschreiben, so können wir folgendes aussagen: 
Am Horizonte steht der Himmel den letzten erkennbaren 
Erdenpunkten auf, er bildet dort eine senkrechte Ringmauer 
von ungenau begrenzter Breite. Von einer gewissen, nicht 
sehr bedeutenden Höhe aus indessen hört dieser Eindruck auf, 
und wir sind nicht mehr imstande, irgend eine Form noch zu 
erkennen, es bleibt nur noch ein Blau übrig, an dem Gestalt, 
Form, Wölbungsradius zu sehen ein vergebliches Bemühen ist. 
Der Himmel besteht also für unser Auge aus zwei TeiSlen von 
wesentlich verschiedenen Eigenschaften: einem Horizontstrei¬ 
fen oder -Ringe, der als zur Erde gehörig aufgefasst wird, von 
sehr grosser, aber jedenfalls messbarer, irdischer Entfernung, 
und einem Zenithanteile, an dem jede Entfernungsschätzung 
ausgeschlossen ist. 

Bei der Beurteilung der Grösse eines gesehenen Gegen¬ 
standes zieht man unter irdischen Verhältnissen stets eine 
Schätzung seiner Entfernung mit in das Urteil ein; die Ge¬ 
sichtswinkelgrösse allein sagt uns nichts, die aus den Be- 
wegungserinnenungen stammende Erfahrung über das „Wie 
weit“ ergänzt jene erst zu dem Urteil über die „wirkliche“ 
Grösse. Die gewöhnlichen optischen Täuschungen und 
Grössenschätzungsfehler rühren fast sämtlich daher, dass un¬ 
bemerkt ein Irrtum über diese zweite Komponente des 
Grösseneindrucks, eben die Entfernung, besteht. Wo nun, 
wie es bei den Gestirnen im Zenithanteil des Himmels der Fall 
ist, die aus den Bewegungserinnerungen stammende Kompo¬ 
nente völlig fehlt, wo wir über die Entferung auch nicht an- 
nähenungs- oder Schätzungsweise etwas aussagen können, sind 
wir bei unserer Betrachtung allein auf die erste, die optische 
Komponente, den Gesichtswinkel oder, was dasselbe besagt, 
die Netzhautbildgrösse angewiesen. Und unter diesen Um¬ 
ständen ist ein Lichtkreis von 31 Min. in dem Gesichtsfeld von 
50—90° jedenfalls nicht sehr gross. Es liegt hier der in der 
uns umgebenden Natur einzig dastehende Fall eines ent¬ 
fernungslosen Sehens vor: alle anderen Objekte können wir 
nicht ohne eine bestimmte Entfernung sehen, den Mond 
allein können wir nicht mit einer bestimmten Entfernung 
sehen. In dem Augenblicke aber, wo er in den Horizontstreif 
des Himmels eintritt und an dessen irdischen Eigenschaften 
teilniimmt, tritt auf einmal auch eine Entfermungskomponente 
mit in den Gesichtseirtdnuck ein; und da die Entfernung bis 
zum Horizonte unter allen Umständen eine sehr weite ist, wird 
ein Lichtkreis von 31 Min. dort für enorm gross gehalten. 

Mit dieser Auffassungsweise lassen sich die Fragen, die 
bei den früheren Theorien unerklärt bleiben mussten, ohne 
Schwierigkeiten lösen. 

Diskussion: Herr F. Schanz: Bei diesem Problem 
scheint man sich die Deutung: besonders schwierig zu 
machen. Schanz hält die Vorstellung von der abge¬ 
flachten Form des Himmelsgewölbes für die Beurteilung für 
belanglos. Nach seiner Ansicht handelt es sich um eine Täuschung 
über die Form des Horizontes. Steht die Sonne hoch am Himmel 
und befinden wir uns auf einer ebenen Fläche, so haben wir die Vor¬ 
stellung vom Horizont, als bilde derselbe um uns einen Kreis, in 
dessen Mittelpunkte wir stehen. Dies ändert sich, wenn die Sonne 
( der der Mond nahe am Horizont zu stehen kommt und wenn diese 
durch Dunst in ihrem Licht so geschwächt werden, dass wir in sie 
hineinsehen können. In diesem Falle erscheint uns der Horizont in 
der Richtung des Gestirnes näher. Wir befinden uns nicht mehr im 
Mittelpunkt eines Kreises, den der Horizont um uns beschreibt. Dieser 
Kreis erscheint in der Richtung des Gestirnes stark eingedrückt. Die 


Herabsetzung der Lichtstärke des Gestirnes ist erforderlich, weil wir 
nur dann in das Gestirn hineinblicken und dann nur Einzelheiten am 
Horizont rn der Nähe des Gestirnes beobachten können. Dieselben 
haben sehr intensive Schatten, die mit sehr stark belichteten Partien 
kontrastieren, und erscheinen uns deshalb viel näher als bei Hoch¬ 
stand des Gestirnes. So kommt es zu einer Täuschung über die Ent¬ 
fernung des Horizontes. Diese Täuschung kommt uns aber weniger 
zum Bewusstsein, sondern wir überschätzen, durch diese Täuschung 
beeinflusst, die Grösse des Gestirnes. 

Eine ähnliche Täuschung lässt sich hn Stereoskop erzeugen, 
wenn man die verschieden weit von- einander entfernten Doppelbilder 
zweier gleichgrosser, Punkte zur Vereinigung bringt. Dabei erscheint 
der eine dem Auge näher und es treten auffällige Grössenunterschiede 
auf. Der fernerliegende erscheint grösser als der näherliegende. Ein 
solches Bild findet sich beispielsweise in der Sammlung stereo¬ 
skopischen Uebungsbilder von Dr. H e g g (V, 2). Selbst 4 jährige 
Kinder bezeichnen von den gleich grossen Scheiben- die ihnen als 
fernerliegend erscheinende als die grössere. 

Herr Gmeiner glaubt, der Luftperspektive und den durch sie 
bedingten Farbänderungen am Horizont den Hauptanteil zuschreiben 
zu sollen. 

XXIV. Sitzung vom 11. April 1908. 

Vorsitzender: Herr Scihimorl. 

Verlesung der Eingänge durch Herrn H a e n e 1. 

Tagesordnung: 

Herr Kl immer: Ueber die Schutzimpfung der Rinder 
gegen die Tuberkulose mit Hilfe nichtinfektiöser Impfstoffe.*) 

Nach einem historischen und kritischen Ueiberblick über 
die bisherigen Tuberkuloseimmunisierungsversuche und -Ver¬ 
fahren mit Hilfe von Tuberkelbazillen bezw. tuberkelbazillen¬ 
haltigem Material, wobei u. a. auf die Gefahren und Nachteile 
hingewiesen wird, die mit der Verwendung infektiöser Impf¬ 
stoffe, so des Taurumans Koch-Schütz’ und des Bovovakzin 
von Behrings verbunden sind (wie Infektionsgefahr für 
Menschen beim Impfakt, Entwertung der Impflinge als Schlacht- 
und Milchtiere, Unmöglichkeit den nur etwa einjährigen Impf¬ 
schutz durch Nachimpfungen zu verlängern), wendet sich 
Klimmer zu seinen in den Jahren 1903/04 ausgearbeiteten 
Verfahren, Rinder mit Hilfe nichtinfektiöser Impfstoffe gegen 
die Tuberkulose zu immunisieren. Er schildert die Herstellung 
und Prüfung der Impfstoffe (der durah längeres, vorsichtiges 
Erhitzen auf 52—53 0 abgeschwächten Menschentuberkel¬ 
bazillen und der durch Kammolchpassagen der Virulenz be¬ 
raubten avirulenten Tb.). Die Impfstoffe sind für alle geprüften 
Versuchstiere (Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen, Hunde, 
Kaninchen und Mäuse) und vor allem auch für Meerschwein¬ 
chen, bekanntlich der für Tb. menschlichen Ursprungs 
empfänglichsten Tierart, nichtinfektiös und bleiben auch nach 
einfachen Tierpassagen nichtinfektiös. Sie werden von den 
Tieren gut vertragen und mit ihnen können Rinder gegen die 
Tuberkulose leicht immunisiert werden. Die Impfung erfolgt 
subkutan. Sie ist zunächst nach einem Vierteljahr zu wieder¬ 
holen. Um den Impfschutz, der bei allen Tuberkuloseimpf¬ 
stoffen nur etwa 1 Jahr dauert, über diese Zeit hinaus zu ver¬ 
längern, sind sodann alljährlich einmalige Nachimpfungen vor¬ 
zunehmen. Die mit diesen Impfstoffen bei Rindern erzielte 
Immunität ist eine sehr beträchtliche. Eine grössere Anzahl 
schutzgeimpfter Rinder (ca. 20) wurden einer sehr schweren 
künstlichen Infektion mit Rindertuberkelbazillen, welche ein 
nicht vorbehandeltes Rind in 4—7 Wochen tötet, ausgesetzt; 
sie überstand die Infektion. Diese Versuchstiere wurden 3 bis 
5 Monate nach der Infektion im besten Wohlsein geschlachtet. 
Bei der Untersuchung wiesen einzelne nur ganz geringfügige 
tuberkulöse Prozesse auf, -die Mehrzahl war vollkommen frei 
von Tuberkulose. Daneben wurden ca. 1000 schutzgeimpfte 
Rinder der natürlichen Tuberkuloseansteckung ausgesetzt. 
Von diesen sind bisher, soweit Angaben vorliegen, 27 Tiere 
geschlachtet worden bezw. sind an interkurrenten Krankheiten 
verendet. Bei der Sektion erwiesen sie sich sämtlich frei von 
Tuberkulose. Die erste Impfung lag zum Teil 3 Jahre zurück. 
Nachdem auch von unbeteiligter Seite die gleichen guten Er¬ 
fahrungen gesammelt worden sind und das Verfahren sich 3 


*) Der Vortrag erscheint erweitert im nächsten Heft der Zeit¬ 
schrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1853 


bezw. 4 Jahre in der Praxis bewährt hat, ist es nunmehr 
der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden. Mit der Her¬ 
stellung und dem Vertriebe der nichtinfektiösen Tuiberkulose- 
impfstoffe ist die chemische Fabrik H u m a n n und T e i s 1 e r, 
Dohna i. Sa., beauftragt worden. 

Herr S c h m o r 1 schliesst die Sitzungsperiode. 


Wissenschaftliche Vereinigung am städt. Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 2. Juni 1908. 

Vorsitzender: Herr Herxheiimer. 

Schriftführer: Herr Bingel. 

Herr Reiss: Konzentration des Blutserums und Körper¬ 
gewicht. 

Die Beziehungen zwischen Körpergewicht und Konzen¬ 
tration des Blutserums sind zahlreiche. Seit langer Zeit be¬ 
kannt ist die Verdünnung des Blutes bei Wassersucht. Die 
gleichzeitig vorhandene Körpergewichtserhöhung wird klinisch 
zur Beobachtung des Krankheitsverlaufes herangezogen. Auch 
bei verschiedenen anderen Krankheitszuständen wurde mehr¬ 
fach die Vermutung ausgesprochen, dass auftretende Gewichts¬ 
veränderungen auf Anomalien im Wasserhaushalt des Körpers 
zurückzuführen seien. Zur genaueren Verfolgung dieser Ver¬ 
hältnisse ist wegen der schwankenden Menge der Blutkörper¬ 
chen das Gesamtblut ungeeignet. Die Untersuchung muss am 
Blutserum vorgenommen werden. Verdünnungen oder Ein¬ 
dickungen des Blutserums brauchen dessen osmotischen Druck 
nicht wesentlich zu verändern, weil die Salze des Blutserums 
sehr leicht auf ihrem normalen Wert gehalten werden können. 
Daher gibt die Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung über 
die genannten Verhältnisse keinen genügenden Aufschluss. 
Desgleichen sind für die dauernde Krankenbeobachtung alle Me¬ 
thoden unzureichend, die mit einer grösseren Blutmenge aus¬ 
geführt werden. Es wurde daher zur Bestimmung der Kon¬ 
zentration des Blutserums seine Lichtbrechung benutzt. Wäh¬ 
rend nun die alleinige Beobachtung der Lichtbrechung ledig¬ 
lich die Zu- oder Abnahme des Gehaltes an gelösten Bestand¬ 
teilen, insbesondere an Eiweiss lehrt, und die alleinige Kontrolle 
des Körpergewichtes völlig unentschieden lässt, ob Gewichts- 
veränderungen auf Aenderungen im Wassergehalt oder auf An- 
resp. Abbau von Körpersubstanz beruhen, gestattet die Ver¬ 
gleichung beider Werte viel weitergehende Schlüsse zu ziehen. 
Sinkt beispielsweise die Konzentration des Blutserums und 
steigt das Körpergewicht, so deutet das auf Wasserretention, 
das umgekehrte Verhalten auf Wasserverlust. Diesen Modus 
beobachtet man ausserordentlich häufig bei Störungen der 
Kompensation bei Herz- und Nierenleiden. Es lässt sich da¬ 
durch auch die Wirkung von Kardiacis und Diureticis kontrol¬ 
lieren. Aber auch bei anderen Krankheiten, z. B. beim Dia¬ 
betes, ist häufig Zu- oder Abnahme des Körpergewichtes, wie 
die gleichzeitige Untersuchung des Blutserums zeigt, eine trü¬ 
gerische, hervorgerufen durch Aenderungen im Wassergehalt. 
Sinkt die Konzentration des Blutserums gleichzeitig mit dem 
Körpergewicht, so bedeutet das einen wirklichen Verlust an 
Körpersubstanz. Man beobachtet das sehr häufig bei schweren 
Inanitionszuständen, Phthise, Karzinom etc., während das ent¬ 
gegengesetzte Verhalten in der Rekonvaleszenz festzustellen ist. 

Diskussion: die Herren: Albrecht, Lüthje, Reiss. 

Herr Walther Ewald: Klinische Vorstellung von Hypophysls- 
tumoren nebst Bemerkungen über die biologische Bedeutung der 
Hypophyse. 

Für Hypophysentumoren charakteristisch sind ausser den ge¬ 
wöhnlichen Zeichen eines Tumors der mittleren Schädelgrube eigen¬ 
tümliche Veränderungen des Gesamtorganismus, die sehr ver¬ 
schiedenfach sind und deren ursächliche Beziehung zur Hypophyse 
selbst vielfach rätselhaft ist. Hierhin gehören die Akromegalie, und 
zwar mit oder ohne Diabetes mellitus, Diabetes Insipidus, Ver¬ 
änderungen der Haut, Fettsucht, verschiedenartige Störungen der 
Genitalsphäre und myxödemartige Erscheinungen. Die beiden vor¬ 
gestellten Fälle stehen in einem Gegensatz, indem der eine mit 
Athyreoidismus, der andere mit Hyperthyreoidismus einhergeht. 

I. Jetzt 28 jähriger Mann, dessen Vater anscheinend an Paralvsis 
agitans gelitten hat, entwickelte sich in der Jugend normal. Mit 
21 Jahren Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen, häufiges Erbrechen. 
Diese Erscheinungen im Laufe der Erkrankung von wechselnder 


Intensität. Allmählich zunehmende Sehschwache des rechten Auges, 
das seit dem 23. Jahre blind ist. Seit dem 24. Jahre Aenderung der 
Gesichtszüge, die Augenlider werden dicker, die Gesichtshaut ge¬ 
dunsen. Schnurrbart, Achsel- und Schamhaare fangen an auszufallen. 
Die Hoden werden kleiner. Erektionen und Ejakulationen bleiben 
seitdem aus. Keine Veränderung der Stimme. Zur Zeit myxödem¬ 
artiger Habitus, Fehlen der Schnurrbart- und Achseihöhlenhaare, 
geringe Entwicklung der Schamhaare. Hoden wie bei einem 
15 jährigen. Schilddrüse nicht zu fühlen. Kopfschmerzen, Gesichts¬ 
schmerzen und Erbrechen zeitweise vorhanden. Rechts Sehnerven¬ 
atrophie mit Amaurose, links Sehnervenatrophie mit konzentrischer 
Gesichtsfeldeinengung. Im Röntgenbild ist die Sella turcica stark 
erweitert, vor allem der Eingang zu ihr. Man sieht im Bogen vom 
Sattelwulst zur Sattellehne eine dünne Knochenspange verlaufen, die 
möglicherweise auf eine Verkalkung der Tumorwand zu beziehen ist. 

II. Junges Mädchen von 18 Jahren, deren Vater Potator und 
deren einer Bruder Epileptiker ist. Normale Entwicklung. Mit 
15 Jahren Menses. Seit 1 Vs Jahren Amennorrhoe, zu gleicher Zeit 
Sehstörungen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Erbrechen. Seit 
1 Jahr fast völliges Erlöschen der Sehkraft. Seit der Erkrankung 
wurde sie sehr dick und in psychischer Hinsicht etwas apathisch. 
Jetzt besteht Struma, Exophthalmus und Tachykardie. Ferner beider¬ 
seitige Sehnervenatrophie, hemianopische Lichtreaktion und, wenn 
auch keine Hemianopie, so doch stärkerer Ausfall der temporalen 
Gesichtshälften. Es sind Menstruationsanomalien vorhanden, ohne 
Erkrankung der Genitalien und Fettsucht. Kein Diabetes. Im 
Röntgenibild sieht man eine enorme Vergrösserung der Sella turcica 
mit nur geringer Verbreiterung des Hypophyseneinganges. 

Demonstration der Entwicklung der Hypophyse, normaler 
Röntgenbilder, Röntgenbilder bei Hypophysengeschwülsten (aus der 
Arbeit von E r d h e i m und der Schädelaufnahmen der beiden vor¬ 
gestellten .Krankem 

Aus dem Vergleich ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass es 
sich bei I um einen Tumor des Hypophyseneinganges handelt mit 
Druckatrophie der Hypophyse, bei II um einen schnell wachsenden 
Tumor der Hypophysensubstanz selbst. 

Hypophysenextrakt steigert den Blutdruck und macht nach 
Borchardt Glykosurie, hat also Aehnlichkeit mit dem Neben- 
n-ierenextrakt. Bei Nebennierenerkrankungen wurden auch’vielfach 
Störungen des Knochenwachstums beobachtet. Daher ist es nicht 
unwahrscheinlich, dass die Akromegalie und der Diabetes meHitus als 
Ausdruck der Funktionssteigerung der Hypophyse anzusehen sind. 
Hiermit steht in Einklang, dass Geschwülste des Hypophysenganges 
stets ohne Akromegalie verlaufen. Zwischen Schilddrüse und Hypo¬ 
physe bestehen enge Beziehungen; auffallend ist, dass in der Regel 
in beiden gleichartige Degeneration auftritt; also bei Hypertrophie 
des einen Organs, auch solche des andern und entsprechend bei 
regressiven Zuständen. Es muss also bei beiden eine gemeinsame 
Funktion vorhanden sein, die das eine Organ auf das andere anweist. 
Alle Erscheinungen, die bei Hypophysentumoren in das Bereich des 
Myxödems oder das Basedowkomplexes gehören, sind auf die be¬ 
gleitende Erkrankung der Schilddrüse zurückzuführen. 

Die Fettsucht hat mit der Hypophysener^rankung nichts zu tun 
und ist entweder Folge einer Hirnreizung oder eine solche der kom¬ 
plizierenden Schilddrüsen- oder Geuitalaffektion. 

Die Atrophie der Hoden ist vielleicht in manchen Fällen in Be¬ 
ziehung zur Hypophyse zu bringen, meist ist sie aber wohl eine Teil- 
erscheinung des Myxödems. 

Die Amennorrhoe ist nicht auf die Erkrankung der Hypophyse 
selbst zu beziehen, sondern auf die Schädigung des Gehirns. Denn 
sowohl bei andersartigen Hirntumoren wie bei Geisteskrankheiten 
tritt diese Erscheinung auf. 

Somit ist nur die Akromegalie und der Diabetes mellitus die 
Folge der Hypophysenerkrankung. Daneben bestehen aber Be¬ 
ziehungen der Hypophyse zur Schilddrüse; die Erkrankung der 
Hypophyse hat eine Schädigung der Schilddrüse im Gefolge und 
letztere macht die bekannten charakteristischen Erscheinungen. 

Diskussion: die Herren: Albrecht, Knoblauch, Voss, 
Ewald. 


Naturhistorisch-Medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Abteilung.) 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Juli 1908. 

Herr Magnus: Zur Regulation der Bewegungen durch 
das Rückenmark (mit Demonstration). 

Vortr. berichtet über Versuche, die er im physiologischen 
Institut von Prof. Sherrington in Liverpool ausgeführt 
hat, und aus denen sich ergibt, dass die Lage und Stellung der 
Glieder von Einfluss auf die Reflexbewegungen ist, welche 
sich an diesen Gliedern hervorrufen lassen, 

Diskussion: Herren Cohnheim, Fischler, Erb. 
Magnus. 


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MtJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .15. 


Sitzung vom 28. Juli 1908. 

Herr E. v. Hippel: Die Palliativtrepanatioii bei Stau- 
ungspapille. 

Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift. 

Diskussion: Herren Krehl, Ernst, v. Hippel. 

Herr C o h n h e i m und Herr D r e y f u s: Zur Physiologie 
und Pathologie der Magenverdauung. 

Diskussion: Herren Magnus, Cohnheim. 

Herr L. Schreiber und F. Wengler: Ueber Wir¬ 
kungen des Scharlachöls auf die Netzhaut. Mitosenbildung der 
üangüenzellen. (Mit Demonstration.) 

Den Ausganspunkt der Versuche bildet die Frage nach der 
Wirkung künstlicher Drucksteigerung auf die Netzhaut und den 
Sehnerven. — Die Ergebnisse der Untersuchungen Fischers 
über die Folgen subkutaner Injektionen von Scharlachöl am 
Kaninchenohr berechtigten zu der Annahme, dass Injektionen 
dieses Oels in die vordere Augenkammer eine Obliteration des 
Kammerwinkels und damit Drucksteigerung (sog. Sekundär- 
glaukom) herbeiführen würden. Diese Voraussetzung erw ies 
sich in der Tat als richtig; doch bot die Methode für die Er¬ 
zeugung des experimentellen Glaukoms keinen Vorteil gegen¬ 
über anderen bekannten. 

Dagegen traten recht bemerkenswerte Veränderungen an 
der Netzhaut auf, die als eine Art spezifisch-toxischer Wirkung 
bezw. als eine Art von Reizwirkung des Scharlachöls auf die 
nervöse Substanz betrachtet werden müssen. — Dieselben be¬ 
stehen einerseits in einer schon nach wenigen Tagen i 1 e c k - 
weise einsetzenden Atrophie insbesondere 
der äusseren Netzhautschichten, anderseits in 
lebhafterZellenproliferation sowohl der Pigmcnt- 
epithelien (Netzhautatrophic und Pigmenteinwanderung erinnern 
an die Befunde von Retinitis pigmentosa des Menschen) als der 
Ganglienzellen. — An den G a n g I i e n z e 11 e n beobachtet 
man einmal Verlagerung derselben in die üussern Netz¬ 
hautschichten und zwar auch an solchen Stellen, wo diese nicht 
zu Grunde gegangen sind; die Verlagerung ist nur durch die 
Annahme einer aktivenLokoniotion der Ganglien¬ 
zellen zu erklären. Ferner zeigen einzelne Ganglienzellen, 
die verlagerten und die in loco befindlichen, e n ormeHype r- 
trophie (echte Hypertrophie, keine Schwellung!). 

Besonders bemerkenswert ist der Befund von zahlreichen 
Mitosenbildungen der Ganglienzellen in ver¬ 
schiedenen Phasen der Mitose bis zur vollendeten Zellenteilung. 
Die mitotischen Zellen besitzen alle Kriterien der Ganglien¬ 
zellen: entsprechende Grösse, schön ausgebildeten perizellu¬ 
lären Raum und einen nach der Nervenfaserschicht gerichteten 
Fortsatz. — Somit kann die prinzipiell wichtige Frage nach der 
Fähigkeit der Ganglienzellen zur Mitosenbildung und Teilung 
als im positiven Sinne endgültig entschieden gelten. 

Diskussion: Herren W erne r, E rnst. 

Herr Nissl erkennt auf Grund der vorgetragenen und demon¬ 
strierten Befunde die Fähigkeit der Ganglienzellen zur Mitosenhil- 
dung an. 


Physiologischer Verein in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. Juli 1908. 

Herr Holzapfel: Ueber die Beziehung der Kopf¬ 
geschwulst zum Leben der Frucht. 

H. erörtert die Bedeutung der Kopfgeschvvulst für die Diagnose 
des Lebens der Frucht. H. konnte noch über 21 Stunden nach dem 
Tode des Neugeborenen künstlich eine Kopfgeschwulst darstellen, die 
makroskopisch und mikroskopisch einer natürlichen Kopfgeschwulst 
gleich war. Unter Berücksichtigung klinischer Beobachtungen kommt 
H. zu detn Schluss, dass der Kopfgeschwulst für die Diagnose des 
Lebens des Kindes eine Bedeutung nicht beizumessen ist. 

Herr Ho eh ne weist in seinem Vortrage: Die Hypoplasie 
der Tuben In ihrer Beziehung zur Extrauteringravidität zu¬ 
nächst darauf hin, dass Tubenwind un gen durchaus nicht 
nur infolge von Wachstumsstörungen und -Imn- 
m u n g e n, sondern häufig auf entzündliche m W e g e 
entstehen. Die Windungen spielen bezüglich der Aetiojogic 
der Tubargravidität gar keine Rolle. Wenn in sicher nicht 
entzündlich veränderten und darum von den durch Entzündung 
erworbenen mechanischen Hindernissen freien Tuben die Ei¬ 


implantation erfolgt, so kann liir diese Fälle die Ursache nur 
in dem c i b e w e g e n d e n Apparat gesucht werden, ln 
der Tat hat rum Hoch ne in einzelnen Fällen von Extra¬ 
uteringravidität medialwärts vom Eisitz grosse tlimmcrlose und 
flimmerarme Epithelstrecken gitundeii und in typischen inian- 
tilen ruhen eine mangelhafte Ausbildung des Flimmtrapparates 
nachweiscn können, so dass für die Fälle von Extrauterin¬ 
gravidität, bei denen mechanische Hindernisse in der Ei- 
leitungsbahn fehlen, ein unvollständiger, unter- 
h r o c h e n e r oder mit z u geringer B e w egungs- 
e n c r g i e a u s g e s t a 11 e t e r E 1 i m in e r s t r o m als ätio¬ 
logisches Moment in Betracht gezogen werden muss. 

Herr Piper: Leber die Leitungsgeschwindigkeit im 
menschlichen Nerven. 

Der Nervus medianus wurde mit dem Oeffnungsschlag 
! eines lnduktoriums einmal an einer Stelle gereizt, welche dein 
als Erfolgsorgan dienenden Muskel, den l'nterarmflexoren. 
nahe gelegen ist, und zwar im Sulcus bicipitis internus hand¬ 
breit oberhalb der Elleubeugc. Ein zweites Mal wurde der 
Nerv in der Achselhöhle gereizt. Im letzteren Falle iolgt die 
Muskelreaktion mit etwas grosserer Pause auf den Reiz¬ 
moment, als im ersten, und die ZeitJiiierenz der Reaktions¬ 
anfänge bei beiderlei Nervenreizung gibt die Lcitungs/eit, 
welche die zwischen beide Reizpunkte eingeschaltete etwa 
lö 17 cm lange Nervenstrecke beansprucht. Daraus lasst sich 
dann die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenerregung 
pro Sekunde berechnen. 

Die Muskelreaktion wurde nicht, wie in den Versuchen von 
Hel m h ol t z, durch die mechanische Zustar.Jsänderung re¬ 
gistriert. sondern es wurde der Aktionsstrom aufgezeiJinct. 
Es wurden unpolarisierbare Elektroden auf die Haut über den 
Unterarmflexoren aufgesetzt und mit dem Saitengalvanometer 
verbunden. Bei den durch die Nervenreizung erzeugten 
Zuckungen wurde auf diese Weise der die Kontraktion be¬ 
gleitende doppelphasische Aktionsstrom des Muskels zum Gal¬ 
vanometer abgeleitet und sein Ablauf photographisch regi¬ 
striert. Eine besondere Schreibung des Rei/momentes war 
unnötig, da sich der Oeffnungsschlag des Ir-Juktormms durch 
einen kleinen Ausschlag der (ialvanoiiKtersaite ohne weiteres 
registrierte. Die Zeit wurde durch eine Stimmgabel von 
MB Schwingungen geschrieben. 

Reizt man die Nerven im Sulcus bicipitis, >«» verstreicht 
zwischen Reiz und Beginn des Muskelstronu-s eine Zeit von 
0,1)0*02 Sekunden, bei Reizung in der Achselhöhle o.m.S7S Se¬ 
kunden. Die Differenz O.ooi2<» Sekunden ist die Leitungszeit 
in der zwischen beiden Reizpunkten liegenden Nervenstrecke. 
Da diese lö 17 cm lang, berechnet sich die Leitungs¬ 
geschwindigkeit im Nerven 117 125 Meter 

pro Sek u n d e. 

Setzt man die Nervenstrecke vom Rcizpunkt im Sulcus 
bicipitis bis zur Miiskclmscrtion |o un an. so wurde die Er¬ 
regung diesen Weg in O.ms.U Sekunden durchlaufen bei An¬ 
nahme einer Leitungsgeschwindigkeit von 12" m. Dieser Wert 
von der Zeit abgezogen, welche bei Reizung des Nerven m der 
Bizepsfurche zwischen Rei/moment und Beginn der .Muskel¬ 
reaktion verstrich, ergibt die Latenz der Nervenendorgane und 
des Muskels und das ist also imiG5Q Sekunden. 

Herr Piper: Leber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
der Kontraktionswelle im menscliliehen Muskel. 

Ueber den Flexoren des Unterarmes wurden unpolarisier- 
bare Elektroden an ge setzt, eine etwas unterhalb der Eilen¬ 
beuge, die andere handbreit oberhalb des Handgelenkes, so 
dass ihr gegenseitiger Abstand rund 10 cm betrug. Wahrend 
durch diese Elektroden zum Saitcrgalvannmcter abgeleitet 
wurde, wurden Einzel/uckungeu der EIe\oreii durch Reizung 
des Nervus im Medianus mit OennungssJiIngcn erzeugt. Der 
Ablaut der Gulvauometcrnuss J:lage wurde unter gleichzeitiger 
Zeit schrei billig photographisch registriert;' es kam auf diese 
Weise der doppelphasische Muskelstrom iu tvpischer Form zur 
Darstellung. Die ganze W elle dauert im Mittel 1 Sekunde. 
Der Gipfelpunkt der ersten Phase entspricht der Zeit, in welcher 
die Kontraktionswelle im Muskel unter der oberen ERktrode 
hinläuft; der Gipfelpunkt der zweiten Phase der Zeit, in welcher 
der Miiskclquerschnitt unter der Unteren E’tA:roJ c von der 
Kontraktionswelle passiert wird. Der Zi.tüJie Abstand beider 


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Original fro-rri 

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1. September 19Ö8. 


MÜENChENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Gipfelpunkte gibt also die Zeit an, welche die Kontraktions¬ 
welle gebraucht, um den Weg vom Querschnitt unter der 
oberen bis zum Querschnitt unter der unteren Elektrode zu¬ 
rückzulegen. Diese 10 cm betragende Muskelstrecke wurde 
im Mittel in 0,01 Sekunden durchlaufen. Daraus ist die Fort¬ 
pflanzungsgeschwindigkeit pro Sekunde zu 
10 m. 

Die auf den Nerven wirkende Reizintensität wurde in sehr 
grossen Grenzen variiert, so dass Zuckungen von sehr ver¬ 
schiedener Hubhöhe erfolgen. Dabei änderte sich die Ampli¬ 
tude der abgeleiteten Stromwellen mit der Hubhöhe der 
Zuckung. Die Wellenlänge aber und der Gipfelabstand beider 
Halbwellen blieb konstant; daraus ergibt sich, dass die F o r t - 
Pflanzungsgeschwindigkeit der Kontrak¬ 
tionswelle im Muskel konstant bleibt, gleich¬ 
gültig, ob starke oder schwache Zuckungs¬ 
kontraktionen erfolgen. 

Bei willkürlicher Innervierung tetanischer Muskelkon¬ 
traktionen laufen, wie ich früher zeigte, 50 Kontraktionswellen 
in der Sekunde über den Muskel hin; jede derartige Welle 
braucht für ihren Ablauf l Uo Sekunde, d. h. dieselbe Zeit, wie 
eine durch Reizung des Nerven erzeugte Einzelwelle, welche 
einer Zuckung entspricht. Jede der 50 Kontraktionswellen, 
welche in der Zeiteinheit beim willkürlich innervierten Tetanus 
über den Muskel laufen, ist also einer Zuckungswelle äqui¬ 
valent. 

Bei Variierung der Kraft willkürlicher Muskelkontraktionen 
ändert sich nicht die Zahl der pro Sekunde ablaufenden Kon¬ 
traktionswellen, und nicht die Wellenlänge, sondern nur die 
Amplitude. Auch in diesem Falle dürften also die Kontraktions¬ 
wellen im Muskel bei starken, wie bei schwach innervierten 
Kontrakturen mit derselben Geschwindigkeit, etwa 10 m in der 
Sekunde, ablaufen. 


Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. Juni 1908. 

Vorsitzender: Herr Curschmann. 

Schriftführer: Herr R i e c k e. 

Herr La wen: 

I. lieber die Behandlung des äusseren Milzbrandes beim 
Menschen. 

In der Leipziger Klinik sind im Anschluss an die beiden 
von W i 1 m s mitgeteilten Beobachtungen noch weitere 
5 Anthraxfälle mit intravenösen Injektionen von Sobern- 
h e i m schem Serum behandelt worden. Es wurden im Verlauf 
mehrerer Tage bis zu 100 ccm Serum injiziert. 2 schwere 
Fälle von Gesichtsmilzbrand sind gestorben. Ein abschliessen¬ 
des Urteil über den Wert des Milzbrandserums gestatten die 
Erfahrungen der Klinik noch nicht. Es wird beabsichtigt, künf¬ 
tig, nach dem Vorgänge B a n d i s, in schweren Fällen grössere 
Serummengen auf einmal intravenös zu injizieren. Bandi 
spritzte bis zu 150 ccm des von ihm hergestellten Serums ein, 
ohne schädliche Wirkungen hervorzurufen. 

Der Vortrag erscheint als Originalmitteilung an 
anderer Stelle. 

II. 3 Fälle von operierter Keozoekaltuberkulose. (Demon¬ 
stration.) 

1 . 32jähr. Mann. Seit 4 Jahren Anfälle von Kolikschmerzen mit 
Dünndarmsteifung in der rechten Seite des Leibes. Kein Erbrechen. 
Zeitweise Durchfälle. 

Keine Lungenveränderungen. In der Zoekalgegend ist ein druck¬ 
empfindlicher Tumor fühlbar, der vom oberen Drittel des Lig. 
inguinale bis etwa zum M a c B u r n e y sehen Punkt reicht. Die 
Diagnose wurde auf tuberkulösen Ileozoekaltumor mit Dünndarm¬ 
stenosen gestellt. 

Laparotomie durch Inzision am Aussenrand des rechten Rektus 
durch seine Scheide. Der Tumor besteht aus einem Konvolut von 
Dünndarmschlmgen, die aus Zoekum und Colon ascendens herangeholt 
sind. Zahlreiche, bis hühnereigrosse Drüsen im Mesenterium. Der 
erkrankte Dünndarm (ca. iVz m) wird mit dem Colon ascendens bis 
nahe an die Flexuna hepatica zusammen mit dem Mesenterium und 
den Drüsen reseziert. Die Darmenden werden blind verschlossen. 
Dann wird eine seitliche Anastomose zwischen Dünndarm und dem 
Rest des Colon ascendens hergestellt. 


1855 


Demonstration des Präparates: ln dem resezierten Dünndarm¬ 
stück finden sich 5 tuberkulöse Strikturen. Die letzte liegt unmittel¬ 
bar an der B a u h i n sehen Klappe. Die Klappe ist in die schwielige 
Verdickung mit einbezogen. Verkäste Mesenterialdrüsen bis zur 
Grösse eines Hühnereies. 

Patient ging 14 Tage nach der Operation an Peritonitis zugrunde. 
Bei der Autopsie fand sich eine Gangrän und Perforation am Reste 
des aufsteigenden Kolons unterhalb der Anastomosenstelle. Bei der 
Entfernung des Mesenteriums waren zum Colon ascendens führende 
Gefässe mit durchschnitten worden. 

2. 27 jähr. Mann. Vor 2 Jahren tuberkulöse Spitzenaffektion 
mit Bluthusten. Vor V\ Jahr Schmerzanfall in der rechten Seite des 
Unterleibes; seitdem allmähliche Entwicklung der bestehenden Ge¬ 
schwulst. Keine Stenosenerscheinungen. 

Schwächlicher Mann mit phthisischem Habitus. Ueber beiden 
Lungenspitzen verschärftes Exspirium. In der Zoekalgegend ist ein 
etwas druckempfindlicher und beweglicher Tumor fühlbar, der bis 
an die Mitte des Lig. inguinale reicht. 

Bei der Laparotomie fand sich eine tumorartige Verdickung am 
Innenrande des Zoekums oberhalb des Wurmfortsatzes. Im Mesen¬ 
terium einzelne bis walnussgrosse Drüsen. Das Zoekum wird mit 
einem etwa 5 cm langen Stück des Colon ascendens und des Dünn¬ 
darms reseziert Blinder Verschluss der Darmenden und seitliche 
Anastomose zwischen Dünndarm und dem Reste des aufsteigenden 
Kolons. 

Demonstration des Präparates: Schwielige Tuberkulose am 
unteren Zoekumende und in Umgebung der B a u h i n sehen Klappe. 
Dünndarm frei. Verkäste Drüsen im Mesenterium an der Mündungs¬ 
stelle des Dünndarms in das Zoekum. 

Verlauf kompliziert durch einen Bauchdeckenabszess. Pat. 
noch in Behandlung. 

3. 22 jähr. Mädchen. Vor 5 Jahren Lungenblutung, dann Rippen¬ 
fellentzündung und tuberkulöse Erkrankung der Halsdrüsen. 

Seit 1 Jahre Anfälle von Kolikschmerzen im ganzen Leib mit 
Erbrechen und Durchfällen. Diese Anfälle treten jetzt alle 14 
Tage auf. 

Schwächliche Person. Ueber beiden Lungenspitzen kleinblasige 
Geräusche. In der Zoekalgegend eine oben bis 2 Querfinger unter 
den Rippenbogen reichende, auf Druck ziemlich empfindliche 
Resistenz. 

Der Tumor betraf, wie die Laparotomie zeigte, hauptsächlich 
das Colon ascendens. Im Mesenterium des Dünndarmendes fanden 
sich zahlreiche verkäste und verkalkte Drüsen. Vom Colon ascendens 
werden etwa 15 cm, vom Dünndarm 5 cm zusammen mit den Drüsen 
reseziert. Nach dem Verschluss der Darmenden wird eine seitliche 
Anastomose zwischen Dünndarm und Querkolon hergestellt. 

Präparat: Am Colon ascendens findet sich 4 cm oberhalb der 
B a u h i n sehen Klappe eine tuberkulöse Striktur und 3 cm über 
dieser ein markstückgrosses tuberkulöses Geschwür. Schwielige 
Tuberkulose der Zoekalwand in Umgebung der Klappe und am 
blinden Ende. 

Im Verlauf Bauchdeckenabszess, dann Heilung der Operations¬ 
wunde und wesentliche Erholung der Patientin. 

III. Fremdkörper 4m Oesophagus. 

23 jähr. Mann, der etwa 5 Stunden vor der Krankenhausaufnahme 
im Schlafe sein künstliches Gebiss (Gaumenplatte mit 2 Schneide¬ 
zähnen) verschluckt hat. Er ist mit dem Gefühl der Erstickung auf¬ 
gewacht und hat stark husten müssen. 

Die Röntgenuntersuchung ergab den Schatten des Gebisses in 
Form einer S-förmig gebogenen Linie in der Höhe der oberen 
Thoraxapertur. Das Gesicht des Kranken war in seinem oberen 
Teil etwas gedunsen; in der Haut in Umgebung der Augen fanden 
sich vereinzelte punktförmige Blutaustritte; erhebliche Blutsugillation 
unter die Conjunctiva bulbi beider Augen. Diese Blutergüsse werden 
auf die starken Husterastösse »m Moment des Verschluckens des 
Fremdkörpers zurückgeführt. 

Das Gebiss wird durch die laterale Oesophagotomie entfernt. 
Es gelingt den Fremdkörper nach Eröffnung der Speiseröhre ohne 
vorherige Zerstückelung herauszuziehen. Heilung ohne Fistel im 
Verlauf von etwa 3 Wochen. 

Herr Geh. Rat Trendelen bürg hat 1907 einen ganz ana¬ 
logen Fall (28 jähr. Mann) operiert, bei dem aber der Fremdkörper 
(künstliches Gebiss) bereits 3 Tage im Oesophagus etwa in Höhe 
des 4.—6. Brustwirbels steckte. Zurzeit der Operation bestand be¬ 
reits eine schmale Dämpfung über dem rechten Lungenunterlappen. 
Dieser Fall endete letal infolge der sich weiter entwickelnden 
Lobulärpneumonie, sowie einer Phlegmone des den Oesophagus am 
Halse umgebenden Gewebes und des Mediastinums. Der scharfe 
Haken des fest eingekeilten Gebisses hatte wahrscheinlich bereits 
zu einer Drucknekrose oder Durchspiessung der Speiseröhrenwand 
geführt. Beim Herausziehen des Fremdkörpers wurde diese Wunde 
weiter eingerissen und es kam, wie dann die Autopsie zeigte, zu 
einer ausgedehnten Verletzung der Oesophaguswand. (Vergl. näheres 
in der Inaug.-Diss. von W. Sasse, Leipzig 1907.) 

Diskussion: Herr Löhlein bestätigt die Anschauung des 
Herrn Läwen, wonach die einmalige intravenöse Injektion relativ 
grosser Dosen von Fremdserum für den Patienten keine nachteiligen 


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1856 


MUENCHENER MEDIZINISCHE W OCHENSCHRIFT. 


Nr». 


Folgen hat. Diese Tatsache ist durch klinische und experimentelle 
Feststellungen Residiert. Bei einer ausgedehnten therapeutischen 
Verwendung der intravenösen Injektion von Erenulseris muss mau 
andererseits die grosse (ieiahrlichkeit von Reinjektionen nach Ein¬ 
tritt der sog. Ueberempfindlichkeit berücksichtigen, die in letzter 
Zeit Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden ist. 

Herr ff eineke demonstriert chronische Hüfterkrankungen nach 
Knieverletzung. (Wird originaliter publiziert.) 

Herr Slevers berichtet über einen Tall von isolierter Talus¬ 
luxation. 

Die 27 jährige Patientin ist beim (lardinenabnehmen von der 
Leiter abgerutscht und mit der rechten Eiissspit/.e aui die Fenster¬ 
bank, daun rücklings ins Zimmer gefallen. 

Befund: Bluterguss massigen Grades am Sprunggelenk, ex¬ 
treme Supinationsstellung, so dass der innere bussraud nach oben 
stellt, der äussere Knöchel fast den tiefsten Punkt einmmmt. In 
Narkose Krepitation in Sprunggelenk und abnormer Knochenvor¬ 
sprung vor und unter dem äusseren Knöchel. Diagnose wird auf 
Kombination der Braktur und Luxation des Talus gestellt. Reposition 
misslingt. Provisorischer Gipsverband, wobei der Buss annähernd in 
Mittelstellung steht. 

R ö n t g e n b i I d e r zeigen im Einzelnen die borm der Ver¬ 
letzung: es stellt sich heraus, dass nur ein unwesentlicher Ab¬ 
bruch des hinteren Teiles des T a I u s k ö r p e r s mit dem 
Process. post, tali vorliegt, dagegen in der Hauptsache eine iso¬ 
lierte Talusluxation nach innen und aussen, kombiniert mit 
Drehung des T a 1 u s um die s a g 1 11 a 1 e Achse um «45 ". 

Wegen der totalen Auslösung des Sprungbeines aus allen seinen 
Gelenksverbindungen und der Kombination mit braktur wird aui 
blutige Reposition verzichtet und die Exstirpation d e s T a 1 u s 
nach 8 Tagen vorgenommen von einem Schnitt an der Aussenseite 
aus. Dabei bestätigt sich die Röntgendiagnose, indem die Unter¬ 
flüche des Talus mit ihren drei Knorpelüberzügen der Aussenseite 
des busses zugekehrt ist und ausserdem ein Teil der Talonavikuiar- 
gelenkfläche sichtbar wird. 

Glatte Heilung und, soweit bis jetzt (nach 7 Wochen) zu be¬ 
urteilen, gutes funktionelles Resultat. 

Das anatomische Präparat zeigt die erwähnte braktur 
sowie Kompressionserscheinungen an der Innenseite des Talus, be¬ 
stehend in Eindrücken und bissuren der Knorpelflächen der drei Talo- 
kalkanealgelenke und des medialen Randes der Talonavikulargelenk- 
fläche, woraus sich Schlüsse auf den Entstehungsmcchamsmus der 
Verletzung ziehen lassen. 

Nähere Beschreibung und Erörterung des balles mit Repro¬ 
duktion -der Röntgenogramme erscheint in den „bortschritten auf dem 
Gebiete der Röntgenstrahlen“. 

Herr Wolf demonstriert einen ball von Makrochoille. 

Herr Schümann a. G. berichtet über zwei Fälle von Pankreas¬ 
nekrose. (Wird in einer chirurgischen Zeitschrift veröffentlicht.) 


Aerztlicher Verein zu Marburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 22 . Juli 1908. 

Vorsitzender: Herr Tuczek. 

Schriftführer: Herr Sardemann. 

Herr Dibbelt: Die Pathogenese der Rhachltis. 

Das einzige, was in der Pathologie der Rhachitis als fest¬ 
stehend gelten kann, ist, dass die Erkrankung die Kinder fast 
nur in der ersten Wadistunisperiode befällt, und dass sie sich 
vor allem in den Skeletteilen manifestiert, die im Gegensatz zu 
denen normaler Kinder reicher an Wasser, reicher an organi¬ 
scher Substanz, dagegen ärmer an Kalksalzen sind. 

Es war natürlich, dass die Forschung nach der Patho¬ 
genese dieser Krankheit von dieser Tatsache ausging und dass 
man das Wesen der Krankheit in einer Verarmung des Körpers 
an Kalksalzen suchte, die nun entweder durch verminderte 
Kalkzufuhr oder durch vennehrte Kalkaussclieidung hervor¬ 
gerufen sein konnte. 

Erst in neuerer Zeit hat man diese Ansicht, gestützt auf 
experimentelle und analytische Forschungsergebnisse mehr 
oder weniger ganz a/ufgegoben. Die Forschungsergebnisse, 
welche zu dieser Aenderung Veranlassung waren, sind vor 
allem folgende: Br uh ach er, von der Ansicht ausgehend, 
dass bei einer Kalkarmut nicht nur die Skeletteile, sondern auch 
die übrigen Bestandteile des Organismus an Kalkgehalt ver¬ 
loren haben müssten, untersuchte die Organe von gesunden und 
rhachitischen Kindern und kam zu dem überraschenden Re¬ 
sultat, dass der Kalkgehalt der Weichteile bei den Rhachitischen 
keineswegs vermindert, sondern eher sogar noch im geringen 
Grade vermehrt sei. Dies schien in der Tat, zumal Unter¬ 


suchungen, die S t o e I t z ii e r /n dem gleijieii Zwecke unter¬ 
nahm, nicht dagegen zu sprechen schienen. geeignet, d,c An¬ 
nahme, dass es sich bei der Rhachitf* um etile k ulkarn.iii 
handle, gänzlich umztisiosscn. Aber wenn wir die balle, welche 
Brubacher zur Verfügung standen, einmal kritisch be - 
trachten, so sehen wir, dass von den 8 normalen Ländern 
eigentlich mir eins, das eine totgebnrene Ku. l am bilde J«.: 
Schwangerschaft, und von den rhachitischen Kindern wiederum 
mir eins, das dritte der mitgeteilten, für die hier vorliegende 
Frage in Betracht kommen. Bei den anderen handelte es mJi 
zum I eil um balle, die sicherlich keine RhaJutis dirsteilteii. 
zum Teil ist die Di tgm.se Rhu Jntis zweiülliait und /um an¬ 
deren Teil schhesslich waren die Kinder zu alt. um ais wirk¬ 
liche Schulialle von Rhachitis gelten zu können. Verg'eiJien 
wir aber nur die beiden m BetraJit kommenden b * e. s. 
müssen wir gerade zu dem umgekehrten Schluss wie der \ er- 
tasser kommen, dass nämlich der Kalkgehalt in den W eiJite.leu 
des Körpers rhachitischer Kinder bedeutend herabgesetzt ist. 
Der zweite Grund weshalb man glaubt eine kalkarmat bei der 
Rhachitis ausschliessen zu können, war die Annahme, dass de i 
Kindern reichlich genug Kalk in der Nahrung gegeben werde. 
Wenn man aber das Kalkbedurims der Kinder im ersten Le¬ 
bensjahre berechnet, so kommt man zu dem Resultat, dass 
der Kalziumgelialt der Frauenmilch Ln Jer ersten Halite we¬ 
nigstens) in den meisten Fallen mir g..rz ungenügend das 
Bedürfnis zu decken vermag. Dies beruht darauf, d iss d.e 
Frauenmilch eine relative \ ermu; Jernug ihres k d/imrge halte-' 
höchst wahrscheinlich durch die Nahrung. weUic mit Aus¬ 
nahme der Kuhmilch ausserordeHtli Ji genüge Mengen von 
Kalzium enthält, erfahren hat. Wenn man nämlich Frauen 
kalk reiche Nahrung, v or allem viel Kuhttii! Ji. gibt, so ist der 
Kalkgehalt der von ihnen se/ermerten Müdi bctrachiiiJi Indier, 
ebenso auch bei Darreichung von anorganischen Kalk¬ 
präparaten, besonders in Verbindung mit organischen Sauren, 
so dass die von Bunge für die übrigen Saugetiere antge- 
stellten Beziehungen zwischen der Zusammensetzung der AsJic 
des Säuglings und der Milch der betreuenden Mutter auch für 
den Menschen das PhysmlogisJie darstellen dariten. und J.os 
nur unter dem buifhiss der Ernährung eine Abmihme der Kalk¬ 
salze in der Frauenmilch emgetreten ist. Die KuhmtLh enthalt 
mm zwar melir Kalksalze wie die Frauenmilch, aber die Aus¬ 
nutzung ist, wie wir aus den Stoifvv cchsclvcrsu Jien von 
C h r o n h e i m und M ii I I e r. B 1 a u b e r g u. a. w isseii. so 
schlecht, dass trotz der KalkreiJ k reu Nahrung der Säugling in 
Wahrheit noch viel geringere Mengen von Kal/mmsal/cn zu 
retinieren pflegt, w ie bei Ernährung mit der an sich kalkarmeren 
Frauenmilch. Schliesslich bei Mehlpraparaten scheinen d.e 
.Ansatzverhältnisse für das Kalzium wiederum ungünstiger zu 
sein wie bei der Kiihmilchnahnmg. So sehen wir also, dass m 
der Tat der Säugling im ersten Lebensjahre entschieden unter 
dem Einfluss eines Kalkmangels stellt und dieser wird zweifel¬ 
los ein prädisponierendes Moment von grosser Bedeutung mi¬ 
die Entstehung der RhaJutis sein. wenn diese Krankheit auch 
durch diese relativ kalkarme Nahrung allein nicht erklärt wer¬ 
den kann. 

Bisher hatten wir nur von klinisch gvsiir.däu Kindern ge¬ 
sprochen. Es erlicht sich mm die Frage, wie die Ans.it/v erhu't- 
nissc für die Kalksalze bei \ erdauimgsstorimgen sein werden. 
Es linden sich in der Literatur mehrere Angaben, d.e merk¬ 
würdigerweise Wenig Beachtung gefunden haben, uns denen 
hervorgelit. dass bei dv speptisJien /usi.mdeii b. trüJitÜJic 
Mengen Kalzium mehr mit den La/es ausges Ji.e den werden 
wie mit der Nahrung eingenommen sind (Uffelman n. Ma¬ 
gi n s k y). Auch ich selbst konnte bei einem hereä.iar-hicb* 
scheu Hru stk in Je mit dyspept.sehen. Stühlen testsivlien. dass 
täglich 2 cg CaO mehr m den Fäzes ausgesdiie Jen wurde aS 
in der Nahrung gegeben war. Da mm aber keineswegs alle 
rhachitischen Kinder dyspepiis die Zustände zu haben br.mJien. 
so erhob sich die Frage, wie weit auJn lie: ungestörten allge¬ 
meinen Verdauungsvorgängen Meningen ;:n Kalkst» »ftw echsJ 
Vorkommen können. Zu diesem Zwe.k stellte ich mit der 
gütigen Erlaubnis des Direktors der li.es, gen medizinischen 
Klinik. Herrn Professor Brauer. Mincrn’stottvveJiselver- 


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1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1857 


suche an einem Kinde an, das 2 Tage zuvor abgestillt war. 
Dieses Kind schied in den 7 Tagen des Versuches bei normalen 
allgemeinen Verdauungsvorgängen 2,7 g CaO mehr aus als es 
mit der Nahrung überhaupt eingenommen hatte, so dass also 
als erwiesen gelten kann, dass auch unabhängig von der Ver¬ 
datung organischer Substanzen Störungen des Kalkstoff¬ 
wechsels stattfinden können, die zu einer beträchtlichen Mehr¬ 
abgabe dieser Salze durch den Darm führen. Hieran knüpfte 
sich die weitere Frage, wieweit für die Entstehung der Rha¬ 
chitis Störungen des Kalkstoffwechsels verantwortlich zu 
machen sind. Es ist merkwürdigerweise nur einmal von 
Chronheim und Müller vor kurzem der Versuch ge¬ 
macht worden, diese Frage auf dem einzig möglichen Wege, 
nämlich diurch einen Kalkstoffwechselversuch zu entscheiden, 
und zwar kamen die Autoren zu dem Schluss, dass der Kalk- 
stoffweohsel bei der Rhachitis nicht gestört sei. Jedoch be¬ 
fanden sich diese Kinder unter dem Einfluss eines Wechsels 
gegenüber der früheren Nahrung und man konnte also von 
vornherein nicht sagen, w/ieweit dieser eine Aenderung in dem 
vor kurzen noch bestehenden Verhältnis hervorgerufen haben 
mochte. Mir war es hingegen möglich, ein Kind zu unter¬ 
suchen, bei dem sich unter genau der gleichen Nahrung (Butter¬ 
milch), wie sie im Versuch gegeben wurde, während der Jetzten 
2 Monate eine Rhachitis entwickelt hatte, und ich fand bei 
diesem Kinde eine Ausscheidung von 2,7 g CaO durch Kot und 
Urin während der 7 Tage des Versuches. Als man die Nah¬ 
rung wechselte und rohe Kuhmilch gab, hatte dieses Kind einen 
CaO-Ansatz von täglich 0,75 g, so dass man also sagen kann, 
dass hier kontemporär mit einer verhältnismässig enormen 
Kalkabgabe sich eine Rhachitis entwickelt hat, und dass hier¬ 
von nicht sowohl eine Unfähigkeit des Organismus die Ur¬ 
sache war, Kalksalze zu retinieren, als vielmehr Verhältnisse, 
welche durch die Nahrung geschaffen worden waren; dass bei 
einem Wechsel der Nahrung dann ein enormer Kalkansatz statt¬ 
fand, und dass, wie die klinische Beobachtung des Weiteren 
lehrte, kn Anschluss an diesen Kalkansatz eine schnelle Hei¬ 
lung der Rhachitis eintrat. Dadturoh können wir des weiteren 
als erwiesen betrachten, dass dasWesenderRhachitis 
in einer Störung des Kalkstoffwechsels be¬ 
steht. 

Therapeutisch würde man aus den Ergebnissen die 
Schlussfolgerung ziehen müssen, dass man vor allem prophy¬ 
laktisch die Rhachitis zu bekämpfen habe, indem man die 
künstliche Nahrung nach Möglichkeit auszuschalten sucht und 
indem man ferner den Kalkgehalt der Frauenmilch durch kalk¬ 
reiche Nahrung wieder auf die physiologische Norm bringt. 
Die Anwendung von Kalkpräparaten im floriden Stadium 
würde bei der darniederliegenden Funktion kaum Aussicht 
auf Erfolg haben, dagegen wird man iim Stadium der Aus¬ 
heilung diese durch Darreichung von Kalkpräparaten unter 
Umständen bedeutend beschleunigen können. Eine ausführ¬ 
liche Mitteilung wird demnächst erscheinen. 

Herr Römer: Demonstration tuberkulose-immunisierter 
Meerschweine. 

Die Demonstrationen des Vortragenden ergänzen seine Aus¬ 
führungen über spezifische Ueberempfindlichkeit und Tuberkulose- 
inrmunität, die er am 19. Mai 1908 in der Sitzung des Vereins (vgl. 
diese Wochenschr. 1908, No. 27 ) machte. In weiteren Versuchen hat 
der Vortragende wieder bestätigen können, dass man beim tuber¬ 
kulösen Meerschwein gegen nachfolgende weitere tuberkulöse In¬ 
fektionen Immunität beobachtet und speziell gab ihm ein grösserer 
systematischer Versuch Qelegenheit, genauer die Bedingungen zu 
studieren, unter denen man diese Immunität beobachtet. In der 
nachfolgenden Tabelle ist der augenblickliche Stand dieses Versuches 
eingetragen, soweit man aus dem Lokalbcfund nach der Infektion, 
aus dem allgemeinen klinischen Verhalten etc. der infizierten Meer¬ 
schweine Schlussfolgerungen ziehen kann. Der Grad der Tuber¬ 
kulose bei den verschiedenen Tieren wird durch eine kleinere oder 
grössere Anzahl von *T ausgedrückt. 0 bedeutet keine erkennbaren 
Folgen der 2. Tuberkuloseinfektion. 

(Siehe nebenstehende Tabelle.) 

Di« Tabelle demonstriert die Bedeutung der D o s i e r u n g für 
den Nachweis der Immunität, sowie die Bedeutung des Inter- 
v alles zwischen Erst- und Zweitinfektion. 

Die Demonstration der Versuchstiere dieser Serie, sowie 
Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate aus früheren 



Kontroll- 

Meerschwein 

Meerschwein 
tuberkulös 
seit 1 Jahr 

Meerschwein 
tuberkulös 
seit 6. I. 08 

Meerschwein 
tuberkulös 
seit 5. II. 08 

Meerschw. in¬ 
fiziert mit 
lebenden aber 
avirulenten Tb. 

Meerschw. in- | 
feiert mit | 
toten Tb. | 

Vioooo gr 
Schwein-Tb. 

Viooo gr 
Schwein-Tb. 

++P 

4-1 1 

0 

o — h 

0 

0 

++ 

+++ 

++4- 

+++ 



Serien illustrieren des Näheren die Ausführungen des Vortragenden, 
die an anderer Stelle ausführlicher erscheinen werden. 

Herr Bach: Ueber Gicht des Auges. 

In den letzten Jahren hatte ich wiederholt Gelegenheit 
Fälle von Augengicht zu beobachten, die mir wegen ihrer 
Seltenheit einer kurzen Mitteilung wert scheinen. 

Bei einem der von mir beobachteten Fälle kam es während 
der Uichtanfälle wiederholt zu einer zirkumskripten Hyperämie 
und Schwellung der Bindehaut und der Episklera, die nach 
mehreren Tagen wieder verschwand. 

Das gleiche beobachtete ich bei einem Falle von chronisch- 
atomscher Gicht ohne gleichzeitige stärkere anderweitige gich¬ 
tische Erscheinungen. 

Einmal war die Hyperämie von längerer Dauer und es 
kam zur Bildung eines stecknadelkopfgrossen Gichtknotens in 
der Episklera. 

In mehreren Fällen erwies sich ausschliesslich oder haupt¬ 
sächlich die Regenbogenhaut erkrankt. 

Einmal beobachtete ich eine zuerst ein- dann doppelseitige 
akute Iritis mit Blutungen in die vordere Augenkammer. 

Die Iritis rezidivierte zuerst nach längeren, dann nach 
kürzeren Intervallen und beim 4. Rezidiv, das ich beobachtete 
kam es, nachdem die Iritis einige Tage bestanden hatte, zu¬ 
nächst zu einer ringförmigen Trübung um das Zentrum der 
Hornhaut, der eine Trübung des Zentrums selbst folgte derart 
dass zunächst die hinteren Partien sich graugelblich trübten 
und erst ganz allmählich die graugelbliche Trübung sich nach 
vorn schob. Es kam schliesslich zur Defektbildung an der 
vorderen Hornhauthälfte und zur sequesterartigen Abstossung 
einer gelblichweissen Masse. Diese Beobachtung machte ich 
bei einem Falle von chronisch-atonischer Gicht. 

In einem Falle mit akuten Gichtaufällen kam es wiederholt 
gleichzeitig mit dem Auftreten des Gtichtanfalles zu dem Auf¬ 
treten einer schweren rechtsseitigen Iritis mit Hypopyon- 
öddung. 

n- beobachtete ich bei lange bestehender chronischer 

Gicht eine doppelseitige, schleichend sich entwickelnde Iritis 
zu der bei dem einen Falle sich eine chronische Entzündung 
auch der übrigen Abschnitte des Uveatraktus sowie eine eigen¬ 
artige m hohem Grade als typisch zu bezeichnende, zunächst 
periphere, Retinitis punctata albescens hinzuge¬ 
sellte. 


Die Peripherie der Netzhaut war übersät mit rundlichen, 
stecknadelkopf- bis hirsekorngrossen, glänzend weiss aus¬ 
sehenden. an Tophi erinnernden Herden. 

Die P r o g n o s e der gichtischen Erkrankungen des Auges 
.ist besonders deshalb eine etwas ungünstige, weil eine un- 
gemeine Neigung zu Rezidiven zu bestehen scheint. 

Therapeutisch hat sich mir neben der üblichen ätio¬ 
logischen und symptomatischen Behandlung lokale Wärme¬ 
anwendung bewährt. 


Aerztiicner verein München. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 1. April 1908. 

(Schluss.) 

F. M. Groedel-Bad Nauheim: Moment- und Teleröntgeno- 
graphle. 

.nno °\ und Ingenieur H o r n in der Münch, med. Wochenschr. 

1908, No. 11 mitgeteilten Versuche haben auch weiter sehr günstige 
Resultate gezeitigt. G. verwendet jetzt 220 Volt und mindestens 
Ampere und kann hierdurch mit seinem einfachen Instrumentarium 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1858 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .15. 


die Expositionszeiten noch weiter herabsetzen, so dass z. B. für ein 
Teleröntgenogramm weniger als eine Sekunde Expositionszeit be¬ 
nötigt wird, eine Magenaufnahme auf Platte ohne Verstärkungs- 
schirme weniger als % Sekunde braucht. G.demonstriert eine grössere 
Anzahl Diapositive. Mehrere Momentaufnahmen der Thoraxorgane, 
die bei fortlaufender Atmung aufgenommen sind, Aufnahmen des 
Magens und Dünn- und Dickdarms. Unter den Eernaufnahmen sind 
besonders die Fernaufnahmen in den schrägen und im frontalen 
Durchmesser interessant. G. zeigt zum Vergleich entsprechende 
Nahaufnahmen, und macht auf die korrekteren Projektionsverhältnisse 
der Fernaufnahmen aufmerksam, und die schönere Zeichnung der 
letzteren, bei denen die Schatten weniger auseinander gezogen, daher 
besser gedeckt sind. Trotzdem sei cs niemals möglich, wirklich 
exakte Masse von Fernaufnahmen abzunehmen, da die Herzränder 
immer noch nicht deutlich genug ausfallen. Die Fernaufnahmen im 
schrägen Durchmesser sind erst durch die abgekürzte Expositions¬ 
zeit möglich geworden. G. bemerkt aber, dass Dr. Köhler- Wies¬ 
baden ihm mitgeteilt hat, dass er auch schon eine Fernaufnahme im 
schrägen Durchmesser aufgenommen hat. Zum Schlüsse demonstriert 
G. eine Frontalaufnahme des Magens (Expositionszeit 1 Sekunde) und 
bemerkt, dass diese Bilder, die er früher vergebens hcrzustellen 
versucht hat, nun leicht und sicher gelingen. 

Diskussion: Herr Kästle erklärt, dass die von Herrn 
Groedel zu Anfang seines Vortrages angezogene Arbeit von 
Kästle, Rieder und Rosen thal in No. 13, 1908 der Münch, 
med. Wochenschr.: „Zur Frage der Herstellung von Momentröntgcn- 
aufnahmen** nach An- und Absicht der Autoren weder unrichtige Be¬ 
hauptungen, noch eine ungerechtfertigte Polemik gegen die Herren 
Groedel und Horn enthalte. Eine sachliche Erwiderung auf Ein¬ 
zelheiten und Vergleiche in der Arbeit von Groedel und Horn in 
No. 11, 1908 der Münch, med. Wochenschr.: „Ucbcr Röntgenmoment¬ 
aufnahmen mit den bisher gebräuchlichen Apparaten“ habe sich nicht 
umgehen lassen. Rieder und Kästle haben seit Oktober 1907. 
der Zeit, zu welcher die Versuche zu ihrer Arbeit: ..Neue Ausblicke 
auf die weitere Entwicklung der Röntgendiagnostik“ (Münch, med. 
Wochenschr. 1908, No. 8) beendet waren, in Zusammenarbeit mit 
Dr. Rosen thal weitere Fortschritte gemacht. So sei jetzt die 
Aufnahme der Brustorgane eines kräftigen 18 jährigen Mechanikers 
auf Platte ohne Verstärkungsschirm und eine Entfernung von 60 cm 
in 0,3 Sekunden möglich (gegen 1 Sekunde Groedels und Horns). 

Für Fernaufnahmen der Brustorgane (Film mit 2 Verstärkungs¬ 
schirmen) in 2 m Abstand werden *'*—1 Sekunde unter durchschnitt¬ 
lichen Verhältnissen gebraucht (gegen 2 Sekunden von Groedel 
und Horn). 

Eine Thoraxfernaufnahme eines sehr starken Mannes (Gewicht 
170 Pfund bei mittlerer Körpergrösse und einem Brustumfang von 
106% cm in Inspiration und 101 cm in Exspiration) sei in tadel¬ 
loser Beschaffenheit in 2 Sekunden erzielt worden auf 2 m Distanz 
(Film mit 2 Verstärkungsschirmen), ein Beweis dafür, dass sehr hoch- 
gestellten Anforderungen genügt werden könne. 

An dem grossen Wert der Moment- und Fern-Röntgenaufnahmen 
sei nicht zu zweifeln. Die Verzeichnung der Organe bei Aufnahme 
auf 2 m Distanz sei praktisch — auch bei grossen Herzen — 
zu vernachlässigen, wie Untersuchungen von Albers-Schön¬ 
berg. Alban Köhler und Rieder und Kästle ergeben haben, 
richtige Einstellung vorausgesetzt. Bei Herzfernaufnahmen sei im 
allgemeinen die Schärfe der Herzkonturen völlig hinreichend, um die 
Ausmessung des Herzens zu ermöglichen. Die Schärfe sei cetcr. par. 
um so grösser, je kürzer die Expositionszeit gewählt werden könne. 

Der Hauptwert der ganz kurzen Aufnahmen liege hauptsächlich 
in der Erreichung schärfster Bilder, w'ie schon früher Rieder und 
Rosen thal betont haben. Die Schärfe der Groedel sehen Bilder 
lasse sich schwerer beurteilen, weil sie als Projektionen nach Dia¬ 
positiven gezeigt wurden. Die Originalncgative hätten hier mehr 
Aufschluss gegeben. Nach den Autotypien — die natürlich auch nur 
bedingungsweise Schlüsse erlauben — liesse z. B. die Nahaufnahme 
in 1 Sekunde an Struktur, in *m Sekunden an Schärfe der Herz¬ 
kontur zu wünschen — bei welch letzterer Aufnahme die ausser¬ 
ordentliche Herabsetzung der Expositionszeit mit Hilfe zweier Ver¬ 
stärkungsschirme (um das 15 fache) auffallc. 

Die Messmethode, welche Rieder, R o s e n t h a 1 und 
Kästle zur Feststellung der Expositionszeit benützen, schildert 
Kästle folgendermassen: 

Eine mit einem in Schwarzpapier eingeschlagenen Filmstreifen 
versehene Trommel von bekanntem Umfang rotiert mit genau regu¬ 
lierbarer Geschwindigkeit hinter einem mit engem Schlitz versehenen 
Bleischirm. Die Trommel mit Bleischirm w ird so aufgeste’lt. dass die 
bildgebenden Röntgenstrahlen durch den Schlitz im Bleischirm auch 
den Film der Trommel treffen. Aus der Länge des — natürlich ent¬ 
wickelten — belichteten Filmstückes, dem Umfang und der Um¬ 
drehungsgeschwindigkeit der Trommel lässt sich die Expositionszeit 
genau berechnen; diese Methode ist selbst für wissenschaftliche 
Zwecke vollkommen einwandfrei. 

Die Kurve des Sekundärstromes — der physikalische Ausdruck 
für die Qualität der jeweils gelieferten elektrischen Ströme — sei bei 
der für Moment- und Fernaufnahmen vorgesehenen Schaltung des 


R o s e n t h a 1 sehen Induktors eine andere als bei Benützung des 
60 cm-lnduktors mit eingeteilter Sekundärspule, wohl aber veränder¬ 
licher Selbstinduktion der Pnmärspulc, unter sonst gleichen Verhält¬ 
nissen; die Amplituden seien im ersten Falle grosser. 

Ein näheres Eingehen auf weitere ph\sikalischc Details sei heute 
unmöglich. 

Von irgend welchem Defektwerden des Instrumentariums und der 
Röhren hat Kästle im Verlauf von 5 Monaten nichts beobachtet 
und auch sonst nichts gehört. Die Rohren — deren verschiedene 
Modelle benutzt werden — halten sich vorzüglich, die Rohrenschonung 
ist unbedingt grosser als früher. 

Herr R. Gras he y: In der chirurgischen Klinik sind mir d.c 
Schnellaufnahmcn bereits unentbehrlich geworden, zumal da sich 
herausgestellt hat, dass mit dem hierzu benutzten Roscnth Bi¬ 
schen Induktor und den mit sehr scharfem Brennpunkt ausgestatteten 
Iridiumrohren die für unsere Zwecke so w ichtige Bildschärfe in keiner 
Weise leidet und auch der Rohrenverbrauch ein massiger ist. Ein 
Urteil darüber abzugeben, ob die verschiedenen, zwecks Abkürzung 
der Expositionszeit konstruierten technischen Neuerungen einander 
ebenbürtig sind, erscheint mir nach dem bis jetzt vorliegenden Bäder- 
niaterial noch nicht möglich, da dasselbe zu ungleichartig und auch 
zu klein ist. 

Herr (iilmer: Als vor kurzem Rieder. Rosen thal und 
Kästle uns ein Verfahren nntteiiteti. mit dem es gelang. Moment¬ 
aufnahmen, d. h. Aufnahmen in weniger als 1 Sekunde, vorn Thorax 
anzufertigen, da mischte sich in unsere Freude aber den enormen 
Fortschritt etwas wie Trauer darüber, dass dies \ erfahren wegen 
der dazu notigen und komplizierten und kostspieligen Apparate nur 
wenigen Glücklichen. Krankenhäusern und Kliniken zugänglich sein 
werde. Diese Bedenken sind nun zerstreut, nachdem uns heute Herr 
(irodel in seinem Demonstrationsvortrag gezeigt hat. dass man 
auch auf einfachere Weise zum Ziel gelangen kann. Die Moment¬ 
bilder der Brust- und Bauchemgew eide, die er uns vorgefuhrt. Auf¬ 
nahmen in 1 m> 1 ?o Sekunden, sind wirklich ganz her \ orragend ge¬ 
lungen; speziell der Roiitgenolnge wird über die Klarheit der so un¬ 
gemein schwierigen Sagittalauinahmen des Herzens und Magens ent¬ 
zückt sein. Es ist das besondere Verdienst < i r o d e I s, uns ge/eut 
zu haben, dass man auch mit den bisher gebräuchlichen Apparaten 
guter Provenienz Bilder hersteilen kann, die jeder Kritik bezüglich 
Güte und Kurze der Expositionszeit standhalten. 

Es hat sich an die Mitteilungen Grodels in der Munch. med. 
Wochenschr. eine Polemik von Seiten der Herren R i e d e r. Ros e n - 
thal und Kästle angeknnpft, die ich nicht inr ganz gerechtfertigt 
halte. Fis haben sich darauthm beide Parteien bemüht, ihre Resul¬ 
tate bezüglich Kur/e der Exposition noch zu verbessern und sind bis 
zu 1 Sekunde gelangt. Die gewonnenen Resultate sind natürlich 
nicht streng miteinander zu vergleichen, da die Anlnahmeohieklc und 
die Versuchsanordnungen viel zu verschieden sind. Um zu ent¬ 
scheiden. wer den Sieg davon getragen, musste mit den beiden Appa¬ 
raten unter völlig gleichen Bedingungen am gleichen Patienten ge¬ 
arbeitet werden. Ich glaube schon »et/t annehmen zu können, dass 
dann der Unterschied der gewonnenen Bilder nicht gross sein wird. 
Und dabei komme ich zum springenden Punkt. Rosen thal hat 
seinen Riesemnduktor als den Apparat katexochen fnr Momentauf¬ 
nahmen bezeichnet. Das ist er icdogh nicht, denn jeder gutgebaute 
Induktor von Ü» cm Funkenlange an ist bei genügender Belastung 
imstande, dasselbe zu erreichen. Auf die Stromstärke, die wir in 
den Apparat schicken, kommt es an. auf die Belastungsuioglichkeit: 
das ist auch beim R o s c n t h a I sehen Instrumentarium die Haupt¬ 
sache, trotzdem davon merkwürdiger Weise in allen Publikationen 
nichts e r wälmt ist. Rosint Jtjt \ erreicht diese >tromstärken dirch 
einen besondeien Induktor, »irodel durch emi.tche Vergrossertmg 
der Stiltoberiläc he des W elinelM 'nterlu echers. Wer auf die Hasen¬ 
jagd geht, nimmt keine Kanone mit ich werde mich huten, einen 
neuen komplizierten Riesemnduktur um teures Geld zu Kaufe n. Wenn 
ich mit meinem gewohnten Instrumentarium ohne neue Kosten das¬ 
selbe erreichen kann. Ob bei dem neuen Ind.iikbT die lütladungs- 
kurve des sekundären Stromes eine andere, günstigere ist. mag als 
theoretische Frortenmg fnr den Phxsiker interessant sein, wir Aer/te 
können das nicht nuchpruten. als Praktiker müssen wir uns an den 
Effekt halten. Hier kann ich die Angaben Grodels vollinhaltlich 
bestätigen. Audi ich arbeite in meinem Laboratorium mit einem ge¬ 
wöhnlichen Induktor der Firma Reiniger, »iebbert und 
S c h a I I. nach den Angaben Grodels mit dreiteiligem Wehnelt und 
hohen Stromstärken Ins »><• Ampere bei 11" Volt: sowohl Apparat wie 
Rohren halten diese Belastung vorzüglich aus. Dabei verwende ich 
nicht die von R o s e n t h a 1 geforderte teure und grosse Piatm- 
Iriduimrohre. sondern eno gewohtdidie billige » nindt achrohre mit 
grossem Liseiffvlot/. la, idi mochte füll.Hinten, dass die Rohren trotz 
der hohen Ihkistühg ihr Vakuum besser halten als bei Zeitaufnahmen. 
Man kann hintereinander f* und meh r Moimemaumahncn mit der 
gleichen Rohre bei gleiehb'eü! endem Härtegrad machen, w .is für Zeit¬ 
aufnahmen ausgeschlossen ist. 

Ich habe nun versucht, die G r o d c 1 scheu Mome ntaufnahmen 
auch auf das Ariwendungsg'-bief des Chirurgen zu ' d 'trage n und 
habe dabei bemerkenswerte Resu’iate erzielt. Freidh muss man liier 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 





1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1859 


etwas länger belichten, da wir den Verstärkungsschirm wegen seiner 
leicht verschleiernden Wirkung entbehren müssen. Abgesehen von 
Aufnahmen der Extremitäten in 1—4 Sekunden, gelangen mir Schädel¬ 
aufnahmen bei Erwachsenen in beiden Ebenen in 5—10 Sekunden. 
Die Bilder lassen an Schärfe und feinster Differenzierung nichts zu 
wünschen übrig. Ich kann sie Ihnen leider heute nicht vorführen, da 
sie zum internationalen Laryngologenkongress nach Wien eingesandt 
werden. 

Ich halte diese chirurgischen Schnellaufnahmen nicht für 
Spielerei. Abgesehen von unruhigen Kindern und schmerzhaften ge¬ 
brochenen Gliedern — auch der nicht schmerzhafte Körperteil kann 
selbst bei starker Kompression und exaktester Lagerung fast nie so 
still gelegt werden, dass nicht ein unwillkürliches oder durch die 
Arterienpulsation und Atmung verursachtes leichtes Zittern die 
Schärfe des Bildes etwas beeinträchtigt. Die Moment- resp. Schnell¬ 
aufnahme wird diese Fehlerquellen vermeiden. Es wird mit der 
Röntgenphotographie ebenso gehen wie mit der gewöhnlichen Photo¬ 
graphie: das Ziel ist erst erreicht, wenn wir jeden Körperteil in 
1 Sekunde und weniger werden aufnehmen können. Unsere Appa¬ 
rate wären dazu schon jetzt imstand: man baut seit längerer Zeit 
Intensivinduktoren, deren Sekundärentladung keine Röhre gewachsen 
ist. Man schaffe eine geeignete Röhre, die derartige Stromstösse aus- 
halten kann — dann ist auch die Frage der kinematographischen 
Röntgenaufnahmen gelöst. 

Herr Sielmann: Ich habe eine grosse Zahl von Röntgeno- 
graphien, die mit dem Universalinduktor (Polyphos) angefertigt 
waren, gesehen und auch selbst mehrfach mit demselben gearbeitet, 
wobei mir die ausserordentliche Schärfe der Bilder und der Kontrast¬ 
reichtum auffielem 

Der Ansicht des Herrn Kollegen Dr. Groedel, dass die Tele- 
röntgenographie in Zukunft keine Rolle spielen werde, möchte ich 
widersprechen, insbesondere auch in Hinweis auf die Publikation 
Prof. Moritz’ in der letzten „Münchener Medizinischen“, der die 
Teleröntgenographie als Ergänzung der Orthodiagraphie gelten lässt. 
Mir ist eine derartige Aufnahme — es handelte sich um ein Aorten¬ 
aneurysma — im Gedächtnis, bei der das Orthodiagramm sich mit 
dem Teleröntgenogramm deckte. Die Anfrage des Herrn Grödel 
an Herrn Kästle bezüglich der Differenz der Exposition bei Auf¬ 
nahmen mit und ohne Verstärkungsschirme, Hesse sich vielleicht be¬ 
antworten, wenn wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, dass wir bei 
Momentaufnahmen (Thorax) mit Verstärkungsschirmen im Durch¬ 
schnitt 6 Sekunden, ohne Verstärkungsschirme die dreifache Zeit, 
plso 18 Sekunden, zu exponieren pflegen. 

Herr Held rieh erwähnt, dass Herr Spezialingenieur Horn 
neulich mit dem von Reiniger GebbertÄ Schall vor 2 Jahren 
in seiner Privatklinik aufgestellten Röntgenapparate (60 cm Funken¬ 
länge des Induktors) eine Aufnahme eines Thorax in V* Sekunde 
machte, ohne am Apparate etwas anderes geändert zu haben als die 
Wehneltregulierung. Besonders sei dabei zu bemerken, dass die 
sehr gut gelungene Aufnahme mit einer schon 4 Jahre alten 
Gundelachröhre gemacht wurde. Diese Röhre war zu anderen Auf¬ 
nahmen bereits völlig unbrauchbar. 

Herr Groedel (Schlusswort): G. bemerkt zu den Ausführungen 
Kästles: die Abkürzung der Expositionszeit durch Verstärkungs¬ 
schirme lässt sich nicht zahlenmässig angeben, da hier zu vielerlei 
Umstände in Frage kommen, wie vor allem Art der Herstellung, 
Expositionszeit, Intensität der Strahlen usw. Uebrigens wenn K. 
glaubt, dass ein Schirm 4—5 mal abkürze, so käme bei Verwendung 
von zwei Schirmen ja schon das Verhältnis 1 : 1 /io heraus. Herrn K. 
und Herrn Siel mann gegenüber bemerkt G., dass sie wahrscheinlich 
noch kein Teleröntgenogramm eines Herzkranken mit hochgradigeren 
Stauungserscheinungen in den Lungen aufgenommen haben, sonst 
könnten sie nicht behaupten, /dass der Herzrand sich immer scharf 
abhebe. Der Ausdruck des Herrn K.. dass die Erreichung grösserer 
Schärfe der einzige Zweck der Momentaufnahmen sei, sei doch zu 
weitgehend. Das Urteil des Herrn K., dass die Bilder G.s nicht so 
scharf wie seine seien, sei durch nichts bewiesen. Das Gegenteil er¬ 
scheine dem bis jetzt von K. publizierten Material nach wahrschein¬ 
lichen Auf die übrigen physikalischen Fragen will G. nicht weiter 
eingehen, um nicht zu lange die Zeit der Versammlung in Anspruch 
zu nehmen, und will nur noch eine kurze Erklärung verlesen, die sich 
gegen die vollkommen unberechtigten Angriffe der Herren Kästle, 
Rieder und Rosenthal richtet, Angriffe, die auch heute Herr 
K. wiederholt hat. Zuvor fragt G. an, ob einem der Herren aus der 
Versammlung bekannt sei, dass der neue Induktor Rosenthals 
bei starker Belastung Schaden gelitten habe. (iEs meldet sich nie¬ 
mand.) Da die vollständige Verlesung der Erklärung G.s und weitere 
Diskussion nicht gestattet wird, erklärt G„ dass er sehr bedauere, 
dass die Versammlung ihm nicht gestatte, sich gegen die unberech¬ 
tigten und unrichtigen Behauptungen K.s zu verteidigen, die sich mit 
den in der Arbeit von K. R. und R. enthaltenen decken. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Polikliriik. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. April 1908. 

Vorsitzender: Herr Fla tau. 

Herr Griinbaum demonstriert ein durch Laparotomie ge¬ 
wonnenes Präparat von Tubenruptur. Pat. kollabierte in der Sprech¬ 
stunde und musste wegen der Gefahr der inneren Verblutung ohne 
weitere Vorbereitung von der Sprechstunde weg operiert werden. 
Im Abdomen fand sich neben alten Blutklumpen iVs Liter frisches 
Blut. Das Eichen — 4 Wochen alt — lag intakt neben der Ruptur¬ 
stelle auf dem oberen Teil der Pars isthmica der Tube. Die Plazenta 
steckte zum Teil noch in der spindelförmigen Tube selbst. 

Pat. verlies« am 4. Tag post operationem das Bett und wurde 
nach 14 Tagen geheilt entlassen. 

Ferner demonstriert Herr G. ein durch Laparotomie gewonnenes 
Präparat von Tubenabort der Pars ampullaris tubae. Die Tube war 
kl ein apfelgross, im Abdomen fand sich viel altes geronnenes Blut: 
auch hier war die Indikation zur Operation eine neue innere Blutung 
trotz der Hämatocelenbildung. Pat. verliess das Bett am 2. Tag 
post operationem, am 12. Tag geheilt entlassen. Im Anschluss an 
die Demonstration bespricht Vortragender die Indikation zum opera¬ 
tiven Vorgehen bei Tubenaborten und Tubargraviditäten und ver¬ 
teidigt den Standpunkt, dass ln jedem Fall, wo eine extrauterine 
Gravidität diagnostiziert wird, auch zur Operation geschritten wer¬ 
den sollte. 

Herr Fla tau spricht über Anwendung der Bi ersehen Saug- 
theraoie In der Gynäkologie. 

Gegenüber dem Heer chronischer Beschwerden, die dem Gynäko¬ 
logen täglich entgegentreten und gegenüber den relativ wenigen und 
monotonen therapeutischen Massnahmen insbesondere für die ambu¬ 
lante Behandlung, ist es nur zu begreiflich, dass man versucht und 
verpflichtet ist, neue Ideen auch für das Spezialgebiet fruchtbar zu 
machen. 

Es soll deswegen nicht davon die Rede sein, dass man selbst¬ 
verständlich Furunkel. Abszesse, Drüsenerkrankurtgen etc. ebenso 
wie an anderen Oberflächengebieten des Körpers nach Bierschen 
Grundsätzen bekämpfen kann, sondern ob es möglich und nützlich ist, 
chronische Erkrankungen der inneren Genitalien vermittels einer 
hyperämisierenden Saugung zu beeinflussen. Die Portio uteri ist d»e 
gegebene Angriffsfläche. Und zylinderartige Instrumente, die in die 
Vagina eingeführt die Portio umfassten und an* ihrem distalen Ende 
mit einer Luftpumpe versehen waren, kamen bald genug in An¬ 
wendung. Die chronische Metro-Endometritis in allen (übrigens 
pathologisch-anatomisch ungenügend geklärten) Formen wurde mit 
Saugung behandelt. Nach der entsprechenden Luftverdünnung konnte 
man die raschen Folgen an der Portio schön beobachten: das Organ 
wurde tief in den Glaszylinder hinabgezogen, seine Färbung wurde 
livid, aus dem Muttermund quollen grössere Mengen von Uterus- 
sekret. Bei Erosionen der Portio konnte man öfter eine serös-blutige 
Absonderung bemerken. Länger als 10 Minuten wurde die ganze Pro¬ 
zedur nicht vorgenommen. Sie musste in einer sehr zahlreichen 
Reihe von Fällen schon eher abgebrochen werden, da die Kranken 
über Schmerzen klagten. Zum Teil über krampfartige Zusammen¬ 
ziehungen, zum Teil ein schmerzhaftes Ziehen, das im ganzen Unter¬ 
bauch verspürt wurde. Jedenfalls müssen diese Beschwerden sehr 
intensiv gewesen sein, denn ein Teil der Kranken verweigerte die 
Anwendung der Saugbehandlung. Und auch der Referent hat sie 
gern aufgegeben, da auch nicht in einem Fall eine gün¬ 
stige Wirkung der Saugung einwandfrei fest- 
zustellen war. 

Auch der naheliegende Gedanke, bei hypoplastischen Verände¬ 
rungen der Genitalien (InfantMismus) mit Amenorrhoe und Oligomenor¬ 
rhoe einen Versuch mit der Hyperämie zu machen, führte zu keinem 
positiven Resultat 

Eine ganz andere, originelle Anwendungsart der Saugglockc hat 
auf Grund einer interessanten Gedankenreihe P ol a n o - Würzburg 
vorgeschlagen: nämlich die Beeinflussung der Genitalien von der 
Brustdrüse aus. Der Referent hat dieses Verfahren bei einer ganzen 
Reihe von Dysmenorrhoe zur Anwendung gebracht. Und 
zwar, um möglichst einspruchslose Fälle zu haben, lediglich bei jung¬ 
fräulichen Individuen. Also bei dem Symptomenkomplex, den wir 
idiopathische Dysmenorrhöe nennen können, bei intakten Virginibus, 
bei denen jede andere Ursache der Dysmenorrhöe (Endometritis, 
Metritis, Salpingitis, die Beckenbauchfellerkrankungen etc.) im all¬ 
gemeinen ausgeschlossen werden kann. Und die gerade deswegen 
so oft eine Crux auch für den Arzt werden können, weif ihm jede 
direkte Einwirkung unmöglich gemacht ist. Es wurden die Versuche 
so angeordnet, dass je 4. 5 Tage vor dem Menstruationstermin 
2 B i e r sehe Glocken an den Brustwarzenhof gelegt und meistens 
eine halbe Stunde daran gelassen wurden. Auch hierbei klagten die 
Mädchen anfänglich über ein starkes Ziehen, das jedoch im Laufe der 
ersten 5 Minuten nachzulassen pflegte. Die Resultate waren über 
alle Erwartungen günstig. Bei den meisten der Mädchen traten die 
Menses beschwerdefrei auf. j Eine Dauerwirkung konnte nicht be¬ 
obachtet« werden; die meisten Patientinnen verlangten auch spontan 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




1860 


MUF.NCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N'*. 3s. 


die Anlegung der Glocke wieder und setzten sich seihst bald in den 
Besitz des kleinen Instruments. Ein Nachteil konnte niemu’s kon¬ 
statiert werden. ■ Nur in einem Fall (unter etwa 2u bisher), einer 
31jährigen Virgo, konnte der Referent nach einer auifä! bgen Aer.dc- 
rung der Gesichtsfärbung und des Ausdrucks aus dem Mädchen d e 
Beichte ziehen, dass durch die Saugung an den Warzen starke 
erotische Empfindungen ausgelost wurden. Immerhin wird 
auf diesen heiklen Punkt zu achten sein. Der Referent et sich kl ir. 
dass.eine suggestive Wirkung eventuell nicht ausgeschlossen wer¬ 
den kann, wenn er selbst dieses Moment zu unterdrücken möglichst 
versucht hat, aber bei der Armut unserer Hilfsmittel gegenüber der 
Dysmenorrhoea virginum kann der Versuch mit der H i e r scheu 
Glocke nur empfohlen werden. (Selbstbericht.) 

Diskussion: Herr G r ii n b a u m bestätigt die geringen Er¬ 
folge bei der Saugtherapie der Portio; mit der T h u r a n scheji 
Methode könne man bei Endometritis chronica, wenn der Arzt und 
die Patientin die nötige Geduld haben, momentane Erfolge erzielen, 
die aber oft nicht von langer Dauer sind. Schmerzen sind zu ver¬ 
meiden, wenn man nur geringen Druck zur Anwendung bringt. 

Betreff das Saugverfahren der Brüste bei Dvsmeiiorrhoe sei be¬ 
merkt, dass theoretisch eine Beeinflussung der Ovarien, deren Punk¬ 
tion fiir gewisse Formen von Dysmenorrhöe ätiologisch in Betracht 
kommt, durch die Brüste möglich ist. He gar hat schon ls7s eine 
bestimmte Korrelation zw ischen Mamma und Ovarium nachgew iesen, 
und dies ist durch neuere Arbeiten auf diesem Gebiete bestätigt. 
Vortr. selbst konnte durch methodische l'ntersuchüi.ig der Brüste nach 
Kastration beim Menschen feststellen, dass der plötzliche Wegfall 
der inneren Sekretion des Ovariums erregend auf die Brustdrüse ein¬ 
wirkt, indem selbst bei alten Null iprir is Milchseki etion ausgelost wird. 

Beim Saugen der Brust nach dem Polanoscheti Verfahren 
wird umgekehrt ein Einfluss von der Brust auf das Ovarium aus¬ 
geübt. 

Herr .Frankenburger: Bemerkungen über die thera¬ 
peutische Verwendbarkeit des Spirosal. 

Spirosal — Monosalizylsäureester des Aethylenglvkols -von 
Friedr. Bayer <5c Cie. hergestellt, hat der Vortragende seit fast einem 
Jahre in einer grossen Versuchsreihe erprobt und a's sehr gutes 
Mittel befunden. Es kommt in der W irkung dem Mesotan nahe, ohne 
aber dessen hautreizende Wirkung zu äusseru. 

Günstige Erfahrungen wurden bisher aus Ofen-Pest von 
Schönheim (W'iener med. Presse 1 ( o7, No. J(>) und aus Bethanien- 
Berlin von Garde m i n (D. med. Wochenschr. 10117 . No. Jö) be¬ 
richtet. Diesen schliesst sich der Vortr. am Sowohl bei akuten Ge¬ 
lenkrheumatismen als bei den chronischen Bormen. besonders aber 
bei Muskelrhemmatismen, Lumbago waren die Erfolge günstige. Sehr 
bemerkensw'ert ist auch ein Ball von <icleuksclimerzen bei Tabes 
dorsalis gewesen, in welchem keines der angewandten inneren utfoi 
äusseren Mittel mit dem Spirosal sieh an Erfolg messen konnte. 
Irgendwelche Nebenwirkungen — weder Salizv! Wirkungen noch 
andere — wurden nicht beobachtet. Das Präparat ist fast geruchlos. 
Es wurde teils nur eingerieben, teils aufgepinselt und mit undurch¬ 
lässigem Verbände bedeckt, unter welchem es zur völligen Auf¬ 
saugung gelangte. Der IJebergang von Salizvl in den Harn wurde 
mehrfach nachgeprüft. Vortr. hat das Mittel zuerst rein, später ver¬ 
dünnt mit Spiritus reetif. (1 :2 oder.P verwendet und auch von der 
alkoholischen Lösung gute Erfolge gehabt. Der Preis von 1 1 » g Spi¬ 
rosal beträgt M. 1.55; verdünnt mit Alkohol ln :3o (Gesamtpreis des 
Rezeptes M. 2) würde diese Menge fiir 2 3 Tage eeiiiivcii. Das 
Mittel ist also wohl teurer als andere Einreibungsmittel, dafür aber 
auch wirksamer und zwar nicht nur durch Suggestion. 

Für alle Fälle, in welchen innere Darreichung von SalizvI- 
präparaten untunlich oder undurchführbar ist. empfiehlt Vortr. an 
Stelle des Mesotan dieses Präparat zu versuchen. 

Versagt haben nur einige wenige Bälle von akutem Gelenk¬ 
rheumatismus, in welchen man ohne innere Darreichung nicht aus- 
kommen konnte; von den chronischen Gelenkaffektionen hat 
nur 1 Ball versagt; von den Muskelrheumatismen keiner. 

Herr He Inf ein gibt einen kurzen Abriss des heutigen Standes 
der Lehre vom Hallux valgus und demonstriert anschliessend ein von 
einem 78 jähr. Manne herrührendes Ecielienpräparat. w elches die 
diesem Leiden entsprechenden Veränderungen in teilweise charak¬ 
teristischem Ansehen zur Anschauung bringt, so die sogen. Sagittal- 
furehe He ubaclis; an Stelle der äusseren Seitenbandinsertion im 
Bereich des Köpfchens des I. Metatarsalknoclien findet sich eine 
flache, mit zahlreichen warzigen Osteophyten bedeckte Hervorrugung. 
sonst überwiegen im Bereich der Synovialis und der knorpeligen Ge¬ 
lenkflächen die Vorgänge des Schwundes. 


Aus den französischen medizinischen Gesellschaften. 

Soci6t6 mgdlcale des höpltaux. 

Sitzung vom 26. J uni 191 iS. 

Behandlung des Lupus mit Skarlfikatlonen und Hochfrcqucnzstrümen. 
^-Zimmern und O au c li e r besprechen die Resultate, welche 
[j^RUt einigen Monaten mit kombinierter Anwendung linearer skari- 



fikationen. denen unmitte'bar dm AnpIikaGon von Hochfreuuenz- 
strörnen lügt, erzielt haben. Sie waren überrascht von der raschen 
Wirkung dieser Behandlung und dem erzielten kosmetischen Re¬ 
sultate. Nachdem sie ursprünglich dnse Therapie nur bei ervthema- 
tosem und tuberkulösem Lupus angewandt hatten, dehnten sie die¬ 
selbe weiter auf alle lläiituifektioiieu aus. wo die Methode der Skari- 
fikationen allein bis jetzt angewandt wurde, lind auf alle t<*rmdeu 
pliagedämschen Schanker- und sv plolitisc 1 • 111 Gesdiw ure. welche der 
gewöhnlichen Behandlung trnt/tui. Berichterstatter werden 111 einer 
späteren Arbeit ihre bezüglichen Inst.•!-.gisglien und pathologisdt- 
ai lato mischen l 11 tersuc Innige 11 v er ofentiic lien. 

Sitzung v o rn 21. u n d .< 0 . M a 1 1‘* s. 

lieber den spezifischen Wert der Ophlhalmodiagnose durch Tuber¬ 
kulin. 

A. C a I in e t t e und C. (iuerin haben die Versuche B. Ar- 
I o i n g s, welcher fand, d iss Kaninchen, mit verschiedenen Giften «des 
I \ pliiish izillus, der I hphlher ie, mit staplivh >k> »kkeugit: 1 geimpft und 
gegen I etaiuis oder Diphtherie immunisier te Pur de eine p<»sn,\e 
Reakfi.m bei Instillation einer geringen Menge 1 über k ;n:iis in das 
Auge zeigten, nadigepniit. Bei I \ pkusnikkmm (naturiidier o, it r 
experimenteller) verursacht zweifeli-s nie Iristniati-.n Von Tuber¬ 
kulin m das Auge ziemlich häufig p«: 1 \ g- Reaktionen; aber dieselben 
sind viel weniger intensiv und auh.du ml als bei I ube r kid-.se. Aber 
was die anderen Infektionen oder Intoxikationen betrifft formt >:.i- 
pliv lokokheii. Pest. Diph'lmnr, l< T.inus). so ge lang es L. und < i. 
niemals auch nur die Spur einer Augenreaktion beim Kaninchen lur- 
yor/uriUeu. Andererseits haben sie bei mehreren Hunderten von 
Kranken, Erw acliseuen oder Kindern, und bei einer grossen \nz4l1i 
Von Kindern, die Seit mehr als einem latir der (tpbffbiimodiugnnxe 
unterworfen worden sind, stets eine negative Reaktion geluiiden. 
wenn es sich um mehttuberkniose Auktionen har de te. \of kurze"'! 
"och haben C. und G, 23 Pterde. Wovon s gegen Tetanus und 

I * 1 [>i 11 1 1 er 1 e* immunisiert sind, der 5 pn*/. J uber ku'inmsti’f.itton unter¬ 
zogen und es zeigte sich weder bei diesen mm. ii den 7 md't Vor¬ 
beilande! teil I leren die geringste Reaktion. Eine sJimic, deiit.idic 
Reaktion war nur bei den tuberkulösen I leren zu konstatieren. I m 
diese Etage der spezifischen Tube r kuimr e.ikti -n. welche lUridit- 
erstatter vorläufig nogfi iur eine 1111 positiven Sinne gelöste h.i ien. 
definitiv zu entscheiden, hallen sie mmieihin m-di weitere Inler- 

sucliungen tur notig. 

Mechanismus der Atoxylw Irkung bei der experimentellen S>philis. 

E e v a d 1 t i und T. V a m a n o u c h i prüften die I'rgebmsse v-m 

Ihlen h 11 t h. H o f f m a n n und W e 1 d a n z. w eldie zuerst die 

präventive Wirkung des Atovvls bei dir e\pe t imente den Sv phms des 
Kaninchens festgest- llt haben, nadi mul fanden iluui Aug iben voll¬ 
ständig bestätigt. Die Mikroorganismen (Spirochätent w erden dii'di 
die Atoxv Iiniektiop ( 11.25 g) /-et stört, aber mdit durch die 'I atigkeit 
der Pliagozv teil, sondern unter dem Emflusse irgend einer lusbdieit 
Substanz. I.. und V. haben in der lat keinerlei ausgesiuodu ne 
Phago/v tosebilduug wahritehmeu können. Das Ato\\I verhütet a so 
mul heilt die sv phihtisdie Keratitis des Kaninchens, es /erst nt voll¬ 
ständig die Smrodi.iten. aber rndit direkt, sondern du?dl die ver¬ 
mittelnde Tätigkeit des Organismus. 

C. E e v a d i t i und T. V a tu tiinuidii gelang audt die l'ehcr- 
impfung der Syphilis auf das Präputium des Kaninchens 1 vermittelst 
eines von Berta reih bezogenen Stückchens. \..n experimeitte'ler 
Sv philis stammender Hornhaut), wahrend die l eher irnpmng aut die 
äussere Haut (Glu) des Kaninchens bis jetzt nie 111 gelungen ist. 
Diesen Filterte lned der Wirkung aut Haut und Sdilt imliaut erklären 
sie damit, dass die \ askularisatiou des implantier u »1 Stückes Kornea 
sich rascher m der Mukosa der Genitalien als in der Haut des (»Ines 
vollzieht; im ersteren Balle vidiert der l mstand. dass das zur Rem- 
Kultur der Spirochäten notwendige Nähr m.iter lai Ki-ebr adit wird, 
leichter deren Vermehrung. 

Sitzung v o m 13 . .1 11 n i 1'ms 

Die Möglichkeit einer Todesvorhersaee bei Paralvtikern durch die 
l ntersuchung des Blutdruckes. 

V a s c Ii i d e und Rav rtiond M e 11 n 1 e r «ändert m s ballen von 
aUgemeiner Paralvse (ö Männer und 2 Irjiun». dass einige G«‘ _’) 

l äge Vor dem I plötzlich und m konstanter Werne der Blutdruck 
gesunken ist. Diese \ ei minder 11mg des lV11t.l1 ud es ist emc beträcht¬ 
liche (ca. 3 n mm Gute ksi.l'er) und gä ic hmassige. so\\.,ri| an der 
Tempor id is. wie Radialis. links wie rechts \ k omme nd • sie ist un¬ 
abhängig von jeder Art ammhd tm amen Insults. Ihoir verminderte 
Pduiifriu k seinen Berichterstattern un ausge^pr o v hern. s Zeichen eles 
nahen Jodes zu sein und e’ha’eu *->e damit, dass bei a l.ememer 
Parah se der J od mit ior tsdi- eit«, n T r \ cr.ffoüge: ting der I : regbarkeit 
der v asotuotoi iMjlrtü Zentren e; f .ft. St. 


OriginBl fro-rri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1861 


76. Jahresversammlung der British Medical Association 
in Sheffield 

vom 29. bis 31. Juli 1908. 

Die Verhandlungen wurden eröffnet durch eine Rede des 
Präsidenten Simeon Sn eil (Sheffield), in welcher der bekannte 
Augenarzt einen Ueberblick über die Entwicklung der Sheffield School 
of Medicine gab, die den Ausgangspunkt der jetzt blühenden Uni¬ 
versität bildete. Er sprach dann über das grosse Interesse, das man 
seit langer Zeit in Sheffield dem Studium der Oewerbekrankheiten 
gewidmet hat und erwähnte seine eigenen Untersuchungen über das 
Zustandekommen des Nystagmus der Grubenarbeiter. Nicht das 
schlechte Licht, sondern die bei gewissen Arbeiten nötige Haltung 
(halb liegend mit nach oben gewendetem Gesicht) ist die Ursache 
des 1 'Nystagmus. Vor allem kommt in Betracht die dadurch hervor¬ 
gerufene Ermüdung der Elevatoren des Auges. Der Nystagmus ist 
für den Grubenarbeiter von ähnlicher Gefahr wie die Farbenblind¬ 
heit für Eisenbahnangestellte und Seeleute. Der Nystagmus ver¬ 
hindert nämlich den Minenarbeiter die blaue „Kappe 4 zu sehen, die 
sich bei der Anwesenheit von Grubengas über der Flamme der 
Sicherheitslampe bildet und es sind häufig dadurch Unglücksfälle vor¬ 
gekommen. Alle sogenannten „deputies“, denen die Kontrolle der 
Lampe obliegt, sollien in legelmässigen Zwischenräumen auf das Vor¬ 
handensein von Nystagmus untersucht werden. 

Die Sektion für innere Medizin wurde von James Kingston 
Fowler- London mit einer Ansprache über moderne Medizin 
eröffnet. 

Redner spricht ausführlich über die von W r i g h t und seiner 
Schule aufgestellte Opsonintheorie und mahnt zu vorurteilsfreiem 
Studium dieser neuen Vakzinetherapie, die sich ihm in vielen Fällen 
gut gewährt hat. Von grosser Bedeutung ist die Autoinokulation der 
Kranken, von der man z. B. bei der Lungenphthise mit grossem Vor¬ 
teil Gebrauch gemacht hat. In dem F r i m 1 e y Sanatorium des 
Bromptom Hospitales liess man nämlich alle Phthisiker sorgfältig 
abgestufte Arbeit leisten; die Kranken begannen mit dem Tragen 
kleiner Lasten, und endeten mit schwerer Erdarbeit mit Schaufel und 
Hacke. Sie bauten in 3 Jahren ein Wasserreservoir von 108 Fuss 
Länge, 58 Fuss Breite und 13 1 /* Fuss Tiefe und gruben zu diesem 
Zwecke 4175 Tonnen Erde aus, die sie dann fortschafften; von 344 
Kranken, die während 2VSs Jahren an diesem Bau beschäftigt waren 
sind 253 heute imstande, durch schwere Arbeit ihren Lebensunterhalt 
zu erwerben; 9 sind ausser Arbeit, 8 sind gestorben und 74 haben 
nichts von sich hören lassen. Diese graduierte Arbeit hilft nicht nur 
zur Heilung der Krankheit, sondern sie macht kräftige Männer aus 
Schwächlingen. Genaue Kontrolle der opsonischen Indizes dieser 
Patienten ergab, dass während der Arbeit der Index über die Norm 
lieraufging. Es unterliegt für Redner keinem Zweifel, dass diese 
schwere körperliche Arbeit zu einer genau zu kontrollierenden 
Autoinokulation des Individuums mit Tuberkulin führt, die wesentlich 
zur Heilung beiträgt. Nur in 2 Fällen führte Uebermüdung (die 
Kranken arbeiteten mehr als ihnen vorgeschrieben war) zu vorüber¬ 
gehendem Kopfschmerz, Appetitmangel und leichtem Fieber mit Auf¬ 
treten einer negativen Phase des opsonischen Index. Es genügt bei 
afebrilen Fällen eine genaue klinische Ueberwachung der arbeiten¬ 
den Kranken, regelmässige Untersuchung des opsonischen Index ist 
nicht unbedingt nötig. Ferner berichtet Redner über erfolgreiche 
Tuberkulinverabreichung per os. Das T. R. wird in langsam steigen¬ 
den Dosen zusammen mit Serum oder normaler Salzlösung auf 
nüchternen Magen genommen und übt eine deutliche günstige 
Wirkung auf die Temperatur der Phthisiker aus. 

Dann eröffnete Osler- Oxford eine Diskussion über MIlz- 
vergrösserung mit Ausschluss der Leukämie. Er unterscheidet 1. die 
Mliizvergrösserungen bei rachitischen und an Amyloid leidenden 
Kindern; 2. die Splenomegalie chronischer Infektionskrankheiten wie 
Syphilis, Malaria, Tuberkulose, Hodgkin etc.; 3. die durch primäre 
Erkrankung der blutbildenden Organe verursachten Spleno¬ 
megalien — Leukämie, Chlorose, perniziöse Anämie. Poly- 
cythaemia splenomegalica; 4. die Splenomegalien bei den ver¬ 
schiedenen Formen der Leberzirrhose; 5. hereditäre und fami¬ 
liäre Milzvergrösserung; den angeborenen acholurischen Ikterus mit 
Splenomegalie und die familiäre Form der Splenomegalie bei 
Zwergen; 6. maligne Geschwülste, wie das infiltrierende Sarkom und 
das von G a u c h e r beschriebene Endotheliom; 7. eine Reihe von 
Fällen, die sich noch nirgends einreihen lassen wie z. B. die Spleno¬ 
megalie bei Anämie, die B a n t i sehe Krankheit u. a. m. 

Bouchard - Paris sprach über das von ihm beschriebene 
Blasegeräusch in der vergrösserten Milz. Man findet dabei deutliche 
systolische Expansion der Arterien, ja selbst Kapillarpuls ohne 
Zeichen von Aorteninsuffizienz. Bei den zirrhotischen Fällen sieht 
man häufig Nävi und schwere innere Blutungen. Therapeutisch sah 
er oft grossen Nutzen durch die innere Anwendung des Kalomel. 

Saundby - Birmingham glaubt, dass neben der Leukämie 
Lymphadenom, Herzkrankheiten und Leberzirrhose am häufigsten zur 
Splenomegalie führen. Er spricht ausführlicher über in mehreren 
Generationen derselben Familie vorkommende Fälle von Spleno¬ 


megalie mit Ikterus, die er von der B a n t i sehen Krankheit 
trennen will. 

Gibson-Edinburgh sprach besonders über die Polycythaemia 
splenomegalica; er glaubt nicht, dass diese Krankheit auf Zirkulations¬ 
störungen beruht, in einem seiner Fälle trat 2 Mal durch Röntgen¬ 
strahlen Besserung ein, die beim zweiten Male mehr als 2 Jahre an- 
hielt; dann wurde die Milz grösser als je zuvor. Statt 4Vz Millionen 
zählte man über 12 Millionen rote Blutkörperchen, 120 statt 87 Proz. 
Hämoglobin und 30000 statt 10 000 Leukozyten. Die Viskosität und 
Koagulabilität des Blutes war auf das Doppelte gestiegen. Mau ent¬ 
fernte durch eine Operation etwas Knochenmark aus der Tibia und 
fand grosse Erweiterung der ßluträumc; starke Verminderung der 
Myelozyten, Vermehrung der gekernten und voll ausgebildeten roten 
Zellen; Anhäufungen kleiner Zellen unbekannter Herkunft (Lympho¬ 
zyten oder kleine gekernte rote Zellen). Im ganzen deutete alles auf 
eine primäre Veränderung im Knochenmark als hervorragende Ur¬ 
sache in der Entstehung des Krankheitsbildes hin. 

Rolleston -London sprach über die chronische Splenomegalie 
der Erwachsenen, die er ads bestimmtes klinisches Bild aber nicht als 
einheitliche Krankheit auffassen will, da man bei der Sektion ver¬ 
schiedenes findet. In einer Reihe von Fällen findet man ausge¬ 
sprochene Fibrosität und beträchtliche Wucherung des Endothels, 
bei anderen (Gauchers Typus) Endothelwucherungen, die als 
primäre Neubildung nicht maligner Natur aufzufassen sind. Als 
Ban tische Krankheit bezeichnet er die Fälle terminaler Zirrhose 
bei chronischer Anaemia splenica. Milzvergrösserungen bei Herz¬ 
krankheiten (mit Ausnahme der ulzerösen Endokarditis) beruhen auf 
Embolien; Stauung allein erzeugt keine Vergrösserung. Während er 
früher häufiger Fälle von chronischer Splenomegalie zur Operation 
geschickt hat, ist er davon zturiiekgekommen, weil die Gefahren der 
sekundären Blutung zu gross sdnd. Bei den mit Ikterus verbundenen 
Fällen spielt Infektion und chronische Cholangitis sicherlich eine be¬ 
deutende Rolle. 

Robert H u t c.h i s o n - London glaubt, dass bei Kindern die 
Pseudoleukämie am häufigsten zur Milzvergrösserung Anlass gibt. 
Rachitis gibt nie, Syphilis nicht so häufig wie man annimmt Anlafes 
zur Splenomegalie. Bei älteren Kindern findet man nicht selten Fälle, 
die unter dem Bilde der rapid verlaufenden B a n t i sehen Krankheit 
verlaufen. 

Osler im Schlusswort betont die Seltenheit mit der die Milz 
allein bei Lymphadenoma ergriffen ist; in allen Fällen, die er sah, 
waren gleichzeitig die Drüsen erkrankt. 

Dann eröffnete Newton Pitt- London eine Diskussion über die 
Aetlologie der degeneratlven Veränderungen der Aorta. Atheroma 
und Arteriosklerose sind zwei ganz verschiedene Erkrankungen- Die 
Aorta kann gesund sein bei schwer atheromatösen peripheren Ge- 
fässen und vica versa. Fieberzustände führen oft zu atheromatösen 
Veränderungen der Aorta, ebenso hoher Blutdruck und Ueberan- 
strengung; immerhin ist mehr als die Hälite der Fälle von Atherom 
nicht mit Hypertrophie des Herzens verbunden. Atherom der.Pul¬ 
monalarterie findet man nur bei Erhöhung des Druckes in den 
Lungengefässen (z. B. bei Mitralstenose). Redner glaubt, dass die 
Veränderungen in der Intima als Schutzmassregel aufzufassen sind.. 
Das höhere Alter an sich hat nichts mit der Enstehung des Atheroms 
zu tun, je älter der Mensch wird, um so mehr Gelegenheit hat er t zu 
Infektionen. Sehr früh auftretendes Atherom ist eine Folge der ange¬ 
borenen Syphilis. Die Syphilis und nicht das Atherom geben Anlass 
zur Enstehung von Aneurysmen. Sitzende Lebensweise, toxische 
Einflüsse, Gicht etc. haben unleugbar einen grossen Einfluss auf die 
Entstehung des Atheroms. 

B oii cha r d-Paris fand bei 4000 Herzkranken 83 mal Angina 
pectoris, 12 von diesen waren sicher luetisch. Bei 261 Syphilitischen 
12 Fälle von Angina (4,5 Proz.); bei3739 Nichtsyphilitischen nur 71 
Fälle (weniger als 2 Proz.). Von den 71 zeigten 38 Spuren von Er¬ 
krankungen der Aorta. Die syphilitischen Erkrankungen der grossen 
Arterien werden durch Quecksilbereinspritzungen gu t beeinflusst. 

Sir Lauder Brun ton - London hat gefunden, dass Adrenalin, 
Barium, Digitalis und Tabak den Blutdruck steigern und zu Er¬ 
krankungen der Aorta führen. Man muss deshalb den Blutdruck 
niedrig halten. In Indien ist der Blutdruck im allgemeinen niedriger, 
in Kanada höher als in England. Er gibt älteren Leuten eine Mischung 
von Nitraten und Nitriten und setzt dadurch den Blutdruck herab. 
Ausserdem gibt er Jodkali und salinische Abführmittel. Er glaubt, 
dass diese Mittel das Leben verlängern. Sir James Barr- Liverpool 
glaubt, dass es besonders intermittierende Ueberanstrengungen sind, 
die das Atherom verursachen. R u s s e 1 - Edinburgh glaubt an einen 
infektiösen Ursprung des Atheroms. Osler- Oxford glaubt, dass der 
Blutdruck in England höher ist als in Kanada; Aortenveränderungen 
werden hauptsächlich durch die Syphilis verursacht; sie erzeugt 
Aorteninsuffizienz; Angina pectoris und Aneurysmen bei jungen 
Leuten, letzteres durch einen Riss in der Intima bei plötzlichen An¬ 
strengungen. Das Aneurysma der älteren Leute beruht auf athero¬ 
matösen Veränderungen. Sir John B r o a t b e n t - London glaubt, 
dass Aneurysmen sowohl durch Syphilis, als durch inter¬ 
mittierende Ueberanstrengungen hervorgerufen werden. Auffallend 
ist die Seltenheit degenerativer Veränderungen in der Aorta 
bei chronischer interstitieller Nephritis. Von grosser Bedeu- 


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18 62 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38 


tung ist die syphilitische Entarteriitis der Vasa vasorum, wodurch 
die am weitesten entfernte Intima zuerst geschädigt wird. 

Pitt im Schlusswort hebt noch hervor, dass Pflanzenfresser 
viel mehr an Aneurysmen leiden als Fleischfresser. Es zeigt dies 
den Wert stickstoffreicher Nahrung. 

R u s s e 11 - Edinburgh sprach dann Uber den Einfluss der Ar- 
terienwand bei klinisch-manometrischer Bestimmung des Blutdruckes. 
Er zeigte, dass eine verdickte Oefässwand abnorm hohe mano¬ 
metrische Zahlen gibt. 

Otto Qrönbaum und W. O. Pitt- London sprachen über die 
Prophylaxe der Pleuraverwachsungen nach Entzündungen. Ver¬ 
wachsungen der Pleurablätter führen zu mangelhafter Durchlüftung 
besonders der Lungenspitzen. Sowohl beim Fier wie beim Menschen 
gelang es ihnen durch Injektionen flüssigen Paraffins in den Pleura¬ 
sack Verwachsungen nach Pleuritis, ja selbst nach Empyem zu ver¬ 
hüten. Sir James Barr hat die Methode seit mehreren Jahren mit 
Erfolg angewandt. Er injiziert gleichzeitig Luft. 

Es folgte ein Vortrag von Hort-Torquay über die Behandlung 
der Magen- und Duodenalgeschwüre mit normalem Serum und dessen 
Derivaten. Redner glaubt, dass das runde Magengeschwür nur als 
lokales Symptom einer bisher noch unbekannten Krankheit aui/.u- 
fassen ist. Die beste Behandlung besteht in der Verabreichung nor¬ 
malen Serums per os. Man kann bei dieser Methode getrost kräftige 
Nahrung reichen und dem Blute dadurch die dem Körper so notigen 
antitryptischen Stoffe zuführen. Man kann den therapeutischen Wert 
eines Serums leicht prüfen, indem man Wunden damit verbindet und 
die Heilwirkung beobachtet. Verf. erzielte bei 15i) Fällen (darunter 
25 Magengeschwüre) verschiedener Krankheiten, bei denen Autolysis 
eine Rolle spielte, vorzügliche Erfolge. Die Magengeschwüre heilten 
innerhalb von 6 Wochen bei Vermeidung einer sogen. Llcusdiät ab. 

Dann sprach Nathan R a w - Liverpool über Tuberkulose von 
menschlichem und bovinem Ursprung und über die Tuberkulinbehand¬ 
lung. Er führt seine schon früher veröffentlichten Ansichten über 
die Entstehung der Lungenphthise und der sogen, chirurgischen Tu¬ 
berkulosen näher aus und gab die Resultate seiner Untersuchungen 
von 560U Fällen. Die verschiedenen Formen der Tuberkulose müssen 
mit verschiedenen Arten von Tuberkulin behandelt werden; die 
Lungenphthise mit bovinem, die chirurgische Tuberkulose mit hu¬ 
manem Tuberkulin, die beiden Formen der Bazillen hält er für anta¬ 
gonistisch. 

P r a 11 - Baltimore sprach über die Sanatoriumsbehandlung der 
Tuberkulösen, Squire -London über exokardische und kardio- 
respiratorische Geräusche, B r 1 n d I e y - J a m e s - London über die 
Ischiasbehandlung mit Iniektionen. Er verwendet eine 20 Zoll lange 
Nadel und beginnt mit Injektionen von 5 Tropfen Schwefeläther mit 
2 Tropfen einer 5proz. Kokaion- oder d Tropfen einer 1 proz. Mor¬ 
phiumlösung. Der Nerv ist nur dann getroffen, wenn der Kranke bei 
der Einspritzung blitzartig das Bein streckt. 

Waterhouse-Bath sprach über Arthritis syphilitica. 

Dann berichtete H e r t z - London über seine Untersuchungen bei 
der Konstipation. F> zeigt zahlreiche Bilder von der Passage von mit 
Bismuth versetzten Probemahlzeiten, die auf dem Röntgenschirm kon¬ 
trolliert wurde. Konstipation ist ein Zustand, in dem nichts von den 
Resten einer Mahlzeit während 72 Stunden per anum ausgeschie¬ 
den wird. Um Konstipation zu vermeiden, muss die Passage der 
Speisen vom Magen bis zum Rektum in 12 TS Stunden vollendet 
sein; das Rektum selbst müssen die Speisen dann innerhalb der 
nächsten 24 Stunden verlassen. Tritt eine Verzögerung in der ersten 
Etappe ein, so liegt dieselbe fast immer abwärts von der Mitte des 
Kolon transversum, wo die Fäzes schon hart sind. Das Rektum ist 
bei diesem Fällen fast leer. Die Therapie besteht, wenn kein direktes 
Hindernis vorhanden ist, in Diät und Abführmitteln. Als Ursachen 
kommen in Betracht, schwache Darmmuskulatur (Alter, Anämie. 
Kachexie, entzündliche Vorgänge im Darm). Depression des zen¬ 
tralen oder peripheren Nervensystems, die zu einer Abscliw ächung 
der Reaktion auf normalerweise genügenden Reize fuhrt (Neur¬ 
asthenie, Hypochondrie, Irresein. Tabes, Hirntumor etc.). Unge¬ 
nügende Peristaltik durch zu geringe Nahrung oder zu wenig reizen¬ 
den Kot. Reize im Sympathikusgebiet. Obstruktion mechanischen 
Charakters, z. B. harte Kotmassen, hier muss die Klystierbehandlung 
jeder anderen Behandlung voraufgehen. Die zweite Art der Ob¬ 
stipation beruht auf dem Liegenbleiben der Fäzes im Rektum. Dies 
wird verursacht durch Verlust des Defäkationsreflexes infolge von 
allmählicher Abstumpfung durch Vernachlässigung der Defäkation 
(Indolenz, falsche Scham, Furcht vor Schmerzen bei Fissuren. Hämor¬ 
rhoiden etc.) oder durch Atonie und Parese des Rektums und der 
Flexur durch verlängerte Uebcrdehnung. Beide Zustände gehen 
meist Hand in Hand. Eine dritte Ursache ist Schwäche der will¬ 
kürlichen Defäkationsmuskeln. 

Wllfred Harris- London zeigte klnematographlsche Aufnahmen 
des verschiedenen Ganges Nervenkranker, Ihres Zitterns, ihrer Re¬ 
flexe etc. 

Godfrey C a r t e r - Sheffield sprach über apyretischen Ab¬ 
dominaltyphus. 

(Fortsetzung folgt.) 


Aus den italienischen medizinischen Gesellschaften. 

Aus den Verhandlungen der Lancisiana-üeselKchaft in Rom. 
Sitzung vom 7. März 19 u,s. erwähnen wir die weiteren Beiträge zur 
Entstehung der Osteomalazie auf dem Wege der Infektion. 

Area n g e 1 i und F i o c c a sind die Vertreter dieser Lehre und 
berichten über einen bestimmten Diplokokkus, den sie für ätiologisch 
wichtig halten. Im ganzen verfugen sie über 2*4 posm\e Befunde in 
dll Untersuchungen. 

Signore I li will aus kleinen Knochenfragmenten des Os ilei 
diesen Diplokokkus in Reinkultur erhalten haben. 

Arcangeli erwähnt die Kontagiositat der Osteomalazie unter 
ungünstigen hygienischen \ erhaltnisscn. L har rin und Moiissa 
sei es gelungen, die Krankheit auf Tiere zu übertragen: aiuh hier sei 
es gelungen, die Infektiosität durch Aufenthalt gesunder Tiere mit 
kranken zusammen unter ungünstigen \erhuitmssen naJi/uw eisen. 

Morpurgo hat ebenfalls den Osteonala/iediplokokkus isoliert 
und mit Erfolg weisse Mause mit demselben geimpft. 

Hager- Magdeburg. 


Verschiedenes. 

Die Unfallversicherung In Bayern 1897—I9M. *) 

Nachdem in der Zeitschrift des Kgl. baver. Statistischen Bureaus 
im vorigen Jahre die Kranken- uni luv a. dt nv efsicherung in Bavern 
für die Jahre D97 bis einschliesslich Fx*» gebracht smd. wird in 
vorliegender Arbeit die l nlaliVersicherung für den gleichtn Zc.träum 
naher gewürdigt. 

Die deutsche Unfallversicherung ist eine offent’iOi-rt Jitl.che Für¬ 
sorge auf (irund allgemeinen \ ersehe' ungs/w an.ges; d,e \ersjche- 
rungspflichtigen Betriebe smd zu \ ersiOierungsv erbaiuK n /t’san mt u- 
geschlossen. und zw ar a) B e r u i s g e u o s s e n schalten 11 r.iali- 
\ t rsicherung m den gewerblichen, iatwl- unJ forstw irtschanhch.er Be- 
ti leben), b> A u s f u h r u u g s b e h o r d e n (zum \ oji/ug des l nfail- 
\ ensicherungsgeset/es), g) Vers i c h e r u n g s a n s ! a 1 t e n ( um¬ 
fassen die Betriebe der Baugew crksbcruSgetiossenschafteM sowie der 
'I lefbaugettossenschaft und dienen hauptsächlich der \ ersichenmg der 
Regie bauten I. Kranken-, Invaliden- und l maliv ersichenmg bemhen 
auf dem Versicherungs/w ang. Dieser erstreckt s:Ji h.nsichtlich der 
letzteren auf das ganze (iewerbe. auf mehrere mit besonderen < ic- 
fahren verbundene Handwerksbetriebe, cm ge Zweige \ on Omss- 
handclshctrieben und die Staatsbetriebe der Post-, I clcg-aphen-, 
Fisenbalm-, Heeres- lind Marmeverw altung ferner unterstellen dem 
\ ersicherungs/w ang die Betriebe der l.a id- und I ot*:v\ .r tschatt samt 
ihren Nebcnbctrfflnn, sowie sämtliche Baubetriebe imd B.i’.i.i'bi teil, 
die Schiffahrt und deren llhlsbetnebe. die >u- und K ustermscherei. 
Vcrsichcrungspfhchtig sind alle Arbeiter, d.c Bet: lebsbeamien mit 
emem Jahresarbeitsverdienst von nicht mehr as M. und h.n- 

sichtlich der SecuniaUverMCheru 11 g gewisse K.einunte:nehrner. Aus¬ 
serdem kann die \ crsiehcningspihcht auf hoher besoldete Bctnehs- 
T.eamtc, auf K leimmternehmer und 1 lausrndiisi: :e Sowie aul alle l uter¬ 
in. Inner in der Land- und Forstwirtschaft erstreckt weiden. Auch bei 
der Unfall Versicherung ist eine freiw ill.ge \ er schcrimg zuge .ish'ii. 
An Versichei uncsv er bamk n kommen tur Bavtrn f»5 in Bitaclit. dav.>:i 
smd 2ö ausscIT'ess’ich lut ha\ erisdie \ crha'tmsse /üsr.nid g. Zu 
dieser < j ruppe \ gehören: I. von Berutsgcno^scnschaV.en 2 gewerb¬ 
liche. h landwirtschattliclie; 2. von Ausnhiungsbehorden 12 staatliche, 
b kommunale; d. die \ ersicheriings.rnstai! der b iver. Baugew erks- 
beriifsgenosseuschait. Der Bericht zali.t ausserdem de d<> mc!i auch 
auf mchtbav erische (iebietsteile be/ elu uJen \ erstell.•rmigsv erbande 
auf. Von den unter dieser (iruppe B aiit.gciuvten \ ersic her ungstr .»gern 
berücksichtigt die vorliegende Arbeit nur d e 27 >ek turne n, deren 
Sitz in Bavern gelegen ist. 

Bei (Iruppe A wurden festgestellt an versichert«.n 
Betrieben Personen 

im Jahre 1 S ‘>7 <>72 17-4 IMdJsl 

, m px*(> P52 Sd7 1 S52 -455 

Davon gehörten zu den 

gewerblichen lä'.nd wirtschaftlichen 
BerutsgenossenSc halten 
Betriebe Pers-mcn Betriebe Personen 
im Jahre IW I7M5 12.(1-47 «Ol-On lo*"^7v 

, , l'xK. 21 047 M2 55J (dl7‘>o il»>o"s7ö) 

Bei (iruppe B ergaben dm I im tt.imccii 

v ersicherte 
Betriebe Personen 

im Jahre l s 97 21 ,J 22 l s -4 5u> 

1 25 d<'7 d I n 2s.S 


*) Sonderabdruek aus der Zeitschrift des Kgl. haver. Statik sehen 
Bureaus. Redigiert von Dr. Fnednch /.ahn. Kgl. (»bcrreglerupgsrat. 
Jahrgang 1*ms. Heit d. Ausgegeben am 17. Juli 1 ‘x‘s. 2" >eitcn. 


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I. September 10ÖÖ. 


MUBNCHeNeR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1863 


Verletzungen. Voraussetzung für das Eingreifen der Un¬ 
fallversicherung ist eine im Bereiche des Betriebes erlittene Ver¬ 
letzung (Unfall). Die Zahl aller Verletzten, welche zur Anzeige ge¬ 
langten, betrug 

Gruppe A 

im Jahre 1897 23 117 

„ „ 1900 26 313 

* „ 1904 34 988 

„ „ 1906 36166 

Die vorstehenden Zahlen der Gruppe A verteilen sich für die ver¬ 
schiedenen Arten der Versicherungsverbände folgenderinassen: 

1. Berufsgenossenschaften 2. Ausführungsbehörden 
im Jahre a) gewerbi. b) landwirtsch. a) staatl. b) kommunale 
1897 6584 11 598 4161 297 

1900 6855 12 090 6336 416 

1906 7311 21378 6248 628 

3. Vers.-Anst. d. Bayer. Baugewerks B.-G. 
im Jahre 1897 577 

, „ 1900 616 

„ „ 1906 601 (1903:707) 

Was die tatsächlich entschädigten Verletzten anlangt, so war 

deren Zahl bei Gruppe A 

im Jahre 1897 42 512 im Jahre 1906 96 426 
davon waren neuer Zugang , * * 10 331 * „ , 14 048 

Ehe Zahl der tatsächlich entschädigten Verletzten hat sich seit 
dem Jahre 1897 mehr als verdoppelt; bei den landwirtschaftlichen 
Berufsgenossenschaften hat sich nahezu eine Verdreifachung der tat¬ 
sächlich entschädigten Unfälle ergeben. Eine vom Reichsversiche¬ 
rungsamt veranlasste Unfallstatistik für Land- und Forstwirtschaft 
für das Jahr 1901 ergab als Monat mit «der höchsten Durchschnitts¬ 
tagesunfallziffer den August (Erntemonat), als Wochentag den Mon¬ 
tag. Auch hinsichtlich der gewerblichen Berufsgenossenschaften er¬ 
gaben Ermittlungen als Tag der höchsten Unfallziffern den Montag. 

Von den 11419 im Jahre 1906 bei den landwirtschaftlichen Be¬ 
rufsgenossenschaften der Gruppe A neu zugegangenen entschädi¬ 
gungspflichtigen Unfällen treffen 75,1 Proz. auf die Betriebsunter¬ 
nehmer, 24,9 Proz. entfallen auf die Dienstboten und Arbeiter. Der 
Anteil der Kleinunternehmer an den Unfallrenten ist demnach sehr 
beträchtlich. Die meisten zur Entschädigung gelangten landwirt¬ 
schaftlichen Unfälle waren in Niederbayern, die wenigsten in der 
Pfalz zu verzeichnen. Hinsichtlich des Alters und des Geschlechtes 
weist die Arbeit daraufhin, dass bei den landwirtschaftlichen Berufs¬ 
genossenschaften die Jugendlichen überhaupt, sowie die weiblichen 
Erwachsenen in ziemlich bedeutender Zajil unter den Verletzten ver¬ 
treten sind. Die letzteren stellten hier' jährlich nahezu ein Drittel 
der Verletzten. Bei der Besprechung der Ursachen der festgesetzten 
neu zugegangenen Unfälle wird als bemerkenswert hervorgehoben, 
dass die Maschinenunfälle von 1534 im Jahre 1903 auf 1442 im Jahre 
1905 ur.d 1394 im Jahre 1906 zurückgegangen sind und dass die 
Abstürze von Leitern, Treppen etc. seit 1904 erheblich seltener ge¬ 
worden sind. (Minderung gegen 2 Jahre vorher nahezu 9 Proz.) 
Dagegen haben die Unfälle, die mit dem Fuhrwerksverkehr Zu¬ 
sammenhängen — Ueberfahrenwerden, .Absturz von Wagen und 
Karren, Auf- und Abladen etc. — eine erhebliche Steigerung gegen 
früher erfahren: 

1897: Fuhrwerk 1360, Eisenbahnbetrieb 95 

1906: „ '2036, „ 110 (1905:141) 

Verletzungen durch Tiere (Stoss, Schlag. Biss usw. einschliess¬ 
lich aller Unfälle beim Reiten) 1897:965, 1906:1723. 

Die Zahl der festgestellten Verletzungen ist im allgemeinen in 
Zunahme begriffen. Die Ursache liegt einmal in der Steigerung der 
Zahl der gewerblichen Arbeiter an sich, ferner kommen vielfach in 
Zeiten des guten Geschäftsganges ungeschulte Arbeiter zur Ein¬ 
stellung, die sich eher Gefahren aussetzen, das gleiche ist der Fall, 
wenn bei Mangel an Erwachsenen jugendliche Arbeiter und Ar¬ 
beiterinnen eingestellt werden. Andererseits nimmt auf Seite der 
Arbeiter mit der Kenntnis der bestehenden Versicherungsgesetz¬ 
gebung und der sich hieraus ergebenden Rechte das Bestreben zu, 
alle — auch geringfügige — Unfälle zu melden. Demgegenüber ist es 
erfreulich, dass die schwereren, von Tod oder völliger Erwerbs¬ 
unfähigkeit begleiteten Unfälle eher eine sinkende Tendenz aufweisen. 
Für Bayern ist hinsichtlich der jedes Jahr neu hinzukommenden ent¬ 
schädigten Verletzten ein sich ziemlich gleichhleibendes Verhältnis 
zu konstatieren. Nur die Zahl der vorübergehend Erwerbsunfähigen 
zeigt ein stärkeres Anwachsen. Als Folgen der neu zugegangenen 
Verletzungen wurden festgestellt: 

(in Gruppe A) 


Erwerbsunfähigkeit 


im Jahre 

Tod 

dauernde 

dauernde 

vorüber¬ 



völlige 

teilweise 

gehende 

1897 

556 

195 

5569 

4011 

1900 

632 

85 

5698 

4931 

1906 

590 

87 

6289 

7082 


Bezüglich der Zahl der Hinterbliebener! ist gegen das Vorjahr 
bei Gruppe A 1906 eine Abnahme zu verzeichnen. Seit 1903 stetige 
Abnahme. 

Leistungen. Die Unfallversicherung leistet Ersatz des 
Schadens, welcher durch Körperverletzung oder Tötung entsteht. 
Die hiernach zu gewährenden Entschädigungen erstrecken sich auf 
Heilverfahren, Verletzten- und Hinterbliebenenrenten sowie Sterbe¬ 
geld. 

An Entschädigungen wurden insgesamt bezahlt bei 

Oruppe A Gruppe B r 
im Jahre 1897 4 625 749 M. 1 800 341 M. 

, , 1900 6 405 929 . 2 449 807 . 

, , 1906 9 392 666 „ 3 374 108 , 

Die Kosten des Heilverfahrens haben sich seit 10 Jahren mehr als 
verdoppelt 

Es wurden gezahlt bei 

Gruppe A Gruppe B 
im Jahre 1897 165 267 M. 38 957 M. 

„ , 1900 221 964 , 64 354 , 

„ „ 1906 344 715 , 88 668 , 

Der Bericht beklagt dass der Bedeutung des Heilverfahrens noch 
zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde und weist auf die Indolenz 
der Landbevölkerung gegenüber anscheinend unbedeutenden Ver¬ 
letzungen, die in manchen Gegenden dazu noch der unzweckmässigen 
Behandlung eines Heilkünstlers unterstellt werden. Es wird auf die 
zur Besserung dieser Verhältnisse dienende Ministerialentschliessung 
vom 6. Juli 1907 hingewiesen: Es sollen die Distriktsverwaltungs¬ 
behörden im Benehmen mit den Bezirksärzten für die geeignete Be¬ 
lehrung der landwirtschaftlichen Bevölkerung über die Gefahren der 
Wundinfektion, über die Behandlung frischer Wunden etc. entspre¬ 
chend Sorge tragen etc. Auch die gewerblichen Berufsgenossen¬ 
schaften mahnen in ihren Jahresberichten vielfach vor Vernach¬ 
lässigung anscheinend unbedeutender Verletzungen und geben eine 
Reihe von zweckmässigen Ratschlägen und Anordnungen für die erste 
Hilfe. 

An Verletzte wurden Renten bezahlt bei 

Gruppe A Gruppe B 
im Jahre 1897 3 688J772 M. 1358 864 M. 

, , 1900 5174 672 , 1827 319 , 

, „ 1906 7 591 188 w 2 645 457 „ 

Besonders bemerkenswert ist, dass an den von den land- und 
forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften geleisteten Renten die 
Arbeitgeber grösseren Anteil haben als die Arbeitnehmer. 

An Hinterbliebenenrenten wurden gewährt bei 

Gruppe A Gruppe B 

im Jahre 1897 590 071 M. 237 739 M. 

, „ 1900 785 575 „ 325 350 , 

, „ 1906 1 092120 , 476 591 , 

Die Sterbegeldzahlungen betrugen 

Gruppe A Gpuppe B 

im Jahre 1897 25 ^M. 8833 M. 

„ , 1906 35258^., .12142 „ 

Unfallverhütung. Noch höhere Bedeutung als den Ent¬ 
schädigungen der Unfallversicherung kommt der durch die Unfallver¬ 
sicherung veranlassten Unfallverhütung zu. Sie ist die Seele 
der Unfallversicherung. Auf dem Gebiete der Unfallverhütung haben 
die von den einzelnen Berufsgenossenschafteh erlassenen Unfallver¬ 
hütungsvorschriften sehr günstig gewirkt Alle für Bayern in Be¬ 
tracht kommenden Berufsgenossenschaften haben (mit einer Aus¬ 
nahme) Unfallverhütungsvorschriften; gleichwohl sind weitere Ver¬ 
hütungsmassnahmen fernerhin ins Auge iu fassen. Auf die Bedeu¬ 
tung des Kgl. Arbeitermuseums in München wird mit gebührendem 
Nachdruck hingewiesen. " 

Ausgaben. Die Gesamtausgaben, die sich seit 10 Jahren 
verdoppelt haben, betrugen bei 

Gruppe A im Jahre 1897 5 161 113 M. 

„ 1906 11203 825 , 

Die meisten Ausgaben machten die zu leistenden Entschä¬ 
digungen. 

Einnahmen: im Jahre 1897 bei Gruppe A 4737687 M. 

„ 1906 „ „ „ 10263 692 , 

Ueber Vermögen, Reservefonds wird kurz im Schluss- 
kapitel der mustergültigen, gediegenen Arbeit berichtet. 

Fritz Loeb. 

Pusch berichtet über die Kindermilchproduktion 
in wirtschaftlicher und hygienischer Beleuch¬ 
tung unter besonderer Berücksichtigung der im 
Rassestall der tierärztlichen Hochschule zu 
Dresden gemachten Erfahrungen. Er führte sämtliche 
hygienischen Massregeln zur Gewinnung einer einwandfreien Kinder¬ 
milch durch und fand, dass die so gewonnene „U e b e r m i 1 c h“ pro 
Liter etwa 80—100 Pfg. kosten würde. (Zeitscbr. f. Inf.-Kr. d. Haus¬ 
tiere, Bd. III, H. 5.) F. L. 


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1864 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Kn. 3*. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, den 1. September 1908. 

— Die diesjährige Generalversammlung der Freien 
Vereinigung der Deutschen medizinischen Fach¬ 
presse, die gelegentlich der Naturforschcrversammlung am 
24. September in Köln stattfinden wird, wird sich wiederum mit der 
Frage des Vorgehens gegen das geschüftsnuissige Empfehlen neuer 
Arzneimittel befassen; insbesondere soll die Frage erörtert werden, 
ob und unter welchen Umständen überhaupt Untersuchungen über die 
Wirkung von Arzneimitteln gegen Honorar gemacht werden dürfen. 
Darüber scheint in den Kreisen der Fachpresse Uebereiiistimmung zu 
bestehen, dass nichts dagegen cinzuwenden ist, wenn iiir zeit¬ 
raubende und durch den Bedarf an Tiermaterial kostspielige, rein 
pharmakologische Untersuchungen ein entsprechendes Honorar ver¬ 
langt wird. Dagegen bedarf weiterer Klärung die Frage, ob auch 
klinische Versuche am Krankenmaterial der Krankenhäuser und 
der Privatpraxis gegen Honorar unternommen werden diirien. Fs 
wird geltend gemacht, dass der Gewinn, den eine chemische Fabrik 
aus einer ihr Mittel empfehlenden Arbeit zieht, so bedeutend ist. dass 
es wohl berechtigt sei. wenn der Arzt, dessen Arbeit dieser Gewinn 
verdankt wird, auch eine entsprechende Entschädigung iur seine 
Mühe erhält. Andererseits steht der Honorierung solcher Arbeiten, 
die von den Aerzten doch nie im Interesse der Fabriken, sondern 
nur im Interesse der Kranken und der Wissenschaft gemacht werden 
dürfen, durch die interessierten Fabriken eine Weihe schwerster 
ethischer und praktischer Bedenken entgegen. Es wäre wünschens¬ 
wert, dass an der Erörterung dieser wichtigen Frage, deren end¬ 
gültige Entscheidung doch nicht Sache der Redaktionen ist. auch 
Kliniker und Krankenhausärzte sich beteiligen mochten. 

— Der Leipziger Verband hat die Sperrung der Kranken- 
hausarztstelle in Bingen ausgesprochen, weil dem bis¬ 
herigen Chefarzt, Dr. B r o d, aus unzureichenden Gründen gekündigt 
wurde. Die Mainzer Volkszeitung gibt als Grund der Kündigung 
klerikale Einflüsse an. Dr. Brod habe für das Seelenheil der 
Patienten nicht das genügende Interesse gezeigt, er habe das Scham¬ 
gefühl der katholischen Krankenschwestern nicht genügend geschont 
und habe sich der Anbringung eines Kruzifixes im Operationssaal 
widersetzt, da nach dem heutigen Stand der Wissenschaft jeder 
Staubfänger eine Gefahr für die Kranken bedeute. Seitens des L. V. 
wird die Sperrung der Stelle damit begründet, dass Dr. Brod die 
Entlassung von Schwestern verlangte, die sich weigerten seine An¬ 
ordnungen zu befolgen und dass statt dessen ihm gekündigt wurde. 

— Eine wesentliche Abnahme des Bierkonsums weist 
die Statistik für München nach. Während der Bierverbrauch in 
den Jahren 1881 85 auf den Kopf der Bevölkerung in München 4(>5, 
1886/90 sogar 487 Liter betrug, nahm er von da an stetig ab und be¬ 
trug 1891 95 noch 412. 1896 1900 381, 1901/05 332, 1900 303 und 1907 
287 Liter, im letzten Jahre also 200 Liter auf den Kopf der Bevölke¬ 
rung weniger als vor 20 Jahren. Auch in Berlin nimmt der Bier¬ 
verbrauch sehr ab. wie die Eisenbahnstatistik beweist. Während 
im Jahre 1906/07 über 99 Millionen Liter Bier an den Stationen des 
Eisenbahndirektionsbezirks Berlin abgeliefert wurden, sank diese 
Ziffer im letzten Jahre auf w enig über 95 Millionen. Ebenso sank die 
Ausfuhr, die von 136* 3 Millionen auf 134‘ü Millionen Liter zurnck- 
ging. Diese Tatsachen sind hocherfreulich, soferne dem geringeren 
Bierverbrauch nicht etwa eine Zunahme des Alkoholkonsums in 
anderer Form gegenübersteht. 

— An den österreichischen Universitäten stu¬ 
dierten im abgelaufenen Sommersemester 21 499 Studierende, da¬ 
runter 3270 Mediziner. Die Mediziner verteilen sich wie tätigt auf 
die einzelnen Universitäten: Wien 1198. Innsbruck 180. Graz 275. 
Prag deutsche Universität 244, tschechische 446, Lemberg 242, 
Krakau 440. 

— Der Prcussische M e d i z i n a I b c a m t e n v e r e i n 
begeht in diesem Jahre die Feier seines 25jährigen Be¬ 
stehens. Die diesjährige Hauptversammlung findet gemeinsam mit 
derjenigen des Deutschen Medizinalbeamtenvereins am Dienstag, den 
29. September und Mittwoch, den 30. September |9iis in Berlin im 
Preussischen Abgeordnetenhause statt. Die wichtigsten Beratungs- 
gegenstände sind: lieber die hygienische Kontrolle der zentralen 
Wasserleitungen. Referent: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flügge- 
Breslail. — Vorläufiger. Entw urf des Reichsgesetzes, betreffend die 
Ausübung der Heilkunde durch nicht approbierte Personen und den 
Geheimmittel verkehr. Referent: Reg.- und Med.-Rat Dr. Diitschke- 
Erfurt. — Der gegenwärtige Stand und Wert der Kriminalanthro¬ 
pologie. Referent: Gerichtsar/t und Privatdozent Dr. Strauch- 
Berlin. — Die Psychologie der Aussage. Referent: Prof. Dr. 
Lo e h t c - Güttingen. — Medizinalbeamter und ärztliche Privatpraxis. 
Referent: Kreisarzt Dr. G u t k n c c h t - Belgard. 

- Die Verlagsbuchhandlung F. C. W. Vogel in Leipzig, die 
am 16. Oktober 1905 das Jubiläum ihres 175 jährigen Bestehens feiern 
konnte, beging am 20. August 1. .1. den Gedenktag der Ion jährigen 
Führung ihres jetzigen Namens. Am 20. August 1808 ging die Firma 
an Friedrich Christian Wilhelm V o g e 1 über und blieb seitdem im 
Besitz derselben Familie. 


Veri»n von J F. Lclimana in MunOicn. - L)nn.k von 


Im Verlag mhi Willi. Engel mann m I cipzig erschien d.is 
1. Heit einer neuen Zeitschi itt: ., A r c li i \ i n r /. e I I i o r s c h n n g 
Herausgegeben von Dr. Richard (inldsOi mult. Privatdozcnt an 
der Universität München. Das Heft wird eingeleitet durch eine Arbeit 
von Richard Hertw lg: „Leber neue Probleme der Zellenlehre." 
Das Archiv erscheint m zwanglosen Heften. Der Preis des Banden 
von etwa 40 Druckbogen wird 4<> M. betragen. 

- Cholera. Russland. An der Cholera erkrankten 'starben) 
im Goiiv. Astrachan vom s. bis 13. August 171 <vS) Personen, im 
Gouv. Saratow vom 7. Ins 12. Airgiot 1"<» <74) Personen, im «i«-u\ . 
Samara vom 7. bis 12. August 7 <3. im Goiiv. Ina x ><m 5. Bis 
10. August 2 (2). im Pongebiet Vom 7. Ins lo. August 7 (4L 

— Pest. Türkei. In Bagdad situ! vom 2. Ins s. August 2 Per¬ 
sonen an der Pest gestorben und 1 Person ist neu erkrankt; im 
ganzen sind hiermuh seit dem 7. Mai an der Pest Ins Pers uieu er¬ 
krankt und 62 gestorben. - Aegvplcn. \ ottl V Ins 14. Aiuust sind 
an der Pest Jt» Personen erkrankt und 12 gestorben. - BnOsvijf?*. 
Ostindien. Wahrend der am IV Juli abgehobenen Woche sind m 
ganz Imlien 445 I t Kränkungen und 3G I ödest.nie an der Pest zur 
Anzeige gelaugt. Hongkong. \ oin 31. Mai Dis 27. Juni wurden 
in der Kolonie 312 Pest totest.i.i:je feMgesteht. \ on den 3 so wahrend 
dieser 4 Wochen gemeldeten Erki ankung-n entluden 321 auf die 
Stadt Viktoria. Mauritius. \ om 5. Juni Dis 2. Juli betrug die Zahl 
der Pestei krankuiigeii 5. der Pestlode st.ilie 2. Britismic Kolonie 
an eie-r Goldkuste. Zufolge einer Mitteilung vom 7. August sind m 
Accra 3 neue Pest falle* v orgekoimneii. 

- In der 33. Jahrcsw oche. vom Ins 15. August I'A's, hatten 
Von deutschen Stadien über 4 <"mmi t in wohn er die grösste >tcti&ich- 
keit Boxh.-Rummelslnu g mit 5n,o. du geringste DtsJi. W .ItücrsJorf 
mit 5.2 Todesfällen PB* hdir und 11 »>m» Imwohrur. Mehr a's ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an 8uh.iri.uh m Solingen. Z.ibr/e, 
an Masern lind Röteln m Tner, an Diphtherie und Krupp m Hbdes- 
lieim, Linden. V. J. K. G.-A. 

(H o c h s c h u I n a c li r i e li t e n.) 

Heidelberg. Die Professoren Emil leer < Kinde r he iikunde > 
und Siegfried Bett mann (Haut- mul Gesclilechtsk ranshe iten) wur¬ 
den zu etatmassigen a. o. Professoren ernannt. <hc.» 

W i e n. Habilitiert: Dr. med. Leopold Senfeider für Ge¬ 
schichte der Medizin. iIk.) 

Zürich. Ib-rr Dr. E. R. Nager aus Euzcrn. Iiiiigu&f ice r 
Assistent von Prni. Sieb e n in ;i n n in Basel, hat die \ e nid icgcn|| 
erhalten für Ohren-, Nasen- und Kehikopikrankhciten. 

(Todesfälle.) 

ln Paris starb im 5n. ErhciiM.mr der her\orragerule 1 sikc r 
Henry B e c u li e r e 1. Sem Name wurde besonders bekannt durch 
Seine Arbeiten über Phosphoreszenz und die Intdeukimg der \ «>n 
Uransalzen ausgehenden Strahlen ' Hi.euiierclstT.ihJc n >. eile dam zu 
Entdeckung lies Radiums und de-r Radioaktiv itat dinrh das Ehepaar 
Curie führten, für diese Arbeiten erhielt B. m < iememsc li.ot mit 
dem Ehepaar Curie Ivu3 den Nobelpreis für Chemie. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Verzogen: Dr. Wilhelm Ortloph \«»n Marktsteft mmli 
l'ntcrstcmbach. Bcz.-Amt Hassflirt. 


Uebereicht der Sterbefälle in München 

während der 33. Jahreswoche vom 9. bis 15. Aug 19oS. 

Bcv olkerungszahl 55o i m'. 

Todesursachen: Angeborene Lebe-nsscliw. il. Leb.-M ) 15 iloü 
Altersschw. (ub. <>r) .1.) 5 iJi, kmdbetiiiehcr 2 ( ), and. folgen der 

Geburt 1 (I). Scharlach 1 (2i. Maseru u. Rotein 1 1 1 1 . Diphtlr. u . 
Krupp — (--). Keuchhusten 2 i2). T\phus — < — ». ubertragb. I lerkraukh 
— ( ), Rose (Ervsipcl) - (■-). and. W uüjmicktn'uskr. icmsGil. Hüt- 

li. Eitervergift.i 3 t h, Tuberkul. d. I ungeit lo iJh. Juberkul. and, 
Org. 7 (2), Miliartuberkul. — läi, Einigem :i!z ,ud il üciimon.» s (S), 
Influenza — (I), and. ubertragb. K rau r. h. 2 < -1 >. I ul / und. d. .Atmungs¬ 
organe 1 (2). sonst. Kraukh. derselb. I < 1 1 . o* gan. Herzleiden lo il"). 
sonst. Kr. d. Kreislauisofg, um ns«, hi. Her/schi.ig» 4 i14». t lehirnsv W*vg 
7 (3), (ieisteskrankh. 2 (2), 1 raiseii. Ekiamps. d. Kinder 2 Di. and. 
Kraukh. d. Nervensvstems o ( ). .Ma gen- u. i »arm.-Kat.. iBeJ’.Jnre hf.til 

(eiuschl. Abzehrung» 32 (35). Krank!« d. Leber 0 ih. K'.mkh. des 
Bauchfells — < 11, and. Kraukh. d. \ c-datinn gsorg. 2 1 7«. K'.mkh. d. 
Harn- u. < ieschlechtsorg. o (2i, Krebs •K.ir/in>m Kaukro. !• 12 r i * *. 
and. NeuUiklg. (eiuschl. Sarkomi 3 i =*». ><. nstumrd 2 1 1 1 . D J dU-tch 
fremde Hand 1 ( ). I nglmksi.tüe 5 ib, .» iibrig. KrarT.h. 1 i7-. 

Die ( iesamtzahl der Sterbefaiie IJS 1 1 ** m. \ erluiitniszah! auf das 
Jahr und UM» Einwohner im allgeme neu |o.4 (I7.ii. für dm über 
dem 1. Lebensjahre stellende Bevo.kcruug 11,5 <U.oi. 


I •) Die eingekiammerten Zahlen bedeuten d e Eu le der Vorwoche. 

E. M>ihlih«lcri lJin.li- itr*d Kun*'i 1 rin.kf rci A tj . M lr ui rn. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Münchener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich m ir v V « r /N t y -*■» . tr > ^ Zusendungen sind zn adressieren: Für die Redaktion Arnulf- 

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München. Freiburg L B. München. Leipzig. Eisenadi. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 


No. 36. 8. September 1908. 


Redaktion: Or. B. Spatz, Arnulistrasse 26. 
Verlag: J. F. Lehmann. Paul Heysestrasse 15a. 


55. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Marburg i. Hessen 
(Direktor Professor Dr. L. Braue r). 

Eine neue Methode zur Funktionsprüfung des Magens. 

Von Dr. Schlaepfer, I. Assistenzarzt der Klinik. 

Die Absicht, eine neue Methode der Magenuntersuchung 
einzuführen, wird bei der ansehnlichen Anzahl bekannter Ver¬ 
fahren auf diesem Gebiete einigem Misstrauen begegnen. Ge¬ 
rade jene Tatsache aber beweist, dass keine der bisherigen Me¬ 
thoden dem Ideal irgend wie nahe kommt und bitte ich daher, 
das Folgende als den Versuch einer Verbesserung betrachten 
zu wollen. Gleichzeitig möchte ich bemerken, dass die Dar¬ 
stellung vor allem der Praxis dienen soll und dass deshalb auf 
theoretisch wissenschaftliche Fragen weniger Rücksicht ge¬ 
nommen wird. Dies wird andernorts erfolgen. 

Die bisher am meisten gebräuchlichen Verfahren zur 
Magenuntersuchung sind das Probefrühstück von Ewald und 
das Probemittagessen von Riegel. Ihre Vorteile sind be¬ 
kannt, von P r y m*) ja neuerdings betont worden; der Mangel 
aber, die Motilität und Sekretion quantitativ nicht genau be¬ 
stimmen zu können, drängt sich immer wieder auf und hat 
vielleicht nicht zum mindesten beigetragen, dass die Ansichten 
z. B. über den Begriff der Hyperazidität und Hypersekretion 
so stark auseinandergehen. 

Als eine theoretische Lösung dieser Schwierigkeiten darf 
wohl die von Sahli eingeführte und von Seiler 2 ) publi¬ 
zierte Methode, vermittelst vergleichender Fettbestimmung 
einer Mehlsuppe vor und nach Ausheberung die betreffenden 
Faktoren zu bestimmen, betrachtet werden. 

Der Gedankengang des Sahli sehen Verfahrens übertrifft 
an Feinheit des Aufbaues den aller bisherigen Methoden, und 
es ist deshalb um so bedauerlicher, dass, wenn nicht alle, wie 
Prym behauptet 3 ), so doch wahrscheinlich zwei Voraus¬ 
setzungen desselben in praxi nicht ganz zutreffen, das sind die 
fehlende Stabilität der homogenen Fettverteilung, namentlich 
im salzsäurefreien Magen nach L i n s e r *) und das wechselnde 
Verhältnis vom Magensaft zu Fett infolge der von 
G r ü t z n e r beobachteten Sedimentierung oder Schichtung 
der Speisen; auch ist die Technik etwas kompliziert und 
erfordert einen speziellen grösseren Apparat, so dass 
wohl dies der Hauptgrund ist, weshalb die ingeniöse 
Methode bedauerlicherweise in der Praxis nicht den richtigen 
Anklang gefunden hat. Ob daher das neue modifizierte und 
ebenfalls etwas komplizierte Verfahren von S t r a u s s 5 ) mit 
Fettzwieback und Thee einen Fortschritt bedeutet, scheint mir 
vorderhand- noch nicht bejaht werden zu können. 

Um daher der von Sahli gewünschten genaueren Dia¬ 
gnostik die Wege zu ebnen, ist es nötig, die genannten Fehler 
zu umgehen. 

*) Prym: Deutsches Archiv für klinische Medizin, 90. Bd., 
pag. 310—334. 

*) Seiler: Deutsches Archiv für. klinische Medizin, 71. Bd., 
pag. 271—291. 

3 ) Prym: Deutsches Archiv für klinische Medizin, 90. Bd., 
pag. 310—334. 

*) Linse r: Beiträge zur chemischen Physiologie und Patho¬ 
logie, Bd. 7, 1905. 

6 )Strauss und Leva: Zeitschrift für klinische Medizin, 
65. Bd., Seite 161—193. 

Jm». ^ 


(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet) 

Von dieser Absicht ausgehend, entwickelte sich schliesslich 
der Versuch zu einer ziemlich wesensverschiedenen neuen 
Methode. 

Auf Grund färbetechnischer Versuche legte sich die Ver¬ 
mutung nahe, dass an Stelle des Fettes in der Suppe ein Farb¬ 
stoff, der sich durch Diffusion im ganzen Mageninhalt verteilen 
würde, geeigneter wäre, und bewährte sich schliesslich am besten 

N 

NH,/\/ x,/\ N(CHj),CI, 

Neutralrot oder Toluylenrot, chemisch I I I I 

CH# N /X/ 

abgekürzt Nr., bekannt als vitalfärbend, ungiftig und 
reizlos. Der Gedankengang war, aus der Ver¬ 
schiedenheit der Neutralrotfärbung der zu¬ 
geführten und durch den Magensaft verdünn¬ 
ten, ausgeheberten Suppe im Sinne der Sahli- 
schen FeUbestimmung®) nach weiter zu er¬ 
örternden Verfahren (s. u.) Schlüsse zu ziehen. 
Zur Farbvergleichung war aber vor allen Dingen eine 
an sich farblose Suppe erforderlich und bewährte sich 
schliesslich eine mit folgender Zusammenstezung: -400 ccm 
Wasser werden mit 30 g Weizenmehl angerührt, 4 g Koch¬ 
salz und 9 g gekochte Butter dazugesetzt und gekocht. 
Bei Abkühlung auf ca. 50° werden noch 30 ccm = 30 g Eier- 
eiweiss zugesetzt und der Farbstoff, 9 ccm einer 0,5 proz. 
Neutralrotwasserlösung, zugerührt. 

Die Suppe enthält unter Benutzung der Tabelle von 
König, Schwenkenbecher u. a. 

Eiwciss Fett Kohlehydrat Kalorien 
30 g Eialbumen — 3,8 g 0,04 g 0,16 g 17,7 

30 g Weizenmehl = 3,0 g 0,3 g 21,0 g 114,0 

(Variante) = (4 g) (0,45 g) (21,5 g) 

9 g Butter = 0,06 g 7,5 g 0,02 g 76,8 g 

69 g Nahrung = 6,86 g 7,84 g 21,18 g 208,5 g 

Diese Mischung ist ohne Nr. farblos, schmackhaft und ent¬ 
spricht der Durchschnittsnahrung in jedem Kulturstaat, der 
unumgänglichen Vorbedingung einer grösseren Verbreitung. 
Sie ist demnach überall herstellbar, sowie auch das Neutralrot 
überall erhältlich ist. 

Da es nun ein nicht zu unterschätzender Nachteil der 
Sahli sehen Suppe ist, dass sie nicht immer mit ganz gleicher 
Konsistenz und Fettgehalt hergestellt werden kann, se führte 
ich die Neutralrotsuppe in ein Pulver über, das von ganz 
gleicher Zusammensetzung überall erhältlich ist und dessen 
Alleinvertrieb in gut schützender Verpackung ich, um vor 
schlechten, das Verfahren diskreditierenden Nachahmungen und 
zu hohen Preisen geschützt zu sein, vor allem aber, um die 
Herstellung einer ganz gleichartigen Suppe zu ermöglichen, 
in Deutschland der Firma W. Holzhauer in Marburg über¬ 
tragen habe. 

Das entstehende Pulver ist rot und kann unter Zusatz von 
400 ccm Wasser und Erwärmen und Umrühren 5—10 Minuten 
wieder in eine Suppe verwandelt werden, wobei wegen der 
Gerinnung des Eiweisses Sieden vermieden werden muss. 

Gegen die Sahli sehe Suppe ist bekanntlich von Zweig 
und C a 1 v o 7 ) der Einwand erhoben worden, sie rege die 

*) Sahli: Klinische Untersuchungsmethoden, IV. Auflage, Franz 
Deutike, Wien 1906. 

7 ) Zit. aus Seiler und Ziegler: Deutsches Archiv für kli¬ 
nische Medizin, 81. Bd., 1904, pag. 551—573. 

1 


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1866 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Sekretion weniger an, als andere Probefrühstücke, ein Vor¬ 
wurf, der auch gegen diese Suppe selbst bei Berücksichtigung 
des Eiweisszusatzes in gewissem Masse erhoben werden 
könnte, der aber sofort an Bedeutung verliert, wenn man sich an 
die dominierende Rolle des Appetits bei der Sekretion erinnert, 
und der durch die Arbeit von Würz 8 ) endgültig unhaltbar ge¬ 
worden ist. Das Probemittagessen von Riegel bildet aller¬ 
dings einen grösseren peptischen Reiz, dafür besteht aber dort, 
wie übrigens auch beim Ewald sehen Frühstück, die unan¬ 
genehme Nebenwirkung der häufigen Sondenverstopfung, die 
hier fehlt [S t r a u s s und Leva •)]. 

Eine Probekost muss vor allem auf alle drei Komponenten 
der menschlichen Nahrung Rücksicht nehmen und schmackhaft 
sein, was sicherlich bei Thee und Semmel nur bedingt der Fall 
ist. Denn die eigenartigen Wirkungen von Fett, Kohlehydraten 
und Eiweiss und des Appetits auf Sekretion und Motilität sind 
ja seit Pa w 1 o w l0 ) und Cannon 11 ) Allgemeingut der 
Physiologie geworden. Am zuverlässigsten werden diejenigen 
Werte sein, die als Repräsentanten der ganzen Nahrung dienen 
können. Die Zusammensetzung der Nr.-Suppe dürfte dieser 
Forderung am ehesten Rechnung tragen, um so mehr, da durch 
die Herstellung im grossen eine ganz gleiche Zusammensetzung 
erzielt wird. 

In der Suppe ist nun der Farbstoff so eng an Mehl und Ei¬ 
weiss gebunden, dass er durch Auswaschen nicht im geringsten 
ausgespült und filtriert werden kann; nur in starker saurer 
Reaktion, bei Zusatz von organischen oder Mineralsäuren,, 
löst er sich los und geht dann ins Filtrat über, dasselbe sofort 
schwächer oder stärker rot färbend. Aehnlich wie Säure 
wirkt auch Pepsin- oder Pepsin-Salzsäure (siehe unten). J e 
nachder Verdauungskraft wird also Nr. mehr 
oder weniger frei, und ist so der ganze Magen¬ 
inhalt auch bei Sedimentierung doch infolge 
Diffusion des Farbstoffes gleich massig rot 
gefärbt; d. h. es tritt weder Suppe noch Ma¬ 
gensaft aus dem Magen aus, selbst auch bei anazidem 
Magen, da hier der Speichel in geringem Grade lösend wirkt. 
Ungleiche Verteilung des Nr. im Inhalt ist daher nicht möglich, 
wie beim Fett, und es ist demnach erlaubt, Stichproben aus dem 
Ausgeheberten zu entnehmen, um die Menge Nr. zu bestimmen, 
die den Magen verlassen hat, mit anderen Worten dessen 
motorische Kraft. Denn nur die Motilität kommt für den Trans¬ 
port von Nr. aus dem Magen in Betracht, jede Resorption im 
Magen aber ist auszuschliessen; ebenso habe ich auch eine 
Ausscheidung von Nr. in den Magen nie beobachten können. 
Sowie aber der Farbstoff frei oder als Suppe in den Dünndarm 
gelangt, so beginnt die Resorption, und das Nr. gelangt nach 
individuell verschiedener, aber im allgemeinen nicht sehr 
variierender Exkretionsdauer in den Urin, denselben rot fär¬ 
bend. Diese Färbung fängt kurze Zeit nach Beginn der Re¬ 
sorption an und erreicht dann, wenn der Hauptteil des Nr., das 
heisst des Mageninhalts, den Magen verlassen hat, ihr Maxi¬ 
mum. 

Durch Beobachtung des Urins lassen sich 
also Schlüsse ziehen, einmal auf die Zeit der 
ersten Entleerung des Pylorus nach Beginn 
der Mahlzeit und auf die G e s a m t m o t i 1 i t ä t. 
Durch die Arbeiten von Sick und Tedesco 12 ), Cohnheim l; ‘), 
Cannon 14 ) etc. ist klar bewiesen, dass die Motilität in viel 
engerer Beziehung zur Magenfunktion stellt und von viel 
grösserer Bedeutung ist, als man früher annahm und dürfte der 
eingeschlagene Weg noch weiter führen. Gerade aber über die 
I atigkeit des Pylorus, des motorisch wichtigsten Teiles, können 
diealten Untersuchungsverfahren keine Auskunft geben. Eine 


^ rz: Deutsche medizinische Wochenschrift, No. 24 , mos, 

I I5ö» 

Bd„ pa|‘161/93, S l"»R. LeVa: ZcitScl,rift fiir klinisc,l,; Meilizil '' 65- 

1898 Pawlow: Die Arbeit der Vertlaiiiingsdriisen, Wiesbaden 

ll ) Cannon: The aniericain Journal of phvsiologv. XII. Bd 
Pag. 388—419, 1905. 

**) Sick und T c d e s c o: Deutsches Arch. f. klin. Med., 92 Bd 
pag. 416/51. 

0 13 J Cohnheim: Münch, med. Wochensehr., No. 52, 1907, pag. 

ä5o1 ( 83. 


grosse Versuchsserie mit der neuen Methode aber hat gezeigt 
(s. a. O.), dass in der Tat der Pylorus ziemlich selbständig 
arbeitet, entsprechend den Versuchen von Sick, Cohn- 
h c i m, Moritz etc., und dass viele Fragen der Hypcr- 
motilität und Atonie etc. nur unter Berücksichtigung seiner 
speziellen Funktion eine befriedigende Losung finden können. 
Auch die Gesamtmotilitat lässt sich so auf ziemlich einwands¬ 
freie Weise, auch ohne Ausheberung als Kontrolle, prüfen, 
indem eben die ganze Mahlzeit als Indikator der motorischen 
Krait in Betracht kommt, im Gegensatz zur Penzoldt- 
F a b e r sehen Jodkali- oder E waid-Siebcr sehen Salol- 
probe, bei denen die Pulver gleichsam nur als Passagiere mit 
der Mahlzeit fahren, ausserdem aber besitzt das Jodkali nach 
F e i g 1 ,r> ) sekretionsreizende Eigenschaften, und das Salol 
wird nach Boldyrefi 5 ') oft durch in den Magen über¬ 
tretenden Pankreassaft vorzeitig gelost und resorbiert. 

Praktisch macht sich die Methode so, dass der Patient mit 
nüchternem oder durch Ausheberung geleertem Magen die Suppe 
nimmt, eine halbe Stunde vorher aber 1- 3 Glas W asser oder 
Thcc trinkt. Nach Einnahme der Suppe soll, wenn möglich, alie 
5 -10 Minuten in der ersten halben Stunde uriniert werden und 
der Urin auf seine Färbung vom Patienten oder vom Arzt be¬ 
obachtet werden. Nach der ersten halben Stunde genügt eine 
y* stündliche Prüfung bis zu 2 oder 3 Stunden. Der Patient 
kann die einzelnen Proben entweder in Reagenzgläsern der 
Reihe nach aufbewahren oder von je einer Probe einen Tropfen 
auf weisses Filtrierpapier bringen und mit Zeitangabe nume¬ 
rieren, so dass der Arzt auch aus der Papierfarbe Schlüsse 
ziehen kann. Wird der Urin, dessen Färbung bald nach der 
Ausheberung stets abnimmt. gelb, so ist es zur sicheren Ent¬ 
scheidung nötig, diese gelben Proben mit verdünnter Essig¬ 
säure leicht anzusäuern, da die mangelnde Rotfärbung oft nur 
auf leicht alkalischer Reaktion (gelbe Färbung) oder Reduktion 
beruht, wobei das Nr. in eine farblose Modifikation ubergeht. 
Als Normalzahlen der Färbung haben sich ergeben: Beginn 
derselben oder Pylorusoffnung 30—35 Minuten nach der Mahl¬ 
zeit und der Hauptentleerung, der der MavimalfärInnig 45 Pis 
bö Minuten. Dieses Maximum dauert oft l i Stunde an, 
je nach der Geschwindigkeit und Intensität der Resorption und 
Sekretion, die gewöhnlich dann schwächer sind, wenn die pep- 
iisehe Funktion des Magensaftes stark herabgesetzt ist und 
der Darm allein die Lösung des Nr. besorgen muss. Die Aus¬ 
heberung zeigt im allgemeinen keinen störenden Einfluss auf 
die Urinfärbung. Irgendwelche Nierenreizung habe ich nie 
beobachtet. — Etwaige rote Wäscheflecken lassen sich mit 
schwacher Essigsäure leicht auswaschen. 

'« Stunden bis 1 Stunde nach Einnahme der Suppe erfolgt 
die Ausheberung, die am besten nach dem Vorschlag von 
Sahli 17 ) vorgenommen wird d. h. anstatt der zw eilocherigen 
wird eine vielfach durchbohrte Sonde verwandt, so dass bei 
hängendem Oberkörper eine möglichst vollständige Entleerung 
erzielt wird, wobei ein Saugballon im Spulschlauch gute Dienste 
leistet. Nach möglichster Entleerung auf diesem Wege wird 
noch mit einer bestimmten Menge lauwarmen Wassers nach- 
gespiilt, um die noch Testierenden Speisemengen zu bestimmen. 
Die Verarbeitung des Ausgeheberten erfolgt zum Teil dem 
Prinzip nach auch wieder nach den Sah I i sehen Vorschriften. 

Dasselbe wird in einer Schale makroskopisch auf Schleim 
und auf die Verdauung geprüft. I m G e Neusatz zu d e n 
a u d e r e n Met h o den unterscheidet s i c h hier 
der M a g e n s c h I e i m dadurc h v o m vers c 1 : I u c k - 
t e n Speichel, dass letzterer farblos, c r s t e r e r 
rot ist oder einen roten Kern besitzt, so dass 
s i ch o ft sc ho n a n der Menge kleiner roter 
S c h 1 e i m f 1 o c k e n die S c h I e i m s e k r e t i o n f c s t - 
stellen lässt. Der rote Kern der Flocken besteht mikro¬ 
skopisch aus Bakterien. Zellfragmenten und Leukozvten- 
kerneu und gibt damit die Menge des Schleimes auch makro¬ 
skopisch schon Anhalt über die Stärke der Desquamation und 


n ) Cannon: The aniericain Journal of phvsi«>!i>g\. XII Bd 
1905. • 


‘Ö Fei gl: Biochemische Zeitschrift. * IG. pag 
’*) Boidyreff: Pflügers Archiv. 121. Bd.. 1***7. 
J ’) Sahli: Klinische Untersuchuncsna. th<iJe 4 

und Wien, Franz Deutike, 1905, pag. 4Jn 437 . 


4<>7— 519. 

Auf!.. Leipzig 


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Original fro-rri 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 



8. September 1903. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1867 


des Zellreichtums. Die Zellen und Bakterien sind deutlich rot 
gefärbt, machen eine spezielle Färbung unnötig. Dagegen 
stören sie später (s. unten) beim Alkalisieren, indem der Schleim 
für die Lauge schlecht durchlässig ist und das Nr. des Kernes 
vor deren Einwirkung schützt. Es empfiehlt sich daher, um 
eine homogene Emulsion zu erhalten, die Schleimflöckchen 
vorher zu entfernen. Hieran schliesst sich die Untersuchung 
des Spülwassers, das gewöhnlich aus klarem Wasser und 
einigen Flocken roter Suppe besteht, welche, wenn reichlich 
vorhanden, durch Sedimentieren in einem Messzylinder oder 
auf kolorimetrischem Wege (siehe unten) durch Verdünnen 
eines bestimmten Quantums Suppe bis zur gleichen Färbung 
wie die des Spülwassers in ihrer Menge bestimmt werden 
kann. Reichliche Beimengung kann, abgesehen von schlech¬ 
ter Ausheberung, für Karzinom sprechen, wenn letzteres 
ein schwammiger Tumor ist (vergl. S t r a u s s 18 ) und in seinen 
Nischen Nr.-Suppe retiniert. 

Diese ganze Untersuchung muss in kurzer Zeit erledigt 
werden, weil sonst die Azidität durch saure Gärung zunimmt 
oder die freie Salzsäure bei fortdauernder Verdauung durch 
Bindung abnimmt und so das ganze Titrationsresultat ge¬ 
fährdet würde. 

Das Ausgeheberte wird nun gut durchgerührt auf seine 
Menge gemessen und im graduierten langen Reagenzgläs¬ 
chen a zur Marke 10 ccm aufgefüllt. 

Um die Handhabung der Methode in der Praxis zu er¬ 
leichtern, wurden zwei solche Röhrchen a und b mit den 
weiter unten beschriebenen Utensilien, Gebrauchsanweisung, 
Schema, Tabelle, Skala, Tropäolinpapier und Stopfen zu einem 
Apparat zusammengestellt, dessen Alleinvertrieb in Deutsch¬ 
land ebenfalls im Interesse der Sache die Firma W. Holz¬ 
hauer, Marburg übernommen hat. 

In das zweite Röhrchen b kommt eine beliebige (im Maxi¬ 
mum 10 ccm), aber bestimmte Anzahl Kubikzentimeter 
Suppe. In Röhrchen a erfolgt nun die Titrierung durch Zu¬ 
giessen von Vio Normalnatronlauge (Vio N. N. L.) bis 
zur Gelbfärbung, jeweiliges Umschütteln und Ablesen der 
Zufuhr an der Graduierung in % und 1 ccm. Wenn 
nötig, kann die freie Salzsäure durch Betupfen des Tropäolin¬ 
papiers mit dem benutzten Kautschuckstöpsel bestimmt werden 
und die gebundene mit Alizarinrot, sulfosaurer Natronlösung. 
Als Indikator für die Gesamtazidität (G. A.) dient das in der 
Suppe a priori vorhandene Nr., das bei Eintritt der alkalischen 
Reaktion, mit einer dem Phenolphthalein ähnlichen Empfind¬ 
lichkeit für Säuren und Basen, einen Umschlag in Gelb er¬ 
leidet. Als durchschnittliche normale Säurezahlen ergaben 
sich auch bei der Suppe 35—50 Aziditäten. 

Die gleiche, aber bei geringerer Suppenmenge ent¬ 
sprechende Anzahl Kubikzentimeter Vio N.N.L. muss auch bei 
b zugefügt werden, d. h. wenn die Suppenmenge hier 5 ccm 
betrug, halb so viel Kubikzentimeter Lauge wie bei a, wenn 
6 ccm = 6 /iomal soviel wie bei a etc. Gleichzeitig ist 
es empfehlenswert, für den Fall, dass die 
Suppe an sich eine leichte Azidität besitzt, 
auch hier auf den Farbenumschlag zu achten. 
Zum Farbumschlag der reinen Suppe sind meistenteils 
ca. 0,5 ccm Vio N.N.L. nötig, wenn mehr Fettsäuren vorhanden, 
auch etwas mehr und ist der Wert von der G. A. zu sub¬ 
trahieren. Nun werden a und b gut durchgeschüttelt und unter 
fortwährendem Umschütteln in b so viel Wasser zugesetzt, bis 
die gelbe Färbungsintensität in b gleich ist wie in a, d. h. zur 
Suppe wird im gleichen Verhältnis Wasser zugesetzt, wie im 
Magen Magensaft. Bezeichnen wir daher die anfängliche An¬ 
zahl der Kubikzentimeter Suppe in b mit klein c, die Menge 
zugesetzten Wassers mit c\ so verhält sich die Suppe zum 
Magensaft quantitativ wie c zu c 1 . Als Norm ergab sich auch 
hier, wie bei Sahli 19 ), dass c = c 1 ist, d. h. Suppe und 
Magensaft zu gleichen Teilen im Ausgeheberten enthalten sind. 
Die tatsächlich im Ausgeheberten vorhandene Menge Suppe 
(Su) und Magensaft (Ma) berechnet sich auf einfache Weise 


18 ) Strauss: Zeitschrift für klinische Medizin, 41. Bd., 1900, 
pag. 303/20. 

1# ) Sahli: Klinische Untersuchungsmethoden, 4. Aufl., Leipzig 
und Wien, Franz Deutike, 1907, pag. 420/437. 


durch folgende Formel: Su = To -_£ c t und Ma = To X -^^r. 
Durch Subtraktion- der ausgeheberten Suppe (Su) von der ein¬ 
genommenen lässt sich die in denDarm übergetreteneSu-Menge 
bestimmen, die im Vergleich zur eingenommenen normal ca. 
7 —9 Zehntel derselben betragen muss. Gleichsam als auto¬ 
matische Kontrolle für die in diesem Mengenverhältnis aus- 
gedrückte motorische Kraftbestimmung kann ja, wie oben be¬ 
merkt, die Urinuntersuchung dienen. Es sei gleich hier be¬ 
merkt, dass die Werte Su und Ma resp. Motilität und Sekre¬ 
tion reziproke, einander gegenseitig bedingende Grössen sind, 
was bei der Beurteilung zu beachten ist. 

Auf diese Weise wird auch sehr einfach, entsprechend dem 
Vorgehen vonSeiler 21 ),Müller 22 )etc.,das ganze Ausgeheberte, 
Speise und Magensaft und nicht nur letzterer allein, wie im 
Filtrat titriert, so dass die Resultate zweifellos die sekretorische 
Funktion viel besser repräsentieren als die Filtratwerte. In 
der Tat sind auch die auf diesem Wege gewonnenen Aziditäten 
um ca. 10—15 höher als jene, was daher kommt, dass die 
Suppe sich sehr stark mit Magensaft imbibiert, so dass es Vor¬ 
kommen kann, dass ein Sekret säurefrei zu sein scheint im 
Filtrat, während bei Titration des Ausgeheberten immerhin 
noch 10—15 Aziditäten zum Vorschein kommen. In diesem 
Falle also hat die Suppe alle verfügbare Säure etc. zweifellos 
im Sinne der Verdauung für sich in Anspruch genommen. 
Daher kommt es auch, dass auf diese Weise die meisten sogen, 
anaziden Magen doch noch eine leichte azide Reaktion be¬ 
sitzen, auch bei Subtraktion der zum Umschlag der Suppe 
nötigen Lauge. Auch ist zweifellos die Titration des ganzen 
Ausgeheberten bei Zusatz von Phernolphthaleinlösung nicht 
dasselbe, wie wenn das Nr. der Indikator ist, der alles voll¬ 
ständig gleichmässig durchtränkt. 

Die übrige ausgeheberte Menge wird nun filtriert in das 
Röhrchen b und wenn nötig auch das Filtrat später nochmals 
titriert. Vor allem von Bedeutung ist die Farbe des Filtrates. 
Wie anfangs erläutert, ist Pepsin-Salzsäure und in 
geringerem Grade auch letztere allein, oder 
eine andere anwesende Säure imstande, das 
Nr. aus der engen Bindung mitdem Mehl etc. zu 
lösen. Man kann daher aus der Intensität der 
Färbung des Filtrates, d. h. der Menge ge¬ 
lösten Nr. auf die Grösse jener Faktoren 
schliessen. Vor allem richtet sich die Frage nach der 
Pepsinstärke, da ja die Azidität auf anderem Wege bestimmt 
wird. Da nun die Säure an sich je nach ihrer Konzentration 
auch stärker oder schwächer wirkt, so erfordert die Beur¬ 
teilung eine gewisse Erfahrung. Um diesem Mangel abzu¬ 
helfen, wurde aus einer Reihe von Versuchen das Mittel ge¬ 
nommen und eine Skalenreihe von Färbungsgraden nach be¬ 
stimmter Pepsinkraft zusammengestellt, bei der Gesamt¬ 
azidität 50. Eine nähere Darstellung wird andernorts erfolgen. 
Die beigegebene Skala besteht aus 6 Feldern: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 
deren Färbung in steigender Reihe eine in Zahlen beigefügte 
Menge Pepsineinheiten repräsentiert. Entspricht nun die Fär¬ 
bung eines Filtrates im Röhrchen b der Färbung eines Feldes, 
z. B. No. 3, was sich dadurch leicht bestimmen lässt, dass man 
das Röhrchen hinter den Oeffnungen der Skala vorbeischiebt, 
so besitzt das Filtrat die Anzahl Pepsineinheiten, die bei 3 
angeführt sind, wenn es ebenfalls die Gesamtazidität 50 hat. 
Die Bestimmung derselben mit Vio N.N.L. erfolgt am besten 
nach der kolorimetrischen Untersuchung, weil das Filtrat ge¬ 
legentlich sehr spärlich ist. Ist nun die gefundene Azidität A z.B. 
25, so ist die Skalenzahl x mit 50:25 zu multiplizieren, d. i. mit 2, 
oder, allgemein ausgedrückt, mit einem Bruch, in dem 50 im 
Zähler, die gefundene Azidität im Nenner steht = x X x m 
Denn bei geringerer Gesamtazidität muss die Pepsinwirkung 
um so grösser sein, um dieselbe Färbung zu erzielen, weil die 
mangelnde Azidität ersetzt werden muss. Die gefundenen 
Werte können vorderhand nicht den Anspruch auf volle Ge¬ 
nauigkeit machen, mit Sicherheit kann nur ange- 

20 ) Seiler: Deutsches Archiv für klinische Medizin, 71. Bd., 
pag. 271/292, 1901. 

“) Müller: Deutsches Archiv für klinische Medizin, 88. Bd., 
pag. 521/42, 1907. 

”) Pawlow: Die Arbeit der Verdauungsdrüsen, Wiesbaden 

1899. 

1 * 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1868 


No. Mk 


nommen werden, dass, wenn das Filtrat farb¬ 
los ist, weder Pepsin, noch deutliche Säure 
vorhanden ist und dass bei deutlicher Fär¬ 
bung beide in gegenseitig kleineren oder 
grösseren Mengen sich vorfinden. Da das 
ganze Verfahren aber sicherlich an sich ein gewisses 
Interesse verdient, und da es sich um neue, der vollen 
Ausarbeitung noch harrende Wege handelt, so glaube ich. die 
Sache doch dem öffentlichen Forum unterbreiten zu dürfen, um 
so mehr, als durch die Ergebnisse der Praxis die an sich so 
einfache und daher wünschenswerte Methode um so rascher 
eine Klärung erfahren kann. 

Wenn die auf diese Weise gewonnenen Resultate nicht 
immer mit denen übereinstimmten, welche sich nach der 
von Nierenstein und Schiff modifizierten Mett- 
schen Probe, die als Kontrolle verwandt wurde, gewinnen 
Hessen, so ist dabei nicht zu vergessen, dass es sich 
im Grunde eben um zwei ganz wesensverschiedene Ver¬ 
fahren handelt; denn bei der M e 11 sehen Methode mit Ver¬ 
dünnung durch ‘/20 N.N.L. wird Magensatt von der letzten Ver¬ 
dauungsphase verwandt. Nach Paw low •*) aber tritt be¬ 
kanntlich beständig eine Aenderung der Pepsinkonzentration 
im Sekrete auf. — Bei der Färbungsmethode aber wirkt nun 
nicht nur Sekret der letzten Phase, sondern die Färbung ist 
gleichsam das Produkt längerer Perioden. Die Gesamtw irkung 
kann also je nach der Eigenart des Individuums bei der einen 
Methode grösser oder kleiner sein, als bei der anderen. Ausser¬ 
dem aber ist nicht zu vergessen, dass auch bei allen Vorsichts- 
massregeln doch bei Mett sich die Spaltungskörper, Peptone, 
etc. hemmend ansammeln, bei der Färbungs- oder vitalen Me¬ 
thode, wie man sie auch nennen kann, dagegen mehr oder 
weniger fortwährend weggeschafft werden und dass es sich 
dort um Eiweiss, hier aber um ein Gemisch von Ei¬ 
weiss, Fett und Kohlehydrat handelt. Es sind dies 
wichtige Fragen, ohne deren Beantwortung eine endgültige 
Beurteilung unmöglich ist. Der Vorteil der vitalen Methode 
liegt ja auf der Hand, einmal weil sie sich möglichst an die 
Tätigkeit des Magens anschliesst, andererseits aber, weil die 
Gesamtuntersuchung sich in kurzer Zeit vollständig inklusive 
der Pepsinbestimmung erledigen und so einen besseren Ge¬ 
samtüberblick gewinnen lässt als wenn die Dauer der Unter¬ 
suchung 24 Stunden hingezogen wird. 

Damit hat die Untersuchung ihr Ende erreicht, abgesehen 
von einer eventuellen Milchsäurebestimmung, bei der weder 
bei der U f f e 1 m a n n sehen noch Straus sehen Methode das 
Nr. stört, indem es für jene zu schwach färbt, in Aether aber 
unlöslich ist. 

Entsprechend der S t r a u s s sehen Empfehlung, die 
Gärungsvorgänge nicht nur qualitativ an dem Vor¬ 
handensein von Fettsäuren, sondern funktionell zu 
prüfen, empfiehlt es sich, das mit alkalisiertem 
Ausgeheberten gefüllte Gläschen a stehen 
zu lassen und zu beobachten, ob und wann 
innerhalb 24 Stunden ein roter Umschlag, 
d. h. saure Reaktion infolge saurer Gärung 
c i n t r e t e. Durch T i t r a t i o n bis zum Umschlag 
dieser Färbung in Gelb kann man die Säure- 
menge bestimmen. Das Verfahren ist so imstande, das 
S t r a u s s sehe Gärungsröhrchen zu ersetzen. Die Bakterien¬ 
flora, die oft im Ausgeheberten keine deutlichen vorherrschen¬ 
den Merkmale zeigt, hat sich inzwischen nach der Richtung 
der dominierenden Form verändert und empfiehlt sich daher 
in wichtigen Fällen nochmals die Anlegung eines mikroskopi¬ 
schen Präparates. 

Die vorliegende Darstellung beantwortet, wie bemerkt, 
noch nicht alle der Methode zu Grunde liegende Fragen. 
Einige derselben bedürfen noch der weiteren Beantwortung, 
so die Frage der Pepsinbestimmung, der individuellen 
Dauer der Nr.-Ausseheidung auf ihrem Wege durch den 
Stoffwechsel und der Resorption der Nr. im Darm. 
Als wichtige unbestimmte Grösse kommt hierbei vor allem in 
Betracht die oxydative Zerstörung die das Nr. im Körper zum 
T eil erleidet und deren Bestimmung allein ein grosses Kapitel 
neuer w ichtiger Fragen aufrollt. 


All diese Aufgaben dürften durch die Praxis eine wesent¬ 
liche Förderung erfahren und berechtigt diese Ueberlegung 
allein schon, der Sache Interesse entgegen zu bringen. 

Wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, verlauft d;e 
Bestimmung der einzelnen Punkte bei der Untersuchung in 
einer gewissen Reihenfolge. Hierbei hat sich folgendes 
Schema, das, der Natur der Sache entsprechend, sich mehr oder 
weniger an das von Riegel *). S a h I i * *) etc. empfohlene 
anlehnt, gut bewährt, indem kurz zusamniengefasst das ganze 
Wesen der Methode zum Ausdruck kommt und welches mit 
der Tabelle zur Skala dem Apparat beigelugt ist. 

S c h c m a 

zur M a g e u u n t e r s u c h u n g nach I > r. S c h lacp f e r. 


Name:. . I >at : 

1) Nucliteriibefutid - - . . 


2) Suppcueinnahme — Menge.. Uhr. 

d) Ausheberung nach Mm. -- . 

Aussehen = . 

Total-Menge (To) — ..ccm 

Rcst =. . ccm 

Aufblähung: . 

4) U r i n f Ü r b U M g Beginn = p. Mm. 

Maximum = . 


5) Titration und Volumetrie. 

O e s. - A z i 4 i t a t ^ . 

Oebuncl. H 01. . 

Freie M Ol . . 

Gesamt MCI . 

Rest. 


e =. ccm 

c : c 1 — Suppe (Su): Magensaft = (Mm) 

Su = To- C , = .... ccm In den Darm ati'^rtrctcne 
c + c 1 


Ma = To- 


o 


ccm S u p i* e 3 Su — 


(>) Pepsmbcstimmung . 

1 .i hun i No. 

O.-s Azidität . Ir. 

I*. I mheiien .. 


MCI .tl. I dir. 


7) Organische Sauren 


tS) Saure (iarung. Luittemp. 

Umschlag nach Std. = . 

A/iditat ., ,, = . 

0 ) Diagnose: . 

Motilität = . 

SkietJon =. 


Azid. 

50 

. 4<* 


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Feld 1 . 

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it: 

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175 

2.U 

— 

— 


. b . 

2 Ml 

J5i i 

- 

- 




Bei genauer Beobachtung all der genannten Versuchs- 
bedingungen, die in kurzen Zugen in der Gebrauchsanw eisung 
dem Apparat beigegeben sind, bietet die Anwendung der Me¬ 
thode keinerlei Schwierigkeiten und die genannten Resultate 
lassen sich auf einfachste Weise gewinnen, auch fiir den prak¬ 
tischen Arzt, der kein grosses Laboratorium besitzt und eine 
genauere Diagnostik erstrebt. 

Selbstverständlich gilt auch hier dasselbe, wie bei allen 
anderen klinischen Methoden: Eine allem darf nie ausschlag¬ 
gebend sein, und werden das Probemittagesseu und die Des- 
moidprobe nach Sahli stets eine wertvolle Ergänzung blei¬ 
ben. Erst bei Zusammenfugen aller auf verschiedenem kli¬ 
nischen Wege gefundenen Daten lässt sich die sichere Dia¬ 
gnose stellen. 

Z u s am m e ug e i as s t lässt sich dies e Me- 
t h o d c i n folg e n d en W n rt e n definier c n : 


* ) Riegel: Nothnagels Mandbi 


und Therapie. XVI. 

* ) Sahli: s. oben.— M a g c n: 


sch der «me de'lcn Pnth'd, 
D'>7. rag. 17 K 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1869 


purch Einführen einer mit Neutralrot (Nr.) gefärbten 
Suppe in den Magen gelingt es einmal an der Urinfärbung die 
erste Entleerung des Pylorus und die Qesamtmotilität des 
Magens zu bestimmen und auf einfache Weise die Mengen¬ 
verhältnisse von Suppe und Magensaft im Ausgeheberten und 
damit die motorische und sekretorische Funktion festzustellen. 
Durch ihre Zusammensetzung aus Eiweiss, Kohlehydrate und 
Fett bildet die Suppe einen physiologisch adäquaten Reiz. 

Aus der Färbung des filtrierten Magensaftes lässt sich 
ungefähr die peptische Kraft desselben erkennen und aus dem 
Farbenumschlag im Ausgeheberten von Rot in Gelb und um¬ 
gekehrt auf die Säuremenge und die Intensität und Anwesenheit 
von Gärungsvorgängen schliessen. 

Zum Schluss möchte ich Herrn Prof. Brauer für die 
gütige Ueberlassung des Materials verbindlichst danken. 


Ueber schlimme Zufälle bei der Apomorphinanwendung 
und Ober die Beziehungen zwischen Würgakt und Muskel¬ 
lähmung. 

Von Dr. Erich Harnack, Prof, der Med. in Halle. 

Als vor etwa 40 Jahren das Apomorphin bekannt und in 
die praktische Heilkunde eingeführt wunde, da interessierte 
man sich für dieses einzige subkutan anzuwendende Brech¬ 
mittel in hohem Grade und rasch wunde das neue Mittel rach 
den verschiedensten Richtungen hin pharmakologisch analy¬ 
siert. Heutzutage ist es ziemlich stille darüber geworden und 
doch ist das Apomorphin unbedingt eines der interessantesten 
Mittel. Einmal wegen der Art seiner Wirkung und sedann 
wegen seiner Beziehungen zu den Opiuimalkaloiden. In der 
Natur selbst als solches nicht vorkommend wird es bekanntlich 
aus dem Morphin durch einen künstlichen chemischen Eingriff 
gewonnen. Es ist das ein analoges Verhältnis, wie man aus 
einem anderen Opiumalkaloide, dem Narkotin, das Kotarnin 
(Styptizin) gewinnt. In beiden Fällen ist aus der ursprüng¬ 
lichen Substanz scheinbar etwas wesentlich anderes geworden. 

In der Praxis findet das Apomorphin immer noch nicht gar 
zu selten Verwendung und man hat neuerdings von üblen Zu¬ 
fällen bei seiner Anwendung wenig mehr gehört. Diese 
schlimmen Zufälle, wahre akute Apomorphinvergiftungen, bieten 
aber praktisch wie theoretisch ein hohes Interesse dar, und ich 
will daher zunächst die wichtigsten dieser Fälle kurz zu¬ 
sammenstellen und vergleichen. 

Den einen Fall habe ich an meinem eigenen Körper erlebt 
und auch einmal bereits im Zusammenhang mit einem anderen 
Gegenstand kurz erwähnt 1 ). Ich war damals Rekonvaleszent 
von einer leichten Bronchopneumonie, von etwas ge¬ 
schwächtem Kräftezustand und befand mich allein in einem 
Hotel eines grösseren Badeortes. Um einen zufällig beim 
Essen verschluckten Fremdkörper rasch wieder herauszu¬ 
schaffen, begab ich mich auf mein Zimmer, verriegelte die Tür 
und injizierte mir subkutan in frisch angefertigter Lösung 10 mg 
Apomorphinsalz. Mit dem Mittel war ich durch eingehende 
Experimentalstudien, die ich damit angestellt hatte 2 ), sehr ver¬ 
traut, hatte auch seine Anwendung am Menschen wiederholt 
zuvor beobachtet. Wenige Minuten nach der Injektion trat 
einige Male starkes Erbrechen ein, aber ebenso rapide steigerte 
sich schon während des letzten Breohaktes eine allgemeine 
Muskelerschlaffung, so dass ich bald wie ein umgeworfener 
Wollsack auf den nahestehenden Divan stürzte und nun in 
kürzester Frist völlig ausser Stande war, auch nur das kleinste 
FingergMed zu rühren. Die sämtlichen Körpermuskeln, die 
dem Willen gehorchen, befanden sich im Zustande absoluter 
Erschlaffung, Bewusstsein und Wille waren nicht aufgehoben, 
aber der Wille war nicht zur Geltung zu bringen, es herrschte 
völlige Bewegungsunfähigkeit, nur die Atmung und der Herz¬ 
schlag dauerten fort. Es ist dies einer der hilflosesten Zu¬ 
stände, in die ein Mensch versetzt werden kann, und er wirkte 
um so peinlicher, als eben das Bewusstsein erhalten blieb. Erst 
nach einiger Zeit, wohl ca. 30 Minuten, konnte ich, ohne dass 
neues Erbrechen erfolgt war, wenigstens schwache Bewe¬ 


*) Vgl. Münch, med. Wochenschrift. 1892. No. 11. 

9 ) Vgl. Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakol., Bd. II, S. 25*1. 


gungen ausführen und bis zur Zimmertüre kriechen, um die Türe 
zu entriegeln und Hilfe herbeizuklingeln. Noch am folgenden 
Tage fühlte ich mich sehr kraftlos und erholte mich nur 
langsam. 

Bei .diesem Erlebnis ahnte ich noch nicht, dass durch eine 
merkwürdige Duplizität der Ereignisse fast um die gleiche Zeit 
: ein französischer Professor der Medizin eine gefährliche 
akute Apomorphinvergiftung an sich selbst erlebte! Viel später 
! erst fand ich zufällig in den Annales d’hygiöne publique *) den 
1 französischen Bericht ijber dieses Erlebnis. Es scheint der 
deutschen Literatur, selbst unseren grossen Hand¬ 
büchern der Toxikologie, ziemlich unbekannt ge¬ 
blieben zu sein. Es handelte sich um Prof. P e c h o 1 i e r 3 ), 
I der überarbeitet und durch dreimonatliche Milchkur ge¬ 
schwächt, seit 8 Tagen an einer sehr schmerzhaften Angina mit 
I rheumatischer Affektion litt. Dagegen hatte er einmal die sehr 
starke Dosis von 6,0 g Natr. salicyl. genommen und dann noch¬ 
mals 4,0 in zwei Portionen; ausserdem waren Morphininjek¬ 
tionen und Blutegel angewendet worden, also eine ziemliche 
Pferdekur an geschwächtem Körper. Die Mittel halfen wenig 
und so nahm er seine Zuflucht zu einer Injektion von 13 mg 
Apomorphin. Schon nach zwei Minuten entwickelte sich eine 
sehr quälende Nausea und eine ohnmachtsähnliche Schwäche, 
aber es trat kein Erbrechen ein. Die Respiration 
wurde unregelmässig, dazwischen aussetzend, wo¬ 
zu sich ein unbeschreibliches Angstgefühl gesellte. Die 
rasch henbeieilenden Kollegen halten es für richtig, eine zweite 
Apomorphindosis (!) anzuwenden, die einige Male Brechakt 
auslöste, aber von neuem Kollaps gefolgt war, der 30—35 Mi¬ 
nuten andauerte und während dessen die Atmung sehr lang¬ 
sam und stertorös blieb, während das Gesicht livide gefärbt 
war. Ein jetzt angewendetes analeptisches Verfahren (Senf¬ 
teig, Aetherinjektion) machte dem Zustand bald ein Ende, die 
Erholung trat rasch ein, und nach 4 Tagen war auch das ur¬ 
sprüngliche Leiden fast verschwunden. 

P ö c h o 1 i e r meint nicht gerade, dass die starken Dosen 
Salizylat und das Morphin die Apomorphin Wirkung so ge¬ 
steigert hätten, dass aber mehr der etwas anämisch-schwäch¬ 
liche Zustand, in dem er sich befand, angeschuldigt werden 
muss. Aber wenn er dieses auch einräumt, so wirft er doch 
mit wohl berechtigter Erregung die Frage auf, was man zu 
einem Mittel sagen soll, von dem eine Anzahl Milligramm einen 
Menschen glattweg töten könne! Er weist auf die engen Be¬ 
ziehungen zwischen Brech- und Respiratiönszentrum in der 
Medulla oblong, hin und meint, diese erkläre bestens die Wir¬ 
kung des Apomorphins auf die Atmung.’ 

Nun, gerade diese Frage habe ich in meinen experimen¬ 
tellen Untersuchungen eingehend behandelt, aber von meinem 
Apomorphinsalz 'bei Warmblütern nur heftigste E x z i t a t i o n 
der Atmung, sowie auch anderer Zentren (psycho¬ 
motorische, Kaubewegungen etc.) beobachtet, worauf ich weiter 
unten zurückkomme. 

Schon bald nach Einführung des Apomorphins in die Praxis, 
d. h. 10 Jahre vor dem letztgenannten Falle, hatte L o e b 4 ) über 
ähnliche Beobachtungen berichtet. 

Einem 23 jährigen robusten, an akutem Magenkatarrh leidenden 
Burschen injizierte er absichtlich in einer acht Wochen alten, a’so 
sehr dunkelgefärbten Lösung, um deren Wirksamkeit zu erproben, 
8 mg Apomorphin. Nach zehn Minuten trat Nausea ein, nach weiteren 
drei Minuten wurde Patient so schwindlig, dass er zu Boden stürzte 
und nur mit Mühe auf den nahestehenden Divan gebracht werden 
konnte. Da wurde er totenblass, die Augen schienen gebrochen, 
kalter Schweiss bedeckte die Haut, Patient begann zu röcheln, 
kurz lag da wie in der Agone. Als ihm die Zunge mit dem Zeigefimrer 
herabgedrückt wurde, fing der Kranke an Massen flüssigen Magen¬ 
inhaltes auszubrechen, was sich wiederholte, worauf er in einigen 
Minuten wieder wohlauf war. 

L o e b berichtet ferner von einem 13 monatlichen, an Bron¬ 
chitis leidenden Kinde, bei dem zwei Minuten nach Injektion 
von 2 mg Apomorphin Erbrechen erfolgte. Dann aber wurde 
das Kind wachsbleich, der Atem röchelnd, indes besserte 
sich der Zustand wieder nach Verlauf einer Stunde. 


3 ) Vgl. Annal. d’hyg. publ., 3. Sör., T. VIII, 1882. S. 185. 

4 ) Loeb: Berl. klin. Wochenschrift, 1872, No. 33, S. 400. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1870 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Ein weiterer Fall, ln dem versehentlich statt 0,02 das Zehn¬ 
fache (0,2) infiziert wurde, ist von Wertner 5 ) berichtet wor¬ 
den. Es traten schwere Ohnmacht, schlechte Atmung, 
Erstickungs- und höchstes Angstgefühl ein, aber nachdem hef¬ 
tiges Erbrechen erfolgt war, erholte sich der Vergiftete all¬ 
mählich. 

Endlich berichtet Binz®) über einen ganz merkwürdigen, 
von Ungar publizierten Fall, der sehr verhängnisvoll verlief: 

Ein mit Kyphoskoliose behafteter 54 jähriger Mann litt an chroni¬ 
schem Bronchialkatarrh mit geringem Emphysem, doch war das All¬ 
gemeinbefinden nicht gerade erfreulich. Nachdem ihm nur 4’ .-mg 
Apomorphin vorn an der Brust subkutan injiziert worden waren, starb 
der Patient unter Kollapserscheinungen schon nach sieben Minuten. 

Der Fall ist wohl nicht recht aufgeklärt worden, er würde 
unter den obigen der einzig tödlich endende sein, aber die 
Dosis von 4M mg erscheint dazu doch als zu gering? 

In therapeutischer Hinsicht hat neuerdings R a b o w 
das Apexmorphin in kleinen Dosen als Schlafmittel emp¬ 
fohlen, das aber für geschwächte Personen und Kinder nicht 
passen soll. Als Mittel gegen Aufregungszustände von Geistes- 
kranken ist cs übrigens schon früher von anderer Seite in Vor¬ 
schlag gebracht worden. 

Visanska 6 7 ) empfahl sehr kleine, nicht emetisch wir¬ 
kende Dosen (I—U4mg subkutan) bei puerperalen Konvul¬ 
sionen und bei Asthmatikern (Muskelerschlaffung), sowie auch 
Kindern bei Diphtheritis (0,5 0,7 mg subkutan). 

Dann hat vor zehn Jahren der Franzose G u i n a r d ") aufs 
neue eingehende Experimentaluntersuchungen ausgeführt und 
dabei namentlich die Wirkungen des Apomorphins mit denen 
seiner Muttersubstanz, des Morphins, zu vergleichen sich be¬ 
müht, was ich übrigens 24 Jahre früher auch bereits getan 
hatte. Er bestätigte im Einzelnen alle meine Beobachtungen, 
in betreff der Atmung, der Reizung von Zentren, der Exzitation, 
der unwillkürlichen und unaufhörlichen Kau- und Nage¬ 
bewegungen bei Pflanzenfressern, der Muskclerschlaffung usw., 
was alles ich damals schon eingehend beschrieben hatte. Aber 
G u i n a r d wies ausserdem auf einen erheblichen Unterschied 
im Verhalten des kristallisierten und des a m orphen 
A po m o r p h i n s a 1 z e s hin: er gab an, dass die amorphe 
Modifikation des Apomorphins sich von der kristallisierten we¬ 
sentlich unterscheide, indem erstere in nahezu antagonistischer 
Weise lähmend auf die Zentren wirke, besondeis auch auf die 
Atmung, die sie zimi Stillstand bringe, während sie nicht 
emetisch wirke. Bei intravenöser Injektion treten Atmungs¬ 
lähmung, Erniedrigung des Blutdruckes und Muskelerschlaf¬ 
fung ein. 

Vergleicht man das halbe Dutzend obiger Fälle, so ergibt 
sich: jedesmal, wo schon mässige oder relativ kleine Dosen 
Apomorphin so übel wirkten, handelte cs sich um zeitweilig 
geschwächte Individuen, und zwar fast durchweg um solche, 
die an Krankheiten der Respirationsorgane litten oder gelitten 
hatten. Gemeinsam allen Fällen ist die Muskcl¬ 
erschlaffung, der Kollaps. Dann aber zeigen sich Unter¬ 
schiede: in einem Teil der Fälle tritt erst Erbrechen ein, dann 
rasch der Kollaps, in einem anderen kommt es zuerst zu den 
bedrohlichen Erscheinungen, für die der Brechakt dann Er¬ 
leichterung schafft. Ein weiterer Unterschied zeigt sich darin: 
in dem an mir selbst erlebten Falle bestand nur absolute 
Muskellähmung bei intakter, jedenfalls nicht bedrohter Atmung, 
in den anderen war die Respiration von vornelicrcin bedroht, 
so dass sofort anscheinende Lebensgefahr, ja in einem freilich 
nicht ganz aufgeklärten Falle sogar sehr rasch der Tod eintrat. 
Es versteht sich von selbst, dass der Muskelkollaps ganz anders 
lebensgefährlich wird, wenn das Respirationszentrum ge¬ 
schwächt wird, als wenn es intakt bleibt oder durch das Apo¬ 
morphin sogar erregt wird. 

6 ) W e r t n e r: Vgl. Kunkel s Handbuch der Toxikologie, loni. 
S. 840. 

®) Binz: Vorlesungen über Pharmakologie, 2. Aufl.. Berlin lsuj. 
S. 635 ff. 

7 ) Visanska: Med. Record 1898, Juli 2, pag. 15. — Jahresber. 
d. ges. Med., 1898, I., S. 397. 

H ) h u i n a r d s Lntersucliimgen finden sich ausführlich referiert: 
Oihresber. d. ges. Med., 189s, I., S. 396. Lew in und Po liehet: 
’LüitO de toxikol., Paris 1903, S. 600 ff. 


Bei meinen sehr eingehenden Untersuchungen über die 
Apomorphinwirkung an Tieren verschiedener Art habe ich in 
bezug auf das zentrale Nervensystem bei \V a r m b I ii t c r n 
eigentlich nur exzitierende Wirkungen beobachtet, namentlich 
auch auf die Atmung, die beim Hunde in tiefster Narkose auf 
die achtfache Frequenz durch Apomorphin gesteigert werden 
konnte. Bei Pflanzenfressern, die nicht erbrechen, erzeugen 
schon kleinste Dosen psychomotorische Exzitation, unwillkür¬ 
liche und unaufhörliche Kau- und Nagebewegungen und einen 
geradezu maniakalischen Zustand. Ganz exzessive Dosen 
riefen dann beim Hunde die furchtbarsten cpileptiformen Kon¬ 
vulsionen hervor, die ich je beobachten k( mite unJ denen d um 
das Tier erlag"). Nach n.5 Apomorphinsalz subkutan wurden 
binnen 15 Minuten 4U Anfälle gezahlt! Pei Kaninchen toten 
schon ungleich kleinere Dosen, und zwar ebenfalls unter Kon¬ 
vulsionen, gegen die die Narkose schützt. 

Nun hat aber Guinard, wie gesagt, beobachtet, d iss 
das a m o r ph e Apomorphin, namentlich bei unmittelbarer Ein¬ 
führung in die Zirkulation, sich von dem kristallisierten we¬ 
sentlich unterscheidet und aus den angegebenen Gründen viel 
gefährlicher ist, insbesondere wegen der Lähmung der Atmung. 
Es wäre demnach wohl möglich, dass in einem Teil der obigen 
Fälle das verwendete Präparat ein am< rphes ('der ein not 
diesem vermengtes war. Das amorphe \;v morphms.il/ kommt 
auch bei uns im Mandel vor und ist billiger. Unsere Pharma¬ 
kopoe schreibt allerdings ausdrücklich Apomorphin, hvdrochlor. 
in Kriställchen vor, aber es musste doch wohl noch schärfer 
darauf geachtet werden, dass die Präparate durchweg einheit¬ 
lich kristallisiert sind, zumal die Kristalle oft sehr win/'g sinJ 
lind eine Vermischung mit amorphen Körnchen schon leicht 
gestatten. Es ist sehr bemerkenswert, dass bald nach Be¬ 
kanntwerden des Mittels die damaligen englischen Präparate 
nach S i e b e r t wie nach Riegel und B o e h m 1# ) prompt 
und ohne schlimme Nebenerscheinungen - ausser einem 
Schwächegefühl verschiedenen Grades emetisch w irkten, 
während das gleichzeitige deutsche Präparat (M e r c k) damals 
erst in viel (4-- 5 mal) grosseren Dosen und auch weit zögern¬ 
der den Brechakt erzeugte. Die emetischen Dosen führten 
aber schon sehr kurze Zeit nach Darreichung des Mittels un¬ 
überwindliche Schlafsucht herbei und später Kollaps von 
langer Dauer! Ein zw eites englisches Präparat wirkte da¬ 
gegen dem ersten englischen gleich prompt und günstig. Das 
damalige deutsche Präparat war augenscheinlich ein zum über¬ 
wiegenden Teil anu rphes, wenn nicht gar noch mit Morphin 
verunreinigtes. 

Allen den oben geschilderten Fällen gemeinsam war aber 
die M u s k e 1 e r s c h I a f i u n g. die sich in meinem Falle bis 
zur vollständigen, aber bald wieder weichenden Muskel- 
lähmung steigerte. Das führt uns auf die Beziehungen zwischen 
A p o m o r p h i n u n d M u s k e 1 I a h m u n g bezw. Hrccli - 
a k t und M u s k c 11 ä li tu ti n g. 

Experimentell batte ich seinerzeit eine unmittelbare und 
selbst ganz lokalisierte Muskellähmung durch Apomorphin am 
Kaltblüter leicht wahrnchmcn können; auch am Warmblüter ist 
eine Muskelerschlaffung wohl zu konstatieren, aber es lässt 
sich hier schwer nachw eisen, w ie sie zu stände kommt. Dass 
sie auch beim Menschen vorhanden ist und einen sehr hohen 
Grad erreichen kann, beweisen die obigen Fälle ohne Aus¬ 
nahme. Mehrfach ist auch das Apomorphin gerade dieser er¬ 
schlaffenden Wirkung w egen als Heilmittel empfehlen wor¬ 
den. selbst ganz lokalisiert bei lokalen Muskclkrampfcii, z. B. 
einem Krampf des M. rcctus abdominis in rem urthJier An¬ 
wendung. sr dann, wie oben erwähnt, bei puerperalen Konvul¬ 
sionen etc., in selbst bei Strvchninkrümpfen hat man das Mittel 
anzuw enden versucht und nicht ganz ohne Erfolg. 

Der Zusammenhang /wachen Brechakt oder riJibger ge¬ 
sagt Nausea und Wiirgakt einerseits und Muskelschw äclie bis 
zum Muskelkollaps andererseits ist längst und allgemein be¬ 
kannt, aber noch in hohem Grade dunkel. Schon \ nn alters 
lier hat man die so erzeugte Muskelerschlaffung praktisch zu 

") Vgl. Archiv f. exm-. IV: ■ \ u. I ,; en .-r .. !]J, S. 64. 

"’) Riegel und B u h in: W,.v k./’. Mel.. BJ. IX. > Ml 

1871. 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1871 


verwerten gesucht, bevor man die Narkose kannte, z, B. zur 
Einrichtung von Luxationen, Reponierung von Hernien etc. 
Wahrscheinlich geht die Einwirkung hauptsächlich von der 
Magengegend aus (Magennerven), wenn auch vielleicht nicht 
ausschliesslich. Versuche an Tieren allein können hier keinen 
rechten Aufschluss geben, es müssen daher Erfahrungen und 
Beobachtungen am Menschen dazugenommen werden. Wenn 
jemand wiederholt und intensiv würgt, so kann er sehr bald 
das deutliche Oefühl haben, als würde von der Magengegend 
aus etwas in die Nervenverzweigungen hineingepresst, was 
diese nach der Peripherie hin durchrieselnd rasch bis zu den 
Muskeln gelangt und die letzteren schwach macht. Es sind 
nicht nur die Extremitäten, an denen der Effekt dann auch ganz 
objektiv hervortritt; auch die Sprechmuskeln z. B. werden ge¬ 
schwächt, so dass die Sprache plötzlich matt wird und ganz ge¬ 
dämpft klingt. 

Qanz so, wie er empfunden wird, kann natürlich der Vor¬ 
gang nicht gut statthaben, aber augenscheinlich findet durch 
nervöse Vermittlung — was wohl wahrscheinlicher ist als die 
durch Vermittlung von Lymphbahnen — eine Einwirkung statt, 
die in gleichsam vergiftender Art die Muskelsubstanz selbst 
beeinflusst. Bei gewissen Vergiftungen, die zu besonders hef¬ 
tigem Würgen und Brechen führen (z. B. Digitalis), ist die zu¬ 
gleich rasch sich steigernde Muskelschwäche besonders deut¬ 
lich ausgesprochen, aber das Eigentümliche ist eben, dass der 
Würgakt au sich, ja in geringerem Grade schon jede Nausea, 
ganz abgesehen von einer spezifischen Giftwirkung, durch die 
die Nausea erzeugt wurde, die Alterierung der Muskelfunktion 
veranlasst. Hier steckt das eigentlich physiologische oder, 
wenn man will, physiologisch-pathologische Rätsel. 

Bei der Apomorphinwirkung kann, wie wir gesehen haben, 
diese Muskellähmung auch beim Menschen einen besonders 
hohen Grad erreichen, bis zur kompletten Bewegungsfähigkeit, 
also in einem Grade, wie sie durch Würgakt oder gar Nausea 
allein niemals hervorgerufen wird. Weshalb hier dieser be¬ 
sonders hohe Grad der Wirkung? Man kann bei der Apo¬ 
morphinwirkung Wenigstens für den Kaltblütermuskel leioht 
nachweisen, dass der Muskel auf direkte faradische Reizung 
immer schwächer und schwächer reagiert und schliesslich gar 
nicht mehr. Eine kurareartige Wirkung besitzt das Apomorphin 
eigentlich nicht, bei der Kurarewirkung bleibt ja auch die direkte 
Reizbarkeit der Muskelsubstanz zunächst erhalten, aber eine 
derartige Veränderung der Muskelsubstanz selbst durch be¬ 
stimmte Gifte (z. B. auch die Kupferdoppelsalze) kann immerhin 
für ihr Zustandekommen die Vermittlung des motorischen Nervs, 
resp. seiner Endapparate voraussetzen. So verhält es sich 
wahrscheinlich auch bei der Muskelerschlaffung durch die Wir¬ 
kung des Würgaktes, aber es bleibt doch das Eigentümliche 
dabei, dass der Endeffekt anders wie bei der Kurarewirkung 
— wo zunächst nur die Uebertragung ausgeschaltet wird — 
in der Muskelsubstanz selbst si?h abspielt und dass die Funk¬ 
tion des Muskels sich verhältnismässig schnell wiederherstellen 
kann. So lässt sich die Mukelerschlaffung durch den Würgakt 
mit einer Art von schnell vorübergehender Vergiftung des 
Muskels vergleichen. 

Es wäre von hohem Interesse, wenn es bei dieser un¬ 
zweifelhaft vorhandenen, aber immerhin noch recht dunklen 
Beziehung gelänge, festzustellen, ob bei der durch den Würgakt 
bedingten Muskelschwäche die direkte faradische Reizbarkeit 
der Muskeln beim Menschen nachweislich abnimmt. An ge¬ 
eignetem klinischen Material würde sich das wohl ohne allzu¬ 
grosse Schwierigkeit feststellen lassen. Leider hatte die Frage 
in allen jenen Vergiftungsfällen durch Apomorphin nicht be¬ 
rücksichtigt werden können. 

Zur physiologischen Deutung jener merkwürdigen Be¬ 
ziehung könnte man auch vielleicht zu der Annahme geneigt 
sein, dass es sich beim Zustandekommen jener motorischen 
Schwäche um eine reflektorische Erregung von hemmenden 
Einflüssen handle, die auf die motorischen Bahnen ab- 
fliessen. Viel wäre dadurch für das Verständnis freilich nicht 
gewonnen, und es bliebe insofern immerhin merkwürdig, als 
bekanntlich die sekretorischen Funktionen zugleich ge¬ 
steigert werden. Auch die Annahme wäre wenig wahrschein¬ 


lich, dass die Muskelschwäche eine Folge von Zirkulations¬ 
störungen sei; denn sie tritt in gewissem Grade schon während 
der Nausea ein, und der Puls ist während des Brechaktes zwar 
frequenter und etwas schwächer, aber der Blutdruck in den 
Arterien sinkt dabei kaum, es handelt sich wohl im wesentlichen 
um AkzeleransreiZung, so dass stärkere Zirkulationsstörungen 
zunächst nicht in Betracht kommen. Dagegen muss an den 
Muskelkollaps durch starke Stösse oder Schläge auf den Magen 
erinnert werden. Die ganze Frage ist von hohem Interesse 
auch für die Beurteilung der sogenannten Seekrankheit. Wie 
diese auch zustande kommen mag, worüber ja verschiedene 
Anschauungen geäussert worden sind: das Würgen und 
Brechen dürfte wohl hier, wie bei der Gehirnerschütterung, 
direkt vom Gehirn ausgehen, also ähnlich wie beim Apo¬ 
morphinbrechakt. Die Seekrankheit, die auch in der Eisen¬ 
bahn etc. vorkommt, wind bekanntlich vielfach nur als eine 
zu bespöttelnde betrachtet, an der niemals ein Mensch zu 
gründe gehen kann. Sehr zu Unrecht; denn erstens ist es einer 
der qualvollsten Zustände, und dann kann sehr wohl jemand 
auch daran sterben. Ich habe es an mir erfahren, wie eine 
hochgradige, aber nur 1K Stunden dauernde Seekrankheit ein 
10 Tage nachdauerndes, heftiges Unwohlsein veranlasste. Ge¬ 
rade bei der Seekrankheit tritt mit dem unaufhörlichen Würgen 
und Erbrechen ein hoher Grad von Muskel schwäche oft äus- 
serst rapide ein, der den Kranken völlig hilflos und nahezu 
bewegungsunfähig machen kann. Wie ich oben schon erwähnt 
habe, nehmen auch die Sprachmuskeln an dieser Schwäche teil, 
so dass der Kranke schliesslich fast ausser stand gesetzt wird 
sich überhaupt der Sprache zu bedienen. Eigentümlich ist es 
auch, dass die bei jedem Würgakt krampfhaft angestrengten 
Respirationsmuskeln 'bald so schmerzhaft werden, dass dieser 
Schmerz bei jedem Atemzuge noch lange Zeit nachdauern kann. 
Dieser nacbdauernde Muskelschmerz kann übrigens bei jedem 
heftigeren Krampfe willkürlicher Muskeln beobachtet werden. 
Die Respirationsmuskeln verfallen aber, beim Würgakt krampf¬ 
haft gereizt, der Schwächung glücklicherweise nicht so wie 
die übrigen willkürlichen Körpermuskeln; denn sonst würde 
überhaupt jedes heftige Erbrechen und zumal die Seekrankheit 
in ganz anderer Weise lebensgefährlich sein, als es tatsächlich 
der Fall ist. 

Wenn daher in einem Teil der oben von mir referierten 
Vergiftungsfälle gleich von vornherein die Atmung bedroht war, 
so lässt sich das nur aus einer diirekt lähmenden Wirkung auf 
das Respirationszentrum erklären, wie sie aber das arzneilich 
allein zu benutzende kristallisierte Apomorphin jeden¬ 
falls nicht besitzt. 


Aus der med. Klinik (Dir.: Geh.-Rat Prof. Dr. v. Strümpell) 
und der Augenklinik (Dir.: Geh.-Rat Prof. Dr. U h t h o f f) der 
Universität Breslau. 

Untersuchungen über die Ophthalmoreaktion der Tuber¬ 
kulose. 

2 . Mitteilung. 

Von Marine-Stabsarzt Dr. Wiens, kommandiert zur medi¬ 
zinischen Klinik, und Oberarzt Günther, kommandiert zur 
Augenklinik. 

In unserer ersten Mitteilung *) konnten wir über 52 Fälle 
berichten, in denen wir ein von den Höchster Farbwerken nach 
den Vorschriften von Calmette angefertigtes Präparat zur 
Anstellung der Reaktion verwandt hatten. Wir haben unsere 
Untersuchungen mit verschiedenen anderen Präparaten fort¬ 
gesetzt und jetzt zu einem Abschluss gebracht. Das Material, 
über das wir nunmehr verfügen, umfasst 409 Fälle, an denen 
456 Untersuchungen vorgenommen sind. Folgende Präparate 
sind von uns verwandt worden. 


*) Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 52. 
3 ) Berl. klin. Wochenschr. 1908, No. 35. 


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1872 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 



Zahl der Fälle 

| Zahl der 

i Untersuchungen 

1 Trockenes Tuberkulin, von den Höchster 
Farbwerken, nach den Vorschriftai von 
balmette aiur<*fV*rtiirt. 

52 

53 

2 Tuberkulin Tost pour Pophthalmoreaktion 
(1 proz.), bezogen von Poulenc Fröre« in 
Paris. 

8 

8 

3. Tuberkulosodiairnostikura HöclistfO.l pro/,) 

11» 

17 

4. Diairnostikiiin zur Ophtlialmodiairuose nach 
W, Iff-Kisner, bezogen vom medizinischen 
Warenhaus in Berlin. 

100 

106 

f>. Gewöhnliches Kochsches Alt Tuberkulin 
(1 proz) . 

233 

272 


In 114 Fällen ist gleichzeitig die kutane Reaktion nach 
Pirquet angestellt worden, worüber Pr. Zicsche an 
anderem Ort*) berichtet. Auch die alte subkutane Reaktion 
wurde einige Male angewandt, näheres darüber siehe weiter 
unten. 

Auf die Methodik noch einmal einzugehen, erscheint uns 
überflüssig. 

Der allgemein üblichen Einteilung folgend, haben w ir die 
von uns untersuchten Kranken in drei Gruppen eingeteilt: 

a) Klinisch sicher Tuberkulosefreie, 

b) Tuberkuloseverdächtige, 

c) klinisch sichere Tuberkulosen. 

Zu b) sind gerechnet alle Spitzenaffektionen, bei denen 
Tuberkelbazillen im Auswurf nicht nachgewiesen sind, ver¬ 
dächtige Bronchitiden und Pneumonien, Pleuritiden, deren 
tuberkulöse Aetiologie wahrscheinlich war, ferner Skrophu- 
losen, Drüsentumoren. (Augenkrankheiten s. bes. Uebersicht.) 

Zu c) sind gerechnet alle Fälle, in denen Tuberkelbazillen 
im Auswurf nachgewiesen werden konnten, oder die klinischen 
Erscheinungen die Diagnose Tuberkulose absolut sicher stellen 
liessen. Folgende zwei Grade sind unterschieden 

I. frischere Fälle mit klinisch günstiger Prognose ur.d 

II. mehr fortgeschrittene Fälle mit klinisch ungünstiger 
Prognose. 

Bemerkt sei hier, dass unser Material mit ganz geringen 
Ausnahmen auf Wochen bis Monate langer Beobachtung 
beruht. 

Lediglich zwischen negativer und positiver Reaktion zu 
unterscheiden, w ie es in den bisherigen Arbeiten vielfach ge¬ 
schehen ist, erschien uns nicht zweckmässig; andererseits 
haben wir die von Wolff-iEisncr angegebene Einteilung in 
lebhafte oder spezifische Normalreaktion und in schwache (der 
Schnellreaktion nicht durchführen können. Wir haben viel¬ 
mehr folgende Einteilung vorgenommen: 

a) Schwere positive Reaktion: stärkere subjektive Be¬ 
schwerden, schwerere Veränderungen der Konjunktiva mit Be¬ 
teiligung des Bulbus, von mehr als dreitägiger Dauer. 

ß) Positive Reaktion: fehlende, oder ganz geringe sub¬ 
jektive Beschwerden, Schwellung und Rötung der Conjunctiva 
palpebrae inferioris, Schwellung der Karunkel, mehr oder 
weniger starke fibrinöse Exsudation, meist geringe Injektion 
der Conjunctiva bulbi im Bereich des unteren Lides, Ablauf der 
Reaktion nach höchstens 3 Tagen. 

y) Fraglicher Ausfall der Reaktion: Rötung der Con¬ 
junctiva palpebrae inferioris, aber keine deutliche Schwellung, 
keine fibrinöse Exsudation, keine Beteiligung der Conjunctiva 
bulbi. 

<5) Negative Reaktion: Keine Veränderung (der ganz 
leichte Rötung der Conjunctiva palpebrae inferioris. 

Den fraglichen Ausfall der Reaktion von positiver einer¬ 
seits, negativer andererseits zu trennen, erscheint uns nu:h 
unseren Erfahrungen durchaus notwendig, da namentlich der 
weniger Geübte in manchen Fällen ausser Stande sein wird, 
ein sicheres Urteil über den Ausfall der Reaktion abzugeben. 

Abgesehen von den besonders besprochenen Augen¬ 
erkrankungen sind die Resultate, d'e w ir mit den verschiedenen 
Präparaten gewonnen haben, folgende: (berücksichtigt sind zu¬ 
nächst nur einmalige Einträufelungen) 


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!. Siehe erste Mitteilung. 

2. a) 2 Falle: negative Reaktion. 

b) 2 Fälle: positive Reaktion. 

e) 4 Fälle: 1 I, 3 II; sämtlich negative Reaktion. 

Mit diesem Präparat grossere Untersuchungen anzustJLn, 
erschien uns nullt zweckmässig. Ja der sehr hohe Preis lerne 
Pipette für 1 2 Einträufelungen 1.5(1 Er.) von vorneherem 

seine allgemeine Verw ei; Jung verbietet. 

3. a) 4 Fälle: negative Reaktion. 

h) 7 Fälle: 2 negative. 5 positive Reaktion. 

c) 5 Fälle: samtlull II: 4 positive. 2 negativ e Reaktion. 

Auch dieses Präparat halten wir wegen sc.t es hoben 

Preises (Pipette für 1 j Eu.trank hingen M. 0.75) nicht tut 

zw cckmässig. 

4. a) 59 Fälle. 56 negative, 2 positive. 1 stark positive Reaktion. 

Die beulen positiven Reaktionen betraten ic einen b.i I 
von multipler Sklerose mul von (iastritis acuta. die stark 
positive Reaktion einen Fall von I Vk artlv ms rbemmitica. 
ein M.uklien. das sJmn vorher an KonmnsOv its\ ge.tit*ti 
hatte. Mut war nach 16 Minuten Ma-ke R.*tm»g mul 
Schwellung Jer Konainktivn palpebrarum und bulbi. vi\»n 
starke eitrige >ekretion vorhanden. Nach JA Stunden Zu¬ 
nahme aller bait/mulimgsei sdieimmveM. 4 4 1 ace b’eb 

der Zustand unverändert, dann aiüuah'.iJ:es Aukln eu. 
nach 1 J Tagen noch ausgesprochene* Imekti «n der Cou- 
junetiv a palp*'brarintt, 

b) 2A Falle: du negativ. 3 p isitiv. 1 fragluhe Reakti- n 

c) 17 Fatfek. davon II I: n negative. 1 fragliche. 2 p«.s :*v e. 
2 stark positive Reaktionen: 6 II: 4 negative. 2 Pov*\e 
Reaktionen. In den beiden Fallen von stark positiver Re¬ 
aktion waren schwere koiiiimktiv.de \ irarul« run.u n vor¬ 
handen. Welche einmal 5. das andere Mal 14 läge lang a::- 
liHt'ti. 

5. a) 155 l alle: 14<* negative. Pi fragliche 2 positive 3 st «’V 

positive R«alvt|oiu-n. Die beult n positiven Reaktionen be¬ 
trafen ir einen ha l von akutem < ie'euk r heum.ooomis mul 
von Nbtralv itmm. Del den 3 st.uk n>Mtiv*n rWou'i 
handelte es sich ie einmal um Di .ifatm crvhs b mp 1 " 

• Arterioskierose Inbueu/a In den bei.kn letzten b rVn 
bestand bei Anstellung der Reaktion eine leichte Konjunkti¬ 
vitis. 

b) 35 Fall*-; 31 negative. 6 fraglfe he. s o«.s.tiv e R. akn■■nett 

c) 22 Fäll**: davon 11 I: 2 negative. 2 ir.m'uhe. 6 P'Sitive. 
1 stark positive Rrjktu>n; II II: 9 negative, 2 positive 
Reaktion. 

In dem Falle mit stark positiver Rvaktbm h uuielte es si h 
um eine beginnende Phthise mit Ham. pt e Besonders inf- 
fallend war hier die starke Beteiligung der Cntmmctiva bulbi. 
Nach 14 Tagen bestand noch ein leichter Reiz/tist in J des Auges. 

Eitier gesonderten Besprechung bedürfen die Unter¬ 
suchungen, die wir bei Augenk ranken \ orgew tmr.eti lnben. 
Bei diesen ist die Anwendung der Reaktion ritnrgcmass eine 
beschränkte, d i jeder Rei/zust 11 J der Augen die Instillation 
von vorneherein verbietet: es c'gmn sieh d 'her im Allge¬ 
meinen bloss die Falb 1 zur Untersuchung, in denen entweder 
nur das eine Auge befallen ur 1 das an Irre rei/b s ist. «ulet m 
denen es sielt um tiefliegende Prozesse handelt, die äiisserhch 
keine Rei/ersebeimmgen m alten, also namcntluh Affektionen, 
die in Zusammenhang mb Allgemeinerkrankangen stellen. 

Die Einträufelung wurde bei 21 Kranken \orgemmmtett 
und zwar: 

a: 5 Falle: negative Reaktion. 

I): 13 balle: S negative. I fraglivhe. 3 positive Reaktion. 

ei: 3 bähe: 1 negative. 2 positive Reaktion. 

e II: 1 Fall: stark positive Reaktion. 

Uebcr die Art der Erkrankung gibt die folgende Tabelle 
Aufschluss: 

(Tabelle siehe nächste Sehe.) 

Interessant ist der Vergleich der Ophthalmoreaktion n t 
der in b Fällen vorgetiummencn subkutanen Imcktiun \ >n 
K o c h scliem AbMiberkiiliu. In 4 Fallen gab diese sclmn am 
scltwaclie Dosen eine typische Re ikt. *n mit Tctftpcratur- 
steigerung. Kopfschmerzen tisw., walirend J;e k< nimiktivale 
Reaktion negativ war. In den beiden letzten Fallen gaben 
beide Reaktionen übereinstimmend dasselbe Frgebms. ln 
Fall 4 und Fall II bewies die durch eine spater regelrecht 
durchgeführte Tuberkiihnkiir er/'e!te Be'seftmg der \uge:i- 
arfektirn, dass es sich in der lat um einen tnl'er'-.nl«*scn Pro¬ 
zess gehandelt hatte, für den :mJi das kl.msJie B.IJ sprach. 




OrigiriäTTrom 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 








8. September 1ÖÖ8. 


MUENCHENER MEblZINlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


187.1 


1. 

Keratitis parenchymatosa. 

negativ 

Subkutan Alt- 
Tuberkulin pos. 

2 . 

Okulomotoriuslähmung . 


— 

3. 

Stauungspapille, Tumor?. 

9 

Subkutan pos. 

4. 

Episkleritis. 

» 

Subkutan pos. 

5. 

Keratitis superfic. scrophulosa . . . 


6. 

Stauungspapille, Tumor?. 

positiv 


7. 

Skleritis u. Tenonitis. 

negativ 


8. 

Chorioid. disseminata. 


Subkutan pos. 

9. 

Empyem der Stirnhöhle. 


10. 

Juvenile Tabes, Atrophia nervi opt. 



11. 

Irido-Cvclitis. 

positiv 

Subkutan pos. 

12. 

Orbitalkaries. 


13. 

Atrophia nervi opt., Progr. Paralyse 

negativ 


14. 

Keratitis parench. Iritis plastica . . 

positiv 

fraglich 


15. 

Ulcus corneae scrophul. 


m 

Orbitalkaries. 

Bitemp. Hemianopsie, Hypophysis¬ 
tumor, Atrophia nerv. opt. . . . 

positiv 

negativ 


18. 

Iritis tuberculosa, Pericarditis, Pleu¬ 

Subkutan pos. 

H 

ritis tub. 

Multiple Hauttuberkulide. 

stark pos. 
positiv 

Pirquet pos. 

E 

Stauungspapille, Tumor?. 

negativ 


2 U. 

Hemeralopie, Phthisis pulm. 



21. 

Neuritis optica, Sclerosis multiplex . 




Klinisch besonders erwähnenswert erscheinen folgende 
Fälle: I 

Fall 6. 25Jähriges Mädchen mit ausgesprochener Stauungs¬ 
papille beiderseits; ausser einer leichten Herabsetzung der Sensi¬ 
bilität auf der ganzen rechten Körperhälfte keine Allgemeinsymptome. 
Da die serodiagnostische Blutuntersuchung auf Lues negativ aus- 
nel, die konjunktivale Reaktion dagegen positiv, erschien die Ver¬ 
mutung gerechtfertigt, dass es sich um einen Solitärtuberkel in der 
hinteren Schädelgrube handelte. 

Fall 14. Bereits 48 Stunden nach Anstellung der Reaktion Ent¬ 
wicklung von 2 typischen Randphlyktänen in dem vorher völlig reiz¬ 
losen Auge; Im weiteren Verlauf eine 5 Wochen unverändert fort¬ 
bestehende Randkeratitis. 

F a 11 18. 4 jähriger Junge mit nach Masern entstandener tuber¬ 
kulöser Pleuritis, Perikarditis, einseitiger Iritis und multiplen Haut¬ 
tuberkuliden; 6 Stunden nach Einträufelung in das gesunde Auge be¬ 
reits schwerer Reizzustand, starke eitrige Sekretion. Erst nach 
8 Tagen Abklingen der Entzündungserscheinungen. 

Eine einmalige Wiederholung der Reaktion ist bei 41 
Kranken vorgenomimen worden, nur bei solchen, bei denen die 
erste Reaktion negativ war. Die Resultate sind folgende: 

A. (Zweite Einträufelung in dasselbe Auge.) Gesamtzahl: 6. 
Zwischenräume zwischen den Einträufelungen: 6 Tage = 5 Fälle, 
a: 2 negativ, 1 positiv, 2 stark positiv; 2 l /a Monate = 1 Fall, 
a: stark positiv. 

B. (Zweite Einträufelung in das andere Auge.) Gesamtzahl: 35. 
Zwischenräume zwischen den Einträufelungen: 1—7 Tage = 10 Fälle, 
8 a: 7 negativ, 1 stark positiv, 2 b: 1 negativ, 1 fraglich; 8—15 Tage 
= 20 Fälle, 15 a: 14 negativ, 1 fraglich, 2 b: 2 negativ, 1 c I: 
1 negativ, 2 c II: 2 negativ; 16—22 Tage — 4 Fälle, 3 a: 2 negativ, 
1 b: 1 negativ; 23—30 Tage = 1 Fall, 1 c I: 1 negativ. 

In 3 Fällen ist eine dreimalige Einträufelung vorgenommen: 

1. Rückenmarkstumor: 1. Einträufelung rechtes Auge stark posi¬ 
tiv. 7 Monate später 2. Einträufelung linkes Auge negativ. 21 Tage 
Später 3. Einträufelung linkes Auge stark positiv. Abklingen nach 
etwa 14 Tagen. 1 Vs Monate später Wiederaufflackern des Entzün¬ 
dungsprozesses am linken Auge. 2 Monate später noch immer leich¬ 
ter Reizzustand links. 

2. Friedreich sehe Ataxie: 1. Einträufelung linkes Auge nega¬ 
tiv. 15 Tage später 2. Einträufelung rechtes Auge positiv. 8 Tage 
später 3. Einträufelung linkes Auge stark positiv. 

3. Lungentuberkulose mit klinisch günstiger Prognose: 1. Ein¬ 
träufelung linkes Auge negativ. 12 Tage später 2. Einträufelung rech¬ 
tes Auge negativ. 12 Tage später 3. Einträufelung rechtes Auge 
negativ. 

Die autoptisch kontrollierten Fälle sind in der folgenden 
Tabeile zusammengestellt: 

(Siehe nebenstehend.) 

Bei der Beurteilung der Resultate glauben wir von der 
Gruppe b absehen zu müssen. Das, was die Reaktion leisten 
soll (in der Folge der Kürze halber als „Norm“ bezeichnet), 
ist negativer Ausfall bei a, positiver Ausfall bei c I, negativer 
bei c II. Erst wenn diese Forderung auch tatsächlich erfüllt 
ist, können die Resultate der Gruppe b verwertet werden. 
Von 256 Fällen der Gruppe a sind positiv bezw, stark positiv 

No. 36. 



Klinischer Befund 

Obduktionsbefund 

Zeitpunkt der 

2 ' 

S . 




Einträufelung 

1 

1 

Progresse Phthise 

Phthis. pulm. tub. ulceros. 

ca 1 Monat 

neg. 


c 11. 

ante exitum 


2 

Multiple Sarkomatoso 

Keine Tub. 

■ ca 1*/• Monat 

neg. 

3 

Ä. 

Carcinosis periton. 

Tub pulm. invet. als Neben- 

ca l 1 /* Monat 

I 


bofund. 

a. e. 

\ neg. 




r. 10 Tage später 

1 

4 

Tub. chron. Meningitis 

Tub. pulm. 

Wenige Tage a. e. 

neg. 


c II. 

Tub. mening. purulent. 



5 

Lues cerebri 

Tub. circumscripta. 

1. 

} neg. 


a. 

lob. med. doxtr. als Nebenbefund. 

r. 

6 

Arteriosklerosis, Poly¬ 
neuritis alcoholica a. 

Keine Tub. 

Wenige Tage a. e. 

neg. 

7 

Progresse Tuberkul. 

Tub. pulm cavemos. ulceros. 

1. ca 3 Mon. a. e. 

neg. 

8 

c II. 

r. 15 Tage später fraglich 

Hyperemesis gravid. 

Keine Tub. 

1. ca 14 Tage a. e. 

Jneg. 


a. 


r. 6 Tage später 

9 

Urämie 

Keine Tub. 

Wenige Tage a. e. 

neg. 

10 

Hodgkin sehe 

Tub pulm. Nebenbefund 

ca 1 Mon. a. «. 

posit. 


Krankheit 

Todesursache: Sepsis infolge 


11 

Lungentub. c I. 

Erysipel. 



Nephritis chron. 
a. 

Keine Tub. 

ay fca3W.a. e. 
A \8Tagespät. 

Jneg. 

12 

Myelitis dissem. 

Tub pulm. invet 

ca 1 Mon. &. e. 

neg. 


a. 

als Nebenbefund. 



13 

Progresse Tuberkulose 
c II. 

Progresse Tuberkulose 
c 11. 

Tub. pulm. 

Tub. pulm. cavemos. ulceros. 

ca l*/a Mon. a. e. 

neg. 

14 

Keine Obduktion. 

ca 14 Tage a. e. 

neg. 

15 

Tub. pulm. Nobenbefund 

ca 14 Tage a. e. 

posit. 


c I. 

Todesursache: Gallenblasen¬ 




karzinom. 



16 

Progresse Tub. pulm , 

Tub. pulm. cavemos,, 

ca 1 Mon a. e. 

posit. 


hryng. et intestin. 

laryng. et intestin. 




c II. 

c. II. 




Zusammenfassung: 

Klinischer Befund Zahl der Fälle Reaktion Obduktionsbefund 

a 8 neg. 2X Tub. pulm inveterat. als 

Nebenbefund. 

c I. 2 pos. 2 K Tub. pulm. als Nebenbefund, 

eil. 6 5 neg. 6 X Ausgedehnte Tub. pulm. Im 

1 pos. Fall ist keine Obduktion ge¬ 
macht, doch war die Todesursache: 
Schwere Tuberkulose, absolut klar. 
Von 5 Wiederholungsreaktionen fielen 4 neg, 1 pos. aus. 

Das Gesamtresultat unserer Untersuchungen ist folgendes: 
Gesamtsumme der Fälle: 409. 



14 3 ), die FehlerQuellen betragen also 5)4 Proz. Bedeutend 
ungünstiger ist das Resultat bei c I: von 35 Fällen 13 negativ 
= 37 Proz. Fehlerquellen. Von 29 Fällen c II sind positiv 
8 = 28 Proz. Fehlerquellen. 

Die Reaktion ist also in keiner Beziehung absolut zuver¬ 
lässig, selbst wenn man berücksichtigt, dass unter den schwer 
positiven Reaktionen der Gruppe a einige die Folge eines zu 
konzentrierten, fehlerhaften Präparats sind, so -bleiben doch 
noch einige Fälle übrig, in denen klinisch sicher Tuberkulose¬ 
freie bei absolut korrekter Anwendung der Reaktion mit einem 
ein wandsfreien Präparat positiven Ausfall zeigten. Weit auf¬ 
fälliger noch sind die Abweichungen von der Norm bei der 
Gnuppe c. Zugegeben, dass die Abgrenzung von I und II sjch 
nicht immer scharf genug hat durchführen lassen, sing; die 

3 ) Um das Resultat möglichst günstig für die Norm zu gestalten, 
sind die fraglichen Fälle bei a zu den negativen, bei c’I zu den posi¬ 
tiven gerechnet worden. ' 

Z 


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1874 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT._ No. 36. 


Fehlerquellen doch derartig grosse, dass von einer Präzision 
der Methode nicht die Rede sein kann, infolge dessen erlauben 
auch die Resultate der Gruppe b keinerlei Schlüsse. 

Dazu kommt, dass in 5 Proz. der Ausfall der Reaktion der¬ 
artig war, dass wir nicht entscheiden konnten, ob sie im 
positiven oder negativen Sinne gedeutet werden musste. 

Schliesslich haben wir auch mit einwandsfreien Präparaten 
gelegentlich derartig schwere Augenveränderungen bekommen, 
dass das Mass dessen, was der Arzt, zumal in der Privat¬ 
praxis, verantworten könnte, bei weitem überschritten ist. Fs 
ist uns nicht gelungen, einen Grund für dieses Verhalten zu 
finden. Einige Male trat die stark positive Reaktion im An¬ 
schluss an eine schon bestehende leichte Konjunktivitis auf, 
andererseits haben wir bei Konjunktivitiden leichte oder nega¬ 
tive Reaktion beobachtet. Es scheint, als ob chronisc h e, 
vor allem follikuläre Konjunktivalerkrankungcn für eine 
stark positive Reaktion prädestinieren. Jedenfalls haben wir 
auch bei sonst reizlosem Auge stark positive Reaktion be¬ 
obachtet. 

Was die Art der von uns angewandten Präparate anbe- 
trifft, so ist 1 allgemein als zu konzentriert erkannt worden. 
Ueber 2 und 3 können wir wegen der geringen Heobachtungs- 
zahlen kein Urteil fällen, wir halten beide für zu teuer zum 
allgemeinen Gebrauch, ausserdem erscheint uns die Ver¬ 
wendung der zugeschmolzenen Pipetten für 1 2 Unter¬ 
suchungen nicht recht praktisch. 4 uikI 5 sind in gleicher Weise 
brauchbar. 

Die Zahl der wiederholten Einträufelungen ist zu gering, 
als dass wir daraus Schlüsse ziehen könnten, w ir beschränken 
uns daher auf die Wiedergabe der Resultate. Der eine Fall, 
wo bei zweimaliger Instillation in einem Zwischenraum von 
2 t l» Monat in dasselbe Auge, beim 2. Mal schw ere Augenverän¬ 
derungen beobachtet sind, war von uns in der Weise gedeutet 
worden, dass bei der 2. Einträufelung ein Aufflackcrn eines 
chronischen Entzündungsprozesses der Kouiunktiva bestanden 
und die schwere Reaktion hervorgerufen hätte. In einer Kritik 
unserer ersten Mitteilung hat W o 1 f f - E i s n e r diese Ansicht 
für falsch erklärt. Wir haben ähnliche Versuche licht wieder¬ 
holen können und wollen, da das angewandte Präparat unge¬ 
eignet war, auch die Schwere der Reaktion dies verbot. Mit 
Rücksicht auf unsere Erfahrungen, die uns eine stark jm- 
sitive Reaktion nach chronischen k o n j u n k t i v a I e n 
Reizzuständen mehrfach beobachten Hessen, muss die von uns 
ursprünglich gegebene Erklärung ebenso in den Hereich der 
Möglichkeit gezogen werden, wie die von \Y o 1 f f - F i s n c r 
angegebene Ueberempfindlichkeit. 

Auch die Zahl unserer Obduktionsprotokolle erscheint uns 
zu einer kritischen Besprechung zu gering. Wir haben eine 
ausführliche Mitteilung derselben indessen für zw jckmassig ge¬ 
halten, um für zusammenfassende Bearbeitungen Material zu 
liefern. 

Unser Endurteil ist folgendes: Wir halten die Anwendung 
der Ophthalmoreaktion in der Praxis nicht für zweckmässig, 
da sie einerseits keine ganz sicheren Resultate gibt, andererseits 
die Möglichkeit schwerer Reaktionen nie ausgeschlossen wer¬ 
den kann. In der Klinik wird sie gelegentlich eine Unter¬ 
stützung anderer Untersuchungsmethoden sein können. 


Aus der Akademie für praktische Medizin in Köln (Abteilung 
Professor Hochhaus). 

Zur Frage der „ohne Mitwirkung'von Tuberkelbazillen“ 
erzeugten „tuberkulösen“ Veränderungen. 

Von Sekundärarzt Dr. G. L i e b e r ni e i s t e r. 

In allerletzter Zeit hat Zieler in No. 32 dieser Wochen¬ 
schrift Untersuchungen veröffentlicht, deren wesentliche Be¬ 
deutung er darin sieht, „dass auch ohne An w esen- 
h eit von korpuskularen (selbst ultramikroskopischen) 
Bestandteilen der Tuberkelbazillen, also 
allein durch echte Lösungen aus Tuberkel- 
bazillen stammender Stoffe das histologi¬ 
sche Bild der Tuberkulose erzeugt werden 
kann“. Er zieht diesen Schluss aus Beobachtungen bei 


Impfungen nach v. Pirquet: er fand häufig „D aucr- 
r e a k t i o n e n‘* in der Nähe der Impfstelle; diese Dauer- 
rcaktioncii Hessen echte histologisch tuberkulöse \ eran.de- 
ruiigeu erkennen. Sehr charakteristisch s.nd die luberkel- 
knotchen im Verlaufe der Geiässe und zwar besonders der 
Venen. 

Der Autor glaubt nun — und er sucht durch exakte Ver¬ 
suche mit Dialysatcn von Tuberkukncn und von Tuberkel- 
bazillenkulturen seine Ansicht zu stutzen —, dass „für die Ent¬ 
stehung dieser weit über den Impfstich hmausre; eilenden 
Datierreaktionen nur geloste, dmusioiiM. luge Stoffe (Toxine im 
weitesten Sinne) verantwortlich gemacht wer Jen konnten“, 
und er weist auf die klinische und biologische Wichtigkeit 
dieses Befundes hin. 

Diese Deutung der DntersuJiungsresultatc wird auf viel¬ 
fachen WiJerspruch stossen. Die m der Literatur nieder- 
gclegten zahlreichen experimentellen Untersudumgen von den 
\ erscliicdcnsteu Autoren machen es sehr w ahrsJieii.li Ji. dass 
die geiosten, diffiisionsfahigeii Stoffe der Tüberkelba/ilie n, auJi 
wenn sie in grossen Mengen em\er!eibt werden, keine histo¬ 
logische Tuberkulose verursachen. Die wenigen Unter- 
suchungsrcsuliatc, die zu anderen Ergebnissen geführt hatten, 
wurden bisher \oii den besten Kennern der Lxpcrriie utahuber- 
kulose meist dahin gedeutet, dass eben doJi suspendierte Ba- 
zillentitimmer mit verimpft worden sind. Die Z i e 1 c r selten 
Untersuchungen sind in dieser Richtung v oll k om¬ 
ni e n e i u w a u d i r e i angestellt. 

Dagegen vermisse uh m der Arbeit eine Aeiisserui.g da¬ 
rüber, ob 1 ktuerreakiioiu n mit dem lnsp»j« -gisJien Bau der 
Tuberkulose je auch bei Menschen, die sicher frei von tuber¬ 
kulösen Erkrankungen waren, beobachtet worden sind. So¬ 
lange die Resultate nullt auch m dieser Richtung einwandfrei 
sind, können wir uns der Erklärung der Befunde nicht an- 
schliessen. Bei dem Fehlen einer Aeiisserung über d.esen 
Punkt nehme ich an. dass die Befunde bei Individuen mit 
iigend welchen tuberkulösen Erkrankungen erhoben worden 
sind, wenigstens habe ich bisher „Dauerreaktionen“ nie bei 
nicht tuberkulösen Menschen beobachten können, uh glaube 
auch nicht, dass das je gelingen wird. 

Sind aber die Befunde au Tuberkulosekranken 
erhoben, so wird die oben aiigiiuhrtc Deutung aufs 
schlagendste* widerlegt durch d;e Ergebnisse von Unter¬ 
suchungen, du* ich seit mehr als 2 Jahren im Gang habe, und 
über deren Resultate ich zum Teil auf dein 24. Kongress für 
innere Medizin in Wiesbaden kurz beruhtet habe. Lh fasste 
damals meine Uulcrsiuhungsresnkute folgen Jermasseit zu¬ 
sammen : 

»Bei der Lungentuberkulose findet mau, ohne dass es zur 
akuten Miliartuberkulose zu kommen braucht, in den späteren 
Stadien intra vitam T u b e r k e 1 b a z i 11 e n in der 
B 1 u t b a li n. 

In L e i c Ii e n o r g a n e n, welche keine Tuberkel, wohl 
aber \ erändcrungen aufw c.scri, die man bisher als toxisch 
am fasste, lassen sich virulente --- wenigstens für Mecr- 
sehw cinchen \ iruleiite — I u b e r k e I b a z i 1 1 e n nacliw eisen. 

Der Oigamsmtis der Tuberkulosen scheint demnach in den 
späteren Stadien der Erkrankung in viel weitergehendem Masse 
mit I iiberhelbaziflen durchseucht zu sein, als wir bisher an- 
nahmeii.“ 

leh berichtete speziell aruh über ttibe rke Ibazdlcnlialtige 
Uautv eilen: „Meine Aiiiuk rks.uiikeil lenkte ich zuerst aut 
eigentümliche \ eränderiingen der mitteigrossett II a u t v e n e u 
an den Extremitäten. Wir beobachteten diese Veränderungen 
zuerst an einem Jii jährigen Phthisiker, bei dem sich unter 
Rötung und Schmerzhaftigkeit im \ erlaufe der Ihmtv eilen an 
den beiden Armen eine subahnte Phlebitis ohne Oedeme ur.d 
ohne 'Ihrombeiibddiiiig entwickelte. In einer Reihe von 
anderen Lallen waren die böigeZustände dieser Phlebitis 
bei I u b e r k ti 1 o s c n klinisch an dt r \ erdukurg und \ er- 
härtung der Ycnciiwaud kenntlich. ILst«.gisdi findet nun 
in solchen Venen eine sehr starke Verdickung der Wandung 
infolge von Wucherungen der Inreiisc.h.Jit in \crb;nJu:;g mit 
hochgradiger Hyperplasie der muskuläre:: und bindegew ebigeti 
LJcmeiite der Muskularis und reichlicher \ entlehn:ng f und Nui- 
b.ldutig der adve nt. hellen kleinsten 1 ieOssclien. .Meine Unter- 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


suchungen auf Bazillen in derart veränderten Venen sind bis 
jetzt in 5 Fällen abgeschlossen. In allen 5 Fällen war durch 
das Tierexperiment der Nachweis der Bazillen mit Sicher¬ 
heit zu erbringen. Dabei waren nirgends in diesen Venen¬ 
wandungen Tuberkel oder tuberkelverdächtige histologische 
Bilder zu finden“*). 

Die weitere Fortführung meiner Untersuchungen hat eine 
volle Bestätigung meiner damaligen Resultate ergeben: Im 
ganzen haben von 8 Venenimplantationen 6 eine 
Impftuberkulose ergeben. Durch Verimpfung von 
Blut von mehr oder weniger schweren Tuberkulosen Hess 
sich bisher bei 16 Fällen der Tuberkelbazillus 
in der Blutbahn dieserKranken nachweisen. Einige 
dieser Fälle waren sogar zu den leichteren Tuberkulosen zu 
rechnen. 

Zieler hat bei Anstellung seiner Versuche exakt ver¬ 
mieden*, dass mit dem Impfmaterial Bazillen oder 
deren Trümmer mitverimpft wurden, er hat aber nicht mit 
den im Körper seiner Patienten vorhandenen 
Bazillen gerechnet. 

Schon lange kennt man bei der subkutanen Tuber¬ 
kulineinspritzung die lokale Reaktion in tuberkulösen Herden 
und deren Umgebung; klinisch ist diese besonders deutlich bei 
der Lungentuberkulose und vor allem bei Lupus nachweisbar. 
Auch experimentell sind diese Reaktionen an tuber¬ 
kulösen Organen und in deren Umgebung 
häufig studiert worden. 

Es ist ausgeschlossen, dass die Bruchteile eines 
Tropfens von gelösten, diffusionsfähigen Stoffen der Bazillen, 
die bei der v. P i r q u e t sehen Reaktion zur Wirkung kommen, 
für sich allein echte histologische Tuberkulose machen, die 
sogar bis zu VA Monaten (in einem Falle) nachweisbar ist. 
Nach meiner Ansicht und in Uebereinstimmung mit meinen 
Befunden handelt es sich bei diesen Dauerreaktionen 
um ganz ähnliche Erscheinungen wie bei der Reaktion der 
echten Tuberkuloseherde und ihrer Umgebung auf subkutane 
Tuberkulineinspritzung. Die von mir — wenigstens bei 
Lungentuberkulose — häufig im Blut und in den Venen¬ 
wandungen nachgewiesenen relativ „latenten“ Tuberkel¬ 
bazillen werden durch das Tuberkulin gewissermassen akti¬ 
viert und können so zu echter histologischer Tuberkulose 
führen. Für diese Erklärung spricht ganz besonders auch 
die Lokalisation der von Zieler gefundenen 
Tuberkelknötchen im Verlauf der Blutge¬ 
fässe. 

Gerade in dieser Richtung scheinen mir die 
Zieler sehen Befunde besonders wichtig zu sein, weil 
C o r n e t (24. Kongress für innere Medizin 1907, S. 190) gegen¬ 
über meinen Resultaten den Einwand erhoben hat, die von mir 
als für Meerschweinchen virulent nachgewiesenen Ba¬ 
zillen seien nicht vollvirulent für den. Menschen. Cor net 
betonte damals, der Beweis, dass diese Bazillen für den Men¬ 
schen virulent seien, werde aus begreiflichen Gründen wohl 
überhaupt nicht mit Sicherheit zu erbringen sein. Dieser Be¬ 
weis wird aber durch Zielers Beobachtungen erbracht, 
die in dieser Beziehung eine schöne Bestätigung und 
Erweiterung meiner Untersuchungsresultate bilden. — 
Dass dialysierbare, aus den Tuberkelbazillem stammende Stoffe 
fähig seien, für sich allein echte tuberkulöse Strukturen zu 
zu erzeugen, wird sich auf dem von Zieler eingeschlagenen 
Wege nicht einwandfrei beweisen lassen. 


Die Aufgaben der modernen Orthopädie.*) 

Von Dr. med. Hans v. Baeyer, Privatdozent. 

M. H.l Es ist ein schwieriges Unternehmen, die Aufgaben 
der modernen Orthopädie zu schildern, weil der Begriff der¬ 
selben nicht genau feststeht. Die Unklarheit, die in dieser 
Beziehuhg herrscht, hat sich erst vor kurzem nach dem Tode 


J ) Verhandl. d. 24. Kongresses f. innere Medizin, Wiesbaden 1907, 
S. 180 ff. Vergl. auch die soeben erschienene v. Baumgarten-Fest¬ 
schrift, Leipzig 1908. Die ausführliche Arbeit wird in kürzester Zeit 
erscheinen. 

*) Probevorlesung, gehalten am 29. Februar 1908. 


1875 


Hof fas kundgegeben, da gegen den Wunsch der medi¬ 
zinischen Fakultät die Stelle der Orthopädie wieder besetzt 
werden sollte. 

Aber selbst auch aus den Reihen der Orthopäden sind 
Stimmen laut geworden, die in bezug auf dies Thema ganz 
verschiedene Ansichten vertreten. 

Lorenz in Wien reklamiert für die Orthopädie in einer 
aufsehenerregenden Abhandlung das ganze Gebiet derjenigen 
Chirurgie, die sich mit den Erkrankungen des Bewegungs¬ 
apparates befasst. Er schildert in drastischer Weise, wie ein 
Stein nach dem andern von dem mächtigen Bau der grossen 
Chirurgie abbröckelt und er prophezeit, dass es einstmals 
heissen wird: 

Die Chirurgie ist tot, es leben die Chirurgien! 

Ein anderer Führer auf dem Gebiete der Orthopädie, 
Vulpius in Heidelberg, vertritt einen völlig anderen Stand¬ 
punkt, welcher der Wirklichkeit und der Entwickelung dieses 
Faches Rechnung trägt. Seine persönliche Ansicht geht dahin, 
dass die grosse chirurgische Klinik ihr ganzes Gebiet um¬ 
spannen und zur Lehrerörterung bringen, also demonstrieren 
muss; dass aber der Detailausbau und die Verbreitung der 
Detailkenntnrsse der Orthopädie in den Händen des Spezialisten 
liegen sollen. An den grossen Universitäten wünscht er eigene 
Institute für Orthopädie, in kleinen eine enge Angliederung an 
die chirurgische Klinik. 

Die Aufgaben der Orthopädie fasst er vom Standpunkte 
H o f f a s auf und beschränkt im grossen und ganzen das Ge¬ 
biet der Orthopädie auf die Erkenntnis, Beurteilung, Verhütung 
und Behandlung der erworbenen und angeborenen Deformi¬ 
täten des Körpers, die sich in letzter Linie als - Gestalts- und 
Stellungsabweiohungen des Skelettsystems äussern. 

Wenn wir uns nun fragen, wie es kommt, dass sich schon 
verhältnismässig so lange dies Gebiet aus der grossen 
Chirurgie in so weitgehendem Masse spezialisiert hat, so 
müssen wir selbstverständlich vor allem die Geschichte dieses 
Zweiges an unseran Auge vorüberziehen lassen. Wir werden 
dann auch den Grund dafür finden, warum die Aufgaben der 
modernen Orthopädie nicht in der ganzen Chirurgie des Be¬ 
wegungsapparates gegeben* sind und nur einen Teil davon 
betragen. 

Nachdem Mitte des XVIII. Jahrhunderts der Franzose 
Andry zwei Bände über „die Kunst bei den Kindern die 
Ungestaltheit des Körpers zu verhüten und zu bessern“ heraus¬ 
gegeben und diese Kunst mit dem Namen: Orthopädie belegt 
hatte, widmete sich eine grosse Anzahl von Aerzten diesem 
Zweige der Medizin. 

Es erwies sich bald als vorteilhaft, die Kranken in eigenen 
Anstalten unterzubringen, weil nur hier die damals aus¬ 
schliesslich angewandten mechanischen Behandlungsmethoden 
Zweckentsprechend durchgeführt werden konnten. 

So entstand in Orbe 1780 die erste orthopädische Heil¬ 
anstalt, gegründet durch den Schweizer Arzt V e n e I. Das 
nächste derartige Institut, das zugleich zu einem musterhaften 
Vorbilde wurde, rief Johann Georg Heine in Würzburg ins 
Leben, 1821. Es folgten nun in allen Ländern eine grosse An¬ 
zahl orthopädischer Neugründungen. Im Verlauf der Zeit 
fanden allmählich auch wieder chirurgische Eingriffe in diese 
Anstalten Eingang und damit erwachte bei den Chirurgen neues 
Interesse für die Behandlung der Deformitäten. So betätigen 
sich in der Folge Chirurgen und Orthopäden auf ein und dem¬ 
selben Gebiet. 

Eine Pause trat ein durch die Aibeiten von L i s t e r. Als 
er auf Grund von Experimenten Pasteurs eine neue Epoche 
in der Chirurgie inauguriert hatte, öffneten sich dem Chirurgen 
ungeheure neue Arbeitsfelder. Er suchte natürlich zuerst die¬ 
jenigen Erkrankungen mit dem Messer zu bekämpfen, die das 
Leben der Kranken bedrohten. Ferner lockten ihn die, Ge¬ 
biete, auf denen schneller Erfolg zu erwarten stand. Die 
Heilung und Behandlung der Deformitäten traten in den Hinter¬ 
grund, teils, weil sie nicht dringend ärztlicher Hilfe bedurften, 
teils, weil sie viel Zeit und Mühe erforderten. 

Erst seit ungefähr 20 Jahren wandten sich einige wenige 
Chirurgen wieder diesem eine Zeit lang vernachlässigten 

2 * 


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1876 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .Vv 


Zweige zu un-d Hessen ihn dadurch, dass sie die moderne 
Chirurgie auf ihn übertrugen, zu neuem Leben erwachen: 

Das sind die modernen orthopädischen 
Chirurgen. Sie treiben die alte mechanische, unblutige 
Orthopädie weiter, aber sie scheuen sich auch nicht, durch 
grosse operative Eingriffe ihren Kranken zu helfen. Ihr Arbeits¬ 
feld liegt auf dem Gebiet der Chirurgie des Bewegungs- 
apparates, aber im grossen und ganzen nur, wie wir sahen, 
insoweit, als es sich hier nicht um Erkrankungen handelt, die 
chirurgischer Hilfe dringend bedürfen oder die üusserst lang¬ 
wierige oder besondere technische Hilfe beanspruchen. 

Die Abgrenzung der Orthopädie von der Chirurgie ist also 
nicht scharf zu ziehen, denn weder die Art der Erkrankungen 
noch die Konzentration auf ein bestimmtes Organsystem, noch 
die Methodik trennen die beiden Gebiete. 

Ich möchte nun nicht Ihre Zeit damit in Anspruch nehmen, 
dass ich alle diejenigen Aufgaben der modernen Orthopädie im 
Einzelnen schildere, die aus der Praxis heraus an den Ver¬ 
treter dieses Faches gestellt werden, sondern ich werde nur 
die hauptsächlichsten Gruppen herausgreifen und hierbei nur 
davon sprechen, inwieweit die Lösung der praktischen Pro¬ 
bleme gelingt. 

Am wenigsten ermutigend scheint die Pehandlung der 
Wirbelsäulenverkrümmungen zu sein. Dieser Pessimismus 
trifft zu, "wenn die Skoliose ins Stadium der Versteifung ge¬ 
treten und der Patient erwachsen ist. Beginnende Verkrüm¬ 
mungen bei Kindern dagegen lassen sich nicht nur in ihrem 
Fortschreiten aufhalten, sondern auch in vielen Fällen dauernd 
beseitigen. 

Grossartig sind die Erfolge bei der Behandlung der ange¬ 
borenen Hüftgelenksverrenkung zu nennen, denn wenn die 
daran Leidenden frühzeitig dem Arzte gebracht werden, so 
lässt sich fast immer eine völlige Heilung erzielen, zum min¬ 
desten in funktioneller Beziehung. 

Die rhachitischen Verbiegungen sind entweder unblutig 
oder blutig der Therapie zugänglich. 

Zu den dankbarsten Gebieten der Orthopädie gehören die 
Beschwerden, die man unter dem Sammelnamen Platttuss zu- 
sammenfasst. 

Die orthopädisch-konservative Behandlung der Knochen- 
und Gelenktuberkulose erw irbt sich immer mehr Anhänger auch 
unter den Chirurgen. Die hieinit erzielten Erfolge, besonders 
bei Kindern oder in leichteren Fällen bei Erwachsenen recht- 
fertigen das Verfahren. Buckel bi klung bei Tuberkulose der 
Wirbelsäule lässt sich verhüten oder, wenn die Erkrankung 
noch nicht zu lange bestanden hat, wieder beseitigen. 

Auf die Therapie und die hiedurch erzielten Resultate bei 
Lähmungen werde ich später zurückkommen. 

Bei der Behandlung der zum Teil angeführten Erkran¬ 
kungen ist es nun oft erforderlich, eigenartige Apparate zu 
konstruieren und anzuwenden. Es bildete sich somit eine be¬ 
sondere Technik heraus, die lange Zeit ausschliesslich durch 
die Bandagisten betrieben wurde. Neuerdings haben sich aber 
auch hier die Orthopäden praktisch betätigt und konnten da¬ 
durch, dass sie die Verarbeitung des technischen Materiales zu¬ 
gleich mit der Kenntnis der Erkrankung beherrschten, manches 
neue wertvolle Rüstzeug liefern. Ausser den kleinen porta¬ 
tiven Apparaten entstanden dadurch viele der grossen Ma¬ 
schinen, die sie aus den modiko-mechanischen Sälen kennen. 

Aehnlich verhält es sieh mit der Massage, die, früher von 
Nichtärzten ausgeiibt, heute von jedem Orthopäden in kunstge¬ 
rechter Ausführung zu verlangen ist. 

Dadurch nun, dass dem Orthopäden in diesen technischen 
Dingen eine grössere Fertigkeit zukommt, w ird sein Rat und 
seine Hilfe auch in anderen Zweigen als in der Chirurgie ge¬ 
schätzt; vor allem mehren sich die Gelegenheiten, wo der 
Internist die Unterstützung des Orthopäden anruft. Ich er¬ 
innere nur an die Entlastimgsapparate bei Ischias und Tabes, 
an all die verschiedenen Behandlungsarten bei Lähmungen und 
ferner an die mechanische Therapie der Gelenkerkranktmgen 
gonorrhoischer und rheumatischer Natur. Den grössten Dank 
erntet der Orthopäde von denjenigen Kranken, die infolge von 
chronischem Gelenkrheumatismus und den daher stammenden 
winkligen Gelenkversteifungen für ihr Leben an das Bett ge¬ 


fesselt sind und weder stehen noch gehen können. Durch ein¬ 
fache Schienen lernen diese unglücklichen Menschen wieder im 
aufrechten Stand ihr Gleichgewicht zu wahren, und nach we¬ 
nigen Wochen oft sind sie fällig, mit Hilfe von Stocken zu gehen. 
Ja selbst die Schienen werden nach nicht langer Zeit über¬ 
flüssig und der Kranke vermag, mit entspreche»'.Jen Schuhen 
versehen, selbst Treppen zu bewältigen. 

Ausser der Bchei:Jlung vorhandener Erkrankungen sind 
dem Orthopäden auch \ crpilichlangeii auierlegt, die einesteils 
in der V erhütung der in sein Euch eins.niägigen Erkrankungen, 
anJernteils in der Fürsorge für unheilbare Kranke, in der Mil¬ 
derung des Kriippelelendes bestehen. Emen T eil aus der Pro¬ 
phylaxe auf orthopädischem Gebiet betreffen Fragen, die ge¬ 
rade in letzter Zeit allgemeineres Interesse beanspruchten: cs 
sind die Forderungen hygienischer Kleidung, geeigneter Sclml- 
mobel, Schulhaltung und vermmltgemässer KorperansbiiJung 
durch systematisches Turnen oder freies Bewegen in der 
Natur. 

Fug verbunden mit den prophylaktischen Bestrebungen 
scheinen mir die Aufgaben zu sein, die an den Unter»icht in 
der Orthopädie gestellt werden müssen. Denn man kann vom 
praktischen Arzt nicht verlangen, dass er die ganze ortho¬ 
pädische Technik beherrscht; er muss mir in der Diagnose be¬ 
sonders der Anfangsstadien einige Sicherheit haben. Der Arzt 
drausseu braucht, nicht die Orthopädie zu können, er muss 
aber die Erkrankungen e r k e n n e n. Dann lassen sich zwei¬ 
fellos eine Unmenge von schweren Verkrüppelungen verhüten. 

Soweit die Aufgaben, die in der (iegenw art von den 
Orthopäden allenthalben mit mehr oder weniger Erfolg be¬ 
wältigt werden. Gestatten sie nur, dass i.h auch einen Bluk 
in die Z u k u n f t werfe und mich auf das Prophezeien verlege. 

Welches ist wohl die nächste Aufgabe m der Orthopädie, 
die für die Praxis einen wesentlichen SJiritt vorwärts be¬ 
deutet? Ich will nicht Lorenz folgen imd man die gesamte 
Chirurgie des Pew egimgsapparates für die Orthopäden bean¬ 
spruchen. Bleibe du Orthopädie lieber ihren Traditionen treu 
und suche sie neue Felder aut dein Gebiete der menschlichen 
Mechanik zu bebauen. 

Am vielversprechendsten scheint mir die Peaibeitung Jer 
Nerveiiplastiken zu sein. Die Anfänge smJ hier gemacht und 
auch einzelne praktische Erfolge gemeldet. Die ersten Ir.erner- 
gehorigen Versuche stammen aus Frankreich v»n Letie- 
v a »l t 1N7.L Neuerdings hat sich Spitzy dieses Gebietes 
angenommen. Fs handelt sich bei diesen Plastiken tim Ver¬ 
pflanzung eines Nerven auf einen anderen bei Lähmungen infolge 
spinaler Erkrankungen. Die Methoden unterscheiden sieh da¬ 
durch, dass der eine Autor den gesunden Nerven zum Tul auf 
den funktionsunfähigen überträgt, wahrend andere gerade ent¬ 
gegengesetzt Vorgehen. 

Bisher half man sich bei diesen Lähmungen mit Sehnen¬ 
plastiken. Durch diese Metln Je können, wenn noch einige 
Muskeln erhalten sind, die Defekte zum T eil w leder ausgeglichen 
und unter Umständen die wichtigsten ausgef dienen Funk¬ 
tionen in dem durch die Lähmung beeinflussten Gelenk wieder 
hergestellt werden. Besonders durch die Arbeiten von L a n g e 
(München) erreichte dieses Gebiet einen hohen Grad von Voll¬ 
kommenheit. Er zeigte, dass lange seidene Bimdel. am Muskel 
befestigt, sich mit echtem Sehnengewebe umgeben und dann 
dauernd die Funktion einer wahren Sehne übernehmen können. 
Ferner konnte er durch die Methode der periostalen Sehnen- 
anheitung viel bessere Erf< !ge erzielen, weil nun vor allem du 
Wahl des Sehneiiansatzes am Skelett freistand. So lassen suh 
zu in Beispiel bei drei erhaltenen Muskeln am Unterschenkel 
nach erfolgter Sehnenplastik die w e^eiijlkhsten Bewegungen 
mit dem Fnss ausfuhreii. 

Es berührt aber den Operateur immer sJrner/ÜJi. wenn 
er bei diesen Sehnenplastiken die gelahmten Mukein ganz ans¬ 
schalten oder unbenutzt liegen lassen muss. Svhmerzluh des¬ 
halb, weil ihm bekannt ist, dass diesen gelahmten Muskeln 
höchste Regenerationskraft innew olmt. sobald sie nur mit 
einem gesunden Zentrum in leitende Verbindung gebracht sind. 
Dieses Anschlüssen der Muskel an das Zentralnervensystem 
ist, wie schon erwähnt, in einigen Eulen gelungen. 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1877 


Hier gilt es also, die Methoden weiter auszubilden, denn 
wenn die Nervenplastik bei der essentiellen Kinderlähmung 
gelingt, so kommt man der völligen Wiederherstellung der 
vierlorengegangenen Funktionen sicher näher, wie mit der 
idealsten Sehnenplastik. 

Bevor sich aber der Orthopäde an dieses Arbeitsfeld 
macht, muss er beim Physiologen in die Lehre gehen und sich 
mit der Physiologie der Nerven vertraut machen. Der alte 
Streit über die Neuronenlehre, der heute wieder einmal zu ihren 
Gunsten steht, hat viel neues Material zu tage gefördert, das für 
die Nervenplastik von grösster Bedeutung ist. 

Vor allem muss hierbei der Orthopäde eingedenk sein, dass 
die Nervenfaser lebt und nicht nur ein toter Leitungsdraht ist. 
Jeder Zweifel hieran ist ausgeschlossen, seitdem es mir ge¬ 
lang, einwandsfrei nachzuweisen, dass das Geschehen in der 
Nervenfaser vom Sauerstoff abhängig ist, d. h., dass sie atmet. 
So gelingt es in einem sauerstcfffreiem Medium den Nerven 
zu ersticken* es erlischt seine Fähigkeit zu leiten cder Reize 
aufzunehmen. Durch Sauerstoffzufuhr stellen sich die Funk¬ 
tionen wieder in kürzester Zeit her. Bei diesen Experimenten 
kam auch die seit langem gesuchte Ermüdbarkeit zur Beob¬ 
achtung. 

Kennt man diese Tatsachen, so wird man sich davor hüten 
Nerven bei Plastiken in kaum permeable Hüllen zu legen und 
ihm also die Aufnahme von Sauerstoff zu erschweren. 

Nach dieser kurzen Uebersicht über die Vergangenheit, 
Gegenwart und Zukunft der praktischen Orthopädie erscheint 
es mir angezeigt, auch noch der theoretischen Aufgaben zu ge¬ 
denken. Denn man muss vom Vertreter eines praktischen 
Faches, zumal wenn er an Universitätsanstalten tätig ist, ver¬ 
langen, dass er am Fundamente seiner Disziplin mitarbeitet, 
dass er die pathologische Anatomie und pathologische Physio¬ 
logie angewandt .auf sein Arbeitsfeld treibt. 

Es gibt hier natürlich eine Unmenge von Fragen und Auf¬ 
gaben. Indem ich sie in ihrer Gesamtheit übergehe, will ich 
nur zwei Probleme, die mir die Grundlage für die moderne 
Orthopädie zu bilden scheinen, kurz streifen. Das eine 
Problem lautet: der normale und der kranke Knochen. Die 
vielen Arbeiten die über dieses Thema geliefert worden sind, 
haben auch für die Praxis manche Frucht gezeitigt, ich erinnere 
nur an die Arbeiten von Julius W o 1 f f über die Struktur der 
Knochen. Verhältnismässig wenig wissen wir noch über die 
Physiologie des wachsenden Knochens. Das günstigte Objekt 
hierfür wäre wohl ein Knochen, an dem weder Muskeln in¬ 
serieren noch inkonstante Kräfte einwirken. Auf der Suche nach 
einem derartigen Knochen kam ich auf den knöchernen Zapfen 
im Horn des-Rindes. Bei noch nicht erwachsenen Tieren sieht 
man im Röntgenbilde fast parallel verlaufende Trajektorien, die 
in ihrer Anordnung gewisse Aehnlichkeit mit den Haaren eines 
Fuchsschwanzes haben. Querstrukturen fehlen, ausgenommen 
an der Spitze des Zapfens. Da nun am Horn weder Muskeln 
änsetzen noch Belastung im gewöhnlichen Sinne fehlt, so könnte 
man meinen, dass die mächtigen Knochenzüge infolge der spä¬ 
teren Funktionen des Hornes, d. h. um als Stosswaffe zu dienen, 
durch Vererbung angelegt werden. Diese Deutung trifft aber 
nicht zu, denn beim ausgewachsenen Tier ist der auffallende 
Bau verschwunden und macht eingewachsenen Vakuolen Platz. 
Man kann also am Knochenzapfen des Rinderhornes wohl in 
reinster Form das Wachstum der Knochen beobachten und 
untersuchen. 

Eine weitere theoretische, heute schon teilweise in die 
Praxis übertragene Aufgabe betrifft das Verhalten von Fremd¬ 
körpern im Organismus. In meiner Habilitationsschrift habe 
ich versucht einen Beitrag hiezu zu liefern. Das wichtigste 
praktische Ergebnis aus dieser Arbeit und aus den Angaben 
anderer ist, dass die Fremdkörper im allgemeinen nicht dazu 
benützt werden können, Funktionen im Organismus zu über¬ 
nehmen. Sie können nur dazu dienen, das Wachstum in be¬ 
stimmte Bahnen zu leiten. Wie dies unter Umständen ge¬ 
schehen kann, zeigt das Ergebnis eines Versuches, das, wenn 
es sich bestätigen sollte, auch für das Verständnis der Elektro¬ 
therapie von grösster Bedeutung wäre. Es handelt sich um 
den richtenden Einfluss der Elektrizität auf die Bindegewebs- 


körperchen. Es wurde einem Tier ein elektrisches Element, 
bestehend aus einer Kupferwalze, die in der Mitte mit einem 
Zinkmantel umgeben war, einverleibt. Auf den mikroskopi¬ 
schen Schnitten der Kapsel, die sich um diesen Fremdkörper 
gebildet hatte, sieht man nun die Bindegewebskörperchen und 
die Fibrillen in zwei halbkreisförmigen Systemen angeordnet, 
die an die bekannten magnetischen Kurven erinnern. 

Ich bin am Schluss. Wir sahen also, dass die Aufgaben 
der Orthopädie von altersher auf jenen Gebieten der Be¬ 
wegungschirurgie lagen, die aus äusserlichen Gründen 
von der grossen Chirurgie nicht gepflegt wurden. Möge 
die Orthopädie auf diesem Wege fortfahren und nicht der 
Chirurgie ausgebaute Felder zu entreissen suchen. Ich hoffe, 
dass die kommende Orthopädie neue Probleme aus der Patho¬ 
logie menschlicher Mechanik aufsucht und hier Erfolge erzielt, 
durch die sie den Krummen und Lahmen Heilung bringen kann. 


Ueber eine Schraubvorrichtung zur Heilung des Knie¬ 
scheibenbruchs. 

Von Dr. B e 11 m a n n, Spezialarzt für Chirurgie und Orthopädie 
c in Leipzig. 

Es ist keine Frage, dass in dem noch immer fortdauernden 
Streit über die Behandlung der Kniescheibenbrüche die opera¬ 
tiven Methoden mehr und mehr Anhänger gefunden haben, 
hingegen die konservative Behandlung eingeschränkt worden 
ist, obwohl letztere sicherlich für viele Fälle noch zu vollem 
Recht besteht und bestehen bleiben wird. Allgemein dürfte 
jetzt der Grundsatz zu befolgen sein, dass alle Knie¬ 
scheib enbrüche mit erheblicher Streckläh¬ 
mung oder erheblicher Streckschwäche und 
solche mit klaffenden Bruchstücken operativ 
zu behandeln sind. Diesem von Thiem [l] aus¬ 
gesprochenen Grundsatz schliessen sich heute wohl die meisten 
Chirurgen an. 

Was nun die Operationsmethcde selbst anlangt, so ist, 
nachdem die Ma 1 g a i g n e*sche Klammer und ähnliche Vor¬ 
richtungen mit Recht verlassen worden sind, bisher ganz all¬ 
gemein die Naht in irgendeiner Form in Verwendung, sei es als 
offene direkte Naht der Bruchstücke, sei es als subkutane oder 
als — wie ich sie nennen möchte — subkutan-transkutane Naht. 
Es kann hier nicht der Ort sein, auf die Technik aller dieser, 
zum Teil höchst sinnreich ausgedachter Nahtmethoden im ein¬ 
zelnen näher einzugehen. Möge sie nun in dieser oder jener 
Form geübt werden, so bleibt es keine Frage, dass die Naht 
für viele Fälle durchaus befriedigende Resultate gibt. Ebenso 
fraglos ist es aber auf der anderen Seite, dass der Naht nicht zu 
unterschätzende Mängel anhaften. 

In erster Linie käme hier die oftmals doch nicht genügende 
Fixation der Fragmente in Betracht, die namentlich dann zu 
befürchten ist, wenn, wie in älteren Fällen, die Bruchstücke 
durch Schrumpfung des Quadrizeps schon stärker auseinander¬ 
gewichen sind oder hierzu das Bestreben haben, die Naht in- 
lolgedessen, vorausgesetzt, dass die Bruchstücke zur Be¬ 
rührung gebracht werden, einen relativ starken Zug auszuhal¬ 
ten hat. Diesen Anforderungen ist insbesondere die Silber¬ 
drahtnaht nicht genügend gewachsen. Die relativ doch noch 
recht häufigen Refrakturen beweisen dies, man kann auch im 
Röntgenbild bei der Silberdrahtnaht des öfteren ein Ausein¬ 
anderweichen der Fragmente beobachten. Der Grund hier¬ 
für liegt darin, dass der Silberdraht nicht biegsam genug 
ist, auch nicht hinreichend stark zusammengedreht werden 
kann, um ein Nachgeben zu verhindern. Ausserdem fand 
v. Brunn [2] bei Nachuntersuchungen, dass die Silberdraht¬ 
schlinge durchgehends zerbrochen und zerbröckelt war. Er 
verwirft deshalb die Silberdrahtnaht und empfiehlt Katgut und 
Seide. Riedel [3] empfiehlt ebenfalls das Katgut. In der 
Tat scheint mir die Seide oder das Katgut für die direkte Naht 
des Kniescheibenbruchs geeigneter als der Silberdraht zu sein, 
da beide fester und unnachgiebiger geknotet werden können, 
das Katgut resorbiert wird und die Seide bei aseptischer Ein- 
heilung nicht bricht oder zerreisst. Auch für diejenigen Metho¬ 
den, bei denen die Nahtschlinge um die Bruchstücke herum- 


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1878 


MUENCHENFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


gelegt und aussen auf der Haut über einem kleinen Bausch 
geknotet wird, dürfte Seide und Katgut aus den angeführten 
Gründen mehr als der Silberdraht zu empfehlen sein. 

Ich habe nun oben schon diejenigen Fälle beleuchtet, bei 
denen meines Erachtens die Fixation durch eine Nahtschlingc 
— es sei diese von irgendeiner der gebräuchlichen Arten — 
überhaupt auf grosse Schwierigkeiten stösst. Da ich es nun 
aber nicht für richtig halte, bei veralteter Patellarfraktur, wie 
es Trendelenburg [4] tut, von vornherein in jedem Falle 
auf die Vereinigung der Bruchstücke zu verzichten, vielmehr 
glaube, dass in einer Reihe von Fällen mit Strecklähmung auch 
spät noch durch die Operation Nutzen geschafft werden kann, 
so möchte ich an Stelle der Naht hierbei eine Vorrichtung emp¬ 
fehlen, mit deren Hilfe man eine feste Vereinigung der Frag¬ 
mente in unverrückbarer Lage erreichen kann. 

Es handelt sich um eine Schraubvorrichtung, deren Konstruktion 
und Anordnungsweise wohl ohne nähere Beschreibung aus den Fig. 1 
lind 2 ersichtlich sein wird. 


Eig. 1. 

(Schematisch.) 

Diastase der Frag¬ 
mente. 

a. Die lose Hülse. 




Fig. 2. 

(Schematisch.) 

Die Fragmente fest 
zusammengeschraubt. 



Von den beiden Querstäben, die nichts weiter sind als zwei lange 
Bohransätze, wird der eine durch das obere, der andere durch das 
untere Fragment mittels eines Drillbohrers hindurchgebohrt und zwar 
so, dass sie parallel zu einander zu stehen kommen. Jeder der beiden 
Stäbe hat nach den Enden zu je ein kleines Loch. In dem einen Stab 
bilden die beiden Löcher Schraubengänge. Stellt man nun die Ocff- 
nungen senkrecht zu einander, so kann jederseits eine Flligelschraube 
durch dieselben hindurchgeführt, die Schraube angezogen und die 
Stäbe so einander genähert werden. Das geschieht dadurch, dass sich 
zwischen dem Flügel der Schraube und dem Stab mit den einfachen 
Löchern eine über die Schraube iibcrgeschobcne kleine lose Hülse 
(Fig. 1 a) befindet, welche sich beim Anziehen der Schraube gegen 
den Stab und den Flügel stemmt. Sind die Fragmente leidlich be¬ 
weglich, was mitunter erst durch Abmeisselung der Tuberositas tibiae 
oder durch andere Massnahmen erreicht wird, so kann man sic so fest 
gegeneinander verschrauben, dass die angefrischten Fragmente direkt 
ineinander eingepresst werden und man von einer direkten Ver¬ 
zahnung resp. Verfalzung derselben sprechen kann (Fig. 2). Auf diese 
Weise gelingt es eine feste knöcherne Verwachsung zu 
erreichen und damit die Gefahr einer Rcfraktur 
zu vermeiden. 

Fin weiterer Vorteil des Apparates liegt nun noch darin, dass 
man das Bein nur etwa für 14 Tage bis 3 Wochen mit einem be¬ 
quemen fixierenden, abnehmbaren Verband zu versehen braucht, mit 
welchem der Patient schon nach einigen Tagen herumgehen kann. 
Mit diesem Zeitpunkt kann man auch schon mit Massage beginnen. 
Das Knie ist aseptisch bedeckt, die Schrauben liegen ausserhalb des 
Verbandes. Nach 14 Tagen ist die Konsolidation der Fragmente schon 
so fest, dass man den Apparat entfernen und sich auf einen fixieren¬ 
den, die Kniescheibe umfassenden Heftpflasterverband beschränken 
kann. Man kann dann auch bald mit vorsichtigen passiven, 
später aktiven Bewegungen beginnen. 

Ich habe auf diese Weise 2 veraltete Fälle von Patellarfraktur 
mit starker Diastase zur Heilung gebracht. Der Kontakt der Frag¬ 
mente war ein so inniger, dass eine feste knöcherne Verwachsung er¬ 
folgte, ohne dass es noch möglich gewesen wäre, durch Palpation den 
Verlauf der Vereinigungslinie ausser an einer gewissen Knochen¬ 
rauhigkeit nachzuweisen. 

Tch füge die Röntgcnbilder eines so behandelten Falles bei (Fig. 3 
und 4). Das funktionelle Resultat meines ersten Falles war ein gutes. 


vom zweiten Falle, der noch in Behandlung steht, lässt sich heute 
schon so viel sagen, dass die Funktion des (Juadrizcps sich wieder 
hcrgcstcllt hat. 



Fig. 3. Fig. 4. 

(Juerbruch der Kniescheibe mit Kniescheibe nach Verheilung der 
starker Diastase. Fragmente. 

Es sei noch bemerkt, dass man die Stäbe statt durch die Frag¬ 
mente durch das Lig. pat. sup. uud inf. quer durchstecken und so die 
Biuchstückc gegeneinander verschrauben kann. In ähnlicher Weise 
geht Schäfer (5) bei frischen Frakturen vor. welcher 2 Troikart- 
hiilsen oben und unten durch die Ligamente sticht und durch die¬ 
selben eine Drahtsdilinge legt, welche über einem Tampon fcstgc- 
knotet wird. Uebrigens ist natürlich meine Schraubvorrichtung auch 
für die frische Patellarfraktur geeignet und ersetzt hierbei jede Art 
von Naht, w r ic sie überhaupt an Stelle derselben auch für andere 
Pseudarthroscn und für die operative Behandlung frischer Extremi¬ 
tätenbrüche in geeigneten Fällen Anwendung Finden kann. 

Der Apparat wird von Herrn A. Schütze. Leipzig, Wind¬ 
mühlenstrasse .JO. zum Preise von 12 Mk. angefertigt. 

1. Thiem: lieber die Grösse der Unfallfolgen bei der blutigen 
und unblutigen Behandlung der einfachen (subkutanen) Ouerbrüche 
der Kniescheibe. (Kotigr. d. Deutsch, des. f. Chir. 19n5 und Mo- 
natsschr. f. Unfallh., 19'»5. No. 5.) — 2. v. Brunn: Schicksal des 
Silberdrahtes bei der Naht der gebrochenen Patella, (v. Bruns* 
Beiträge z. klin. Chir., Bd. L, Heft 1 und 35. Kongr. d. Deutsch. Ges. f. 
Chir., 1905. — 3. Riedel: Die Katgutnaht bei Fraktur der Patella. 
(Deutsch, mcd. Wochcnsehr.. 1905. No. 8.) — 4. T rcndclenburg: 
Die Erfolge der Knochennaht bei Kniescheibenbrüchen. (Therapie 
der Gegenwart. No. 1.) — 5. Schäfer: Zur Technik der Knie- 
schcibennaht. (Münch, mcd. Wochcnsehr^ No. 50, 1906.) 

Mastopexie zur Beseitigung der Hängebrust. 

Von Dr. Dehner, Oberarzt der chirurgischen Abteilung 
des städtischen Krankenhauses in Ludwigshafen. 

Ich hatte im Laufe dieses Jahres Oelegcnheit, bei einer 
korpulenten Dame einen operativen Eingriff zur Beseitigung 
zweier exquisiter Hängebrüste auszuführen. 

Da nun meines Wissens ein operativer Eingriff aus solcher 
Veranlassung in Deutschland noch nicht vorgenommen worden 
war und eine dringende Indikation wegen dieser Anomalie 
nicht vorlag, verhielt ich mich zunächst ablehnend, bis eine 
genauere Anamnese unter Berücksichtigung eigenartiger Um¬ 
stände mich veranlasste, den dringenden Wünschen der 
Patientin nach operativer Beseitigung des Leidens Rechnung 
zu tragen. Ich bringe nachstehend in Kürze die Kranken¬ 
geschichte: 

Die 30 jährige verheiratete Frau gibt an. das«; in den 5 Jahren 
ihrer Flic die Brüste an Grosse und Schwere erheblich zugenommen 
haben. Die Frau, welche mit ihrem Gatten seit 3 Jahren in China 
lebt, leidet bei der grossen Hitze des subtropischen Klimas an starken 
Ekzemen, so dass trotz der üblichen Applikation von Puder und 
Salben eine Heilung des zeitweise recht schmerzhaften Ekzems nicht 
erreicht wurde. Fine vor 1 Jahre akquirierte schwere Dysenterie 
zwang die Patientin, einen längeren Aufenthalt in Deutschland zu 
nehmen; sie verlangt nun dringend die operative Beseitigung der 
Hängebrüste. 

Ich entschloss mich nun auf operativem Wege Abhilfe zu schaffen. 
Nachdem ich zunächst in der chirurgischen 1 iteratur nach etwaigen 
Publikationen über operative Versuche zur Hei'ung der Hängebrüste 
mit völlig negativem Erfolg mich urmresehen hatte, legte ich mir 
folgenden Opcrationsplan zurecht: Ich erstrebte nach zwei R.chtungen 
eine Korrektur; es galt einmal eine Verkleinerung der schweren 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1879 


hypertrophischen Brüste zu erreichen, zweitens die Mamma an nor¬ 
maler Stelle gehörig zu fixieren. Der ersten Indikation war durch eine 
ausgiebige elliptische Exzision von Haut und Unterhautzellgewebe 
zu genügen, der letzteren Indikation durch zuverlässige Fixation -des 
Drüsengewebes selbst an einer höheren Stelle. Ich exzidierte zu¬ 
nächst eine grosse Ellipse von Haut und Unterhautzellgewebe an 
der oberen Peripherie der Mamma bis auf die Faszie des M. pectoralis 
maior. Dadurch wurde eine Verkleinerung der Mamma wohl er¬ 
reicht; nicht aber würde, wegen des Zages des hypertrophischen 
Drüsengewebes nach unten der Eingriff hingereicht haben, annähernd 
normale Formen der Mamma zu schaffen. Dies erreichte ich durch 
Fixation des Drüsengewebes am Periost der 3. Rippe. Ich spaltete 
den M. pectoralis maior und rumor entsprechend dem Faserverlauf 
in einer Ausdehnung von etwa 8 cm, mobilisierte durch Abhebelung 
das Periost an der Vorderfläche der 3. Rippe und fixierte mit drei 
starken Jodkatgutfäden, welche tief durch das Drüsengewebe hin¬ 
durchgeführt wurden, die Brustdrüse an diesen Periostlappen. Da¬ 
rüber Hautnaht ohne Drainage. Die gleiche Operation wurde an der 
anderen Mamma ausgeführt. Der Wundverlauf war reaktionslos. 

Bei der Entlassung der Patientin fand sich beiderseits eine 
grosse lineäre, bogenförmig mit der Konvexität nach oben verlaufende 
Narbe. Das Gewebe der Brustdrüse war fest an der 3. Rippe fixiert. 
Grösse und Form der Mammae entsprechen annähernd normalen 
Verhältnissen. 

Ich glaube das Operationsverfahren empfehlen zu können 
bei hartnäckigen, jeder Behandlung trotzenden Ekzemen, ferner 
bei stark hypertrophischen und deshalb schmerzhaften Hänge¬ 
brüsten, wenn von seiten der Patientinnen gegen die durch die 
Narben gesetzten kosmetischen Nachteile keine Bedenken er¬ 
hoben werden. 


Aus der inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Johann- 
stadt-Dresden (Chef: Geh. Med.-Rat Dr. Schmaltz). 

Ueber akute nichteitrige Thyreoiditis*). 

Von Dr. ReinholdDunger, II. Arzt. 

Gegenüber der grossen Häufigkeit der chronischen Er¬ 
krankungen der Schildrüse gehören akute Störungen im Be¬ 
reich dieses Organes zu den seltenen Ereignissen. Es gilt dies 
nicht sowohl von den eitrigen Erkrankungen als vielmehr von 
den akuten nichteitrigen Entzündungen und hier besonders 
wieder von den akuten Erkrankungen der bis dahin gesunden 
Schilddrüse, die uns im folgenden ausschliesslich beschäftigen 
sollen. 

Diese Seltenheit des Vorkommens einer akuten nicht 
eitrigen Thyreoiditis ist wohl, trotz der oft auffallenden Er¬ 
scheinungen, die sie verursacht, der Grund gewesen, dass, 
wie einer der besten Kenner auf diesem Gebiete, de Quer¬ 
vain, sagt, dieselbe bis zum heutigen Tage noch eine wenig 
gekannte Krankheit ist und bis in die letzte Zeit hinein sozu¬ 
sagen neu entdeckt werden musste. 

Die ersten Mitteilungen über Thyreoiditis stammen aus 
dem Anfang des 19. Jahrhunderts; jedoch wurde anfänglich 
nicht unterschieden zwischen der Entzündung der normalen 
und derjenigen der kropfig entarteten Schilddrüse; diese 
Trennung wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein¬ 
geführt von Weitenweber und besonders von B o u c h e t, 
der die Affektiom bereits richtig und vollständig beschrieb. 
Spätere Mitteilungen finden sich vorwiegend in der fran¬ 
zösischen Literatur; durch Pinchaud wurde 1881 der Be¬ 
griff der Strumitis — Entzündung des Kropfes — 
der Thyreoiditis — Entzündung der gesunden 
Schilddrüse — gegenübergestellt. Vor 3 Jahren wurde 
schliesslich die Lehre von der akuten nichteitrigen Thyreoiditis 
von de Quaervain in ausgezeichneter und erschöpfender 
Weise, auch auf Grund zahlreicher experimenteller Studien, 
dargestellt und zu einem gewissen Abschluss gebracht; seither 
sind nur einige kleinere kasuistische Mitteilungen erschienen. 

Das klinische Bild unserer Erkrankung ist scharf 
umgrenzt und erlaubt — wenigstens in den voll ausgebildeten 
Fällen — die Diagnose mit grosser Leichtigkeit zu stellen. 
Meist unter mehr oder weniger hohem Fieber kommt es plötz¬ 
lich zu einer Anschwellung im Bereich der Schilddrüse, meist 
nur eines Lappens, seltener beider zugleich oder nacheinander. 
Diese Schwellung ist kongruent mit der Gestalt des erkrankten 


*) Nach einem in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu 
Dresden am 22. Februar 1908 gehaltenen Vortrage. 


Drüsenteiles; sie ist ziemlich derb und stets druckempfindlich, 
oft sogar ausserordentlich schmerzhaft. Die darüberliegende 
Haut bleibt in der Regel ganz frei oder wird höchstens leicht 
gerötet. Die subjektiven Beschwerden bestehen in Hals¬ 
schmerzen, ferner ausstrahlenden Schmerzen nach Ohr und 
Nacken, Schmerzen beim Schlucken sowie beim Atmen und in 
schweren Ellen sogar in Behinderung der Atmung. Die Sym¬ 
ptome entwickeln sich rasch, halten wenige Tage in voller 
Intensität an und klingen dann allmählich ab; die völlige Rück¬ 
kehr zur Norm erfordert öfters eine Reihe von Wochen. 

Ich gehe nun zu unseren eigenen Beobachtungen 
über. Der Zufall hat es gefügt, dass, während zuvor auf der 
inneren Abteilung des Johannstädter Krankenhauses 5 Jahre 
lang kein einziger Fall vorgekommen war, in den letzten 
2 Jahren 6 Fälle dieser seltenen Erkrankung zur Beobachtung 
gelangten; hierzu kommt noch ein von Herrn Geheimrat 
Schmaltz konsultativ gesehener Fall. Fünfmal trat die 
Thyreoiditis erst während des Aufenthaltes im Krankenhause 
auf und konnte so vom Anfang bis zum Ende beobachtet 
werden. Im einzelnen verhielten sich die Fälle folgender- 
massen: 

I. Pleuritis sicca; Thyreoiditis acuta. 

Anna R., 30 jährige Zigarettenarbeiterin, aufg. am 27. IX. 07. 

Vor 10 Tagen im Anschluss an einen heftigen Schnupfen akut er¬ 
krankt mit Husten, linksseitigen Brustschmerzen, Mattigkeit und 
Appetitlosigkeit. 

Befund bei der Aufnahme: Lautes Reiben über dem lin¬ 
ken Oberlappen vorn und hinten, knackende Geräusche über der lin¬ 
ken Spitze, etwas Husten, kein Auswurf. Temp. 37,4. Schilddrüse 
von normaler Grösse. 

Unter Heftpflasterfixierung der linken Brusthälfte rascher Rück¬ 
gang aller Erscheinungen; nach 8 Tagen Reiben verschwunden, 
Abendtemperaturen unter 37°. Am 9. X. aufgestanden. 

10. X. Plötzlicher Fieberanstieg auf 38,8, Mattigkeit, 
Schmerzen beim Schlucken. Rachenorgane völlig frei, 
nicht gerötet. Am Isthmus der Schilddrüse ein rund¬ 
licher, halbhühnereigrosser Knoten fühlbar, der 
ziemlich derb und sehr druckempfindlich ist. Haut darüber 
frei verschieblich, nicht gerötet. 

10. X. Knoten weicher, verkleinert, weniger druckempfindlich. 
Abendtemperatur 37,8. 

13. X. Kr den kaum noch fühlbar, nur ganz wenig empfindlich. 
Abendtemp. gestern 37,5, heute 37,2. # 

15. X. Schilddrüse völlig unempfindlich, nicht mehr geschwollen, 
ein Knoten ist nicht mehr nachweisbar. SubJ. völlig wohl. 

Bei der Entlassung am 24. X. zeigt der Hals völlig normale Kon¬ 
figuration, die Schilddrüse keinerlei abnorme Resistenz oder Druck¬ 
empfindlichkeit; insbesondere lässt sich auch am Isthmus keinerlei 
Verdichtung mehr nachweisen. 

II. Bronchopneumonie, Thyreoiditis acuta. 

Erna Th., 17 jähriges Hausmädchen, aufg. am 2. XI. 06. 

Vor 3 Wochen Mandelentzündung mit starken Halsschmerzen. 
Darnach allmähliches Auftreten von Husten, zuletzt anfallsweise, 
besonders nachts. Spärlicher Auswurf. Allgemeinbefinden nicht ge¬ 
stört. 

Befund: Rachenorgane frei, Schilddrüse von normaler Grösse 
und Konsistenz. Ueber dem linken Unterlappen in einem handteller¬ 
grossen Bezirk dichtes, feuchtes, halbklingendes, feinblasiges Rasseln 
und verschärftes Vesikuläratmen, ohne Schallverkürzung. Temp. 37,6. 
— In den nächsten 14 Tagen Verringerung des Hustens ohne wesent¬ 
liche obj. Veränderung. Leicht erhöhte Abendtemperatur, bis 37,7. 

17. XI. Klagt über Halsschmerzen. Ganz leichte Rötung 
der Rachenorgane. Abends 36,8. 

18. XI. Zunahme der Halsschmerzen, auch beim 
Leerschlucken. Plötzlicher Temperaturanstieg auf 38,5. 
In der Gegend der Schilddrüse ist eine etwa ei¬ 
grosse Schwellung sichtbar, die genau median liegt, sich 
ziemlich hart anfühlt und auf Druck sehr schmerzhaft ist. Grösster 
Halsumfang 35% cm. 

19. XI. Halsschmerzen geringer. Schwellung unverändert. All¬ 
gemeinbefinden stark gestört. Abends 38,3. 

20. XI. Abnahme der Schwellung. Leichte Schmerzen vorn am 
Hals, spontan und besonders auf Druck. Halsumfang 34% cm. 
Abends 37,6. 

21. XI. Schilddrüse kaum noch empfindlich. Abends 36,9. 

23. XI. Empfindlichkeit und abnorme Resistenz sind völlig ver¬ 
schwunden, der Ort der Erkrankung ist nicht mehr nachweisbar, die 
Konsistenz der Schilddrüse überall die gleiche. Halsumfang 33% cm. 

Pat. hat keinerlei Beschwerden mehr; der Hals ist überall völlig 
unempfindlich. 

27. XI. Halsumfang 32% cm. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1880 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Wegen der sich nur ganz langsam lösenden Bronchopneumonie | 
verblieb Fat. noch bis zum 28. XII. im Krankenhause; an der Schild¬ 
drüse zeigten sich keine krankhaften Erscheinungen mehr. 

III. Ulcus ventriculi, Thyreoiditis acuta. 

Doris R., 17 jähriges Hausmädchen, aufg. am 19. IV. 07. 

Seit 2 Monaten Kopfschmerzen, allgemeine Mattigkeit; nach 
dem Essen Magendrücken und zusammenziehende Schmerzen in der 
Magengegend. Seit 6 Tagen mehrfach nach dem Essen erbrochen 
(nie blutig); gestern ein Ohnmachtsaniall. 

Befund: Kräftig gebautes Mädchen mit massiger wei¬ 
cher Struma; die Vergrösserung betrifft vorwiegend den linken 
und den mittleren Lappen; der rechte ist nur ganz leicht vergrossert. 
Keine Knoten fühlbar. An den Brust- und Bauchorganen zunächst 
keine krankhafte Veränderung nachweisbar. Im Stuhlgang am 
19., 20. und 22. IV. Blut durch die Benzidinprobe nachgewiesen. — 
Nach einigen Tagen entsprechender (Ulcus-) Diät keine Beschwerden 
mehr; am 5. V. Benzidinprobe negativ. 

10 . V. Plötzlich aufgetretene Schmerzen vorn 
am Hals, spontan und besonders beim Schlucken. Im Bereich 
des Mittellappens deutliche Sch wcllung. stärker als 
bei der Aufnahme, und massige D r u c k e m p f i n d I i c h k e i t. 
Halsumfang 36 cm. 

12 . V. Halsschmerzen geringer, Mittcllappen weniger ge¬ 
schwollen. 

13. V. Es bestehen noch geringe Halsschmcrzen. Der Mittel¬ 
lappen hat jetzt wieder die gleiche Grösse wie bei der Aufnahme; 
dagegen ist nun der linke Lappen ausgesprochen druck¬ 
empfindlich und stärker geschwollen als bisher. 

16. V. Schwellung des linken Lappens ist zuriiekgegangen; 
leichte Druckempfindlichkeit noch vorhanden. 

20. V. Keine Halsschmerzen mehr; die Schilddrüse ist ganz un¬ 
empfindlich und zeigt in allen Teilen die gleiche Grösse wie bei 
der Aufnahme. Halsumfang 35 cm. 

Pat. wurde bei gutem Befinden am 28. V. geheilt entlassen. Die 
Körpertemperatur war während der ganzen Zeit normal und über¬ 
schritt — auch während der Thyreoiditis — nie 36,8. 

IV. Catarrh. apic. pulmon.; Thyreoiditis acuta. 

Marie L., 19 jähriges Hausmädchen, aufg. am 15. I. 08. 

Vom 14. bis 18. Jahre „bleichsüchtig“. Seit 2 Jahren allmähliche 
Anschwellung der Schilddrüse, ohne Beschwerden. A m 12. I. ns 
ganz plötzlich heftige Schmerzen in der linken 
Halsseite und erschwerte Atmung; zugleich allgemeine 
Schwäche, Frieren und heftige Kopfschmerzen. Wegen z u - 
nehmender Atemnot kommt Pat. am 15. I. ins Krankenhaus. 

Befund: Akut fieberhaft kranker Eindruck; Tcmp. 3s,s, Puls 
112, Deutlicher inspiratorischer Stridor, subj. und obi. Dyspnoe. 
Pharyngitis sicca. HalS: Mittlerer und linker Schild¬ 
drüsenlappen diffus vergrossert, etwa apfelgross, von 
gleichmässig derber Konsistenz; Haut verschieblich, nicht gerötet. 
Rechter Lappen nur leicht vergrossert. Linker Lappen stark druck¬ 
empfindlich, die übrigen nicht. — Lungen: Ucbcr beiden Spitzen ver¬ 
längertes Exspirium und feuchte kleinblasigc Rasselgeräusche. Sonst 
nichts Bemerkenswertes. 

Verlauf: Bis zum 20. I. hohes remittierendes Fieber bis zu 
59,4 abends. Die Atemnot hält während der ersten 2 Tage noch an, 
ist am 20. I. völlig verschwunden. Die Empfindlichkeit der Schild¬ 
drüse klingt ganz langsam ab und ist am 21. I. nicht mehr nachweis¬ 
bar. Die Schilddrüse verkleinert sich allmählich, aber sehr langsam. 
Am 22. I. fällt die Temperatur ziemlich plötzlich ab und bleibt bis 
zum 7. II. noch leicht erhöht; darnach normale Temperaturen unter 
37. Die langsame Verkleinerung der Schilddrüse schreitet weiter 
fort. Am 26. II. wird Pat. nach einer Lungenheilstätte entlassen; der 
mittlere und linke Schilddriiscnlapncn sind noch leicht diffus ver- 
grössert, der rechte von fast normaler Grösse, und Pat. gibt mit Be¬ 
stimmtheit an, dass die Schilddrüse jetzt kleiner sei als während der 
letzten 2 Jahre. 

V. Catarrh. a p i c. pulmo n.; Thyreoiditis acuta 
mit 2 Rezidiven. 

Martha R., 27 jährige Wäscherin, aufg. am 5. VIII. 07. 

Mit Tt Jahren Drüsenoperation am Halse. Seit 1 Jahr etwas 
Husten, ab und zu etw'as Auswurf; in den letzten Wochen starke 
Nachtschw eisse. 

Befund: Gracil gebautes, mageres, blasses Mädchen von 
leidendem Aussehen. Pityriasis versicolor an der Stirn. Hals mager; 
Schilddrüse von normaler (irösse. Beide Lungenspitzen verkürzt; 
über der linken feuchte kleinblasige Rasselgeräusche und verschärf¬ 
tes Atemgeräusch. Die übrigen Organe ohne krankhafte Verände¬ 
rungen. 

Verlauf: Die anfangs subfebrile Temperatur wird nach 
14 Tagen normal und hält sich auch abends unter 37,0. 

Am 22. 8. klagt Pat. plötzlich über Halsschmcrzen und 
allgemeines Unbehagen; die Körpertemperatur steigt unter Schüt¬ 
telfrost auf 39,3. Rachenorgane völlig frei. An der linken Hals¬ 
seite im Bereich der Schilddrüse zeigt sich eine 
Anschwellung von reichlich H ii h n e r e i g r ö s s e, die 


auf Druck ausserordentlich empfindlich ist und in ihrer 
Form vollständig dem gleichmässig vergrosserten linken Schild¬ 
drüsen! jppen entspricht. Die Haut lM weder gerötet, noch fixiert. 
Beim Schlucken bewegt sieh diese Arschwellung nach aufwärts; da¬ 
bei üussert Pat. stechende Schmerzen nach der linken Maisveite und 
dem Nacken hinauf; die gleichen Schmerzen werden au dl durdi 
Di uck auf den gesell wolle neu SdiiLldnisentcil erzeugt. 

Während der nächsten 5 läge blieben diese Erscheinungen 
ziemlich unverändert; Temp. froh 37.7 - 3s.2. abends 39.ii 3<v.3; Ad- 

gemeinbeiinden schwer beeinträchtigt, dauernd Mals- und sdi'uck- 
schmerzen; Schilddrüse ausserordentlich eir.pfukiiicii gegen Be¬ 
rührungen. — Vom 27 . VIII. an geht die Temperatur etwas herab, 
die Anschwellung der Schilddrüse bildet sid) langsam /».trnck. Am 
4. IX. ist die Temperatur wieder normal, am 7. IX. der linke Lappen 
vollständig abgeschw ollen, zeigt die gleiche Grosse wie der rechte 
und ist nur noch in geringem Grade druckempfmdlic 1». 

10. IX. Schüttelfrost, jäher T e m p e r a t u r a n s t i e g 
a u f 39.1, Halsschmcrzen; Anse h well u n g des rechten 
S c h i I d d r ii s e n 1 a p p e n s <m völlig gleicher Weise wie am 
22. VIII.). 

Am 11. und 12. IX.. nach Abendtemperaturen von 3s,3 le/w. 
38,4, dann rasche völlige Entiieberung. Der zuerst erkrankte linke 
Lappen war bereits am 12. IX ganz unempfindlich: der rechte Lappen 
blieb noch 10 'Lage laug geschwollen und druckempfuu! ic h; Anfang 
Oktober waren auch hier wieder \olhg normale Verhältnisse ein¬ 
getreten. 

In der Folgezeit fühlte sich Pat., von häufigen Leibsdruer zen 
und Durchfällen abgesehen, leidlich wohl; mir hielt mJi die Körper¬ 
temperatur etwas hoher als fruher (abends 37.3 37.sl. Am 11. X. 
klagte sie w ieder über M a I s s c h m e r / e n. hevmukrs an der lin¬ 
ken Halsseite. Fs zeigte sich, dass der linke S c h i I J d r u s e n- 
lappen deutlich geschwollen w ar und sich harter ani .Täte 
als der rechte: die Druckempflftdlichkeit war ausgesprochen, jed«>di 
nicht So stark als bei den ersten beiden Attacken. I ic I emperatur 
war nicht hoher als fruher. 

Schon am 12. X. waren Schwellung und Schmerzen geringer; 
in den nächsten 5 lagen gingen diese Erscheinungen \.d!ig zurück; 
bei der Fiitlassuug der Pat. am 2<>. X. bot die Schilddrüse wieder 
ein vollkommen normales Bild. 

VI. Influenza; Thyreoiditis acuta mit eine m 
R e z i d i v. 

Marie Sm.. 29 jährige Ko. hin. aufgenommen am 29. 1. us. 

Vor 8 'Lagen plötzlich erkrankt mit l ieber. Mattukeit. Kopf¬ 
schmerzen und Schmerzen in den Armen und Beinen. Seit n lagen 
bettlägerig. Vom Arzt als Influenza ins Krankenhaus geschickt. (NB.; 
Ls herrschte zu jener Zeit im Ort eine Imluenzaepulenue.) 

Befund: Grosses, mag« res. Schlank gebautes M.iddieii \<-n 
blasser Gesichtsfarbe. Temp. 37,7. Zunge etwas belegt, Rächers* 
organe frei. Mals schlank, mager; Sc luiddi i.se \<>n durchaus n«-ima.er 
Grosse. Innere Or gane ohne krankhafte V er.mder imgen. 

Verla ui: Wahrend der nächsten läge \iei K-pi- und Krcii'- 
schuicrzen; keine katarrhalischen l ischeinuucen. Bs zum 1. II. 
noch erhöhte Abendtcmpcraiumi. Am 5. 11. nur n< «dr leichte Kopf¬ 
schmerzen; Pat. steht auf. 

11. II. Mehr Kopfschmerzen; Schwere in den Gliedern. 

12. II. Heftige K opfschmerzen. Krankheitsgefühl; plötzliche 
T empcratursteiger u n g auf 3\\ Am Nachmittag klagt Pat. 
über H a I s s c h in e r / e n. kann nicht schnieken. Radienorgane 
völlig frei, nicht einmal gerötet. An der Aussenseite des Halses 
keine Schmerzen. 

13. II. Seit heute Früh ist im B e r e i c h der S c h i I d d r u s c. 
dem Ist h m u s ent s p r e c h e n d. aber etw as mehr nach imks hm. 
e i n e e t w a h ii h n e rti g r o s s e. r u n d e. leicht prnrni- 
n e n t e und etw as derbe S c h w eil u n g aiifgctrek n; daselbst ausge¬ 
sprochene. nicht sehr hochgradige I »riickviMp* tdudikeit. Beim 
Schlucken Schmerzen an der linken Maisseite limaul bis zum Hinter¬ 
kopf, Radienorgane völlig frei. K raukhcitsgeluhi, K■ >pf- und Rücken- 
sdimerzeu, hohes Lieber (abends 3'\3>. 

14. II. Keine Kopischnierzeu; Abendtemperatüf nur 37.2. Beim 
Schlucken noch Halsschmerzen mul Ziehen muh dem linken < >hr hm. 
Schwellung im Bereidi der Schilddi use etwas geruuer; Druck- 
empfmdlichkeit noch erheblidi. 

13. II. Kettle siditbaie Schwellung mehr. Hds- utsd Ohren» 
schmerzen beim Sdilucken. (ianz fieberfrei. 

17. 11. Am Sdilmid besteht n««di eine taubuK igr< .sse. halh- 
kugehge, deutlich bildbare dr iic keniptmdlidie V e r viu htimg. Druck 
auf diese Stelle erzeugt ziehende Malssdimerzeii an der linken 11.i s- 
Seite hinauf. 

19. II. Die Verdichtung ist kaum noch L Ibb.ir 

22. II. Am Isthmus keine Vermditimg uidir id bar. 

In den letzten 2 l agen ist a 1 I m ä h I i c h der g a u / e r e c h t e 

S e h i I d d r ii s e n I a p p e n lei c h : a n g e s c h w o i I e n; er ist 

derher als der linke. Subiekliv kc"ie Ik vd.k e r den. 

28. ||. Keine Beschw erd« n. sd:i! Id* "w im\ eränder t. 

4. III. Wahrend der letzten T.ivg lat die S c h w e i I u n g des 

rechten Schild dniseulappcr.s langsam noch mehr z u g e n «« m - 


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8. September 1908, 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1881 


men; die Resistenz ist dort grösser als links; Fat. empfindet ein ge¬ 
wisses Spannungsgefühl daselbst, aber keine Schmerzen, hat auch 
keine Schlingbeschwerden. 

8 . III. Schwellung geht wieder zurück. 

12 . III. Beide Lappen zeigen jetzt wieder die gleiche weiche 
Beschaffenheit. Am Isthmus, der Lage der anfangs vorhandenen In¬ 
filtration entsprechend, besteht noch eine leicht vermehrte Resistenz; 
diese Stelle ist auf stärkeren Druck noch ganz leicht empfindlich. 

13. IV. An der Schilddrüse nichts abnormes mehr, auch nicht 
am Isthmus. Von dem früheren Infiltrat ist nichts mehr zurückge¬ 
blieben; auch die Druckempfindlichkeit ist gänzlich verschwunden. 
Pat. wird geheilt entlassen. 

In diesem Falle wurden fortlaufende regelmässige Leuko¬ 
zytenzählungen und - Differentialzählungen vorge¬ 
nommen, deren Ergebnisse im Folgenden wiedergegeben sind: 



13. II.! 

15. II. 

17. II. 

19. II. 

22. II. 

25. II. 

4. III. 

Gesamt-Leukozyten 

16,810 

10,600 

5130 

1 

| 9555 

7840 

8010 

6780 

Lvmphozyten . . . 

2000 

2190 

2000 

1 2640 

2580 

2280 | 

2040 

Gr. Mononukleäre u. 




i 


1 


Uebergangsformen 

965 1 

810 

590 

750 

600 

480 

420 

Neutrophile ... 

13,780* 

7435 

2350 

5940 

4295 

4635 

4000 

Eosinophile .... 

50 

145 

150 

200 

350 

600 i 

270 

Mastzellen. 

15* 

20 

40 

25 

15 

15 1 

50 

VII. T h y r e o i d 

i t i s 

a c u t; 

a (n a 

c h I n f 1 u e 

n z a?). 

in i t 


cinemRezidiv. 

Frl. C., 30 Jahre; am 17. I. 08 erkrankt mit Husten; am 19. I. 
dazu starker Schnupfen, Kopschmerz, allgemeine Mattigkeit; Tem¬ 
peratur 38,6. Wurde nun bettlägerig. Abends starke Schmer¬ 
zen an der linken Halsseite, der Lage der Schilddrüse ent¬ 
sprechend, 

20 . I. Kopfschmerzen; Fieber bis 38,8. Heftige linksseitige 
Halsschmerzen, besonders beim Schlingen, so dass nur Flüs¬ 
siges genossen werden kann. Der linke Schilddrüsen¬ 
lappen ist geschwollen und sehr druckempfind¬ 
lich. 

21.1. Kopfschmerzen, Fieber bis 39,0, schwere Stö¬ 
rung des Allgemeinbefindens. Starke Schwellung der 
linken Schilddrüsenhälfte; Schmerzen daselbst, die nach unten bis 
in die Brust und nach oben bis hinter das linke Ohr hinauf aus¬ 
strahlen. 

22 . I. Abendtemperatur 39,2. Die gleichen Beschwerden. In 
der Nacht starker Schweissausbruch. 

In den nächsten 3 Tagen erhebliche Besserung; vom 25. I. an 
kein Fieber mehr; die Schwellung der linken Schilddrüsenhälfte geht 
zurück, doch halten die Schmerzen, namentlich beim Schlucken, noch 
bis zum 4. II. an. 

Am 6. und 7. II. erhält Fat. 3 mal Vs Theelöffel Sir. Ferri jodati. 
Schon am 7. II. nahmen die Schmerzen wieder zu; die Abend¬ 
temperatur steigt auf 37,2. Am 8. II. 3 mal 1 Theelöffel Sir. Ferri 
jodati: Erhebliche Zunahme der Halsschmerzen (bisher 
stets linksseitig); der linke Schilddrüsenlappen schwillt wieder 
stärker an; Abendtemperatur 37,7. 

9. II. I mal 1 Theelöffel Sir. F. jod. Weitere Zunahme der 
Anschwellung, stärker als je vorher. Abends 37,9. 

10 . II. Noch 1 mal 1 Theelöffel Sir. F. jod. Schmerzen und 
Schwellung nehmen noch mehr zu; seit heute istauchderrechte 
Schilddrüsenlappen geschwollen und druckschmerzhaft; 
heftige Hals- und Schluckschmerzen; bei der Inspiration stechende 
Schmerzen vorn am Halse, die nach der Brust hinunter ausstrahlen. 
Abends 37,8. Das Jod wird nun weggelassen. 

12 . II. Viel besseres Befinden. Temperatur normal. Schlucken 
ohne Schmerzen möglich. Schilddrüse schwillt ab. 

16.11. Volles Wohlbefinden; keine Schmerzen mehr; Schild¬ 
drüse nicht mehr geschwollen, kaum noch empfindlich. 

An den vorstehenden Fällen ist zunächst bemerkenswert, 
dass sie alle weibliche Personen und zwar vorwiegend- 
junge Mädchen, betreffen; die jüngste Kranke war 17, die 
älteste 30 Jahre alt. Dies Vorherrschen des weib¬ 
lichen Geschlechtes bei der Thyreoiditis findet sich, 
wenn auch nicht in diesem Masse, auch sonst bei den in der 
Literatur niedergelegten Beobachtungen. Unter 58 Fällen aus 
der Zusammenstellung von de Quervain befinden sich 33 
Frauen = 57 Proz. Die weitaus grösste Mehrzahl der Er¬ 
krankten befindet sich im geschlechtsreifen Alter. Kinder er¬ 
kranken nur selten, noch seltener ältere Personen; jenseits des 
60. Jahres ist bisher überhaupt noch kein Fall gesehen worden. 

Unter den prädisponierenden Momenten wird 
von mancher Seite ein gewisses Gewicht gelegt auf eine schon 
vorher bestehende leichte diffuse Hyperplasie der 
Schilddrüse. Derartige Fälle rechnen wir mit de Ouer- 

No. 36 


v a i n noch zur Thyreoiditis und nicht zur Strumitis, da bei 
ihnen die Volumzunahme des Organs nur durch Vermehrung 
des normalen Schilddrüsengewebes bedingt ist. Eine 
solche leicht diffus vergrösserte Schilddrüse verhält sich 
Entzündungserregern gegenüber fast ebenso wie eine 
Schilddrüse von normaler Grösse, wobei noch zu bedenken 
ist, dass die Grösse dieses Organs schon unter physiologischen 
Bedingungen beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist. 
Unter unseren 7 Fällen zeigten 2 (Fall III und IV) schon vor 
der Erkrankung eine leichte diffuse Hyperplasie. 

Befällt die Entzündung eine echte Struma nodosa, sei es 
nun ein zystischer oder ein* Kolloidkropf, so spricht inan von 
Strumitis. Diese Fälle scheiden aber, wie schon bemerkt, aus 
unser heutigen Betrachtung aus. Ihre Sonderstellung beruht 
darauf, dass die bei der echten Struma so häufigen Nekrosen 
lind Blutungen die Ansiedlung von Entzündungserregern 
ausserordentlich begünstigen, so dass solche Entzündungen' viel 
häufiger sind als die eigentliche Thyreoiditis; auch gehen sie 
viel leichter in Eiterung über und führen zu Abszess- und 
Phlegmonenbildung. — Wir kehren nun zu unseren Fällen von 
Thyreoiditis Simplex zurück. 

Der Ausbruch der Krankheit erfolgte fast stets 
ganz akut, zweimal sogar unter Schüttelfrost. Sechsmal war 
die Affektion mit — meist hohem — Fieber verbunden; nur 
ein Fall (III), der ein an Magengeschwür leidendes Mädchen 
betraf, verlief ohne jede Temperatursteigerung. Bemerkens¬ 
wert ist weiterhin, dass in einem Fall (IV) ein Rezidiv nicht 
in der gewöhnlichen Weise akut, sondern ganz allmählich im 
Verlauf mehrerer Tage, gleichsam schleichend, einsetzte, ein 
Verhalten, das bei unserer Erkrankung sehr ungewöhnlich ist 
und auch sonst nicht beobachtet wurde. 

Die subjektiven Beschwerden waren in erster 
Linie Halsschmerzen, spontan sowohl als ganz besonders 
beim Schlucken, ganz wie bei einer Angina. Diese Schling¬ 
beschwerden sind sehr charakteristisch und verdienen allge¬ 
mein gekannt zu sein, da gerade sie sehr leicht zur Verwechs¬ 
lung mit einfacher Angina führen können. Sie erklären sich 
weniger durch das Vorbeipassieren des Bissens an der ge¬ 
schwollenen und empfindlichen Schilddrüse als vielmehr durch 
die bei jedem Schhngakt stattfindende Aufwärtsbewegung der 
Schilddrüse. Das letztere ist wohl die Hauptsache, da in un¬ 
seren Fällen die Schluckschmerezn auch beim Leerschlucken 
auftraten. 

Ausser den Halsschmerzen gehören noch zur charak- 
te ristischen Symtomentrias die ausstrahlenden 
Schmerzen nach Ohr und Hinterhaupt und dann 
die Atembeschwerden. Erstere, die besonders bekannt sind 
von der malignen Struma und durch Druck der vergrösserten 
Drüse auf die Stämme des N. auricularis magnus zustande 
kommen, haben wir nur zweimal gesehen; einmal konnten 
nach Ablauf der akuten Erscheinungen diese ausstrahlenden 
Schmerzen noch tagelang durch Druck auf den vergrösserten 
Schilddrüsenteil ausgelöst werden. 

Die Atembeschwerden, zusammen mit einem 
leichten inspiratorischen Stridor, konnten wir ebenfalls zwei¬ 
mal beobachten. Dass sie nicht öfter vorhanden waren, hängt 
wohl damit zusammen, dass die Fälle im allgemeinen über¬ 
haupt leicht und gutartig verliefen. 

Was die spezielle Lokalisation der Entzündung 
betrifft, so zeigt sich bei unseren Fällen sehr häufig ein Er¬ 
griffensein des Isthmus, nämlich 6 von 7 mal, während in der 
grossen Zusammenstellung von de Quervain sich dieser 
Sitz nur einmal unter 45 Fällen erwähnt findet. Ob dies ein 
Spiel des Zufalls ist, muss dahingestellt bleiben. Nach de 
Quervain erweckt eine isolierte Erkrankung des Isthmus 
stets den Verdacht, dass es sich nicht um echte Thyreoiditis, 
sondern um Entzündung eines kleinen Kropfknotens, also um 
Strumitis, handele. In unseren Fällen w^ar jedenfalls, was be¬ 
sonders betont sein mag, vor der Erkrankung kein Kropfknoten 
fühlbar gewesen. — Dreimal wurden nacheinander ver¬ 
schiedene Schilddrüsenteile befallen, ein ebenfalls sonst nur 
selten beobachtetes Verhalten. 

Ueber das Verhalten des Blutes bei der akuten 
nicht eitrigen Schilddrüsenentzündung ist bisher nichts be¬ 
kannt und es verdient deshalb unser Fall VI, in dem genaue 

2 


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1882 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Leukozytenzählungen fortlaufend vorgenommen 
wurden, einiges Interesse. Hier bestand auf der Höhe der Er¬ 
krankung eine neutrophile Leukozytose von fast 17 000; die 
Eosinophilen waren stark verringert, die Lymphozyten und 
grossen Mononukleären nicht beeinflusst. Nach dem Ab¬ 
klingen der akuten Erscheinungen sank die Leukozytenzahl 
zur Norm ab, wobei die Neutrophilen vorübergehend sogar 
subnormale Werte erreichten; sehr deutlich zeigte sich dann 
etwas später auch die „postinfektiöse“ Lymphozytose und 
Eosinophilie ausgesprochen. Pathologische Leukozytenformen 
sowie Erythroblasten wurden nicht gesehen. 

Betrachten wir den ganzen Krankheitsverlauf, so stellen 
sich unsere Fälle in der Regel als leichte Erkrankungen dar. 
Eine nennenswerte Störung des Allgemeinbefindens war nur 
3 mal zu bemerken, sonst bildete die Thyreoiditis mehr eine 
Belästigung der Patienten als eine ernsthafte Erkrankung. 
Dass dieselbe aber nicht immer so harmlos verläuft, zeigt die 
Literatur. Zahlreich sind die Fälle, in denen sehr heftige und 
Quälende Halsschmerzen tagelang bestanden und das Schlucken 
völlig unmöglich machten; ebenso sind eine ganze Reihe von 
Fällen durch schwere Atmungsstörungen ausgezeichnet, ja es 
sind sogar zwei Fälle bekannt, in denen schliesslich der Tod 
durch Erstickung erfolgte. 

Wir haben uns nun zu fragen, ob die Thyreoiditis in 
unseren Fällen eine primäre oder sekundäre Er¬ 
krankung darstellt. Beide Formen werden von deQuer- 
vain scharf getrennt. Die sekundäre Thyreoiditis 
ist bisher bei einer ganzen Reihe von Krankheiten beobachtet 
worden: An der Spitze stehen Influenza und P o 1 y - 
a r t h r i t i s, dann folgen Angina, septische Erkran¬ 
kungen, Typhus und Malaria; vereinzelte Beob¬ 
achtungen betreffen auch Cholera, Variola, Diph¬ 
therie, Masern, Scharlach, Orchitis, Paroti- 
t i s und Erysipel. Vielfach trat die Thyreoiditis erst nach 
Ablauf der fieberhaften Primärerkrankung auf, zum Teil sogar 
nach wochenlanger Fieberlosigkeit. Wird schon hierdurch die 
Frage, ob sekundär oder primär, erschwert, so kommt noch 
dazu, dass auch bei einigen der als klinisch primäre 
T h y r e o i d i t i d e n erscheinenden Fälle nebenher noch 
eine andere Krankheit, z. B. Lungenschwindsucht, bestand; 
bei wieder anderen waren ein oder zwei Tage vorher leichtes 
Unbehagen, Kopfschmerzen und Mattigkeit vorhanden, so dass 
der scheinbar primären Thyreoiditis sehr wohl eine leichte 
Infektionskrankheit vorausgegangen sein kann. Da das Ein¬ 
dringen der Krankheitserreger — seien es nun organisierte oder 
nicht organisierte — in die Schilddrüse ja nun auf jeden Fall 
auf dem Blutwege zustande kommt, so scheint die Trennung 
der Fälle in primäre und sekundäre nicht sehr zweckmässig; 
wir werden vielmehr bei der scheinbar primären Thyreoiditis 
annehmen, dass die an anderer Stelle eingedrungene Infektion 
entweder unbeachtet verlaufen ist oder aber im übrigen Or¬ 
ganismus überhaupt keine krankhaften Erscheinungen ver¬ 
ursacht hat. So kann sich eine Thyreoiditis, z. B. an einen 
leichten Katarrh der oberen Luftwege oder des Darmkanales 
anschliessen, vielleicht in seltenen Fällen auch den einzigen 
Ausdruck einer rheumatischen Infektion darstellen. 

Von unseren 7 Fällen ist bezüglich der Aetiologie folgendes 
zu sagen: Zweimal war eine Influenza mit leichtem Bronchial¬ 
katarrh vorausgegangen (VI und wahrscheinlich VII), einmal 
bestand vorher eine trockene Pleuritis (I), einmal eine um¬ 
schriebene Pneumonie (II); die letzten beiden Fälle beruhten 
möglicherweise auch auf Influenza. Zwei weitere Kranke 
litten an manifestem Lungenspitzenkatarrh (IV und V); das 
sind also 6 Fälle = 85,5 Proz., in denen eine, wenn auch zum 
Teil nur geringfügige Affektion des Respirationstraktus bestand. 
Nur bei einem Fall (III), einem an Magengeschwür leidenden 
Mädchen, war ein ätiologisches Moment nicht nachweisbar, 
so dass also hier anscheinend eine „primäre“ Thyreoiditis vor¬ 
liegt; jedoch kann auch hier nicht ausgeschlossen werden, 
dass eine geringfügige katarrhalische Affektion dem Auftreten 
der Thyreoiditis vorausgegangen ist. 

Die Diagnose der akuten Thyreoiditis ist 
leicht, sobald man überhaupt an die Krankheit denkt und bei 
plötzlichen Klagen über Hals- und Schluckschmerzen neben 
den Rachenorganen auch die Schilddrüse untersucht; andern- 


Nf). 36 . 

falls kann — wie wir bei unseren Fällen mehrfach sahen — 
irrtümlicherweise eine Angina angenommen werden. Diffe¬ 
rentialdiagnostisch handelt es sich höchstens darum, zu ent¬ 
scheiden, ob Thyreoiditis oder Strumitis vorliegt. Dies ist 
leicht in den Fällen, in denen man schon vor der Erkrankung 
die Schilddrüse untersucht und frei von Kropfbildung gefunden 
hat. Schwierigkeiten können dann: entstehen, wenn man 
zwischen einer Thyreoiditis an umschriebener Stelle — z. B. 
am Isthmus — und der Entzündung eines kleinen, der Palpation 
nicht zugänglichen Kropfknotens zu entscheiden hat. Jedoch 
spricht in solchen Fällen zweierlei mehr für Thyreoiditis: Ein¬ 
mal ein Weiterwandern der Entzündung über die übrigen 
Schilddrüsenteile (vergl. Fall III und VI), dann das völlige Ver¬ 
schwinden aller Erscheinungen an der erkrankten Stelle 
(Fall I, II, III, VI). 

Die Prognose der akuten Thyreoiditis ist nach dem 
Gesagten fast ausnahmslos eine günstige. Die völlige Wieder¬ 
herstellung kann sich allerdings mitunter etwas in die Länge 
ziehen; leichte Verdichtungen des Schilddrüsengewebes 
bleiben gelegentlich wochenlang zurück und verschwinden nur 
langsam. Den Ausgang in Eiterung haben wir nicht beob¬ 
achtet; es ist dies aber auch schon gesehen worden, und zwar 
namentlich bei der Thyreoiditis .nach Typhus und Sepsis, bei 
den anderen Formen gehört eine Vereiterung zu den grössten 
Seltenheiten. — Ein ernsteres Gepräge kann das Krankheits¬ 
bild dufch die bei hochgradiger Schwellung eintretende Be¬ 
hinderung der Atmung erhalten; die Erstickungsgefahr lässt 
sich jedoch durch die Tracheotomie stets beseitigen. Die 
beiden bereits erwähnten Fälle, in denen der Tod durch lang¬ 
same Erstickung erfolgte, liegen weit zurück; bei ihnen ist die 
Tracheotomie, die wahrscheinlich lebensrettend gewirkt hätte, 
nicht einmal versucht worden. 

Die Behandlung der akuten Thyreoiditis hat sich zu¬ 
nächst nach der jeweiligen Grundkrankheit zu richten. Bei 
der rheumatischen Thyreoiditis sind Salizyl und verwandte 
Mittel am Platze, bei der Malaria-Thyreoiditis das Chinin. Im 
übrigen sind wir auf symptomatische Massnahmen angewiesen, 
wie Priessnitzumschläge, bei heftigen Schmerzen auch Eis¬ 
blase oder Eisschlauch um den Hals. Wir haben ausserdem 
nach Ablauf der akuten Erscheinungen in der Mehrzahl unserer 
Fälle Einpinselungen von Jodtinktur auf die Haut über der 
erkrankten Stelle vorgenommen und hatten den Eindruck, dass 
die völlige Resorption der Infiltration dadurch begünstigt 
wurde. Die von anderer Seite warm empfohlenen Antipyretika 
haben wir nur ausnahmsweise, wie zur Linderung von Kopf¬ 
schmerzen, verwendet. Dringend zu warnen ist dagegen vor 
der inneren Darreichung von Jodpräparaten, und in* dieser 
Hinsicht ist unser Fall VII bemerkenswert. Hier trat, nach¬ 
dem die hauptsächlichen Erscheinungen bereits im Rückgang 
begriffen waren, nach der Darreichung von Jodeisensirup ein 
regelrechtes Rezidiv auf. Es ist dies besonders interessant 
wegen der Analogie zur B a s e d o w sehen Krankheit, von der 
.nachher noch die Rede sein wird. 

Dass bei sehr hochgradiger Schwellung mit schwerer Be¬ 
hinderung der Atmung auch die Tracheotomie einmal nötig 
werden kann, wurde bereits erwähnt. Ein chirurgischer Ein¬ 
griff ist weiterhin auch am Platze, wenn die Entzündung in 
Eiterung übergeht. Mit Recht empfiehlt de Quervain, 
lieber einmal bei nicht eitriger Thyreoiditis zu inzidieren, als 
bei Eiterung die lebensrettende Operation hinauszuschieben. 
Probepunktionen zum Nachweis eines eventuellen Eiterherdes 
sind in ihrem Erfolge sehr unsicher und wegen ihrer Gefähr¬ 
lichkeit ganz zu verwerfen. 

Zum Schluss noch einige Worte über die Beziehungen 
der akuten Thyreoiditis zur Basedowschen 
Krankheit. Schon längere Zeit ist bekannt, dass sich ein 
Basedow im Anschluss an eine akute Infektionskrankheit ent¬ 
wickeln kann. Früher hatte man dafür keine rechte Erklärung. 
Nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse hat es nun 
durchaus den Anschein, dass in derartigen Fällen das Binde¬ 
glied zwischen der Infektionskrankheit und dem Basedow 
durch eine akute Thyreoiditis gebildet werden kann. Bisher 
sind vier einwandsfreie Fälle mitgeteilt, in denen sich nach 
einer akuten infektiösen Schilddrüsenentzündung das volle 
Bild der Basedowschen Krankheit entwickelte. Eine 


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8. September 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1883 


höchst bemerkenswerte Ergänzung zu dieser Tatsache bilden 
pathologisch-anatomische Untersuchungen von de Quer¬ 
vain bei experimentell an Tieren erzeugter Thyreoiditis; es 
zeigten sich dabei Wucherung und Desquamation des Epithels 
und Schwund des Kolloids, Veränderungen, wie sie in ganz 
der gleichen form auch bei der Basedowschen Struma 
beschrieben sind. — Eine weitere Parallele zwischen der 
Schilddrüse bei akuter Thyreoiditis und der bei Basedow 
bildet ihr Verhalten gegenüber Jod, für das oben ein Beispiel 
gegeben wurde. Dort sahen wir nach Jodgebrauch ein- Re¬ 
zidiv der Thyreoiditis auftreten; vom Basedow wissen wir, 
dass Jod oft geradezu als Gift wirken und den Zustand be¬ 
deutend verschlimmern kann. Wenn wir nun mit M o e b i u s 
die Ursache des Basedowschen Symptomenkomplexes in 
einer Hyperfunktion der Schilddrüse erblicken, so erscheint 
es wohl verständlich, dass eine Entzündung der bis dahin ge¬ 
sunden Schilddrüse die Ursache für deren spätere abnorme 
Funktion bildet. In welcher Weise dies vor sich geht, lässt 
sich nicht ohne weiteres sagen. Da, wie oben bemerkt wurde, 
die letzten Reste der Entzündung sich mitunter nur langsam 
zurückbilden, so liegt vielleicht die Annahme am nächsten, 
dass die Veränderungen, welche die Entzündung in der Schild¬ 
drüse in Form von Infiltrationen und Epithel Wucherungen ge¬ 
schaffen hat, auf das Drüsengewebe einen Reiz ausüben und 
so eine abnorm reichliche Sekretion hervorrufen. 

Wie dem auch sein mag, jedenfalls verdient der Zu¬ 
sammenhang der akuten Thyreoiditis mit dem Basedow alle 
Beachtung, und man darf mit de Quervain erwarten, dass 
mancher Fall von scheinbar spontanem Basedow sich bei ge¬ 
nauer Berücksichtigung der eben dargelegten Verhältnisse als 
etwas weniger spontan heraussteilen wird. 

Literatur: 

(Die Literatur bis 1903 findet sich vollständig in de Quervains 
Monographie von 1904, auf die hiemit verwiesen sei. Nachstehend 
die Arbeiten der letzten Jahre.) 

1. D e Q u e r v a i n: Die akute nichteitrige Thyreoiditis und die 
Beteiligung der Schilddrüse an akuten Intoxikationen und Infektionen 
überhaupt; Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und 
Chirurgie 1904, 2. Suppl.-Band, S. 1—165. — 2. Derselbe: Thy¬ 
reoiditis Simplex und toxische Reaktion der Schilddrüse, ebenda, 1905, 
S. 297. .— 3. Sarbach: Das Verhalten der Schilddrüse bei In¬ 
fektionen und Intoxikationen; ebenda 1905, S. 213. — 4. Bayou: 
Ueber die Thyreoiditis Simplex und ihre Folgen; Zentralbl. f. allg. 
Path. und path. Anatomie, 1904, XV, 18. — 5. Ruthe rf o r d: Goitre 
secondary to septic endometritis; Glasgow med. Journal 1904, LXI, 
3, pag. 204. March. — 6. Stadler: Ein Fall von akuter nicht- 
eitriger Thyreoiditis, Münch, med. Wochenschr. 1906, S. 170. 


Zur Basedowschen Krankheit. 

Von San.-Rat Dr. M. O h 1 e m a n n, Augenarzt in Wiesbaden. 

Es gibt wenig Krankheiten, die eine so enorme Literatur 
aufweisen wie gerade die Basedow sehe Krankheit, eine 
neue Publikation dürfte daher nur dann gerechtfertigt sein, 
wenn sie etwas Besonderes brächte. Da ich nun selbst an 
dieser Krankheit leide, glaube ich, wenn auch gerade wenig 
Neues, so doch Einiges von besonderem Interesse bringen zu 
können, das diese Mitteilung rechtfertigt. Dies trifft zunächst 
die Diagnose, dann aber auch Symptome und Verlauf. 

Die Erkrankung begann — im 57. Lebensjahre — mit plötzlichem 
starken Herzklopfen in der Nacht bei sonstigem völligen Wohlbefin¬ 
den. Es dauerte nur ganz kurze Zeit und kam später nie wieder, 
mutmasslich aber wohl nur wegen dauernder Abstinenz aller Art 
von Genussmitteln. Am folgenden Morgen fand sich eine Puls¬ 
frequenz von 84—96, wechselnd, die in den nächsten Tagen und 
Wochen noch mehr zunahm trotz aller diätetischer Vorsicht. Im Ver¬ 
laufe der nun folgenden Monate hatte eine Reihe von Kollegen 
Gelegenheit dies zu beobachten. Ein Nervenarzt empfahl BornyvaL 
das erfolglos blieb, ein Gynäkologe meinte, es hätte nichts zu sagen, 
da der Puls regelmässig sei. Aehnlich lautete das Urteil anderer. 
Es fehlte ja auch jedes weitere Symptom. Da suchte ich eine grössere 
Klinik auf. Dort wurde ich sogleich im Röntgenzimmer untersucht 
Es fand sich, dass das linke Herz etwas grösseren Schatten zeigte als 
normal. Dieser Befund führte zu einfacher diätetischer Herztherapie, 
obwohl auf Genussmittel schon längst verzichtet war. Aber die 
wenn auch kurze Reise hatte dennoch eine ganz erhebliche Ver¬ 
schlimmerung der Tachykardie zur Folge, die noch Wochen lang 
anhiett Damit traten auch andere Symptome ein: Zittern, Transpi¬ 
ration und Abmagerung. Doch wurden sie als Folge der veränder¬ 


ten Lebensweise angesehen, da einfache Herzdiät immerhin etwas 
Ungewöhnliches im vorgerückten Lebensalter ist 

Etwa 4 Monate später, % Jahr nach Auftreten der Tachykardie, 
wurde eine zweite Untersuchung in der Klinik vorgenommen, eben¬ 
falls gleich wieder im Röntgenkabinett Diesmal zeigte die Herz¬ 
gegend normale Schatten* wohl aber fand sich ein solcher hinter 
und unter dem linken Schlüsselbein, und die Diagnose wurde auf 
Basedow gestellt Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. 
Die Veränderungen, die ich am Halse und dem rechten Auge im 
Spiegelbild sah, hielt ich für Folgen der grossen Abmagerung, sie 
waren auch gering, war doch die Aufmerksamkeit allein auf die 
Herztätigkeit gerichtet. Zur Therapie hörte ich, dass man mir nicht 
helfen könne, aber wo Struma, da sei auch Jod indiziert. Ich griff 
zum nächsten, was ich hatte, Jodkaüum, und bat bei E. Merck in 
Uarmstadt um Antithyreoidin Moebius. Doch davon später. Um 
diese Zeit waren, wohl auch mit infolge der zweiten Reise wieder 
Tachykardie und Zittern verschlimmert starke Transpiration hinzu¬ 
getreten, die Kräfte erheblich reduziert 

Die Struma trat nach aussen wenig hervor, links mehr als rechts, 
aber die Palpation ergab, dass sie hinter dem Sternokleidomastoideus 
weit in die Tiefe ging. Pulsation oder Schwirren war nicht vor¬ 
handen. 

Beim Studium der Handbücher und Monographien über die 
Basedowsche Krankheit war das erste, was ich las, bei Fuchs 
und Eulenburg fast wörtlich: die Erkrankung beginnt mit Herz¬ 
klopfen und Hypertrophie des linken Herzens; Moebius sagt sogar, 
eine länger bestehende Tachykardie müsse immer den Verdacht er¬ 
wecken, dass es sich um Basedow handele. Das Symptoqitrio: Ex¬ 
ophthalmus, Struma, Tachykardie kann iu dieser Zusammenstellung 
für den Praktiker gefährlich werden und zu langen diagnostischen Irr- 
tümern führen, ausserdem gibt es einen falschen Begriff vom Beginn 
der Erkrankung. Mag es auch Ausnahmen geben, meist ist wohl 
die Reihenfolge der wesentlichsten Symptome: Herzklopfen, Tachy¬ 
kardie und umgekehrt, denn- der frequente Puls wird selten gleich 
entdeckt, Transpiration, Zittern, Abmagerung, Schwäche, Dyspnoe, 
besonders beim Treppensteigen, Struma, Exophthalmus. Früher noch 
als dieser bestehen schon Lidödeme, und Tränen. Aber die Augen¬ 
symptome können auch längere Zeit ganz gering sein, zumal eine 
Reihe von Monaten vergehen können* ehe alle diese Symptome sich 
entwickeln. Vielleicht liegt der Beginn der Erkrankung noch früher. 
Lange schon vor der Entdeckung der Tachykardie besteht Abneigung 
gegen Genussmittel, wie Kaffee, Thee, man findet gewohnte Getränke 
der Art stärker wie früher, offenbar weil sie das Herz alterieren. 
Dann tritt beim Gehen, besonders beim Treppensteigen, eine früher 
ungekannte Müdigkeit ein. Das sind schon Anzeichen gestörter Herz¬ 
tätigkeit, die aber nicht weiter beachtet werden, ebensowenig wie 
wiederholtes Nasenbluten. Unter den Symptomen ist das Verhalten 
des Pulses bemerkenswert. Er ist ausserordentlich wechselnd, Jarm 
aber kommen auch regelmässige tägliche Schwankungen vor. Am 
geringsten ist die Frequenz in der Ruhe natürlich, vor den Haupt¬ 
mahlzeiten, am grössten bald nach denselben. Heisse Getränke, 
besonders Milch, beschleunigen den Puls, kalte retardieren ihn, so 
schon etwas kaltes Wasser. 

Das G raefesche und St eil wag sehe Symptom war vor¬ 
handen, das Moebius sehe nicht beobachtet. Der Exophthalmus, 
der zunächst nur das rechte Auge traf, entwickelte sich ausser¬ 
ordentlich langsam, so dass er erst im 9. Monat der Erkrankung 
diagnostiziert wurde. Aber schon 2 Monate später stellten sich 
Doppelbilder im oberen Gesichtsfeld ein, beginnende Paralyse des 
Rectus sup. dexter, und Parese des Rectus sup. sinister. 

Langsam und unaufhaltsam schritt die Augenmuskellähmung 
weiter, bis die Doppelbilder auch im unteren Drittel des Gesichtsfeldes 
waren. Es ist eine ganz eigentümliche Erscheinung, dass im Verlaufe 
der Erkrankung in den späteren Monaten die Lähmung der Augen^ 
muskeln immer weiter schritt, während alle übrigen Symptome zu¬ 
rückgingen. So waren allmählig nach iVz Jahren von Entdeckung 
der Tachykardie an gerechnet sämtliche Rekti des rechten Auges 
fast ganz gelähmt, vom linken Auge die Lähmung auf den Rectus 
sup. beschränkt gebüeben. Die Obliqui schienen nach dem Stande der 
Doppelbilder intakt Während anfangs mit Prisma 4° Basis nach 
oben die Diplopie überwunden wurde, musste allmählig, um dies zu 
erreichen, bis zu 18° gegriffen werden. Als dann später die 
Parese des Rectus internus die des Abduzens überwog musste 
noch ein Prisma von 4° mit der Basis nach aussen am anderen 
Auge zu Hilfe genommen werden. Die erste Besserung der 
Lähmung zeigte sich im 18. Monat der Erkrankung. Das zweite 
Prisma konnte zur Fusion wieder fortgelassen werden. Eine 
subjektive Erscheinung wäre noch zu erwähnen, das ist das Auf¬ 
treten von Phosphaenen, Sie zeigten sich besonders deutlich im 
Dunkeln beim Liegen mit dem Lidschlage. Wiederholt man ihn 
öfters hintereinander, so treten die Phosphänen strahlenförmig sehr 
intensiv hervor. Es sind wohl Druckerscheinungen von der Orbita 
her, denn durch Druck auf den Buibus von vorn entstehen ja Phos¬ 
phänen. Dagegen zeigte sich kein Symptom irgendwelcher Art, das 
etwa auf interne Tensionszunahme deuten könnte, kein Symptom von 
Glaukom. Die beginnende Lähmung des Rectus sup. dext hatte icfo 

3* 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. M\ 


1884 


selbst nicht erkannt, ich hielt die Doppelbilder im oberen Gesichts- 
feld als mechanische Folge des noch einseitigen Exophthalmus als 
Verschiebung des Bulbus, bis ich in der Augenklinik in Leipzig, die 
ich aut einer Durchreise aufsuchte, und wo sich Herr Brot. Sattler 
meiner freundlichst annahm, eines Besseren belehrt wurde. Herr 
Brof. Bielsehowsky hatte die Güte die Prüfung vurzunelnnen. 
Herr Prof. Birch-Hirschfeld war so freundlich, den Exoph¬ 
thalmus mit seinem Exophthalmometer zu bestimmen. Sehtälngheit 
und Pupillen blieben normal. Augcnniuskdlälmiuugen sind übrigens 
so selten beim Basedow, dass M o e b i u s in seiner Literaturangabe 
von über 1000 Nummern nur etwa 5 erwähnt. W i 1 b r a n d und 
S ii n g e r erwähnen sie im Register gar nicht. Zw eier anästhe¬ 
sierender Erscheinungen ist noch zu gedenken. Die eine betrifft die 
Haut des rechten oberen Augenlides, die sich beim Faradisieren im 
Vergleich zur linken Seite als weniger sensibel zeigte, die andere 
die Epiglottis. Wiederholtes sehr lästiges Verschlucken beim Essen 
kann nicht anders gedeutet werden als eine verringerte Sensibilität 
der Epiglottis, als paretische Erscheinung seitens des Nervus laryu- 
geus sup., der ja einige Zweige in die (ilandula thyreoidca schickt. 
Der Verlauf war kein regelmässiger, gelegentliche Verschlimme¬ 
rungen brachte das tägliche Leben mit sich. Besserung zeigte sich, 
wenn die Pulsfrequenz auch bei körperlichen Bewegungen zurück¬ 
ging und eher als Zunahme des Körpergichtes zu ermitteln war. 

Die Pathogenese sei nur kurz berührt: Es schien anfangs, als 
ob die Ursache allein forciertes Bergsteigen gewesen sei. allein es 
waren unzweifelhaft schon vorher einzelne Anzeichen vorhanden, wie 
leichtere Ermüdung gegen früher, wie oben schon erwähnt, so dass 
die Annahme besteht, dass vor längerer Zeit dagewesene psychische 
Alterationen den ersten Anstoss gegeben haben. 

Dazu mag Anlage zu leichter Struma kommen, die sich jedoch 
nur in etwas starkem Hals zeigte. Es lässt sich nun leicht erklären, 
wie der grosse Reichtum der (ilandula thyreoidca an sympathischen 
Nervenfasern zur Erkrankung der Drüse durch psychische oder so¬ 
matische Reize beitragen kann. Was ein psychischer Reiz aus- 
lösen kann, dafür hat man im Erröten das einfachste Beispiel. Man 
erinnere, dass Sympathikusfasern fast netzförmig die 4 grossen Ar¬ 
terien der Thyreoidea aus dem Ganglion ccrvicale supiemuni 
median von der Carotis communis begleiten, und dass sie \iele 
Ganglien enthalten. Dann ist auf eine Tatsache aufmerksam zu 
machen, der in der Literatur der Basedowschen Krankheit kaum 
noch gedacht wird, es ist das Verhältnis des Sympathikus zu den 
Drüsennerven. Schon Heule führte in seiner Neurologie an, dass 
es bekannt sei von der Submaxillardriise, dass sie auch auf Reizung 
des Sympathikus ein Sekret liefere, aber es sei verschieden von 
dem, das eine Reizung des Eazialis hervorrufe. Aehnliches konnte 
auch bei der (ilandula thyreoidca vorliegen. 

Auf die Theorie von Möbius braucht, weil bekannt, nicht weiter 
eingegangen zu werden, allein kann der Hyperthyreoidismus nicht in 
durch Sympathikusreizung verändertem Thyreoidealsekret, wenn 
man so sagen darf, seine Erklärung finden? Soweit mir bekannt, 
betreffen jedoch die Untersuchungen über Thyreoidosen von Nur- 
but-St. Petersburg, Hoff mann in München IMimch. med. VV o- 
chenschr. vom 11. Februar 1908j und neuerdings von Ealta m 
Wien, mitgeteilt auf dem letzten Kongress für innere Medizin in 
Wien, nur gesunde Kropfdrüsen in ihrem Verhältnis zur 
Nebenniere, Hypophysis und Bauchspeicheldrüse. Dasselbe ist 
der Fall bei den Untersuchungen Hürthles (Deutsche med. Wo¬ 
chenschrift 1894, No. 12) und Wieners (Zentralblatt für Physio¬ 
logie 1899, Hef. 6) in Bezug auf die Beziehungen der (ilandula tliy- 
reoidea zur Gallensekretion. Ferner darf ich auch erinnern an das. 
was Schmidt-Rimpler in seinem vorzüglichen Werke über die 
Krankheiten des Auges in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen 
1898 bei der Besprechung der Bulbärtheorie sagt, dass immerhin ganz 
sichere und nicht allzu seltene Fälle übrig bleiben, wo die Struma 
ganz fehlt oder ganz klein ist, und man keine Erklärung fnr die 
Basedow’sehe Krankheit findet, während andererseits ganz gleich¬ 
artige Kröpfe keinen Basedow’ hervorrufen. Allerdings konnte in den 
ersteren Fällen das Wachstum der Drüsenschläuche in der 1 iete hinter 
dem Sternokleidomastoideus erfolgen, aber doch wäre diese Er¬ 
klärung nicht genügend. Vielleicht aber durfte es auch sein, dass 
eine Struma in der Tiefe, namentlich wenn Röntgenuntersuchung ihren 
Schatten hinter dem Schlüsselbein erkennen lässt, örtliche Druck¬ 
erscheinungen macht. So können durch partiellen Druck auf die Vena 
jugularis int. Gesichtsödeme, Exophthalmus und Nasenbluten hervor¬ 
gerufen werden. Bekannt ist ja, dass Aphonie durch Druck auf den 
N. laryngeus sup., Verengerung selbst der Trachea durch Struma¬ 
druck verursacht werden könne. Birch-Hirschfeld fand bei 
der Sektion einer Dame, die während des Lebens an einer eigen¬ 
tümlichen Herzneurose litt mit Tachykardie, Unregelmässigkeit des 
Pulses und Symptomen von Beängstigung, eine knollige fibröse 
Hypertrophie eines in die Brusthöhle gewucherten Schilddrüsen¬ 
lappens der einen Ramus cardiacus einklemmte. W ächst eine Struma 
nach vorn und aussen so fehlen Druckerscheinungen, nach der 'l iefe 
aber ist es anders. Dort liegen die Ganglien des Sympathikus mit 
ihrem Plexus, nach unten ziehen die drei Rami Cardiaci, median- 
wärts der äussere Ast des N. laryngeus sup. und endlich der Nerven- 


plexus zwischen den llerzästen des S\ mputhikus und dm Y rccur- 
rens vagi. Allerdings den Stamm des S\ lupathikus kann eine Struma 
nicht komprimieren wohl aber diiicli Druck und Verschiebung der 
Lage die genannten Nervemasern reizen. 8 «» wer Jen wohl che¬ 
mische und mechanische Momente zusammen das P» J der Base¬ 
dowschen Krankheit her\ornifcii. Atigcumuskc a rmmgetr s.nJ 
wohl ohne Präge Folgen von Antomiox.kal.on und denkt man imw 
kurlich an dieselben Lähmungen bei 1 111 ektboiJs k rankIie1 1 en ader Art 
sowie Ptomaiimitovkatiuueii Des er inner t daran, dass nuueüc 
glauben, die Basedow sehe Krankhe.t se: e :.c F.;e ktmnskr ankhc.t, 
durch noch unbekannte Proto/mn her\o?-ge: ulen. V u .echt hang: 
damit auch der Gebrauch \ou Natrium v.r .o .mm n neuester Zct 
zusammen (Revue Ncundogtque ». Die slrkoe Pu 's; ;e q lenz g'c.cb 
nach der Nahrungsaumahme kann man \ n. a. mi daui.i! zu. uekt. men. 
dass schon mit dieser durch Re;/ des V omm'.is sup.. de: zur 
Piuse geht, eine stärkere Sek’ctbddung :n dir linre-.dea ersetzt, 
das wurde auch den Beziehungen der I h\ ff dea / ar < :a. cusek; ct,< 
nicht Widersprechen. 

1 > i e T h e r a p i e hat sid» sehr cml.uli gmtaitm. 1 he idi das 
Alltitln reoidm Moelmis erlneil. nahm iJi m kie.ua.ti D- se n L.Ik.i .mi. 
.(Kal. jodat. Aqu. dest. X n•, 2 mal t.u dl l" 2" ITopt^l m 

der Annahme, dass solche kleinen Dosen w><ni die He r it a..l 

kurze Zeit noch mellt altenereii w m Jen. /um ■"■•ss’vn L'st.uimn 
jedoch sank die Pulsfrequenz am X Ja ge am 7". b.s /um 7. läge au; 
(tS morgens, tags u he r nicht über 7s hinausm he ud. Ir.jr.snsr.iij.il 
lind Zittern w aieil \ erschw linden. I rter du» l mM.rd-n w urde d is 
Mittel weiter gebraucht, und hielt die VVnkung ö W . dun staiu;. 
Schon glaubte ich au Heilung, als nadi eurem hn ami spaz e r gar.ge 
sich wievler eine leichte PuSstc.ge: ung zv de. d e .m \ er .aute der 
nächsten Wochen weiter zun ilmi, d"di muh i:.d:t 1 u: vier Meute 
ei reichte, aber auch nicht durch vi.e Jodka :um < vi: g bee.rmjss: 
wurde. Nun nahm ich 2 mal taghell \r In-pun \ ■ rn rc.- d n 

Moelmis. Allein schon an: selben läge st.cg de P i.spvqiicn/ Uber 
UM, stellten sich I ranspnfatioii und Zittern wieder em. \m !<■ gerdm 
läge war der Puls sogar 11" 12" und ii.elt s.di s läge 1 arg auf 

dieser Hohe, bis ich das M.ttel aussetzte und zum J d- af unn d.eses 
Mal griff. Als icJoch bis zum 8. Tage kenne Aeudc uug kau., r.aivn* 
ich die von Till m a n n s :n seiner Chirurg e bc; >t'uma emn- 
fohleue Jodtinktur, zunächst 2m.il taghell einen 1 " ptut m W aae'. 
ging aber bald auf 2 I topfen uber. Nun kam am 2. 1 age d e W r- 
Ku ii g, die Pu stieipienz sank unter 1 ".', ^.ng in mer u.enr /trmk und 
erreichte die Norm mit 72 7 S m 1" lagen. Ich tat d. d is> s.ch d e 
beiden Tropfen Jodtinktur, mit einem Auge: tro; tglas abgemessen 
und mit einem Weinglas \oil Wasser \erdn:mt. s.di gar n.ci.t un¬ 
angenehm wahrend des Fruhvtftvks um! M;ttagessens, .mJi \or • de' 
nachher, nelimen hessem. Selbst LugoJsdie Losung i bj, ruf« Kal. 
jodat. aa ti,75, (i!\ cerin. 2. = .". 2 mal tag .ch 2 logneni wurden \c r - 
suclit, doch schien kenn l T.tcrsdi.cJ mit c.nf.idtcr Ldtektur zu be¬ 
stellen. und so biieb ich bei d e^er. Spater las .di m der Mop# grapb v 
von M n c Io u s, dass man sclmn bei geringen Mengen von J.J- 
kalium grossen Nachteil gesellen habe, besonders aber v.-n der An¬ 
wendung der Jodtinktur im Munde. N.u h scieyü F.r fahnmgcii ; 
Jod (iift! Infolgedessen versuciite ich zum zwe.ten Mae das \-.t - 
thyreoidtn, doch mit derselben W.rknrg w e r.ilicr. Sch-m am 
eisten Jage stieg die Pulstrequeiiz wieder auf F-', am /we.teii .tu: 
12ö, da horte ich definitiv dam.t auf und bdc*' bei der Jod:. r:\tu:. 
die den Puls bald wieder unter 8" brachte. Sdbstredcml vimlo rr. 
Laufe der Zeit wiedeilnhi das M.ttel bn ;g<. ass«.ii und de Herz¬ 
tätigkeit kontiolhert. Ai lein es zeigte s:di uJcsma’. dass auts neue 
Puissteigeningen Ins ö i uml 1"" die l'o’ge waren. Da' e. s nd ausser¬ 
dem Traiivpiration uml Zittern tu vier Ruhe f"rtge b.n bv n. m .1 das 
Körpergewicht nahm zu. \ oii einem .schad.*.emlv n .log smas keimte 
also keine Rede sem. l'ml so nehme ieh it.*ch letzt. s L t I ' \\.-nateu. 
die 4 Tropfern Jodtinktur täglich, von der etwa2" g pr o \ ;e-te aiir ver¬ 
braucht wird. Auch auf d.e Stiuma w.ik'.e bis 1 -J. :.»;:gs wurde 

sie etwas grosser, doch vlauerte vbes nur etwa s j .j^v. J nm nahm sie 
ab. ohne iedoch volhg zu \ erschw inden. e n nicht im ne deutender Rest 
bleibt hinter dem Schl üsselbein, wenn auch \e’ke ,, ert. Auf den 
bxophthnlmtis war die Wirkung germg. \:k h nienem Iah 
entspricht nicht vlie Seite des grosseien I \ mus vier Seite de* 

nach aussen tretenden grosseren Striimasc’ w i 'u”g. Dass abe' de 
S\ rnptome mir her abgednic kt. nicht beseit g; wvuli'i. hess s.ch d.ran 
erkennen, dass bei geringen ko: per' eben \' e' . uu gen de S\ m- 
ptorne wievler Zunahmen. In.uuriin be.'eurvt is e ■ e g'osse } 
leichterung, viele Monate m der Ruhe e.:. c n }h. s n nur 74- 7 S 
zu haben. 

Wiederholt wurden and) rmh andere M t:e* ,v gewandt, sämt¬ 
lich erfolglos. So wurde der Versuch gemuht, r.mdt vieuisdic 
Hg-Lmreibungeii bis zur Saiivatu-n d ic ( iphthalm- ;• v. g:e zu beein¬ 
flussen. Sie blieb unverändert. Fruhze.t g wnMe f - d c M'm--a mul 
nachher für die Augeulahmiingen der k •nstante — gt ‘»'aucht. 
für die Augenmuskellahmungiil au di d-.r t.i;a..l sd.v. is war a des 
umsonst. Dasselbe gilt voti der (mthemr e. r ne J m mus. Para¬ 
nephrin. seihst Sperm.n und. w ,e Swium angeführt. Au: :: > :e J.n. 

Hypophysenextrakt wäre ve"e cht eher ind.zle't. da man bei 
Erkrankung der Hypophyse mit E:; 'g Th\-re'-..d.r. g ht. 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1885 


Bei einem allerdings nur kurzen Gebrauch von Sajodin und 
Jodglidine trat keine Wirkung auf die Pulsfrequenz ein. Dass Jod 
vielleicht doch pulsretardierende Eigenschaft hat, könnte aus einem 
Vortrage geschlossen werden, den v. Fürth in Wien auf dem 
letzten Kongress für innere Medizin hielt. Er hatte experimentell 
beobachtet, dass Injektionen des Schilddrüsensekretes, des Jodo- 
thyrins, starken Abfall der Pulsfrequenz hervorriefen. Ferner konnte 
er durch eine Verbindung eines Bluteiweissstoffes mit Jod einen 
Körper hersteilen, der gleiche Wirkung wie das Jodothyrin aufwies. 

Was die Wirkung des Höhenklimas anlangt, so kann ich nur 
bestätigen, dass man über mittlere Höhen nicht hinausgehen soll. 
Schon bei 1400 m Höhe bleibt die Pulsfrequenz etwas höher als in 
der Ebene abgesehen davon, dass dies die Reise an sich schon 
mit sich bringt. Höhen von 1600—1800 m, wie Zermatt und Engadin, 
dagegen soll man nicht aufsuchen und geben auch die Schweizer 
Aerzte die Grenze auf 1400 m an. Und es mag wohl so sein, dass 
die Hauptwirkung des Höhenklimas in der etwas niedrigeren Tem¬ 
peratur liegt, da Basedowkranke in der Juli- und Augusthitze stärker 
leiden und höhere Pulsfrequenzen haben. Dazu kommt, dass Höhen¬ 
lagen in der Schweiz bei Nacht besonders erheblich geringere Tem¬ 
peraturen haben als die Ebene oder geringere Höhen in Deutschland. 
Allein man darf nicht vergessen, dass es dort bei Tage auch recht 
heiss werden kann und die Hitze dann doppelt fühlbar, weil es 
so wenig schattige Wege gibt; man muss ferner stark steigen, wie 
in Wengen, um in den Wald zu kommen. Wie wenig aber Höhenlage 
auf die Krankheit selbst Einfluss hat, geht allein schon daraus hervor, 
dass, wie ich in der Züricher Augenklinik hörte, die meisten Base¬ 
dowkranken dort aus der Andermatter Gegend kommen. Vom ersten 
Assistenten dieser Klinik erfuhr ich jedoch etwas Wichtigeres, dass 
nämlich Eiweissnahrung auf die Basedowerkrankung von Einfluss sei. 
Nun hatte ich eine Erklärung für die schon im Beginn der Erkrankung 
beobachtete starke Pulssteigerung nach den Mahlzeiten und be¬ 
sonders seitdem ich mich vorwiegend an Milchnahrung hielt. Es 
konnte kein anderer Grund vorliegen, dass die schwachen Jodkalium¬ 
lösungen plötzlich versagten, da kein anderer Wechsel der Lebens¬ 
weise in Frage kam noch sonst eine Aenderung im Leben. Be¬ 
stätigt wurde diese Auffassung, dass sehr bald nach Fortlassen der 
Milchnahrung fast wieder die alten Pulsverhältnisse eintraten, wie sie 
zur Zeit der Jodkalibehandlung bestanden, obwohl nicht dieses, sondern 
2 mal täglich 1—2 Tropfen Jodtinktur in Wasser genommen wurden. 
Auch auf die Augenlähmung wurde bald eine Wirkung bemerkbar, 
während vorher mit Prisma 18° Basis nach oben nur kurze Zeit mit 
Verschmelzung der Doppelbilder gelesen werden konnte, blieb die 
Fusion schon nach zwei Wochen bei der Naharbeit mit Prisma von 
14° dauernd, und es scheint, dass diese Besserung noch weiter geht 
Ferner wurde der vorhandene Strumarest noch kleiner und weicher 
und trat fast ganz zurück. Ein Fachkollege, den ich auf der Strasse 
traf, und der 5 Wochen früher mich zuletzt sah, sagte erstaunt: „Sie 
haben ja gar keine' Augenlähmungen mehr, Ihre Struma ist ja auch 
fort!“ 

Ich komme zu folgenden Schlüssen: 

1. Das Wesen bei der Basedowerkrankung ist in erster Linie 
funktionelle Störung der Thyreoidea mit Toxinwirkung also Auto¬ 
intoxikation durch vermehrte resorbierte Drüsensekrete. Ob Reizung 
durch den Sympathikus ein pathologisches Drüsensekret liefert, wie 
etwa bei der Submaxillardrüse, ist freilich nicht untersucht, aber wohl 
möglich. Das Toxin dürfte ein Eiweisstoxin sein. 

2. Ein wesentlicher Teil der Symptome dürfte durch Zirkulations¬ 
störungen bedingt sein. Durch Druck auf die Vena jugularis interna 
seitens der nach innen wachsenden Struma entstehen frühzeitig Lid¬ 
ödeme, Tränen, Venenerweiterungen selbst pterygiumartige, endlich 
wohl Exophthalmus. Ein Blick auf die Topographie des Halses 
(cf. z. B. Atlas von Bardeleben und F r o h s e) macht dies wahr¬ 
scheinlich, auch wohl Nasenbluten. 

3. Bei der Tachykardie scheint ebenso ein Druck der Struma 
auf das Sympathikusgeflecht zwischen Ganglion med. und inf., nament¬ 
lich auf die Rami communicantes und cordis vorzuliegen, auf den 
Stamm des Sympathikus natürlich nicht. 

4. Durch akute und chronische Reizungen des Sympathikus vom 
Zentrum kann, wie Erröten des Gesichtes, Gefässerweiterung der 
Glandula thyreoidea eintreten und dadurch abnorme Sekretion her¬ 
vorgerufen werden. 

5. Bei der Behandlung ist erste Indikation: Verkleinerung 
der Struma. Dies kann bei akuten Fällen schon durch Kälte 
(Leiter sehe Röhren) gelingen, sonst bei primärem Basedow 
mittels Antithyreoidin, bei sekundärem durch -Jodpräparate, wobei 
1—2 Tropfen Tinctura jodi, 1—2 mal täglich mit 1 Glas Wasser 
zu den Mahlzeiten als am leichtesten zu nehmen, auch am billigsten, 
sich sehr vorteilhaft zeigen kann, auch sehr rasch zur Gewissheit 
macht, ob Jod hilft oder nicht, in allen Fällen am raschesten natür¬ 
lich durch Strumektomie. 

6. Seitens der Nahrung hat Eiweissnahrung, besonders Milch, 
in der Tat einen erheblichen Einfluss auf Pulssteigerung ja Steige¬ 
rung aller Symptome. Dies kann sich nur dadurch erklären, dass bei 
ihr eher eine Toxinbildung eintritt als bei Kohlehydraten und Fetten, 
dadurch treten dann Erscheinungen ein von Autointoxikation. 


So habe ich meinen Basedow obwohl auf dem richtigen Wege 
doch selbst verschlimmert, weil die Handbücher keine Mitteilungen 
über die Chemie der Nahrungsmittel bei dieser Krankheit bringen, im 
Gegenteil wird gerade von M o e b i u s Milch, und was aus ihr 
bereitet wird, besonders empfohlen (cf. pag. 81 der letzten Auflage). 
Wenn nun auch die Erkrankung noch nicht abgelaufen ist, so habe 
ich doch geglaubt im Interesse der vielen Basedowkranken meine 
Erfahrungen jetzt schon mitteilen zu dürfen. 


Aus dem Allgemeinen Krankenhause St. Georg-Hamburg. 

Isolierte, quere Mesenterialabreissung bei Kontusion 
des Abdomens. 

Von Dr. R e i n e c k e, ohirurg. Sekuradärarzt. 

Bei dem grossen Material von schweren Verletzungen des 
Abdomens durch stumpfe Gewalt, wie sie das Krankenhaus St. 
Georg infolge seiner zentralen Lage in der Stadt aufzuweisen 
hat, sind isolierte Mesenterialabreissungen, senkrecht zur 
Achse des Mesenteriums, d. h. Abreissungen des Darmes von 
seinem Mesenterialansatz, sehr seltene Vorkommnisse, während 
Verletzungen des Mesenteriums in der Mesenterialachse bei 
gleichzeitig vorhandener oder fehlender Darmverletzung häufig 
genug angetroffen werden. 

In den letzten 10 Jahren ist bei uns nur ein Fall dieser 
Art beobachtet und zur Operation gekommen. Nach Neu¬ 
mann (Gar res Klinik): „lieber ausgedehnte Mesenterial¬ 
abreissungen bei Kontusionen des Abdomens“, ist die Mortali¬ 
tät dieser Verletzungen annähernd 100 Proz. N e u m a n n und 
jüngst in No. 10 dieser Wochenschrift Au t e n r i e t h - Calw 
berichten über je einen durch Laparotomie und ausgedehnte 
Darmresektion geheilten Fall von isolierter querer Mesenterial¬ 
abreissung. 

Ich bin nun in der Lage, über einen von mir operierten und 
zur Heilung gekommenen Fall der gleichen Verletzung zu be¬ 
richten. 

Friedrich F., 41 Jahre alt, Kutscher, aus Hamburg. Am 5. VII. 07 
morgens 8*4 Uhr fiel Pat. beim Verladen von schweren Ballen in 
einen Eisenbahnwagen von seinem Wagen herab; er kam platt auf 
den Boden zu liegen, ein ca. „10 Zentner schwerer“ Ballen fiel 
hinterher auf ihn („auf das Becken“). Pat. verspürte sofort die 
heftigsten Leibschmerzen und grosse Schwäche, so dass er sich nicht 
mehr erheben konnte. Kein Erbrechen. Bewusstsein erhalten. Auf¬ 
nahme im Krankenhaus 8% p. m. 

Status: Kräftiger Mann, macht den Eindruck eines schweren 
Schocks: Puls klein, flatternd, beschleunigt (ca. 120). Gesichtsfarbe 
blass, Temp. 36,6. Reflexe und Pupillen o. B. Zunge trocken. 
Atmung beschleunigt, angestrengt. Thorax gut gebaut. Lungen ohne 
Besonderheiten. Herzdämpfung normal, Töne rein, Aktion beschleu¬ 
nigt, etwas unregelmässig. Abdomen eingezogen. Sehr vermehrter 
Muskeltonus, heftigste Schmerzen bei vorsichtigster Berührung. In 
den abhängigen Partien eine nach oben konkave, ca. handbreite deut¬ 
liche Dämpfung. Per rectum nichts Abnormes. Katheterisierter 
Urin enthält kein Blut. Starke Suggillationen über dem oberen 
Schambeinast links. Kompressionsschmerz, abnorme Beweglichkeit 
und Krepitation der linken Darmbeinschaufel. Sensorium frei. Mehr¬ 
faches Erbrechen von morgens genossenem Kaffee und Weissbrot 
ohne Blutbeimengungen. 

Diagnose: Schwere intraabdominelle Verletzung und Blutung. 
Beckenbruch links. 

Pat. verweigert zunächst die Operation, wird einstweilen sorg¬ 
fältig beobachtet. Mehrfaches Erbrechen galliger Mengen. Tem¬ 
peratur sinkt auf 35.8. Puls stundenlang sehr langsam und klein (46 
per Minute), Schweissausbruch, kühle Extremitäten. Wenig zu¬ 
nehmende Blässe. Sensorium bleibt frei. Heftigste „Druckschmerzen 
im Leibe“. Spannung des Leibes nimmt immer mehr zu. Dämpfung 
in den abhängigen Partien nicht gestiegen. Abends 6 Uhr Operation 
zugegeben. 

Sofort Laparotomie in Aethernarkose. Schnitt in der Mittellinie 
unterhalb des Nabels. Gleich nach Durchtrennung des Peritoneums 
fliesst reichlich Blut aus. viel Gerinnsel im Abdomen, besonders das 
kleine Becken ganz ausgefüllt, ca. 1 Liter im Ganzen. Grosser Me¬ 
senterialriss sichtbar. Verlängerung des Leibschnittes nach oben. 
Das Ileum ist handbreit von seiner Einmündung in das Zoekum ent¬ 
fernt, auf 22 cm von seinem Mesenterium völlig abgerissen. Darm 
nicht eröffnet. Zurzeit keine Blutung aus einem Mesenterialgefäss. 
Im Mesenterialriss mehrere thrombosierte Gefässe sichtbar. Heraus¬ 
lagerung des abgerissenen Darmteiles. Entfernung der Blutmassen 
aus der Bauchhöhle. Nun erkennt man. dass das Mesenterium noch 
weiter oralwärts einen kompletten queren Riss zeigt von ca. 12 cm 
Länge, und zwar beginnt dieser an dem Endpunkte, wo das Mesen¬ 
terium vom Darme vollkommen abgerissen erscheint, verläuft zu- 


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1886 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


nächst in 1—P/zcm, dann ca. 2 cm Entfernung vom Darm, parallel 
demselben; auch hier zurzeit thrombosierte (icfasse im Mesenterium 
sichtbar; dann verläuft der Riss in einem nach der Radix niescnterii 
offenen Winkel noch eine Strecke von 4 cm weit in das Mesenterium 
hinein, also mehr in der Längsrichtung des Mesenteriums. Hier blutet 
ein grösseres üefäss beim Vorziehen. Unterbindung desselben. Der 
Darm über den grossen Mesenterialrissen, aber auch zoekalwürts 
noch einige Zentimeter über die Mesenterialabrissstelle hinaus und 
besonders weit oralwärts hinauf (ca. 12 cm), erscheint seiner Er¬ 
nährung beraubt, zeigt eine grau-bläuliche und gelbliche Verfärbung. 
Serosa getrübt, nicht spiegelnd; ebenso zeigt das Mesenterium zwi¬ 
schen Darm und Riss und weiter oralwärts eine eigentümlich 
schmutzig-graugelbe Verfärbung. Resektion des Dünndarms weit 
im Gesunden (54 cm). Der kleine nachbleibende Ileumstumpf 
am Zoekum wird verschlossen, cingestiilpt und zweifach über¬ 
näht. Einpflanzung des lleum in das Colon ascendens oberhalb der 
ßauhinschen Klappe nach Längseröffnung des Kolon, in dem eine 
Unzahl von Oxyuren sich zeigen. Zirkuläre Darmnähte. Naht des 
Mesenterium mit ganz feinen, keinen die Anastomosen abschnürenden 
Stiohen. Da keine Darmverletzung vorlag, völlige Versenkung und 
etagenweiser Nahtverschluss des Hauches. Dauer der Operation 
1*4 Stunde, während derselben Kamphorinjektioncn und intravenöse 
Kochsalzinfusionen (600 ccm). Puls nach der Operation 120, mittel¬ 
kräftig. Warme Lagerung des Patienten. 

6. VII. Starker Meteorismus, keine Elatus. Kein Erbrechen. 
Pat ist ziemlich unruhig. Puls 124, leidlich kräftig. Urin durch Ka¬ 
theter gewonnen, ohne Blut. Theo und Eisstückchen per os. Atropin. 
Morphin, Digalen, Darmrohr 3 mal 1 Stunde. 

7. VII. Unruhe hat nachgelassen, sonst Status und Therapie un¬ 
verändert. 

8. VII. Mehrfach Flatus. Metcorismus geringer. Pat. fühlt sich 
sehr schwach und sieht elend aus. Kein Erbrechen. Puls klein, ino. 
wenig kräftig. Kochsalzeinläufe per rectum, 2 stündlich 200 ccm. Thee 
und Welgcn per os Urin wird spontan gelassen. 

9. VII. Bisher afcbril, heute 38,4. Viel Hustenreiz und Aus¬ 
wurf. Bronchopneumonie (1. Unterlappen). Starke Zyanose. Wein, 
Milch, Digalen, Morphium. Mässiger Metcorismus. Elatus vorhan¬ 
den. Schwerer Allgemcineindruck. 

10. VII. Nach Glyzerinklystier Stuhlgang, normal gefärbt. Sonst 
Status idem. Reichliches Sputum nach Ipecacuanha-Infus. 

11. VII. Nach Glyzerinklystier Stuhlgang, besseres Allgemein¬ 
befinden. Hustenreiz lässt etwas nach. Leicht febrile Temperaturen. 
Meteorismus fast geschwunden. 

13. VII. Pneumonische Erscheinungen lassen nach, dagegen tritt 
eine Bauohdeckenphlegmonc deutlich in Erscheinung. Eröffnung 
einiger Nähte; reichlich Pus. Tampon. Fixierender Verband. Stuhl¬ 
gang täglich einmal nach Einlauf. Elatus vorhanden. Keinerlei 
Schmerzen im Abdomen. 

22. VII. Wunde reinigt sich gut und rasch, lieber den Lungen 
nur noch einzelne Rhonchi sonori. Puls kräftig, regelmässig, SO-öo. 
Afebril seit einigen Tagen. Guter Allgemeineindruck. Abdomen 
weich. Stuhlgang erfolgt seit einigen Tagen reichlich und spontan. 
Konsistenz und Farbe normal. 

9. VIII. Wunde so rein, dass Sekundärnaht der Bauchdecken 
vorgenommen werden kann. Präparieren der Faszien und Muskeln. 
Loslösung -der'Haut. Faszienmuskelnaht, teilweise wegen des noch 
bestehenden starken Hustens mit Seidenknopfnähten. Durchgreifende 
Seidennaht. Fortlaufende Scidennaht der Haut. 

17. VIII. Heilung gelingt jetzt per primam. Keinerlei Beschwer¬ 
den, regelmässige Verdauung. 

28. VIII. Pat. steht auf. 

3. IX. Röntgenbild zeigt, dass schwerer Beckenschaufelbruch 
links vorlag. .Deutliche Osteombildung, infolge der schweren Blutung 
in der Nähe des os ischii, in der Aduktorensehne fühlbar; traumatisch 
entstanden. 

13. IX. Röntgenbild bestätigt die Osteombildung. Das Osteom 
macht nach Aussage des Pat. keine Beschwerden. 

Vom 4. X. ab Bäderbehandlung. Hauch wunde fast geheilt. 

18. X. Geheilt entlassen. Gewichtszunahme 11,2 kg. Blühendes 
Aussehen. 

Es handelt sich also in unserem Falle um eine beginnende 
Garcgraen des lleum, hervorgerufen durch eine ziemlich aus¬ 
gedehnte Abreissung des die ernährenden (ietässe führenden 
Mesenterium vom Darm ohne Verletzung des Darmes selbst. 

Die klinischen Erscheinungen, die eine sofortige Operation 
erforderlich erscheinen Hessen, waren die einer intraabdomi- 
ncllen Blutung, die schon bei der Aufnahme des Patienten du reit 
die Dämpfungsbezirke im Leibe nachgewiesen werden konnte, 
im Laufe der wegen der Weigerung des Patienten, sich ope¬ 
rieren zu lassen, verstrichenen 9 Stunden aber keine auffallende 
Dimension anzunehmen schien. Die (ietässe waren eben zu 
einer Zeit thrombosiert. Das Krankheitsbild beherrschten 
Herzschwäche, Abkühlung der Extremitäten, peritoneale Reiz- 


erschcinungen (Erbrechen, heftigste Druckschmerzen im Leibe 
und zunehmende brettharte Spannung des Leibes). 

Dass von vornherein die Indikation zu frühzeitiger Laparo¬ 
tomie gegeben war, versteht sich von selbst. Die Wahl der 
Operationsmethode war durch den Ik-fund bei der eroffneten 
Bauchhöhle gegeben; es konnte eben nur noch eine ausgedehnte 
Darmresektion in Erage kommen, wollte man den Patienten 
vor dem sicheren Tode an Peritonitis retten. 

W ie gut solche Dünndarmresektionen, ia noch ausgedehn¬ 
tere Resektionen (bis zu .*oo cm) ohne Schaden vertragen w er¬ 
den, beweisen Angaben in der Literatur zur Genüge. Die 
Arbeiten von Z e s a s, Bier. T a n s i n i, M a d e 1 u n g, R y - 
digier berichten über interessante Versuche, innerhalb w ei¬ 
che r Grenzen eine Ablösung des Mesenteriums dicht vom 
Darme vertragen wird und beweisen, welche sclnm unbedeu¬ 
tenden Abtrennungen vom Darme genügen, eine Gangrän her¬ 
beizuführen. 

Motorische Darmstörimgen, Abmagerung wurden bei 
unserem Patienten wahrend seines Kranken! igers (abgesehen 
von den ersten lagen post operationeni) nicht beobachtet, im 
Gegenteil Stühle von normaler Konsistenz urJ Farbe und eine 
beträchtliche Gewichtszunahme (cfr. oben). Pat. hat sich jetzt. 
1 Jahr nach der Operation, wieder vorgestellt urd erfreute 
sich während der ganzen Zwischenzeit des besten Wohlbefin¬ 
dens. ParmstöriiTigcn in Gestalt von breiigen Stühlen oder 
gar Durchfällen sind nie aufgetreten. Pat. ist voll erwerbs¬ 
fähig. Die Narbe fest. 

Was die Ent stehn Mg vart der MesenterialabreisMing. in 
unserem Fall bei der Einwirkung dieser schweren stumpfen 
Gewalt, anlangt, so glaube ich. dass hier nur ein Abriss durch 
Zugwirkung in Betracht zu ziehen ist. Jedenfalls würden wohl, 
wollte man die Trennung des Darmes vom Mesenterium auf 
eine direkte Zeruuetsehung des Mesenteriums zurückführen, 
irgendwelche Zeichen einer solchen am Mesenterium und am 
Darme zu finden gewesen sein müssen. 

Literatur. 

Neu mann: Beiträge /ur klinischen Chirurgc. Bd. 43. — 
Zcsas: Feber Verhalten des von hmioii Mese"'c r um atgi’"s!ni 
Darmes. Arch. f. klm. Chir., Bd. M. Bier: I*.e Entstehung des 
Knllatera’kreislaufes. Yircliows Archiv. Bl. 147. Tansin:; Arch. 
f. klm. Chir.. Bd. 33. - Madelung: Feber zgkii'are Parmnaht und 
Resektionen. Arch. f. k’m. Clur., Bd. 27. - Redigier: l'c'cr zirku¬ 
läre Darmnaht nach Darmresektion. Arch. f. klm. Chirurg.e. Bd. 27. 


lieber Messung und Dosierung der ROntgenstrahlen in 
absoluten Einheiten. Röntgenolyse. 

Die Ben,erklingen des Herrn Nagels c h rn i d t in No. 34 d. W. - - 
die mir in den Nimmerferien dr.iussen in» Gebirge zu Gesicht kamen, 
so dass mir eine sofortige Beantwortung des mir von der Redaktion 
zu diesem /.wecke /ugestellten Schreibens nicht möglich war - 
sind eigentlich, richtiger gesagt, eine Ergänzung zu meiner Mittedung 
zu nennen. Das. was Herr Nagel Schmidt bezüglich der Eak- 
toren der Konstante sagt, hatte ich in meiner MitteiMm.: ebenfalls er¬ 
wähnen können, habe es aber als bekannt \ >•: ausgesetzt mul vor- 
anssetzen dürfen, und daher dem Charakter e:*'e> kurzen Mitteilung 
entsprechend, w eggelassen. In dem iliesbe/i;gu hen k’cit'.it am 
letzten Röntgenkofigress. das in den Verhandlungen der Deutschen 
Rontgengesellschaft iti extenso erscheinen wird, sagte ich wörtlich 
bezüglich der Eaktoren der Gleichung C INt: 

„Hierbei ist selbstverständlich vorausgesetzt, 
tl a s s e n t \v e d er die s e c li s A u f u a h m e n mit einer 
R ö h r e, oder mit Rohren gleicher s n e z i t i s c h c r 
Härte h c r g e s t e 1 1 t w c r d e n. denn bei Rohren von 
v e r s c h i e d e n eil 11 ;i r t c g r a d e n m nss w e g e n der 

a n d e r e n Dur c h d r i n g u n g s f ä h t g k e i t tl c r Strahl e tl 

e i n e a n d ere V e r t e i I u n g d e r gesamt e n S c h w ,ir- 

z u n g h e r v o r g e r u f e n w e r d e n.“ 

Damit scheint mir in der M mpfs.u he gezeigt zu m in. d.iss k h 
die Rontgeiulosierimg nicht einfacher auffasse a's Herr Nagel¬ 
schmidt. und uh konnte iio v h hm/ufiigen. da^s icli durch Kontrolle 
versuche mit meinen Instrumenten Schwere Be denken bekommen 
habe, bezüglich der Zu\er '.issjgkeit der u VT üblichen Reakti«*ns- 
vergleichsmethodcn bei der Dosierung der R ntgensr.d'.cn. Abge¬ 
sehen von subjektiver Täuschung, bleibt i. ht mul immer die Ge¬ 

fahr bestehen, dass zw ei absolut gä i v h H lichtete K'.istreiien. 
z. B. iles K i o n b o g k s. heu t.hiantimet* m*. s vh nicht schwarz 

entwickehi. Pas kann lerruhien \ oi» \ «mN. Ivedener Erftm rd'ichkeit 
der Papierstreiten und vo« \ cTSgfiicde :;cr Konzentration des Ent- 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1887 


Wicklers, die sich beide schwer kontrollieren lassen, und sollten beide 
Abweichungen von den Normalien derart liegen, dass sich die Fehler 
addieren, so können — wie es mir vorgekommen ist — bei gleicher 
Belichtung, gemessen an den absoluten Messinstrumenten, sich Diffe¬ 
renzen von 25 Proz. ergeben. Dass der Fehler an der Entwicklung 
(oder dem Bromsilberpapier) liegt und nicht an einer Fehlerquelle 
bei den absoluten Messinstrumenten, wurde dadurch festgestellt, dass 
mehrere unter gleichen Bedingungen auf einer und derselben photo¬ 
graphischen Platte belichtete Streifen, wodurch Entwicklungsdiffe¬ 
renzen ausgeschaltet wurden, bei allen Streifen gleiche Schwärzung 
ergaben. 

Unter solchen Umständen kann Herr Nagelschmidt mit 
vollem Recht sagen „auf Differenzen von 5 Einheiten (wie in dem 
Beispiele K.s) einer Skala von 150 Teilen, kommt es in der Therapie 
niemals an; für klinische Zwecke reicht eine 8teilige Skala voll¬ 
kommen aus.“ Das ändert sich aber, wenn die oben erwähnten 
Fehlerquellen ausgeschaltet werden können, und das glaube ich, ge¬ 
schieht bei Anwendung der absoluten Dosierungsmethode, sobald ge¬ 
nügendes Erfahrungsmaterial gesammelt ist, u. a. auch über die 
Eigenschaften der Röhren; bezw. der von ihnen ausgesandten 
Strahlen unter verschiedenen Belastungen. 

Was die Fig. 1 in meiner Mitteilung anbelangt, deren Beweis¬ 
kräftigkeit für die Praxis Herr Nagelschmidt negiert, so muss 
ich bemerken, dass die Streifen erhalten wurden durch eine absor¬ 
bierende Metalltreppe hindurch, so dass auch das Mischungs¬ 
verhältnis des Strahlenkomplexes bei dieser Figur wie bei zahl¬ 
reichen anderen sich bei verschiedenen Belastungen (innerhalb ge¬ 
wisser Grenzen) als konstant erweist. Mit Hilfe der absoluten Mess¬ 
methode lässt sich eine vollständige Charakteristik einer gegebenen 
Röhre anfertigen, die für die spätere Benützung der Röhre zu thera¬ 
peutischen Zwecken als wichtige Grundlage dient. 

Ich bin noch mit diesbezüglichen und zahlreichen einschlägigen 
Untersuchungen beschäftigt und gedenke nach Abschluss derselben 
im Zusammenhänge darüber zu berichten. 

Die Schlussbemerkung des Herrn Nagelschmidt geht zu 
weit, da er so wenig als ich bis heute einen Beweis für deren Rich¬ 
tigkeit beibringen kann. Ich habe auch nur so viel behauptet, dass 
man mit dem absoluten Messverfahren imstande ist, mit sehr viel 
grösserer Genauigkeit die Röntgenstrahlen zu kritisieren und deren 
Qualität zu messen, als mit irgend einer der bisher angewandten 
Methoden, und dafür kann ich in mehrfacher Beziehung den Beweis 
ad oculos erbringen. 

Wenn schliesslich Herr Nagelschmidt sagt, dass die abso¬ 
lute Messmethode für die Medizin nichts bedeute, als eine über¬ 
flüssige Komplizierung, welche bereits vorhandene Methoden einer¬ 
seits nicht entbehrlich macht, andererseits kaum verbessert, so kommt 
mir das vor, als wenn jemand seinerzeit hätte behaupten wollen, 
weil wir die absolut richtig gehende Sonnenuhr besitzen, wollen wir 
von dem komplizierten Werk einer mechanischen Uhr nichts wissen, 
und das Ablesen von Minuten und Sekunden brauchen wir nicht, uns 
genügt die Einteilung in Viertelstunden. 

Im übrigen verweise ich auf das Referat ..1. Ueber ein neues 
Verfahren zur kontinuierlichen Ablesung der Härte einer Röntgen¬ 
röhre; 2. Ueber ein neues Messverfahren zur Dosierung der Rönt¬ 
genstrahlen mittels Strom- und Spannungsmessung an der gedämpften 
Welle“, in den Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft 
1908. 

Basel, den 20. August 1908. Fr. Klingelfuss. 

—-►-«&>—o- 

Prostitution und Reglementierung.*) 

Von Prof. Dr. C. K o p p in München. 

Seit Dezennien ist das Prostitutionsproblem und die Frage des 
besten Systems staatlicher Ueberwachung heiss umstritten. Zur Zeit 
kann die erneute Besprechung des letzteren Themas als besonders 
zeitgemäss deshalb betrachtet werden, weil einerseits wohl unter dem 
Einfluss der Tätigkeit der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten die Regierungen ein regeres Interesse für 
die Prostitutionsfrage zeigen, und weil andererseits die bevorstehende 
Revision des Strafgesetzbuches gerade jetzt die Möglichkeit ge¬ 
währen würde, jene Aenderungen vorzunehmen, welche, wie gezeigt 
werden soll, zur Beseitigung eines gänzlich unwürdigen Rechts¬ 
zustandes und zur Ermöglichung einer einigermassen aussichtsvollen 
staatlichen Ueberwachung des Prostitutionswesens allein führen 
können, und darum von den meisten wirklich Sachverständigen seit 
lange befürwortet werden. So wenig ich mich mit den bekannten 
Schlagworten, welche in abolitionistischen und Frauenvereinen, in 
Sittlichkeitsvereinen und in politischen Vereinigungen gegen die staat¬ 
liche Ueberwachung der Prostitution vorgebracht werden, befreunden 
kann (und es ist bekanntlich nicht schwer, mit Schlagworten bei 
einem geeigneten Publikum Effekt zu machen), so ist doch nicht 
zu leugnen, dass diese Agitation mit Veranlassung gegeben hat, der 
___________ '■ 

*) Referat, erstattet im ärztlichen Bezirksverein München am 
30. Mai 1906. 


ernsten Prüfung der Frage, ob die gegenwärtigen Verhältnisse be¬ 
friedigende sind, näher zu treten. Und dabei hat es sich nun doch 
gezeigt, und alle Wissenden sind darüber einig, dass in der Tat 
das gegenwärtig an den meisten Orten bestehende System einen auch 
relativ nur sehr geringen Wert besitzt, dass überall dort, wo mit 
einigem Erfolg überwacht wird, diese Ueberwachung auf nicht 
legalem Boden steht, und dass man daher vor der Frage steht, ent¬ 
weder die staatliche Ueberwachung gänzlich aufzugeben, oder die¬ 
selbe gründlich zu reformieren. Ich bin nun, und ich muss dies 
um so mehr betonen, weil man mich wegen meiner freimütigen und 
entschieden ablehnenden Kritik der gegenwärtig in den meisten Gross¬ 
städten üblichen Reglementierungsmassregeln direkt für die Sache 
des Abolitionismus in Anspruch genommen hat, der Ueberzeugung, 
dass einer polizeilich sanitären Ueberwachung immer dann das Wort 
zu reden sein wird, wenn aus dieser Ueberwachung ein wenn auch 
nur bescheidener Erfolg im Hinblick auf die sanitären Verhältnisse 
weiterer Volkskreise erwächst. Andererseits bin ich aber überzeugt, 
dass man auch mit der sorgfältigsten Kontrolle allein der Ver¬ 
breitung der Geschlechtskrankheiten nie und nimmer erfolgreich 
entgegentreten kann. 

Ich wünsche auch bei dieser Gelegenheit der Ueberzeugung Aus¬ 
druck zu geben, dass durch gewisse Massnahmen des Staates, Ver¬ 
breitung einer besseren Bildung, Sorge für ausreichenden Erwerb, 
bessere Bezahlung der weiblichen Arbeiterinnen in gewissen Berufs¬ 
arten, Wohnungsgesetzgebung, Fürsorgeerziehung, speziell auch der 
Unehelichen (Findelhäuser?), allgemein gesprochen durch weiteren 
Ausbau der sozialen Gesetzgebung eine gewisse, wenn auch zahlen- 
mässig nicht zu bestimmende Verminderung derjenigen Personen, 
welche sich der Prostitution als Erwerb hingeben, erzielen lassen 
wird. Ich bin aber durchaus nicht der Meinung, dass damit jemals 
und ganz gewiss nicht in absehbarer Zeit, die Prostitution selbst aus 
der Welt geschafft wird. Die Wege, die zur Prostitution führen, 
sind so unendlich mannigfach und in den Schwächen der mensch¬ 
lichen Natur begründet, dass es sehr verkehrt wäre, anzunehmen, 
dass nur die pure Not, der Hunger, den wesentlichen Faktor dar¬ 
stellt. Dass Belehrung, Erziehung und gutes Beispiel und allgemeine 
humanitäre soziale Fürsorge im Laufe langer Zeiten eine gewisse 
Entwicklung der Menschen zu einer höheren moralischen Stufe her¬ 
beiführen wird, halte ich für möglich und wahrscheinlich; seit den 
Zeiten der Rohheit des Altertums und des Mittelalters hat sich eine 
humanitäre Fortentwicklung der Menschheit wohl bemerkbar ge¬ 
macht, aber von einer gewissen Schnelligkeit dieser Entwicklung ist 
im Laufe der uns bekannten kulturellen Geschichte nichts bemerk¬ 
bar, und dass es auch Zeiten einer Entwicklung nach rückwärts 
gibt, lehrt uns nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegen¬ 
wart. Unter diesen Umständen tut man jedenfalls gut daran, sich 
auf die aufsteigende Entwicklung der gesamten Menschheit zu 
höheren, mehr dem Ideal entsprechenden Zielen nicht allzusehr zu 
verlassen, sondern so zu handeln, wie es die Bedürfnisse der Gegen¬ 
wart erheischen. 

Das Ueberwachungssystem der Prostitution in Deutschland 
(ausserdem in der Mehrzahl der europäischen Staaten, welche ein 
Ueberwachungssystem haben, England, Dänemark, Norwegen und 
Italien sind ausgenommen) beruht auf folgenden Punkten: 

1. Eintragung in die Liste, 

2. regelmässige ärztliche Untersuchung, 

3. zwangsweise Behandlung der erkrankt Befundenen. 

Ich muss nun sofort hervorheben, dass dieses System, dessen 
erste Anwendung auf über 100 Jahre zurückgeht, den damaligen An¬ 
schauungen über die Pathologie der venerischen Erkrankungen ent¬ 
sprechend, theoretisch sehr fein ausgedacht war, und wenn es mög¬ 
lich wäre, die gesamte Prostitution oder doch die überwiegende 
Mehrzahl der Prostituierten zur Einschreibung, regelmässigen Unter¬ 
suchung und eventuell zwangsweisen Behandlung bis zur Heilung zu 
bringen, würde an diesem System auch bis zur Stunde nicht viel 
auszusetzen sein. Da man aber heute weiss, dass Syphilis und 
Gonorrhöe ihre Ansteckungsfähigkeit durch viele Jahre hindurch 
behalten, dass deren Heilung auch durch längere Spitalbehandlung 
nicht gewährleistet werden kann, und da es zumal in grösseren 
und Grossstädten absolut unmöglich ist, die Gesamtheit der gewerbs¬ 
mässigen Prostitution zur Einschreibung und regelmässigen Unter¬ 
suchung zu veranlassen, wird man von vorneherein seine Erwar¬ 
tungen bezüglich des Effektes der staatlichen Ueberwachung auf 
ein geringes Mass herabsetzen müssen; ganz besonders bei uns in 
Deutschland, wo die bestehende Gesetzgebung einen Rechtszustand 
in den Fragen der Prostitutionsüberwachung geschaffen hat, der ein 
zielbewusstes und konsequentes Vorgehen der Polizeibehörden zur 
Unmöglichkeit macht. 

Für Deutschland ist die Gewerbsunzucht in 2 Paragraphen des 
RStOB. berührt, doch in einer Art und Weise, welche die Absicht 
des Gesetzgebers in Dunkel hüllt und einen ganz unmöglichen Rechts¬ 
zustand herbeigeführt hat. 

Durch den § 180 des RStGB. wird der § 361/6 direkt in Frage 
gestellt. Es ist ein Widerspruch, wenn auf der einen Seite jede 
Duldung der Prostitution als strafbar erklärt wird, anderseits aber 
doch der Staat selbst durch seine Polizei für gesundheitliche Ueber¬ 
wachung bestimmter Kategorien geduldeter Prostituierter sorgen 


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1888 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


lässt. Ja, von durchaus ernst zu nehmender Seite ist direkt die 
Frage juristisch erörtert worden, ob nicht der Staat seihst durch die 
Massnahmen der sanitären Ueberwachung sich einer ungesetzlichen 
Handlung schuldig macht. Ein guter Teil der Vorwiirie, die man 
der heutigen Reglementierung macht, ist aui diesen gänzlich un¬ 
würdigen Rechtszustand zuriickzuiührcn. 

Nur ein Beispiel: eine reichsgerichtliche Entscheidung (InM) 
erklärt das Halten von Bordellen iiir strafbar ($ isn). Heute, nach 
25 Jahren, bestehen Bordelle in einer grossen Anzahl von Bundes¬ 
staaten mit Wissen der Behörden! 

Der § 180 ist aber noch aus einem anderen Grunde verhängnis¬ 
voll. Auf Grund desselben werden die Prostituierten, auch wenn 
sie sich auf einem relativ anständigen Niveau halten, und zu sonstigen 
Beanstandungen keinen Anlass geben, von Wohnung zu Wohnung 
gehetzt und schlieslich dem Zuhältertum und Verbrechertum in die 
Arme getrieben (A u b). 

Falls man sich überhaupt ihr die staatliche Ueberwachung der 
Prostitution entscheidet, sind Bordelle und Kontrollstrassen m. E. 
unbedingt zuzulassen und unter gewissen örtlichen Verhältnissen 
geradezu zu begünstigen. In grosseren Mittelstädten und selbst m 
manchen Grossstädten bestehen sie denn auch tatsächlich mit W lsse-u 
der Behörden, und über die Vorteile dieses Systems kann m. E. I 
ein Zweifel nicht sein, allerdings nur dann, wenn eine scharte Kon¬ 
trolle seitens der Behörde die der Kasernierung ziigescliriebcnen 
Nachteile beseitigt. Diese Nachteile können aber beseitigt werden, 
wenn für jede einzelne Stadt von Fall zu Fall die Erlaubnis zur 
Führung eines Bordells von der Erfüllung gew isser Bedingungen ab¬ 
hängig gemacht wird, deren wichtigste sind: 

1. Schutz der Bewegungsfreiheit der Bonlellinsassinnneu und 
Schutz gegen Ausbeutung, 

2. genaueste tägliche sanitäre l'eberw achüng, 

5. Verhinderung jeder vom Bordell ausgehenden Provokation. 

•4. Verbot der Verabreichung alkoholischer Getränke. 

Die Vorteile der Kasernierung liegen aui du Hand. Diese 
sind die bessere Ermöglichung der sanitären Ueberwachung. die 
Reinigung der Strasse, die Verminderung des Zuhaltertums. „l ieber 
50 Bordelle“, sagt N e i s s e r. „in einer Stadt wie Berlin oder Leip¬ 
zig, als 300 auf Erwerb ausgehende Prostituierte auf der Strasse. . 
Ich weiss sehr wohl, dass, selbst wenn diese 3oo in Bordellen sind, 
noch 2000 oder 1000 zugängliche, ja sehr leicht zugängliche Personen , 
auf der Strasse spazieren gehen. Aber zwischen den wahren Er- \ 
werbsprostituierten und den Viertel- oder Halbprostituk rten be- I 
stellt doch der Unterschied von aggressiven Elementen einerseits und [ 
passiv zugänglichen Personen anderseits, zumal letztere ja auch j 
ohne Bordelle neben den Erwerbsprostituierten existieren.“ ' 

Aber es ist ohne weiteres zuzugeben, dass die Kasernierung 
nicht für alle Fülle passt. Die Verhältnisse sind anders in einer 
kleinen und einer Mittelstadt, anders in einer Universitäts- oder 
Garnisonsstadt oder Festung, anders in einer Hafen- oder Handels¬ 
stadt, und wieder anders in den grossen W eltstadten. und es er¬ 
scheint mir dringend notwendig, bei einer zu hottenden Revision 1 
der Gesetzgebung darauf Bedacht zu nehmen, dass den Behörden ; 
bezüglich des zu wählenden Systems staatlicher Ueberwachung ie i 
nach den Verhältnissen ein gewisser Spielraum gelassen wird. I 

Man hat den Bordellen und Kontrollstrassen, wie auch der j 
staatlichen Ueberwachung überhaupt, den Vorwurf gemacht, dass 
sie irreführend wirken, weil sie fälschlicherweise den Eindruck er- ] 
wecken, als ob der geschlechtliche Verkehr mit der Kontrolle unter- ' 
stellten Dirnen eine Sicherheit in gesundheitlicher Beziehung ge¬ 
währleiste. Ausserdem leide die Moral durch die mit der staatlichen 
Ueberwachung offiziell ausgesprochene Sanktion des Prostitutions¬ 
gewerbes und endlich seien durch Bordelle unerfahrene .Jüngling«- 
besonders gefährdet. Diese- Einwände sind m. E. sämtlich wenig 
begründet. 

Vor allem ist hier ein für allemal festzustellen. dass die Polizei \ 
durch ihre sanitäre Ueberwachung niemals, auch wenn sie noch so | 
gewissenhaft vorgeht, und wenn auch die gesetzlichen Grundlagen 
der Ueberwachung entsprechend umgestaltet sein werden, für die I 
Ungefährlichkeit des Umgangs mit den ilner hoiitiolle unterstellten j 
Freudenmädchen eine \ erantw ortimg iibei iielnueii kann. Dass rede 
Prostituierte mit und ohne Kontrolle geialn lieh sein muss, ergibt , 

sich aus Natur und Art und Häufigkeit wahllosen I ’iostitutionsv c i - « 
kelirs für jeden Denkenden \ «ui selbst, und tatsächlich ist denn j 

auch der Glaube an die Sicherheit der unter Autsicht stehenden | 
Prostituierten keineswegs so allgemein in der Bevölkerung \ er- I 
breitet, w ie dies von den Gegnern der staatlichen l'ebci w ucInnig | 
angenommen wird. 

Dass durch eine Abschaffung der staatlichen Konti«die iur die i 
allgemeine Moral ein wesentlicher Nutzen erwachsen würde, ist | 
mir auch sehr zweifelhaft. Die Zustände in solchen Städten des 1 

Auslandes, wo jede polizeiliche Ueberwachung fehlt, sprechen ge- J 
w iss in keiner Weise für eine allgemeine bessere Moral unter • 

dem Volke. So sprechen die voll Stead 1 .ssä nntgeteiltcn Er- j 
fahrungeu über das Easter in l.ondon (und diese Mitteilungen der 
Pall mall Gazette beruhen auf durchaus authentischem Material I. 
jedenfalls nicht zugunsten eines solchen laisser faire seitens der Pali- 
zeibehorden. 


Schliesslich muss man doch wohl ziemlich unerfahren oder ganz 
blind sein, um nicht zu wissen, dass trotz der allseitig und uUenthch 
mit mehr oder minder heuchletis v her Phraseologie gebrandmarkten 
Unmoral des ausserehehchen \ et kelirs nahezu die gesamte Männer¬ 
welt in einer je nach den Umstanden längeren oder kürzeren 
Periode des Uebeiis auf die diesbez u glühen M«»r aiai'.s Ji.tuungeii 
w enig Gew icht legt und ohne erhebliche < iew isscnsbisse den ausser- 
eheiiehen < iesch!echts\ erkehr pflegt. Auch hier decken möi I hco-Mc 
und Praxis m keiner Weise. \ «m Ge w isseiisbiss V M hot man nur 
dann etwas, wenn ein l nghick passiert ist. Im Hinblick aui die 
Macht des sexuellen Triebes wird man jede?/eit gut tun. sich den 
alten Sprach vor Augen zu halten: Naturam si expellas furca. tarnen 
usepie recurret. 

Was endlich die Gefalrdaiu uneM.ihte'er U.ngliuge betr :::. 
so erscheint mir el ie Kasernierung immer n««ch v -»n germge'cr Be¬ 
denklichkeit als ehe Verlockung durch die Xrassenprostitutioii. fs 
ist aussichtslos, m der Prostitutionsfrage ule.Fe \ erl’.-iitn-sse schatten 
zu wollen, es kann sich immer nur um die Wahl zwischen l ebe n 
handeln, und unsere Aufgabe muss es sein, den Weg zu tmden. 
weicher das geringere l ebel darsteill. 

Wenn wir diese Umstande ge! ahrend bei luhs; Gingen, werde') 
wir unschwer zu der l e ber/eiigimg gelangen, dass cs auch dc r 
sorgfältigsten staatlichen lebe i w .o i.ui.g niemals geäugen kann, de 
Prostitution wirklich zu assanieren, tu 1 man selbst im g ■.listigste!’ 
l alle mit einem bescheidenen I r l g /bfriedeu sein muss. 

I>er zu erwartende relative Einig wird aber um s«« geringer 
angeschlagen werden, ie mehr infolge Cer Mangel der Gesetzgebung 
ein tatkraltiges \urgehen der Bein-: den gehindert, imd dadurch ein 
System von halben, sich w iderspr eche nd. n Mnssreeein. so recht ei'i 
Sv stem der Sv steriilosigke it gelorder: wird, dessen Wirkungen dtir-th 
fortdauernden Wechsel der Auffassung seitens der massge bendeti Be¬ 
hörden noch weiterhin beeiutt .u htigt werden. 

Dieser Notstand der staatlichen l 'ebe rw ad’iing betrifft alle drei 
Kardmalpimkte derselben» die Eintragung in d;e I :Mcn. d:c regei- 
massige Untersuchung und die Zw aiusbehandämg der Erkrankten. 

a) Die E i n s c 1t r e i b u n g in die I. : s : e 

Diese wird sehr verschieden gehanJhabt. An manchen (»rten 
erfolgt dieselbe nur freiwillig auf \nt tag der be treüe nde :\ Pr<>- 

stituierten. an anderen kann d eselbe nach best.;:;::.teil Prämissen 
(wiederholte \ erhaitutig wegen gew et bsmass-.ger l nzud’.t. wieder¬ 
holte \ ervvarnung. entsprechen de s Ater» auch zwangsweise er- 
folgeii. Die Entscheidung daruber hegt bei dem \ •:stand der be- 
tretienden Pohzcial'teihmg. Mädchen unter l* lahreii w cmltn heute 
in Deutschland wohl überhaupt mJit in die Eisten e.nge tragen Bei 
Mmdcnahrigen wird stets der \ ersuch gemacht. Besserung d-rdi 
Ucbcrgabe au Edlem und Verwandte. 1 a: sorgeer Ziehung u::d Besse¬ 
rungsanstalten. oder durch Invtffspyjc .Imahme des K’e tti::-gs« t - kes 
charitativ er \ereine u. a. zu erzielen. Die zw.uuswe.se Imscl’.rei- 
bung erf'ilgt, wo sie überhaupt geiiht wird, nicht vor dem l s UeHms- 
iahre, häufig erst nach erreichter \ «>!!•. ihrig- e it. Wenn em ernster 
Wunsch besteht, zu einem geordneten Leben zuruck/uke hrem w.o 
allerdings ein Aiisnalimeiall ist. wird dieser I Pt schloss v <•*> der B-e- 
horde mit Eiter unterstützt, mul hat sich trübes -ndere in d.cser Rich¬ 
tung und bei der Rettung mmderuhr iger Prostituiertem d e Neu¬ 
einrichtung der Pohzeiassistentm gut bewahrt: frei ich kommt es auch 
heute noch vor, dass diese Rückkehr zu einem anständigen Leben 
durch ungenügend diskrete N.tc hu-rsc hung der Behörde hinsichtlich 
der Dauei haltigke it des guten I nts v h!usse-s selbst wieder in I rage 
gestellt wird. 

Nun ist aber die Zahl der eingcsc !r :e heilen Prostituierten, 
welche sich einer mehr weniger re genoss; gt n l nte' mu' hung auf 
ihren Gesundhe itszustand unterziehen, eine im \ er iu.tnis zu der 
beti achtiicfie n Zahl der gevv erbsn-.tscuen P' ■".!,tnie - *e n -II UM adelt 
grossen Madtcn lächerlich geringe. N> ist sic r B. mr München 
auf unter 2'«» lieruiitergcgangeu. Die geheime Prostitutu,n. welche 
anerkarintermassen mul aus begreihicin-n (inmden die gef.tit: itcltstc 
ist, ist weit m eit*r Mehrzahl, ihrerseits aber tar die regelmass'gc 
Kontrolle kaum iassb.tr. kann vlie rege .massige Un:erMtc!niug 

der eingeschriebenen Müddicn. wenigstens m den grossen Madten 
iur den (iesundheits/iiM.iiul vier * ie s.m.tbe \ o.ker ung gewiss mir 
einen relativ geringen Wrt haben. Dazu kommt vier Umstami. dass 
die eingeschriebenen Mädchen m Einer Meloheit die akuten und hoe'u- 
mtektiosen lorrncn venerischer Ui kraukun-gen bereits längere Zeit 
hinter sich haben, vlass sje ari um! Jur mJi re .div weniger zu 
Ansteckungen \nhiss geben, als die meist der geheimen Prostituta-n 
ungehörigen iiigeüThc !:• n Prostitniertcn. I v'tmII da. w < d.e In- 
skription mit v «>i sk htigster Vuswahi nur auf ViMug der Bvte i.icten 
geschieht, geht vhe Zahl vier I ingesc In ie K e tu n :.i:\s. t *>| zir :..k. W .. 
aber zwangsweise Umschreibung lasse rt isg un 1 i»h ha te eine 

solche im Interesse einer einige rmassen w nkyr vü K-'UE»:«, e f"r n»-t- 
w endig, bestellt der Missstand, «lass m yju-r |;r d.is gar’/e l.e'-em 
vlcs liuhvivhmms oft entscheidenden S.k he. das l Med der •.! vi-meta«. 
bar en Gewalt eines I ’ohze'beamten ulw« nssf >s*. 

In Erwägung dwser Umstand.- »!••* ften •' v *- ,! 'e R*. * » ., r . 
Schläge als wohl durchführbar ers.Ju nie n * Die zwarusve .se l'nter- 
stellung unter staatliche Aulsicht muss /u..Ns;g s v :m wenn a'.e Mitte! 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1889 


der Warnung und Ermahnung sich vergeblich erwiesen haben, und 
es muss das Bestreben der Behörden sein, die geheime Prostitution 
nach Möglichkeit entweder der Besserung oder aber der zwangs¬ 
weisen Aufsicht zuzuführen. Die Stellung unter polizeiliche Auf¬ 
sicht und regelmässige sanitäre Ueberwachung soll stets nur durch 
gerichtliches Urteil erfolgen. Die Rückkehr zu einem ge¬ 
ordneten Leben ist von den Behörden stets zu unterstützen; im übri¬ 
gen behandle man die einmal eingeschriebenen Prostituierten, welche 
sich regelmässig zur Untersuchung stellen und sich sonst auf einem 
relativ anständigen Niveau halten, milde, ohne Chikane und human; 
man vermeide die häufig sich wiederholenden kleinen Strafen, be¬ 
strafe dagegen die stets aller Ordnung widerstrebenden Elemente 
mit längerer Einschliessung, eventuell bringe man sie in Besserungs¬ 
anstalten. Speziell ist den Prostituierten das Wohnen zu er¬ 
möglichen, und ist aus diesem Grunde, sowie um die unter ge¬ 
wissen örtlichen Verhältnissen durchaus zu begünstigenden Bor- 
delle. auf einen gesetzlichen Boden zu stellen der 
§ 180 des StGB, abzuschaffen. Die meisten der gegen die Bordelle 
gemachten Einwände lassen sich durch eine scharfe polizeiliche 
Ueberwachung beseitigen. Endlich ist es aber anderseits notwendig, 
gesetzliche Grundlagen zu schaffen, welche es gestatten, 
auch solche Elemente, welche bisher nicht der zwangsweisen Ueber¬ 
wachung unterstellt und der gewerbsmässigen Prostitution über¬ 
führt sind, sowohl einer zwangsweisen Untersuchung zu unter¬ 
ziehen, als auch einer zwangsweisen Behandlung zuzuführen. 
Bei der heutigen Gesetzgebung erscheint die Berechtigung hierzu 
mindestens zweifelhaft. 

b) Die regelmässige Untersuchung der Einge¬ 
schriebenen. 

Dass diese Untersuchungen bei der Natur und dem ganzen Wesen 
des Prostitutionsverkehrs einen absoluten Sicherheitswert nicht haben 
können, ist klar. Andererseits ist aber einer sorgfältigen regel¬ 
mässigen Untersuchung der sich gewerbsmässig prostituierenden 
Dirnen, wenn diese Untersuchung auch nur einen grossen Teil dieser 
Personen betrifft, gewiss nicht jeder Wert abzusprechen. Dieser 
Erfolg wird noch grösser sein, wenn auch ein erheblicher Teil jener 
Dirnen, welche ohne eingeschrieben zu sein, bei Ausübung des Pro¬ 
stitutionsgewerbes aufgegriffen werden, einer Untersuchung unter¬ 
zogen, und eventuell der Zwangsbehandlung zugeführt werden 
können. Da eine Ausdehnung der kontrollierenden Untersuchung auf 
eine wesentlich grössere Anzahl von Frauenspersonen notwendig sein 
wird, und diese Untersuchung mit allen wissenschaft¬ 
lichen Hilfsmitteln und durch ein ausreichendes und 
geschultes Personal durchgeführt werden muss, wenn sie 
überhaupt einen Wert haben soll, dürfen auch erhebliche Ausgaben 
zu diesem Zwecke nicht gescheut werden. Es ist auch für ent¬ 
sprechende Räume, für eine regelmässige Benützung des Mikroskops 
(Gonorrhöe) zu sorgen, und bei den Eingeschriebenen wird auch die 
Untersuchung wesentlich häufiger wiederholt werden müssen, als 
dies bisher geschieht Dabei müssten die Untersuchungen viel mehr 
einen rein sanitären als polizeilichen Charakter haben, und es wäre 
vielleicht der von anderer Seite gemachte Vorschlag, in kleineren 
Städten diese Untersuchungen ins Hospital zu verlegen, für grössere 
Städte aber ein eigenes, lediglich diesem Zwecke dienendes Ge¬ 
sundheitsamt zu schaffen, empfehlenswert. 

Auch der in neuerer Zeit unternommene Versuch, solche Per¬ 
sonen, bei welchen Aussicht auf Besserung besteht, insbesondere 
minderjährige erkrankt Befundene, einer regelmässig kontrollierten 
Behandlung durch Privatärzte zuzuführen, kann vielleicht Vorteile 
bieten. Wenn dieser Versuch, zu dessen Durchführung sich jetzt 
freiwillig Aerzte bereitfinden Hessen, einige Aussichten bieten sollte, 
kann aber nicht auf alle Zeit die unentgeltliche 
Hilfe dieser und anderer Privatärzte in Anspruch 
genommen werden, sondern der Staat oder die Gemeinde wer¬ 
den die hiefür entfallenden Kosten mindestens nach Massgabe der 
Kassentaxe zu tragen haben. Wenn aber, was ich für durchaus sach- 
gemäss halten würde, auch die vorhandenen offiziellen Polikliniken 
für die Behandlung solcher Fälle herangezogen werden würden, müsste 
diesen gleichfalls seitens des Staates eine grössere Berücksichtigung 
zu teil werden. Nur eine grosszügige Auffassung der ganzen Pro¬ 
stitutionsfrage, nicht ein kleinlich knauseriges und bureaukratisches 
System kann eine Besserung anbahnen. Bei alledem aber ist eine 
optimistische Auffassung nicht am Platze. Früher, zur Zeit der Er¬ 
findung des Ueberwachungssystems. konnte man. freilich nur auf 
Grund falscher Voraussetzungen, mit mehr Vertrauen an die Wirk¬ 
samkeit des ganzen Systems denken. Solange man nur den primären 
Schanker für ansteckend hielt, so lange man weichen Schanker 
und Syphilis zusammenwarf, so lange man von dem Virus 
der Gonorrhöe und der langen Dauer und Bedeutung derselben keine 
Ahnung hatte, sondern von dem Tripper als einer recht harmlosen 
Sache sprach, als die Städte noch klein und das Prostitutionsrnaterial 
noch leicht zu übersehen war, da konnte man sich, w e n n auch 
nur teilweise mit Recht einbilden, dass der Wert der staat¬ 
lichen Ueberwachung ein nahezu absoluter sei: heute kann davon 
keine Rede mehr sein. Manche haben daran gedacht, die an Sy¬ 
philis und den chronischen Formen des Trippers leidenden Pro¬ 


stituierten durch viele Jahre hindurch in Asylen unterzubringen und 
so aus dem Verkehr zu ziehen; ich halte das für eine Utopie. Aus 
der Natur der Sache heraus darf man an die staatliche Ueberwachung 
auch bei noch so sorgfältiger Durchführung nicht zu hohe Ansprüche 
stellen. Wenn ich mich gleichwohl für Beibehaltung der Ueber¬ 
wachung mit entsprechenden Reformen ausspreche, so bestimmen 
mich dazu drei Gründe; 1. der vor. Fournier so genannte Grand 
des gesunden Menschenverstandes, d. i. die Tatsache, 
dass bei dieser Untersuchung immer eine gewisse Anzahl von hoch¬ 
infektiösen Erkrankungsfällen festgestellt und zwangsweiser Behand¬ 
lung zugeführt werden kann; dass durch die Internierung der be¬ 
sonders gefährlichen Krankheitsformen eine ebensogrosse Anzahl von 
Infektionsquellen für den allgemeinen Verkehr unschädlich gemacht, 
und damit eine sehr erhebliche Anzahl von Infektionen, welche sonst 
stattgefunden hätten, unmöglich gemacht wird. 2. Der durch die 
kriminalistische Erfahrung täglich erhärtete tatsächliche Beweis, dass 
der zwingende Druck drohender diffamierender und die persön¬ 
liche Freiheit gefährdender Folgen oft auch in solchen Individuen 
heilsame repressive Motive zu erwecken im stände ist, denen 
es an edleren Gegenvorstellungen fehlt. 3) Scheint mir der Be¬ 
stand der staatlichen Ueberwachung auch in ihrem gegenwärtigen 
unvollkommenen Zustand erfreulich als ein Beweis dafür, dass we¬ 
nigstens in bestimmten Kreisen unserer Regierung das Bewusstsein 
der grossen Verantwortlichkeit, welches anderen Volkskrankheiten 
gegenüber in erfreulichster Weise sich kundgibt, auch gegenüber der 
Gefahr der Geschlechtskrankheiten noch nicht ganz erloschen ist. 

c) Die Zwangsbehandlung im Hospital. 

Es muss als selbstverständlich bezeichnet werden, dass ent¬ 
sprechend einer steigenden Zahl der zur Zwangsbehandlung über¬ 
wiesenen Prostituierten und Aufgegriffenen die Krankenhausabtei¬ 
lungen eine entsprechende Erweiterung erfahren. Diese Eventualität 
wird umsomehr zu erwarten sein, wenn jener grosse Missstand, 
welcher zur Zeit den Wert der Hospitalisierung der Prostituierten 
fast illusorisch macht, in Wegfall kommt, ich meine die A b - 
schubung Geschlechtskranker Dirnen in ihre Ge¬ 
meinden, auf Antrag der letzteren zum Zwecke der Ersparung der 
aus dieser Behandlung erwachsenden Kosten. Dieser unheilvolle 
Circulus vitiosus, Einweisung der kranken Dirne ins Hospital, Re- 
klamierung durch die Gemeinde, Abschubung nach dort, Rückkehr 
in eine grössere oder mittlere Stadt. Wiederverhaftung dort, Neu¬ 
einweisung in das Spital usf., muss dadurch vermieden werden, dass 
die betreffende Kranke nicht vor Beseitigung der infektiösen Sym¬ 
ptome aus dem Spital entlassen werden darf, und die Kosten der 
Behandlung unter allen Umständen von derjenigen Stadt, in deren 
Spital dieselbe eingewiesen wurde, übernommen wird. Es wäre 
eventuell allerdings auch zu überlegen, ob nicht auch der Staat diese 
Kosten tragen solle, und ist diese Frage unbedingt durch Aenderung 
der Heimatgesetzgebung prinzipiell zu regeln. Prinzipiell jedenfalls 
in dem Sinne, dass eine einmal eingewiesene, der Prostitution 
überwiesene geschlechtskranke Dirne nur dann aus dem Hospital ent¬ 
lassen resp. der Heimatgemeinde ausgeliefert werden darf, wenn 
die Behandlung abgeschlossen, und die genügende Garantie für 
Unterbringung in sachgemässe Aufsicht, Fürsorgeerziehung oder 
Zwangsaufsicht, je nach dem Falle gegeben erscheint. 

Im übrigen sind im Hospital die Kranken in erster Linie als 
Kranke und nicht als Gefangene zu behandeln, es Ist für Luft und 
Licht und entsprechende Ernährung zu sorgen, die Kranken sind 
human zu behandeln, und ist denselben der Aufenthalt, so weit als 
es sich mit der Aufrechterhaltung der Disziplin verträgt, angenehm zu 
gestalten. Im allgemeinen, Ausnahmen kommen gewiss vor, habe 
ich stets gefunden, dass die Prostituierten für ein wohlwollendes, 
humanes Entgegenkommen durchaus empfänglich sind, und dass die¬ 
selben ein solches auch zu verdienen trachten. Naturgemäss wird auch 
die notwendige Vergrösserung und Verbesserung der Krankenhaus¬ 
abteilungen. sowie die Aenderung der Heimatsgesetzgebuug in dem 
vorher erwähnten Sinne nicht ohne finanzielle Opfer zu erreichen sein. 

Nach allem, was ich bisher ausgeführt habe, ist wohl kaum zu 
bestreiten, dass das bisher übliche System keine nennenswerten Re¬ 
sultate aufweisen kann, dass die Polizeibehörden an vielen Orten sich 
durch den Zwang der Verhältnisse genötigt glaubten, die polizeiliche 
Ueberwachung in einer Weise zu ordnen, welche teils das Gesetz um¬ 
geht, teils demselben direkt widerspricht, und dass durch solche Modi¬ 
fikationen wenigstens relativ bessere Resultate erzielt werden 
können, dass man aber jedenfalls in Verwaltungskrcisen wenig ge¬ 
neigt ist, die ganze polizeilich-sanitäre Ueberwachung nach dem 
Wunsche der Abolitionistcn oder aus sog. moralischen Erwägungen 
gänzlich aufzugeben. 

Die erhebliche Rcformbediirttigkeit dieses Systems wird wohl 
auch von den entschiedensten Anhängern desselben nicht bestritten, 
und bedürfen wir vor allem dringend der bereits erwähnten Aende- 
rungen der Gesetzgebung. Wenn auch schon heute an vielen Orten 
Rctormversuche eingesetzt haben (Polizeiassistentin, unentgeltliche 
Privatbehandlung besserungsfähiger, jugendlicher Anfängerinnen, 
überwiegend humanitär-sanitäre Massnahmen gegenüber den wesent¬ 
lich disziplinären Mitteln, Zusammenwirken mit dem humanen Besse- 


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1890 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


rungswerk charitativer Vereinigungen, Fürsorgeerziehung u. a.), bleibt 
doch noch viel zu tun übrig. 

Ich bin der Ueberzeugung. dass mit den von mir in Ueberein- 
stimmung mit zahlreichen Fachkollegen geforderten Reformen, welche 
aber nur auf der Basis einer klaren und durchdachten, am besten 
speziellen Prostitutionsgesetzgebung zu erreichen sind, ein gewisses 
Mass von Besserung gegeben sein wird, ich vcrschliesse mich aber 
nicht der Erkenntnis, dass dieses Mass der Besserung wahrscheinlich 
trotz alledem nur ein kleines sein wird. Aber auch ein bescheidener 
Nutzen ist in einer für das Wohl der Nation so wichtigen Sache 
nicht zu verachten, wenn man auch schliesslich, wie H a m m e r sich 
ausdrückt, „in Qottes Namen auf ein ideales Resultat verzichten 
muss“. Können doch alle Massregeln, welche von Menschen ge¬ 
troffen werden, nur bis zu einem gewissen Punkte der Genauigkeit 
durchgeführt werden; darüber hinaus wachsen die Schwierigkeiten, 
so dass man Genügsamkeit lernen muss (H a m rn e r). 

Die umfangreichen Reformprojekte, wie sic von Neisser (mit 
dem ich am meisten iibercinstimme). von besser, B 1 a s c h k o, 
Lupine ti. a. ausgearbeitet wurden, finden ihre Grenzen praktischer 
Durchführbarkeit und dürften wegen der grossen finanziellen Opfer 
die massgebenden Faktoren kaum dafür in allen Details zu ge¬ 
winnen sein. 

Für welche Reformpläne aber auch immer man sich 
entscheiden mag. ein Punkt erscheint mir für jeden Fall 
von grosser Wichtigkeit: die für verschiedene grössere und 
kleinere Gemeinwesen zu wählende Form staatlicher Ueber- 
wachung ist nach örtlichen Verhältnissen ver¬ 
schieden zu gestalten; es ist daher bei einer Aemlerung der Gesetz¬ 
gebung darauf Rücksicht zu nehmen, dass hinsichtlich des zu wählen¬ 
den Systems der Ucberwachung den Verwaltungsbehörden ein e e - 
wisser Spielraum bleibt. Dieses gilt insbesondere hinsichtlich 
der T o 1 e r a n z h ä u s c r, welche sich an vielen Orten als das ent¬ 
schieden geringere Uebel erwiesen haben. Wenn man davon absieht, 
dass die Prostitution an sich ein Missstand ist, lassen sich bei strenger 
staatlicher Aufsicht nahezu alle denselben zugeschriebenen Nach¬ 
teile vermeiden; und ich bin der Meinung, dass dieses System in 
grösseren Mittelstädten. w'enn auch in illegaler Weise relativ be¬ 
friedigend fungiert. Je grösser aber ein Gemeinwesen ist. desto 
schwieriger gestaltet sich die Aufgabe, den grössten Teil der Pro¬ 
stitution unter die staatliche Kontrolle zu zwingen, und der sanitäre 
Wert der letzteren wird in den grossen Welt- und Riesenstädten 
immer nur ein relativ geringer sein. Ideale Gesundheitsverhältnisse 
sind mit dem Begriffe Prostitution unvereinbar. Soviel aber lässt sich 
doch mit einer grossen Sicherheit behaupten, dass man eine wesent¬ 
lich höhere Gefahr läuft, sich bei einem der geheimen Prostitution 
angehörigen Mädchen zu infizieren, als dieses der Fall ist bei einer 
der staatlichen Ueberwachung unterstellten Prostituierten. Ich kann 
mich darum auch nicht leichten Herzens cntschliessen. auf jede 
staatliche Ueberw’achung der Prostitution zu verzichten, so sehr ich 
auch davon überzeugt bin, dass diese Ueberwachung reformbedürftig 
ist. Aber diese Reformen sind bei gutem Willen möglich und durch¬ 
führbar. Im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten stellt die staat¬ 
liche Ueberw'achung der Prostitution immerhin eine Waffe dar. deren 
Wirksamkeit nach örtlichen Verhältnissen freilich verschieden ist. 
Ohne daran übertriebene Hoffnungen zu knüpfen halte ich doch da¬ 
für. dass wir uns derselben nicht entäussern sollten. Denn die Fr- 
fahrungen der Vergangenheit, in welcher man wiederholt veracht 
hat. auf diesen Apparat zu verzichten, um immer wieder darauf zu- 
rückzukommen. und insbesondere ein Urberblick über irne I ander, 
in welchen man zu einer völligen Aufhebung der staatlichen IVber- 
wachung gekommen ist. oder wo überhaupt niemals eine eleich- 
mässige staatliche Kontrolle bestanden hat (wie England), sind nicht 
sehr ermutigend. 

Was zunächst England betrifft, so kann die für 22 Jahre in 
M Garnisonsorten eingerichtete Prostitniertenkontrolle (IS04 1*sM 
kaum in Betracht kommen. Die absolute Wertlosigkeit der ans 
diesem Versuch gewonnenen Schlussfolgerungen haben Bett mann 
u. a. überzeugend nachgewiesen. Wer aber die S t e a d sehen Ent¬ 
hüllungen kennt und w'eiss. wie es in Londoner Bordellen zugeht, 
wer die Londoner Strasscnprostitution und ihr Treiben mit eigenen 
Augen geschaut hat. wird gewiss weit entfernt sein, die dortigen, 
jeder .staatlichen Aufsicht entbehrenden Verhältnisse als nachahmens¬ 
wert zu bezeichnen, und ich glaube keinen ernsten Widerspruch be¬ 
fürchten zu müssen, wenn ich behaupte. Frau Josefine Butler hätte 
eine dankbarere und wichtigere Aufgabe darin erblicken müssen, 
gegen diese Gräuel in ihrem eigenen Vaterlande zu kämpfen, statt 
die Frauen und Frauenvereine des Kontinents im abolitionistischem 
Sinne zu mobilisieren. 

In Italien ist der Zustand nach Aufhebung der von C a v o u r 
gegebenen Reglementierung einer Aufgabe der staatlichen Pcbcr- 
w'aehung nahezu gleich zu erachten. Nach den Mitteilungen hervor- 
ragender Aerzte (Scarcnzio. de A rn i c i s, T o m rn a s o I i) ist 
wohl eine sichere lokale Verschlimmerung der sanitären Verhältnisse 
an zu nehmen. Anderseits hält S a n t o 1 i q u i d o, der gegenwärtige 
Gcncralinspcktor des italienischen Sanitätswesens, den gegenwärtigen 
Zustand fiir einen Fortschritt. Ein solcher ist auch zweifellos zu er¬ 
blicken in der Errichtung zahlreicher Dispcnsari ccltici 


mit unentgeltlicher Behandlung und Arzneiabgabe und in der un¬ 
entgeltlichen S p i t a I b e h a n d I u n g. Dabei besteht aber 
eine ausgedehnte und oft aufdringliche Strassenprostitution. und zwar 
neben den überall behördlicher Ueberwachung unterstellten Bordelien. 
Unter diesen Umständen scheinen mir die Mitteilungen der oben¬ 
genannten Aerzte über ihre örtlich gewonnenen Erfahrungen von 
hollerem Werte, als die auf sehr iragw urdige Matisliken gestutzten 
offiziellen Versicherungen des Vertreters der italienischen Regiciung. 

In Dänemark besteht zurzeit keine übereinstimmende Be¬ 
handlung der staatlichen Aufsicht m den verschiedenen Orten. Doch 
sind die Bordelle seit kurzer Zeit aufgehoben. Es ist mir nicht be¬ 
kannt. ob die in steter Zunahme begriffene a 1 v<*1 tti<uustische Richtung 
zur völligen Aufgabe der staatlichen Leberw acliung geführt hat. Man 
ist bestrebt, eine Art l'eherw achung als eine wesentlich humanitäre 
und sanitäre Massregel in den Spitalern emztifuhren und plädiert 
vielfach fiir die Aii/eigeptlicht der Aerzte im habe venerischer Er¬ 
krankungen (wie diese in Norwegen bestellt). Die Aufnahme ms 
Hospital und Behandlung steht iedem Geschlechtskranken unentgelt¬ 
lich zur Verfügung, und diese Behandlung und die dort gewahrte 
Verpflegung stellen auf hoher Stufe. Gleichwohl hänfen sich die 
Schwierigkeiten, welchen die Ausführung der bestehenden Bestim¬ 
mungen in Dänemark begegnen, und es scheint die Absicht zu be¬ 
stehen, die Reste polizeilicher Reglementierung ganz zu beseitigen. 
Aus den Mitteilungen (iiersings geht Wohl hervor, dass Kopen¬ 
hagen stark verseucht ist. wahrend die kleineren Landstädte und 
insbesondere das platte Land, erstere teils mit. teils ohne Aufsicht, 
verhältnismässig w enig S\ plii 1 isjnfe ktlorieri atifw eisen. Trotzdem 
teile ich die Ansicht (iiersings nicht, dass sich ans dem von ihm 
mit grossem Eleisse zusammengetragenen Material der absolute Be¬ 
weis des Unwerts jeder staatlichen Aufsicht folgern lasst. Jeden¬ 
falls wird man gut tun, abzuwarten, wie die Verhältnisse sich weiter 
entwickeln werden. 

Am meisten Belehrung können wir fiir die Beurteilung des Wer¬ 
tes einer voligen Abschaffung der Staat!.dien l Vw: w a Jnmg ge¬ 
winnen aus einer Betrachtung der norwegischen Verhältnisse (Ham¬ 
mer). Norwegen ist das Land, in weichem sich die abohtio- 
mstischen Ideen völlig durchgeset/t haben. Die gewerbliche l nzucht 
ist in Norwegen völlig straffrei. Ls ist kein Wunder, dass sich unter 
diesen Verhältnissen, da natürlich auch keine Bordelle geduldet sind, 
die Strassenprostitution in ChriMiania in unangenehmster Weise fäll¬ 
bar macht. Dagegen bestellt nicht nur Anzeigepflicht der Aerzte für 
jeden Eall geschlechtlicher Erkrankung. Sondern der Arzt Soll midi 
die Ansteckmigsquelle eruieren mul auch diese zur Anzeige bringen. 
Die denunzierte Persönlichkeit, sei es Mann oder Iran, wird von 
«■ler Samtätskouimission untersucht und. wenn krank befunden, cv. 
ins Hospital verwiesen. Gesetzlich Kami jeder ball von Geschlechts¬ 
krankheit ins Hospital verwiesen werden. Dass unter solchen Um¬ 
ständen alle Geschlechtskranken sich ärztlich behandeln lassen, darf 
biglich bezweifelt werden. Und bei a'lem Respekt vor der Zuver¬ 
lässigkeit und Treue des nordischen Yolkscharakters mochte doch 
sehr zu bezweifeln sein ob alle aut diesem Wege erfolgenden De¬ 
nunziationen gerecht und der Wahrheit entsprechend sind. Lur Rach¬ 
sucht. Bosheit und Erpressertum ist eine solche Gesetzgebung ein 
allzugünstiger Boden, und wer in Norwegen einmal das Opfer einer 
falschen Anzeige geworden ist uu:! vor du* Sumtatskommissjon einmal 
zur Untersuchung zitiert wurde, wird wohl kaum mit einem Solchen 
System zufrieden sein. Endlich ist es doch wohl selbst in einem 
So demokratischen Staat kaum ganz sicher, dass alle diese schärfsten 
Massnahmen wirklich gleiclmiimsig bis in die höheren und höchsten 
Stände durchgetiihrt werden (Hammer). Die Ih mm:. FK handlang 
ist wie in Dänemark fiir jeden Geschlechtskranken frei. Und was ist 
das Resultat: Die Zahl der erkrankten Prostituierten hat sich ver¬ 
mindert, die der kranken Dienstmädchen um! Arbeiterinnen ver¬ 
mehrt. Die Ignorierung der Prostitution nach nbohtionisT-tsjk n Ideen 
bietet also zum mindesten keinen Vorteil, eme Verbesserung des allge¬ 
meinen Gesundheitszustandes hat sicher nicht stattgefunden, die 
öffentliche Moral hat ganz gewiss nichts gewonnen und man 
plädiert dort eitrigst f ii r die W i e d e r e i n r i c h t u n g 
der s t a a t 1 i c h e n U e b e r w a c h u n g. 

Vestigia terrent. Die äi/tliehe An/e genf.i cht mul d e damit 
verbundene E'orschung nach den Irfektn• nviudlcn und deren De¬ 
nunziation zur Aufgabe der Aerzte zu machen, das c r sche.nt mir 
nicht mir an sich als ein ungeheuerlicher. S"r\!an muh als ein in 
höchsten Masse zweckwidriger Gedanke’. Damit kann w old nur 
das Kurpfuschertum mul die Verheimlichung. Unwahrheit mul Luge 
gezüchtet werden. Die Verhältnisse j n .allen ehesty Landern sind 
wenig geeignet, unserer. Neid mlcr unsere Be vv unde'umg zu erwecken 
und zur Nachahmung aufzutordern. Gerade Norwegen zeigt uns den 
völligen Bankerott der abohHnnistisv heil Ideen in klarier W erne. 

Der Gedanke, dass von der Aufhebung der staatlichen Ueber- 
waclmng eine Hebung des moralischen Niveaus unserer (in-ssstadt- 
bevolkerung zu erwarten sei. ist ein Irrtum. In umgekehrter Richtung 
zu arbeiten erscheint mir nützlicher Man versuche mit ;ueii Mitteln 
der Erziehung und Belehrung das Verantwt'i chkeitsgeL.iii und das 
moralische Niv eau der heranw achsenden m\! künftig?, n Generation zu 
heben. Man sorge für unentgeltliche Behandlung in lloyv Ii(c rn. p,,|j_ 
Kliniken und durch private Aerzte, aber nicht durch unward;ge und 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


8. September 1908. 


MUENCHENBR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1891 


bettelhafte Inanspruchnahme der Arbeitskräfte der Aerzte, sondern 
auf Kosten der Allgemeinheit, d. i. des Staates, man sorge für die 
Unehelichen, man berücksichtige die Wohnungsfrage, man fördere die 
Antialkoholbewegung. Mit solchen Mitteln zu arbeiten bedeutet frei¬ 
lich einen langen Weg. Insolange hier nur ein teilweiser und lang¬ 
samer Fortschritt gezeitigt wird, kann man, glaube ich, auf die staat¬ 
liche Ueberwachung nicht ganz verzichten. Allmählig wird vielleicht 
eine Zeit kommen, die wir gewiss nicht erleben werden, in der die 
Nachfrage und das Angebot der Prostitution abnehmen; heute schon 
mit solchen Erfolgen zu rechnen erscheint aber phantastisch. Den, 
wenn auch noch so bescheidenen Nutzen der staatlichen Ueber¬ 
wachung in einer für die Gesundheit unserer Nachkommen und für 
das Wohl unserer Nation so wichtigen Sache sollten wir nicht unter¬ 
schätzen! Auf dem Brüsseler Kongresse sagte ein Franzose: ..Lassen 
Sie die Reglementierung sterben, aber töten Sie sie nicht!“ Ich 
möchte sagen: „Man lasse die Staatsaufsicht bestehen, aber man 
reformiere dieselbe gründlich!“ 

Aus meinen Ausführungen war wohl zur Genüge zu entnehmen, 
dass ich mit den zur Zeit bestehenden Normen der staatlichen Ueber¬ 
wachung und mit dem Stande der Gesetzgebung in keiner Weise 
zufrieden bin. Ja ich halte den gegenwärtigen Zustand der Dinge 
für so wenig der Sachlage entsprechend, dass man mich fälschlicher 
Weise sogar für den Abolitionismus in Anspruch genommen hat. 
Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass eine 
staatliche Prostitutionsaufsicht, auch wenn sie mög¬ 
lichst gut reformiert ist, in dem Kampfe gegen die Geschlechts¬ 
krankheiten das einzige, vielleicht auch gar nicht einmal das 
wichtigste Mittel darstellt. Dazu gibt es noch eine grosse Menge 
voa Wegen, von denen einige in kürzerer, andere in längerer Zeit 
dem gleichen Ziele zuführen werden. 

Vor allem aber erscheint es notwendig, dass die Staatsregierung 
in ihren verschiedenen Ressorts in gemeinsamer 
Beratung und aus gleichartigen Gesichtspunkten, 
nicht in bureaukratisch kleinlicher Weise, an die im nationalen In¬ 
teresse des Schutzes unserer Jugend so wichtige Frage herantritt. 

Insolange bei uns der Minister des Innern nach unentgeltlicher 
Behandlung der .Geschlechtskranken schreit, der Herr Kultusminister 
dagegen für die diesem Zwecke dienenden Institute nichts oder doch 
nicht viel übrig hat. insolange jene Vereinigung alter Herren, welche 
sich im obersten Schulrate mehr weniger um unsere Jugend verdient 
machen, für eine einschlägige Belehrung der Abiturienten unserer 
Mittelschulen sich nicht erwärmen kann, insolange im Bereiche der 
Rechtspflege der Verkauf von Schutzmitteln zur Verhütung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten als grober Unfug oder Vergehen gegen die Sitt¬ 
lichkeit unter Strafe fällt, insolange m. H. darf man leider behaupten, 
dass von Seiten des Staates der Kampf gegen die Geschlechtskrank¬ 
heiten nicht in seiner vollen Bedeutung aufgenommen, ia die Ge¬ 
schlechtskrankheiten selbst in ihrer ganzen Schwere und Wichtig¬ 
keit nicht erkannt sind. 

Ich möchte nicht schliessen m. H., ohne der Ueberzeugung Aus¬ 
druck gegeben zu haben, dass unsere Polizeibehörden im grossen 
und ganzen und im Rahmen der Möglichkeit für die Gesundheit der 
Bevölkerung arbeiten, und ich bin sicher, dass wenn jemals eine 
Zeit kommen sollte, in welcher sich durch den Fortschritt der kul¬ 
turellen Entwicklung die staatliche Ueberwachung der Prostitution 
als überflüssig erweisen sollte, niemand davon freudiger berührt sein 
wird, als unsere Polizeibehörden, welche an dieser undankbaren und 
an hässlichen Nebenumständen überreichen Aufgabe gewiss niemals 
mit besonderer Vorliebe gehangen haben. Eine Hoffnung auf einen 
baldigen Eintritt dieses Zeitpunktes hege ich allerdings nicht. 

Literatur: 

Ne iss er: Nach welcher Richtung lässt sich die Reglemen¬ 
tierung der Prostitution reformieren. Leipzig 1903. Zeitschr. zur 
Bek. d. Geschlechtskrankheiten, Bd. I, No. 3. — Hammer: Die 
Reglementierung der Prostitution. Zeitschr. z. Bek. d. Geschlechts¬ 
krankheiten, Bd. III, 10 und 11. — Gü th Dr. med.: Prostitutionspolitik 
und Sittenpolizei. Zeitschr. z. Bek. d. Geschlechtskrankheiten. Bd. 
VIII, 2 u. 3. — Giersing: Die venerischen Krankheiten in Däne¬ 
mark. Revue de morale progressive 1889. — Bettmann, Prof.: 
Die ärztliche Ueberwachung der Prostituierten. Jena 1905. Verlag 
von G. Fischer. — Blaschko A.: Syphilis und Prostitution 
vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege. Berlin 1893. — 
Tarnowsky: Prostitution und Abolitionismus. L. Voss, Hamburg 
und Leipzig 1890. — Ströhmberg: Die Prostitution. Stuttgart 
1899. — Ko pp: Die Prophylaxe der venerischen Erkrankungen. 
Handb. d. Therapie von Pentzoldt und Stintzing. Jena 1903. 
G. Fischer. 


Referate und Bacheranzeigen. 

Ramon y Cajal: Studien über Nervenregeneration. 

Uebersetzt von J. Br es ler. Leipzig 1908. 196 Seiten, 

60 Abbildungen im Text. Preis 7.60 M. 

Das Werk hat vorwiegend eine kritische Richtung und 
unternimmt es an der Hand zahlreicher neuer Experimente 
besonders an >ungen Tieren, den Ablauf und den Mechanismus 
der Neurotisierung der unterbrochenen Nerven zu erörtern. 
Der Akt nach Unterbrechung der Nerven ist ein doppelter: 
1. die Leistung der Schwann sehen Zellen, sie hat zum un¬ 
mittelbaren Zweck Destruktion und Resorption des nekroti- 
sierten Axons und Marks und die Bahnung des Weges für die 
neuen Fasern, 2. die Tätigkeit des zentralen axialen Stumpfes, 
die in der Ergänzung und Verzweigung neuer „embryonärer“ 
Bahnen besteht. Die Wiederherstellung der anatomisch¬ 
physiologischen Kontinuität der Nervenbahn erfolgt also vom 
zentralen Ende aus. Der zweite Prozess folgt dem ersten 
unmittelbar nach. Die Studien verfolgen besonders genau 
die an den Fibrillen speziell vor sich gehenden regenerativen 
Veränderungen, Ausgänge, Teilungen und Kolbenbildungen, 
wie die neueren Studien betr. die Anatomie und Pathologie der 
Fibrillen uns mehrfach sie gezeigt haben. Die Abbildungen 
sind sehr instruktiv. 

Cajal denkt sich den Vorgang des Auswachsens im 
Wesentlichen als einen solchen chemotaktischer Art. Kritisch 
werden die neueren Ein wände gegen die Neuronenlehre dis¬ 
kutiert: die physiologische Individualität des Neurons besteht 
für C. und zwar soweit, als seine spezifische Tätigkeit in Frage 
kommt, d. h. soweit es zur Ergänzung und Verbreitung des 
Nervenimpulses Beziehung hat. Die Phänomene der Ernährung 
und Vegetation, Auftreten, Form und Wachstum der Fortsätze 
sind der regulierenden Tätigkeit von Zellsatelliten, nach Art 
einer Symbiose, untergeordnet. Diese geraten in Funktion, 
wenn jenes destruiert wird. Die von den Schwann sehen 
Zellen abgesonderten Locksubstanzen befördern Wachstum 
und Neubildung der Fasern. Diese Hypothese strebt folgende 
drei Prozesse unter ein Gesetz zu bringen: Embryonalent¬ 
wicklung der Fortsätze, morphologische Transformation des 
fertigen Neurons und Regeneration. Cajal fixiert also von 
Neuem seinen monogenistischen Standpunkt; Anhänger wie 
Gegner seiner Lehre werden das Buch mit Interesse lesen, es 
ist immer interessant, wenn edn so namhafter Forscher den 
Stand einer Frage, an der er so persönlich beteiligt ist. kritisch 
beleuchtet. B r e s 1 e r hat sich abermals durch die fliessende 
Uebersetzung des Werkes ein Verdienst erworben. 

H. V o g t - Frankfurt a. M. 

E. V1111 n g e r: Die periphere Innervation. Mit 18 Figuren 
im Text. Verlag: Wilhelm Engelmann, Leipzig 1908. 
Preis gebunden 3.60 M. 

Uebersichtliche Darstellung des Ursprunges, des Verlaufes 
und der Ausbreitung der Hirn- und Rückenmarksnerven. Die 
schwierigen Verhältnisse der Verbindung der einzelnen Gehirn¬ 
nerven untereinander mittelst der verschiedenen Nervi petrosi, 
der Chorda tympani, des Plexus Jakobsoni und anderer 
Schrecken der Examenskandidaten sind, soweit dies möglich, 
klar auseinandergesetzt. Leider stehen unsere Kenntnisse über 
die Funktion dieser Bahnen und der dazu gehörigen Ganglien 
nicht auf derselben Höhe, wie die makroskopisch anatomischen 
Forschungen. 

Auch die Anordnung der peripherischen Nerven, die zuge¬ 
hörigen Muskel- und Hautgebiete, die Durchmischung der 
Fasern in den Plexus und ihr Ursprung in den verschiedenen 
Segmenten des Rückenmarkes werden eingehender, wenn ich 
so sagen darf, liebevoller behandelt als dies in den gebräuch¬ 
lichen Lehrbüchern geschieht. Die Berücksichtigung wichtiger 
pathologischer Verhältnisse lässt das Studium nicht zu-trocken 
werden. Wenn das Büchlein auch keine eigenen Forschungen 
enthält, so sind doch alle neuen Arbeiten so z. B. die über die 
Anordnung der Ganglienzellengruppen für die einzelnen Mus¬ 
keln in den Vordersäulen des Rückenmarkes berücksichtigt. 
Kurz, die vorliegende Darstellung des peripherischen Nerven¬ 
systems kann als Nachschlagebuch und als Repetitorium warm 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1892 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Na 36. 


empfohlen werden. Und welcher Arzt bedürfte nicht von Zeit 
zu Zeit einer Repetition der Nervenanatomie? Ist doch deren 
Kenntnis für das Verständnis von tagtäglich in der Praxis vor- 
kommenden Fällen unentbehrlich. L. R. Müller. 

Zwei Jahre Chirurgie, 1905 und 1906. Bericht aus der 
chirurgischen Privatklinik von Dr. Kr ecke in München. 
München 1908. 

Zu den Jahresberichten, die ungemein viel Lehrreiches 
und Anregendes bieten und in fesselnder Weise über ein grosses 
und vielseitiges chirurgisches Material berichten, gehören zwei¬ 
fellos die Berichte aus der K r e c k e sehen Privatklinik. Per 
vorliegende Bericht über 1905 6 referiert über 5491 Pat., davon 
606 klinisch aufgenommene Fälle und 1171 Operationen. Kr. 
bespricht zunächst die Asepsis und das von ihm schon seit 
Jahren gepflegte möglichst „fingerlose“ Operieren ((iebrauch 
von M u z e u x sehen Zangen zum Halten, Benützung der Kropf¬ 
sonde etc. zum Ausschälen), er verwirft den (iebrauch der 
Zwirnhandschuhe als unzuverlässig und bei oftem Wechseln als 
unbequem und zieht die Gummihandschuhe vor. Bad und Ra¬ 
sieren etc erfolgt am Tag vor der Operation, Stunde vor 
derselben gründliches Abseifen etc. Der Operateur desinfiziert 
sich durch 15 Minuten langes Abwaschen und Bürsten mit 
möglichst heiss cm Wasser und Seife und 2 Minuten langes 
Abreiben der Haut mit 70 proz. Alkohol. Drains werden nur 
bei Höhlenwunden benützt, bei Bruchoperationen etc. nicht. 
Bezüglich der Narkose wird die Aethernarkose vorgezogen, da 
sie im Gegensatz zu Chloroform jede Schädigung des Herzens 
vermeidet, nur wenn die Aethertropfmethode nicht zum Ziel 
führt, wird kleine Chloroformdosis zugefügt (am besten nach 
Beginn des Exzitationsstadiums) wobei selten mehr als 2 5 g 
nötig werden. Der Aetherrausch wird von Kr. viel angewandt, 
der Bromäther dagegen auffallenderweise nicht befürwortet. 
Bezüglich des Skopolamins rät Kr. sehr zur Vorsicht, nachdem 
er einmal tödliche Parmlähnnmg (nach Rektumexstirpation), 
einmal tödliche Nephritis danach beobachtete. Die Chloroform- 
narkose wird bei Erwachsenen nur ausnahmsweise angewandt, 
sie hat als Tropfnarkose ihre Berechtigung vor allem im Kindes¬ 
alter (A —lg in der Minute). Auch die lokale Anästhesie 
möchte Kr. nicht missen und leistet besonders bei der Tracheo¬ 
tomie z. B. die Infiltrationsnarkose gute Dienste, während Kr. 
bei Strumaoperationen Narkose vorzieht; bei allen entzünd¬ 
lichen Erkrankungen wird fast ausschliesslich der Aetherrausch 
angewandt. Wo die Anwendung des Aethers sich verbietet, 
wird bei Operation am Leib oder der unteren Extremitäten die 
Lumbalanästhesie angewandt Baum berichtet des näheren 
über die ca 100 Fälle von Lumbalanästhesie (anfänglich mit 
Stovain, neuerlich mit Tropakokain) und über die neueren 
Aenderungen in der Technik, die störenden Nacherscheinungen 
(Kopfweh und Uebelkeit) sind der grösste und bis zu einem 
bestimmten Grad nicht auszumerzende Nachteil der Lumbal¬ 
anästhesie. Bei alten heruntergekommenen Patienten und 
solchen mit Herz- oder Lungenaffektionen wird die Lumbal¬ 
anästhesie mit grossem Vorteil angew andt, zumal bei Mangel 
an Personal (auf dem Lande und in Kriegszeiten). Eine Reihe 
praktischer Winke enthält das wichtige Kapitel über Früh¬ 
diagnose und Frühoperation, das besonders auf Bauchver¬ 
letzungen, Perforation des Magen- und Darmkanals. Magen- 
und Darmkarzinom, Appendizitis und Gallensteinerkrankungen 
nähereingeht; bezüglich der letzteren betont K., dass die Mehr¬ 
zahl ohne Ikterus verläuft, viele Fälle auch nicht den typischen 
Kolikanfall zeigen. Von der Stauungsbehandlung sah Kr. im 
wesentlichen günstige Resultate und empfiehlt sie auch bei am¬ 
bulatorischen Pat. wärmstens. In dem Kapitel über Röntgen¬ 
behandlung bestätigt Kr. die ausgezeichneten Erfolge bei Ulcus 
rodens (von 10 sind 8 vollkommen geheilt geblieben). Bei tief¬ 
liegenden Karzinomen ist die Röntgenbehandlung in der Regel 
aussichtslos, nur bei inoperablen rumoren hält Kr. einen Ver¬ 
such damit für angezeigt. Die Röntgenbehandlung des Kropfes 
verspricht nach Kr. keinen Erfolg, bei Prostatahypertrophie er¬ 
zielte er günstige Erfolge damit. Das grosse Material w ird 
in übersichtlicher topographischer Einteilung dargestellt, ein¬ 
zelne interessante Krankengeschichten näher angeführt, einzelne 
Befunde in Abbildung und schematischen Skizzen vorgcfiihrt. 


spez. seien hier nur die 55 Strumen, bei denen auch Kr. bezüg¬ 
lich der Diagnose der TrachealveränJerungen grosses Gewicht 
auf die Rontgenogramme legt und im wesentlichen die Ko¬ 
cher sehe Operatiousmethode aiiMiihrt. die Narkose aber hier¬ 
bei nicht verwirft, von den BauJicrkraiikungen besonders d.e 
intraabdominelle Netztorsion (2 Faile, die Besprechung des 
Magengeschwürs und seiner Folgezustande, der Darmkarzi¬ 
nome (7 Fälle mit 3 Radikal- und 2 Palliativoperationen) und 
vor allem das von Kr. schon m seinen früheren Berichten so 
geforderte Gebiet der Appendizitis hervorgehoben, worin Kr. 
die Unterscheidung speziell der einfachen und destruktiven 
Form betont, Wesen und Symptome der Erkrankung bespricht 
und u. a. spez. häufiges Erbrechen als ein höchst verdächtiges 
Symptom hinstellt, auch spez. Durchfall (Darmkatarrh) als han¬ 
tiges Symptom hervorhebt unJ jedem Praktiker wichtige An¬ 
haltspunkte an die Hand gibt. Kr. betont die Bedeutung der 
schmerzhaften BauJideckenspannung. d.e nicht mit Jein appeii- 
dizitischen Tumor für gleichbedeutend gehalten werden darf und 
das Verhalten des Pulses, der in der Regel einen guten Grad¬ 
messer für die Schwere der Appendizitis bildet. Sne/iell die 
Symptome der beginnenden Peritonitis (die Zunahme der 
Bauchdeckenspannung, das Verschwinden der Leberdampfwng) 
die bei der destruktiven Appendizitis ganz allmählich liervor- 
treten. finden eingehende E rörterung, ebenso d e l ’ifferential- 
diagnose (von Netztorsion. (ialleiistclftkoük, Pyelonephritis, he¬ 
mmender Pneumonie), wobei u. a. einige d.agnostischc Irr¬ 
tu 111 e- r besonders hervorgehoben werden. 

Im allgemeinen befurw ortet k r. vv arm die Erulu 'peratiou und 
bei appendizitischem Abs/ess labgesehen v on 3 Aiiviiahtnefailen. 
hohes Alter, beträchtliche Grosse des Abszesses und ungünstige 
äussere Verhältnisse) in jedem Fall atidi die gleichzeitige Ent¬ 
fernung der Appendix sowohl im IutermeJiarstaJ.um als Spat- 
stadium (nach dem 5. dag). Kr. Schäden genauer seine 
Technik, er bevorzugt die SJnJitn.iht der BauJidccken imt 
versenkten Seideimahteii. Von Pat. mit destruktiver Appen¬ 
dizitis (inkl. Peritomtisfaile) verlor Kr. 11. von t>2 wegen chro¬ 
nischer Appendizitis operierten 1 an Da rml.-hmung und 1 an 
Sklerose der Koronararterien, muh Kr.s Erf.dr mgen soll mm 
mit der Interv all* peratiou bei ahnen Individuen, zum i! wenn 
es sieb voraussichtlich um Losung uimgeJeh; tvr \ervv uh- 
simgen handelt, recht zurückhaltend sein. l > G.dlensmm- 
operationen geben Kr. Anlass, aut d.e Indikata-n zur Operamm 
bei Cholezystitis etc., die ledm.k der Ojvratmn e’c. nÄr 
einzugelieii. Von 13 Mustdarm.kurzmomeu der Bericht^ ihre 
war IM mal noch radikale Operation möglich. Bezug!,di Patier- 
heiliingen sind die Erfahrungen allerdmgs unguust.g (von 3«> 
Ins 19(14 von Kr. operierten M,|i#därmk..r/: 11 omen leNn nur 2 
rezidivfrei). Im allgemeinen ist Kr. dem sakralen \erf.i!i r en 
treu geblieben, nur I mal musste er das abdominelle zu 11 fc 
11e 11111e1 1 . 4 Blascnsieine wurden Jurdi die Eitlmtrips e be¬ 
seitigt, 3 Blasentumoren durch die Sectio ui tu und Exsfrp.it;« ui 
der Tumoren Bei gutartigen Bi.mentmm ren knuMutiert Kr. d z 
Indikation zur Operation nur dann, wenn smikere Blutungen 
oder Rei/ersdieinuugen bestellet!* Non den Vermerk ran- 
klingen werden 3 Balle von Ncbeinm renn Jenem. 0 Fade von 
Niereiituberkiilose, 1 von Steinmcre (d.e als I:coZ"eka’inber- 
kuI* se impojijvrfe) naht r lm’cetebt. 

Non (>(> in den BeFkhtsi.dir-an operierten Ikunitn. 52 Lei- 
stenhriichen. 2 Schenket!'! udtell, 1-’ Nabel- und Bauchbr uchen 
verlor Kr. 4. 2 nach Radikaioper.<m n des Eeisteiibnuhes <1 an 
I .imgeiiembolie. 1 unter piieiiiiinii^dn Brsdie.mmgen) a M e an¬ 
deren wurden geheilt. Kr. bevorzugt d.e B a s%|?4 1 sehe 
Methode und miresorhierharcs MaVrial, seit l 1 »>7 ist Kr. von 
Zwirn zu Seide übergegangen und n :t seinen Erfolgen sehr zn- 
frieden. Von den insgesamt -O fnsjien Br.ikfureu der Be¬ 
richtsjahre sei besonders eine (.»nertr.-.l,mr des I a.’us mit 
Luxation des hinteren * .-Stückes unJ b'-t ger lv\ pos mm (von 
K o c h e r Schein Resektienss v Imm a m) wueii der bisher noch 
nicht ausgefuhrten Art der T'ie; ip.e ’■ r zdi ben. Spez. 
für die Geleiikfiiberkulose (des k:m.i,s,’n -O S-zeiDmet Kr. die 
Staiiiingsbchandlung als die zurzeit K >v B. h m.E r 'gsmetho.de. 
Operative Eingriffe wurden K! itiv \. og.. • . .-noien (gr>*s- 

sere ()perationen nur 9 mal). 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1893 


Der ungemein lehrreiche Bericht kann allen Kollegen I 
wärmstens zur Lektüre empfohlen werden, die in der Einleitung 
von Kr. ausgesprochene Erwartung, dass die Darstellung der 
unbefriedigenden Resultate (wie er selbst aus den Misserfolgen 
am meisten gelernt) den Kollegen besonders willkommen sein 
wird, ist sicher zutreffend und speziell aus den Irrtiimern der 
Diagnose, die Kr. an verschiedenen Stellen besonders betont, 
wird jeder Leser wichtige Belehrung entnehmen können und 
dem Verf. für die Mitteilung seiner Erfahrungen Dank wissen. 

Schreiber. 

Mayer- Tübingen: Die beckenerweiternden Operationen. 

Mit 67 Abbildungen im Text. Berlin 1908, Verlag von 
S. Karger. Preis 8 M. 

Die mit einem Vorwort v. Rosthorns versehene Mono¬ 
graphie Mayers gibt nach einem ausführlichen, vieles Neue 
und Interessante bringenden historischen Teil eine sehr gründ¬ 
liche und zugleich kritische Darstellung der Symphysiotomie 
und Hebosteotomie unter eingehender Berücksichtigung der 
Literatur. 9 Fälle der Heidelberger Klinik unter v. Rost¬ 
hor n werden genauer geschildert. Zahlreiche eigene Ex¬ 
perimente über die Art der Knochenheilung werden mitgeteilt. 
Bcd dem lebhaften Interesse, das den beckenerweiternden Ope¬ 
rationen zur Zeit von allen Seiten entgegengebracht wird, ist 
die Mayer sehe Arbeit als ein zuverlässiger Führer in all den 
zahlreichen Einzelfragen, die sich an diese Operationen 
knüpfen, wärmstens zu begrüssen. Mayer hat sich durch 
diese mühevolle Arbeit ein wirkliches Verdienst erworben. 

B a i s c h. 

Czerny: Der Arzt als Erzieher. Leipzig und Wien 1908. 
2. Auflage, bei Franz D e n t i c k e. Preis 2 Mk. 

In der für den Verfasser charakteristischen Weise be¬ 
handelt Cz. auf Qrund eigener Erfahrung, unbekümmert um Ur¬ 
teil oder Vorurteil anderer Autoren, gelegentlich im scharfen 
Gegensatz zu viel verbreiteten Anschauungen, Erziehungs¬ 
fragen im Leben des Säuglings und Kindes. 

Dass im Jahr des Erscheinens bereits die zweite Auflage 
des Büchleins erscheint, ist ein gutes Zeichen für das Ver¬ 
ständnis der Eltern und Aerzte, denen es gilt. Cz.s bekannte 
Anschauung, dass die Erscheinungen der Schulübenbürdung auf 
dem neuropathischen Zustand der betr. Kinder beruhen, nur 
selten auf wirklich nachweisbarer Ueberbürdung, wird auch 
hier entwickelt und mit Geschick begründet 

Speziell die Erörterungen des schädigenden Einflusses ner¬ 
vöser Eltern und Erzieher auf die Psyche des Kindes, wie der 
Hinweis auf die Abhängigkeit psychischer Störungen von kör¬ 
perlichen Leiden, auf die Gefahren der Entwicklung des ein¬ 
zigen Kindes oder Benjam/ins werden die Zustimmung aller 
Sachverständigen finden. 

Die Anschauungen des Verfassers über die „leider nicht 
verbesserten Erziehungs- und ärztlichen Behandlungsmethoden“ 
(S. 102) als wachsende Ursache der Nervosität im Kindesalter 
dürften betreffs der Erziehungsmethoden in den Anstalten für 
Kinder im jugendlichen Alter nur mit Einschränkung gelten. 

Die Notwendigkeit der Charakterbildung durch Erziehung 
zur Ordnung und Unterordnung unter die Forderungen, welche 
aus dem Zusammenleben mit anderen sich ergeben, muss nach 
Cz. vor allem auch für das kranke, wie rekonvaleszente Kind 
stets beachtet werden. 

Eine Bereicherung mit Angaben zur Durchführung ärztlich- 
erzieherischer Massnahmen dürfte weiteren Auflagen Vorbe¬ 
halten sein, vielleicht auch ein Eingehen auf erzieherische Auf¬ 
gaben des Arztes bei Schwierigkeiten in der Nahrungsauf¬ 
nahme, des Einschlafens, der Gewöhnung an den Verkehr mit 
anderen Kindern, wie auf die ärztlichen Erziehungsmassnahmen 
im allgemeinen. Jedenfalls könnten sich viele Aerzte ihre 
Tätigkeit als Kinderarzt durch Empfehlung des Buches an die 
Eltern sehr erleichtern, ihren kleinen Kranken aber damit oft 
mehr nützen als durch einseitige „Behandlung“ — oder gar 
vielseitige! — von Erscheinungen, welche nicht im Kinde, son¬ 
dern in seiner Erziehung begründet sind. S i e g e r t - Köln. 


Corpus medlcorum graecorum. P h i I u m e n i, de venen- 
atis animalibus eorumque remediis. E Codice Vaticano primuni 
edidit Maximilianus Weltmann. Leipzig 1908. Teubner. 
71 Seiten, Lex. 8°. 

Die Inauguration des Corpus medicorum graecorum durch 
den hochverdienten W e 11 m a n n darf als ein günstiges Omen 
freudig begrüsst werden. 

Das Werk des Philumenos über giftige Tiere, das der 
tatkräftige Gelehrte in einem Kodex der vatikanischen Bücherei 
entdeckt hat, ist uns um so wertvoller, als wir über den Gegen¬ 
stand ausser dem Pseudo-Dioscurides und der poeti¬ 
schen Bearbeitung des Nicander wenig aus der alten Zeit 
besitzen. Wir wissen, dass ein Philumenos im 12. Buche 
des A e t i u s als Gynäkolog oft angeführt wird, auch dass 
Puschmann uns lateinische Fragmente eines gleichnamigen 
Arztes geschenkt hat, und dass die neuesten Forscher an der 
Identität der Autoren nicht zweifeln. 

Ueber das Zeitalter des Autors war man bisher nicht einig; 
Well mann nimmt an, dass er um 250 p. Chr. gelebt hat. 
Daremberg*) schreibt; „Les uns le placent au temps 
d’Athenee, les autres le font vivre seulement dans la premiere 
Partie du IV. siede. Cette derntere opinion est la plus probable, 
car Philumene n est eite ni par Soranus, ni pa Galien“. Dass 
er ein Buch über Frauenkrankheiten geschrieben hat, ist auch 
durch eine Scholie bei Oribasios bezeugt (III. 681). 

Philumenos trägt seinen Stoff in 37 Kapiteln vor; die 
fünf ersten behandeln die Lyssa und Bisswunden von Hunden 
und Menschen überhaupt; es folgt die Bekämpfung der f-gnera 
(Skorpione, Schlangen etc.) durch Räucherungen; von den 
Arthropoden werden Wespen, Bienen, Dipteren, Flöhe, Skor¬ 
pione, Spinnen ( cpalayyia ) behandelt; die Schlangen bean¬ 
spruchen 17 Kapitel; darunter einige fragwürdige Gestalten 
(dgcUoiv, ßaaiktaxog etc.), den Schluss bilden die Spitzmaus, 
die Eidechse (aaiga) von Chalkidike, und giftige Fische. 

Es sind der trefflichen Ausgabe zwei wertvolle Indizes 
(verborum und scriptorum) p. 43 —72 beigegeben. Die Zahl der 
zitierten Schriftsteller beträgt fünfzehn. Auffallenderweise ver¬ 
misst man Apollodorus, der als „iologorum dux“ be¬ 
zeichnet wird, übrigens von den neueren Historikern vernach¬ 
lässigt ist. (Nicandrea, ed. Otto Schneider, 1856, pag. 181 
bis 201, ausführlicher Exkurs mit 21 Fragmenten.) 

Für solche, die den alten Jologen Philumenos stu¬ 
dieren wollen, bemerke ich, dass die Lektüre nicht zu den 
schwierigen gehört, während allerdings die Deutung der Re¬ 
alien (Tiernamen etc.) oft unübersteigliche Hindernisse bieten 
dürfte. Huber- Memmingen. 

Boehm und Oppe 1: Taschenbuch der mikroskopischen 
Technik. 6. Aufl. München und Berlin. R. Oldenbourg. 
339 S. M. 5.80. 

Das bekannte Taschenbuch liegt in 6. von Boehm allein 
besorgter Auflage vor. Durch die in letzter Zeit besonders 
stark angewachsene Zahl der histologischen Untersuchungs¬ 
methoden, die fast sämtlich mit aufgenommen wurden, hat sich 
der Umfang des kleinen aber doch so ungemein brauchbaren 
Büchleins etwas vermehrt, zumal das Kapitel „Mikroskop“ 
wieder aufgenommen wmrde. Ref. möchte einen kleinen Fehler 
beanstanden, nämlich die Angabe auf p. 267, dass die Tragzeit 
beim Meerschweinchen 3 Woohen betrüge, was nicht zu¬ 
treffend ist. Prof. Sobotta - Würzburg. 

R. Koch: Ueber meine Schlafkrankheitsexpedition. Bei 

Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). Berlin 1908. Mit 10 Voll¬ 
bildern und 12 Abbildungen im Text nach Originalaufnahmen. 
47 S. Preis M. 2. 

Verfasser berichtet in schlichten Worten über einige Be¬ 
obachtungen an Land und Leuten um den Vdktoriasee, die er 
bei seiner Schlafkrankheitsexpedition angestellt hat. Er streift 
dabei in gemeinverständlicher Art die Erscheinungsform und 
Uebertragungsart der Schlafkrankheit. Die Wiedergabe der 
reichlich beigegebenen, glänzend gelungenen Photographien 
ist technisch hervorragend. z. V.-Berlin. 


*) Mistoire des Sciences mädic. I. 238. 


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im 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Neueste JouraalHteratur. 

Zeotralblatt fiir innere Medizin. 1908. No. 33 u. 34. 

No. 33 ohne Originalartikel. 

No. 34. C. K1 i e n e b e r g e r: Einfache Hilfsapparate für rönt¬ 
genologische Tischaufnahnten und Tischdurchleuchtungen. (Aus der 
medizinischen Klinik in Königsberg i. Pr.) 

Die abgebildeten Apparate zeichnen sich durch Einfachheit, Billig¬ 
keit und Zweckmässigkeit aus und können von jedem Tischler her¬ 
gestellt werden. W. Zinn- Berlin. 

Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen 
Tuberkulose-Forschung. Heraustfegeben von Prof. Ludolph 
Brauer. Bd. X, Heft 1. 

Der X. Band der Beiträge erscheint mit erweitertem Titel und 
einer erheblichen Vermehrung der mitwirkenden Autoren, unter denen 
sich jetzt führende Bakteriologen, Anatomen und Kliniker (u. a. 
v. Behring, Tetidcloo, Sah! i, Eber u. a.) befinden. Brauer 
leitet den neuen Band mit rückblickendem Dank und guten Hoff¬ 
nungen für die Zukunft ein. 

K. Turban und O. Baer: Opsonischer Index und Tuberkulose. 

Die Verf. schildern in dankenswerter Ausführlichkeit Grundlagen 
und Technik der Feststellung des opsonischen Index fiir die Tuber¬ 
kulose und berichten dann über den Einfluss von Aenderungen der 
Zusammensetzung der Serum-Bazillen-Leukozytcnmischung auf den 
phagozytischen Index und über üruppenreaktionen (Menschen- — 
Hühnertuberkelbazillen —BLindschleichcnbazillen —Perlsuchtbazillen), 
die sie in übersichtlichen Kurven veranschaulichen. Sie kommen zu 
dem Resultat, dass unter spezifischer Behandlung die Phagozytose im 
Sputum steigt. Ob die Phagozytose bei der Tuberkulose als Heil¬ 
faktor eine wesentliche Rolle spielt, bezweifeln sie. Die Be¬ 
deutung des opsonischen Index sehen sie darin, dass man durch 
genaue zahlenmüssige Bestimmung der opsonischen Kraft einen Ein¬ 
blick in das jeweilige Verhalten einer Abwehrvorrichtung des Or¬ 
ganismus gewinnen kann. 

D. Rothschild -Soden: Neue Gesichtspunkte In der Tuber¬ 
kulintherapie. 

R. gelangt durch Beobachtung der Wirkung der Tuberkuline auf 
den opsonischen Index zu dem Resultat, dass in Analogie der übrigen 
W r i g h t sehen Vakzine die aus den Bazillen der Erkrank¬ 
ten selbst hergestellte Bazillenemulsion die ideale Tuberkulin¬ 
anwendungsform sein müsse. Diese .,A u l o t u b c r k u I i n e‘* hat er 
schon in einigen Fällen günstig erprobt. Unter seinen Konklusionen 
seien folgende hervorgehoben: die kleinste Tuberkulindosis, welche 
eine merkliche Erhöhung des Opsoningehaltes des Blutes bedingt, ist 
die richtige. Spezifisch wirken nur die (exogenen) Autotuberkuline. 
In Fällen, wo die Patienten keine Bazillen, muss man sich durch 
Bazillengemische (Umvcrsaltuberkuline) helfen, die möglichst viele 
verschiedene Arten säurefester Stäbchen enthalten. Die in der Peri¬ 
pherie der Erkrankungsherde aufgespeicherten endogenen Auto¬ 
tuberkuline können durch s\ stematische körperliche Bewegung dem 
Blute zugeführt und hierdurch eine künstliche Erhöhung des Opsonin¬ 
gehaltes des Blutes herbeigeführt werden, die in bestimmter Weise 
therapeutisch verwertet werden kann. Bei Tuberkulose mit dauernd 
erhöhtem opsonischen Index ist die Tuberkulinkur zwecklos. 

Heinr. Q e r h a r t z und A. S t r i g c I: Ueber Lungensteine und 
Kieselsäurebehandlung. 

Angeregt durch Analysen von Z i c k g r a f, der den Reichtum der 
Lungensteine an Kieselsäure feststellte und damit dieser Säure ihr 
den Vernarbungsprozess der Phthise Bedeutung zumass, und durch 
Untersuchungen von Ürunmach und Bickel, die die Rontgen- 
lichtundurchlässigkeit der Steine fanden, haben die Verf. einige Kon¬ 
kremente chemisch und physikalisch untersucht und kommen zu 
folgenden Schlüssen: die Kieselsäure ist k e i n konstanter Bestandteil 
der Lungensteine. Etwaiger Kieselsäuregehalt von Lungenstemen 
darf nicht auf den Genuss kieselsäurehaltigen Thees (den Z i c k g r a f 
therapeutisch verwendete) zurückgeführt werden. Die Lungensteine 
sind fast undurchlässig für Röntgenstrahlen, weil sie reich an Kalk 
sind. 

K. Dluski: Ueber Tuberkulinanwendung In der Lungentuber¬ 
kulose vom klinischen Standpunkte. 

Eine eingehende Darstellung der theoretischen und klinischen 
Forschung auf dem Gebiet der Therapie mit den verschiedenen 
Tuberkulinen; zu kurzem Referat ungeeignet. Bemerkt sei nur, dass 
Verf. der Tuberkulintherapie sehr vorsichtig abwägend gegeniiber- 
steht und in praxi die Methoden von Hammer und Sahli am 
meisten empfiehlt. Ein Literaturverzeichnis von 229 Nummern erhöht 
den Wert der Arbeit. 

A. Rzewuski: Zur Röntgenographie des Thorax dyspnoischer 
Patienten bei Atemstlllstand. 

R. lässt vor der Aufnahme Sauerstoff einatmen und hat damit 
in allen Fällen die gewünschte, genügend lange Apnoe zur Aufnahme 
erreicht. Die Aufnahme eines Pneumotlioraxkranken im Atcmstill- 
stand illustriert den Wert des Verfahrens. 

Hans Curschmann - Mainz. 


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Bettrige zur kUntocbeo Chirurgie, red. von P. v. Brun*. 

58. Band, 2. Heft. Tübingen, Lau pp. 1908. 

Aus der Prager Klinik gibt Prüf. V. Lieblein eine Arbeit über 
den Galalithdarmknopf (rci. in No. 2o. pag. Ib'M; ebenfalls aus VV o i i- 

1 e r s Klinik gibt E. K o p p 1 Beiträge zur Kenntnis und Kasuistik der 
Hernla ischladica an der Hand des ersten radikal operierten und ge¬ 
hellten Falles und bespricht, an die Zusammenstellung der 11 schon 
von (iarrc als sicher angenommenen lalle und weiterer II Fade 
aus der seit 1392 publizierten Literatur sowie den eigenen Fall an¬ 
schliessend, Aetioiogie. Anatomie. Sv mptome. Diagnose etc. der sel¬ 
tenen Hernieniorm. iur die er 34 Pro/. (iesamtmortalr.at (über 2<> 
Pro/., an den Hermen gestorben) berechnet; operiert wurden von 
den freien Hermen nur 3, von den mkai zeriet teil (>. ln dem Fall 
der Prager Klinik (Herma intrapy riiormis fiel «42 )ahr. Frau) wurde 
die Radikaloperation ausgeiiihrt, bestehend in lleraimahen des Mus- 
cul. pyriiormis an das lag. spinosa sacr. nach Bruchs;»».knallt und 
Abtragung des peripheren Bruchsackanteiles. Fiir das 1 or. supra- 
pyritorme musste nach K. der \erschluss derart geschehen, dass der 
Muse. p\ riiormis entweder an das Periost der die Incts. is».luad. 
major begrenzenden Knochenkante «»der an den sie eventuell noch 
bedeckenden M. glutaeus med. resp. mm. herabgenaht wird mit Be¬ 
rücksichtigung der Art. und des Nv. glut. sup. Fur die H. spmo- 
tuberosa denkt K. ev. an einen glatten Verschluss mit einem oder 
den anderen M. gemellus oder der lag. sacroliiberos. spuiosum oder 
mit beiden (ohne M. obturator mt. und \asa und Nv. puJ. in ihrer 
Funktion zu stören). 

Capelle gibt aus der Bonner Klinik eine Arbeit über die Be¬ 
ziehungen der Thymus zum Morb. Basedow 11 und schildert im An¬ 
schluss an 3 naher mitgeteilte ungünstig ausgegangenc Falle von 
Operation einer Basedow struma aus der Bresiauer Kauik (2 tvpivhc 
Hemistrumektomieii. I doppelseitige Resektion), bei denen keine di¬ 
rekte 'Todesursache aber eine hv per plastische Ihvmus gt landen 
wurde und unter Hinweis auf die Arbeit B o n n e t s, der 2s Fade per¬ 
sistierender Thymus bei Basedow taiui. Thorhckes etc., nach 
denen sich eine Thymuspersistenz oder H\perplasie bei 79 Pro/, der 
Falle berechnet, die Bedeutung dieses Zustandes, dessen Belanglosig¬ 
keit im Bild des Basedow revisionsbedürftig ist. C. besnivlil die 
fiir die Diagnose dieses Zustandes m Betracht kommenden Momente. 
Wenn sich ein Verdacht auf h\perplastische Thvmus bei Basedow- 
kranken durch positive Meikmaie stutzen lasst, ist ein solcher Patient 
von einem chirurgischen Fangriff aii*»/iischnessen. Die Aligeniein- 
narkose scheint iur die Geiahr nicht bev».huldigt wer»leii zu können, 
da v. Eiseisberg u. a. gleiche Katastrophen bei Lokalanästhesie 
beobachteten, wie C. bei Aethernarkose. I me kurze Zusammen¬ 
stellung von 3<> Fallen und 33 muh I horheke zitierten Fallen 
reiht sich der Arbeit an. 

Roith bespricht aus der Heidelberger Klinik einen Fall von 
Luxat. sub talo nach hinten und aussen mit Subluxation des Kuboids 

unter Mitteilung des Roiitgenluldes etc., der nicht in das t\ pisclic 
Bild der Tursusluvntioncn emzureihcii ist und bei dem die Verschie¬ 
bung des Kuboids gegen den Kalkaneus nach unten aunallt. die in 
keinem der sonst mitgeteilten Fälle von l.uvat. sub talo erwähnt ist. 

Tokijro Kato und Kotzenberg geben aus dem allge¬ 
meinen Krankenhause zu Hamhurg-Fppendori eine Arbeit über das 
Verhalten des Blutdruckes bei chirurgischen Nierenerkrankungen und 
Appendizitis und besprechen die Resultate ihrer l ntcrsuchungcn (mit 
dem Apparat von R i v a - R o c e i mit Recklings hause» scher 
Manschette und Sahli schein Main »Mieter ausgeiiihrt). Bei den Fallen 
einseitiger Fiterniere ergab sich u. a. Druckerhohuug, die mit dem 
Abklingen der Filter ung ei losch, die Druckst», igerung bei doppelse i¬ 
tigen Nierenkrankheiten konnte bestätigt werden. Nichtent/undliche 
Prozesse der Bauchhöhle hatten keinen Fmiluss aui die Blutdruck¬ 
kurven, dagegen fand sich in den Fallen akuter und sulukutcr Appen¬ 
dizitis eine auffällige Steigerung des Blutdruckes bis zu einer Hohe, 
wie sie selbst bei der chronischen Nephritis und Arteriosklerose nicht 
zur Beobachtung kamen, dagegen boten mehrere Falle vori akuten 
und subakuten Ent/imdungspro/essen der w erblühen Genitalien nor¬ 
male Blutdruck Verhältnisse. Die Messungen wurden regelmassig 

2 mal am 'Tag (früh 9 I hr und abends 3 Ihr) mit den Temperatur¬ 
messungen vollzogen, kurze Krankengeschichten, Bemerkungen und 
die Kurventatein sind der Arbeit beigegeben. 

Friedr. Kroiss gibt aus der Innsbrucker Klinik eine Arbeit 
über die plastischen Operationen am Nierenbecken und oberen Ureter- 
abschnitt bei den Retentionsgeschwülsten der Niere mul liefert darin 
eine Zusammenstellung der bisher beobachteten T\peu der abnormen 
Passageverhaltnisse im Nierenbeckenausgang und »1er zu ihrer Be¬ 
seitigung veriugbareii ()peratioiismetlmdcn. Fr geht auf die em/cinen 
Formen der Abflusshindermsse otriktur am Bce kenansgang. Sporn¬ 
bildung etc.) naher cm und bespricht die verselik denen npera:i<>ns- 
verfahren (Längsm/isum und (Juernaht der striktur des oberen 
Uretereudes, Spornspaltung mul Naht und die extrapclv is^heti 
Klappenoperationen, l’reterpvel««plastik, laterale \nasp|®jose. Pyc!»>- 
plastik und Resektion). Nach allgemeinen Bemerkungen zur (>pcra- 
tionsteehmk folgert Kr.u.a.. »lass m den meiste« Laden d e praho.m.irc 
Ncphrostomie erheblichen Nutzen schaden, in manchen (den Pyo- 
nephrosen) einen unerlässlichen Vorakt der plastischen Operationen 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1895 


bilden müsse und dass es vor allem nötig sei, Nierenbecken und i 
Ureter in ausreichender Weise ansichtig zu machen, was allerdings 
zuweilen wegen ausgedehnter Verwachsungen schwierig und lang¬ 
wierig sei. Kr. bespricht Indikationen und Kontraindikationen für 
die einzelnen Formen und findet für die einfache Striktur am Nieren¬ 
beckenausgang logischer Weise nur die von Fenger-Küster 
gegebene Längsspaltung der Striktur von aussen her mit querer Ver- 
nähung der Wundränder brauchbar; bei Hydronephrose mit hoher 
Insertion des sonst unveränderten, nicht verwachsenen Ureters und 
dem entsprechend ausgebildeten Blindsack kann entweder der Blind¬ 
sack selbst zum Gegenstand des Eingriffes gemacht werden 
[Pyeloplikatio (Israel) oder Capitonnage (A1 b a r r a n)j und Re¬ 
sektion des Sackes (Kümmel, Petcrsen) ausgeführt werden, 
oder es kann Ureter und Blindsack operativ verändert werden. Bei 
der Vornahme von Klappenoperationen kommt es meist zu Unzu¬ 
kömmlichkeiten, speziell bei den Resektionsmethoden, zu Verlust von 
Nierenparenchym etc., was bei Anwendung der Ureterpyeloneostomie 
vermieden wird; die laterale Anastomose hat allerdings die Subtilität 
und Unsicherheit der Naht gegen sich. Um die Vorteile der ersteren 
mit denen der letzteren zu verbinden, möchte Kr. ein Verfahren Vor¬ 
schlägen, das bezüglich der Technik zwischen beiden steht, nämlich 
den Ureter hoch oben zwischen zwei Ligaturen zu durchschneiden 
und ihn mit der tiefstgelegenen Partie der Sackwand zu vereinigen, 
so bleibt der Ureter lang genug, um dem schrumpfenden Sacke nach 
aufwärts zu folgen, und die Vorteile der seitlichen Vereinigung 
kommen ungeschmälert zur Geltung. Für die Fälle mit Blindsack 
mässigen Grades und intaktem Ureter empfiehlt Kr. die Resektion 
des Bas. fond. ohne Mitnahme des unteren Nierenpols als das 
schonendste Verfahren und wo sie nicht möglich, die Rös. ortho- 
pedique. In den Fällen, in welchen neben Gestalts- und Lageano¬ 
malien des Nierenbeckens auch der Ureter als solcher Sitz patho¬ 
logischer Veränderungen ist, wird bei höherem Grade auch die 
Chance für Ureterpyeloplastik immer ungünstiger und geben diese 
Fälle das hauptsächlichste Indikationsgebiet für die Ureterpyelo¬ 
neostomie bezw. laterale Anastomose, besonders letztere nach A 1 - 
barran genügt den meisten Indikationen und weist die wenigsten 
Nachteile auf. — Was die Ergebnisse der Operation anbelangt, so 
berechnet Kr. nach 97 Fällen 6,8 Proz. Mortalität, glaubt sich aber zu 
der Annahme berechtigt, dass es künftighin gelingt, die Zahl der 
Todesfälle noch herabzudrücken. Die Urämie ist besonders bei soli¬ 
tären Nieren eine grosse Gefahr. Kr. verbreitet sich über Erfolge 
und Misserfolge, wobei allerdings der Mangel zystoskopischer Nach¬ 
untersuchung als Schwäche der Statistik ungesehen wird. Bezüglich 
der Resultate der einzelnen Eingriffe berechnet Kr. für die F e n g e r - 
sehe Operation 76,14 Proz. Heilungen, 23 Proz. Misserfolge, für die 
reine Ureterpyeloneostomie 71,4 Proz. Heilungen, 28,5 Proz. Miss¬ 
erfolge, für die Pyeloplicatio 77,7 Proz. Heilungen, 22,2 Proz. Miss¬ 
erfolge, für die laterale Anastomose 63,6 Proz. Heilungen, 26,3 Proz. 
Misserfolge, für die Gesamtstatistik von 102 Operationen 68,63 Erfolge, 
22,2 Misserfolge. Kr. ist nach den Erfahrungen der Schloffer- 
schen Klinik der Ansicht, dass man bei der Häufigkeit geeigneter 
Fälle und den bisherigen guten Resultaten der plastischen Opera¬ 
tionen dringend aufgefordert sei, auf dem eingeschlagenen Wege 
weiter zu gehen. Den Einwurf längerer Heilungsdauer, den man 
den plastischen Operationen gemacht hat, lässt Kr. nicht gelten. Betr. 
der Pyonephrosen oder schwer infizierten Hydronephrosen wird man 
betr. der Bewertung der plastischen Operationen sich grösserer Vor¬ 
sicht befleissen müssen, doch ermutigen die bisherigen Resultate unter 
gewissen Kautelen zu weiteren Versuchen (4 Fälle haben unbestreit¬ 
bar sehr befriedigenden Erfolg). Zum Schluss gibt Kr. die betr. 
Krankengeschichten. 

Wolfg. Veil berichtet aus der Strassburger Klinik über ein 
Teratom am Kopfe eines Kindes, das bei ca. V! a jähr. Pat. mit Meissei 
vom Schädeldach entfernt wurde und das histologisch genau be¬ 
schrieben wird; eine Grenze derartiger Teratome von solchen mit 
ausgebildeten Organen etc. lässt sich nicht ziehen. 

W. Buck berichtet aus dem Stuttgarter Ludwigsspital „Char¬ 
lottenhilfe“ über einen Bruch des Gelenkfortsatzes des V. Lenden¬ 
wirbels und gibt darin einen neuen Beitrag für die erst durch die 
Röntgenuntersuchung als Absprengungen etc. klargestellten, früher 
als Lumbago traumat. etc. bezeichneten Fälle. Bei einer 31 iähr. Pat., 
die im Anschluss an eine beim Aufräumen schwerer Fleischplatten 
in Hockstellung erfolgte Muskelzerrung monatelang heftige Schmerzen 
hatte und bei der sich röntgenographisch eine Vertikalfraktur des 
Wirbelbogens resp. Gelenkfortsatzes des V. Lendenwirbels kon¬ 
statieren liess, wurde die daselbst entstandene Pseudarthrose ope¬ 
rativ behandelt, d. h. der losgesprengte Teil des Gelenkfortsatzes ent¬ 
fernt, wobei, um gute Uebersicht zu gewinnnen, ein walnussgrosses 
Stück der Spina sup. postica entfernt werden musste und (im Inter¬ 
esse glatteren Wundverlaufes) auch der Gelenkfortsatz des obersten 
Kreuzbeinwirbels entfernt wurde. Der Eingriff hatte vollkommenen 
Erfolg. Sehr. 

Zentralblatt für Chirurgie. 1908 No. 32. 

A. Schanz -Dresden: Jodbepinselungen zur Erzielung schmaler 
Narben. 


Sch. benützt seit Jahren mit bestem Erfolge die Jodbepinselung 
der Wunde, um leichten Reizzustand (Hyperämie) und damit feinere 
Narben zu erzielen, während primär geheilte Wunden nach Entfernung 
der Nähte (auch nach 10—12 Tagen noch) oft ein Auseinanderweichen 
der obersten Hautschichten erkennen lassen, so dass ein feiner, von 
der Tiefe her sich ausfüllender Spalt entsteht, der einige Millimeter 
breite Narbenstreifen hinterlässt. Sch. nimmt die Bepinselung 3—5 
Tage nach der Operation vor, begnügt sich bei Wunden in gut er-* 
nährten Partien mit einmaliger Bepinselung und wiederholt diese bei 
grösseren Wunden, spez. an weniger gut ernährten Stellen, 2—5 Tage 
hintereinander. 

Schwenk-Breslau: Isolierte Fraktur des Processus coronol- 
deus ulnae. 

Mitteilung einer durch Fall auf den gestreckten Arm entstandenen 
Stauchungsfraktur mit Röntgenbild. Sehr. 

Archiv für Gynäkologie. 85. Bd. 1. Heft. Berlin 1908. 

1) W. Busse: Die Leukozytose, eine Schutzvorrichtung des 
Körpers gegen Infektion. Eine klinische und experimentelle Studie. 
(Aus der Frauenklinik der Universität Jena. Direktor: Prof. Franz.) 

Die umfangreiche Arbeit behandelt ein sehr grosses Material, im 
ersten Teil werden die quantitativen und qualitativen Veränderungen 
der weissen Blutkörperchen im strömenden Blute abgehandelt, wie sie 
nach verschiedenen operativen Eingriffen auftreten. Im zweiten Teil 
wird das Verhalten des Blutes vor und nach der Operation auf 
Bakterizidie gegenüber einem Kolistamm geprüft. Im dritten Teile 
wird das Verhalten des Tierkörpers gegenüber verschiedenen In¬ 
fektionserregern vor und nach Vorbehandlung mit leukozytose¬ 
erregenden Mitteln studiert. Die Ergebnisse sind im Original nach¬ 
zulesen. 

2) E. Kehrer: Zur Lehre von den herzlosen Missgeburten. 
Ueber Hemiakardii. (Aus dem Laboratorium der Universitätsfrauen¬ 
klinik Heidelberg.) 

Bericht über einen Hemiakardius oder Acardius completus, dessen 
Herz- und Gefässystem rudimentär entwickelt sind. Es wurde zum 
ersten Male bei einem Akardius Lebergewebe nachgewiesen. Funk¬ 
tionell ist der Akardius nichts anderes als ein unter den ungünstigsten 
Zirkulationsverhältnissen stehendes Organ des gesunden Zwillings. 

3) William F. Ar mann, Ritzville (U. S. A.): Ueber einen 
Fall von Pulsationen, beobachtet am primitiven Herzschlauch des 
menschlichen Embryos aus der zweiten Woche. 

Intaktes Abortei, Embryonalanlage 2,5 mm lang. An dem etwa 
stecknadelkopfgrossen Herzschlauch konnten durch 15 Minuten deut¬ 
liche rhythmische Bewegungen wahrgenommen werden. A. zählte 
90 Pulsationen in der Minute. 

4) F. Bukojemsky: Zur Frage Uber die soliden Teratome 
(Embryome) des Eierstockes. (Aus der Frauenklinik des Professor 
Wsewolod Orlow an der Universität Odessa.) 

Der beschriebene Tumor ist nach B. entstanden auf dem Boden 
von Ovarialgewebe, in welchem sich ein befruchtetes Ei befand, 
wobei sich das Ovarium später in eine Zyste verwandelte. Das 
Präparat wurde durch Operation von einer 55 jährigen Frau ge¬ 
wonnen; 10 Monate später war die Frau kachektisch, es bestand ein 
diffuses Infiltrat an der Stelle des Tumors. 

5) F. Fromme: Klinische und bakteriologische Studien zum 
Puerperalfieber. (Aus der Kgl. Universitätsfrauenklinik Halle a. S.) 

Die Untersuchungen beziehen sich auf das Verhältnis des 
Streptokokkus zum Puerperalfieber, ganz besonders wird die Hämo¬ 
lyse des Streptokokkus in den einzelnen Erkrankungsformen und bei 
der gesunden Frau geprüft. Ein Fieber im Wochenbett, bei dem wir 
aus dem Uterus alle möglichen Saprophyten züchten können, bei dem 
das Blut steril ist, lässt uns eine absolut günstige Prognose stellen. 
Ueberwiegen jedoch Streptokokken oder sind diese gar hämo- 
lysierend, so ist die Prognose dubiös. Noch trüber wird die Prognose, 
wenn die Keime in grösserer Menge im Blut erscheinen und hier 
wiederholt gefunden werden. F. hält bei jedem Fieber im Wochenbett 
eine bakteriologische Blutuntersuchung für nötig im Interesse der 
Diagnose und der Therapie. 

6) Adam Czyzewicz jun.: Zur Tubenmenstruation. (Aus der 
Klinik der k. k. Hebammenschule des Prof. Dr. A. Czyzewicz in 
Lemberg.) 

Untersucht wurde durch Operation gewonnenes und entsprechend 
sorgfältig behandeltes Material. Darnach kann von einer Tuben¬ 
menstruation in dem Sinne, wie sich der Prozess in der Uterus¬ 
schleimhaut abspielt, keine Rede sein. Die Eileiterschleimhaut sondert 
während der Menstruation weder Blut noch irgend etwas ab. Es 
kann Blut vom Uterus her in die Tuben hineingepresst werden. 

7) G. Heinricius: Experimentelle Untersuchungen über die 
Einwirkung des Bacillus aürogenes capsulatus (Bacillus perfringens) 
auf die Schleimhaut der Gebärmutter und der Schelde. (Aus dem 
Laboratorium der geburtshilflich-gynäkologischen Universitätsklinik in 
Helsingfors.) 

Als Versuchstiere dienten Kaninchen und Meerschweinchen. Wie 
die früheren Versuche des Autors mit Streptococcus pyogenes zeigen 
auch diese Versuche die grosse Bedeutung des oberflächlichen Epi¬ 
thels und der Zellen des Drüsenepithels. Durch intaktes und gesundes 


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MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. Mk 


Epithel können die Bazillen nicht nach dem daruntcrliegciidcn Binde¬ 
gewebe und dessen Lymphwegen Vordringen. Bei Schwangerschaft 
dagegen degenerieren die Epithel- und Drüscnzcllcn unter dem Ein¬ 
fluss des Infektionsstoffes und der Wen für die Bazillen wird frei. Die 
Schwangerschaft scheint die pathogenen Eigenschaften des Bacillus 
aerogenes capsulatus zu begünstigen. A. H e n g g e - München. 

Gynäkologische Rundschau. Jahrgang II. Heft 15. 

Oskar Jäger-Kiel: Ueber Melaena neonatorum. (Aus der 
kgl. Universitäts-Brauenklinik zu Kiel.) 

Mitteilung von drei Bällen von Melaet.a neonatorum, welche 
durch (ielatincbehaudlung geheilt wurden; empfohlen wird die Kom¬ 
bination von subkutaner Injektion mit der Darreichung der < ielatine 
per os. Wert ist zu legen auf die Vermeidung der Annahme der 
Körperwärme. Die Aetiologie war in den beobachteten Bällen nicht 
zu erklären. 

Karl Bricdrich \V e i n h o 1 d - Breslau: Grosses retroperltoneales 
Lipom. 

Schilderung eines Operationsfalles, in welchem Verf. ein grosses 
retroperitoncales Lipom nach Spaltung des Mesikohm stückweise 
ausschälte. Nebenbefund: Retroflexio Uteri, deshalb Ventrinxur des 
Uterus. Olatter Verlauf. 

Julius Ca rli-Genua: Ueber einen Fall von schwerer Inertia 
uteri. (Aus der kgl. Universitäts-Brauenklinik in Genua.) 

III. Para mit noch wenig geöffnetem Muttermunde. Wehen¬ 
schwäche, Herztöne schlecht, Abgang von Mekonium. Schiidcilage. 
Dilatation mit B o s s i schein Dilatator, Erweiterung m 19 Minuten. 
Extraktion mittels Zange. Plazenta spontan, geringe Blutung durch 
heisse Ausspülung, Massage und Injektion von Ergo tut gestillt. Kind 
tief asphyktisch, nach 4u Minuten wieder belebt. Wochenbett 
normal. A. R i e I ä n d e r - Marburg. 

Archiv für Hygiene. 67. Bd. 2. Heft. 1908. 

1) K. B. Lehmann und S a n o - Würzburg: Ueber das Vor¬ 
kommen von Oxydationsfermenten bei Bakterien und höheren 
Pflanzen. 

Die Arbeit berichtet über die Ergebnisse der Fähigkeit der Bak¬ 
terien, Tyrosin zu oxydieren, über einige Studien über den Nachweis 
von Oxydasen in höheren Pflanzen und über Versuche, aus Bak¬ 
terien üxydasen zu isolieren. Es konnte ermittelt werden, dass im 
Pflanzenreich die Tyrosin äsen ziemlich weit verbreitet sind, so 
z. B. bei der Kleie und in neuen Kartoffeln. Bacterium phosphores- 
cens, Bacterium putidum und Aktinomyccs chromogenes bilden aus 
Tyrosin einen braunschwarzen Farbstoff. Zuckerzusatz ist ohne Ein¬ 
fluss auf die Tyrosinasebildung; Kochhitze und Zyankali stören die 
Tyrosinasebildung. Actinomyces chromogenes bildet auch auf tyro¬ 
sinfreien Nährböden ein wenig braunes Pigment, doch gibt es auch 
Rassen, welche kein Tyrosin bilden. Wegen weiterer Einzelheiten 
sei auf das Original verwiesen. 

2) Kurt M e y e r - Strassburg: Versuche über die chemische 
Natur der hämolytischen Immunkörper. 

Die Löslichkeitsverhältnisse des hämolytischen Immunkörpers 
sprechen gegen seinen Lipoidcharakter. Seine Zerstörbarkeit durch 
Pankreasferment deutet auf seine Eiweissnatur. Sein Verhalten 
gegen chemische Reagentien spricht nicht gegen seinen Eiweiss¬ 
charakter. In seinem amphoteren Verhalten gegenüber elektroposi- 
tiven und elcktronegativen Kolloiden resp. Suspensionen folgt er den 
Eiweisskörpern. Er ist an den Globulinanteil des letzteren gebunden; 
innerhalb dieses ist eine weitere Beschränkung auf einzelne Frak¬ 
tionen weder durch Dialyse, noch durch Ammonsultatfällung möglich. 
Beim Eintrocknen ändern sich seine Löslichkeitverhältnisse. 

3) August Jorns - Würzburg: Ueber Bakterienkatalase. 

Die Kaliumpermanganatmethode für die quantitative Bestimmung 
des Wasserstoffsuperoxyds in Flüssigkeiten, welche geringe Mengen 
von Bakterienbouillonkulturen und deren Filtraten enthalten, hat vor 
der jodometrischen Methode den Vorzug grosserer Genauigkeit und 
schnelleren Ausführung. Auch die gasanalytische Methode ist genau, 
aber sehr zeitraubend. Auf der W irksamkeit der Katalase, eines spe¬ 
zifischen, von den Bakterien gebildeten Fermentes, beruht die Eigen¬ 
schaft von Bakterienbouillonkulturen, unter Entwicklung freien Sauer¬ 
stoffs Wasserstoffsuperoxyd zu spalten. Die Bakterienkatalase tritt 
als Ektoferment und als Endoferment auf. Die Katalasebtldimg ist 
eine fast allgemein verbreitete Fälligkeit der Bakterien, wenn sie 
auch bei den einzelnen Arten sehr verschieden ist. 

4) Arno T r a u t m a n n - Leipzig: Malaria und Anopheles in 
Leipzig. 

Während früher um die Mitte und das Ende des vorigen Jahr¬ 
hunderts in und um Leipzig eine reichliche Anzahl von Malariaialkn 
bekannt geworden sind, haben dieselben in neuerer Zeit ganz erheblich 
abgenommen. Immerhin treten jedes Jahr noch einzelne sporadische 
Fülle auf. Die Nachforschungen nach dem Uebertrüger, dem Anopheles 
ergaben, dass solche, wenn auch spärlich, doch aufgefunden wurden 
und demnach immerhin die Möglichkeit besteht, dass eine weitere 
Verbreitung der Krankheit einmal stattfinden kann. Eine weitere Re¬ 
gulierung der kleinen Flusslüuie und Assanierung der stehenden Ge¬ 
wässer dürfte die beste Prophylaxe dagegen sein. 

R. (). N e u m a n n ■ Heidelberg. 


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Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches 
Sanitätswesen. XXXVI. Band. 1. Heft. Jahrgang 1%\ 3. Heft. 

I. G e r i c h t 1 i c h c Medizi n. 

11 Was bedeutet „Vollendung der Gehurt“ im Sinne des $ I 
des Bürgerlichen Gesetzbuches. Von I »r. P. I r a e n k c 1. I. Wistuit 
der l nten ichtsanstalt für Staalsar zncikin.de der l'ni\crsital Berlin. 

1 he ser 1 lautet: „Di e R e c h t s I a h i g k e i t des M e n - 

s c h e n beginnt mit der \ »»II e u d u n g der G e b u r t". 1 s 

ist mm strittig, wann man un bimie des Gesetzes die Geburt a.s 
vollendet betrachten soll. Nach dem alten prcussischcn Landrcditc 
war für die Rechtsfähigkeit der eiste Schrei des Kindes massgebend, 
so dass eine ärztliche Mitlnite hei der EntschciJung mcht notwendig 
war. Das neue Gesetz stutzt sich aber auf einen nur medizinisch 
definier baren Begriff. In den Motiven zum Gesetze heisst es audi: 
..Die Reclitspei sotilic hkeit se tzt ein selbständiges. v<>n dem Mutterieii» 
getrenntes Dasein voraus. I »eil Zeitpunkt aber zu bestimmen, rmt 
welchem die I reimung Vom Mutterleib voriicgt. ist mcht AiUgubc 
des Rechts, solidem der medi/imselieii W issensch.itl.” 

Im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung bleibt mm dem Medi¬ 
ziner die Wahl, entweder von der Atcmhcwcgwng aus/ugehen und 
im Senator sJien Sonne die extrauterine atemlose Periode n<«ch 
zur Geburtszeit zu rechnen oder die \ oilendung der Geburt mit der 
Austrcihimgsperiode zusammenfaiieii zu lassen und jedes Lebens¬ 
zeichen Iur gültig anzimehmeii. 

Veri. tritt für letztere Anschauung ein. weil die crstcre zu sehr 
gegen juristische und medizinische Anpassung verstossc. 

Die Losung der Frage muss immer der Beurteilung des 1 m/el- 
ialles uberlassen werden. 

In der Praxis ist diese Frage bisher noch selten zur Entschei¬ 
dung gekommen und doch kann sie m ErbschuJtsiragcn v<m grosser 
Bedeutung sein, weil es von der Rechtsfähigkeit des Geborenen ab¬ 
hangt. oh die Mutter und ihre Familie oder die \ ei w andten des \aters 
zur Erbschaft berufen sind. 

2) Ueber den Tod durch Erwürgen vom gerichtsärztlichen Stand¬ 
punkte. Von Dr. Losencr. Oberstabsarzt. (Aus dem Institut für 
gerichtliche Medizin der Universität zu Königsberg.) 

Der \ eM. bespricht an der Hand eines zu gerichlsar/tlicher 
Untersuchung gelangten Falles m austuhriichster Weise aiie hier zu 
berücksichtigenden Gesichtspunkte. Aus den von ihm daraus ge¬ 
zogenen Schlüssen seinen nachfolgende hier autgefuhrt: 

1. Der Jod durch E.rw argen wird m den meisten Fallen durch 
Abschluss der Luitwege her beigeluhr l. 

2. Der Nachweis der ei folgten Erwürgung lasst sich nicht aus 
den äusseren und imieren „Erstickimgs/eicheu" der alleren Gerichts¬ 
ärzte. sondern nur durch die Feststellung der den Luftabschluss be¬ 
wirkenden gewaltsamen ausseren l rsadien sicher erbringen. 

J. Der Luftabschluss lasst sich Sowohl durch seitliches Zu- 
snmmcndriicken des Kehlkopfes oder der Luftröhre als auch durch 
den Druck der KehikojügegeuJ gegen die Wirbelsäule, eventuell auch 
- wie beim Kmdsmor d - durch Zusamme uprcsscri des ganzen 
Halses erreichen. 

■4. Zur Herbeifiiliruug eines wirksamen Mimmrit/eiiabscIbusses 
genügt schon ein geringer Druck aut den Hais, so dass Spur e n 
des erfolgt e u Angriffs auf diesem vermisst w erden 
können: in der Regel wird aber das zur I otung ausreichende Mass 
weit überschritten, so dass sämtliche Halsorgane eine mehr oder 
weniger starke Schädigung er fahr eit können. I rot/ starken 
Druckes auf die Haisorgane können 'ed-*c(i jegliche \ e r - 
1 e t z u n g s s p u r e n bei diesen a u s b I e i b e n. 

5. Besonders charakteristisch sind für Frw argen a) die 
an der Malshaut durch Eindrücken der 1 inger. namentlich der Nagel, 
entstandenen Marken und \ ei trogknimgen aber Art. b) B utaustre- 
tungen an den Dnicksteüen m eie-ri v erschicdcnsten Ha-sorg.mcn. 
c) Brite Ile der Kehlkopfs- bezw . I .mti ohreiikn->rpe 1 und des Zungen.* 
bems. il) Zerreissmigen oder Biutaiistretunge n an den Ilalssgb.'.ag- 
aeb rw andimgi-n. 

f>. Die tl ii r c h F'ingerdruck entstandenen ..Marken" sit/en a'M 
häufigsten zu beiden beiten de-s kehikopus. nachM dem imtv'b.tib 
dem Interkieferwinkel. Aus der Lage. Form. Anordnung und Zalii 
dieser Marken, sowie aus der Art der übrigen Maisv et let./|^ge:: 
lassen sich auf die Art des Angriffs Benutzung einer oder beider 
Munde, w leder hol t es Zudfncke n us\v. wichtige Schlüsse ziehen. 
Typische* Mai ken werden aber gar nicht seiten vermisst. 

7. Der \bschluss der Halsschlagadern spielt beim Krwurgtmgs- 
tode keine besondere Rolle, wahrend eine direkte oder indirekte 
Aagusrei/ung oder ein Schock in seltenen Fallen zum p'ot/hchen 
Tod fuhren kann. 

S. Keines der unter No. 5 erwähnten Anzeichen beweist für sich 
allein ohne weiteres den Jod durch Erwwgen: ein Urteil darf nur 
auf Grund der W iirdigung des (iesarmbefiiii des und aber Neben- 
umstände der Tat (Zeichen der Gegenwehr, eines Kampfes am Opfer 
und 1 atort, Befund am Mörder u. a.» abgegeben werden. 

9) Beim Erwürgen pflegen auch andere Körperteile als Je r Hals 
Verletzungen aufzuw eisen, durch Schlage ruf den Kopi zur Betäu¬ 
bung. Verstopfen des Mundes usw. 

10. Die Entscheidung, ob Jemand erwürgt und naJi dem. Tode 
aufgehängt, ins Wasser geworfen c:c.. um den Tatbestand zu ver- 


Qriginalfröm— 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


1897 


dunkeln, ist meist nur durch genaue Bewertung aller den Tod be¬ 
gleitenden Umstände zu treffen. 

11. Es gibt eine grosse Zahl von vital und postmortal ent¬ 
standenen Verletzungen, welche Würgespuren Vortäuschen; die Fäul¬ 
nis hinwieder kann typische Würgespuren verwischen. 

12. Verdächtige Spuren an der Kindesleiche werden mit Vor¬ 
liebe von der Mutter auf Selbsthilfe bei der Entbindung geschoben, 
letztere kann zwar dem Erwürgen ähnliche Verletzungen hervorrufen, 
ist aber im allgemeinen schwer durchzuführen; derartige Angaben der 

13. Ab und zu können durch spontan erfolgende Geburten oder 
vital oder postmortal entstandene Verletzungen ohne besonderes 
forensisches Interesse Würgespuren am Kindskörper vorgetäuscht 
werden. 

3) Ein Beitrag zur Frage der Selbsterdrosselung. Von 

Dr. Kurpiuweit, Kreisassistenzarzt, Berlin. 

Der Verfasser berichtet über den Sektionsbefund bei einer in 
einer Wiese aufgefundenen männlichen Leiche. Um den Hals der 
Leiche herum lag fest anschliessend, so dass ein Finger nicht hinunter¬ 
gesteckt werden konnte, kunstvoll verschlungen ein Hosenträger. 
Der Kehlkopf war unverletzt. 

Der Tod war durch Erstickung und zwar durch Erdrosselung 
eingetreten: als charakteristische Zeichen der Erdrosselung fand sich 
die zirkulär verlaufende Strangulationsrinne, 5 cm breit, ziemlich 
seicht. Da der Hosenträger mehrfach um den Hals geschlungen war, 
blieben zwischen den einzelnen Umschlingungstouren bläulich-rote 
kammförmige Erhebungen stehen, ln dem Gewebe unter der Schniir- 
furche wurden mässig reichliche Blutergüsse gefunden. 

Mord konnte ausgeschlossen werden, weil keine Spuren eines 
Kampfes resp. keine Spuren anderer Verletzungen festzustellen waren. 

4) Ueber die fraglichen Beziehungen der sog. Mors thymica 
zu den plötzlichen Todesfällen im Kindesalter. Von Dr. Kurt v. S u r y, 
Assistent am gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Wien. 

In dieser ausführlichen Abhandlung findet sich zunächst eine 
Zusammenstellung zahlreicher in der Literatur verzeichneter Fälle 
und eigener Beobachtungen auf fraglichem Gebiete; die wichtigsten 
Sätze, welche nach den bisherigen Erfahrungen sich aufstellen lassen, 
sind folgende: 

1. Keiner der bei Neugeborenen beschriebenen Fälle von Mors 
thymica ist einwandfrei nachgewiesen; bei allen ist der Lungensaft 
auf eine die Asphyxie erklärende Aspiration (Fruchtwasser, 
Mekonium) nicht untersucht worden und sie können daher wissen¬ 
schaftlich eine Verwertung nicht finden. 

2) Die über der Bifurkation (Arcus aortae) und an anderen 
Stellen der Trachea (Art. anonyma, Art. carotica) konstatierten Ab¬ 
plattungen sind als Konfigurationen und Adaptionen der Blutgefässe 
an die Luftröhre aufzufassen und entbehren jeder pathologischen Be¬ 
deutung; für ihr Zustandekommen ist der Druck der Thymus gleich¬ 
gültig. 

3) Die Grösse der Thymus entspricht in der Regel dem Er¬ 
nährungszustände ihres Trägers. Es wurde die Grösse fast stets 
überschätzt und beispielsweise von „enormen“ Drüsen gesprochen, 
wenn sich ihre Masse noch innerhalb der normalen Grenzen be¬ 
finden. 

4) Ein plötzlicher Tod von Kindern kann auf mechanische Weise 
durch eine solche normal grosse Thymus nicht bedingt werden. Es 
liegt stets eine natürliche Todesursache, meist eine Bronchitis 
oder Enteritis vor. 

5) Chronische Atembeschwerden, andauernder Stridor und Er¬ 
stickungsanfälle, wie sie selten bei Kindern auftreten, werden durch 
teilweise oder gänzliche Entfernung der Thymus günstig beeinflusst. 
Die Erklärung dieser Erscheinung steht noch aus. 

6) Eine Druckwirkung der normal grossen Thymus auf Blutge¬ 
fässe und Nerven ist nicht erwiesen und für gewöhnlich grosse 
Drüsen ganz unwahrscheinlich. 

7) Die sogen, „typischen Erstickungszeichen“ haben ohne Nach¬ 
weis der Todesursache für die forensische Praxis, da sie für die 
Erstickung allein nicht charakteristisch sind, keine Berechtigung 
mehr. 

8) Beim Kinde ist in seinen ersten Lebensjahren die Diagnose 
Status lymphaticus schwer und nur äusserst vorsichtig zu 
stellen; für dieselbe wäre der event. Nachweis einer Hypoplasie des 
chromaffinen Systems sehr wichtig. 

9) Die Involution der Thymus beginnt erst mit oder kurz vor 
dem Eintritt der Geschlechtsreife. Zwischen Thymus und Ge¬ 
schlechtsorganen scheinen gewisse, noch unklare Beziehungen zu 
bestehen. 

II. Oeffentliches Sanitätswesen. 

1. Zur Bekämpfung der Granulöse von M.-R. Dr. Cohn. 

Verf. teilt seine in 9 jähriger Tätigkeit gewonnenen Erfahrungen 
über die Bekämpfung der Granulöse mit. Er betont die grosse An¬ 
steckungsgefahr innerhalb der Familie eines an Granulöse erkrankten 
Kindes und der Schule, bespricht die prophylaktischen und thera¬ 
peutischen Massnahmen, welch letztere zum Teil auch von den 
Lehrern zur Anwendung gelangen (die Lehrer wurden in der Weise 
zur Behandlung herangezogen, dass sie den erkrankten Kindern täg¬ 
lich oder mehrere Male wöchentlich adstringierende oder antisep¬ 


tische Lösungen — meist Hydrargyr. oxycyanat. mit Kupfer — ein¬ 
träufeln sollten, die Fertigkeit hiezu war ihnen von den Trachom¬ 
ärzten beigebracht). 

Zur wirksamen Bekämpfung der Granulöse hält Verf. vor allem 
eine intensive Durchführung der prophylaktischen Massnahmen not¬ 
wendig, zu welchem Zwecke allerdings die Aufbringung grösserer 
Mittel notwendig ist als sie z. Z. bewilligt werden. 

2. Gehäuftes Vorkommen von Krebs im Dorfe Nordleda, Kreis 
Handeln. Von Kreisassistenzarzt Dr. G u 11 m a n n in Otterndorf. 

In dem Dorfe Nordleda (1099 Einwohner) wurden von dem Arzte 
in den Jahren 1900—1906 21 Fäll? von Krebs festgestellt, während 
in dieser Zeit in dem nur 2—3 km entfernten Orte Wanna (1363 Ein¬ 
wohner) nur 1 Krebsfall beobachtet wurde. 

Der Unterschied zwischen beiden Ortschaften liegt nach 
Ansicht des Verfassers in der Bodenbeschaffenheit; Nordleda 
hat unter starker Humusdecke Schichten von Lehm und 
Ton, Wanna hat Sandboden. Der Bodenbeschaffenheit ent¬ 
sprechend ist auch das Wasser sehr verschieden, Wanna hat in 
jedem Hause reines, wohlschmeckendes Trinkwasser, in Nordleda war 
bisher die kläglichste Wasserversorgung anzutreffen und dies legt nach 
Verfasser die Verpflichtung nahe, zu prüfen, ob nicht schmutzig stag¬ 
nierendes Wasser, welches zu Gebrauchszwecken im Haushalte in 
irgend einer Weise Verwendung findet, in ursächlichem Zusammen¬ 
hänge mit den Krebserkrankungen steht. 

3) Kritische Untersuchung der üblichen Sputumgläser. Von Dr. 
Busch in Ratzeburg. 

In eingehender Weise wird über die beste Art der Unschädlich¬ 
machung des Sputums der Tuberkulösen und über die verschiedenen 
im Gebrauch stehenden Spucknäpfe und die Brauchbarkeit derselbe*! 
gesprochen. Auf die ausgedehnte Verwendung geeigneter Spucknäpfe 
und dadurch bedingte Einschränkung der Ansteckungsgefahr wird die 
in den letzten 15—20 Jahren nachgewiesene stetige Abnahme der 
Mortalität und namentlich der Morbidität von Tuberkulose zurück¬ 
geführt. 

4) Gesundheitspolizeiliche Massnahmen gegen Tuberkulose in 
Massenquartieren. Von Stabsarzt Dr. F. Becker. 

Verf. bespricht die allgemeinen Massnahmen und dann 
die Massnahmen in besonderen Massenquartieren, unter 
letzteren für Schlafstellen. Herbergen, Fremdenlogis, Lokale und 
Hotels, Arbeitsstätten, Fabriken, Bureaus, Kaufhäuser, Gefängnisse, 
Strafanstalten. Pflegeanstalten, Erziehungsanstalten und Massen¬ 
quartiere im Verkehrswesen. Als allgemeine Massnahme wer¬ 
den empfohlen; Sorge für gesunde Wohnungen, Massnahmen gegen 
Staub und Auswurf, Desinfektion, Anzeigepflicht, Leichenschau, Ent¬ 
fernung Tuberkulöser aus Massenquartieren, Aufklärung der Bevöl¬ 
kerung und Hebung der Volksgesundheit. Dr. S p a e t - Fürth. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 35. 1908. 

1) M. Borchardt -Berlin: Zur Kenntnis der akuten Magen¬ 
ektasie. 

Verf. schildert zunächst einen Fall, wo nach einer Nephropexie 
das Bild einer foudroyanten Peritonitis sich einstellte, die Operation 
aber einen enorm dilatierten Magen mit duodenalem Ileus ergab. 
B. erörtert den Entstehungsmechanismus des Verschlusses bei diesen 
Fällen, für welchen in der Mehrzahl die akute Magenatonie den 
primären Faktor darstellt. Prädisponiert sind magere Menschen mit 
Enteroptose, mit Tiefstand oder Vertikalstellung des Magens u. a.; 
für die Behandlung sind Magenausheberungen, frühzeitig angewendet, 
das Rationellste, weniger oft die Bauchlage. 

2) K. Mendel und S. Adler: Zur Kenntnis der Meningitis 
serosa spinalis. 

Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung 
der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 15. VII: 08. 

3) W. Mayer- Mannheim: Ein weiterer FaH von Stieltorsion 
der Gallenblase. 

In dem mitgeteilten Falle (54 jährige Frau) hatte der Tumor, 
welcher zunächst als akute Hydronephrose einer Wanderniere ge¬ 
deutet wurde, einen Obturationsileus verursacht, der trotz Operation 
zum Exitus führte. 

4) M. Askanazy -Genf: Kommen in den Zellkomplexen der 
Nebennierenrinde drüsenartige Lumina vor? 

Verf. nimmt Bezug auf die in No. 16 der Berl. klin. Wochenschr. 
1908 über dieses Thema von O. Stoerk veröffentlichte Arbeit und 
beantwortet die Frage auch bezüglich der menschlichen Nebennieren 
bejahend. Drüsenschlauchähnliche Formationen in einem Tumor sind 
kein Gegenbeweis gegen seine Herkunft aus Nebennieren. 

5) Meissner -Berlin: Einiges über den Gebrauch des 
Europhens. 

In Gestalt eines mit 50 proz. Borsäure gemischten Streupulvers 
angewendet, hat M. mit dem Präparat besonders bei 32 Fällen von 
Ulcus molle hinsichtlich Granulationsanregung und Schmerzlinderung 
(nebst Geruchlosigkeit des Mittels) sehr gute Erfolge gehabt, die 
nach den von ihm angestellten Experimenten auf eine kontinuierliche 
Abspaltung von freiem Jod in statu nasendi zurückzuführen sind. 
Europhen ist ein sehr gutes Jodoformersatzmittel. 

6) C. Frugoni -Florenz: Adrenallnglykosurle und ihre Be¬ 
einflussung durch das Extrakt und den Saft des Pankreas. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1898 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Nach den ausführlich mitgeteilten Experimenten des Verf. kann 
die glykosurieerzeugende Wirkung von Adrenalin durch eine ge¬ 
nügende Dosis Pankreasextrakt aufgehoben werden; auch der Pan¬ 
kreassaft hat unter gewissen Umständen diese Fälligkeit. Pankreas¬ 
saft 10—14 Stunden mit Adrenalin in vitro in Berührung, verändert 
dessen chemische Reaktionen und biologischen Eigenschaften (toxi¬ 
sche, diabeteserzeugende etc.) 

7) S. S. R a b i n o witsch- Odessa: Beitrag zu den Erkran¬ 
kungen des Conus meduflarls. 

Der 43 jährige Kranke, ein Lokomotivführer, zeigte nach einer 
Erkältung folgende Gruppen von Symptomen: Anästhesie der Urethra 
und des Rektums; Innervationsvcrlust für Blase und Mastdarm; Im¬ 
potenz. Dann; Anästhesie der Genitalien, des Perineums, der Aim- 
kokkygealgegend und der benachbarten Teile der Nates. Schliess¬ 
lich; Verlust des rechten Achillessehnenphänomens. Behandlung mit- j 
telst Strychnin und Earadisation bewirkte bedeutende Besserung, j 
Epikrise bezüglich der Lokalisation. ! 

8) W. Lossen-Köln: Bemerkungen zu Ellenbogenresektionen 
mit Erhaltung der Beweglichkeit. 

L. konstatiert im Anschluss an die kürzlich in der Der!. Min. 
Wochenschrift erschienene Mitteilung von V. Schmieden zu die¬ 
sem Kapitel, dass bei der Barden h e u e r sehen Resektion (I in- 
hakung der Ulna in die Epiphyse des Humerus) in 37 Pro/, der balle 
ein straffbewegliches Gelenk, in 4f> Proz. eine Ankvlose in guter 
Stellung, in 7 Proz. ein aktives, nur in 1 Proz. ein passives Schlotter- 
gelenk erzielt wurde. Orassm a ti n - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1908. No. 35. 

1) O. S o 11 m a n n - Leipzig: Die Behandlung der Skrofulöse. j 

Klinischer Vortrag. j 

2) Alb. Ne isse r-Breslau: Ueber die Verwendung des Arsa- 

cetlns (Ehrlich) bei der Svphllisbehandlune. | 

Verf. hat das Arsacetin in Batavia an Affen versucht: es eiwies j 
sich als ungleich ungiftiger und mindestens ebenso w irksam als das 
alte Atoxyl. dabei war es sehr haltbar. Die symptomatisch-heilende 
Wirkung, die aber nicht allein ausschlaggebend ist. war geringer als 
bei Quecksilber. Kombination dieser beiden Mittel erscheint aus¬ 
sichtsvoll. Man sollte Arsacetin beim Menschen versuchen und zwar 
zunächst bei Syphilitikern ohne parenchymatöse Organstörungen. 
Ueber die Art der Kur macht N. nähere Angaben. 

3) M. W o I f f und Hans M ii hsa m - Berlin: Mit Tuberkulin 
komplementbindende Antistoffe Im Serum Tuberkulöser. 

Im Serum Tuberkulöser aller Stadien waten in ungefähr der 
Hälfte der Fälle Stoffe vorhanden, welche mit Tuberkulin zusammen 
Komplement zu binden vermochten. Dabei konnten geset/.müssiee 
Beziehungen des Antitubcrkulingehaltes des Blutes zur Schwere des 
Falles, zum Baziilengchalt des Smitums. zur Wirkung der nroba- 
torischcn und therapeutischen Tuberkulinreaktion nicht gefunden 
werden. 

4) Rieh. Bau er-Wien: Ueber alimentäre Galaktosurie bei 
Ikterus. 

Vortrag im Verein für innere Medizin in Berlin am 6. VII. 08, 
ref. Münch, med. Wochcnschr. No. ?S. Seite 1514. 

5) F. D a m m e r t - Homburg a. d. H.: Ueber intermittierendes 
Fieber Ws tertiärer viszeraler (speziell Leber-) Svphills. 

6) Curt P a r i s e r - Homburg v. d. H.: Zwei Fälle von Leber¬ 
lues mit langdauerndem Fieber. 

Kasuistische Beiträge zur Kenntnis des leicht mit Malaria oder 
Tuberkulose zu verwechselnden, je nach Mitbeteiligung der inneren 
Organe (Leber, Lungen. Herz) verschiedenartigen Krankheitsbildes. 
Mahnung, bei allen Fieberzuständen unklaren Ursprunges auch an 
Syphilis zu denken und .Todmedikation zu versuchen, welche über¬ 
raschende Erfolge bringen kann. 

7) Walter Tele mann - Königsberg; Eine Methode zur Erleich¬ 
terung der Auffindung von Parasiteneiern in den Fäzes. 

Durch Zentrifugieren der mit Actlmr und Salzsäure geschüttelten 
Probepartikel erhält man inj Reucens-Jas 3 Schichten: Oben die in 
Acthcr gelösten Fette, in der Mitte Säurelösung mit Bakterienresten 
und kleineren Detritusmassen, unten die unlöslich gewesenen Nah- 
riingsrcste. Zellulose Muskelfasern und Parasiteneier. 

8) E. H ö n c k - Hamburg: Ueber Unterschiede In der Temperatur 
beider Achselhöhlen bei akuter Enityphlltis. 

Aufforderung zu weiteren Beobachtungen in dieser Richtung; 
theoretische Bemerkungen im Anschluss an den Artikel von W ; i d m e r 
(Miineh. med. Woehenschr.. 1008. No. 13). 

9) Fricdr. Müller- Heilbromi a. N.: Ueber die Entfernung von 
Zerumlnalpfröpfen und Fremdkörpern aus dem Gehörgang. Ein Ge- 
hörgangsspülröhrchen. 

Das Instrument (abgebiklet) beseitigt die Gefahren der gewöhn¬ 
lichen Ohrspritzen (kann nicht zu weit vorgeschoben werden, bat 
Riickfliissvcntil, Platte zum Halten, Klysnpomp). 

10) H. T ö p f e r - Berlin: Morbfcld, ein neues Desinfektionsmittel. 

Bakteriologische Prüfung fiel sehr günstig aus. Starke desinfi¬ 
zierende Kraft bei relativ geringer Giftigkeit und Aetzwirkung. 

11) Karl Bccr-Bcrlin: Ein Röntgeninstruraentarium In neuer, 
praktischer und eleganter Anordnung, besonders geeignet zur Auf- 

1 ug Im Sprechzimmer. 


Schrankform, 30 40 cm-Indiiktor vertikal. Raumersparnis, Be¬ 

weglichkeit. 

12) k i m m I e - Berlin: Das Deutsche Rote Kreuz Im russisch- 
japanischen Kriege. 

Erwiderung auf den Artikel von H. Fischer in No. 27. 

R. G r u s h e y - Man J’.e n. 

Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVIII. Jahr¬ 
gang. No. 16. 19U8. 

Alfred Vogt- \a: au • Hemianopsla bttemporalis. auigetreten 
nach Ablauf einer Epilepsie. 

Das zentrale >dt\ ci mogelt war r. umgeh- -beu. 1. s\rk vc r - 
niindert. Das Verhalten im einzelnen stimme zu den je!/ geil \u- 
nalinien über den Laser v er lauf. I i suiie w aüBs. :.e.n.;v| Dim--r. De 
- recht miMchere -- Item.am ■p.'vliy RcaM.cn war n Mit zu k-m- 
statieren. 

Ernst 8i)muicr-/uu3| Radium, Radioaktivität und Radlum- 
therapie. 

Von den Elementen, den Strahlen mJ snis'.goi l'-gens 
des Ra.liiims und der phvvkal>c!ieii und U .'a;>eu; sdan VV.'kuug. 
Das ganze Gebiet der Ra bumtheiap.c gci.«»r t m de Domäne des 
in dieser Disziplin geschmteti Arztes. 

Lhailes W ul mer: Spontanheilung eines Anus praeter nach 
Hernieninkarzeration und Kotphlegmone. 

Der bemerkenswerte Verlauf, bt so'nde rs das Ve: ha'feti des 
Briichvaekes und I ituchw asvers, lie >.»n:ie»4%'Hl ahlung wn'iui int 
Gngiiia! nacligelesui wei Un. I * . s t h i n g e r. 

Oesterreich Ische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

Nu. 35. F. K u r n f e Dl - Wien : L eber Niercntiiberkulosc. 

V'urgi tragen auf dem Kongress tut innere M< bzin m Wmi Ions 

G. .1. B a r a d ii 1 i ii - Moskau: Zur f rage des Echinokokkus der 
Muskeln. 

B. besv.li! eibt drei lalle (ie einen -kr R\ k t rtmtisk eh», der (0 er- 
schenkel- und der Djiilltvrmwskj.nl etge Her Uc--b.i Jitmig lind er¬ 
örtert noch weitere 243 lalle der Iitcratur. Der r Jati-v '■illoi' 
Echinokokkus der Muskeln lu trifft v -»r/ugsvv eise -lie Muskeln des 
Ruckens. des (>bei sjicnkjs. d.c (ilut.ieii und eien Muse, de *P'i.k ns; 
eine gewisse Rolle für die Entstehung s-.'leu Damnen s-ue \ n. lu 
geringem Masse fiberwiegt die Beteiligung des weib'ijien t n - 
schlechtes, bei wekhern am I nde einer < ira\ iD.it.it uinl muh e'i'e r 
Geburt ein stärkeres Wachstum der Geschwulst /u bc--Ki Jute n ist. 
Die Diagnose ist oft schwierig und am häufigsten wird ein k.i’tcr 
Abs/ess angenommen. Die Operation besteht in der In/isw-n oder 
wenn niodiJi in der vollständigen 1 \stu pati'-n vk r GcsJ-wmst. 

A. I I i n k e r - W iznitz: L eber einen seltenen Fall von Makro- 
daktylie. 

Angeborene Vergrösscr ung ek s Zeigi f ; *t*gc rs einer Hand. \v e- 1 J*cr 
eine Lance von 10 cm (Daumen 7. Mitte'mi o r |o c#t) besitzt Das 
Roiitgenbikl zeigt eine starke Bete liigung ek r kn.-Jv.en. auji d» s 
Mrtaknr pus. die spo)tgi»»se v ubsMp/ ersjieint k->n pakte r. v!'e M.o k- 
hohlen enger. Andere Missbildungen sind nicht vmli.i'ijui. 

.1. I. e o p o | d und V. v. R e u s e - W im : L’eber öle Beziehungen 
der Epithelkörperchen zum Kalkbestand des Organismus. 

Beobachtungen an Ratten, bei denen v op F r vl Ii e i m die F-ntbek 
körperchm exstirniert waren. Im Ve rgleich zu P'-rmaku ‘Deren 
verscitiedenen Alters deren Ka'k-.’vliak genau bestimmt tflld als sju 
wechselnd befunden wurde ''ernten de drei nper im teil ei wachseneu 
Tiere, w elche die tv ruschen Zahuv erändeMingcn aufw wsen kaum eim- 
Veränderung, am ehesten noch eine geringe /mialnie «!• s Kdkge- 
lialtes; daeeeen fand man bei einem noch in lit iinso v. a ebsemn 
operierten Tiere einen beträv bt'ich geringer» n ( h-s.rutk.iT.geb.et bei 
eöu-ni gleichzeitigen starken Zm iuk Wyü’rn des K--i tn-rw «J^tums uni 
Körpervcw ichts. Bei zw ei w c i1 1 r o»i oOetir'ttn iu"''oi T’e r en vmde 
der Kalkgellalt der Knochen mul Wk-khti ik- -zes« -n.i» • t bestimmt und 
bei ersteren verringert. bei letzteren \»ri.i I"t befrm k n. 

O. Burk a rd - < ir az : Aufgaben und Ziele sozialer Medi/in. 
(Schluss.) 

Zur kurzen Wiedergabe niJit geeignet 

B e r g e a t - Mur Ja n 

Englische Literatur. 

(Schluss.) 

H. Fr euch: Der gegenseitige Flnfliiss der Schwangerschaft auf 
verschiedene Krankheiten. (I ancet. 2. und «>. Mai Ions.’) 

Verf. hat sich unseren Dank verdient dafür, das«; er in dieser 
Arbeit eine gute Zusammenstellung ades dessen gege 1 '-n hat. w as bis- 
i her über den I : in Muss gewisser Kraukhe iteti auf die S jHvauge-s ch.dt 
und vice versa bekannt war. Ausführlich wird N-inmVt der lk’pcs 
gestationis lind die dabei be- -buchtete F- •sim.p!' ;, ie: Verf. for-k rt zu 
einer Sammelfors diune ii De-r öoe m-Ji immer unkkre r.-nkurg 
auf. Die Pveloiiephritis der Sv-hw angeret? wrd auf -lie dweh «len 
schwangeren Uterus bedingte Abkukkimg ur-l Frw eit-rting der Ure- 
tcren und nachträgliche Infektion mit Ko’d'aJlkn ztiruckgef .Imt. Die 


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UNIVERSITY 0F MINNESOTA 




8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1899 


sonstigen Nierenveränderungen bei der Schwangerschaft vergleicht 
Verf. mit der Scharlachnephritis. Tritt frühzeitig Oedem auf, so ist 
meistens Eklampsie nicht zu befürchten. Verf. weist dann auf den 
Zusammenhang zwischen Tetanie und Schwangerschaft hin, die Er¬ 
krankung ist auf gewisse Orte beschränkt, sie ist z. B. in England 
äusserst selten. Appendizitis während der Schwangerschaft verläuft 
gewöhnlich sehr schwer und erfordert möglichst frühzeitige Operation. 
Wird eine Schwangere vom Typhus befallen, so kann man Typhus¬ 
bazillen und W i d a 1 sehe Reaktion im Blut des Fötus nachweisen. In 
diesen und ähnlichen Fällen verliert die Plazenta offenbar die Fähig¬ 
keit als Barriere zu wirken und lässt Toxine und Bakterien durch, 
die sie sonst zurückhält. 

A. H. F. B a r b o u r: Die Gefrierschnitte von B u m m und 
BI umreIch und Zangemeister. Gibt es ein unteres Uterin¬ 
segment? (Scott. Med. and Surg. Journ., April und Mai 1908.) 

Verf. glaubt, dass die Uteri in denen die „Dezidualreaktion“ bis 
jenseits vom Os internum sich erstreckt, als ein Typus aberrans auf¬ 
zufassen und nicht als vorübergehende physiologische Veränderungen 
zu betrachten sind. Er widerlegt dann B u m m s und Blumreichs 
Behauptungen, dass in einem von B a r b o u r beschriebenen Gefrier¬ 
präparat sich der Kontraktionsring am Os internum befunden habe. 
Er weist nach, dass in seinem Falle eine mit Dezidua bedeckte Zone 
unterhalb des Retraktionsringes lag, dass die Zervix kürzer und dicker 
war und dass der Kontraktionsring oberhalb des Os internum lag, 
dass es sich also hier um ein unteres Uterussegment handelt, das 
nicht als gedehnte Zervix, sondern als Teil der Wand des Uterus¬ 
körpers anzusehen ist. Die Dünnheit des von B u m m und Blum- 
r e i c h beschriebenen hinteren Zervixteiles ist pathologisch; das 
Epithelium der Drüsen im oberen Teil der sog. Zervixschleimhaut ent¬ 
spricht nicht dem normaler Zervixdrüsen. Zangemeisters Ge¬ 
frierschnitt zeigt, dass bei der Uterusruptur der Riss so lange in¬ 
komplett ist, als er seitlich bleibt, sobald er aber einen Teil des Uterus 
erreicht, der von Peritoneum bedeckt ist, wird er komplett. 

W. B. Bannerman: Neuere Pestuntersuchungen in Indien. 
(Edinburgh Med. Journ., Mai 1908.) 

Aus der interessanten Arbeit sei nur erwähnt, dass die pneu¬ 
monische Form der Pest, die ausserordentlich kontagiös ist, gleich¬ 
zeitig sehr selten ist (nicht 3 Proz. der Fälle) und deshalb nur eine 
geringe Bedeutung für die Verbreitung der Krankheit hat. Die Bu¬ 
bonenpest des Menschen ist nicht ansteckend und verdankt ihre Ver¬ 
breitung lediglich derselben Krankheit bei der Ratte. Die Infektion 
wird von Ratte auf Ratte und von Ratte auf Mensch nur durch den 
Rattenfloh verbreitet. Von Ort zu Ort wird die Pest meist durch den 
Rattenfloh verbreitet, der im Gepäck der Reisenden verschleppt wird 
oder auch am Körper der Reisenden. 

Harvey L i 111 e j o h n und J. H. H. P i r i e: Mikrochemische 
Samenuntersuchungen. (Ibid.) 

Auf Grund ausgedehnter Untersuchungen haben die Verff. fest¬ 
gestellt, dass die Reaktion von F1 o r e n c e für Samen nicht spe¬ 
zifisch ist. Auch andere Substanzen als Samen oder Produkte der 
Genitaldrüsen ergeben dabei ein positives Resultat. Ihr Wert ist mehr 
in einem negativen als in einem positiven Resultat, wenn man sie 
als Vorversuch bei starker Beschmutzung der zu untersuchenden 
Kleidungsstücke anwendet. Barberios Reaktion kann dagegen 
als spezifisch angesehen werden, da keiner der Stoffe, mit denen 
Wäsche und Kleider gewöhnlich verunreinigt werden können, bisher 
mit ihr einen positiven Erfolg gegeben hat. Jedenfalls kann man 
sagen, dass sie, wenn auch nicht für Samen, so doch für die Sekrete 
der Geschlechtsdrüsen spezifisch ist. 

Charles Bolton: Die experimentelle Produktion von Magen¬ 
geschwüren. (Lancet, 9. Mai 1908.) 

Injiziert man Magenzellen eines Tieres in ein anderes Tier, so 
wird das Blutserum des injizierten Tieres giftig für die Art von 
Magenzellen, die injiziert werden. Verf. stellte sich 3 Arten von Seren 
her, indem er 1. die Magenzellen des Meerschweinchens in das 
Kaninchen injizierte; 2. die des Kaninchens in das Meerschweinchen 
und 3. die des Menschen in das Kaninchen oder das Haushuhn. Der 
menschliche Magen wurde bei Operationen gewonnen, die Schleim¬ 
haut wurde abgekratzt und sofort injiziert. Nach 5 wöchentlich 
wiederholten Injektionen ist das Blutserum des injizierten Tieres 
äusserst toxisch. Ein Kaninchen, das mit Meerschweinchenmagen in¬ 
jiziert wurde, zeigt keinerlei Veränderungen in seinem Magen; injiziert 
man das Serum dieses Kaninchens in ein anderes Kaninchen, so er¬ 
folgen ebenfalls keinerlei Magen Veränderungen; injiziert man jedoch 
ein Meerschweinchen, so findet man schon % Stunde später Sym¬ 
ptome schwerer Vergiftung und der Tod erfolgt in 24 Stunden, wenn 
man 5 ccm Serum auf 100 g Meerschweinchen einspritzt. Die Sek¬ 
tionsergebnisse sind auf den Magen beschränkt, und zwar treten sie 
stets innerhalb der ersten 24 Stunden auf: war die Dose nicht tödlich, 
so findet man nach 24 Stunden Magenveränderungen, nach dieser Zeit 
treten neue Läsionen nicht mehr auf. Es handelt sich um Nekrosen 
in der Magenschleimhaut, oft ist die ganze Mukosa ergriffen, zuweilen 
handelt es sich um kleinere Stellen. Die nekrotischen Stellen sind 
schwarz verfärbt (Blutpigment): die nekrotischen Stellen stossen sich 
rasch ab und lassen dann reine, glatt ausgeputzte Ulzera zurück. 
Will man die Heilung dieser Ulzera studieren, so muss man das Serum 


intraperitoneal direkt in die Magenwand injizieren, da man sonst zu 
leicht Tiere verliert. Spritzt man 2 ccm normales Meerschweinchen¬ 
serum, normales Kaninchenserum oder Kochsalzlösung in die Wand 
eines Meerschweinchenmagens (nach Laparotomie), so entsteht ausser 
einem leichten Oedem, das nach 24 Stunden absorbiert ist, keinerlei 
Veränderung, spritzt man aber 1 bis 1,5 ccm gastrotoxischen Serums 
ein, so tritt ein Ulcus auf, dessen Grösse von der Menge und Stärke 
des eingespritzten Serums abhängt. Das Gastrotoxin allein kann kein 
Ulcus erzeugen, dazu gehört immer noch der saure Magensaft, 
schliesst man diesen aus, so entsteht kein Ulcus (es genügt, in den 
Meerschweinchenmagen 15 ccm 0,8 proz. Natr. bicarb.-Lösung ein¬ 
zubringen, ehe man die Gastrotoxine einspritzt). Verf. glaubt, dass ein 
beim Menschen durch Selbstverdauung entstandenes Ulcus chronisch 
wird, weil eine sekundäre bakterielle Infektion hinzukommt. 

Bertraud Dawson: Die Diagnostik und Therapie der Magen¬ 
erkrankungen. (Brit. Med. Journ., 9. Mai 1908.) 

Verf. steht leider auf dem in England noch vielfach verbreiteten 
Standpunkt, dass die Entscheidung über eine vorzunehmende Magen¬ 
operation vor das Forum des Internisten gehöre. So will er denn 
bei Oesophaguskrebs die Gastrostomie nur in ganz ausnahmsweisen 
Fällen vornehmen lassen. Die Mortalität der Gastroenterostomie bei 
Magenkrebs berechnet er auf 25 Proz.; er glaubt ferner, dass die 
Beschwerden nur selten gebessert werden. Er empfiehlt deshalb bei 
früh erkannten Fällen die Resektion; ist dieselbe unmöglich, so soll 
man in der Mehrzahl der Fälle den Bauch wieder schliessen; nur bei 
ganz umschriebenen harten Pyloruskrebsen bessert die Gastrojejuno- 
stomie zuweilen für kurze Zeit die Symptome. Wenn der Pylorus 
nicht völlig verschlossen ist, so geht der Mageninhalt nach wie vor 
durch den Pylorus; nur bei völligem Verschluss treibt ihn die Muskel¬ 
kraft durch die Anastomose. Bei atonischem Magen nutzt die Ana- 
stomose nichts. Die Gastroenterostomie nutzt durch Verringerung der 
Azidität, durch Beseitigung des Pylorusspasmus und durch Verminde¬ 
rung des Druckes im Magen. Verf. untersuchte 240 Fälle von Magen¬ 
geschwür, die gastroenterostomiert wurden, später nach und fand, 
dass fast alle angaben, dass die Schmerzen sie zur Operation ver¬ 
anlasst hätten. Die unmittelbare Mortalität der Gastroenterostomie 
bei gutartigem Magengeschwür beträgt 6,5 Proz. Bei der Mehrzahl 
der Kranken heilen die Geschwüre nach der Ooeration und es tritt 
bedeutende Besserung der Symptome ein. Verf. bespricht dann die 
Fälle von Magenblutung ohne Geschwür, die durchaus nicht selten 
sind; hier nutzt die Gastroenterostomie höchstens durch Verminderung 
der Azidität. Bei der gewöhnlichen Ulcusblutung ist eine Operation 
nicht angezeigt. Bei der Gastroptose und nicht stenosierenden Magcn- 
dilatation ist eine Gastroenterostomie nicht angezcigt. (Verf. vergisst 
als Internist bei seiner Verdammung der Gastroenterostomie ganz, 
dass die Fälle durchaus nicht so selten sind, in denen es selbst bei 
der Operation unmöglich ist, zu entscheiden, ob man es mit einem 
Krebs oder mit einem grossen Ulcus zu tun hat. Ref. hat mehrere 
solche Fälle gastroenterostomiert und die Prognose sehr trüb gestellt: 
nach einiger Zeit erholten sich die Kranken, der grosse Tumor ver¬ 
schwand und es trat völlige Heilung ein. Schon wegen dieser Fälle 
sollte man stets gastroenterostomieren, zumal da auch bei ganz hoff¬ 
nungslosen Krebsen die letzten Wochen des Kranken durch eine ge¬ 
lungene Gastroenterostomie oft sehr verbessert werden. Ref.) 

G. B. A. Moynihan: Die Gastroenterostomie und ihre Folgen. 
(Ibid.) 

Verf. wendet nur die hintere Methode ohne Schlingenbildung an; 
er versucht, das Jejunum so weit wie möglich in der genauen mittleren 
Vertikalebene an den Magen anzuheften und die Anastomose so nahe 
als möglich an die Flexur zu bringen. Mit Abzug der akuten Per¬ 
forationen und akuten schweren Blutungen hatte Verf. bei seinen 
Fällen von Magengeschwür 1 Prozent, beim Duodenalgeschwür 

2 Prozent Mortalität nach der Gastroenterostomie. Auch er glaubt, 
dass die Nahrung nur dann durch die Anastomose geht, wenn Pylorus 
oder Duodenum verlegt sind. Bis Ende 1905 ooerierte Verfasser 
9 perforierte Geschwüre mit 1 Todesfall. 26 Fälle akuter Blutung mit 

3 Todesfällen: 205 Fälle von chronischem Geschwür mit 2 Todes¬ 
fällen und 15 Sanduhrmägen mit 3 Todesfällen (Gesamtsterb- 
lichkenit 3.5 Proz.). Im ganzen hat Verfasser 27 perforierte 
Magengeschwüre operiert und 18 gerettet, bei 6 Fällen wurde 
sofort eine Gastroenterostomie gemacht, in 3 weiteren wurde 
sie später notwendig. Von den 18 Fällen sind 17 beschwerdefrei, 
1 hat gelegentlich Magenbeschwerden. Von den 23, die die Ooeration 
wegen Blutung überstanden, konnten 22 nachuntersucht werden; 
18 sind völlig gesund. 1 hat keine Magenbeschwerden, ist aber 
..schwächlich“; 3 haben gelegentlich nach der Operation Galle er¬ 
brochen. 2 von diesen sind aber jetzt seit längerer Zeit ganz gesund. 
Von 205 wegen chronischem Ulcus operierten Fällen konnten 202 nach¬ 
untersucht werden. 7 sind später an Magenkrebs. 8 an anderen Ur¬ 
sachen gestorben. 148 sind völlig geheilt. 5 gebessert, bei 9 ist die 
Besserung zweifelhaft, bei 12 ist keine Besserung zu verzeichnen: 
von 14 konnte, in diesem Jahre kein Raonort erlangt werden, doch 
waren 11 von ihnen länger als 2 Jahre nach der Operation völlig 
gesund. Die 12 Kranken, die die Operationen wegen Sanduhrmagens 
überstanden, sind alle völlig gesund. Verf. betont besonders, dass die 
Fälle die besten Erfolge geben, in denen der Pylorus oder das Duo¬ 
denum stenosiert sind. Findet man ein Ulcus an der kleinen Kurvatur 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



i 900 


MUfiNCiii:NKR medizinische Wochenschrift 


in der Nähe der Kardia, so soll man es womöglich cxzidicrcn; eine 
Oastroenterostomie ist in diesen hüllen überflüssig oder sogar scliüd- 
lich. hehlen Zeichen organischer Krankheit hei der Operation, so 
ist unter keinen Umstünden eine Oastroenterostomie zu machen. 
Circulus vitiosus beruht immer auf fehlerhafter Ausführung der Opera¬ 
tion, meistens auf der Anwesenheit einer langen Jejimumsehlmge, 
seltener auf longitudinaler Drehung des Jejunums während der An¬ 
heftung an den Magen. 

A. W. Mayo Robson: Die Anatomie des Pankreas in Beziehung 
auf die Erkrankungen desselben. (Brit. Med. Journ., 16. Mai Iöom 

Verf. glaubt, dass bei allen hüllen von Pankreaszysten gleich¬ 
zeitig chronische Pankreatitis vorhanden ist; es gelang ihm deshalb 
stets, bei Pankreaszysten die C a m m i d g e sehe PankrcasreaMion 
im Urin zu demonstrieren; es ist dies bei allen unklaren Abdommal¬ 
tumoren ein wichtiges Zeichen, da sie bei Zysten anderer Organe. 
Sowie bei Pseudozysten des Abdomens stets fehlt. Von *4 I allen vmi 
hämorrhagischer Pankreatitis, die Verf. operierte, wurden 2 geheilt. 
Verf. glaubt, dass sogen, katarrhalischer Ikterus in sehr vielen 1 allen 
darauf beruht, dass der Choledochus von dem verdickten Panktcas- 
kopf komprimiert wird. Interstitielle Pankreatitis ist eine häufige hr- 
krankung und wird sehr oft mit Krebs des Pankreas verwechselt. Die 
Prognose lässt sich meist aus der Cani m i d g e sehen Reaktion des 
Urins stellen; auch die Untersuchung der hiizes gibt wertvolle Auf¬ 
schlüsse; bei Pankreasleiden findet man im verseiltes neutrales hett. 
Jedenfalls steht cs für Robson fest, dass der sogen, chronische 
katarrhalische Ikterus in der Mehrzahl der balle der Begum einer 
chronischen interstitiellen Pankreatitis ist, die durch zeitige Operation 
(Ableitung der Galle) heilbar ist. Chronische Pankreatitis ist nicht 
allzu häufig mit Diabetes vergesellschaftet, in den letzten 65 ballen 
von chronischer Pankreatitis mit Steinen im Ductus choledochus, die 
Verf. operierte, fand sich nur 4 mal Zucker. Anw esenheit von Zucker 
deutet auf schwere allgemeine Erkrankung des Pankreas; Krebs des 
Pankreas führt nur zur Zuckerausscheidung, wenn das ganze Organ 
zerstört ist. Die Operation der Wahl bei chronischer Pankreatitis 
ist die Cholezystentcrostomie. Pankreassteine enthalten Kalk und 
lassen sich durch die Röntgenstrahlen nacliw eisen; Verf. hat mit Gluck 
Steine aus dem Ductus Wirsingianus und dem Ductus Santorini ent¬ 
fernt. Bei Krebs des Pankreas ist keinerlei Operation angc/cigt. da 
selbst Cholezystentcrostomie und Cholc/vstotomie von diesen Kran¬ 
ken sehr schlecht vertragen werden. Derartige Operationen dürfen 
höchstens dann unternommen werden, wenn man über die Natur des 
Leidens im Zweifel ist und annimmt, dass es sich um etw as Entzünd¬ 
liches handelt. 

J. Theodore Cash: Die Dosierung von Indakonltln. (Brit. Med. 
Journ., 23. Mai 1908.) 

Objektive Toxizität wird bei subkutaner Anwendung von InJa- 
conitin. hydrobromic. erzeugt, wenn nicht weniger wie '» der töd¬ 
lichen Dosis eingespritzt wurde. ‘ .% seltener schon 1 » der todliehen 
Dose produziert deutlichen Speichelfluss. Die geringste Dosis, die die 
Temperatur merklich herabsetzt, betrügt 1 s\ der tödlichen Dosis. 
Wiederholung der Einspritzung bewirkt eine Summierung der tem¬ 
peraturerniedrigenden Wirkung. Bei täglicher oder 2 tägiger Anw en- 
dungsweisc tritt eine geringfügige Gewöhnung an das Mittel ein. 

Eustacc Smith: Der interne Gebrauch des Terpentinöls. (Ibid.) 

Das Terpentinöl wirkt ausgezeichnet hämostatisch bei Purpura 
hämorrhagica, und zwar besonders zusammen mit Rizinusöl. Man 
muss aber grosse Dosen geben, bei einem 5 iührigen Kinde mindestens 
8,0 Terpentin mit derselben Menge Rizinusöl; bei 12 iührigen Kindern 
gibt er bis 15,0 von jedem Oel täglich. Kleinere, häufiger gegebene 
Dosen sind wirkungslos. Bei Hämophilie ist das Terpentinöl eben¬ 
falls sehr wirksam. Gute Erfolge erzielt man bei allen bormen der 
Iritis, man gibt 3 mal täglich 4,0. Bei blatulenz und Kolik wirkt es 
vortrefflich; kleinen Kindern gibt man 3 4 Tropfen mit der doppelten 
Menge Rizinusöl in Mixt, amygdal.; bei tuberkulöser Pciitomtis gibt 
er Terpentin mit Codein und Spir. Acthcr. mtrosi in Mandelemulsioii. 
Bei Singultus sah er gute Erfolge von ln Tropfen Terpentin mit 
30 Tropfen von Spir. Aether. nitrosi. Bei Gallensteinen gibt er 
15 Tropfen 3 mal täglich. Bei Oxyurcn gibt er Terpentin innerlich 
und per Klysma. 

R. L. Sutton: Die Resorption von Salben. (Ibid.) 

Schweinefett mit oder ohne Zusatz von Benzoe und reines Gänse¬ 
schmalz werden am raschesten resorbiert. Petrolatum wird ohne 
kräftige Einreibung fast gar nicht aufgenommen. Lanolin allein w ird 
schlecht, in Verbindung mit Olivenöl ziemlich gut resorbiert. Alle 
Salben werden viel rascher resorbiert, wenn man ihnen etwas Zedern¬ 
öl zusetzt. 

brederik Garden er: Ueber Satlnholzdermatitis. (Ibid.) 

Die Krankheit kommt bei Arbeitern vor, die mit Satinholz arbei¬ 
ten; nicht alle Arten des Holzes erzeugen die Krankheit, am gefähr¬ 
lichsten sind die von Indien und Westafrika kommenden Sorten. Be¬ 
sonders disponiert sind Leute, die schon vorher an Seborrhoe der 
Haut litten. Wahrscheinlich ist ein in dem Holze enthaltenes Harz 
als das sehlidliehe Agens aufzufassen. Die Behandlung besteht in 
Bestrahlungen mit Röntgenlicht. 

Khan Balladur N. H. Chosky: Neuere Fortschritte in der 
Serumbehandlung der Pest. (Brit. Med. Journ., 30. Mai 19IIS.) 


Voll 1 nsl Kranken, die mit dem V e r s i n - R o u x ’: L n sc*- - 
hclundclt wurden, starben 557 U'V ProzT. \<-n den rn >; da! hd.'- 
deltcn ballen starben 57. von den Urivatt.i cP B' / l' 

niedrigste Mcrbfrchkeitsziffer t3«i.3 Bfo/.l zeigten kranke. %l c d' 
I. Krankheitstage zur Behandlung k.inun. am 2. starben *.V». " : 

63 Pro/., am 4 . 57.1. am 5. M.5. am (>. 57.1 und am 7 l'*> 

der behandelten lalle. Die Wirksamkeit dev >e' ums lev’ ’ 
da ihm iede antitoxisGie Wirkung ieli.t W ende t n .in o .ri 1 k . 

heitstage an. so werden viele Kranke ge rettet, de v : st ste' 1 - - 

den, ausserdem dauert die Krankheit nur 4. vt.itt vier i ■ uhe'* I" 7 -- 
ernstliehe Koinpiikatioueti des tat.ms- um! Nerv etNv s w •. 
Bubonen werden rasdi resorbier t. Wendet man ev e f vt nad- 4" - 

den an, so wird elcr \ erlauf der Krankheit m J;t w yH d . *i ' 

einfhissf. 

\. Buelianan: Die Kat/c als Verhiiter der Pest. '!' 1 

bs hat niemals etwas genutzt, einen K ■ »r d< »n um n h i. ■ »d- 
seu eilte OrtsJiaiteti zu ziehen. da man dadurch w ■ hi k'.r * g V- - 
selten, nicht aber die Ratten abh.öten kann \uJi die In v •••.*: 

verseuchter Orte war nutzlos. Weit die Ratte imU l.ist-.gt f et-. *,,-**• 

selbe gilt von der Isolierung Bestkraukcr in be s .-r de r e n läge"’, w •. 
bekanntlich die Best so gut wie me ih'ikt von Venvli auf Vrv" 
libertragen w ird. Man vagt devha.b m Indien, dass <.,n B<.s- .{g L r 
ungeiahrliehste Ort ist. Angestellte. die die Kranken m dt r. Be v .. g e ' 
besorgten, ei krankten fast me. Ine I ‘eher tragung Cee. dt .... 'da 
den Ratteniloh, und elas beste Br<.ph\ laktb.imi gegen ,;.e Best d 
die Katze. 

N. N. B r a h m a c h a r i: Sporadisches Vorkommen \on Kala- 
Azar in Kalkutta. Behandlung mit Aloxyl. <ldd.) 

Kaht-A/ar kommt hantig sporadisch m Ka'kutta vor nr.J ist d -• 
w ahrscheinhch besonders unter eien Hindus endemisch. Iw: oy? 
Diagnose gewahrt die i.eukozv tru/aUing grosse H« fe. -\ t» v ! w - 
in sehr grossen Dosen, l.o als I mze : mektem. gut v i>n d esm K'.«*- 
ken v ertragen, bs bessert rasch die Sv mptonre. beve :?:gt >e d -ch m^ : 
die Krankheitserreger. Man gibt «"duvt'idi eine I nsp- dm-.- \. -• 
l.o \ t o \ \ |. I Maguostiseh ist v «»r adm die M;di'unktur \.*n W id : . - 
keit. die mit feiner Nadel auvgt ti.hrt. ungeih•'idl ist. 

H. C u mpstoii: Die Serumtherapie bei ScharlachReber. 1 Id 1 

Verf. benutzt ein pol\\ aknu s 'se’tnm d.is Von >t*eptok-ö -- 
Stämmen gewonnen ist. die von ha: i.u hta'len stammen. \<n *7 v . 
behandelten schweren septischen I .< än genasen 2 v <»n den I 
fällen sirul vielleicht fmdl ab/u/uhen. da d« r nie eitlen schw e'e u 
geborenen Mer/fehier. eler andere einen saueren erworben«.» k ap- 

penfehler hatte. Je frulier man die V" mm nsfit/ting be.m-t. n 

so besser sind die brt’ojge. Meist f.d't du* I e ••u'eratnr 4v Stunden 

na< h d*T Umspritzung zur N-nu und Ke d t in •• m.d. Be Iw.eei 

schwellen ab. die septische Angina reinigt suli l|isd» und der N.isü ”- 
iiustluss verliert seinen eitrigen Lharakter. Nu r muss man !• h 
spritzen und nidit weniger als 5o CsUi Serum auw enden. 

Ernest W e s t und S\ duev Seit; Die operative Behandlung 
der Lahyrinfhcilerungen. tl.oMt. •> M.o l^'v.» 

Die A’erff. operierten 2*» I a ! e. Je r en Kr ankettge'sd ho-n rr.d .' 
angegeben sind, mit gutem 1 rfo'ge. S:e d.mben. dass m vidri 

ballen von Radikaloperatmn d« r Brozevv mdit zur \i;s!u öuiie k. .. 

weil literungen vles I abv rintla s nlvv 'ri ii werdin ln kde*” 1 "*• 

verschwand der Vor dir ( »per atnri In std'eude ^c'^wimld. bltl lad 
starb. k<-m 1 all trug dauernd.- ba u/is ! ■»•mir'-' da\ou. 

f : . b'. Gord ori Tuck er: Leberzirrhose nach Malaria, tl.ancet, 
23. Mai l'X'Vl 

\ erf. glaubt. d. t ss in Imin u l.mdi Be i Km lern) \..n 

1 ebci /ii t hose Vorkouimeii vln- iluivli di n Malar la'.’.n as>:eu tuu'st 
findet null (len eutar tigen te-turen Tv mis) veunvidrl w erd. u Br 
besefiivibt mul ludet eine Id die eiusddaciger l ad. ab. Mt, ist f-n t 
man m diesen I .d'eii audi Niereuv eraudi r u«.gi m 1 'er \suiis tr;t: 
gewohnlidi spat auf und wird sdlen s r hr h.odig',. ' 

I. B / u m B u s v h - I or.doii. 

Inauguraldissertationen *) 

Universität Freihurg. Anglist 1 '^ v 
Göfling Joseph: Ueber sogiui. essentielle Nere'l 'dui'siii lind 
-Koliken mit einem kasmsiisc heil Beitrag zu dt"H.! ei. 
bischer Josef: Ueber Sclenud'm; ( ieonaBwrim. 

Golds e h ui i d t .1.: Beitr ag zur k :mk lim! [v: ; ; i» -gisc lu n \natosme 
der Bmdeliauttr ansp’ant.ition. 

Ga II mann lugen; Die Indikationen zum va.imi’en K aise * schrntt. 
Kruse Hans Hairv: Ueber 1 iimb.öanasthesie trat Bes-•ude: e r Be- 
riieksielitigung der Bcskenhocldaecruiig und der I 'er.sitat des 
injizierten Mittels. 

Ulrich Martha: Beiträge zum klinischen Id de Je r |'r-'-tssi\ eü 
Baratvse. 

Golant Raissa; Ueber dm Wirkmiv der u"in: r-rgiii Wed.se!- 
stromc auf den motorischen Nerven. 


*) Zusendung von 1 »isse-rfationen au die \ 'n«e der Redaktion. 
München. Arnulfstrasse 2ö. erl eteii. Idvp- ed;::;'g v. r»‘eha’Un. 


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'Original fram 

UNIVERSITY 0F MINNESOTA 






8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1901 


Universität Jena. Juni bis August 1908. 

Rademacher Bodo: Das primäre Sarkom des Dünndarms. 

Fischer Erich: Beitrag zur Kenntnis der Spätfolgen von Contusio 
bulbi. 

Dietrich Julius: Ueber die Konus- und Kaudaerkrankungen des 
Rückenmarkes. 

Beyer Friedrich: Zur Serumbehandlung der fibrinösen Pneumonie. 

H e 11 b a c h Hans: Ueber weiche Nävi und einen Fall von Riesennävus. 

Mi ehe Heinrich: Ueber einen ungewöhnlichen Fall von Sarkom 
der Aderhaut. 

Mönch Kurt: Zur Poliomyelitis anterior der Erwachsenen. 

P ü s c h e 1 Arnold: Zur Kenntnis der otogenen extraduralen Abszesse. 

St übel Johannes: Zur Kenntnis der Plasmaströmung in Pflanzen¬ 
zellen. 

Universität Giessen. Juli und August 1908. 

Glaessgen Oskar: Ein Fall von intrauteriner spontaner Nabel- 
str-angzerreissung. 

Rogge Walter: Vergleichende Untersuchungen über Kokain und 
seine Ersatzpräparate (Tropakokain, Holokain, Akoin, Eukain, 
Anästhesin, Stovain, Alypin, Novokain) beim Pferde.*) 

Sonnenbrodt Albert: Die Wachstumsperiode der Oozyte des 
Huhnes. 

Neumann Kurt: Beitrag zur Biologie des Erregers der Kälber- 
ruhr-Kolibazillosis. *) 

Ott Xaver: Einfluss der Temperatur auf Herztätigkeit und Vagus¬ 
erregbarkeit. 

Bley Jos.: Beitrag zur Lehre der Retroflexio uteri gravidi in- 
carcerata. 

D i e d r i c h s Friedr.: Beitrag zu der Frage: Wie lange sind die Milz¬ 
brandbazillen im Kadaver mikroskopisch, durch Impfung und Kul¬ 
tur nachweisbar? *) 

Jacob Max: Ueber den Nachweis des Zyankaliums bei Vergif¬ 
tungen. *) 

Dunkel P.: Untersuchungen über die Beziehungen des Bacillus 
pyogenes bovis et suis zu dem Bacillus pseudotuberculosis ovis. *) 

Giesen Nie.: Schlagfolge und Reizbarkeit des Herzmuskels.*) 

Tsukiyama Kiichi: Zur Frage des Verhaltens der Säugetier¬ 
tuberkelbazillen im Kaltblüter. 

Schellhase Willy: Ueber die Katalase der Milch.*) 

Budnowski Otto: Ueber die Unterstützung des Unterstützungs¬ 
bandes der Hufbeinbeugesehne am Vorderfuss des Pferdes.*) 

Universität Rostock. August 1908. 

Walter Friedrich Karl: Ueber Regeneration peripherer Nerven. 


Vereins- und Kongressberichte. 

Altonaer Aerztlicher Verein. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Mai 1908. 

Vorsitzender: Herr Henop. 

Schriftführer: Herr F e 1 g n e r. 

Herr Boett iger- Hamburg spricht über traumatische 
Gelenkneurosen. Er gibt zunächst einen kurzen historischen 
Ueberblick über die Entwicklung der Kenntnis dieser Leiden 
und entwirft dann an der Hand einer Reihe selbstgemachter Be¬ 
obachtungen, unter Mitteilung der entsprechenden Kranken¬ 
geschichten, ein Bild des klinischen Symptomenkomplexes: 
Häufig auf dem Boden einer neuropathischen Veranlagung, 
einer Chlorose oder Anämie, beginnen, meist nach gering¬ 
fügigen- traumatischen (manchmal auch nach rheumatischen) 
Schädlichkeiten eigenartig „heimliche“, wühlende Schmerzen 
in dem betroffenen Gelenk. B. sah häufiger Schulter und Ell¬ 
bogen als Hüfte und Knie erkrankt. Der Schmerz hat teils 
neuralgischen Typus, ist dann von Ruhe oder Bewegung un¬ 
abhängig, teils, und zwar meist, neurotischen Charakter, in 
der Ruhe nachlassend. Druckpunkte sind selten, und dann am 
Ansatz der Gelenkkapsel am Knochen proximal des Gelenks. 
Dazu gesellt sich sofort Gefühl der Machtlosigkeit in der 
ganzen betroffenen Extremität. Objektiv findet man am Gelenk 
selbst nichts. Auch mit Röntgenstrahlen (Dr. . A Ibers- 
Schönberg) hat sich in allen untersuchten Fällen nichts, 
speziell nicht die S u d e c k sehe Knochenatrophie nachweisen 
lassen. Hingegen beginnen schon in den ersten Tagen der Er¬ 
krankung in der Umgebung der Gelenke die auffallendsten 
Veränderungen, besonders Atrophie des proximal gelegenen 
Gliedabschnittes. Die Muskulatur, besonders die der Strecker, 


*) Veterinär-medizinische Dissertation. 


wird schlaffer, atomsch, magerer. Das Unterhautfettgewebe 
nimmt an Prallheit ab, die Haut darüber wird faltiger, verliert 
an Spannung, fühlt sich trockener und kühler an. Die Reflexe 
ändern sich nicht. Es findet sich über dem erkrankten Glied¬ 
abschnitt zuweilen Hyperästhesie (neuralgiforme Fälle) meist 
jedoch Hypalgesie und Thermhypästhesie. Bei elektri¬ 
scher Untersuchung erweist sich in den meisten Fällen 
von Anfang an, und selbst noch nach Jahren nachweisbar, der 
Hautwiderstand ebenda enorm, oft auf das Dop¬ 
pelte gesteigert. In Rücksichtnahme auf diesen Befund 
zeigte sich, dass die galvanische Erregbarkeit der 
Muskeln normal ist. Die Zuckung kann zwar in An¬ 
betracht des kleineren Volumens kleiner sein, die Erreg¬ 
barkeit ist aber nicht „herabgesetz t“, wie es in 
allen bisherigen Publikationen immer heisst. Qualitative 
Störungen fehlen, quantitative werden durch veränderten Haut¬ 
widerstand nur vorgetäuscht. Die Reaktionen auf Frank- 
1 i n sehe Ströme sind auf der kranken und gesunden Seite 
absolut gleich. 

B. weist auf die Verwandtschaft dieses Krankheitsbildes 
mit den sogen, arthrogenen Muskelatrophien hin, 
die sich anschiiessen» können an alle schwereren Erkrankungen 
der Gelenke, Frakturen, Luxationen, Distorsionen etc., ferner 
an chronische, rheumatische, gichtische, gonorrhoische, tuber¬ 
kulöse oder phlegmonöse Arthritiden. Während bei diesen 
die Gelenkkrankheit das Krankheitsbild beherrscht, tritt sie bei 
den vorher geschilderten Leiden ganz in den Hintergrund und 
wir sehen quasi eine arthrogene Muskelatrophie 
sine Arthritide. Vortr. möchte geradezu beide Krank¬ 
heitsbilder verschmelzen und aus ihnen eine klinische Einheit 
gemacht wissen. Für die Entstehung dieser arthrogenen 
Muskelatrophien nimmt auch B. reflektorisch-trophische Vor¬ 
gänge in Anspruch und möchte daher von traumatischen G e - 
lenktrophoneurosen sprechen. 

Anhangsweise bespricht B. noch’ inwieweit eine Hy¬ 
sterie, eine hysterische Gelenkerkrankung das Bild der 
Trophoneurose nachzuahmen vermag. Kurz gesagt, pflegen 
bei einer solchen die subjektiven Symptome ins Ungeheuer¬ 
liche zu wachsen und die objektiven Symptome, d. h. die ab¬ 
solut objektiven, zu fehlen, wie es im Grunde genommen bei 
allen hysterischen Manifestationen sich wiederholt. Dadurch 
entsteht wieder das einzige Stigma der Hysterie, die hy¬ 
sterische Inkonsequenz der Symptome. Die 
Charcotschen Stigmata der Hysterie zur Diagnose einer 
hysterischen Manifestation als solcher heranzuholen, hat B. 
längst aufgegeben. Unter hysterischer Inkonsequenz der Sym¬ 
ptome will B. verstanden wissen: die anatomischen und 
physiologischen Unmöglichkeiten in ihrem Entstehen und Ver¬ 
gehen, in ihrer Gruppierung und in ihren Wechselbeziehungen 
unter einander. 


Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ausserordentliche Sitzung vom 11. Mai 1908 
abends 7 Uhr im Hörsaal des Dr. Senckenberg ischen 
Bibliothekgebäudes. 

Vorsitzender: Herr Edinger. 

Schriftführer: Herr Cahen-Brach. 

Herr Altschul: Geschichte des Sports. 

Nach einer einleitenden Definition spricht er die Ansicht aus, 
dass die planmässige Ausführung von Leibesübungen aus dem Be¬ 
dürfnis des Schutzes von Person, Familie und Eigentum in der 
Vorzeit entstanden sei, schildert dann den Wert, den die alten Kul¬ 
turvölker auf körperliche Ausbildung legten, besonders ausführlich 
die Einrichtungen der Griechen, bespricht dann die langsame Ent¬ 
wicklung der Gymnastik aus dem Mittelalter heraus in die Zeit des 
Humanismus, den Einfluss von Rousseau, Basedow und 
Pestalozzi und den Aufschwung der Turnerei durch und seit 
Jahn. Eine längere Schilderung gilt dem Fahrradsport und dessen 
ersten Anfängen aus dem 16. Jahrhundert. Eine Geschichte des Berg¬ 
sportes zu geben würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, daher wer¬ 
den andere Sportarten auch nur kurz erwähnt. Als Schluss schil¬ 
dert Vortr. noch alle von ihm gefundenen Aussprüche und die lite¬ 
rarische Wirksamkeit des ärztlichen Standes in dieser Frage von 
H i p p o k r a t e s an bis zur Neuzeit 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1902 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Herr Lüthje: Sport und Herz. 

Herr Schmiedicke: Erfahrungen über körperliche Entwick¬ 
lung Im militärpflichtigen Alter. 

Zur Beurteilung der Sportfrage vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkt tragen manche militärärztlichen Erfahrungen bei; so z. B. die 
Zunahme der Herzkrankheiten unter den Gestellungspflichtigen. Wenn 
auch der Nachweis des von vielen Sanitätsoffizieren vermuteten ur¬ 
sächlichen Zusammenhanges zwischen dem Radiahren und den Herz¬ 
störungen nicht sicher erbracht ist, so sprechen doch manche Be¬ 
obachtungen dafür, z. B. die von Oberarzt Beyer in der Münch, 
med. Wochenschr. mitgeteilten Ermittelungen, nach welchen bei 
2 Armeekorps im Jahre 19U3 unter 5UU herzkranken Gestellungs¬ 
pflichtigen 150 Radfahrer gezählt wurden, im XVI11. Armeekorps 
konnten bei der letzten Musterung unter den Herzkranken 127 Rad¬ 
fahrer ermittelt werden, während sich von sonstigen Sporttreiben¬ 
den nur 37 Turner, 9 Ruderer und 5 Bussballspieler darunter be¬ 
fanden. ln 2 sehr hügeligen und daher zum Radfahren ungeeigneten 
Musterungsbezirken waren unter den Herzkranken keine Radtahrer. 
Auch lag in jenen Bezirken die durchschnittliche Zahl der Herzkran¬ 
ken in den Jahren 1894—1903 nach der Arbeit von Stabsarzt 
Schwiening: ..Beiträge zur Rekrutierungsstatistik' (Klin. Jahrb., 
XVIII, H. 3) unter dem Durchschnitt. Wie notig aber andererseits 
eine ausgiebige Tätigkeit in freier Luft gerade dem Grossstädter ist, 
lässt sich aus dem Vergleich der Tauglichkeitsziffern innerhalb der 
einzelnen Aushebungsbezirke ableiten. Nach Schwiening 
schwankten die Tauglichen in den Jahren 1894-1903 zwischen «),9 
und 55,3 Proz., aber regellos, ohne abnehmende Tendenz, im Gegen¬ 
teil ergab sich in der Mehrzahl der Bezirke im Durchschnitt der 
Jahre 1899—1903 eine höhere Tauglichkeitszifier als 1894- 1899. 


In den einzelnen Bezirken ist das Ergebnis sehr verschieden. 
Am günstigsten ist der Osten (bis 73,4 Proz. Taugliche), am schlech¬ 
testen die grossen Städte, z. B. Berlin mit 37,5 Proz. Industrie und 
Gewerbe haben an diesem schlechten Stadtersatz nicht die Haupt¬ 
schuld, denn sie tragen noch immer 50 Proz. 'l ängliche bei, sondern 
der Handelsstand und die höheren Schulen, welche gewöhnlich nur 
40 Proz. und 30 Proz. Taugliche liefern. Demgegenüber können wir 
bei der Landbevölkerung auf 60 Proz. Taugliche rechnen. 

Auch während der Dienstzeit macht sich in der körperlichen 
Entwicklung der Grossstädter gegen die Landbevölkerung ein Unter¬ 
schied bemerkbar, insofern letztere am schnellsten und meisten an 
Gewicht zunimmt, während von dem Grossstadtersatz nur ein kleiner 
Teil und dieser auch nur wenig an Gewicht gewinnt (Georg 
Schmidt: D. militärärztl. Zeitschr.). ln der späteren Dienstzeit 
tritt wohl ein Ausgleich ein. Der Militärdienst ist überhaupt ein 
klassisches Beispiel für das durch systematische Ausbildung des Kor- 
peis Erreichbare und die hierbei gewonnenen Erfahrungen sollten auch 
bei den sporttreibenden Vereinen berücksichtigt werden, um un¬ 
günstige Einflüsse auf die Körperentwicklung zu vermeiden. Gegen¬ 
über den zahlreichen Herzkrankheiten unter der radfahrenden Jugend 
finden wir kaum einen Ball von Herzleiden, der durch das mili¬ 
tärische Radfahren verursacht wäre. 

Jede Sportart hat ihre Gefahren, sie lassen sich vermeiden oder 
vermindern, wenn die durch Erfahrungen gewonnenen Bedingungen 
erfüllt werden. Wie der Militärdienst ein bestimmtes Alter und ge¬ 
eignete Körperentwicklung braucht, so muss auch die Wahl und 
Art des Sports diesen Bedingungen unterworfen werden. Durch die 
sorgfältige Auswahl der Rekruten wurde es möglich, ihnen immer 
grössere Anforderungen zuzumuten, und wenn wir den letzten Sani¬ 
tätsbericht der Armee (1904/05) befragen, ersehen wir, wie sich trotz¬ 
dem der Gesundheitszustand des Heeres von Jahr zu Jahr ge¬ 
bessert hat. 

Besonders sorgfältig muss die dem Arzt zu überlassende Aus¬ 
wahl derer sein, welche nach vorangegangenem Training bestimmte 
Maximal- oder Dauerleistungen anstreben. Wer aber nach seiner 
Körperbeschaffenheit nicht dazu geeignet ist, der soll sich mit leich¬ 
teren Körperübungen begnügen. Dann xvird auch besonders die 
in den Gressstädten aufgewachsene Jugend, welche die Vorteile des 
Militärdienstes für die Stählung ihres Körpers nicht gemessen kann, 
weil ihre Körperentwicklung zurückgeblieben ist, mehr als bisher 
zum Waffendienst befähigt werden und durch diesen die schädlichen 
Wirkungen des Kulturlebens ausgleichen. 

Herr Gelhaar: Sport und Schule. _ 

Die hiesige Schulbehörde hat als Ergänzung zum Turnunterrichte, 
der in Hallen, günstigerenfalls auf einem nicht immer staubfreien 
Schulhofe abgehalten wird, Turnspiele, Schwimmen und versuchs¬ 
weise Prciiibungen von 5—10 Minuten langer Dauer im Anschluss an 
die Pausen auf dem Schulhofe an den Tagen, an denen stundenplan- 
mässiges Turnen nicht stattfindet, eingefiihrt. In einigen hygienischen 
Schulen, wie z. B. dem evangelischen Pädagogium zu Godesberg, 
der Villa Bellaria, dem Engiadina in Zuoz (Oberengadin) und dem 
deutschen Gymnasium in Davos bildet diese Breiliclitturnerei den 
Mittelpunkt der Gesundheitspflege. Unser Mädclienschulturnen ist 
verbesserungsbedürftig. Es wird zu viel Zeit auf die rein das Ge¬ 
dächtnis belastenden Ordnungsübungen und den komplizierten Reigen 
verwendet. Als Ergänzung zum Turnunterricht empfiehlt sich für die 
graziöse Ausbildung der Mädchen die Einführung eines Teiles der 


englischen kalisthenischcn Uebungcn unter \\ cglassen des äusseren 
Putzes. 

Die Beteiligung an den Turnspielen hat unter Mitwirkung der 
Schulärzte bedeutend zugenommen. Me betrug im Sommer 19U7 
57 Proz. aller Knaben und 45 Pioz. aller Mädchen. Leider wird 
immer noch von seiten mancher Eltern, Schiller (Em/eisohnchen), 
Lehrer und auch Acrzte, die m der Ausstellung der Dispensations- 
atteste Sehr liberal sind, diesen Spielen die gebührende Anerken¬ 
nung versagt. Die Eminhrung eines für alle Schiller und Schiiieriniieii 
verbindlichen schul- und schuiarbeitsireien Spieluachmittags im 
Sommer, wie in Braunschweig und Württemberg, ist eine dringende 
hygienische Borderung, ebenso wie die \ermehrung der hiesigen 
Spielplätze durch die Stadt, die, mit Ausnahme 2 kleiner Platze voll 
50 Ar, nur provisorisch sind. 

Gesundlieitiiche Schädigungen durch diese Spiele sind nach den 
Mitteilungen S a m o s c h‘ auf dem Nürnberger Kongresse nicht be¬ 
obachtet worden. Temperatursteigerungen nach Tamburin- oder 
Schlagballspiel konnte Referent bei blutarmen Mädchen mellt icst- 
stcllcii. 

Nichtsdestoweniger ist bei heissem Wetter massige Bewegung, 
wie Gartenarbeit, oder Ruhe in freier Natur, wie die Benutzung des 
hiesigen Luft- und Sonnenbades, \orzuziclien. Bei Schlechtem Wetter 
sind IUrnen oder 1 echten, je nach W urisch der Kinder, nicht zu be¬ 
anstanden. Als Ersatz tur diese obligatorischen spiele empfiehlt sich 
neben Bussball oder Hocke\spiel Jur die Kraltigeren die Eminhrung 
regelmassiger Wanderungen m der kühleren Jahreszeit und im Win¬ 
ter, solange der Eislaui unmöglich ist, für alle Kinder. Das Bedürfnis 
nach körperlicher Betätigung in dieser Jahreszeit ist bei unseren 
Volksschulen! um so grosser, als eine Turnstunde durJi die Schul- 
brausebader verloren geht. Auf Empfehlung des Relereuten findet 
in einer Volksschule versuchsweise eine Kombination einzelner 
Uebungcn des Müller sehen >\stems mit dem Brausebade statt. 
Leider hat die Begeisterung Jur Wanderungen in den Lehrerkrciseii 
infolge des Haitpihchtgcsel/cs und der Verweigerung der Madt, 
generell die Versicherung zu übernehmen, Lmbusse erlitten. 

Vom Wassel sport passt in den Betrieb der hiesigen Burger- und 
Mittelschulen nur das >chw mimen. Die Beteiligung betrug irn Muli¬ 
nier 1907 5497 Knaben und 3o4ü Mädchen von 41 Knaben- und 
33 Mädchenschulen. Den von ^ c h in i d t - Bonn konstatierten gün¬ 
stigen Einfluss auf die Körperhaltung konnte Relerent bei den dies¬ 
jährigen Schlussuntersuchungeu bestätigen. 

Bur die Mainverunreimgung sind nicht nur die industriellen Ab¬ 
wässer oberhalb Brankturt, sondern auch die Mauung des Maines 
und der Sclufiahrtsverkehr verantwortlich zu machen. Die inten¬ 
sive Bär billig ist nach dem Gutachten des hiesigen Chemikers 
Dr. Popp auf Sog. Barblacke zuruckzufuhren. die in ausserst ieiner 
Suspension im Wasser Vorkommen und unschädlich sind. Ent¬ 
sprechend der geologischen Beschaffenheit des Obermains ist das 
Wasser meist durch Bestandteile von Rotsandstein getrabt. Die Bar- 
bung des Wassers hat sich gegen früher verschlechtert, die Ingie- 
msche Beschaffenheit aber seit der Brankturter Kanalisation ge¬ 
bessert. 

Kinder mit Neigung zu Schleimhautkatarrhen sind vor Tauchen, 
Anspritzen etc. dringend zu warnen. 

Referent fasst seine Ansichten in folgenden Leitsätzen zusammen. 

Zur körperlichen Ausbildung unserer Schuljugend sind: 

1. die Turnspiele für alle Schaler und Schülerinnen an einem 
schul- und schuiarbeitsireien Nachmittage im Sommer obligatorisch 
zu machen. 

2. die Spielplätze durch die Stadt zu vermehren. 

3. Als Ersatz iur diese verbindlichen Sommerspiele empfiehlt 
sich in der kahleren Jahreszeit und im Winter, solange Eislauf un¬ 
möglich ist, neben Bussball- und Hockeyspiel fur die Kräftigeren die 
Einführung regelmässiger Wanderungen fur alle. 

4. Das Blussschw mimen ist nach Tunlichkeit zu iordern. Die 
Beschaffenheit des Maines als Badewasser ist trotz, der Verunreini¬ 
gung unschädlich. Nichtsdestoweniger ist es dringend erforderlich, 
dass der städtische (jesundlieitsrat itn Interesse des öffentlichen 
Wohles der Verunreinigung des Maines dauernd die grösste Aufmerk¬ 
samkeit schenkt. 

Diskussion: Herr M o r i t z - Strassburg weist daraui hin, 
dass nach seinen vielfachen, von anderen Autoren bestätigten Er¬ 
fahrungen, die auf exaktem orthodiagraphischem Wege gewonnen 
sind, trotz des gegenteiligen Standpunktes von Schott eine quasi 
physiologische Mer/dilatation durch körperliche Anstrengung nicht 
vorkomme. Er selbst habe überhaupt noch keinen emw an Jfreicn 
Ball von akuter Anstrengungsdilatation des Herzens. auJi nicht bei 
krankem Organ gesellen. Doch möge das Zufall sein. NaGi den 
Experimentaluntersuchungen von De lala m P sei anzunehmen, dass 
kranke Herzen bei Anstrengung sich vergrößern können, und er 
selbst habe gelegentlich seiner mit Di et len unternommenen Unter¬ 
suchungen an Radrennfahrern darauf hingew ieseu. da^s man an dem 
Ausbleiben einer Dilatation bei den Bahrern. die am Mart ankamen, 
keinen sicheren Rückschluss auf die machen könne, die unterwegs 
liegen geblieben waren. Das Vorkommen von Herzx erUeinerung bei 
Anstrengung — es bedürfe dazu keineswegs einer l ebcranstrengung 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


1903 


— sei dagegen eine völlig gesicherte und wohl physiologische Erschei¬ 
nung, wenn sie auch bei vorher, z. B. durch eine Infektionskrank¬ 
heit, pathologisch diktiertem Organ besonders deutlich hervortreten 
könne. Von einer akuten Ueberanstrengungsdilatation ganz zu 
trennen sei die Vergrösserung des Herzens, wie sie am gesunden 
Organ bei andauernder schwerer Berufsarbeit bei regulärem Sport 
oder auch beim Militärdienste auftrete. Diese sei ein notwendiges 
Phänomen allmählicher Hypertrophie des Herzens und könne als Er¬ 
starkung desselben bezeichnet werden. 

Herr Schmiedicke: Es handelte sich bei den unter den 
herzkranken Gestellungspflichtigen ermittelten Radfahrern in den 
meisten Fällen um Herzvergrösserung und erregte unregelmässige 
Herztätigkeit. 

Herr Vohsen: In den Ausführungen des Herrn Qeihaar 
nimmt der Schwimmsport eine breite Stelle ein. Er streift auch die 
Gefahren des Schwimmsportes für die Kinder, führt sie aber zu Un¬ 
recht auf Missbrauch zurück. Wir haben gehört, dass der Sport dem 
gesunden Herz nicht schadet, so schadet er auch nicht der gesunden, 
wohl aber der kranken Schleimhaut. Wasser soll, weder in Be¬ 
rührung mit der gesunden, noch weniger aber mit der kranken 
Schleimhaut der Nase, des Nasenrachenraumes und des Mittelohrs 
kommen. Das ist beim Schwimmen um so bedenklicher, da es sich 
um unreines Wasser handelt. Unsere besseren Untersuchungsmetho¬ 
den lassen uns immer häufiger nach den Infektionskrankheiten des 
Kindesalters Erkrankungen des Siebbeins, der Nasennebenhöhlen 
und des Mittelohrs feststellen. Es ist darum angezeigt, das Betrei¬ 
ben des so warm von Herrn G e 1 h a a r empfohlenen Schwimmsports 
von der ausdrücklichen Genehmigung des Schularztes abhängig zu 
machen. 

Herr Benario: Was die Schädlichkeiten des Radfahrens an¬ 
betrifft, so wäre darauf zu achten, wie viele unter den herzkranken 
Gestellungspflichtigen sog. Transportfahrräder gefahren haben; d. h. 
diejenigen, die nur ihr eigenes Körpergewicht befördert haben, und 
dje, die ausserdem noch mehr oder minder grosse Lasten zu trans¬ 
portieren haben. — Für die weitere Ausdehnung der Luft- und Licht¬ 
bäder wären — nach amerikanischem Muster — auf den Schulen sog. 
Dachgärten sehr zweckmässig. 

Herr Herzog empfiehlt für den Turnunterricht bezw. die 
Sportausübung bei der Jugend das Keulenschwingen besonders als 
kurze Zwischenpause zwischen mehreren Unterrichtsstunden. 


Wissenschaftliche Vereinigung am städt Krankenhaus 
zu Frankfurt a. M. 

Sitzung vom 7. Juli 1908. 

Vorsitzender: Herr Knoblauch. 

Schriftführer: Herr Bingel. 

Herr A. Knoblauch: Demonstration eines Falles von Thom- 
senscher Krankheit 

Im Anschluss an die klinische Vorstellung eines typischen Falles, 
21 jähriger Schneidergeselle J. S. aus P., bespricht der Vortragende 
das Wesen der Thomsenschen Krankheit, das er — in 
Uebereinstimmung mit seiner Auffassung der Myasthenie, ange¬ 
borenes Ueberwiegen der hellen, flinken Muskulatur (cf. Sitzung vom 
7. Januar 1908, diese Wochenschrift, No. 29, S. 1560) — in einer 
angeborenen Verminderung der hellen Fasern, also in einem P r ä - 
valieren der roten, trägen Muskulatur erblickt. Nach 
seinen eigenen Untersuchungen und nach den in der Literatur mitge¬ 
teilten Befunden zeigt die Muskulatur bei der Myotonie die histo¬ 
logischen Charaktere der trägen Fasern: auf dem Querschnitt ausser¬ 
ordentlich zahlreiche, häufig innenständige Muskelkerne, auf dem 
Längsschnitt verschwindende Querstreifung bei besonders deutlicher 
Längsstreifung. Solange histologische Untersuchungen von Muskeln 
kleiner Kinder, die an Thomsenscher Krankheit leiden, noch aus¬ 
stehen, muss die Frage offen bleiben, ob die bei Erwachsenen ge¬ 
fundene Hypertrophie der Muskelfasern gleichfalls angeboren ist oder 
ob sie, wie Knoblauch vermutet, erst im Verlauf des Leidens als 
„Arbeitshypertrophie“ eintritt. Auf dem Boden der angeborenen Ano¬ 
malie kommt es alsdann in vorgeschrittenen Fällen, ebenso wie bei 
der Myasthenie, zu der bekannten Degeneration der Muskelfasern. 
Myotonie und Myasthenie sind also zu den primären Erkran¬ 
kungen der Muskulatur zu rechnen; ihr verhältnismässig 
häufiges Zusammentreffen mit der Dystrophia musculorum 
progressiva ist nicht weiter auffällig, da sich an der abnorm 
veranlagten Faser die gleichen pathologischen Prozesse abspielen 
können wie an der normalen Muskulatur. 

Die früher begründete Annahme Knoblauchs, dass in der 
ontogenetischen Entwicklung sämtliche rote Fasern der quergestreiften 
Muskulatur ein „helles Stadium“ durchlaufen und dass diese „Um¬ 
wandlung“ unter pathologischen Verhältnissen auch noch im späteren 
Leben des Individuums erfolgen kann, während ein Uebergang der 
roten in die helle Muskulatur in der ganzen Wirbeltierreihe nicht be¬ 
obachtet worden ist, erklärt für die Myasthenie die Möglich¬ 
keit, dass sich im Verlauf des Leidens Remissionen, ja Heilungen ein¬ 


stellen, und für die Myotonie das Auftreten derjenigen Fälle, die 
erst im späteren Leben zur Entwicklung kommen (Myotonia acqui- 
sita), sowie die Unheilbarkeit und den chronisch-progressiven Ver¬ 
lauf des Leidens. 

Die Tatsache, dass die myotonische Bewegungsstörung in der 
Regel unter dem Einfluss der Kälte stärker hervortritt, wird damit 
erklärt, dass die hellen Muskelfasern weniger widerstandsfähig sind, 
schneller ermüden, nach Nervendurchschneidung früher entarten und 
anscheinend unter der Einwirkung der Kälte auch schneller un¬ 
erregbar werden als die roten Fasern. Liegt der Thomsen¬ 
schen Krankheit eine pathologische Verminderung der hellen Fasern 
zu gründe, so wird ihre Minderzahl unter der Einwirkung der Kälte 
früher insuffizient als die Normalzahl des gesunden Muskels, d. h. es 
tritt die isolierte Wirkung der roten Muskulatur, die myotonische 
Störung, deutlicher hervor als sonst. 

Die ausgesprochenen Fälle von T h o m s e n scher Krankheit und 
von Myasthenie sind die Endglieder einer langen Reihe, zwischen 
denen das Verhalten der normalen Muskulatur in der Mitte liegt. 
Nach beiden.Richtungen hin kommen allmähliche Uebergänge vor und 
zwar sowohl hinsichtlich der Ausdehnung der abnormen Veranlagung 
über verschieden weite Gebiete der Skelettmuskulatur als auch hin¬ 
sichtlich des verschiedenen, von der Norm abweichenden Mischungs¬ 
verhältnisses der beiden Faserarten zu einander. Es kann bei der 
Myotonie die Verminderung der hellen Muskelfasern so gering sein, 
dass hieraus eine Bewegungsstörung für gewöhnlich nicht resultiert, 
dass sie vielmehr erst unter Verhältnissen manifest wird, die zu 
einer funktionellen Hemmung der an Zahl verminderten hellen Fa¬ 
sern führen, also vor allem unter der Einwirkung der Kälte. Zu 
dieser Gruppe zählt der Vortragende die Fälle von M a r t i u s und 
Hansemann (Myotonia congenita intermittens, 1889) und von 
Rieh (An unique form of motor paralysis due to cold, 1894). 

Beide Beobachtungen weisen neue Wege, auf denen vielleicht 
der exakte Beweis für die Richtigkeit der Auffassung Knoblauchs 
erbracht werden kann. Denn wahrscheinlich tritt bei jedem ge¬ 
sunden Menschen die myotonische Störung in die Erscheinung, 
sobald die normaler Weise vorhandene helle Muskulatur funktionell 
ausgeschaltet ist. Es muss also die elektrische myotonische Reaktion 
nachzuweisen sein: 1. bei erstarrten Individuen am ganzen 
Körper, sofern ihre Muskulatur überhaupt noch elektrisch erregbar 
ist und 2. bei erschöpften Individuen an den durch körper¬ 
liche Anstrengung erschöpften Muskelgruppen. Die marschie¬ 
rende Truppe bietet vielleicht die beste Gelegenheit, an einem 
grossen Material gesunder, junger Leute exakte Untersuchungen über 
das Verhalten der Nerven und Muskeln an den unteren Extremitäten 
gegenüber elektrischen und mechanischen Reizen nach anstrengenden 
Märschen anzustellen, und die Ergebnisse solcher Untersuchungen 
werden voraussichtlich die Frage nach der Bedeutung der 
roten und hellen Muskelfasern für die mensch¬ 
liche Pathologie ihrer Beantwortung wesentlich näher bringen. 

(Autoreferat.) 

Herr Friedländer (als Gast): lieber den § 300 Str.G.B. (Be¬ 
rufsgeheimnis). *) 


Medizinische Gesellschaft in Kiel. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 17. Juli 1908 in der Frauenklinik. 

Herr Pfannenstiel: Zur operativen Therapie der 
Eklampsie. 

Herr Pfannenstiel zeigt 1. einen typischen Fall von drohen¬ 
der Eklampsia gravidarum 3 Wochen ante terminum, 2. einen ge¬ 
nesenen Fall von schwerer Eklampsia parturientium, in welchem 
3 Wochen zuvor nach dem 1. Anfall der abdominale (zervikale) 
Kaiserschnitt ausgeftihrt worden war, 3. einen am gleichen Tage 
durch doppelseitige Nierendekapsulation operierten Fall von Eklam¬ 
psia puerperarum, welcher gleichfalls genesen ist. 

An der Hand dieser Fälle bespricht Pf. kurz die Grund¬ 
sätze der Eklampsiebehandlung. Von grossem Wert ist eine 
womöglich prophylaktische, auf die Entgiftung des Körpers hin¬ 
zielende Allgemeintherapie. Die Schnellentbindung ist ratio¬ 
nell, sie hat die Resultate zweifellos gebessert und ist deshalb 
zu empfehlen; aber unrichtig ist es, sie als Allheilmittel zu 
preisen. Die Bedeutung des Kaiserschnittes, sei es in Gestalt 
der vaginalen Hysterotomie oder in Gestalt der abdominalen 
Schniittmethoden, wird heutzutage allgemein überschätzt. Es 
gibt wie bei jeder Krankheit leichte und schwere Fälle und 
speziell solche Fälle, bei denen jede Therapie von vorneherein 
aussichtslos ist. Diese schweren Fälle häufen sich anscheinend 
in manchen Gegenden Deutschlands, z. B. in den schwülen 
Sommermonaten, wie auch im Winter bei bestimmter Witte- 


*) Nach einem bei der Jahresversammlung des deutschen Ver¬ 
eins für Psychiatrie in Berlin 1908 gehaltenen Vortrag. 


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1904 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .Vi. 


rung. Die Statistiken verschiedener Kliniken geben deshalb 
keine zuverlässige Grundlage für die Abschätzung des Wertes 
der verschiedenen Behandlungsmethoden. In dem vorliegen¬ 
den Falle war eine absolute Indikation zur sofortigen Ent¬ 
bindung gegeben, weil die bereits in den letzten Tagen der 
Schwangerschaft sorgfältig durchgeführte Entgiftungstherapie 
erfolglos geblieben war und das Krankheitsbild kurz nach Auf¬ 
treten des 1. Anfalles ein ernstes war. Der abdominale Kaiser¬ 
schnitt war vorgeschrieben dadurch, dass wegen Hochgradig¬ 
keit des Vulvaödems der Zugang zum Muttermund abnorm 
erschwert war. Der Erfolg der Entbindung für das Kind war 
gut, der für die Mutter schien zuerst ausbleiben zu w ollen, in¬ 
sofern noch 22 Anfälle und schweres Koma, sow ie ungünstige 
Urinbeschaffenheit 24 Stunden anhielten, um dann erst zu der 
typisch-raschen Genesung zu führen. 

Ebenso wie der Kaiserschnitt wird auch die Nieren- 
dekapsulation bei der Eklampsie überschätzt. Die wissen¬ 
schaftlichen Grundlagen für die Operation sind noch recht dürf¬ 
tig. Ob dieselbe berufen ist, in der Eklampsiebehandlung über¬ 
haupt eine bedeutsame Rolle zu spielen, ist noch nicht klar. Es 
ist nicht zu vergessen, dass die Nierenerkrankung bei der 
Eklampsie nur eine — allerdings recht wesentliche — Teil¬ 
erscheinung in dem gesamten Krankheitsbilde darstellt und 
dass sie doch wohl kaum als die eigentliche Ursache auf¬ 
zufassen ist. Es kann deshalb die Nierendekapsulation nicht 
ewimal die Bezeichnung eitner kausalen Therapie beanspruchen. 
Trotzdem soll man Versuche damit machen in schw eren Fällen, 
besonders bei tiefem Koma und schlechtem Puls, sow ie bei 
Anurie, gelegentlich auch bei nicht zu hochgradiger Oligurie, 
aber hohem Eiweissgehalt. Die bisherigen Erfolge sind 37 Proz. 
Mortalität (17 Fälle der Literatur 4- 2 eigene Fälle), älso an¬ 
gesichts der Tatsache, dass vorzugsweise die schwersten 
Fälle operiert werden, nicht zu schlecht. Pf. hat den Eindruck, 
dass die an sich nicht schwierige Operation nicht nennens¬ 
werten Schaden stiften kann. Er hat 2 solche Operationen 
ausgeführt, 1 mal mit tödlichem Ausgang. In dem Genesungs¬ 
fall (puerperale Eklampsie, ausgebrochen 26 Stunden nach der 
Geburt, war von einer Kapsclspamuing der Nieren nicht die 
Rede, noch bestand Oligurie, auch wurde die Diurese nach 
der Operation zunächst nicht nennensw ert gesteigert und hatte 
Pat. innerhalb der nächsten 7 Stunden noch schweres Koma 
und weitere 7 Anfälle (es war nach dem 20. Anfall operiert 
worden). Jedoch hatten alle Anwesenden den Eindruck, dass 
der Fall hoffnungslos aussah, als er operiert wurde. 

Herr Baum stellt einen 8 jährigen Knaben mit chronischer 
Nephritis und allgemeinen schweren Oedemen vor, bei dem nach 
Versagen aller interner Therapie vor 10 'l agen die E d e b o h I s - 
sehe Operation gemacht worden war. Oie beiderseitige Kap¬ 
selspaltung liess sich ungemein leicht ausfiihren, eine Spannung der 
Kapsel bestand nicht. Bis jetzt scheint ein günstiger Einfluss er¬ 
kennbar, indem der Eiweissgehalt von 2 auf 0,8 Proz. gesunken und 
die Oedeme zurückgegangen sind. Ein definitives Urteil kann natür¬ 
lich erst nach Monaten gefällt werden. 

Herr Hoehne stellt 3 Fälle von Hebosteotomie vor: 2 allge¬ 
mein verengte Becken 2. Orades und ein plattrhachitisches Becken 
mit Conjunctiva vera von 6,6 cm. Er berichtet ferner über 
die Erfolge der 23 bisher an der Kieler Frauenklinik aus¬ 
geführten Hebosteotomien und erläutert an der Hand von Tafeln die 
jetzt an der Klinik geübte Operationstechnrk. 

Herr Franz Cohn: Frühaufstehen Laparotomlerter. 

Demonstration einer Reihe von Laparotomiertcn, die in der 
ersten Woche nach der Operation aufgestanden sind. Es w ird der 
günstige Einfluss des Frühaufstehens auf die Hebung des Allge¬ 
meinbefindens und der spezielleren Körperfunktionen besprochen. 

Herr v. Alvensleben stellt eine Anzahl Wöchnerinnen vor, 
die am 1. Tage nach ihrer Entbindung aufgestanden sind, berichtet 
dann weiter über günstige Erfahrungen die man mit dem Frühauf- 
stehenlassen an 100 Wöchnerinnen machte: Die anfänglich mit Miss¬ 
trauen aufgenommenen Versuche mit Eriihaufstelien ergaben so gute 
Resultate, sowohl bezüglich der schnelleren Hebung des Allgemein¬ 
befindens, als auch der prompteren Rückbildung der Genitalien, dass 
man jetzt in der Klinik allen Wöchnerinnen, so weit keine Kontra¬ 
indikationen vorliegen, das Aufstehen in den ersten 'Pagen nach der 
Entbindung nicht nur gestattet, sondern auch anrät. 

Herr Gräfenberg schildert die an der Klinik Pfannen¬ 
stiel geübte Methode der Behandlung der Placenta praevia, 
die nicht in der kombinierten Wendung, sondern der 
Hystreuryse besteht. Es ist durch die Hystreuryse ge¬ 


lungen, die Herabsetzung der mütterlichen Mortalität, die wir 
der kombinierten Wendung verdanken, zu kombinieren mit 
einer Besserung der Kindersterblichkeit. Die Methode ist auch 
für die Praxis sehr wohl geeignet, weil sie selbst unter schwie¬ 
rigen poliklinischen Verhältnissen günstige Erfolge geliefert hat. 
0 Proz. Mortalität der Mütter und eine kindliche Mortalität von 
14,2 Proz. (N Fälle) sind der Beleg für diese Empfehlung. . 
Die Hystreuryse wird stets mit einem elastischen (iummiballoii 
ausgeführt, der in das Innere der Eihohle eingeiührt und als¬ 
dann auf 5tHl ccm aufgeiiillt wird. Man beabsichtigt durch die 
Einführung in das Ei eine exakte Tamponade der blutenden Pia- 
zentarstellc zu erzielen, und man will gleichzeitig eine stär¬ 
kere Ablösung durch den Ballon vermuJen. Wenn der Ballon 
gebt reu wird, ist die Entbindung ohne Gefahr iur d e Mutter 
möglich, der Muttermund ist genügend erweitert. Sie wird 
aiisgeführt, wenn der vorliegende Teil nicht in das Becken 
eint ritt. 

Bei stärkeren Blutungen während der Scliw angerschalt 
ist der Muttermund immer für den Ballon passierbar. Schwache 
Blutungen sind keine Indikation zum Eingriff. Die neuerdings 
w jeder von Z w e i f e 1 empfohlene Dauertamponade der 
Scheide wird wegen der Infektionsgefahr nicht geiibt. Abun¬ 
dante und lebensgefährliche Blutungen konnten ein aktiveres 
Vorgehen erheischen, die Sectio caesarea abdominalis oJer 
vaginalis. Zu einem solchen Eingriff ist uns bisher niemals 
Veranlassung gegeben, die Hvstrcurysc hat sich immer als aus¬ 
reichend bewährt. 


Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung v o m 2. April 190S. 

Vorsitzender: Herr U n v e r r i c h t. 

Herr Biene ke demonstriert die Rontgcnbildcr eines Falles vmi 
Arthropathia tablca des Fussselenkes. Auf dem ersten Bilde war nur 
eine Fraktur an der Tibia, im übrigen aber keinerlei Veränderungen 
am Gelenk sichtbar. Dieselbe war beim ruhigen Gehen au! der 
Mrasse entstanden und Patient war damit noch mehrere "läge umlur- 
gelaufen, ehe er einen Arzt konsultierte. Das zweite Bild wurde 
0 Wochen später aufgenommen und liess zahlreiche Frakturen an der 
Tibia, an der Fibula und am Talus erkennen. Das Gelenk war ganz 
deformiert. Irgend ein Trauma hatte m der Zwischenzeit nunt statt- 
gefunden. Patient tragt einen >chienenhulsenupparat und kann voll 
und ganz, seinem Beruf nacligehen. Sonstige Zeichen einer labcs 
waren zunächst noch nicht nachweisbar. 

Weiter stellt Herr Blencke einen 8 jährigen Knaben vor mit 
sehr stark ausgeprägter, einseitiger Coxa vara, macht auf den t\ pi- 
schen Gang und die typischen Erscheinungen dieser Erkrankung auf¬ 
merksam und zeigt die diesbezüglichen Routgenbilder. Die Geburt 
war sehr leicht; cs war nicht das geringste Trauma m der Anamnese 
nachweisbar. Pat. hinkte sogleich bei seinen ersten Gch\ersuchen, 
so dass anzunehmen ist, dass es sich um eine angeborene Co\a vara 
handelt. 

Im Anschluss an diesen Fall zeigt dann Herr Blencke einen 
Jungen von ö Jahren und einen erw achsenen Menschen mit Schenkel¬ 
halsfraktur, bei denen sich auch eine sogen, traumatische Co\a vara 
ausgebildet hatte. 

Sodann zeigt Blencke die Röntgenaufnahme eines (»jährigen 
Mädchens, das ihm wegen einer angeborenen doppelseitigen Hi.it- 
gelenksluvatioii zugewiesen war. Der Gang war der iur diese Fr- 
kraiikimg typische, aber es handelte sich nicht um eine Solche. Die 
Kopfe standen in der Pfanne lind der Schenkelhals war beiderseits 
ganz steil aufgerichtet im Sinne einer C"\a valga. \ crzeichnungen 
infolge falscher Lagerung bei der Aniuafupc lagen nicht \or. Bl. de¬ 
monstriert eine Reihe von Bildern, wo letzteres der Fall war lind wo 
ähnliche K raukheitsbilder vorgetaiischt w erden konnten, wie das \<»r- 
hegende, wenn man nur nach dein R<>ntgenbf{dc urteilte, ln dein 
demonstrierten Fall lag nach Ansicht B.s eine sogen. Antcversion im 
oberen Drittel des Femur vor. die bedingt war durch das Eeberw legen 
gewisser Miishelgruppeu über die mMge einer in frühester Jugend 
durchgemuehten Pol. aut. acuta gelahmten Antagopisten, Bl. glaubt 
nicht fehl zu gehen in der Annahme, dass dieser fall Vorkommen 
analog ist dem seinerzeit von Reichardt auf dem Chirurgen¬ 
kongress vorgestellten, den er selbst gerontgemsn. rt halte und den man 
damals damit abtwn zu können glaubte, dass man sagte, es handele 
sich um Verzeichnungen des Schenkelhalses infolge iuSeiler Hcm- 
stellung bei der Röntgenaufnahme. 

Herr Kamann: Leber die Tuberkulose des schwangeren 
und puerperalen Uterus, über die Tuberkula der Plazenta und 
über die fötale tuberkulöse Infektion. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1905 


Während die Tuberkulose des nicht schwangeren weib¬ 
lichen Genitales sich als eine nicht seltene, in manchen Gegen¬ 
den sogar recht häufige Erkrankung herausgestellt hat und 
heutzutage Allgemeingut der ärztlichen Diagnostik geworden 
ist, sind die Tuberkulose des schwangeren und puerperalen 
Uterus, die Tuberkulose der Plazenta und die fötale tuberku¬ 
löse Infektion auf dem Wege durch die tuberkulös erkrankte 
Plazenta noch weniger allgemein bekannt. 

Vortragender entwirft, gestützt auf eigene Untersuchungen 
und eingehendes Literaturstudium, ein Bild von den genannten 
Veränderungen und kommt zu dem Schlüsse, dass sie zuver¬ 
sichtlich wesentlich häufiger Vorkommen, als man nach der 
in der Literatur vorhandenen Kasuistik annehmen könnte, dass 
jedoch die fötale tuberkulöse Infektion auf dem Wege durch 
die tuberkulös erkrankte Plazenta im Vergleich zur Häufigkeit 
der Tuberkulose überhaupt nur als eine seltene Infektionsweise 
gelten kann und dass ihr eine erhebliche praktische Bedeutung 
wohl kaum beigemessen werden darf. Die Möglichkeit, dass 
bei plazentarer Tuberkulose in fötale Zottengefässe intrauterin 
eingedrungene Tuberkelbazillen im extrauterinen Leben tuber¬ 
kulöse Veränderungen kindlicher Organe erzeugen und dass 
ein Teil der Tuberkulosefälle des frühesten Kindesalters so zu 
erklären ist, muss freilich zugegeben werden. 

Herr Retzlaff: lieber die letzte Diphtheritisepidemie 
nach den Beobachtungen in der Krankenanstalt Magdeburg- 
Sudenburg. (Erscheint in extenso in der Zeitschr. f. Kinder¬ 
heilkunde.) 

Herr E. Schreiber berichtet kurz über die Anwendung 
der Pyozyanase bei Diphtherie. Die Erfolge waren im ganzen 
sehr günstige, zumal auch bei der Nasendiphtherie kleinerer 
Kinder. Selbstverständlich wurde daneben stets hochwertiges 
Diphtherieserum benutzt Ausführlicher wird über die Er¬ 
folge von anderer Seite berichtet werden. 

Herr Leo: Ueber manuelle Lösung der reifen Plazenta. 

Vortragender geht vom physiologischen Verlauf der Nach¬ 
geburtsperiode aus und schildert nach einem kurzen histori¬ 
schen Ueberblick die moderne Nachgeburtsleitung. Er betont 
dabei den Grundsatz, dass erst dann exprimiert werden darf, 
wenn sich aus den klinischen äusseren Zeichen ergibt, dass 
sich die Plazenta spontan gelöst hat. Die Störungen der Plä- 
zentarablösung und -austreibung sowie ihre Therapie werden 
dann kurz besprochen und besonders die anatomischen Ver¬ 
hältnisse bei der Inkarzeration der gelösten Plazenta und der 
so seltenen, aber hochinteressanten Plazentarverwachsung er¬ 
örtert. Vortr. geht auf die Aetiologie .dieser Anomalien ge¬ 
nauer ein, wobei er die habituellen Nachgeburtsstörungen 
streift, und gibt dann die Indikationen für die manuelle Plazen¬ 
tarlösung, die meist unnötig gemacht würde und in sehr vielen 
Fällen, wo sie wirklich indiziert wäre, erst durch schlechte 
Nachgeburtsleitung erforderlich gemacht wäre. Prognose und 
Technik der Operation bilden den Schluss. Zur Verbesserung 
der Asepsis wird dabei empfohlen, einerseits den Uterus herab¬ 
zudrücken oder herunterzuziehen, bis das Os externum vor 
der Vulva liegt, um die Scheidenkeime zu vermeiden, ändert, 
seits immer nur mit an der Hand desinfizierten Gummihand¬ 
schuhen zu lösen, um die Infektion durch Handkeime aus- 
zuschliessen. 

Sitzung vom 16. April 1908. 

Vorsitzender: Herr Unverricht. 

Herr Sandmann: Ueber die Vereiterung beider Horn¬ 
häute und über Conjunctivitis gonorrhoica unter dem Bilde 
der Conjunctivitis diphtheritica. (Erscheint in extenso an 
anderem Ort.) 

Herr Schlüter: Ueber die Behandlung der Herzhyper¬ 
trophie. (Erscheint an anderem Ort.) 

Herr Hilger demonstriert die „Wandtafeln zur Alkoholfrage, 
herausgegeben von Max Qruber und Emil Kräpelin 1 )“ sowie 
„Referententafeln über die Alkoholfrage von Dr. H o 1 i t s c h e r 2 )“. 


l ) J. F. Lehmanns Verlag, München. 

*) Verlag Joh. Michaelis- Berlin, S. 42. 


Aerztlicher Verein München. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 6. Mai 1908. 

Herr Trommsdorff: Milchhygiene. 

Herr Kr ecke demonstriert: 

1. 4 Patienten, bei denen eine Struma entfernt wurde, bei 2 vor 
9 Tagen, bei 2 vor 5 Tagen. K. verweist auf die ausserordentlich 
glatte Heilung der Strumaoperationswunden und hebt die Vorteile 
der Hautklammern bei der Wundbehandlung hervor. 

2) 2 Fälle von operierter Ileozoekaltuberkulose; in dem einen 
Tumor war makroskopisch keine Spur von Tuberkulose zu erkennen, 
erst die Untersuchung der Drüsen wies das Vorhandensein von 
Tuberkulose nach. 

3. Ein Aneurysma der Arteria poplitea, mit Erfolg operiert. 

4. Ein Fall von Invaglnatlon des Dünndarmes bei einem 3jdhr. 
Kinde, Resektion, Exitus. 

5. 4 Fälle von Nebennierenadenom; sämtlich geheilt. Bemer¬ 
kenswert ist besonders der eine Fall, in dem die Heilung seit 2 Jahren 
besteht, trotzdem schon der Tumor in die Vena cava hineinge¬ 
wachsen war. 

Herr Hans v. B a e y e r zeigt: 

a) ein Kind, an dem ausser Atrophie und Verkürzung eipes Beines 
starke Valgussteilung des Fusses auffällt. Die Röntgenaufnahme er¬ 
gibt kongenitalen Defekt der Fibula und des V. Fusssträhles. Da 
keine Narben an dem Bein zu finden sind, glaubt Vortr., dass es sich 
hier nicht um eine anatomische Abschnürung handelt, sondern dass 
Druck in der Fötalperiode die Ursache der Deformität ist. Er er¬ 
innert an die Versuche von Lucksch, der durch Einschieben von 
Deckglassplitterchen in ein angebrütetes Entenei die Ausbildung 
ganzer Extremitäten verhindern konnte. 

Therapie: Vorläufig Schiene, später Arthrodese in Spitzfuss- 
stellung. 

b) ein skoliotisches Kind, bei dem die Nackenlinie auffallend 
geradlinig verlief. Das Röntgenbild bestätigte die Vermutung, dass 
es sich um Halsrippeh handle. Im Anschluss hieran erörterte Vortr. 
kurz den Begriff der numerischen Variation der Wirbelsäule. Sie 
besteht darin, dass bei Variationen an der Wirbelsäule nicht nur ein 
Wirbel variiert, sondern dass meist ein ganzer Abschnitt der Wirbel¬ 
säule entweder gegen den Kopf oder kaudal um 1—2 Wirbel ver¬ 
schoben ist. Die Variation kann einseitig sein. 

Herr Gebele: Demonstrationen. 

1. Unterbindung der Carotis communis dextra wegen Aneurysma 
traumaticum vor 4 Jahren. Das Aneurysma hatte sich im Anschluss 
an Stichverletzung in der Fossa retromandibularis entwickelt. Die 
nach der Operation rasch sich einstellenden schweren Hirnstörungen 
sind bald geschwunden, die Hemiplegie links ist dagegen ganz lang¬ 
sam zurückgegangen, so dass jetzt noch die Bewegungen des linken 
Armes und Beines kraftlos, die Muskulatur atrophisch und die Ge¬ 
lenke z. T. kontrakt sind. Die Unterbindung der Carotis communis 
ist immer ein sehr folgenschwerer Eingriff, im gegebenen Fall lag 
eine Indikation hiefiir vor. 

2. Radikaloperation einer sehr grossen immobilen Nabelhernie 
nach Graser. Die Heilung erfolgte glatt. Der von Graser ge¬ 
fürchtete Operationsschock trat nicht ein. die nostonerative Darm- 
narese blieb aus. Exakte Asepsis und gründliche Blutstillung sind 
Vorbedingungen der ungestörten Heilumr. Die Operationsmethode 
wird für alle grossen Nabelhernien empfohlen, sie leistet mehr als 
die G e r s u n y sehe Methode. 

3. Frühoperation einer Perianpendizitis pnrulenta acuta am 5. Tag 

nach Beginn der Erkrankung. Temo. 37,1 °. Puls 84, massige Druck¬ 
empfindlichkeit des Tumors — trotzdem waren retrozoekale Eiterung 
und Perforation des Wurms gegeben. Der Fall zeigt so recht, dass 
jeder periappendizitische Tumor, der nicht innerhalb des Intermediär¬ 
stadiums ganz oder fast ganz schwindet, zweifelhafter bezw. eitriger 
Natur ist und eine Appendicitis destructiva zur Grundlage hat. Ein 
derartiger Tumor ist am 4.—6. Tag operativ und zwar radikal zu 
behandeln. Der Versuch, ihn ins anfallsfreie Stadium iiberzufiihren, 
kann sich gefahrvoll gestalten und hat die Münchener Klinik früher 
bei derartigen Versuchen 26 mal sekundäre Perforation. 5 mal All¬ 
gemeininfektion erlebt. Gebele berichtet dann noch an der Hand 
von Tafeln über sämtliche operierte und nichtoperierte Appendizitis¬ 
fälle vom März 1904 bis März J908. 

Diskussion: Herr Höflmayer fragt an. ob bei dem 
Patienten, bei dem die Unterbindung der Karotis gemacht wurde, 
ein Augen- und Augenspiegelbefund aufgenommen worden ist, speziell 
auch wie das Verhalten der Pupille war. 

Herr Erich Meyer: 1. Ueber eine Vergiftung durch Bismuth. 
subnitricum. 

In einem Fall doppelter tuberkulöser Darmstrikturen kam es 
nach zweimaliger Applikation von grossen Bismuth. subnitricum- 
Dosen zum Zwecke röntgenologischer Untersuchung wenige Stunden 
nach der Durchleuchtung plötzlich unter hochgradigster Zyanose 
und Blässe zum Exitus letalis. Noch intra vitam wurde festgestellt, 
dass das Blut braun war und viel Methaemoglobin enthielt. 
Der post mortem untersuchte, zwischen den beiden Stenosen be- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 


1906 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Endliche Darminhalt enthielt viel Nitrit. Es handelte sich hier 
um eine Vergiftung dadurch, dass das Bismuth. subnitric. im Darm 
reduziert worden war, wie es B ö h m e in einem Palle der Marburger 
Kinderklinik rtachgewiesen hat und dadurch das Bild einer Nitrit- 
vergiftung zu stände gekommen war. Dieser Pall ist nicht ver¬ 
einzelt. Vor Jahren ist einmal eine Patientin nach einer Durchleuch¬ 
tung mit Bismuth. subnitr. kollabiert und zyanotisch geworden. Sie 
erholte sich aber bald wieder. Das Vorkommnis ist ungeheuer 
selten, scheint aber gerade unter ganz besonderen, nicht voraus¬ 
zusehenden Umständen bisweilen vorzukommen. Einige ähnliche Pülle 
sind in Amerika beobachtet worden. In allen Fällen von Vergiftung 
nach der Applikation grosser Bismuth. subnitric.-Dosen handelte es 
sich nach den pharmakologischen Erscheinungen der Vergiftung nicht 
um Wismut- sondern um Nitritvergiftung. Die Methämoglobin- 
bildung ist nicht durch Wismut(Metall)vergiftung, sondern durch Re¬ 
sorption gebildeten Nitrites zu erklären. Deshalb soll man das Bis¬ 
muth. subnitric. durch ein anderes Wismutsalz ersetzen. 

Es wurden Versuche mit Albuminverbindungen gemacht, die sich 
aber nicht bewährten. Bismuth. oxydat. eignet sich flir diagnostische 
Zwecke nicht, weil es sich zu rasch sedimentiert, dagegen fand Vor¬ 
tragender im Bismuth. carbonicum ein ausgezeichnetes Er¬ 
satzmittel. Es wurde bisher in ca. 100 Fällen je im Krankenhaus 
rechts und links der Isar auf seine Veranlassung ausprobiert. Das 
Bismuth. carbonic. scheint unschädlich zu sein, sedimentiert sich noch 
langsamer als Bismuth. subnitric. und macht auch keine Auftreibung 
des Magens oder Darmes durch Kohlensäureentwicklung. 

2. Bericht über einen Pall von Thymustumor und Myasthenie. 
Es handelte sich um einen 47 jährigen Mann, der seit vielen Jahren an 
auffallender Muskelschwächc und leichter Ermüdbarkeit 

-litt. Beim Krankenhauseintritt bestand hochgradige Zyanose. Er¬ 
weiterung der Venen am Hals und über der Brust, Dämpfung über 
dem Sternum, im Röntgenbild grosser, dem Herzen aufsitzender 
Schatten. Starke mechanische Erregbarkeit fast aller Muskeln und 
Muskelschwäche, keine myasthenische Reaktion. Auffallend war der 
Blutbefund: bei normaler Leukozytenzahl 60 Proz. kleine Lympho¬ 
zyten. Im Urin war eine geringe Menge Zucker. Pat. starb plötzlich 
unter hochgradiger Atemnot. Die klinische Diagnose lautete: Thv- 
mustumor, Myasthenie. Die Sektion bestätigte die Diagnose. An 
dem Pall ist besonders lehrreich die Kombination: Muskelschwächc. 
Thymustumor. Lymphozytose. Vortragender erinnert daran, dass 
bei Basedowscher Krankheit eines der auffallendsten Symptome 
die Muskelermfidbarkeit ist; bei dieser Krankheit findet man. wie 
Oierke und Rössle gezeigt haben, hvperplastische Thvmus. Bei 
den in der Literatur niedergelegten Fällen von Myasthenie bestand 
häufig persistierende Thymus und allgemeiner Status Iymphaticus mit 
relativer Lymphozytose. 

Angeregt durch diesen Fall hat Vortragender das Blut von zwei 
gerade auf der Klinik anwesenden Kranken mit Basedow scher 
Krankheit untersucht und zweimal eine Lymphozytose bis zu 36 
und 40 Proz. gefunden. Bei einer dieser Kranken war der Blutbefund 
aber nicht konstant vorhanden; er wechselte. Nachträglich fand 
Vortragender in der Zusammenstellung von Kocher die Lympho¬ 
zytose bei Basedowscher Krankheit als öfters vorkommendes 
Symptom erwähnt; er spricht die Vermutung aus. dass zwischen dem 
Status Iymphaticus mit Thymustumor und der Muskelschwäche eine 
Beziehung besteht. 

3. Demonstration eines Kranken mit Diabetes insipidus. Vor¬ 
tragender stellt einen Pat. mit renaler Form des Diabetes insipidus 
vor. Der Kranke war früher stark fettsüchtig, hat eine luetische 
Infektion gehabt und litt Jahre lang an Schncrvenatrophie. Diese 
verhindert ihn heute noch seinen Beruf als Uhrmacher auszuüben. 
Der Kranke war an vielen Kliniken Deutschlands und Englands, 
wurde auch einmal zur Kur nach Karlsbad geschickt, ohne gebessert 
zu werden. An der Hand dieses Palles bespricht Vortragender die 
verschiedenen Formen der Polyurie und die Differentialdiagnose zwi¬ 
schen primärer Polyurie und primärer Polydipsie. Entgegen den 
Einwänden Reichardts, der nach dem Vorgänge R i c g e r s be¬ 
hauptet, jeder als Diabetes insipidus aufgefasste Pall sei eine primäre 
Polydipsie bei psychisch abnormen Personen, hält Meyer an seiner 
Anschauung fest, dass es zwei verschiedene Formen gibt, von denen 
nur die primäre Polyurie den Namen Diabetes insipidus verdient. 
Reichardt hat die von Meyer früher publizierten Fälle umge¬ 
deutet und ohne die Kranken zu kennen ihnen psychiatrische Dia¬ 
gnosen angehängt. Dieses Verfahren ist unzulässig. Das psvchischc 
Moment ist nicht vernachlässigt worden und die aus der Literatur ge¬ 
stellten Diagnosen Reichardts, w'ie die der Hypochondrie bei 
völlig psychisch gesunden, fröhlichen Menschen entbehrt nicht der 
Komik. Zum Uebcrfluss sind eine Reihe von M e y e r s Patienten von 
psychiatrischer Seite (Dr. Alzheimer) untersucht und als normal 
erklärt wmrden. Derart einseitige Geistesstörungen, wie Rei¬ 
chardt sie annimmt, gibt es nicht. Die genaue chemische Unter¬ 
suchung neuer Fälle hat nun ergeben, dass die Erklärung vieler Tat¬ 
sachen beim Diabetes insipidus durchaus nicht durch psychische 
Alterationen begründet werden kann. Wie soll man es z. B. auffassen, 
wenn die Patienten (neue Beobachtungen) nach einem Tag, an dem 
sic unter Theoz.indarreichung massenhaft Kochsalz aus ihrem Körper 


durch den Urin ausscheiden. dieses am nächsten Tag einsparten und 
gleichzeitig mit der verringerten Kochsalzausscheidung nun auch 
W'eniger Wasser ausscheiden mussten? Aelmlichc Argumente lassen 
sich noch in grösserer Zahl Vorbringen. 

Bei dem vorgestellten Kranken sind vier Momente bemerkens¬ 
wert: 1. Auffallende Schwankungen im Körpergewicht, die auf zeit¬ 
weise retiniertes Wasser bezogen werden müssen, vorübergehend 
spurenweises Auftreten von Knochelodemen. 2. Trotz jahrelanger un¬ 
geheurer Wasserzufuhr, bis zu 2(1 Litern, vollkommen normales, nicht 
hypertrophisches Herz (Orthodiagraphie) normale Gelasse und nor¬ 
maler Blutdruck. Sämtliche vom Vortragenden daraufhin unter¬ 
suchten Fälle (11) hatten normale Zirkulationsorganc. Ein Fall 
kam zur Obduktion und zeigte auch anatomisch keine Veränderung. 
Auch bei dem seit frühester Kindheft bestellenden Diabetes insipidus 
des Kranken fehlten Blutdrucksteigerung uuJ Herzvergrosserung 
immer. Dieser Umstand zeigt aufs deutlichste, dass bei den Bier¬ 
trinkern mit hypertrophischem Herzen nicht die Flüssig¬ 
keitsmenge als solche die Ursache der Erkrankung ist. sondern 
die im Bier enthaltenen schädlichen Giltstoffe. 3. Der Kranke ist in 
seinem Befinden, entgegen den primären P o I y d i p s i e n. 
vollkommen abhängig von der Diät. Wahrend Kranke mit pri¬ 
märer Polydipsie nicht lange bei salzarmer Kost aushalten. kehrt 
dieser Kranke, wie alle diejenigen mit renalem Diabetes in¬ 
sipidus immer wieder zur genannten Kostform gerne zurück. 
Interessant ist ferner, dass diesem Kranken eine durchgemachte 
Karlsbader Kur, wie vorausgesetzt, sehr schlecht bekam. Der 
Diabetes insipidus ist demnach eine Kontraindikation gegen diese Art 
der Behandlung. (Vergl hierzu die Bemerkungen von F. Kraus 
im klinischen Teile des Deutschen Bäderbuches.) 4. Bei dem 
Kranken besteht ferner eine Anhidrosis. Trotzdem nimmt im 
elektrischen Schwitzbad seine Körpertemperatur nicht mehr zu als 
die des Normalen, w as eine schone Bestätigung für die von M e r i n g 
und W i n t c r n i t z. aufgestellte Anschauung über die Bedeutung der 
Wasserabgabe bei Schwitzprozeduren bedeutet. 

Herr H. D ü r c k: Kasuistische Mitteilungen und Demonstrationen. 

1. Ueber Mediastlnalsarkom. Der von Herrn F. M ever be¬ 
sprochene Fall zeigt auch anatomisch (makroskopisch und mikro¬ 
skopisch) grosse Aehulichkeit mit Thvmusgew ebc. Die Geschw ulst 
war in die obere Hohlvcne und von hier bis in den rechten Vorhof 
cingcwachsen. 

2. lieber akute knötchenförmige syphilitische Meningitis. Vor¬ 
lage eines weiteren Falles bei einem 13 monatlichen Kinde (im An¬ 
schluss an die Demonstration vom 10. Juli l l *'7; M. med. W. No. 43, 
1907). 

3. Sehr grosses, durch die Thoraxwand perforiertes Aneurysma 
des Aortenbogens. 

4. Diffuses Gliom des poiis und der Medulla obhmgata. 

5. 4 Monate alte Verletzung des Schädels und des Gehirns mit 

Eröffnung der linken Seitenkammer bei einem 7 jährigen Kinde durch 
den Eisenzahn einer Egge. 


Aerzüicher Verein in Nürnberg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. M a i 190S. 

Vorsitzender: Herr O o I d s c b in i d t. 

Herr Hahn berichtet über 6 Falle aus der Extremltaten- 
chlrurgle und stellt sämtliche Patienten vor: 

1. einen Mann, bei dem sich nach einer Oberarmfraktur eine 
vollständige Lähmung des Nerv, radialis eingestellt hatte, in Wochen 
nach der Verletzung wurde der Nerv freigelegt, er verlief gerade 
über der Bruchstelle, war mit dem PerioM um g verwachsen, schmal 
und abgeplattet und rötlich imbibiert. Anhebung des Nerven an den 
M. brachialis und Uebernahen des alten Bettes. Der Erfolg schien 
monatelang wegen des lange Zeit un veräiuk r ten Bestehens kom¬ 
pletter Fntartungsreaktion äusserst fraglich; sch! erlich trat, nach¬ 
dem von nervenärztliclier Seite die elektrische Behandamg lange Zeit 
fortgesetzt wurde, völlige funktionelle Heilung e.n. 

2. Totalexstirpation des Schulterblattes wegen chronischer 
Osteomyelitis (vergl. XXXIII. Chirurgenkongress l‘X‘4 und Arch. f. 
kliri. Chirurgie. Bd. 74, II. 2). Vorstellung des Patienten und De¬ 
monstration stereoskopischer Bilder des Präparates. Das Schulter¬ 
blatt hat sich vollkommen regeneriert, die Funktion des SJmlter- 
geienkes lässt nichts zu wünschen übrig; Pat. turnt an Barren und 
Reck und gebraucht den Arm völlig normal. Ausführlicher Bericht 
erfolgt noch im Arch. f. k!;n. Chir. 

3. Talusexstirpation wegen Tuberkulose. 7jä ,r ger Knabe, 
völlig normal bewegliches Fussgelenk; die bestehende Verkürzung ist 
unauffällig. 

4. Tibiasarkom nach Unfall bei 22 übrigem Manne. B r u n s sehe 
Amputation; im Stumpf hat sich entsprechend der Peru stmanschette 
ein 6 cm langer Knochen als Fortsetzung der 'Tibia gebildet. Kein 
Rezidiv. 

5. Patient mit subkutaner Zerrelssung des Llg. patellae propr. 

durch Sturz auf der 'Treppe. Naht des K'apselrisses und des Liga- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1907 


mentes, das Band war in sich aufgerollt und lag im Gelenkspalt. 
Geht nach 8 Wochen mit einem Stock; Funktion jetzt völlig normal. 

6. Patient, den Vortr. vor 4 Jahren vorstellte mit der Diagnose: 
Sarcoma scapulae, Riesentumor. Der sehr harte Tumor war in 
5 Jahren gewachsen. Der Verlauf sprich! gegen Sarkom, Tumor wird 
immer kleiner und weicher, wohl infolge Jodkalikur, doch will sich 
Patient zu energischer antiluetischer Behandlung nicht entschlossen. 
(Photographie vom Jahre 1904.) 



Herr Mainzer: 1. Tumor der Medulla oblongata. 

21 jähriger Bursche, in der Anamnese nichts für Lues, Taenia, 
Trauma oder Infektionskrankheiten in letzter Zeit; vor Jahren Stich^ 
Verletzung des Nervus medianus am linken Handgelenk. Beginn 
plötzlicher Schmerz beim Heben am Hinterkopf links, dann Schwindel, 
ab und zu Erbrechen mit starkem Würgen im Anfang, leichter Kopf¬ 
schmerz am Hinterkopf und Scheitel. Schwindel bei Sehen mit einem 
und mit beiden Augen; bei linker Seitenlage und tiefliegendem Kopf 
systematischer Schwindel: Bewegung der Gegenstände in der 
Verl'ikalebene des Raumes. Schlingbeschwerden. Veränderung der 
Sprache von Angehörigen behauptet, von ihm selbst bestritten. Per¬ 
kussion am Hinterhaupt links schmerzhaft. Druck auf linkem Warzen¬ 
fortsatz von unten schmerzhaft. Mechanische Erregbarkeit des 
Eazialis beiderseits gesteigert. Kornealreflexe stark herabgesetzt 
Pupillen in Ordnung; horizontaler und rotatorischer Nystagmus in 
den Endstellungen 1 > r.; bei linker Seitenlage und tiefliegendem 
Kopf horizontaler Nystagmus in jeder Augenstellung; in Rücken-, 
Bauch-, rechter Seitenlage nicht. Paresen der Abduzentes 1> r. (und 
Trochleares?). Augenhintergrund intakt. Gesichtsfeld ohne Skotome 
eingeschränkt. Unterkieferreflex 1. < r. Zunge zeigt Entartungs¬ 
reaktion, links elektrisch, mechanisch, palpatorisch; rechts bei der 
letzten Untersuchung Verdacht auf beginnende Degeneration. Geruch 
herabgesetzt (Bauer). Geschmack intakt. Gaumenreflexe intakt; 
Rachenreflexe aufgehoben. Gaumen- und Rachenmuskeln funk¬ 
tionieren. Sprache etwas verschwommen; Hypalgesie an Unterkiefer¬ 
halsgegend beiderseits. Kopfhaltung nach rechts; beim Prüfen sym¬ 
metrischer Kopfstellung zu weit nach rechts; passive und aktive 
Kopfbewegung bei geschlossenen Augen vermehren Schwindel nicht. 
Armreflexe symmetrisch gesteigert; Bauchreflexe rechts auslösbar, 
links nur der untere; Patellar- und Achillesklonus links; Strümpell+, 
Bahinski—, rechts gesteigerte Reflexe. Extremitäten links leicht 
ataktisch. Romberg. Gang mässig taumelnd. Keine Glykosurie, 
Fieber oder psychische Störungen. Gleichmässig progressiver Ver¬ 
lauf; keine Krämpfe, kein Druckpuls. 

2. Fall von postluetischer spastischer Spinalparalyse. 

44 jähriger Mann; 1888 angeblich Tripper, aber mit Substanz¬ 
defekt; vor ca. 10 Jahren Doppeltsehen; vor 8 Jahren nächtliche 
Krämpfe der linken Extremitäten bei vollem Bewusstsein, starker 
Kopfschmerz; Nikotinabusus. Seit 2 Jahren leichte Schwellungen in 
den Beinen. Urin in 2—3 Portionen entleert; Libido gesunken, Erek¬ 
tion anfangs intakt bei fehlender Ejakulation, später sehr geschwächt. 
Links am Nacken und in der Ellenbeuge Drüsenschwellungen. Pu¬ 
pillen miotisch, jetzt reflektorisch starr, Konvergenzreaktion besteht. 
Optikus intakt; Ulnaresstämme auf Druck nicht schmerzhaft. Zweiter 
Aortenton stark akzentuiert, Kältehyperästhesie am Leib, Bauchfell¬ 
reflex deutlich, Knie- und und Achillesklonus beiderseits, links Ba- 
binski und Strümpell, reflektorische Hypertonie, Sensibilität am Unter¬ 
schenkel und Fuss gestört, Ataxie angedeutet; leichte Gleichgewichts¬ 
störung. Gleichmässiger Verlauf. 


3. Fall von hereditärer Lues — Tabes. 

22jähriges Mädchen; Mutter debil, Vater starb, Todesursache 
unbekannt; Mutter hatte 3 Aborte, 1 Kind starb an angeborenem 
Vitium cordis, 1 Kind angeblich gesund, das jüngste Kind unsere 
Patientin; immer schwächlich, spät laufen gelernt, protrahierte 
Enurese; schwach begabt. Scharlach als Kind, ohne bleibende Folgen. 
Seit etwa dem 13. Lebensjahr geistig schwächer (zurückbleibend 
oder zurückgehend?). Mit 17 Jahren Menses; Unsicherheit im Gehen 
seit der Menstruationszeit etwa; nie Exazerbationen im Krankheits¬ 
verlauf. Mit 21 Jahren gravid; im 8. Monat nahezu schmerzlos ver¬ 
laufende Sturzgeburt hn Klosett bringt lebendes, schlecht ent¬ 
wickeltes Kind zutage ohne makroskopische Zeichen hereditärer Lues 
bei der Sektion, jetzt gravid im 9. Monat. 

Parrotsche Schädelbildung, Schartenbildung der Oberlippe 
angedeutet, Hutchinson sehe Zähne, zurückgebliebenes Längen¬ 
wachstum des Körpers, aufgetriebene Epiphysenenden der Unter¬ 
extremitätenknochen. Schilddrüse kaum fühlbar; abgelaufene 
Chorioiditis specifica und Glaskörpertrübungen am linken Auge. Pu¬ 
pillen mydriatisch r. >1., reflektorisch starr; Konvengenzreaktion vor 
1 Jahr intakt, jetzt leicht gestört; Optikusatrophie beiderseits. Ul- 
naris nicht durch Druck schmerzempfindlich: Bauchreflexe lebhaft; 
Kältehyperästhesie; Knie- und Achillesreflexe fehlen; Ataxie und 
Romberg gering; Sensibilität wegen Imbezilität nicht prüfbar. Die 
Intelligenzstörung zeigt die Züge der Imbezillität und ist seit der Be¬ 
obachtung (1 Jahr) nicht progredient. 

Herr Landmann: Ueber einen seltenen Fall von Idio¬ 
synkrasie gegen Hühnereiwelss mit Beitrag zur Würdigung des 
Fleichsaftes Puro. (Der Vortrag erschien unter den Originalien 
in No. 20 dieser Wochenschrift.) 


76. Jahresversammlung der British Medical Association 
in Sheffield 

vom 29. bis 31. Juli 1908. 

(Fortsetzung.) 

Abteilung für Chirurgie. 

Die erste Diskussion, die von Sir Watson C h e y n e - London 
eröffnet wurde, betraf die Diagnose und Behandlung der bösartigen 
Geschwülste der Brust. 

C h e y n e und andere Redner bedauern, dass die Diagnose mit 
der Vervollkommnung der operativen Technik nicht gleichen Schritt 
gehalten hat. Er empfiehlt eine sehr schonende Untersuchung, da 
man durch starkes Drücken leicht Krebszellen in die Lymphbahnen 
pressen kann. Als pathognomisches (wenn vorhandenes) Symptom 
betrachtet er eine Ungleichheit im Niveau beider Brustwarzen; durch 
Schrumpfen des Tumors steht die Warze der kranken Seite höher. 
Bei allen zweifelhaften Fällen entscheidet die Probeexzision; man 
darf niemals in den Tumor schneiden, sondern muss ihn in toto 
entfernen, eine sofort vorgenommene Untersuchung entscheidet, ob 
man die Radikaloperation anzuschliessen hat. Die Haut muss weit 
im gesunden Umschnitten werden, noch mehr muss stets von der 
Faszie entfernt werden. Stets ist die oberste Lage (bei stärkerer 
Verwachsung der ganze Sternalabschnitt) der Pectoralis major zu 
entfernen Die Klavikularportion und der Pectoralis minor können 
zurückgelassen werden, stets entferne man ihre Faszien. Bei stär¬ 
kerer Beteiligung der Achseldrüsen ist auch das hintere Halsdreieck 
auszuräumen. Die Ausräumung der Achselhöhle beginne man von 
eben, so dass die Lymphbahnen gleich von Anfang an durchtrennt 
werden. Durch Unterminieren der Haut kann man die Wunde meist 
schliesscn. Den Arm lagere man nach der Operation rechtwinklig 
und massiere bald. 

H. J. S ti 1 e s-Edinburgh legt zweifelhafte Tumoren in Acid. 
nitr. Nach wenigen Minuten in einer 5 proz. Lösung wird das Epithel 
opak, das Bindegewebe gelatinös. Man kann auf diese Weise sofort 
die Diagnose machen. Das Kollo-idkarzinom hält er für weniger ge¬ 
fährlich, es ist dabei nicht immer nötig die Radikaloperation zu 
machen. Bei wahrem Sarkom ist die Ausräumung der Achselhöhle 
überflüssig. Er fordert für gewöhnlich als Minimum: weite Ent¬ 
fernung der Haut, noch weitere der Faszie. Entfernung des Fettes 
und der Faszie des epigastrischen Dreiecks. Er rechnet weniger als 
2 Prozent Mortalität und 40—50 Proz. Dauerheilungen. Als Anästhe- 
tikum benutzt er Chloroform, da es bei Aether mehr blutet. Ehe 
Subskapulargefässe sind völlig zu entfernen, der Nervus subscapularis 
und der N. poster. thoracicus sind womöglich zu erhalten. Die Supra- 
klavikulardrüsen sind nur in Ausnahmefällen zu entfernen. Bei ulze- 
rierten Krebsen entfernt er zuerst nur die Brust, 14 Tage später 
schliesst er die Radikaloperation an. 

Rutherford M o r i s o n - Newcastle empfiehlt in manchen Fällen 
das hintere Halsdreieck auszuräumen, man muss dabei den Kopf¬ 
nicker durchschneiden und alle Drüsen in der Nähe der Jugularis ent¬ 
fernen. Von 115 Fällen, die länger als 3 Jahre operiert sind, leben 31, 
alle haben gute Funktion des Armes. Bei jungen Frauen entfernt er 
gleichzeitig die Eierstöcke, um Schwangerschaft zu verhindern: 
mehrere Monate nach der Operation behandelt er lokal mit Röntgen¬ 
strahlen. 


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Original frnrri 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 







190S 


MUENCHENLR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N*j. J6. 


Lynn T h o m a s - Cardiff betont, dass RöntRenstrahlen rezidi¬ 
vierende Krebsknötchen zum Verschwinden bringen können. Die 
moderne Operation gewährt leider keinen Schutz gegen das Auftreten 
intrathorazischer Metastasen. Ausgedehnte unterminierte hautlappen 
bleiben leichter am Leben, wenn man sie an mehreren Stellen punk¬ 
tiert und sie an die Interkostalmuskeln annäht, Er verwendet Aether 
mit der offenen Methode als Anästhetikum. 

Cresp E n g 1 i s h - London verwirft die offene Aethernark >se. 
er entfernt stets die Supraklavikulardriisen 

Ryall-London entfernt den ganzen Pectoralis major, lässt 
aber den minor zurück, das Halsdreieck räumt er nur aus, wenn es 
erkrankt ist. 

Sampson H a n<d 1 e v - London empfiehlt vor der Operation 
stets das Becken zu untersuchen, da man oft Metastasen in den 
Organen des Beckens findet. Er glaubt, dass viele Operateure zu 
viel Haut und zu wenig Easzie entfernen. Der Tumor verbreitet sich 
durch Permeation, nicht durch Emboüsmus, und so muss der Tumor 
das Zentrum der Operation bilden. Die Klavikularportion des Pekto- 
ralis lässt er zurück, viel gefährlicher ist der Serratus magnus. Eiir 
kurze Zeit nach der Operation verwendet er Röntgenstrahlen. Den 
Arm fixiert er 14 Tage an der Brust. Bei chronischem Oedem ist 
es ihm gelungen, durch Einlegung starker Seidenfäden unter die 
Haut des Armes und der Schulter neue Abflusshalmen für die Lymphe 
zu schaffen.' 

Evans-London warnt vor Inzisionen des Tumors in situ Es 
ist völlig überflüssig, den Arm nach der Operation zu fixieren. 

Douglas D r e w - London hält den Kolloidkrebs fiir ebenso ge¬ 
fährlich als die anderen Arten. 

B e 11 - London hat in 17 Jahren nie eine operative Heilung des 
Brustkrebs gesehen und verwirft deshalb jede Operation. 

M u r p h y - Chicago empfiehlt als Anästhetikum Aether mit der 
offenen Maske zu geben. 

Jordan L I o y d - Birmingham warnt vor der Operation vor¬ 
geschrittener Balle. Schon jetzt sind die Trauen vielfach so ent¬ 
täuscht über die Erfolge der Operation, dass viele sich nicht mehr 
operieren lassen wollen. Nur eine genaue Auswahl der Bälle kann 
das Vertrauen in die Chirurgie wieder hcrstellen. 

Dann sprach Ryall -London über die Technik der Krebsopera- 
Üonen hinsichtlich der Vermeidung von Krebsaussaat. Er warnt vor 
allem vor Inzisionen krebsiger Geschwülste in situ. 

Dann ergffnete D. N e w in a n n - Glasgow eine Diskussion über 
die Indikationen zur Vornahme der Nephrotomie und Nephrektomie. 
Er besprach die Symptome der Nierenkrankheiten, die oft sehr täu¬ 
schender Natur sind, vor allem kann Erkrankung einer Niere Schmer¬ 
zen auf der anderen Seite erzeugen. Diagnostisch wichtig sind vor 
allem die Zystoskopie, die Radioskopie und die Probeinzision. Die 
Radioskopie nimmt er besonders mit Hilfe des Schirmes vor. Red¬ 
ner warnt vor der Niereiicntkapseluug bei B r i g h t scher Krankheit, 
die Empfehlung dieser Operation beruht auf gänzlich falschen patho¬ 
logischen Anschauungen. Im allgemeinen hat Redner die primäre 
Nephrektomie gegen früher ausserordentlich eingeschränkt. Sie ist 
nur-erlaubt bei Indicatio vitalis, sonst drainiert ei monatelang, da¬ 
bei stellt sich die Eunktion der scheinbar hoffnungslos erkrankten 
Niere oft wieder her. Die Kranken können während dieser Zeit 
mit einem geeigneten Verbände herumgehen. Bei der Nierentuber- 
kulose empfiehlt er die möglichst frühzeitige Entfernung der ganzen 
erkrankten Niere, partielle Operationen verwirft er hierbei völlig. 

P a r d o e - London hält Ureterenkatheterisation nur bei 
strenger Indikation für zulässig; die Harnscheider geben in vielen 
Eällen gute Resultate. Er ist ein Ereunu konservativer Chirurgie, 
hält aber die Drainage einer septischen Niere fiir ein Jahr und länger 
für übertrieben. 

Tbelwall T h o m a s - Liverpool sieht die beste Propin laxe der 
Nephrektomie in frühzeitiger Diagnose: die Radioskopie erlaubt die 
sichere Diagnose selbst kleiner Steine, die dann sofort entfernt weiden 
sollten. 

E u 11 e r t o n - Beiford hält Harnscheider fiir unzuverlässig, eine 
tuberkulöse Niere ist möglichst früh zu entfernen; Nierenstiele dürfen 
nur mit Katgut unterbunden werden. 

Leedham G r e e n c - Birmingham hat viele Bälle von Nieren- 
tuberkulose mit 'Tuberkulin behandelt lind wohl Besserungen, aber 
nie Heilungen gesehen. Er empfiehlt die frühe Exstirpation. Septische 
Nieren sind ebenfalls zu exstirpieren, wenn das Allgemeinbefinden 
der Kranken es erlaubt. Tuberkelbazillen findet man in ö.i Prozent 
der Eülle; man benütze aber auch die C a I m e t t e sehe Ophthalmo¬ 
reaktion und die Opsoninprobe. In jedem Balle katherisiere mau die 
Ureteren, Harnscheider sind ungenau. Er legt grosses Gewicht auf 
die Phlorizinprobe; die Indigokarminprobe ist weniger zuverlässig. 
Die Kryoskopie des Blutes ist nur bei jungen Kindern von Nutzen. 

T h o m a s - Cardiff empfiehlt die langdauernde Drainage von 
Steinnieren. 

D e a n s I e y - Wolverhampton empfiehlt lieber da* Nieren¬ 
becken, als die Niereusubstanz, zu inzidiereii; septische Nieieu und 
Nieren, die zahlreiche Steine enthalten, exstirpiert er primär. 


Kennedy - Glasgow hat den Panische der fiir sehr wertvoll 
Er versucht stets zuerst die Nephrotomie ur, J Drain ige. 

M u r p h y - Chicago spricht über die Stnkluren am Ausgang 
des Nierenbeckens. Er ex/idiert die Str.ktur und pf an/t ein V för¬ 
miges Stück des Nierenbeckens in den gespa.teilen Dreier e:n. Von 
11 so operierten Ballen heilten H» glatt, m 1 entstand eine Bistel. Er 
empfiehlt längere Drainage bei \<ere:ic:te'uuee:i. 

P a t c r s o n - London fand in einem Laie schwerer Hamatur.e 
eine vaskuläre Stelle an der Spitze eu.er N.ere. Kauter:sati n dieser 
Stelle brachte Heilung. 

M o n p r o M t - Angers sprach über die Y förmige Cholezyst- 
enterostomie. Er durch trennt das Jejunum ui .1 pilari/t die untc'e 
Portion in die Gallenblase und die obere m d e Seite der unterem 
Das Jejunum bildet so einen neuen Ductus cmmunis und aufsteigende 
Infektion der Gailenwege wird vermieden. Man Kinn nach derselben 
Methode den Ductus communis t der auch den Ductus hepatuus mit 
den Jejunum anaxtomosieren. 

Depage- Brüssel ln-schnel» eine schmerzhafte Verschiebung 
der Rippen. Er fand diesen Zustand bu du Kranken au der 1". oder 
II. Rippe. Die heftigen Schmerzen wurden m 4 Baden durch Re¬ 
sektion beseitigt. 

B u 11 e r t o n - Belfast sprach über J e Diagnose der Hämaturien. 

wobei besonderes Gewicht auf urethrnskopische und /\si«»skopisc!:e 
Intersuchung gelegt wurde. 

Lucas ChamplonnUre-Baiis erk’arte rmch.nas sc.ne 
Methode der Frakturbehandlung durch Massage und Bewegungen. 

K e n n e d y - Glasgow sprach über J.e Behandlung der spa¬ 
stischen Tortlkollls durch Resektion der hinteren primären Teilungen 
der oberen Zervikalnerven. 

W 111 e n s - Ghent beschri« 1» Seme Methode der Klumpfuss- 
behandlung. Er entfernt den Asirag.ous und den \ orderen Teil des 
Os calcis, rotiert den Buss nach aussen und fixiert das < )s cuboides 
an die l nterflache der 'Tibia und Bibula. T.r er/.elt dadurch vor- 
i zügliche funktionelle Erfolge. 

T 111 m a n n s - l.t .pzig vt' idi ub-m Hirnpunktionen mit be¬ 
sonderer Betonung des Nutzens dieses Emgriifs zur Bcstnmmmg Jer 
Seite auf welcher eine Hirni.mi. u sitzt und zur Behandlung des 
H> Jrozephalus. 

Douglas Drew -London sp-ich über die \\ ah! der Methoden 
zur Operation des Rektutnkrebscs. Er emntichlt der; kombinierten 
abdomiiio-permealen \\ eg. 

T h o m s - Cardiff empfiehlt die Prostata auf kombiniertem Wege 
von der Blase und dem Perineum aus zu entfernen. Er drainiert v.-m 
Damme aus. 

O ro v es - Bristol hielt e tien Vortrag über die glelchmässigc 

Registrierung der Operationsresultatc. Tr verspricht sieh grossen 
Nutzen von der allgemeinen B mfviliniug eines Schemas, nach weicb.em. 
die Erfolge in allen Kliniken und Stotalcn aulgezeichnet werden. 

W. Evans-London sprach über die S c n n sehe Methode der 
Gastrostomie und E. C o r n c r - London über Behandlung von Hoden- 
krankhelten durch Resektion des Ductus spcrmatlcus und der Gelasse 
des Samenstrangs. 

Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

G. E. Herrn a n n - London erotfnete eine Diskussion über ehe 
Behandlung der Uterusverlagerungon. Die bil ligste form ist de' 
Prolaps des Lterus. die Rtickw ;n t*- agerung g bt nur at etwa 1" P r «>z 
der Halle Anlass zu Beschwerden. Die emi.uhste ur J stets au/u- 
strebende Beliaudlui g ist. die I’essarbcliaudhmg; k.mii c.n Pessar 
w egen Erw eiterung des Sctieidenemgangs picht getr agen w erden. s<> 
versuche man einen Stutzanpaiat mit Gurte!. Bt der l terus'wrp.-r 
geschwollen und empfindlich, so dass eui Pessar m.v.ht e'trageii w ;td. 
so verkürze man die runden Mutte: Kinder auf mgu.nalcm «-der vag,- 
nalein Wege, auch die vagina'e Bdx itmn des l teuis e;bt gute Er¬ 
folge. Bei hinabgesunketiem Items s.nd diese ()pei itioiun nutzlos. 
Ist eine Operation dabei indiziert, so kann nur die ventrale Bixati ur 
mit ausgedehnter Koiporr)ia[»:e m Trage k- n'men. Bei aten Witwen 
mache man bei grossen Prolapsen die Ixstnpatau des Items und 
der Scheide. 

Po zzi- Paris weist darauf hm. dass de Verlagerung n.Jrt de 
einzige Ursache der Sv mplonfe zu sein brauen:. stets be! uide'c mau 
gleichzeitig bestellende EnJometiit s. \d'exckr ml» in\ea utid Damm¬ 
risse. Verkürzung der runden Baikbr ist zw ecklos bei Ss hl alte r 
Bauchdeckeii lind bei Erkrankungen der •V'hatige \ e:itr> tixat <*n 
sollte nur nach der Menopause gemacht weiden; i'e; iumgm T-atmu 
mit schlaffen BaucHvleckcii cmptiehlt er d e mt:a ybd- m.u a'e Ver¬ 
kürzung der runden Bänder. K"lj»oper meo; rB mh:e :*t me.st not.g 
a 's Voro|»eiatiou. 

B o s s i - (ieitua verwirft a"e (fev.iioimi; er tirdie'i't de * ■>- 
genamte funktionelle Lei am m g mt l’e*mi im: 1 l ebui: K en. \ eie 
junge Mädchen leiden an \natrie und Nein asiheriie infolge v<ur \rte- 
fiexion. die Korrektur dmch eas l'rs' u I ese.t gt de Beschwerden 
\ ieie Bälle- von Steiilit.it beruhe n aut k< ui ge: t.de r B lex • >i;; se werden 
geliebt ein ich AusschaheJ). Iiiz,>m n der Zerx x an der Me'le vier 
Knickung und Eimiihren eines aitt ante n lY's.us. das Jo Luc 
liegen bleibt. 


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8. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1909 


Goff - New York glaubt, dass viele Beschwerden rein zere¬ 
braler Natur sind und warnt vor zu reichlicher Behandlung auch mit 
Pessaren. 

May T h o r n e - London glaubt, dass viele Fälle von Deviationen 
auf Neurasthenie beruhen (? Ref.). Sie warnt davor, junge Mädchen 
beso-nders während der Periode körperlich anzustrengen (Turnen 
etc.), da dies zu Retroflexion führen kann. 

Inglis Parsons -London empfiehlt bei Prolaps Chinin in die 
Ligamenta lata einzuspritzen. Er hatte bei den allerschwersten 
Fällen, in denen alle Operationen versagten, gute Erfolge. Unter 
150 Fällen erzielte er in 90 Proz. Heilung. Bei Retroflexion, die nicht 
durch Pessare gebessert wird, ventrofixiert er. 

Lea- Manchester glaubt, dass viele Fälle von Prolaps durch 
Schwäche der Bauchmuskeln entstehen; sie werden oft durch 
Massage gebessert. Kürzung der Ligamente und Ventrofixation 
geben in den geeigneten Fällen gute Resultate. 

Donald- Manchester verwirft die Pessarbehandlung voll¬ 
kommen, ebenso die Ventrofixation bei beweglichen Retroflexionen. 
Die Beschwerden beruhen auf Schwellung des Uterus. Ausschaben 
beseitigt meist alle Beschwerden. 

Locky er-London bespricht ausführlich die Indikationen für 
die verschiedenen Operationen. Pessare verwendet er nur bei 
retroflektiertem, gravidem Uterus. 

McCann-London empfiehlt Gymnastik bei Prolaps 

Helme- Manchester protestiert gegen das viele Operieren bei 
diesen Zuständen. Viele Fälle von Retroflexion bei jungen Mädchen 
beruhen auf übergrosser körperlicher Anstrengung. Es kommt zu 
Verkürzungen besonders des linken Lig. sacrouterinum, auch die 
Konstipation spielt eine grosse Rolle in der Aetiologie der Ver¬ 
lagerungen. Bei beweglicher Retrodeviation, die Behandlung er¬ 
fordert, verkürzt er die runden Bänder. Bei sehr grossen Prolapsen 
entfernt er den Uterus und versucht durch feste Vereinigung der 
Bänder eine straffe Narbe zu schaffen. Bei mittelgrossem Uterus 
amputiert er die Zervix und macht Scheidendammplastik; bei kleinem 
Uterus ventrofixiert er und repariert den Scheidenausgang. 

R o b e r t s - London warnt davor Frauen über etwa gefundene 
Uterusverlageru-ngen aufzuklären. Meist genügt eine allgemeine Be¬ 
handlung und die Einführung eines Pessars. 

Fothergill -Manchester besprach ausführlich die Aetiologie 
des Prolapses. 

Dann sprach Bossi- Genua über die Behandlung der Osteo¬ 
malazie und Rachitis mit Adrenalin. Er gibt 2 mal täglich 0,5 ccm 
der Parke, Davisschen Präparates. Radiographisch festgestellte 
Osteoporosis verschwändet bald. 4 Fälle wurden während der 
Schwangerschaft wesentlich gebessert, bei 3 gelang es ohne Kaiser¬ 
schnitt auszukommen. 

Lockyer -London sprach über die Verlagerung des Ureters 
bei Beckentumoren. Bei 264 konsekutiven Laparotomien durch- 
schnitt er 4 mal den Ureter. Er beschreibt die Fälle und die Ver¬ 
suche, Heilung herbeizuführen. 

Dann eröffnete J a r d i n e - Glasgow die Diskussion über Kaiser¬ 
schnitt versus andere Methoden der Geburt bei engem Becken. 

Kann man den Kaiserschnitt zu rechter Zeit und am rechten 
Orte machen, so ist er die beste Methode zur Erhaltung beider Leben. 
Hat. die Geburt schon lange begonnen, wurde die Kranke vielfach 
untersucht oder wurden schon Versuche gemacht, sie zu entbinden, 
so verwirft er den Kaiserschnitt, wenn eine Entbindung per vias 
naturales nicht absolut unmöglich ist. Muss er operieren, so ent¬ 
fernt er den Uterus. Wenn die beiden Eltern die Sterilisation 
wünschen, so nimmt er sie beim ersten Kaiserschnitt vor, beim 
zweiten tut er es immer. Unverheiratete Frauen sterilisiert er nicht. 
Der Kaiserschnitt ist absolut indiziert bei einer Konjugata von 
2V-z Zoll oder darunter. Bei einer Konjugata von 2'/* bis 314 Zoll 
kann das Kind geboren werden, wenn der Kopf im richtigen Grössen¬ 
verhältnis zum Beckeneingang steht und das vordere Scheitelbein 
vorliegt. Pubiotomie zieht er der Symphysiotomie vor, da die Blase 
weniger leicht verletzt wird; stets ist die Geiahr für das Kind bei 
diesen Operationen grösser als beim Kaiserschnitt. Ist die Konjugata 
vera unter 3 Zoll, so sollten sie nur bei sehr kleinem Kopfe vor¬ 
genommen werden. Eine Konjugata von 3 Va Zoll und ein normaler 
Kopf erlauben die Operation. 

Besteht neben der Abflachung auch noch allgemeine Becken¬ 
enge, so nimmt er im Interesse des Kindes lieber den Kaiserschnitt 
vor. Die Operationen an der Symphyse soll jeder praktische Arzt 
machen können. Die Grösse des Beckens bleibt etwas vermehrt, 
so dass spätere Geburten oft leichter werden, man kann übrigens 
die Operation wiederholen und ist sie bei den späteren Malen 
unblutig. Bei totem Kinde und genügend weitem Becken kranioto- 
miert er. Scheint die Erhaltung des Kindes mit enormen Risiko für 
die Mutter verbunden, so kraniotomiert er auch ein lebendes Kind. 
Er denkt dabei besonders an Fälle, an denen die Mutter nach wieder¬ 
holten vergeblichen Entbindungsversuchen in äusserst schmutzigem 
Zustand in das Hospital eingeliefert wird, ln den Fällen, in denen 
die Symphysiotomie und Pubiotomie in Frage kommen, kann man 
auch an die künstliche Frühgeburt denken. Die Konjugata sollte min¬ 
destens 3 Zoll messen und man sollte nicht vor der 32. Woche des 


intrauterinen Leber.s operieren. Man soll stets die Grösse des Kopfes 
kontrollieren, lässt sich derselbe nicht mehr leicht ins Becken pressen, 
so leite man die Frühgeburt ein, wenn die 32. Woche erreicht ist. Die 
praktischen ( Aerzte sollten ihre Patientinnen, die ihre Niederkunft 
erwarten, regelmässig untersuchen, um, wenn etwas Pathologisches 
eintritt, bei Zeiten sich entscheiden zu können, ob und welcher Ein¬ 
griff erforderlich ist. Er warnt die Aerzte besonders nach miss¬ 
lungener Zange die Wendung zu versuchen, hierbei entstehen die 
meisten Rupturen. 

Z w e i f e 1 - Leipzig sprach ausführlich über die beiden von 
ihm eingeführten Operationen, die subkutane Symphysiotomie und 
den extraperitonealen Kaiserschnitt. 

Lloyd Roberts- Manchester warnt davor, den Kaiserschnitt 
anderswo als in einem wohleingerichteten Operationssaal vorzu¬ 
nehmen. Er macht den Kaiserschnitt zur vorbestimmten Zeit in der 
letzten Woche der Schwangerschaft. Bei schon bestehender Sepsis 
entfernt er den Uterus nicht. Die Symphysiotomie verwirft er als 
völlig unwissenschaftlich, die Hälfte der Kinder geht dabei zu gründe. 

K r ö n i g - Freiburg empfiehlt die subkutane Symphysiotomie. 
Bei 21 Fällen starb keine Mutter und nur 4 Kinder. Bei Missver¬ 
hältnis zwischen Kopf und Becken zieht er den zervikalen Kaiser¬ 
schnitt vor. Seine Operierten stehen am Tage nach der Operation 
auf. 

Roberts- London empfiehlt den konservativen Kaiserschnitt 
ebenso May Thorne -London. 

Dempsey - Belfast empiiehlt bei engem Becken die frühzeitige 
Anlegung der Zange. Man warte nicht auf das Modellieren des 
Kopfes. 

Im Schlusswort betont J a r d i n nochmals, dass er vor allem 
auf das Verhältnis zwischen Kopf und Becken ankommt, die Becken¬ 
grösse an sich ist nicht entscheidend. Die frühe Zange verwirft er 
vollkommen. Bei drohender Sepsis empiiehlt er das Bettende zu er¬ 
höhen. 

M a n g,i a ga 1 ll i - Mailand teilte seine Erfahrungen über die 
Behandlung der Eklampsie mit Veratrum vlride mit. Er hat 100 Falle 
behandelt, 3 wurden sterbend eingeliefert, 3 hatten bei der Ein¬ 
lieferung Zeichen von Hirnblutung, die bei der Sektion bestätigt 
winde; 94 wurden mit Veratrum viride behandelt und 6 starben. Er 
gibt 5—8 Tropfen in kurzen Zwischenräumen bis zum Aufhören der 
Anfälle. Steigen des Blutdruckes ist die Indikation für eine neue 
Dose des Mittels. 

Dann sprach K r ö n 1 g - Freiburg über Skopolamin-Morphium- 
Narkose während der Geburt. Die Geburt ist für die moderne, zivili¬ 
sierte Frau kein physiologischer Vorgang mehr, sondern die damit 
verbundenen Schmerzen erfordern Behandlung. Er sieht im Skopo- 
lamin-Morphium-Dämmerschlaf die beste Behandlung, er kann 24 
Stunden unterhalten werden, er gewährt nicht nur Analgesie, sondern 
in SO Proz. der Fälle auch Amnesie. Er sah 2 Todesfälle unter 1700 
so behandelten Gebärenden, 1 durch Uterusruptur, 1 durch Placenta 
praevia. Das Mittel selbst erzeugte nie üble Nebenwirkungen bei 
Mutter oder Kind, die Länge der Geburt wurde nie beeinflusst. 

Buist bestätigte die gute Wirkung des Hyoszins, das prak¬ 
tisch mit Skopolamin identisch ist. Er gibt in der Privatpraxis 
0,25 g Morphium und 0,001 g Hyoszin. Die Wirkung beginnt nach 
10 Minuten, erreicht nach 45 Minuten ihren Höhepunkt und bleibt 
4 Stunden bestehen. 

Dann besprach die Sektion den Bericht der im vorigen Jahre 
eingesetzten Kommission zum Studium der Frühdiagnose des Uterus¬ 
krebses. Die bisherigen Arbeiten der Kommission wurden für gut 
erklärt und dieselben Mitglieder wiedergewählt. 

S p a n t o n und W a t s o n - Edinburgh zeigten Bilder von 1700 
Serienschnitten einer ganz frühen Tubenschwangerschaft. 

Schluss folgt. J. P. zum Busch -London. 

(Fortsetzung folgt.) 


Verschiedenes. 

Sexuelle Aufklärung. 

Unter dieser Ueberschrift bringt die M e d i z i n i s c he Reform 
iNo. 27, 1908) aus der „Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten“ die Statistik aus den Gymnasien und Realschulen Böh- 
m e n s, nach der von 1800 Abiturienten 8 Proz. geschlechtskrank ge¬ 
funden wurden und verwendet sie zu dem WahrscheinMchkeitsschluss, 
dass eine Enquete in reichsdeutsehen Schulen nicht viel erbaulichere 
Zustände zutage fördern würde. Darum könne die noch von^mancher 
Seite perhorreszierte Aufklärung der Schüler der oberen Klassen über 
die Gefahren des ausserehelichen Geschlechtsverkehres kaum die 
Gefahr in sich trägem die unverdorbenen jugendlichen Gemüter 
erst recht auf die verbotenen Früchte hinzuweisen, weil ebeu die 
verbotenen Früchte von mindestens einem Viertel dieser Schüler schon 
gepilückt seien. 

Ich glaube, dass die vorbehaltlose Uebertragung der in Böhmen 
gemachter. Erfahrungen auf unsere deutschen Verhältnisse, zumai auf 
die in kleinen und mittleren Städten zu ganz falschen Folgerungen 
führt. Der die Mitteilung vervollständigende Zusatz, dass sich in den 
Provinzialmittelstädten, ein noch viel höherer Prozentsatz als in Prag 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36 . 


1910 


selbst gezeigt habe, gibt dafür einen Fingerzeig und bringt mir die 
Erinnerung an Verhältnisse wieder, die ich allerdings schon vor 
c'O Jahren in einer böhmischen Mittelstadt kennen lernte, die den 
Genuss der verbotenen Früchte so bequem und leicht machten, wie 
es in deutschen Städten wohl niemals möglich ist. Ich verlebte die 
Universitätsheibstferien der Jahre 1878 und 18SU in einem Dorfe nahe 
bei der Stadt Cz. und verkehrte viel in diesem Orte; in Einzel¬ 
heiten mag mich die Erinnerung wohl trügen, in der Hauptsache ist 
sie sicher treu und stützt sich auf die Mitteilungen, die mir dort 
von den Herren, die ich kennen lernte, gemacht wurden. Die 
Zimmermädchen in dem üasthof, in dem wir uns unseren Abend¬ 
schoppen genehmigten, aber auch in den anderen Hotels, waren Pro¬ 
stituierte, die sich ein- oder zweimal in der Woche zur Kontrolle 
stellen mussten, sie hatten in dem Hotel ein nettes, „ungeniertes“ 
Zimmer, bekamen keinen Lohn, mussten vielmehr für ihr Zimmer 
täglich oder wöchentlich einen bestimmten, verhältnismässig hohen 
Preis bezahlen und durften daiür Herrenbesuch empfangen; tur notige 
und wünschenswerte Abwechslung dieses weiblichen Personais wurde 
jederzeit gesorgt. Wie man mir sagte, war das nicht etwa eine 
Spezialität dieses einen Ortes, sondern eine allgemeine Einrichtung, 
wenn nicht in allen, so doch in sehr vielen Städtchen Böhmens. Eine 
so bequeme und einladende Gelegenheit kann natürlich zumal in den 
kleineren Orten auch den älteren Schülern nicht unbekannt ge¬ 
blieben sein, und Gelegenheit macht Diebe. Solche Gelegenheit 
findet sich bei uns nirgends, am wenigsten in den kleineren odei 
auch mittleren Orten; damit entfallen die von den Erfahrungen in 
Böhmen auf die deutschen Verhältnisse gezogenen Schlussiolge- 
ruiigcn völlig. Eine Aufklärung der Schüler der oberen Klassen in 
diesem Sinne ist bei uns, wenigstens in den kleinen und sicher auch 
den meisten Mittelstädten, noch nicht wünschenswert, die Belehrung 
vor den drohenden Gefahren beim Abgang von der Schule zur Hoch¬ 
schule oder Ins Leben hinaus dagegen ist dringend notwendig. 

E. S a r d e m a n il 

Zur beruflichen und sozialen Gliederung des 
Bayerischen Volkes liefern die jetzt bekannt gegebenen Er¬ 
gebnisse der Berufszählung von 1W7 (s. a. Beitr. z. Statistik d. Komgr. 
oayern, Heft 8U, München, bei Lindau er, im Erscheinen) wert¬ 
volles Material: Unmittelbare hauptberufliche Erwerbstätigkeit (Mass 
für die zurzeit mobile „Gesamtarbeitskraft" des Volkes) be¬ 
schäftigt — selbständig und nicht selbständig — 50 Proz., sie 
nährt — samt Hausgesinde und nicht erwerbender Familie — 
85 Proz. und zwar durch Land- und Forstwirtschaft 40 Proz., durch 
Gewerbe und Industrie 33 Proz., durch Handel und Verkehr 12 Proz. 
von 6,6 Millionen Gesamtbevölkerung. Von den in obigen Nähr- 
ständen „Erwerbstätigen“ sind 75 Proz. ( 2,3 Mill.) nicht selbständig 

(Angestellte und Arbeiter); mit noch 115 000 Personen Hausgesinde 
und 60 000 unständigen Arbeitern dürften also gegenwärtig zirka 
2/4 Millionen Bayern von der sozial-medizinischen Gesetzgebung be¬ 
rührt werden. Den höchsten Prozentsatz (12 Proz.) „Angestellter” 
hat der Handel, 65 Proz. „Arbeiter“ die Industrie. 

Seit dem letzten Vicrtcljahrhundert ist die Zahl der „Erwerbs¬ 
tätigen“ im allgemeinen, sowie besonders in Industrie und Handel 
und namentlich auch beim weiblichen Geschlecht gestiegen, bei der 
Landwirtschaft gesunken. Seit der Zählung von 1895 hat sieh die 
absolute Zahl unselbständig Erwerbstätiger um über Tausend ver¬ 
mehrt, die Prozentzahl der Selbständigen durehgehends vermindert 
und zwar sind diese Schiebungen und Schichtungen im allgemeinen 
stetige gewesen. 

Therapeutische Notizen, 

Unter dem Titel: „Die Abführmittel eine soziale 
Gefahr“ bespricht Burlureaux in einer grösseren Arbeit (Revue 
de Th6rapeutique medico-chirurgicalc, Juni und Juli löos) den grossen 
Schaden, welcher durch den gewohnheitsmüssigen Gebrauch der Ab¬ 
führmittel der Gesundheit erwachse. Ja B. geht so weit zu erklären, 
dass keiner der von ihm untersuchten Patienten nicht ein oder das 
andere Mal durch Abführmittel oder Einläufe irgend eine ernste Ge¬ 
sundheitsstörung erfahren habe; er ist sogar überzeugt, dass ein 
stark wirkendes Purgativ Appendizitis und zwar in ihren schwersten 
Formen bei Personen, die nie den geringsten derartigen Anfall ge¬ 
habt haben, zum Ausbruch bringen, d. h. eine vorhandene Disposition 
in die wirkliche Krankheit umwandeln kann. Der schlimme Einfluss 
des Abführmittels macht sich umsomehr fühlbar, je schwächer der 
Organismus ist; daher ist es nicht erstaunlich, dass er im Kindes- und 
Greisenalter besonders hervortritt. B. möchte eigentlich bezüglich 
der Schädlichkeit gar keinen Unterschied zwischen den verschiedenen 
Abführmitteln machen und höchstens nach dem Grade ihrer Wirkung 
sie rubrizieren, trotzdem aber 2 hervorheben, die als besonders 
milde Mittel gelten, das sind Kalo m e I und Rizinusöl; das 
erstere ist sehr unzuverlässig und unregelmässig in der Wirkung, 
das letztere, wenn auch weniger schädlich w ie Kalomcl. kann auch 
in kleiner Dosis bei Kindern wie Erwachsenen gefährliche Darm¬ 
reizungen verursachen. Und was B. von den Abführmitteln sagt, 
gilt ihm in gleicher Weise von den Einläufen und sogar dem „be¬ 
scheidenen“ Stuhlzäpfchen; auch das Glyzerinzäptchen kann reizend 
wirken und bei hochgradigen Neurasthenikern sogar einen mit hef¬ 


tigen lokalen Schmerzen verbundenen Zustand allgemeinen Uebel- 
betindens verursachen. Wenn man bedenkt, dass une diese ab¬ 
führenden Eingriffe ebeiisoviele Schocks für den Darm sind, eines 
der sensibelsten Organe, ein Organ, welches eine enorme Oberfläche 
darbietet und ohne Zw eifel der Ausgangspunkt zahlloser Rdlcxcrkran- 
kungen ist, so durfte die schädigende Wnkimg der Abiulirmittel ziem¬ 
lich klar sein. Zum Ersatz derselben schiagt nun B. 3 Arien \<-n 
Mitteln; die Psychotherapie, die 1 *h\ siothcrapie und hygicmsOi- 
diätetisclie Mittel vor. Es gibt eine Anzahl Personen, die sicher 
durch die Quantität der Nahrung ohstipierl werden, besonders auch 
Brustkinder; hier gelingt es nur. die Menge em/iischranken, «mne 
sonst die Art der Nahrung zu andern, um Aiics in Ordnung zu bringen, 
ln anderen, allerdings viel selteneren l allen kann man die (>hstipa|i*<n 
durch Uebcrcrnalirung beseitigen. Im allgemeinen heisst es hier m 
besonderem Masse indiwduell behandeln und die K<«st muh den ein¬ 
zelnen Erfordernissen einrichten. Mit der Regelung der Diät imissen 
auch andere Massnahmen anbei ge he n, wie z. B. Ruhe bei demjenigen, 
der übermassigen Sport getrieben hat, in anderen Fallen sind schwe¬ 
dische (i>mnastik, Meeliarioilierapie, Massage, bei der man suh 
aber vor allzuheftiger Bauchmussugc hüten muss — die sogar die 
Obstipation verschlimmern kann ange/cigt. Die H\drotherapie 
kann ebenfalls zur Beseitigung der Obstipation m Form Kader Kom¬ 
pressen auf den Leib oder warmer Duschen usw. dienen, was die 
kalten Duschen betrifit, so können sie ebenso sdi.idliJi wirken, wie 
heftige Massage. Auch Dampl-, eiekirisJie. Liehtb.ider und statische 
Elektrizität haben oft guten Ermlg und m manchen 1 allen auch Eutt- 
veräudei ung. Als allgemein kr.itligeiide Mittel, die smi günstigem 
Entlass auf bestellende Obstipation sein können, erwähnt B. seh.iess- 
licli noch die subkutanen Injektionen \on Brow il - S c q u a r d sdicr 
Hodenilussigkcit und von Meersalzwasser. St. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ii n c h e n, 5. September * F 
Das Aerztliehe \ erenisb-U.lt \ eroflentlicht in sauer No. 673 
das Referat, das Gcheimrat Lobker als Rctdcnt über die Frage 
„Soll die Berechtigung der A e r / t e, als > p e / i a : a r z t e 
lur einzelne Gebiete der praktischen Medizin s i c h 
z u b e z e i e h n e n. a n b e s t i m m t e Bedingung c n g e k n u p f t 
w e r d e u und z u t I e I f e n d e n (alles a n w eie Ii e i" der 
wissenschaftlichen Deputation lur das Me di/malw e hii am lm Ok¬ 
tober l‘X'7 m Beilm erstattet hat und das die Orundi.igc bildete lur 
den in No. 34 d. W. S. IMo abge dt ue kte n l.rlass des prcussisdie n 
Medi/malrmmsters. Aus der gründlichen. die Frage nach allen Seiten 
treliciid beleuchleiieien Arbeit E o I k c r s geht zumuhst eile* alrai- 
liche Tatsache hervor, dass das Spe/ialistemm w esai. wenigstens in 
Praissai, doch nicht ganz so schlimm ist. als man \icliacht an/u- 
uclimen genagt war. Zwar bezeichnen suh n ««n ! s 57'> preussisd.cn 
Aer/ten 3745 2«». 15 Pn»/„ also mehr als ein Fiimtcl. als spt/ial- 

ür/te. Aber ehe Zahl eier sogen. Seitisw heuspezi.i.isten ist doch 
Niel geringer als man gewöhnlich annimmt. Die Zahl derjenigen 
Spe/ialar/te, die auf ihr Spe/iaiMudium mir eine Ausbildungszeit bis 
zu einem halben Jahre \er wandt haben, betragt nur l.'M Pr--/. Wenn 
man eine dreijährige Ausbildungszeit tur die Beherrschung eines 
Spe/ialfaches für notig annimmt, so sind aheidmgs 5o.i»5 Proz. der 
Spezialarzte in Preusseii ungenügend \ < .r gebildet. 25.71 Proz. der 
Spezialarzte haben sich 3 Jahre. 15.‘>7 Proz. 4 Jahre. 26,13 Pro/. 
5 Jahre und darüber tur ihr Speziullach \ o: gebildet. Nur 3,51 Pro/, 
üben nach der Statistik neben ihrem Staideriach aruh allgemeine 
Praxis aus, eine Zahl, die, wenn sie w * »hl atuh zu niedrig gegriltcn 
ist, doch zeigt, dass die überwiegende Mehrzahl der Spezia,ar/te 
auf Allgemempraxis vei/ichlet. Lobker kam m seinem Relerat 
zu 7 Leitsätzen, voll denen No. 1 5 von der w iss t i>c haniichen De¬ 

putation gebilligt und m den Mmisti riaie: lass is. N<>. 54) autge- 
nonmien wurden. Die den Kernpunkt der Lobker sehen Norschiage 
bildenden Leitsätze 6 und 7 wurden abgelelmt. Lobker schlug 
darin vor, den Aerztekammerii be/w. deren Aorstanden durch Kgl, 
Verordnung ein Ucberw achuiigsreeht über die t’.rtui ung der für die 
Bezeichnung als Spezialarzt zu iordandai \ orltydmgungen an/u- 
räumeii. Die Ableimung dieses Vorschlages erioigte wesentlich aus 
rechtlichen Bedenken, da nach $ 2 { > der t u w er beordnuug leder appro¬ 
bierte Ar/t das Recht habe, sich Spc/iaiar/t zu nennen. Das ist 
richtig. Die Spe/ialistenfrage konnte im Sinne Lobkers also nur 
auf gesetzlichem Wege gelost werden. Da dies zunächst nicht be¬ 
absichtigt wird, so ist das praktische Ergebnis de r Beratungen der 
wissenschaftlichen Deputation ein sehr geringes. Imme: hm ist cs 
von Interesse, namentlich iur die Ae: ztckaiimia n, die sich nun weiter 
an der Frage versuchen werden, die Ansichten dieser angesehenen 
Körperschaft zu kamen. 

— Zur l'm w a n d I u n g der s ii c h s i s c h e u 1 u v a i i d e n - 
v e r s o r g ii n g s k a s s c in eine Invaliden- und Alters- 
r e n t e n k a s s e der A ärztlich e n B e / i r k s v e m u t i m 
Königreich Sachsen hat Dr. Greif- Rade be ul iruin;/agc 


•) Mit Rücksicht auf einen katholischen Feiertag muss diese 
Nummer früher abgeschlossen werden. Red. 


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Original fro-rri 

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8. September 1008. 


MUENCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1911 


ausgearbeitet, die in No. 17 des Sächs. Korr.-Blattes abgedruckt sind. 
Darnach soll jedes Mitglied eines Aerztl. Bezirksvereins im König¬ 
reich Sachsen einen Rechtsanspruch haben auf eine feste Invaliden¬ 
rente im Falle des Eintretens von Invalidität, oder auf eine feste 
Altersrente im Falle des Erreichens der Altersgrenze von 65 Jahren, 
vorausgesetzt, dass der Betreffende wenigstens 10 Jahre Mitglied eines 
Aerztl. Bezirksvereins im Königreiche Sachsen gewesen ist und seine 
jährlichen Verpflichtungen der Kasse gegenüber erfüllt hat. Herr Dr. 
Q r e i f hat eine tägliche Rücklage von 40 Pfennigen ausgerechnet, 
auf Grund deren es möglich sein werde, dass jeder Sächsische Arzt 
vor Kummer und Not geschützt ist. — Das Korr.-Blatt bemerkt dazu, 
die Verwirklichung der Greif sehen Grundgedanken sei das Ziel, 
das so oder so einmal erreicht werden müsse, und zwar je eher, 
um so besser, und das auch werde erreicht werden, sobald nur der 
ernstliche Wille unter den Beteiligten da sei. 

— Im Rudolf Virchow-Krankenhaus in Berlin ist vor 
Kurzem eine Massenerkrankung vorgekommen, von der 
gegen 100 Personen, darunter etwa 60 Pflegeschwestern ergriffen 
wurden. Die Untersuchungen über die Ursache der Endemie sind 
noch nicht abgeschlossen, doch scheint Infektion mit Paratyphus- 
bazillen vorzuliegen, die durch verabreichtes Schabefleisch über¬ 
tragen wurden. Die Erkrankungen waren, bis auf einen kleinen Teil, 
der schwerere Erscheinungen aufwies, leichter Art. Das Beefsteak 
ä la tatare wurde für die Zukunft aus dem Speisezettel der Anstalt 
gestrichen. 

— Der Vorstand der zu Berlin am 23. Mai 1908 begründeten 
Internationalen Vereinigung für Krebsforschung 
besteht aus folgenden Herren: Exzellenz v. Leyden, ständiger 
Ehrenpräsident, Exzellenz Czerny, Vorsitzender, Prof. P. Marie- 
Paris und F i b i g e r - Kopenhagen stellvertretende Vorsitzende. Die 
anderen Mitglieder des Vorstandes sind die Herren: Prof. Aoyama- 
Tofcio, Prof. Berg- Stockholm, Dr. B o r r e 1 - Paris, Prof. Dol- 

1 i n g e r - Ofen-Pest, Dr. Lopez D a r ä n - Madrid, Stabsarzt Dr. 
G a b a 1 a s - Athen, Prof. G o 1 g i - Pavia, Geh. Öbermedizinalrat 
Kirchner -Berlin, Prof. v. Hochenegg - Wien, Dr. Aze v edo 
Neves-Lissabon, Prof. Roswell Park -Buffalo, Prof. v. Pod- 
wyssozki-St. Petersburg. Die fünf von Deutschland in die Ver¬ 
einigung Delegierten ordentlichen Mitglieder sind die Herren; 
Präsident B u m m - Berlin, Exz. Czerny- Heidelberg, Geheimräte 
Ehrlich- Frankfurt a. M., Kirchner, Orth- Berlin. 

— Man schreibt uns aus Hamburg unterm 31. August d. J.: Die 
8. ärztliche Studienreise, welche morgen von hier ihren 
Anfang nimmt und diesmal auf dem schönen Dampfer der Hamburg- 
Amerikalinie „Oceana“ nach Ostende, Insel Wight, St. Sebastian, 
Madeira, Teneriffa Tanger und Lissabon geht, hat heute in Hamburg 
sozusagen ein wissenschaftliches Vorspiel gehabt. Der Direktor des 
Eppendorf er Krankenhauses, Prof. Lenhartz, hatte die 341 Teil¬ 
nehmer der Reise zu einer wissenschaftlichen Sitzung ins Kranken¬ 
haus eingeladen, in welcher er selbst und der Medizinalrat Prof. 
N o c h t einen wissenschaftlichen Vortrag hielten. Letzterer sprach 
über die Aufgaben des Arztes im Seeverkehr, die er in drei Ab¬ 
schnitten behandelte: vor der Reise, an Bord und im Verkehr mit dem 
Lande. Bemerkenswert war die Angabe N.s, dass unter Seeleuten die 
Tuberkulose viel häufiger aufrete, als allgemein angenommen werde. 
Von schwimmenden Sanatorien hält -N. nicht viel. Hinsichtlich der 
Aufgaben des Schiffsarztes vertritt N. den Standpunkt, dass ersterer 
allein zu bestimmen haben solle, ob ein Schiff als seucheverdächtig 
anzusehen und zu behandeln sei, nicht der beamtete Arzt, der im 
Hafen erst an Bord kommt. Eventuell könne man die Schiffsärzte 
auf ihre Angaben hin vereidigen. Bis jetzt sei er allerdings mit 
seinem Vorschlag bei den massgebenden Stellen noch auf hart¬ 
näckigen Widerstand gestossen. Prof. Lenhartz sprach über 
die K a r e 11 k u r bei Kreislaufstörungen und Fettsucht mit Vor¬ 
führung einer grossen Anzahl graphischer Tabellen und Abbildungen. 
Den Lesern dieser Zeitschrift sind L.s Erfahrungen aus der Arbeit 
seines Assistenten Dr. Jacob (No. 16 und 17 dieser Wochenschrift 
If. Js.) bekannt. Nach den Vorträgen folgten Besichtigungen des 
Eppendorfer und St. Georger Krankenhauses sowie des Instituts für 
Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

— Für den InternationalenTuberkulosekongress 
in Washington ist soeben das Programm eingetroffen. Es sind 

2 Plenarsitzungen vorgesehen: Montag, den 28. September und Sonn¬ 
abend, den 3. Oktober. Präsident Roosevelt beabsichtigt den 
Kongress zu eröffnen und den Vorsitz in der ersten Plenarsitzung 
zu führen. Jede der sieben Sektionen hält täglich, mit Ausnahme 
der Plenarsitzungstage, 2 Sitzungen ab. In Verbindung mit dem 
Kongress werden in Washington und anderen Städten von namhaften 
Persönlichkeiten eine Reihe von Vorträgen gehalten werden. 

— Das Zentralkomitee für das Aerztliche Fort¬ 
bildungswesen in Preussen veranstaltet im Winter 1908^ 
für die Aerzte in Berlin und Provinz Brandenburg eine Vortragsreihe 
aus dem Gebiet der Ernährungsbehandlung. Vorträge werden halten: 
v. Leyden, Abderhalden, Rubner, v. Krehl, v. Ren- 
vers, Minkowski, Naunyn, His, Kraus, Ewald, Boas, 
Heubner und H. Strauss. Ausserdem finden Fortbildungskurse 
aus allen Gebieten der Medizin statt Kurse und Vorträge sind un¬ 


entgeltlich. Beginn der Meldungen 5. Oktober. Auskünfte erteilt 
das Bureau des Zentralkomitees, Berlin NW 6, Luisenplatz 2—4. 

— Der Verlag vonDr. HirschfeldsAerztlicherBuch- 
f ü h r u n g ist von Hugo Spanier in Berlin an Kurt Kabitzsch (A. Stü¬ 
bers Verlag) in Würzburg übergegangen. Die H i r s c h f e 1 d sehen 
Monatshefte stellen einen bequemen und übersichtlichen, für 1—2 Mo¬ 
nate ausreichenden Laufzettel dar. 

— Abels bakteriologisches Taschenbuch (ent¬ 
haltend die wichtigsten technischen Vorschriften zur bakteriologischen 
Laboratoriumarbeit) ist jetzt in 12. Auflage erschienen (Verlag von 
Kurt Kabitzsch [A. S t u b e r s Verlag] in Würzburg; Preis 2 M.). Die 
1. Auflage des Büchleins erschien 1889; die 7. 1903. Von da ab ist 
jedes Jahr eine neue Auflage erschienen. 

— C h o 1 e, r a. Russland. Vom 8. bis 14. August sind nach 
amtlicher Bekanntmachung an der Cholera 538 Personen erkrankt 
und 270 gestorben. Vom 15. bis 21. August sind nach einer weiteren 
amtlichen Bekanntmachung an der Cholera 1145 Personen erkrankt 
und 517 gestorben. 

— Pest. Türkei. In Bagdad sind vom 9. bis 20. August 3 Per¬ 
sonen an der Pest gestorben und 3 neu erkrankt. — Aegypten. Vom 
15. bis 21. August sind an der Pest 13 Personen erkrankt und 6 
gestorben. — Britisch-Ostindien. Während der am 25. Juli abge¬ 
laufenen Wochen sind in ganz Indien 621 Erkrankungen und 461 Todes¬ 
fälle an der Pest zur Anzeige gelangt. In Moulmein starben vom 
28. Juni bis 25. Juli 134 Personen an der Pest. — Vereinigte Staaten 
von Amerika. In der Zeit vom 15. bis 24. Juli sind aus 3 Ortschaften 
Kaliforniens 3 vereinzelte Pestfälle mit tödlichem Ausgang gemeldet 
worden. 

— In der 34. Jahreswoche, vom 16.—22. August 1908, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Buer mit 40,6, die geringste Bielefeld mit 6,1 Todesfällen pro 
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Scharlach in Zabrze, an Masern und Röteln in Beuthen. 

V. d. K. G.-A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Köln. Der zum Direktor des pathologischen Institutes am 
Dr. Senckenbergischen Institut in Frankfurt a. M. ernannte 
Privatdozent Dr. Bernhard Fischer wurde zum Professor ernannt. 

München. Geh.-Rat v. W i n c k e 1 feiert in diesen Tagen das 
25 jährige Jubiläum seiner Ernennung zum Professor der Geburtshilfe 
und Gynäkologie an der hiesigen Universität. 

Baltimore. Dr. Spratling wurde zum Professor der 
Physiologie ernannt. 

Catania. Habilitiert: Dr. Santi R i n d o n e für Chirurgie. 

Florenz. Habilitiert: Dr. de Marchis für innere Medizin; 
Dr. Catola für Neurologie; Dr. Casali für Ophthalmologie. 

Neapel. Habilitiert: Dr. C a p o s s o und Dr. F a 1 c o n e für 
Chirurgie, Dr. Del Monte für Ophthalmologie. 

Pavia. Habilitiert: Dr. Boveri für innere Medizin. 

Rom. Habilitiert: Dr. Baglion i für Physiologie. 

N e w Y o r k. Dr. S. A. Knopf wurde zum Professor der 
Phthisiotherapie am Post Graduate Medical School ernannt. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Verzogen. Dr. Hahn von Herxheim nach Dahn. 
Gestorben. Dr. Renner in Herschweiler. 


Korrespondenz. 

Die Technik der Gehgipsverbände. 

Randbemerkungen zu dem Artikel von Dr. James Fränkel 
in der Münch, med. Wochenschr. 1908, No. 33, pag. 1741. 

Von Dr. S. Kofmann in Odessa. 

Wenn ich mich auch im grossen und ganzen den sehr inter¬ 
essanten und praktisch wichtigen Ausführungen von Dr. J. Fränkel 
anschliesse, so kann ich doch nicht umhin, einige Bemerkungen be¬ 
treffs Einzelheiten hier zu machen. Zunächst ist der Vorwurf des 
Kollegen Fränkel, den er der ganzen Aerztewelt macht, völlig 
unverdient. Es heisst bei ihm: „sonderbarerweise hat man die letzte 
(Tretbügel von Lorenz) einwandsfreie Entlastungsvorrichtung nur 
für die Gehverbände bei der Gelenktuberkulose benutzt, nicht aber 
ebenfalls zur ambulanten Frakturenbehandlung herangezogen“. Dieser 
Satz ist nicht stichhaltig. Im Jahre 1904 habe ich in dem Zentralbl. 
f. Chir. No. 49 eine Mitteilung: „Die ambulante Behandlung der Ober¬ 
schenkelfrakturen“ veröffentlicht. In dieser berichte ich, dass ich 
seit 2 Jahren, i. e. seit 1902, den Lorenz sehen Gehbügel behufs 
Anlegung des Gehverbandes bei Oberschenkelfrakturen anwende. 

Betreffs der vom Kollegen Fränkel angeführten Sandalen ist 
zu bemerken, dass in der von mir zitierten Arbeit es weiter unten 
heisst: „um die hohe Sohle auf dem gesundseitlichen Stiefel zu er¬ 
sparen, halte ich eine Anzahl von Holzsandalen (s. Fig.) mit hohen 
Sohlen und Absätzen, die sich leicht auf die gewöhnlichen Schuhe 
anbinden lassen, vorrätig.“ 


Difitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



19! 2 


MU EN CHEN ER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 


Auch in der Art der Entlastung des Ettssigclcnkcs stimmt mein 
Verfahren mit dem von Kollegen Eränkel geschildeiten voll¬ 
kommen überein; nur baue ich viel aut die Immobilisation des 
Gelenkes, ja viel mehr auf diese, als auf die Entlastung, was 
übrigens zusammenfüllt mit den in der letzten Zeit von Lorenz 
gepflegten Ansichten. Wir wollen ja eine Heilung des (ielenkes mit 
Konsolidation desselben erstreben, wir wollen doch demselben 
während der Krankheit Ruhe verschaffen. Ich lasse den Fass nicht 
frei pendeln, sondern nehme ihn in den Verband herein und bei der 
Apparatverfertigung wird derselbe in die für ihn und den Unter¬ 
schenkel gemeinsame Lederhülse eingeschlossen, die Seitenschienen 
aber ziehen nach unten, wie es die Eig. 1 bei E r ä n k e I zeigt. 

Odessa, 29. August 1908. 


Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen. 

Die Bemerkung des Herrn Dozenten Dr. O. H o I z k n c c li t in 
Wien in No. 29 dieser Wochenschrift gibt mir Veranlassung darauf 
hinzuweisen, dass ich bereits aut dem ersten Röntgenkongress im 
Jahre 1905 darauf aufmerksam gemacht habe, dass sich der Grisso- 
nator für den Dauerbetrieb von Röntgenröhren eigne. Das von 
Herrn Dozenten Dr. H o I z k n e c h t verwendete Hoclifrequcnz- 
instrumentarium zur Dauerbestrahlung erfordert in allen Orten mit 
Gleichstromzentralen die Aufstellung einer grossen Glcichstrom- 
Wechselstrom-Umformermaschine. da Stromunterbrecher iiit den 
Dauerbetrieb bekanntlich unverwendbar sind. Auch die Hochtre- 
quenzapparate selbst, welche auf dem letzten Röntgeukongress vor- 
geflihrt wurden, besitzen ungeheure Dimensionen. Kurz nach Schluss 
des letzten Röntgenkongresses wurde auf Wunsch des Herrn Do¬ 
zenten Dr. Holz kriecht und anderer Herren der gleichzeitige Be¬ 
trieb zahlreicher Röntgenröhren mit (irissonator vorgeführt. Der 
Grissonator hat sich in industriellen Betrieben, im Dauerbetrieb be¬ 
währt und liefert ein Röntgenlicht, welches an Homogenität dem 
Betrieb mit Influenzmaschinen fast gleiclikommt. Da beim Betriebe 
mit Grissonator der Härtegrad des Röntgenlichtes lediglich bedingt ist 
durch den Gasgehalt der Röhre und die Stromstärke jedes einzelnen 
Induktionsschlages, und die Dualität und Quantität des Lichtes durch 
2 getrennte Schalter unabhängig von einander ganz nach Belieben 
eingestellt werden kann, so empfehle ich diese Zeilen denjenigen 
Herren zur Beachtung, welche sich für Homogenbestrahlung interes¬ 
sieren. Grisson, Berlin, Friedrichstrasse Ul D. 

Herr Dr. Holzknecht fügt dem hinzu, er habe sich bei der 
von Herrn Grisson oben bezeichneten Gelegenheit von der Tat¬ 
sache überzeugt, dass sein eigenartiges Instrumentarium ohne wei¬ 
teres im Stande war, eine Batterie von 8 Doppelröntgenröhren gleich¬ 
zeitig und gleichnüissig zu betreiben. Wenn er auch bei dieser 
kurzen Demonstration nicht habe ermitteln können, wie sich dieser 
Weg zum Mehrfachbetrieb von Röntgenröhren grosser Härte im Ge¬ 
brauche bewähren wird, so müsse er es doch als selbstverständlich 
bezeichnen, dass auch dieser Weg in Hinsicht auf den von uns allen 
angestrebten Zweck, die bekannte Oberflächenwirkung der Rontgen- 
strahlen in genügender Menge in die Tiefe zu tragen, auf das Wärmste 
zu begriissen sei. 


Amtliches. 

(Preussen.) 

Erlass vom I. August 1908, betreffend das Evans- und Rüssel- 
sche Desinfektionsverfahren. — M. 8176. 

Von zwei amerikanischen Forschern, Evans und Russell, 
ist ein Desinfektionsverfahren angegeben worden, bei welchem, wie 
bei dem Autandesinfektionsverfahren, Formaldehyddämpfe ohne be¬ 
sonderen Apparat und auf kaltem Wege entwickelt werden. Dieses, 
von den österreichischen Militärärzten I) o e r r und R a u b i t s c h e k 
in Wien weiter ausgebaute und von Stabsarzt Dr. Nieter und 
Dr. Blasius im hygienischen Universitätsinstitut in Halle nachge¬ 
prüfte Verfahren (s. Hygienische Rundschau 19bS, S. 7-45 ) beruht da¬ 
rauf, dass feingepulvertes Kaliumpermanganat in Berührung mit For¬ 
malin eine lebhafte Entwicklung von Formaldehyd und Wasserdampf 
einleitet Das Verfahren ist wirksam, dabei ebenso einfach und feuer¬ 
sicher, aber erheblich billiger als das Autanverfahren und kann die¬ 
selbe Verwendung finden w ie dieses. 

Zur Herstellung der Desinfektionsgemische werden hohe Holz¬ 
bottiche (sogen. Waschzuber) oder zylindrische Gelasse aus email¬ 
liertem Eisenblech von etwa ädern Hohe und 5<icm Durchmesser 
empfohlen, welch letztere, da sie sich während des-Verfahrens be¬ 
trächtlich erwärmen, zur Schonung des Fussbodens auf ein hölzernes 
Brett oder einige Holzstiicke gestellt werden. Fnr je K.Occm Luit¬ 
raum sind 2000 g übermangansaures Kali, 2 Liter Formalin und 2 Liter 
W'asser erforderlich. 

Räume, welche nach diesem Verfahren desinfiziert werden sollen, 
müssen durch Einlegen angefeuchteter Wattestreifen zwischen Fen¬ 
ster- und Türflügel und deren Rahmen und durch Verstopfen der 
Schlüssellöcher mit feuchter Watte gründlich abgedichtet und nach 
Entwicklung des Formaldehyds fünf Stunden lang geschlossen ge¬ 
halten werden. 


Vei viii | I- L v ii'Mi • ii « in Mniiuim. - uiuifc *"ii 


Zur Entfernung des überschüssigen t <u muldcliv ds nach Beendi¬ 
gung der Desinfektion ist die Entwicklung von Ammoniak Jumpten 
nicht erforderlich, es genügt vielmehr gründliches Lutten. 

Das Verfahren kann wie jede andere I ormaldchv ddesinfekti*>n 
in wirksamer Weise nur v<>n geschulten Desinfektoren au'-geinhrt 
werden. Die Anwendung des Verfahrens zur Desmtektion ist n;idi 
dem Erlass vom (». Juni |oo7 \\. IJ'L’o Mm.-Bl. f. Med. usw. 
Aug. S. 22 s — zulässig. 

Ew. Ilochw ohlgeboreii ersuJie ich ergebenst, hiernach die 
Kreisärzte, die Vorsteher der Desinfektionsanstalten und die Des¬ 
infektoren Ihres Bezirkes gefälligst mit Weisung versehen zu lassen. 
Berlin, den 1. August F* s. 

Der Minister der geistlichen. Unterrichts- und Medizinal-An gelt* gen- 
heilen. 

Im Aufträge. 

Förster. 


Generalkrankenrapport über die K. Bayer. Armee 

für den Monat Juli l9us. 


Iststärke des Heeres: 

67-421 Mann, 73 Kadetten, MH Unteroffiziersvorschüler. 




Mann 

Kadetten 

Unteroffii.* 

vorscküer 

1. Bestand waren 



r 

am 30. Juni 1908: 

1038 

— 

1 


im Lazarett: 

879 

— 

3 

2. Zugang: 

im Revier: 

1152 

1 

— 

in Summa: 

2031 

1 

3 

Im ganzen sind behandelt: ] 

.4069 

1 

4 

°/-o 

der Iststärke- 

-45,5 

13.7 

27,0 


dienstfähig: 

u /oo der ErRrankten: 

2101 

6Mb 

1 

1000.0 

500.0 


gestorben: 

4 

— 

— 


*/•■ der Erkrankten: 
dienstunbrauchbar: 

1.3 

— 

— 


mit Versorgung: 

43 

— 

— 

3. Abgang: 

ohne „ 

Auf Orund vor der 

4 

— 

— 


Einstellung in den Militir- 
dienst vorhanden gewese¬ 
ner Leiden als dienstun- 
brmuchbsr t rkannt und 
entlassen: 

IS 




anderweitig: 

86 

— 

1 


in Summa: 

2256 

1 

3 

4. Bestand 
bleiben 

31. Juli 1908: 

in Summa: 

*/oo der Iststärke: 

813 

12,1 

— 

1 

6,8 

davon im Lazarett: 
davon im Revier: 

635 

PS 

— 

1 


Von den m Ziffer 3 aufgefuhrten Gestorbenen haben gelitten an: 
Unterleibstyphus I, Lungenentzündung 1, Leukämie 1 und 
Blinddarmentzündung 1. 

Ausserhalb der rmhtür är ztli Jien Be handlung starb 1 Mann an 
Lungenentzündung. 1 endete duidi Selbstmord tl ebertahren lassen). 

Der Gesamtv erliist der Armee durch D-d betrug demnach mi 
Monat Juli 6 Manu. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 34. Jahreswoche vom lö. bis 22. Aug J9 hS. 

Be Volke rungszahl 55ö ooo. 

Todesursachen: Angeborene I.ebensschw. (1. Leb.-M l 1h (I5 # ) 
Altersschvv. (uh. ho . 1 .) h (5>. KmJbettticher - r2i, and. Folgen der 
Geburt — (I). Scharlach 2 (11. Masern u. Röteln — ili, Diphth. u. 
Krupp — <— I. Keuchhusten -4 (2). 'I \ ph:is — <- i. ubertragh. Tierkrankh 
-- ( ). Rose (Frv sipel) ( and. W undmiektiouskr. lemschl. Biiit- 

ti. Eitervergift ) 3 <3i, Tii.be rkul. d. Lungen tl'o. Juherkul. and. 
Org. 1 (7), Miliartubcrknl. 1 ( - ). Lun ge nent/uud. tl’neumon.» 9 (s>, 
Influenza - ( ■ ), and. ubertragb. Krankh. 3 iJi. Lntzund. d. Atmungs- 
organe — (1). sonst. Krankh. derselb. 5 i h. organ. Herzleiden |9 
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg temschl. Herzschlag) 5 i4i. (iehirnschiag 
I" (7). Geisteski ankh. - (2), Eraisen. I.klump*. d. Kinder ö i2i, and. 

Krankh. d. Nervensystems 4 |(,i. Magen- u. Darm,-Kat. Brechdurchfall 
(emschl. Abzehrung) 34 (32l. Krankh. d. Leber 3 du. Krankh. des 
Bauchfells 2 ( - ). and. Krankh. d. Verdammgsorg. 4 tjg Krankh. d. 
Harn- u. Geschlechtsorg, s du. Krebs (Karzuiom. Kaukroi.ii 15 U2l. 
and. Neubildg. (emschl. Sarkom) I (6, >i mstnmrd 2 i2). Jod durch 
fremde Hand — (I), l ngiiicksf.dk- h öi. ade übrig. Krankh. -4(1-. 

Die Gesamtzahl der Sterbefalle 2i»2 < 175i. V erhaltniszahl auf das 
Jahr und lii"ö Einwohner im allgemeinem PÖ <U\4.. für du* über 
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12.4 < 11.5). 


*J Die cingeklamrnertcu Zäh en bedeuten d e Fa e der Vorwoche. 



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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Münchener Medizinische Wochenschrift erscheint wöchentlich 
nn Umfang von durchschnittHch 6—7 Bogen. • Preis der einzelnen 
Nummer 80 *f. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich 
6.—. * Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind zu adressieren: für die Redaktion Arnulf« 
Strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 8 1 /,—1 Uhr. • RBr 
Abonnement an J. F. Lehmann. Paal Heydtstrasse 15a. • Für 
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Medizinische Wochenschrift. 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

I.r.Angerer, CUhiltr, 0.r. BolliDger, UomMsaii, 8.BeHerieb, I.i.Leabe,E.r.Merkel,J. t. lichel, F.fnziMt, H.v.Baske, B.Spats, F.t.Vtyckel, 

München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Eisenach. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München. 

No. 37. 15. September 1908. Ve ?“ 55. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der Universitäts-Frauenklinik in Würzburg. 

Zur Verhütung des Kindbettfiebers.*) 

Von M. Hofmeier. 

Schon früher habe ich wiederholt (zuletzt im Jahre 1902 
in dieser Wochenschrift) unter dem obigen Titel unter Zu¬ 
sammenfassung von ie 1000 Geburten und Wochenbetten über 
die diesbezüglichen Resultate unserer Klinik berichtet. In¬ 
zwischen sind über die Resultate der weiteren Tausende 
einige Dissertationen erschienen (Ossenkop 1905, S p i e s 
1907, Hofmann 1908), in denen das Material in gleicher 
Weise weiter bearbeitet ist. Nachdem jetzt die Zahl von 
10 000 erreicht ist, möchte ich die Gelegenheit von Neuem be¬ 
nützen, an der Hand unserer Erfahrungen zu einigen der neuer¬ 
dings mehrfach in der Literatur erörterten Fragen der Ge- 
burts- und Wochenbettshygiene Stellung zu nehmen. Ich 
glaube, dass unsere Resultate doch um so mehr Anspruch auf 
Beachtung verdienen, als durchweg in dem ganzen in Betracht 
kommenden Zeitraum von 19 Jahren die Behandlung der 
Gebärenden und Wöchnerinnen wie überhaupt die prophy¬ 
laktischen Massregeln bei der Leitung der Geburten mit 
wenigen, noch zu erwähnenden Ausnahmen vollkommen gleich- 
mässige gewesen sind. Vorausschicken möchte ich, dass die 
Zahl der Entbindungen in dieser Zeit von 360 im Jahre 1889 auf 
763 im Jahre 1907 gestiegen ist und dass im allgemeinen, was 
die äusseren Verhältnisse und die Räumlichkeiten der Klinik 
anbetrifft, die hiesige Klinik wohl mit zu den „unmodernsten“ 
und räumlich beschränktesten geburtshilflichen deutschen Kli¬ 
niken gehören dürfte. Weiter sei erwähnt, als für die Frage 
der puerperalen Erkrankungen nicht unwichtig, dass die Zahl 
der Erstgebärenden 4556, die der Mehrgebärenden 5444 betrug, 
d. h. dass das Verhältnis zwischen beiden sich allmählich ver¬ 
schoben hat, jedenfalls infolge der immer häufigeren Benützung 
der Klinik durch verheiratete Frauen. 

Die folgende Tabelle mag zunächst einen Ueberblick über 
die Zahl der während dieses Zeitraums vorgekommenen ope¬ 
rativen Eingriffe und schwereren geburtshiflichen Kompli¬ 
kationen geben (mit Ausnahme der Dammverletzungen), wobei 
noch bemerkt sein mag, dass die irn Vergleich mit anderen 
statistischen Angaben relativ niedrige Zahl der engen Becken 
sich daraus erklärt, dass nur die höheren Grade der Ver¬ 
engungen notiert sind. 

Wenn auch gewiss in den grossen Städten durch die Kon¬ 
zentration des Materials ein grösserer Reichtum an patho¬ 
logischen Geburten in den betreffenden Kliniken zu verzeichnen 
sein wird, so ist doch auch bei uns die Zahl der geburtshilf¬ 
lichen Komplikationen (15,36 Proz.) nicht ganz gering, wie die 
Zahlen der Tabelle zeigen. 

Den Massstab für die Beurteilung der Wochenbetten hat 
durchweg die Temperaturmessung in der Achselhöhle abge¬ 
geben, die mit Maximalthermometer ausgeführt und deren 
Resultat von dem vierten Tausend an durchweg von den Assi¬ 
stenten selbst festgestellt wurde. Eine Ausnahme hiervon wurde 
nur bei einer Serie von 548 Wöchnerinnen im sechsten Tausend 


*) Nach einem in der Fränkischen Gesellschaft für Geburtshilfe 
und Gynäkologie am 30. Mai 1908 gehaltenen Vortrag. 

(io, 37 


(Nichdruck der OriginaUrtikel ist nicht gestattet.) 

Tabelle I. 


Je 1000 Geburten 

1- 

H 

- i 

>| 

> 

i 

> 

i 

> 

s | 

>\ 

X 

X 

Summe 

1 

Zangen . 

19 

27 18 

19 

25 

28 

29 34 

32 

38 

269 

2,69 

Wendungen. 

22 

3415 

26 

32 

31 

32 42 

37 

34 

305 

3,05 

Extraktionen. 

22 62 36 

51 

39 

24'53 

42 

58 48 

435 

4,35 

Perforationen. 

4; 

5 

3 

4 

7 

6 

5 

9 

8i 

3 

54 

0,54 

Sectio Caesarea. 

1 

2 

1 

6 

2 

6 

6 

5 

6 

5 

40 

0,40 

Embryotomie. 


1 

— 

— 

1 

2 

— 

— 

1 

— 

5 


Svmphysiotomie. 

— 

— ; 

2 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

3 


Pubiotomie. 

_1 

—: 


— 

— 

— 

— 

2 

1 

5 

8 


Koeliotomie bei Uterusruptur . 
Vagin. Totalexstirpation bei 

— 

1 

1 

; 

— 

— 

— 


1 

- 

3 


Uterusruptur . 

— 

— 

— 

j 1 

— 

— 

— 

— 

- 

— 

1 


Künstliche Frühgeburt .... 

8 

5 

6 

! 5 

10 

9 

6 

12 

10 

6 

77 

7,7 

Nabelschnurvorfall. 

7 

8 

14 16 

20 

4 

6 

9 

8 

13 

105 

1,05 

Tympania uteri . 

Eklampsie . .. 

2 

2 

3 

7 

1 

1 

3 

2 

3 

3 

27 

0,27 

1 

3 

! 2 

6 

7 

3 

8 

4 

6 

5 

45 

0,45 

Plac. praevia . 

4 

5 

7 

7 

10 

5 

11 

4 

14 

3 

70 

0,7 

Man. Plazentarlösung .... 

9 

6 

! 6 

11 

7 

9 

7 

4 

8 

9 

76 

0,76 

Uterustamponade. 

5 

1_ 

— 

1 

3 

1 

- 

3 

— 

— 

13 


Enges Becken . 

— 

|47 

32 

33 

100 

56 

49 

77 

47 

66 

567 

6,3 


gemacht, bei denen zur Ermöglichung eines Vergleiches aus¬ 
schliesslich per rectum gemessen wurde. Der Unterschied in 
den Resultaten der Messungen (nach Abzug der bekannten 
Differenz von 0,5°) war aber so gering (16,6 Proz. Morbidität 
für die rektal Gemessenen, 16,1 Proz. für die axillar Gemes¬ 
senen), dass wir mit Rücksicht auf die so viel grössere Unbe¬ 
quemlichkeit diese Art der Messung wieder aufgegeben haben. 
Als „gestört“ wrnrde jedes Wochenbett angesehen, bei dem 
auch nur einmal die Achselhöhlentemperatur von 38 erreicht 
eder überschritten wurde. Die Tabelle II gibt einen 
Ueberblick über die an diesem Massstab gemessene Mor¬ 
bidität der Wochenbetten. 


Tabelle II. 


Je 1000 Geburten 

- 

= 

S 

> 

> 

> 

> 

V U. 

[X 

X 

Summe 1 

Proz. j 

Gesamtmorbidität . . . 

85 

102 

83 

106 

99 

1 

164 131 

133 

131 

10* 

1148 

11,48 

Puerperale Morbidität . 

67 

64 

48 

56 

73 

1371 97 

64 

64 

35 

695 

6,35 

Darunter leichte Störung. 
Schwerere Störungen in- 

46 

38 

28 

26 

60 

99 

75 

36 

40 

29 

477 

4,77 

klus. der Todesfälle . 

21 

26 

20 

30 

13 

38 

22 

28 

14 

6 

218 

2,18 


Erläuternd mag zu dieser Tabelle bemerkt sein, dass wir 
alle diejenigen Wochenbettstörungen, für welche nicht eine 
bestimmte andere Ursache des Fiebers nachweisbar war, 
als mit den puerperalen' Prozessen in Zusammenhang stehende 
Störungen aufgefasst und angeführt haben, auch wenn von 
Seiten der Genitalien nicht das Geringste in dieser Beziehung 
nachzuwdsen war. Systematische, bakterioskopische und bak¬ 
teriologische Lochialuntersuchungen sind in diesen Fällen 
von meist leichten Eintagsfiebern freilich nicht immer ge¬ 
macht worden. Sie sind doch bei beschränktem Raum recht 
umständlich, für die Wöchnerinnen nicht ganz gleichgültig und 
für die Diagnose doch kaum mehr verwertbar, seitdem wdr aus 
so zahlreichen Untersuchungen wissen, dass auch bei den nor¬ 
malsten Wöchnerinnen sich in einer erheblichen Prozentzahl 


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Original fro-m 

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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


1014 


(nach Hurkhardt 1 ) in 84 Proz., nach Schaue n s t e i n *) 
in 64 Proz. bei Wöchnerinnen, deren Rektaltemperatur 3.s " 
nicht überschritt, nach B u in in ‘) in 75 Proz.) Streptokokken 
in den Utcruslochien finden, während andererseits bei fiebern¬ 
den, aber sonst nicht nachweislich kranken Wöchnerinnen die 
l'teruslochien steril gefunden wurden '). 

Zu dein Begriff der „schwereren" puerperalen Störungen 
haben w ir alle diejenigen gerechnet, bei denen die Temperatur 
von 39" mehrmals erreicht oder überstiegen wurde. Fs han¬ 
delte sich aber hierbei nicht im Entferntesten ausschliesslich 
um das, was wir im gewöhnlichen Sprachgebrauch als schwere 
Puerperalfieber bezeichnen. Pie Zahl dieser letzteren abzu¬ 
grenzen ist natürlich schwierig, da der Begriff zu labil ist, 
und da ich nicht die sämtlichen (iehurtsiournale wieder durch¬ 
sehen konnte. Ich habe die Zahl aus den oben genannten Be¬ 
richten herausgesucht und finde im (ianzen auf sntiil (jeburten 
(im ersten und achten Tausend sind die Fälle nicht ausgeschie¬ 
den) 15 = 0,2 Proz. verzeichnet. Darunter sind 4 von den 
an der Infektion Verstorbenen und ein Erkrankungsfall nach 
Pubiotomie mit Verletzung der Blase. In den letzten Hin») 
Wochenbetten war eigentlich nur dieser letztere Fall von 
ernster Erkrankung zu verzeichnen, in welchem mit der 
B u rn m sehen Nadel operiert und eine Blasenverletzung zu¬ 
stande gekommen war. Es schloss sich eine weitergehei.de 
ITininfiitration des prävesikalen Bindegew ebes au, die schliess¬ 
lich in Heilung ausging ’). 

Bevor ich auf eine Würdigung der oben gegebenen Zahlen 
eingehe, möchte ich zunächst einen IJeberblick über die M or- 
talität bei diesen 10000 (jeburten geben. 


Tabelle III. 


Je 1000 Oeburten 

| F|— K j > > > — x ! = i t 

1 1 1 1 1 . CA 1 

Oestorhen im Ganzen .... 
Gestorben an puerperaler In¬ 
fektion . 

Darunter Infektion möglicher¬ 
weise in der Klinik. 

1 1 

57,9757 

i, 3 :2 — i 

1 1 1 2 J- 

A 4 5 4 5(> n,5(> 

1 — 1—1 9 M.iio 

! 

i -—j 4 11,04 


Dazu sei bemerkt, dass von der ganzen Zahl der Wöch¬ 
nerinnen vielleicht 4 oder 5 im Laute des Wochenbettes auf 
andere Stationen verlegt worden sind und dort an inneren 
Krankheiten (2 mal Myelitis, 1 mal Miliartuberkulose) z. T. ver¬ 
storben sind. 

Zunächst geht aus diesen Ziffern hervor, dass ziemlich 
übereinstimmend mit den Ziffern aus anderen geburtshilflichen 
Kliniken und aus ganzen Ländern") etwa 0,5 Proz. der 
Frauen im Anschluss an die Entbindung zu gründe geht'). 


*) Hegars Beitr., Bd. V. 

D Ebenda, Bd. V. 

'*) Vcrhandl. d. I). (iesellseh. f. GynäJöd., Bd. X. 

0 Es ist mir fast unverständlich, wie angesichts dieser doch 
unbestreitbaren Tatsachen von manchen Seiten, wie z. B. kürzlich 
noch von Baiseh (Med. Klinik I9i»7, H. M) immer noch an der dia¬ 
gnostischen Verwertbarkeit des Streptokokkenbcimiues in den l terus- 
lociiien festgehalten w ird W enn in nii - 7U Broz. bei normalen 
Wöchnerinnen (also nicht ,in einzelnen wenigen“ lallen, wie 
Bai sch schreibt) Streptokokken gefunden werden: wodurch beweist 
dann der Nachweis bei fiebernden Wöchnerinnen, dass das l ieber 
in diesen Füllen von ihnen ausgeht? Doch nicht dadurch, 
dass man hier von einer Endometritis sireptococvica spricht und in 
dem anderen Fall von einem gleichgültigen und indifferenten Befund 
„nicht virulenter“ Streptokokken in den Uenistoehien? Der „Glaube“ 
allein, dass bei gleichzeitiger Mastitis und dem Nachweis von Strepto¬ 
kokken im Ilerus die letzteren die Schuld an dem l ieber tragen 
und nicht die erste re Erkrankung, gibt doch noch keine Sichen heit. 
So lange es nicht gelungen ist. bestimmte morphologische oder luo- 
! egi sc Im (hämolytische?) 1 igentumüchkeiteu für die infektiösen und 
nicht infektiösen Streptokokken iiach/u w eisen, was trot/ der ausser- 
oi deutlichen, bereits darauf verw endeten Muhe bisher nicht emwuml- 
lhei g(.schellen ist. muss der Nachweis derselben au sich im I tcius- 
h ■(. hin .sek i et als für die Diagnose t echt unsicher oder bedeiitungs’os 
bezeichnet worden. 

) Diese l’at.uitm ist kürzlich in der Klinik ganz spontan mit 
einem um -tno ^ leichteren Kind me.Icrgehouinieii, 

") Nach v. Berit (..Das Kindbettfieber“ in dem Handbuch der 
üebttrtshdie von J. \' e i t) betrug die Mortalität „im Kindbett“ m 


Unsere Mortalität an K indbettfieber beträgt als»* 
trotz der Anhäufung der pathologischen Falle n.iw Proz., wan- 
rend die cuispreciiendeii Zainen für Sachsen Pro/., für 
Hessen 0,14 Proz., mr Ba\ern <h!4 Pro/., betragen, wobei aber 
7>u bemerken ist, wie ich dies früher für Bayern sJioii nachge¬ 
wiesen habe') und wie dies auch v. Herff betont, dass 
diese Eandesziflern aus bekannten (irundeii viel zu niedrig sind. 

Unter den 9 an puerperaler Infektion Verstorbenen sind 
möglicherweise 4 auf Konto einer Aiist.iltsmtektmu zu setzen, 
d. h. die (iehurteti wurden im Wesentlichen in der Anstalt ge¬ 
leitet, und die Frauen kamen nicht bereits mit ausgesprochenen 
lnfektionsersehemungeii herein. I hielt ist aimh bei 2 unter 
diesen 4 Wöchnerinnen (aus dem dritten Tausend) höchst wahr¬ 
scheinlich, dass sie nicht m der Anstalt infiziert wurden, son¬ 
dern ihre Injektion bereits in sich trugen, wenn auJi zunächst 
ohne Erscheinungen. Immerhin habe ich sie als Anstaits.iiiek- 
tion angesehen. 

Diese 4, mögliche! w c;sc m der Anstalt irmz.erten Falle, lasse 
ich hier kurz felgen: 

1. Mausscliw angere; m dem gcburtsh.T.Jic*! Pute rMmh arg 'Kurs 
längere /.eit vor der Entbindung untersucht; kmunt erst im letzten 
Stadium der (iebuit auts Kreissbett, so dass e.ue innere l nte: suciuurg, 
aber auch eine gnind.iche Reinigung nicht rmar stattimdcii Kami. 
Zwei Stunden nach der Entimidung at<-r..sdie Nadd • iitung, w egen 
deren voll dem Assistenten eine I.ach trag Ire he lamp-made Jes Items 
vor genommen wird, ’l > p;sche puerpera.e 1 'er .1« m:l:s. 

2. IN. Para; Blase here-ts 5 läge \ • »i der Annahme gesprungen; 
will vorher nicht untersucht sein; spontane t ieburt c.nes t.et .«sptrv k- 
tischeri, nicht wieder be.ebten kmdes 24 Munden uadi der Aun.aame; 
dabei Entleerung voll schmierigem. stmkCfu'fem. mit GasK.isen unter¬ 
mischtem Wasser aus dem l terus; deswegen erst nach * Munden 
manuelle Plazentarlosmig. Vorn A. lag an pnerperae Frühmietrit.s. 
P\ aiiiie; Tod m der 5. Woche an mctastaJ.sc.hen Prozessen. 

A. A2 jährige 1. Para; der ganze Körper m.t Mbmutz bedeckt. 
Pat. höchst ungeberdig und unrunig, besmr.Mt gt sdi mit ihren 
schmutzigen Banden mimenort au den < ie^cIdeeiilste ..en ; 24 Stunden 
nach dem Blasensprung Schutteltrost. 1 emp. N9. 1 >«r/eps. K.nd tief 
asph\ktisch; Mutter geht 4o Munden riadi der (ieburt an akutester 
Sepsis zugrunde. Pat. \ mi Mud’erendcn oder E\.::n.::anden nicht 
untersucht. 

4. 19 jährige I. Para: seit ln Wi.dicn mi Juliusspital au Zer\i\- 
gonorrhoe behandelt und auch am Begum der »ieburt untersucht; 
kommt mi letzten Stadium der Austre.bimgspi.: -Je auts kieiss- 
zmimer; am 2. Tage des Wochenbettes Frost. Ump. M,2: Endo¬ 
metritis goiiorrllpfca. dann Penfmutis; nach 7 W.«eilen 1 od an aä- 
gemem metastatisdien Prozessen. 

Ans dieser kurzen Darstellung mag sfeh ein Jeder ent¬ 
nehmen, wieviel Wahrscheinlichkeit für eine Ansgiltsmiektinn 
spricht. Sie ist um so geringer, da kein m a I zu gleicher Zeit 
dann anderweitige Erkrankmigsf.iüe beobachtet wurden. Je¬ 
denfalls ist unter den gesinnten Ummi W OcI menimeti nur eine 
einzige (die letzte eben angeführte), welche nach einer ganz 
spontanen (ieburt infektiös gestorben wate. Und diese eine 
war gonorrhoisch infiziert und ausserhalb untersucht! Unter 
den letzten 7<hmi Wochenbetten haben wir. trotz der zahlreichen 
pathologischen (ieluirteii, keinen einzigen Didesfall an Infektion 
mehr zu beklagen! Ich glaube, dass wir hiernach berechtigt 
sind ausziisprechen : dass wir das 110 J 1 \mi D< h rn seinerzeit 
als unerfüllbar hezeidinete Ideal hiermit erreicht haben: in 
einer intensiv zur g e b u r t s li i 1 f I i c h e n A u s b i 1 - 
düng von A e r z t e u und He h a m m en di e n e n d e n 
Anstalt diesen Unterricht so gut wie ge f ahr- 
I o s z ii gestalt e n. Ich muJite dies ganz besonders bet»»neu 
gegenüber den früher vielfach hervorgeliobenen Bestrebungen, 
die innere \' a g i n a I e Unters u c h u ti g k rosender w egen 
der ihr anhaftenden (iefahren völlig ans/us^haben. Die Zahl 
der innerlich gar nicht unterm Urten k reisse::den ist auf die 
(iesamt/ahl hier so gering, dass sie gar nicht in Betracht kommt 
(sie betrug für die erstell 5ni hi < iebui teil ausser 47 Mn r/ge hurten 

Sucliscn n.s«; Pr../,, in Hessen n.ss Puij.. in Preiivseu 0,^*2 Pr<«'. 

Pim iiril i KN f. D. nicä. W "vlfvnciir. l'" s . N<«. 2 ‘*. p. I Jo.;i K r.chtvte 

tim v.st nbci ".fT 1 <«/. M« r tu'.t.it im: : <.i 77 »u'arMi. 

') Die ’I odesiir suclien imm n kurz ai.ei.vt sc u:: 1 •'.eupve 7. 
Perforatioiispe; itoi.u.s J. l’ieui.t.s 1. L.n. • • ".a niili.c.;., 1. P .k. 
p: aevia und \ erb.tmrng p. p.rt. 7. D.b'elcs 1. > vifew"c ■ !■ ere imd 
1 ‘ubiotomiv J. I teiusiuptm 7. >ect. accru \ \ ; ;rn c- r '. \ und 

duiiei kuiose 11. Euileu.; ««i.e (bei JA mpar: a nie » A. 2. 

puerperale Infektion 9. 

s ) Volkmanns Vortr., N. E., No. 177. 



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15. September 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1915 


nur 33). Wenn wir auch alle unnötigen inneren Untersuchungen 
grundsätzlich vermeiden, so müssen doch ebenso grundsätzlich 
alle Studierenden und Hebammenschülerinnen innerlich und 
zwar meist mehrmals untersuchen, so dass selbst in den Ferien 
jede Kreissende durchschnittlich von drei Personen, zur Zeit 
des Hebammenlehrkursus von etwa 9 Personen innerlich unter¬ 
sucht wird. 

Dass ich bei Erzielung derartiger Resultate kein Bedürfnis 
verspüre die bisher ausschliesslich geübte vaginale Unter¬ 
suchung durch die kürzlich von K r o e n i g 8 ) so lebhaft emp¬ 
fohlene rektale Untersuchung zu ersetzen, ist wohl selbstver¬ 
ständlich. Die Furcht vor den Mikroben, welche den nach 
allen Regeln der Kunst gewaschenen und desinfizierten Fingern 
noch anhaften, scheint mir im höchsten Masse übertrieben, 
wie überhaupt die bakteriologischen Forschungen neben dem 
grossen Nutzen, den sie gestiftet haben, in dieser Beziehung 
doch auch unverkennbar eine ganz unnötige und unberechtigte 
Beunruhigung und Unruhe hervorgerufen haben. Die Jagd 
nach dem letzten Bazillus und dem letzten Kokkus nimmt 
doch zuweilen in der Gynäkologie und Geburtshilfe geradezu 
sonderbare Formen an! Wenn man der gründlich desinfizierten 
Hand nicht einmal so viel traut, dass man mit ihr selbst oder 
unter Zuhilfenahme eines zwischengelegten, sublimatgetränkten 
Wattebausches den Dammschutz ohne Schaden ausüben kann, 
sondern hierzu eigene Metallschutzbügel nötig zu haben glaubt, 
so steht diese Bazillenfurcht in einem merkwürdigen Gegensatz 
zu der Sorglosigkeit, mit welcher der Schmutz an den äusseren 
Geschlechtsteilen und die reiche Bazillnflora in der Vagina der¬ 
selben Kreissenden behandelt wird. Dass der geübte Unter¬ 
sucher sich unter Verwendung eines Gummifingers vom Mast¬ 
darm aus über den Stand der Geburt orientieren kann, ist ge¬ 
wiss möglich; dass aber der Ungeübte bei dieser Abstumpfung 
des Gefühles durch den Gummiüberzug und die Scheidenmast¬ 
darmwand, besonders in den früheren Stadien der Geburt und 
bei hochstehendem Kindsteil, die geburtshilfliche Untersuchung 
niemals erlernen wird, scheint mir neben allen sonstigen Unzu¬ 
träglichkeiten derartiger Untersuchungen ebenso sicher. 

Ich hebe dann ausdrücklich hervor, dass wir (mit wenigen 
Ausnahmen) niemals für die geburtshilflichen Unter¬ 
suchungen von Gummihandschuhen Gebrauch gemacht haben. 
Aus didaktischen und pekuniären Gründen muss ich mich gegen 
die regelmässige Anwendung dieser Handschuhe erklären, ohne 
natürlich auch nur einen Augenblick ihren gelegentlichen aus¬ 
serordentlichen Nutzen zu verkennen. Ich weise ferner noch 
einmal darauf bin, dass wir diese erfreulichen Resultate er¬ 
reicht haben in einer Klinik, welche in ihren räumlichen Ver¬ 
hältnissen und vielen inneren (auch hygienischen) Einrich¬ 
tungen wohl mit zu den beschränktesten und unmodernsten 
deutschen geburtshilflichen Kliniken zählen dürfte. Bezüglich 
dier sonstigen Behandlung der Wöchnerinnen sei erwähnt, dass 
sie während der ersten 7—8 Tage das Bett zu hüten pflegen 
und am 9. oder 10. Tag in der Regel entlassen werden. Ich 
habe von dieser einwöchigen Bettruhe noch niemals einen 
Schaden gesehen und bin der Ansicht, dass für die Heilung 
der entstandenen Wunden und für die ungestörte Rückbildung 
der Genitalien einige Tage körperlicher Ruhe sehr wünschens¬ 
wert oder notwendig sind, wie auch diese Ruhe nach der 
schweren Zeit der Schwangerschaft und Geburt den Frauen im 
höchsten Masse zu gönnen ist. 

Ich verzichte auf einen Vergleich mit anderweitig ver¬ 
öffentlichten Resultaten, da bei der Verschiedenheit des zu 
gründe gelegten Massstabes Vergleiche zu schwer richtig 
durchzuführen sind, wie dies v. H e r f f in seiner vortrefflichen 
Monographie über das Kindbettfieber im V e i t sehen Handbuch 
ausführlich dargelegt hat. Die von vornherein verschiedene 
Definition des „gestörten“ Wochenbettes, die Ausschaltung ge¬ 
wisser operativer Fälle, die Ungleichheit der Gesamtzahlen 
machen richtige Vergleiche kaum möglich. Auch sind, da es 
sich ja auf tausende von Geburten nur um einzelne Todesfälle 
handelt, Zufälligkeiten doch nicht ausgeschlossen. Doch kann 
ich sicher so - vieil sagen, dass nach den von v. Herff zu- 
sammengestellten statistischen Ziffern sowohl für die Morbidität 


•) Hegars Beitr., Bd. XII, p. 492. 


wir die Mortalität unsere Resultate in jeder Beziehung mit zu 
den besten zählen. 

An der Hand unserer Ziffern mögen nur noch ein paar 
Gesichtspunkte hervorgehoben sein. Während die Behand¬ 
lung und Vorbereitung der Gebärenden während dieses ganzen 
Zeitraumes durchaus die gleiche geblieben ist, ist in der sub¬ 
jektiven Antisepsis der Untersucher im Laufe der Zeit insoferne 
eine Aenderung eingetreten, als vom Jahre 1901 an, d. h. für 
die letzten 4500 Geburten, in die bis dahin übliche Waschung 
der Hände mit Wasser, Seife und nachher Sublimat eine solche 
mit 70 proz. Alkohol eingeschaltet wurde. Wie ich schon da¬ 
mals beim Vergleich der ersten 500 mit den zweiten 500 Ge¬ 
burten des sechsten Tausend feststellen konnte, dass die Re¬ 
sultate für die Wochenbetten vollkommen die gleichen ge¬ 
blieben waren, so geht aus einem Vergleich der ersten 5000 
mit den letzten 4000 Wochenbetten jedenfalls kein erkennbarer 
Einfluss der schärferen Desinfektion der untersuchenden Hand 
hervor. Die Morbidität betrug für die erste Gruppe 9,6 Proz., 
für die zweite 12,5 Proz. Audi wäre zu bemerken, dass für 
die ersten hier in Betracht kommenden 10 Jahre durch die 
3—4 fach höhere Zahl der Praktikanten die Zahl und Mannig¬ 
faltigkeit der untersuchenden Hände eine ungleich grössere ge¬ 
wesen ist. 

Es ist also nicht nur keine Verbesserung der Wochen¬ 
bettsresultate aus dieser Einschaltung der Alkoholwaschung zu 
verzeichnen, sondern eher eine geringe Verschlechterung. 

Wollte man auf solche geringe prozentuarische Unterschiede 
besonderen Wert legen, so käme man zu dem widersinnigen 
Schluss, dass die grössere Zahl der Untersucher und die 
mangelhaftere Desinfektion der Hand für die Kreissenden nur 
vorteilhaft wäre. Ich möchte aber vielmehr, durchaus in 
Uebereinstimmung mit den sorgfältigen Untersuchungen von 
Sticker 10 ) meine Meinung dahin aussprechen, dass für den 
Verlauf des Wochenbettes die nach einer gründlichen mechani¬ 
schen Reinigung der Hand mit heissem Wasser und Seife und 
einer gründlichen Waschung mit 1 prom. Sublimat noch 
vorhandenen Keime für eine schonende geburtshilfliche Unter¬ 
suchung vollkommen gleichgültig sind, und (dass unter dieser 
Voraussetzung auch die Zahl der digitalen Untersuchungen 
ziemlich irrelevant ist: eine Ansicht, welche ja auch durch die 
systematischen Untersuchungen vieler Anderer durchaus be¬ 
stätigt ist und auch durch die gleichbleibenden Resultate wäh¬ 
rend unserer Hebammenkurse immer wieder Bestätigung fin¬ 
den. Vorbedingung hierbei ist allerdings, dass die unter¬ 
suchende Hand vorderBerührungmit infektiösem 
Material möglichst bewahrt bleibt und dass dafür 
gesorgt wird, dass die Kreissenden selbst 
bezüglich ihrer Geschlechtsteile möglichst 
„sauber“ sind oder sauber gemacht werden. 

Die Frage, woher nun (selbst bei völliger Ausschaltung der 
an dem Finger noch haftenden Mikroben durch sterile Gummi¬ 
handschuhe) die doch nicht unerhebliche Zahl von fieberhaften 
Störungen des Wochenbettes kommen, soweit sie auf puer¬ 
perale Prozesse zurückzuführen sind (immerhin noch 7 Proz.), 
ist ja immer noch eine umstrittene. Ich suche sie in den an 
den äusseren Geschlechtsteilen und in der Scheidie der Frau 
bereits vor der Geburt vorhandenen Mikroben, die gewiss 
nicht immer schwer infektiös sind, aber doch genügen, diese 
leichteren Störungen des Wochenbettes herbeizuführen. Als 
beweisend hiefür sehe ich neben den Versuchen von Sticker 
und den Resultaten derjenigen Kliniken, welche durch die 
grundsätzliche Verwendung von sterilisierten Gummihand¬ 
schuhen die Fingerkeime völlig eliminieren u ), die vor einigen 
Jahren in der Leipziger Klinik von Scanzoni 1 *) angestellten 
Versuche an, welche allerdings das Gegenteil beweisen sollten. 
Die Arbeit enthält zunächst einen Bericht über 157 „präzipi- 
tiert“ Entbundene, die also innerlich gar nicht untersucht 
waren. Von diesen Wöchnerinnen fieberten nach Abzug von 
60, bei denen wenigstens irgend welche äussere „Berührungen“ 
stattgefunden hatten, noch 60 = 21,6 Proz. mit Achselhöhlen-. 


10 ) Zerrtralbl. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 45. 

“) s. v. Herff 1. c. 

13 ) Archiv f. Gynäkol., Bd. 63. 

1 * 


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1916 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


temperaturen von 39° und 40° und einem Anstaltsauientlnlt 
von 14—43 Tagen. Und von 112 bei der Entbindung g a r n i c h t 
berührten Frauen fieberten nach Abgang von 17. bei denen für 
das Fieber eine andere Quelle wahrscheinlich erschien, immer 
noch 11,5 Proz. mit Temperaturen bis 39,3°! Da es sich bei 
diesen „nicht berührten“ Kreissenden ja jedenfalls um die leich¬ 
testen und einfachsten Entbindungen handelt, so wird man die 
Zahl der Fiebernden doch gewiss nicht ganz gering finden 
können, und ich wüsste wirklich nicht, worauf anders diese 
infektiösen Fieber zurückzuführen wären, als auf die Wirkung 
der bereits vor der Geburt an und im Körper der Frau vor¬ 
handenen Keime. 

Nun ist ja gewiss die Möglichkeit zuzugeben, dass w ährend 
des Wochenbetts von aussen Keime in den (ienitalkanal herauf¬ 
wandern. Wir haben zur Verhütung oder zur Beschränkung 
eines solchen Aszcndierens im Wochenbett im b. 'rausend bei 
400 Wöchnerinnen den Versuch gemacht, die äusseren Ge¬ 
schlechtsteile andauernd mit Kompressen, die mit einer b prom. 
Sublimatlösung getränkt waren, zu bedecken. Der Erfolg war 
durchaus negativ, wie er auch bei ähnlichen Versuchen in 
anderen Kliniken kein eindeutiges Resultat ergeben hat. Auch 
ist doch kaum einzuseilen, warum diejenigen Keime, welche 
etwa nach der Geburt von den äusseren Geschlechtsteilen 
her im Genitalkanal aufwärts wandern, an sich gefährlicher 
sein sollten, wie diejenigen, die v o r der Geburt denselben Weg 
einschlagen oder eingeschlagen haben. Ich halte die letzteren, 
deren Vorhandensein ja von allen Untersuchern erwiesen ist, 
für die verdächtigeren und versuche dementsprechend diese 
soweit wie möglich durch gewisse Vorsiciitsmassregeln un¬ 
schädlich zu machen, die ich in den angeführten Berichten so 
wiederholt schon beschrieben habe, dass ich hier auf eine 
nochmalige Erwähnung verzichte. Dass es sich hierbei um 
eine „Desinfektion 1 im bakteriologischen Sinne handelt, habe 
ich niemals behauptet, wohl aber, dass es sich um eine an sich 
absolut unschädliche, vielfach aber vielleicht sehr nützliche 
Massregel handelt. Dass dieselbe sehr oft überflüssig ist, ist 
unbestreitbar, wie auch jede Desinfektion der Hand sehr oft 
überflüssig wäre. So lange ich aber nicht weiss. wie oft dies 
der Fall ist, halte ich es im Interesse unserer Pflegebefohlenen 
für besser, lieber etwas zu viel wie zu wenig zu tun. Und 
so lange diejenigen Autoren, welche immer die absolute Harm¬ 
losigkeit der an den äusseren Geschlechtsteilen und in der 
Scheide bei Gebärenden vorhandenen Keime behaupten, fort¬ 
fahren, vor gynäkologischen Eingriffen an den äusseren und 
inneren Genitalien diese so ausgiebig wie möglich zu reinigen 
und zu desinfizieren, sehe ich bei ihnen einen klaffenden Wider¬ 
spruch zwischen der Theorie und der Praxis. Denn Wunden 
sin-d Wunden: ob sie zu operativen Zwecken gemacht oder 
bei der Geburt entstanden sind, und es bleibt ein ungelöstes 
Rätsel, warum dieselben Keime für die operativen Wunden 
schädlich, für die geburtshilflichen Wunden unschädlich sein 
sollen. Ganz im Gegenteil: ich habe durchaus den Eindruck, 
dass, je mehr wir bei geburtshilflichen Operationen das ganze 
Operationsfeld in demselben Sinne versuchen vorzubereiten, 
wie war es allgemein bei chirurgischen Eingriffen tun, wir um 
so bessere Resultate erreichen werden. Als Beweis dafür 
möchte ich nochmals auf die Resultate der letzten UHio Ge¬ 
burten verweisen. Es w aren hierunter bh Geburten bei engem 
Becken und ausserdem 172 geburtshilfliche Eingriffe, zum Teil 
allerschwerster Art. Selbst wenn wir die vorgefallenen 
b ernsteren Erkrankungen auf Konto dieser Operationen setzen 
wollten, was nicht einmal zutrifft, so hätten wir nur 3,5 Proz. 
ernstere Wocheiihcttstörungcn bei diesen operativen Entbin¬ 
dungen ohne einen einzigen Todesfall. 

Ich sollte meinen, dass diese Zahlen doch eine beredte 
Sprache sprechen, und ich glaube, dass alle diejenigen, welche 
noch die Verhältnisse in den geburtshilflichen Anstalten vor 
25 und 30 Jahren kennen, gleich mir den Eindruck haben 
werden, dass die so ausserordentliche Besserung derselben 
im wesentlichen von der Zeit an datiert, wo wir anfingen, die 
Kreissenden selbst gründlich zu reinigen. Denn die Hände 
haben wir uns schliesslich auch früher schon gründlich ge¬ 
waschen und versucht, sie zu desinfizieren (wenn auch nicht 


N n 37. 


mit Sublimat). Und wenn dies, wie wir ja jetzt wissen, auch 
unvollkommen war und einen Teil des mangelhaften Erfolges 
erklärt, so wissen wir jetzt ebenso, dass auJi mit den wirk¬ 
samsten Desinfcktioiismethodcn eine Keimf reihen des unter¬ 
suchenden Fingers nicht erreicht wird, und dass auch die völlige 
Ausschaltung der Fmgerkemie durchaus kein fieberfreies 
WOchenbett verbürgt. Ich würde es deswegen für einen 
äusserst bedauerlichen urJ verliaugm >v< üen Rückschritt hal¬ 
ten, wenn diese objektive Reinigung und Desinfektion «J.-r 
Kreissenden auch nur für m rmale Geburten wieder aufgegebea 
w erden sollte, w ie dies K r o e n i g (I. c.) Hingst im Zusammen¬ 
hang mit der Empfehlung der rektalen Messin g empfohlen hat. 
wobei ich unter Desinfektion freilich nicht die Jagd nach dem 
letzten Bazillus verstehe. Wenn übrigens dieser an den ausse¬ 
ren Genitalien haftende Schmutz wirklich so harmlos ist. 
warum m II er dann bei Operativen Entbindungen entiernt wer¬ 
den? Die Folgen solcher Lehren konnten d .Ji recht verhaag- 
nis\ oll sein. Demi die Neigung des gehurtsleite: Jeu Personals, 
in den alten Schlendrian wieder zm lukzufaileii, ist tue sehr 
grosse, w ährend doJi sonst überall die Rer h.likeit d.s Kör¬ 
pers für eine Jugend gilt und besonder«, m der Nahe v Wun¬ 
den allgemein als ein Erft rJerms angesehen wird. 


Die Palliativtrepanation bei Stauungspapille. 

Von Prof. E u g e u v. Hippel in Heidelberg. 

Die Palliativ trepai aiion des Schädels bei intrakraniellen, 
einer RadikaloperaMon nicht zugänglichen Erkrankungen ist 
ein Grenzgebiet, an dem der Neurolog, der Chirurg sowie der 
Augen- und Ohrenarzt interessiert sind. Hier soil dasselbe 
\ om Standpunkte des <tplidialmojogen behandelt werden. 
Wenn auch die Staimngspapilk nur ein Symptom eines krank- 
heitsprozesses ist, so i mimt sie doch einmal wegen ihrer Fol¬ 
gen Erblindung: eine Sonderstellung ein und zweitens, 

weil sie nicht selten ein Erulisx mptom ist. das den Patienten 
zunächst in augeiiürzthche Behandlung fuhrt. Diese bestand 
bisher wenigstens bei uns in Deutschland im allgemeinen 
in der üblichen Anwendung \on Jod und Quecksilber und war 
deshalb meist erfolglos. 

Angeregt durch die Sänger sdien Arbeiten veranlasstc 
ich vor einem Jahre die Palliativtrcpauatmn wegen akut em- 
getreteiier Erblindung durch Stauungspapille bei einem 12 jähri¬ 
gen Kinde. Dasselbe starb nach 12 lagen an Infektion, wie ich 
jetzt sagen muss, infolge technisch nnzw eckmassigen opera¬ 
tiven \orgehens. Ich wurde dadurch veranlasst, die Literatur 
des Gegenstandes eingehend zu studieren, die ausserordentlich 
zerstreut ist und grossenteils dem Anstand (besonders 
Amerika) argeliort. 

Als Palhativtrepaiiatiouen rechne ich wie üblich dieieiiigen. 
bei welchen der Krankheitsherd mein gefunden oder aus irgend 
einem Grunde nicht entfernt werden könne, sowie die. bei wel¬ 
chen von vornherein nur eine Driukertlastuug beabsichtigt 
war. Von duu mir zugänglichen Material habe ich nur die 
halle, m denen das Vorhandensein von Stauungspapille aus- 
driieklicli angegeben ist, berücksichtigt . Dies waren 221: lei¬ 
der sind die Angaben über das Sehvermögen sowie über die 
Beeinflussung von Stauungspapille und \ isus vielfach sehr dürf¬ 
tig oder fehlen ganz, ich habe dem bei der Verwertung Rech¬ 
nung getragen, aber die unvollständig beschriebenen habe des¬ 
halb nicht ausgeschaltet, weil ich für die Beurteilung der Ge¬ 
fahr der Opera’ioii ein möglichst grosses Material benutzen 
w ollte. 

Den Neurologen und Chirurgen ist es sut langem In kam;:, 
dass nicht nur muh Entfernung eines intrakraniellen Krank¬ 
heitsherdes. sondern auch nach einfacher Eröffnung des Schä¬ 
dels die Stauungspapille zunukgelun kann. 

Von der. 221 Fällen s*arben 53 bei (•Ja im Anschluss an 
die Operation, von den übrigen 1<’ S ging die Stauungspapille 
H'timal zurück, ls mal tat sie es nuht. hei den ubrigoi fehlen 
Angaben. 

Das Sehvermögen war vor der Operation im prakt.s Juri 
^iuiie sicher brauchbar nur in 24 Fallen: von diesen starben 2 
(sonst sehr wen vorgeschritten) bei der Opcrat.f r. er.mal 
vv urdc der \ isus schlechter (direkte k< lnprc smoji der t ptisJieii 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1917 


Bahn), 21 mal wurde das Sehvermögen erhalten oder ge¬ 
bessert, allerdings 6 mal nur vorübergehend. 

Im praktischen Sinne unbrauchbar war der Visus vor dem 
Eingriff 92mal; 14mal wurde hierbei noch eine wesentliche 
Besserung erzielt; ausserdem ist eine solche noch in 26 Fällen 
verzeichnet, wo über das Sehvermögen vor der Operation 
nähere Angaben fehlen. Im ganzen sind es also 61 Fälle (bezw. 
55), in denen das Sehvermögen erhalten oder gebessert wurde. 

Diese Zahl könnte klein erscheinen, es ist aber zu be¬ 
rücksichtigen, dass in einer sehr grossen — wohl der Mehr¬ 
zahl der Fälle das Sehvermögen zur Zeit der Operation bereits 
derart verfallen w r ar, dass eine Herstellung unmöglich war: 
92 mal war es sicher unbrauchbar, davon starben 20 und 56 
blieben ungebessert (2 mal fehlen Angaben) und unter den zahl¬ 
reichen Fällen, in denen verwertbare Notizen fehlen, kann nach 
den sonstigen Angaben der Krankengeschichten mit Bestimmt¬ 
heit behauptet werden, dass fast immer erst in einem weit vor¬ 
geschrittenen Stadium der Krankheit operiert wurde. 

Das bisher vorliegende Material lehrt, dass die Aus¬ 
sichten für das Sehvermögen günstige sind, 
w enn in einem relativ frühen Stadium, d. h. bei 
noch brauchbarem Sehvermögen operiert 
wird, dagegen ungünstige bezw. absolut 
schlechte, wenn zur Zeit der Operation der 
Visus schon praktisch unbrauchbar gewor¬ 
den b e z w. erloschen-ist. Soll die Operation also den 
gewünschten Erfolg haben, so muss sie gemacht werden, wenn 
die Sehschärfe bezw. das Gesichtsfeld sich zu verschlechtern 
beginnen, besser noch, wenn sie noch normal sind, sofern 
nicht die Wahrscheinlichkeit besteht, dass es sich um ein spon¬ 
tan oder medikamentös heilbares Grundleiden handelt. 

Dies kann der Fall sein bei Syphilis, dem chronischen 
Hydrozephalus, dem sog. Pseudotumor und der Gehirnschwel¬ 
lung sowie bei Missbildung des Schädels, z. B. dem sog. Turin¬ 
schädel, wo Stauungspapille vorkommt, und die Möglichkeit 
der Heilung der letzteren mit Erhaltung von Sehvermögen 
ohne Operation könnte einen Einwand gegen die Berechtigung 
der letzteren abgeben. 

Ist Syphilis sicher, so darf die medikamentöse Behandlung 
auch bei stärkerer Abnahme des Sehvermögens natürlich län¬ 
ger fortgesetzt werden, als wenn die Diagnose Tumor lautet, 
es muss aber besonders auf Grund der Angaben von Hors- 
1 e y und Kocher betont werden, dass die Resistenz des 
Gumma cerebri gegen die spezifische Behandlung oft so gross 
ist, dass es durchaus nicht immer gelingt die Erblindung durch 
Stauungspapille zu verhüten, w r enn man nicht operiert. Diese 
wichtige Tatsache zeigt, dass für die Behandlung der Stauungs¬ 
papille bei Syphilis keine allgemein gültige Regel aufgestellt 
werden kann. In einigen Fällen bewirkte hier übrigens die 
Lumbalpunktion nach längerer vergeblicher Anwendung der 
spezifischen Behandlung einen völligen Umschwung im Krank¬ 
heitsbilde und rasche Heilung. 

Die Möglichkeit der Spontanheilung der Stauungspapille 
beim chronischen Hydrozephalus, dem Pseudotumor und der 
Gehirnschwellung spricht aus dem Grunde nicht gegen die 
Vornahme der zeitigen Palliativtrepanation, weil diese Krank¬ 
heiten bisher nicht mit Sicherheit differentialdiagnostisch vom 
Tumor cerebri zu unterscheiden sind und vor allen Dingen 
auch deshalb, weil es vorkommeH kann, dass sonst völlige 
Heilung eintritt, aber Erblindung zurückbleibt. 

Ob die beim Turmschädel vorkemmende Stauungspapille 
durch Trepanation geheilt werden kann, lässt sich mangels 
praktischer Erfahrungen nicht angeben. Ein Versuch scheint 
mir in den allerdings seltenen Fällen, wo der Arzt noch eine 
frische Stauungspapille und rieht erst das atrophische Stadium 
sieht, wohl gerechtfertigt, da auch bei diesem Krankheits¬ 
prozesse ziemlich oft praktisch unbrauchbares Sehvermögen 
resultiert. 

Die Palliativtrepanation könnte wenig lohnend erscheinen, 
weil sie die Krankheitsursache nicht beseitigt, sondern nur das 
Ende hinausschiebt. Es gibt aber zweifellos auch Fälle, in 
denen sie nicht nur die Stauungspapille, sondern die Krankheit 
selber zu heilen vermag: chronischer Hydrozephalus, Pseudo¬ 
tumor, Gehirnschwellung, Meningitis serosa sowie schwere 


Schädeltraumen sind hier zu nennen. Wie häufig sich solche 
Fälle unter dem klinischen Bilde des Tumor cerebri verbergen, 
lässt sich kaum bestimmt angeben. 

Aber auch sonst zeigt eine Zusammenstellung der Lebens¬ 
dauer bei den 168 Trepanierten, welche den Eingriff überstan¬ 
den, dass die Operation auch in dieser .Hinsicht lohnend zu 
nennen ist, besonders wenn im Frühstadium der Stauungs¬ 
papille operiert wird. Von den 61 Fällen, deren Visus erhalten 
bezw. gebessert wurde, lebten länger als K> Jahr: 41, davon 
länger als 1 Jahr 31, als 2 Jahre 25, 3—5 Jahre 6, wahrschein¬ 
lich geheilt waren 10. Von den 56, deren Visus unbrauchbar 
blieb, lebten dagegen mehr als K> Jahr nur 11, weniger als 
M Jahr 44. Von jenen 11 mehr als 1 Jahr 10, als 2 Jahre 7, 
3—5 Jahre 5. Nimmt man noch die Fälle hinzu, über deren 
Sehvermögen vor der Operation Angaben fehlen, so bekommt 
man im ganzen: Lebensdauer mehr als 1 Jahr: 60, davon 
wahrscheinlich geheilt 26, von den übrigen 34 länger als 2 Jahre 
am Leben 20, davon 3—5 Jahre: 11. 

Die auffallend hohe Zahl von 26 Geheilten bedarf einer 
kurzen Erklärung: darunter sind 11 Fälle von H o r s 1 e y, von 
denen der Autor angibt, dass sich 1 mal ein maligner Tumor, 
10 mal Tumoren, deren Natur bei der Operation nicht näher zu 
bestimmen war, nach der Trepanation spontan zurückgebildet 
hätten. In allen Fällen bestand Stauungspapille. Diese An¬ 
gaben durften mit Rücksicht auf die Bedeutung des Autors, von 
dem sie stammen, hier nicht übergangen werden, wenn sie 
auch schwer zu deuten sind. 

Spricht alles bisher erwähnte unbedingt für die Berechti¬ 
gung einer frühzeitigen Palliativtrepanation zur Erhaltung des 
bedrohten Sehvermögens, so kann die Gefahr des Eingriffs und 
seiner Folgen einen wichtigen Einwand abgeben. Das bisher 
vorliegende Material ist nicht geeignet, die Grösse dieser Ge¬ 
fahr zahlenmässig zu schätzen. Nimmt man die Mortalität 
meiner 221 Fälle, von denen 53 starben, so bekommt man einen 
viel zu hohen Wert, denn die Mehrzahl dieser Fälle ist in einem 
Stadium operiert worden, in dem die Erhaltung des Sehver¬ 
mögens nicht mehr möglich war. Noch mehr gilt dies, wenn 
man die Gesamtheit aller Palliativtrepanationen zur Mortali¬ 
tätsberechnung verwertet, wobei z. B. v. Bergmann 
47,7 Proz. erhielt. Von den 24 Fällen, die vor der Operation 
praktisch sicher noch brauchbaren Visus hatten, starben an 
derselben 2, die aber nach den sonstigen Symptomen als sehr 
weit vorgeschrittene Fälle zu bezeichnen waren. Die Zahl von 
24 ist aber zu klein, um daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen. 
Eine brauchbare Statistik zur Beurteilung der Grösse der Ge¬ 
fahr zu liefern ist Aufgabe der Zukunft. 

Dass die Operation nicht ungefährlich ist, 
darf den Angehörigen nicht verschwiegen 
werden, trotzdem sind wir berechtigt, ent¬ 
schieden dazu zu raten, denn bei Unterlassung der¬ 
selben ist die Erblindung fast immer unvermeidlich, die Aus¬ 
sichten für das Sehvermögen sind bei rechtzeitiger Operation 
günstig, das Leben wird öfter verlängert als verkürzt, vor 
allen Dingen erträglich gemacht, da auch Kopfschmerzen und 
Erbrechen meistens beseitigt werden, es wird vermieden, dass 
Patienten, die eventuell sonst geheilt werden, der Erblindung 
anheimfallen; im Falle des ungünstigen Ausgangs wird ein 
meist qualvolles Dasein abgekürzt. 

In massgebenden neurologischen Werken, z. B. Bruns. 
Oppenheim u. a. w ird ein ganz ähnlicher Standpunkt ein¬ 
genommen, es lässt sich aber nicht verkennen, dass man von 
einer allgemeinen Anwendung dieser Prinzipien in der Praxis, 
w enigstens bei uns in Deutschland, noch sehr w eit entfernt ist. 

Die Gefahr der Operation kann durch eine Anzahl von 
Massnahmen, die ganz besonders von Horsley und 
Kocher betont werden, erheblich vermindert werden. Die¬ 
selben können hier nur kurz erwähnt werden: Narkose mit 
Chloroform, nicht mit Aether, prinzipiell zweizeitiges Ver¬ 
fahren, d. h. zunächst nur Beseitigung eines Knochenstücks, 
erst einige Tage später Eröffnung der Dura. Kokainisierung 
derselben, ehe sie durchschnitten wird, weil durch Reizung 
ihrer Nerven das Atemzentrum ungünstig reflektorisch beein¬ 
flusst werden kann. Vermeidung aller Erschütterung des 
Schädels, d. h. von Hammer und Meissei, ferner jeder brüsken 
Entleerung grosser Mengen von Liquor, Vermeidung der osteo- 


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1918 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


plastischen Methoden zu gunsten der einfachen Trepanation 
mit definitiver Entfernung des Knochenstücks. Unbedingt 
sofortiger und exaktester Nahtverschluss 
der Weichteile, damit der so häufig entstehende Hirn¬ 
prolaps sicher gedeckt ist. 

Die herniösen Vorbuchtungen des Gehirns, die bei stark 
erhöhtem intrakraniellen Druck regelmässig entstehen, sind an 
sich nicht zu bekämpfen, da sie zur Erreichung des Ziels — 
Herabsetzung des Drucks — notwendig sind, nur soll ihrer be¬ 
liebigen Entwicklung vorgebeugt werden. Hierfür hat der um 
diese Fragen hochverdiente Amerikaner C u s h i n g eine 
Methode angegeben, wobei der Defekt unter den Muscul. tem- 
poralis gelegt wird. 

Zur Beseitigung der Stauungspapille ist die Mitentferrumg 
der Dura nicht in allen Fällen erforderlich, wie eine Anzahl der 
von mir gesammelten Beobachtungen lehrt. Wird regelmässig 
zweizeitig operiert, so kann eventuell eine genaue ophthalmo¬ 
skopische Beobachtung nach dem ersten Eingriff Anhaltspunkte 
dafür liefern, ob der zweite notwendig ist. Eine ausgiebigere 
Druckentlastung wird zweifellos durch die Mitentfernung der 
Dura gewährleistet, besonders da von ihr aus Knochenneubil¬ 
dung erfolgen kann. In den meisten Fällen wird der zweite 
Teil der Operation notwendig sein. 

Die Rückbildung der Stauungspapille erfolgt mit sehr ver¬ 
schiedener Schnelligkeit: einmal war eine Prominenz von 7 
Dioptrieen innerhalb 3 Stunden verschwunden, öfters beginnt 
der Rückgang in den ersten Tagen und vollzieht sich allmäh¬ 
lich, manchmal dauert es noch länger bis eine Aenderung 
eintritt. 

Die Lumbalpunktion spielt als druckentlastendes Verfahren 
zur Heilung der Stauungspapille nur eine sehr untergeordnete 
Rolle. Bei Tumoren dürfte ein Dauererfolg damit kaum zu er¬ 
zielen sein, bei Geschwülsten der hinteren Schüdelgruhe er¬ 
scheint sie aus bekannten Gründen kontraindiziert. Dagegen 
kann sie bei den verschiedenen Formen der Meningitis, be¬ 
sonders der serösen, Heilerfolge erzielen; auch bei der Syphilis 
kommt sie wie oben erwähnt in Betracht. Es sind auch ein¬ 
zelne Fälle beschrieben, wo bei der Diagnose Tumor durch 
Lumbalpunktion, besonders wiederholte, Rückgang der Stau¬ 
ungspapille erreicht wurde, doch ist unter den mir bekannt 
gewordenen Fällen keiner, wo die Diagnose Tumor durch die 
Sektion bestätigt ist. 

Eine Dauerheilung der Stauungspapille durch Ventrikel¬ 
punktion ohne gleichzeitige Trepanation ist wenig wahrschein¬ 
lich und jedenfalls nicht bei Tumoren zu erwarten. 

Ob sich das allcrneueste Verfahren, der Balkenstich von 
Anton und v. B r a m a n n, als ein Fortschritt erweisen wird, 
ist abzuwarten. Sollten damit in Bezug auf die Stauungspapille 
Dauererfolge zu erzielen sein, so wäre cs zweifellos ein grosser 
Vorteil, dass zur Ausführung der Operation nur ein breites 
Bohrloch und keine Trepanöffnung nötig ist. Ob freilich in den 
Fällen, die bei der Trepanation die grossen Hirnhernien be¬ 
kommen, der Balkenstich eine ausreichende Dauerwirkung er¬ 
zielenwird, mag vorderhand noch etwas zweifelhaft erscheinen. 

Ich halte es für wahrscheinlich, dass eine allgemeinere 
Anwendung der N e i s s e r sehen Punktion es ermöglichen wird 
öfter eine genaue Lokaldiagnose zu stellen, die den Krankheits¬ 
herd der Radikaloperation zugänglich macht. Die Heilung der 
Stauungspapille könnte dadurch nur gewinnen. 

ZurZeit würde es mir jedenfalls als Fort¬ 
schritt erscheinen, wenn man ganz allgemein 
v e r s u c h e u würde, die Erblindung durch Stau¬ 
ungspapille durch rechtzeitige Operation zu 
verhüten. Auf das „rechtzeitig“ ist aber der grösste Nach¬ 
druck zu legen. Nur wenn man nicht erst in den späteren 
Stadien der Krankheit operiert, wird man die Erfolge erzielen, 
die einzelnen Autoren schon jetzt zu Gebote stehen und die 
mir praktisch ausserordentlich wichtig erscheinen. 

Ich brauche kaum zu betonen, dass ich an dieser Stelle 
mit Absicht darauf verzichte, Autoren zu zitieren. Meine Aus¬ 
führungen sind nicht das Ergebnis persönlicher Erfahrungen, 
sondern kritischen Literaturstudiums, meine Absicht ist, ein 
Verfahren, das in den Händen einer Anzahl von Autoren be¬ 
deutende Erfolge gebracht hat, bekannter zu machen als es, 
" enigstens in Deutschland, bis jetzt ist. 


Ich verweise an dieser Stelle auf meine ausführlichere Ar¬ 
beit, die in v. Graefes Archiv für Ophthalmologie demnächst 
erscheinen wird. Dort ist auch ein vollständiges \erzeichnis 
der von mir benutzten Literatur beigegeben. 

Zum Schlüsse mochte ich nur noch den Wunsch aus¬ 
sprechen, dass in Zukunft bei Veröffentlichungen über die Er¬ 
gebnisse der Trepanation das Verhalten von Stauungspapille 
und Sehvermögen vor und nach der Operation genau mitgeteilt 
werde. Ferner wäre es von Bedeutung, dass die Publikation 
erst erfolgt, wenn der betreffende Fall entweder bis zum Tode 
(•der mindestens *=* 1 Jahr beobachtet ist. Nur dann ist das 

Material zur Beurteilung der Erfolge wirklich verwertbar. 

Aus der Universitäts-Augenklinik und dem pathologisch¬ 
anatomischen Institut zu Heidelberg. 

Eine Methode zur Darstellung von Pigmenten und ihrer 
farblosen Vorstufen mit besonderer Berücksichtigung 
des Augen- und Hautpigments. 

Von Privatdozent Dr. L. Schreiber. I. Assistent der l'niv.- 
Augenklinik und Dr. P. Schneider. I. Assistent am pathol.- 
anatom. Institut. 

Im Verlaufe experimenteller Studien über das Verhalten 
syphilitischen Gewebes in der vorderen Augenkammer des 
Kaninchens war es uns aufgefallen, wie schon siJi die pig¬ 
mentierten Stromazellen der Iris und des übrigen l'veultraktus 
durch die von Levadili |s| und Berta re lli 1J1 tiir die 
Spirochäten angegebenen SilberimprägnationsmethoJen dar- 
stellen lassen. Ein Vergleich der so behandelten mikroskopi¬ 
schen Schnitte mit dem ungefärbten Kontrollpräparat zeigte 
alsbald, dass durch die Silberimprägnation nicht nur das vor¬ 
handene melanotische Pigment mit grosserer Scharfe hervor¬ 
tritt, sondern dass die pigmentierten Stromazellen gleichzeitig 
reicher an protoplasmatischen Fortsätzen erscheinen. - Da 
dieser Befund an technisch tadellosen Präparaten erhoben 
wurde, in welchen insbesondere jegliche Niederschlage fehlten, 
lag der Gedanke nahe, dass einerseits dem fertig gebildeten 
reifen Pigment, anderseits aber auch seinen in Bildung be¬ 
griffenen farblosen Vorstufen die Fähigkeit zukomme, das 
Silbersalz an sich zu reissen und zu reduzieren. Trotzdem 
der Unterschied zwischen den nach Levaditi behandelten 
und den Kontrollschnitten durchaus sinnfällig war, suchten wir 
dennoch vorweg dem Einwande zu begegnen, dass derselbe 
vielleicht nur auf einen wechselnden Pigmentgehalt der Iris in 
ihren verschiedenen Abschnitten zu beziehen sei. Es wurde 
nämlich auf mikrophotographischem W ege a n e i n e m u n d 
demselben Schnitte festgesu llt, dass die Differenz die 
gleiche blieb, wenn das Silber nachträglich durch L u g o 1 sehe 
Lösung und 10 proz. Fixiernatron ausgewaschen wurde. Be¬ 
kanntlich lässt sich auf diese Weise das Silber aus dem Prä¬ 
parat entfernen, ohne dass gleichzeitig eine Entfärbung des 
Melanins eintritt. 

Es ergab sich hieraus die interessante Tatsache, dass ein 
grosser Teil der pigmentierten Stromazell e n n e b e n 
d e n p i g m e n t i e r t e n prot o p I a s m a t i s c h e n F o r t - 
s ä t z e n n o c h a n d e r e u n p i g m e n 1 1 e r t c besitzt, 
welche der gewöhnlichen Untersik Innig entgehen, und da>s 
diese letzteren farblose Produkte enthalten, welche zu dem 
melanotischeu Pigment innige Beziehungen haben. Ob diese 
Körper, wie wir a priori annalmien. als m Bildung begriffene 
farblose \orstufen des melanotischen Pigments 1 ) aufzufassen 
seien, oder als Stoffe des Pigmentabbaues, das blieb noch zu 

entscheiden. 

Ein zweites Präparat von dem Auge eines syphilitischen 
Fötus aus der 33. \\ oclie gab hierüber Aufschluss. 
Mährend bekanntlich das PigmcmcpiihiI der Retina und seine 
Fortsetzung auf die Himerlkuhe des Corpus ciliare und der 
Iris sehr früh, schon gegen Ende des dritten I'ä'talmonats. mit 
Pigment ausgestattet ist, beginnt die Pigmentierung der 
btr» ma/ellcii der Lvea erst gegen Fr de des Fotaüebens und 

1 ) Solche farblosen \orst.idica «1er PigmentC-' rier wurden zu- 
eru von Pein k e I IJI an den I re. •_ :::: Ke: .hielt \.,n 

Salamander In rven beschrieben. 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1919 



ist bei der Geburt noch nicht abgeschlossen. Bei dem in Rede 
stehenden Fötus nahmen nun die Stromazellen der 
Uvea, welche im Kontrollpräparat noch keine 


Spur von Pigment zeigten, durch die Ber- 
tarellische Methode das Silber in Form fein¬ 
ster dicht gelagerter Körnchen auf (Fig. II). 
Diese noch farblosen Stromazellen (Fig. I) unterscheiden sich 



demnach bei der Silberbehandlung nach ß e r t a r e 11 i in 
nichts von den pigmentierten Stromazellen im postfötalen 
Leben — abgesehen davon, dass sie weit ärmer an Proto¬ 
plasmafortsätzen sind und oft nur bipolar, hie und da sogar 


nur unipolar erscheinen (Fig. II). Durch diesen Befund ge¬ 
wann die Versilberungsmethode für die Darstellung der Chro¬ 
matophoren Zellen erst ihre eigentliche Bedeutung. Derselbe 
sprach eindeutig dafür, dass die Silberimprägnation 
nicht nur das ausgereifte mclanotische Pig¬ 
ment hervorhebe, sondern auch die farb¬ 
losen Vorstufen desselben darzustellen ver¬ 
möge. — Demnach besitzen wir in den von 
Levaditi und Bertarelli angegebenen Ver¬ 
fahren eine Methode, die es gestattet, die 
Differenzierung der künftigen Chromato¬ 
phoren Stromazellen von den Mesenchym- 
zellen entwicklungsgeschichtlich zu ver¬ 
folgen. 

Dass es in der Tat, abgesehen vom Pigmentepithelblatt 
der Retina, nur die künftigen Chromatophoren Stromazellen 
in der Uvea sind, welche sich mit Silber imprägnieren, das 
bestätigte im erwünschter Weise die Untersuchung des 
Auges einer Frühgeburt aus dem 8. Monat (Eklampsia 
matris). Hier zeigten nämlich, trotzdem das Auge einem 
jüngeren Fötalstadium entstammte, die betreffenden Zellen im 
ungefärbten Schnitte schon eine eben erkennbare bräunliche 
Pigmentierung, welche durch die Levaditimethode wieder in 
prägnantester Weise (wie in Fig. II) zur Darstellung kam. 
Nebenbei bemerkt, scheint es sich im vorliegenden Falle um 
ein relativ frühzeitiges Auftreten von Stromapigment in der 
Iris, im Corpus ciliare und in der Chorioidea zu handeln, da 
nach den neuesten Untersuchungen Laubers [4], die Pig¬ 
mentierung der Stromazellen frühestens im neunten Lunar¬ 
monate beobachtet wird. Anderseits aber ist es wohl denkbar, 
dass Lauber derartig geringen Graden von Pigmentierung 
— eben erkennbare Bräunung — keine genügende Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt hat. Denn Rieke [141 konnte die ersten 
Spuren von Pigment sogar schon bei einem Fötus im 7. Monat 
nachweisen. 

Dass bei dem ersten, um einige Wochen älteren Fötus 
noch jegliche Spur von Pigmentierung der Uvealstrotnazellen 
fehlte, steht in Analogie mit der von K öl liker [5] für das 
Pigment der Netzhautanlage gefundenen Tatsache, dass in 
der zeitlichen Entwicklung des Pigments eine gewisse 
Variabilität vorhanden ist. — Die Silberkörnchen der Stroma¬ 
zellen sind bei dem ausgewachsenen Kaninchen sowie bei 
den menschlichen Föten dicht und regellos aneinander gelagert, 
insbesondere zeigen dieselben in ihrer Anordnung keinerlei 
Beziehung zu der von K. Münch [10a] beobachteten Quer¬ 
streifung dieser Zellen. — Wir möchten es nicht unerwähnt 
lassen, dass bei einer ausgetragenen menschlichen Totgeburt 
zwar das Pigmentepithel der gesamten Retinalanlage und zu¬ 
fällige Formolpigmentniederschläge in den Blutgefässen und 
der Uvea und deren Umgebung sich tiefschwarz imprägnierten, 
dagegen die im Kontrollschnitt farblosen Stromazellen der Uvea 
auch bei der Levaditibehandlung farblos blieben. Ob für den 
negativen Ausfall kadaveröse Veränderungen, ob Fehler der 
Technik verantwortlich zu machen wären, konnte nicht mehr 
entschieden werden. 

Diese Befunde führten bald zu weiteren Fragestellungen.— 
Vor allem lag es nahe, zu prüfen, w r ie sich wohl das retinale 
Pigmentblatt und die Stromazellen der Uvea im albinoti¬ 
schen Auge gegenüber dem Versilberungsverfahren ver¬ 
halten würden. Es ist nun gewiss nicht ohne Interesse, zu 
erfahren, dass die in Rede stehenden Zellen im Auge 
eines albinotischen Kaninchens keine Spur 
von Silberimprägnation an nahmen. 

Unsere Untersuchungen erstreckten sich nun weiter auf 
pathologische Pigmentbildungen im Auge. 

Auf der Ribbertschen [131 Anschauung fussend, dass 
die Chromatophoren keineswegs immer mit Pigment aus¬ 
gestattet zu sein brauchen und dass dieselben uns gerade bei 
den malignen Neubildungen sehr oft als farblose Zellen ent¬ 
gegentreten, da sie im unreifen Jugendstadium des Pigments 
entbehren, untersuchte F. S c h i e c k [15] diese Verhältnisse an 
den von der Uvea ausgehenden Tumoren. In einer inter¬ 
essanten Monographie über das Melanosarkom des Uveal- 
traktus gelangt nun S c h i e c k zu dem Ergebnis, dass sämtliche 
Geschwülste der Uvea von den pigmentierten Stromazellcn 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 




ihren Augang nehmen und daher als Melanosarkome aufzu¬ 
fassen sind. Die in der Literatur mehrfach beschriebenen sog. 
Leukosarkome der Uvea entstehen nach den Untersuchungen 
Schiecks gleichfalls aus Chromatophoren Stromazellen und 
wurden von demselben in Uebereinstimmung mit der Rib- 
bert sehen Lehre dementsprechend nur als unreife Jugend¬ 
stadien der Melanosarkome („Chromatophorome“ R i b b e r t s) 
betrachtet. — Da es uns gelungen war, mit Hilfe der Levaditi- 
bezw. Bertarellimethode physiologische Jugendformen der 
Chromatophoren Stromazellen in der Uvea zur Darstellung zu 
bringen, durften wir hoffen, in gleicher Weise auch in der vor¬ 
liegenden Frage eine Antwort zu erhalten. Würden durch das 
Versilberungsverfahren vorher farblose öeschwulstzcllen sich 
mit dem Metall imprägniert haben, dann wäre damit ein 
exakter Beweis für die Richtigkeit der R i b b e r t - S c h i e c k- 
schen Anschauung erbracht. — Es wurden nun zwei Melano- 
sarkomc der Chorioidea nach Levaditi behandelt. Das 
erste stellte einen kleinen, flachen, schwach pigmentierten 
Tumor am hinteren Augenpol dar, während das zweite, 
grössere etwas stärker pigmentiert war. Im ersten Falle zeigte 
sich eine ungefähre quantitative Uebereinstimmung zwischen 
dem natürlichen melanotischen Pigment und der Silberimpräg- 
nation. Eine Silberschwärzung nicht pigmentierter Geschwulst¬ 
zellen konnte mit einiger Sicherheit nirgends nachgewieseu 
werden. — Der zweite Tumor zeigte im Mikroskop anscheinend 
mehr Zellen durch Silber imprägniert, als im Kontrollpräparat 
pigmenthaltige Zellen vorhanden waren. Es ist jedoch zu be¬ 
rücksichtigen, dass der in den verschiedenen Partien solcher 
Tumoren äusserst wechselnde Pigmentgehalt die Beurteilung 
der Verhältnisse sehr erschwert. Zudem hätte man erwarten 
sollen, dass gerade der erste, schwach pigmentierte Tumor 
geeigneter wäre, den gewünschten Aufschluss zu geben, als j 
der zweite. — Wir möchten daher das Ergebnis unserer Unter¬ 
suchungen bezüglich der Entstehung bezw. W eiterentwicklung 
der Melanosarkome aus unpigmentierten Vorstufen der Chro¬ 
matophoren Stromazellen dahin zusammenfassen, dass das 
Versilberung s verfahren nicht für die Richtig¬ 
keit dervon Ribbert und Schieck vertretenen 
Lehre spreche. Dabei sei jedoch ausdrücklich betont, 
dass wir weit davon entfernt sind, in dem Ergebnis dieser 
Methode etwa einen Beweis gegen die Anschauung dieser 
Autoren erblicken zu wollen. 

Aehnlich wie in dem zweiten Melanosarkom der 
Chorioidea war das Resultat der Untersuchung eines Melano- 
sarkoms vom Ohr. Auch hier zeigte das Silberpräparat mehr 
Imprägnation als der Kontrollschnitt an natürlichem Pigment 
aufwies; aber der Kontrollschnitt war eben einer anderen Ge¬ 
schwulstpartie entnommen. — Eine mikrophotographische 
Kontrolle am gleichen Schnitte, wie wir sie für die Iris des 
Kaninchens durchgeführt, die wir aber hier aus äusseren 
Gründen unterlassen mussten, dürfte noch zu einem sichereren 
Urteil dieser Verhältnisse führen. 

Weiterhin haben wir nicht versäumt, die P i g m e n - 
t i e r u ri g der Haut mit der Silbermethcde zu untersuchen. 
Es wurden verschiedene pigmentierte und unpigmentierte 
Hautstückchen sowie ein Pigmentnävus geprüft. Auch hier 
ergab sich, dass das vorhandene Melanin durch tief braun¬ 
schwarze Imprägnation mit Silber in vorzüglicher Weise zur 
Darstellung gelangt. - Bei einer pigmentierten P e n i s h a u t 
erschien das basale Stratum cylindricum durch die reichlichen 
Silberkörnchen tiefschwarz, entsprechend der Pigmentablage¬ 
rung im Kontrollpräparat. Nach oben zu nahm das Pigment 
rasch ab; in den Zellen des Stratum spinosum zeigten die j 
peripheren Protoplasmalagen eine feinkörnige Ablagerung und 
ausserdem die distalen Kernpole dunkle Pigmentkappen, j 
Feinste Körnchen Hessen sich bis ins Stratum corneum nach- ' 
weisen. Gegenüber dem Kontrollpräparat reichten die im- j 
prägnierten Zellen bis in die höchsten Epidermisschichten ! 
hinauf, und es machte entschieden den Eindruck* als ob mehr 
imprägniert wäre, als im Kontrollschnitt Pigment vorhanden 
war, so dass man daraus schliessen kann, dass ti i c h t n u r 
das fertige Melanin, sondern au e h die in d e n 
11 a c h o ben sich a b s t o s s e n d c n E I e m e n t e n a n - 
z u n e h m e n d e n t a r b 1 o s e n A b b a u p r o d u k t e d e s 


Melanin sich imprägnieren. Die Keratin- bezw. 
Keratohyalingranula traten nicht hervor. In der oberen Kutis 
wurden die spärlichen verästigten Chromate phnren durch tief¬ 
schwarze körnige Imprägnation aufs deutlichste herausgehoben. 
Die ganze Dicke der Kuös war frei von Niederschlagen. 

Bei einem Pigmentnävus trat die in der Kontrolle schwache 
Pigmentation der tiefen Reteschichten am Silberpräparat mit 
grosser Schärfe hervor. Das Pigment lag wesentlich m der 
basalen Zylinderschicht, wobei die Pigmentkappen an der 
distalen Kernseite schon herauskktmcn. Gegen Jie oberen 
Lagen nahmen die Körnchen rasch ab. Daneben fanden sich 
in der Zylinderzellenschicht vereinzelte vcrästigte. stark im¬ 
prägnierte Zellen (Melanoblasten Ehrmarns Ml). Die in 
den oberen Lagen der Kutis vorhandenen Chromatophoren 
waren tiefschw arz imprägniert. B e m e r k e n swert ist 
dagegen, dass die Zellen der N ä v u s n c s t c r 
keine Spur einer Imprägnation zeigten, mit 
anderen Worten; dass diese Zellen, die in den Stromazellen 
der totalen Iris vorhandenen nicht gefärbten, aber imprägnier¬ 
baren VorsMifen des Melanins nicht enthalten. 

An mehreren mikroskopisch pigmentfreien Hautstellen 
Hessen sich eigentümliche vcrästigte. an multipolare Ganglien¬ 
zellen erinnernde feinkörnig geschwärzte Elemente nach- 
w eisen. Sie lagen grösstenteils zwischen den Zellen des Stra¬ 
tum cylindricum fanden sich aber vereinzelt bis in den höchsten 
Schichten des Stratum spm< sum. Die feinen, oft ramiti/ierten 
Ausläufer reichten z. T. nach aufwärts zwischen die Stachel¬ 
zellen, teils erstreckten sie sich nach abwärts, wobei sie oft an 
der Epithelkutisgrenze horizontal sich ausbreiteten. Ihr Kern 
ist vielfach als hellere Lücke ausgespart. Es kann nach der 
ganzen Morphologie kaum einem Zweifel unterliegen, dass wir 
es hier mit Elementen zu tun haben. ..die in den Rahmen der 
sog. „La n g r r h a n s sehen M Zellen gehören, und die ia 
dieser Autor ebenfalls mit einer Metalhmprägration, nämlich 
mit der C o h n h e i in sehen Vergoldungsmethode zur Dar¬ 
stellung gebracht hat. Die Bedeutung dieser Elemente, deren 
Zellennatur von mancher Seite bezweifelt wurde, ist bis heute 
noch strittig. Die ursprüngliche Auffassung von Langer- 
hans |9j. dass es nervöse Elemente seien, ist allgemein ver¬ 
lassen. Arnstein 111 hielt sie für W anderzellen. M er- 
kel |9] für eingewanderte bindegewebige pigmentfreie Pig¬ 
mentzellen, Kol liker |5] für emgew änderte farblose Binde¬ 
gewebszellen (mit den einw ändernden pigmentierten Biude- 
gew ebszellen auf einer Stufe stehend). Stuhr [loj für unter¬ 
gehende Epithelzellen. Uns scheint es, dass unsere Resultate 
die M e r k e 1 sehe Auffassung insofern wesentlich stutzen, als 
w ir ja an der Iris nachw eisen k< nuten, dass sich mit der Sd- 
bcriiiiprügnatü n farblose Vorstufen von Pigmentzellen dar¬ 
stellen lassen, und sich anderseits diese Langer h a n s sehen 
Zellen im Silberpräparat von verästigten Pignicutzellen (Me¬ 
lanoblasten), die sich an pigmentierten Hautsteilen finden, nicht 
unterscheiden lassen. W ir glauben also, dass die Lan¬ 
ge r h a n s s c li e n Zell e n p i g m e n t f r e i e M e I a n o - 
bla steil sind. Ob diese allerdings bindegewebiger oder 
w ie J a i i s c h [j| und besonders neuere Autoren es wollen 
epithelialer Natur sind, ist damit noch nicht entschieden. Viel¬ 
leicht dürfte sich gerade die \ erstjberungsmetlu de. da sie viel 
zuverlässiger als die (ioldmetlu de ist. in dieser Erage nütz¬ 
lich erweisen. 

Endlich mochten wir nur kursorisch erwähnen, dass sich 
die Chromatophoren der L e p t o m e n in \ sowie dis Pigment 
der Ganglienzellen mit Silber darstellen lassen, hier¬ 
her gehört wohl eine Beobachtung, deren Mitteilung wir Herrn 
Kollegen Ranke verdanken, dass die eigentumudien, leicht 
gelblichen Massen, welche sich in den Nervenzellen Ki fami¬ 
liärer amaurotischer Idiotie finden, in bestimmten Füllen dieser 
Erkrankung (Spielmeyer. \ogr) durch die Biel- 
schovv.sk i Silberimprägtiatn rsmetbode Pier Nerven fibril’ei:) 
sich sehr dunkel imprägnieren*. so dass man an eln/eb eil Zellen 
die Beziehung zwischen Fibrillen tmd diesen Maswii sehr deut¬ 
lich erkennen kann. 

Es dürfte nicht überflüssig soll, mit wenigen Worten auf 
die Technik einzugehen. deren wir nt.s zur Darstellung 
des Pigments bedient haben. Es wurde von uns zu diesem 


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15. September 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Zwecke die erste von L e v a d i t i [8] angegebene und die 
neuere Methode B e r t a r e 11 i s [2] angewendet und wir 
überzeugten uns, dass beide Verfahren gleich vorzügliches 
leisten. Vorbedingung ist jedoch peinlichste Sauberkeit der 
Reagentien und sofortiges Wechseln derselben bei eintretender 
Trübung. Das Hauptgewicht wurde von uns auf die Dauer 
der Versilberung gelegt; dieselbe betrug bei frischen 
Objekten 6—8 Tage, bei älteren sogar 10—12 Tage, während 
die Gewebsstücke in der Reduktionsflüssigkeit meist 48 Stun¬ 
den, ab und zu noch länger verblieben. Gerade in der zu 
kurzen Imprägnationszeit glauben wir den Grund zu sehen, 
warum die Bedeutung dieser Methode für die Darstellung des 
Pigments bisher nicht erkannt worden ist. Denn die Neigung 
der Metallsalze zur Ablagerung an Pigmenten war, wie a priori 
anzunehmen ist, auch schon anderen Autoren aufgefallen. 
Aber merkwürdigerweise ging man an dem vollen Werte dieser 
Beobachtung, wie gesagt, achtlos vorüber, ja gelegentlich 
wurde die metallische Imprägnation des Pigments direkt stö¬ 
rend empfunden. So wandte Münch [10] ähnliche Methoden 
(Golgimethode, Vergoldung nach C oh n h e im und Ran ¬ 
vier, Methode von Ramon y Cayal und B i ei¬ 
se h o w s k i) bei Untersuchungen über die Innervation der 
Stromazellen der Iris an und berichtet [10 b], dass dieselben 
für derartige Studien leider ungeeignet seien, da die Stroma¬ 
zellen der Iris selbst sich imprägnierten, wodurch ihre Be¬ 
ziehungen zu den Nerven verdeckt würden. 


Die mitgeteilten Untersuchungen sind gewissermassen nur 
als Stichproben auf den Wert der in Rede stehenden Methode 
für die Darstellung des Pigments zu betrachten. Aber ihr bis¬ 
heriges Ergebnis berechtigt unseres Erachtens schon zu der 
Hoffnung, dass ein systematisches Studium uns der noch immer 
strittigen Genese des Melanins näher bringen und vielleicht 
auch zur Aufdeckung der Beziehungen desselben zu den ver¬ 
wandten Pigmenten der braunen Herz- und Leberatrophie 
führen könnte. 


Die obigen Befunde zeigen, dass das Silberimprägnations¬ 
verfahren von Levaditi und Berta relli in der von 
uns angewandten Form nicht nurzur Darstel¬ 
lung des ausgereiften melanotischen Pig- 
m e n t s, sondern auch zur Sichtbarmachung 
seiner farblosen Vorstufen (in den Stromazellen der 
fötalen Iris) undmöglicherweiseseinerfarblosen 
Abbau Produkte (in den Zellen des Stratum spinosum 
der Haut) vorzüglich geeignet ist. — Die bisher mit 
dieser Methode gewonnenen Resultate können wir kurz dahin 
zusammenfassen: 

1. Die Chromatophoren Stromazellen der Iris besitzen 
neben pigmenthaltigen Protoplasmafortsätzen noch andere 
farblose, deren Nachweis der üblichen Untersuchung entgeht. 

2. Das Silberimprägnationsverfahren gestattet es, die 
Differenzierung der farblosen Jugendformen der Chromato¬ 
phoren Stromazellen von den Mesenchymzellen der Uvea ent¬ 
wicklungsgeschichtlich zu verfolgen. 

3. Das albinotische Auge zeigt weder in den Stromazellen 
der Uvea noch in der sog. Pigmentepithelschicht der Retina 
eine Anlage zur Pigmentbildung. 

4. Die Ribbert-Schieck sehe Auffassung der 
schwach pigmentierten Sarkome als Jugendformen der Melano- 
sarkoine findet durch die von uns angegebene Methode bisher 
keine hinreichend sichere Bestätigung. 

5. Die La n g e r h a ii s sehen Zellen der Haut sind wahr¬ 
scheinlich unpigmentierte Melanoblasten. 

6. Die Zellen der Nävusnester zeigen keine Anlage zur 
Pigmentbildung. 

Literatur: 

1. Arnstein: Zit. nacli Kölliker. — 2. Bertarclli und 
Volpino: Zentralbl. -f. Bakt. Orig., B. 41. H. 1, 1906. — 3. E h r - 
mann: Das melanot. Pigment etc. Bibi. mcd. Abt. D. II, H. 6, 
1896, zit. nach Lubarsch: Erg. III, 1, 1896. — 4. J a r i s c h: Ucber 
Anatomie und Entwicklung des Obcrliautpigmcnts beim Frosche. 
Arch. f. Dermatol, u. Syphilis, Bd. XXIII, 1891. — 5. Kölliker: Handbuch 
der Gewebelehre. Leipzig 1889. S. 172 und S. 200. — 6. Langer- 
hans: Ueber die Nerven der menschlichen Haut. Virchows Arch., 

No. 37 




Bd. 44, 1868. — 7. Lauber: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte 
und’ Anatomie der Iris und des Pigmentepithels der Netzhaut, 
v. Graefes Arch. 68, I, 1908. — 8. Levaditi: Sur la colorations 
dii Spirochaete pallida (Schaudinn) dans les coups. Compt. Rend. de 
la Societ. de Biol. Tom. 59. — 9. Merkel: Tastzellen und Tast¬ 
körperchen bei den Haustieren und beim Menschen. Arch. i. mikr 
Anat., Bd. XI, 1875. — 10. K. M ü n c h: a) Ueber die muskuläre Natur 
des Stromazellennetzes der Uvea. Zeitschr. f. Augenheilk., Bd. XII, 
1904. b) Ueber die Innervation der Stromazellen der Iris, lbid., 
Bd. XIV, 1906. — 11. Post: Ueber die normale und pathologische 
Pigmentierung der Oberhautgebilde. Virchows Arch., Bd. 135, 1894. 

— 12. F. R e i n k e: Zellstudien. Arch. f. mikroskop. Anatomie, Bd. 43, 
1894. — 13. R i b b e r t: Geschwulstlehre. Bonn 1904, pag. 256 und 271. 

— 14. Rieke: Ueber Formen und Entwicklung der Pigmentzellen 
der Chorioidea. v. Graefes Arch., 37, I, 1891. — 15. F. Schi eck: 
Das Melanosarkom als einzige Sarkomform des Uvealtraktus. Mono¬ 
graphie. Wiesbaden 1906. — 16. Stöhr: Lehrbuch der Histologie. 
Jena 1901. — 17. W i e t i n g und H a m d i: Ueber die physiologische 
und pathologische Melaninpigmentierung etc. Zieglers Beitr., Bd. 42, 
1907. 

Aus dem Institut für Krebsforschung in Heidelberg (Direktor: 

Wirkl. Geheimrat Prof. Dr. Czerny, Exzellenz). 

Ueber den Einfluss der Fulguration auf die Lebens¬ 
fähigkeit von Zellen. 

Von Th. v. W a s i e 1 e w s k i, a. o. Professor, Leiter der 
II. Abteilung des Instituts für Krebsforschung und L. Hirsch- 
f e 1 d, Dr. med., Assistent der II. Abteilung. 

Die Aufnahme der Besitzung (Fulguration) unter die 
therapeutischen Hilfsmittel der Krebsbehandlung legte den 
Versuch nahe, die biologische Wirksamkeit der Fulguration an 
verschiedenen Zellarten zu prüfen. 

Auf Veranlassung des Direktors des Instituts für Krebs¬ 
forschung Herrn Geh. Rat Prof. Dr. Czerny, Exzellenz, haben 
wir seit Dezember 1907 mit den für die Geschwulsttherapie 
verwendeten Apparaten eine Reihe von Experimenten in dieser 
Richtung angestellt. 

Die Wirkung von Reizen auf lebende Zellen kann entweder 
durch Beobachtung der feineren Struktur oder durch Ver¬ 
änderungen ihrer Funktion festgestellt werden. Als sicherster 
Massstab einer vitalen Zellschädigung kann die Aufhebung der 
Vermehrungsfähigkeit gelten. Wir entschieden uns deshalb 
für eine Versuchsanordnung, welche bestimmt, wie lange Zeit 
elektrische Entladungen in der bei der Fulguration geübten 
Weise eine Zellart treffen müssen, um ihre Vermehrungsfähig¬ 
keit aufzuheben. 

Diese Frage lässt sich am leichtesten an kultivierbaren 
Protisten entscheiden. Es wurden deshalb zunächst Bakterien 
und Hefen auf geeigneten Agarnährböden der Beblitzung aus¬ 
gesetzt und zwar: 

Bacterium fluorescens, 

Bacterium typhi, 

Bacterium coli, B. prodigiosum, 

Micrococcus neoformans, 

Staphylococcus aureus, 

Saccharomyces neoformans. 

Dabei stellte sich heraus, dass gut entwickelte Kulturen 
mit zahlreichen Bakterien eine 15 Minuten dauernde Beblitzung 
ertragen, ohne abgetötet zu werden. Von Micrococcus neofor¬ 
mans blieb eine 24 ständige Kultur auch nach 30 Minuten langer 
Fulguration lebensfähig. Streicht man jedoch eine Oese von 
einer 24 ständigen Kultur auf einer etwa 1 qcm grossen Agar¬ 
fläche aus und fulguriert sofort 10 Minuten lang, so bleibt das 
Wachstum aus. Es sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, dass 
es uns bisher nicht gelungen ist, irgend eine Bedeutung des 
Micrococcus neoformans Doyen für die Geschwulstbildung 
nachzuweisen. Zwar wurden einige Male Mikrokokken aus 
Menschen- und Tiergeschwülsten isoliert, welche einige Aehn- 
lichkeit mit den von Doyen-Gobert beschriebenen be- 
sassen. Sie erwiesen sich jedoch ebenso wie die von Doyen 
dem Institut freundlichst übersandten Reinkulturen im Tier¬ 
versuch als äusserst harmlose Bakterien, ohne jemals auch nur 
geschwulstähnliche Veränderungen hervorzubringen. 

Die Bestrahlung des Saccharomyces neoformans Sanfelice, 
dieser zwar tierpathogenen aber nicht tumorbildendcn 
Hefeart, führte gleichfalls. nur dann zur Abtötung der Hefe- 

2 


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1922 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


zellen, wenn eben ausgestrichene oder 4stündige Kulturen 
fulguriert wurden. Dagegen widerstanden 30stündige Kul¬ 
turen in gleicher Weise wie gut entwickelte Bakterienkulturen. 

Es kann infolge dessen der Fulguration eine besonders 
energische keimtötende Kraft den geprüften Protophyten 
gegenüber nicht zuerkannt werden. Dagegen ist sie anschei¬ 
nend im Stande, vereinzelte oberflächlich ausgebreitete und 
dem Funken auf der Agaroberfläche leicht zugängliche pflanz¬ 
liche Parasiten bei genügend langer Einwirkung zu töten. 

Bei tierischen Zellen war es leichter möglich, durch die 
mikroskopische Untersuchung Schädigungen direkt nachzu¬ 
weisen. Hierfür wurden zunächst Amöben- und Ziliaten- 
kulturen gewählt, welche in Symbiose mit einer Bakterienart 
(B. fluorescens) auf Agarplatten gezüchtet waren. 

Die benutzte Amöbe war aus einem Strohinfus nach der Methode 
von Mouton isoliert. Sie entspricht in ihrem Aussehen und Ver¬ 
halten bei der Teilung fast vollkommen der zuletzt von V a h 1 - 
kampf genauer beschriebenen Amoeba Umax, ist jedoch keine 
typische Amöbe, sondern eine Uebergangsform zwischen Amöben und 
Mastigamöben. Sobald ihr nämlich ein ausreichend flüssiges Kultur¬ 
medium zur Verfügung steht, bildet sie zwei Üeisseln aus, die sie 
anfangs nachschleppt, später jedoch wie eine Bodoart an ihrem 
Vorderende trägt. Besonders reichlich tritt die Flagellatenform auf, 
wenn man eine Amöbenaufschwemmung in einer schwachen Salz¬ 
lösung herstellt. Bei der Vermehrung der Amöbe auf der Agarplatte 
werden auffallend häufige Dreiteilungen des Kernes neben Zwei¬ 
teilungen, welche die Regel bilden, und seltenen Vierteilungen be¬ 
obachtet. 

Die aus Heuinfus isolierten Ziliaten gehören der Gattung Col- 
pidium an und sind mit C. colpoda zu identifizieren; sie nehmen 
auf dem halbfesten Nährsubstrat eigenartige amöbenähnliche Formen 
an und führen fliessende bis kriechende Bewegungen unter mannig¬ 
faltigen Formveränderungen ihres Körpers aus, so dass ihre Ziliaten- 
natur nicht auf den ersten Blick klar wird. Die Züchtung in ge¬ 
mischten Reinkulturen, mit B. fluorescens zusammen, gestattet ohne 
Mühe ihre Entwicklung zu verfolgen* in der echte Amöboidstadien 
und Sporenbildung, wie sie Rhumbler beschrieb, fehlen. 

Die vegetativen Formen der Amöben werden durch die 
Fulguration in kurzer Zeit (10—15 Minuten) getötet. Sie sterben 
unter Erscheinungen der Plasmolyse; grosse Vakuolen treten 
im Zytoplasma auf, das einreisst und in koagulierten Fetzen 
um den widerstandsfähigeren Kern hängt. Trotz der Zer¬ 
störung der zarten Zellschicht welche auf 24 ständigen Kulturen 
den Agar bedeckt, wird die Kultur nicht völlig abgetötet. Es 
bleiben offenbar einzelne Individuen verschont und entwick¬ 
lungsfähig, wenn die Fulguration nicht lange genug fortgesetzt 
wird. 

Da, wie schon erwähnt, auch die Futterbakterien die 
Fulguration überstehen, so entwickelt sich nach einiger Zeit 
von neuem eine üppige Amöbenkultur. Fulguriert man jedoch 
einen engeren Bezirk energischer, beispielsweise ein Agar¬ 
stück von 1 cm Durchmesser 15 Minuten lang, so werden so¬ 
wohl eben übertragene, wie 18 Stunden alte Kulturen, ja selbst 
Dauerformen getötet. Noch empfindlicher sind die Ziliaten- 
kulturen; sie erliegen im Alter von 24 Stunden wie auch als 
enzystierte Formen einer 10 Minuten langen Beblitzung. 

Schwieriger als bei Protozoen ist bei Metazoenzellen die 
Prüfung der Widerstandsfähigkeit gegen Fulguration. Ohne 
sehr mühsame und mit zahlreichen Fehlerquellen behaftete 
histologische Untersuchungen lässt sich der Umfang der Tötung 
normaler Qewebszellen schwer objektiv nachweisen. Leichter 
gelingt dies bei den krankhaft wuchernden Geschwulstzellen 
des Mäusekrebses. Hier kann durch Uebertragungsversuche 
nachgewiesen werden, wie weit die Fulguration imstande ist, 
die Vermehrungsfähigkeit der Tumorzeilen zu vernichten. 

Wir suchten zunächst festzustellen, ob die Fulguration die 
Geschwulstzellen in vitro abzutöten vermag. Wenn man 
Scheiben der Mäusekrebsgeschwulst in der Petrischale fulgu¬ 
riert, so erhält man durch nachträgliche Verimpfung einen Mass¬ 
stab für die Störungen der Lebensfähigkeit der Geschwulst¬ 
zellen und je nach der Dicke der Geschwulstscheiben einen An¬ 
halt für die Tiefenwirkung. 

Bei diesen Fulgurationsversuchen wurde mit denselben 
Stromstärken gearbeitet, welche für die Fulguration der 
Menschentumoren durch Geh. Rat Czerny angewandt und in 
2 Veröffentlichungen ‘) beschrieben wurden. Annähernd gleich 

') Czerny: Lieber die Blitzbehandlung der Krebse. Münch, 
nied. Wochcnschr. No. 6, 1908. 


grosse Tumorstücke von 0,02 g bis 0,04 g Gewicht wurden mit 
einer verhältnismässig grossen Impfkanüle (hergestellt von 
Dröll, Heidelberg) unter die Rückenhaut geschoben, weil hier 
die Tumorbildung am leichtesten kontrolliert, eine Verletzung 
des Tumors am leichtesten vermieden werden kann. Um eine 
Infektion der grossen Einstichöffnung zu vermeiden, wurden 
die Haare auf der Einstichstelle (Gegend der linken Becken¬ 
hälfte) vorher entfernt und die Wunde leicht verschont. 

Als Transplantationsmaterial diente eine als Stamm E im 
Institut seit längerer Zeit fortgezüchtete Geschw ulst. 

Da die Uebcrtragung auf Mäuse sehr verschiedener Her¬ 
kunft vorgenommen werden musste, so sind die einzelnen Ver¬ 
suche unter sich nicht ohne weiteres zu vergleichen. Es 
wurden jedoch in jeder Versuchsreihe grössere Zahlen (30 bis 
60) Mäuse derselben Zucht verwendet (nur der erste orien¬ 
tierende Versuch beschränkte sich auf 20 Mäuse); man kann 
daher nach dem Verhalten der mit unbestrahltem Material ge¬ 
impften Kontrollmäuse den Einfluss der Fulguration in vitro 
schätzen. 

Eine intensive Beblitzung 3 4 mm dicker Tumorscheiben 
von ungefähr 5 Pfennigstückgrösse wurde 10 -15 Minuten lang 
im allgemeinen gut vertragen. Sie reichte zwar einmal aus 
(Versuch III), um ebenso wie eine 20 Minuten dauernde Be¬ 
strahlung desselben Materials die Uebcrtragung unwirksam zu 
gestalten, während von 9 mit unbestrahltem Material geimpften 
Kontrollmäusen 3 einen Tumor bekamen. Aber diesem einen 
negativ verlaufenden Versuch stehen 3 andere gegegeniiber, 
in welchen nach io und 15 Minuten langer Bestrahlung die 
Transplantation eher bessere als schlechtere Erfolge hatte als 
ohne Bestrahlung. So entwickelten sich Tumoren in 
Versuch IV bei 2o Proz. der nicht- 
.02 . . 0» Min. 

v : S! : : * h ,: •«»/ahii«. 

ei i m;.. Mucke 


In 2 anderen Versuchen ging freilich nach 15 Minuten 
die Transplantationsfälligkeit zurück und zwar einmal von 50 
auf 20 Proz. (Versuch I) ein anderes Mal von 77,7 auf 00 Proz. 
(Versuch VI). Regelmässiger war dieser Rückgang bei 
20 Minuten langer Bestrahlung . Bei 3o Minuten langer Be¬ 
strahlung scheint endlich die Grenze erreicht zu sein, bei der 
die Bestrahlung 3—4 mm dicker Geschwulstscheiben in der 
Petrischale häufig die Vermehrungsfähigkeit der (ieschwulst- 
zcllen vernichtet; freilich hat in diesen Fallen die Eintrocknung 
und Erhitzung des Materials bereits einen recht erheblichen 
(irad erreicht. Eine Abweichung von diesem Ergebnis (Ver¬ 
such VIII, IX, X) zeigten Versuch II und IV in welchem trotz 
30 Minuten langer Bestrahlung eine Tumorentwicklung beob¬ 
achtet wurde; wodurch die enorme Widerstandsfähigkeit in 
diesen beiden Fällen bedingt war, konnte nicht festgestellt 
werden. 

Bei den gewählten Versuchsbedingungen in vitro kommen 
neben der Beblitzung zwei Einflüsse zu besonders starker 
Wirkung, nämlich die Erw ärmung und Austrocknung. Da beide 
auch ohne Fulguration imstande sind Geschwulstzellen abzu¬ 
töten (dies wurde bereits von Jensen, I.oeb u. a. festge¬ 
stellt) so versuchten wir diese Faktören auszuschalten. Dies 
wird zum Teil erreicht, wenn man die Tumorteile nicht in vitro 
sondern in ihrer natürlichen Lage am Mäusekorper bestrahlt; 
freilich muss man dann auf eine genaue Messung der Tiefen¬ 
wirkung verzichten, wenn auch durch Abtragung dicker 
Tumorstücke der Versuch gemacht wird, die Geschwulst- 
Scheiben in situ gleich dick zu gestalten wie diejenigen in vitro. 
Dies scheitert aber bisw eilen an dem Umstand, dass der Tumor 
durch die Muskulatur in die Bauchhöhle hmeir.gew achsen ist 
und hier erst bei der Entnahme des bestrahlten Stuckes ge¬ 
funden wird. Man ist auch nicht imstande, eine so starke 
Konzentrierung der Fulgurationsw irkung auf einigermassen 
gleichbleibende Gewebsmengen zu erreichen; es zeigte sich 
denn auch, dass die 20 und 3n Minuten in situ bestrahlten 
Geschwulstzellen nicht getötet wurden. Beispielsweise traten 
nach 30 Minuten langer Bestrahlung des Tumors in situ bei 


Czerny: lieber die Bhtzbehan Jiung 
f. klin. Chirurgie, Bd. 86, Fl. 3. 1908. 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1923 


3 von 6 Mäusen Tumoren auf, während freilich die Kontrolle 
einen Impferfolg von 88 Proz. (6 von 7 Tieren) ergab. 

Die Hitzewirkung lässt sich, wie das auch klinisch zur 
Ausführung kommt, sehr gut durch gleichzeitige Kohlensäure¬ 
anwendung aufheben. Da die Tumorzellen durch Abkühlung 
nicht geschädigt werden, erwiesen sich die Geschwulststücke 
in vitro gegen COz-Einwirkung sehr widerstandsfähig; so be¬ 
wirkte 30 Minuten langes Gefrieren durch den COs-Strahl keine 
Abnahme der Impfausbeute, die wie bei der Kontrolle 60 Proz. 
ergab. Nachdem so die Unschädlichkeit der isolierten COs- 
Wirkung nachgewiesen war, wurde ihre Anwendung mit der 
Fulguration kombiniert. Dabei zeigte sich, dass die so be¬ 
handelten Tumorstücke nach 15 und 20 Minuten eine günstigere 
Impfausbeute ergaben als die unbehandelten Kontrollen. Das 
kann bei den kleinen Zahlen ein Zufall sein, beweist aber wohl 
auf jeden Fall, dass die Fulgurationswirkung durch gleich¬ 
zeitige Anwendung der CO 2 abgeschwächt wird. 

Versuch VII: 

Unbestrahltes Material: 4 Tumoren bei 9 Mäusen — 44,4Proz. 

15 Min. vmit Fulguration -j- CO« 

behandeltes Material: 5 „ » 9 „ — 55,5 „ 

Versuch XI: 

Unbestrahltes Material: 6 Tumoren bei 10 Mäusen — 60 Proz- 

20 Min. fulguriertes Material: 4 „ , 10 „ —40 „ 

20 „ Fulguration -f- CO«: 8 „ „ 9 „ —88,8 „ 

30 „ „ + CO«: 4 „ * 10 —40,0 „ 

Dagegen nahm, wie aus den oben angeführten Zahlen 
hervorgeht, die Ausbeute nach 30 Minuten dauernder Ein¬ 
wirkung der Fulguration 4- CO 2 etwas ab. In einem anderen 
Versuch (X) blieb sie dagegen auch nach diesem Zeitraum auf 
der Höhe der Kontrolle (40 Proz.) während die Fulguration 
ohne COs nach 30 Minuten alle lebenden Zellen zerstört hatte, 
die Impfung erfolglos (0 Proz.) blieb. 

Die Versuchsbedingungen lassen sich natürlich noch in 
anderer Weise verändern; wir möchten aber auf diese Einzel¬ 
heiten an dieser*Stelle nicht eher eingehen, als bis uns grössere 
Reihen zur Verfügung stehen. Von Interesse ist es vielleicht 
schon jetzt auf einige Versuche hinzuweisen, welche einen Ver¬ 
gleich der Empfindlichkeit der Mäusegeschwulstzellen gegen 
Strahlen verschiedener Art ermöglichen. So stellte sich her¬ 
aus, dass Radiumstrahlen erst nach 3 Stunden eine ähnliche 
Wirkung entfalten wie die Fulguration (ohne CO 2 ) nach 
30 Minuten, nämlich das Gewebe abtöten. In derselben Ver¬ 
suchsreihe blieben 30 Minuten mit Fulguration 4- CO 2 sowie 
60 Minuten mit Röntgenstrahlen behandelte Tumorzellen völlig 
unversehrt und ergaben wie die unbehandelten Kontrollen eine 
Impfausbeute von 40 Proz. 


Ueber eine häufige, bisher anscheinend unbekannte 
Erkrankung einzelner kindlicher Knochen.’") 

Von Dr. Alban Köhler - Wiesbaden. 

In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit drei Fälle einer 
Skeletterkrankung zu untersuchen und in ihrem Verlaufe zu 
verfolgen, die ein bestimmtes Krankheitsbild darboten, wie es 
bisher noch nicht bekannt zu sein scheint. 

Es handelte sich um Knaben im Alter von 5—9 Jahren. Fall I 
stammt aus schwer tuberkulös belasteter Familie, Fall III stammt von 
angeblich gesunden Eltern ab, Fall II ebenfalls von gesunden Eltern, 
doch gibt der Vater an, kurz, bevor er den Knaben zeugte, an 
Gonorrhöe gelitten zu haben. 

Alle drei Patienten klagten über mehr oder weniger heftige 
Schmerzen in der Gegend der medialen Hälfte des Dorsum pedis, 
vorwiegend in der Gegend des Os naviculare. Die Beschwerden 
waren nicht nur bei Tage beim Auftreten zu spüren, sondern auch 
zuweilen nachts recht stark. Bei Fall III waren ausser den Fuss- 
beschwerden, hier an beiden Füssen, auch noch Schmerzen an beiden 
Knien, Gegend der Patella, vorhanden. Bei mässigem Druck mit 
der flachen Hand pflegten die Schmerzen gemildert zu werden. 

Fall I ist der jüngste, Fall II der älteste, Fall III der jüngste von 
mehreren Geschwistern. 

Die Patienten sehen gesund aus, Zeichen iiberstandener Rachitis 
lassen sich nicht sicher nachweisen, auch wissen die Eltern nicht an¬ 
zugeben, dass die Kinder besonders spät laufen gelernt hätten. Fall II 


*) Nach einem auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen 
Röntgengesellschaft gehaltenen Vortrage, einschliesslich des Ergeb¬ 
nisses der Diskussion und weiterer Studien. 


hat auch sonst keine Kinderkrankheiten durchgemacht. Die Form der 
erkrankten Füsse war verschieden, hier mehr der Plattfussform sich 
nähernd, dort mehr der Hohlfussform. Die Patienten wurden dem 
Verfasser 6 Wochen bis mehrere Monate nach Beginn der Beschwer¬ 
den, die die Patienten zu einem leichten Hinken zwangen, zur Röntgen¬ 
untersuchung zugeführt. 

Die Patienten sahen im allgemeinen ganz gesund und gut ent¬ 
wickelt aus, auch der mit hereditärer tuberkulöser Belastung. 

An den schmerzhaften Stellen am Fussrücken (und an den 
Knien) Hess sich äusserlich sowohl durch Inspektion wie Palpation 
nichts Auffallendes feststellen. Bei kräftigem Fingerdruck auf die 
Gegend des Os naviculare wurden Schmerzen geäussert. 

Die Röntgenuntersuchung ergab einen recht eigenar¬ 
tigen, und zwar am Fuss in allen drei Fällen ganz genau den gleichen 
Befund. Ueberall zeigte sich das Os naviculare in die Augen fallend 
erkrankt, während alle anderen Knochen des Fusses einen normalen 
Anblick boten. Das Navikulare war in vierfacher Beziehung ver¬ 
ändert und zwar in seiner Grösse, seiner Gestalt, seiner Architektur 
und seinem Kalkgehalt. 



Fig. 1. Fall 1. Erkranktes Os naviculare. 


Die Grösse betrug ein Viertel bis die Hälfte des Normalen. 

Die Gestalt war ganz unregelmässig, verschmälert, teils mit 
höckeriger, zackiger Kontur. 

Kortikalis und Spongiosa waren ineinander verschmolzen, über¬ 
haupt war von einer Architektur so gut wie nichts mehr zu er¬ 
kennen. 

Der Kalkgehalt war, nach der Dichte des Röntgenschattens, als 
verdoppelt oder vervierfacht anzunehmen. 

In dem einen Falle (Fall III), bei dem auch die Knie in Mit¬ 
leidenschaft gezogen waren, zeigte das Röntgenogramm an den Pa- 
tellae ganz analoge Veränderungen. In diesem Falle III trat die 
Krankheit übrigens symmetrisch auf, es waren also zugleich beide 
Patellae und beide Ossa navicularia pedis in derselben Weise be¬ 
fallen. 



Fig. 2. Fall 2. Erkranktes Os naviculare. 

Eine autoptische, mikroskopische oder bakteriologische Unter¬ 
suchung konnte nicht vorgenommen werden, da die Beschwerden sich 
durch die Behandlung, Schonung der betreffenden Gliedmassen, bes¬ 
serten, um schliesslich ganz nachzulassen. 

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1924 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


Der Krankheitsverlauf zog sich auf 2—3 Jahre hin und wurde 
durch keine Komplikationen gestört. Es erfolgte Heilung und zwar 
bestand dieselbe nicht nur im klinischen Sinne, sondern wie die Rönt¬ 
genbilder anzunehmen zwingen, auch in anatomischem Sinne. 



Fig. 3. Fall 3. Erkranktes Os naviculare. 

Die Prognose des Leidens ist also durchaus günstig zu 
stellen. 


Was die Aetiologie des seltsamen Krankheitsbildes anbe¬ 
trifft, so lässt sich aus diesen drei Fällen um so weniger folgern, 



bruders. 


als betr. der Heredität alle drei Fälle verschieden dastehen. 
Immerhin verdient die Tatsache Beachtung, dass der \ater des 
einen Patienten kurz vor Zeugung desselben gonorrhoisch in¬ 
fiziert gewesen war. 

Am meisten interessiert uns wohl die eventuelle Natur der 
Krankheit im Vergleich zu den bisher bekannten Ahektionen des 
Skeletts. Wer über eine jahrzehntelange Erfahrung in rönt¬ 
genologischer Diagnostik verfügt, dem drängt sich beim Be¬ 
trachten der Röntgenogramme die Leberzeugung auf, dass wir 
es hier mit einer Erkrankung sui generis zu tun haben müssen, 
die keiner der bisher bekannten gleicht oder auch nur ent¬ 
fernt ähnelt. 

Für Rachitis waren, obwohl die meisten Knochen der 
oberen und unteren Extremitäten untersucht wurden, keine An¬ 
zeichen vorhanden. Das Röntgenbild wies allenthalben nor¬ 
male Knorpeliugen aui. 

Ausschlüssen muss man ferner Myxödem und Mongolis¬ 
mus, in erster Linie schon nach dem äusseren und klinischen 
Befunde. Es handelte sich durchweg um gut begabte Knaben. 
Das Röntgenbild lässt keine Verzögerung in der Ossifikation 
der Knochenkerne erkennen. Das Navikulare ist zwar kleiner 



Fig. 7. Fall 3 n:»ch Ausheilung. 

als ein normales gleichen Alters, aber sein Aussehen hat nichts 
mit einem solchen verschleppter Ossifikation gemeinsam. 
Eher scheint es seine richtige (irosse gehabt zu haben, aber 
wieder „geschrumpft“ zu sein, l'ebrigens sind alle Knochen 
der Umgebung, sow eit sich das Rontgenhild beurteilen .lässt, 
normal entw ickelt. Diese Erscheinung ist uns beim Kretinis¬ 
mus und Mongolismus nicht bekannt. 

Eine Fraktur darf man wohl ebenfalls ausschliessen. Ein 
Trauma wurde von keinem Patienten angegeben. (Bemerkt 
sei nur, dass der eine Knabe ein fleissiger Fussballspieler war 
bis zu seiner Erkrankung.) 

An Osteomyelitis konnten schliesslich die Rontgenbilder 
noch am meisten erinnern, wenigstens an sklerotisch aus¬ 
heilende Osteomyelitis. Aber sowohl anamnestisch wie kli¬ 
nisch war kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, ausserdem 
würden wir im Höhestadium der Erkrankung akute Knochen¬ 
atrophie finden, wir haben aber das tiegenteil, osteosklerotische 
Prozesse, vor uns. Ferner fehlt jede Beteiligung des Peri¬ 
ostes. 

Noch mehr ist die Möglichkeit, es könne sich um Tuber¬ 
kulose handeln, auszuschliessen. Ein solches Rontgeiiogramm 
wäre höchstens bei seit Jahren ausgeheilter Tuberkulose ein¬ 
mal denkbar, im floriden Stadium niemals. Verfasser ist übri¬ 
gens im Besitze eines Röntgenbildes von Tuberkulose des Os 
naviculare, mit operativer Bestätigung. Nicht die entfernteste 
Aehnlichkeit mit den hier fraglichen Befunden waltet ob. 

Dass Lues in Betracht kommen könnte, ist ebenfalls un¬ 
wahrscheinlich, wenn auch Lues congenita der kurzen Fuss- 
knochen bisher röntgenographisch kaum gezeigt worden ist 
und man bei Lues noch auf manche Leberraschungen im 
Röntgenbilde gefasst sein muss. \ or allem aber würde wohl 
der Vater des einen Patienten, der. obwohl nicht gedrängt 
durch dahin zielende Fragen, bald angab, vor Zeugung seines 



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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1925 


Sohnes an Gonorrhöe gelitten zu haben, ebenso ruhig auch 
eine Lues eingestanden haben. Eher wäre denkbar, dass die 
Väter der beiden anderen Patienten eine Gonorrhöe ver¬ 
schwiegen hätten. 

Was nun den Verlauf und den Ausgang der Er¬ 
krankung anbetrifft, so konnte bei allen drei Patienten, 
deren Knochen ich wenige Wochen vor Abfassung dieser 
Arbeit röntgenographisch abermals untersuchen konnte, eine 
normale Grösse, normale Gestalt, normale Architektur und 
normaler Kalkgehalt der früher so erheblich veränderten 
Knochen im Röntgenbild bewiesen werden. Auch ohne das 
musste man die Patienten nach ihren Angaben, Gang und 
Fehlen der Beschwerden als geheilt betrachten. Die Krankheit 
hatte im Durchschnitt anderthalb bis zweieinhalb Jahre ge¬ 
dauert. 

Wie erwähnt, war in dem einen Falle auch die Patella in 
ganz gleiche Mitleidenschaft gezogen. In den anderen Fällen 
waren seinerzeit keine Beschwerden am Knie geklagt und des¬ 
halb damals auch die Kniee nicht untersucht worden. Daraus, 
dass in Fall I und II, wo jetzt die Kniee nachträglich unter¬ 
sucht wurden, daselbst nichts Pathologisches zu konstatieren 
ist, darf natürlich nicht geschlossen werden, dass die Pa- 
tellae auch damals unbeteiligt waren. (Allerdings ist jetzt 
in dem einen Falle die Kortikaliskontur der Patella nicht ganz 
scharf, sondern etwas rauh und höckerig, doch kann nach 
röntgenographischer Erfahrung solche Erscheinung ins Bereich 
des Normalen gehören.) 

Wie sich Verfasser von einem der bekanntesten Anatomen 
hat belehren lassen, existieren keine Arbeiten, die eine be¬ 
sondere Beziehung zwischen Os naviculare pedis und Patella 
als bestehend erscheinen lassen. 

Noch seltsamer gestaltet sich das Krankheitsbild durch das 
symmetrische Auftreten im Falle III, wo beide Patellae 
und beide Navikularia befallen waren. Aetiologisch muss man 
da also an eine zentrale Störung denken. In Frage kämen hier 
folgende Nerven: Die Fusswurzelknochen und ihre Ver¬ 
bindungen werden an der Dorsalseite vom Nervus peronaeus 
profundus, an der Plantarseite von den Nervi plantares me¬ 
diales und laterales versorgt. An der Versorgung des Knie¬ 
gelenks (ob auch der Patella, ist ungewiss) beteiligen sich die 
Nervi femoralis, tibialis, peronaeus und obturatorius. Ueber 
die Beziehungen dieser in Frage kommenden Nerven zu den 
Segmenten des Rückenmarkes ist nichts bekannt. Die Ana¬ 
tomie lässt auch hier im Stich. 

Ueber die Beschwerden an den Händen wurde seinerzeit 
nicht geklagt, von keinem der Patienten. Nur jetzt, nachdem 
der Prozess an den Beinen geheilt! klagt Fall III über Schmer¬ 
zen an den Handwurzeln, besonders der einen Seite. Die 
sofort aufgenommenen Röntgenbilder scheinen: ganz normal zu 
sein. (Dem Os naviculare pedis entspricht an der Hand das 
Os centrale oder, wenn dieses fehlt, ein Teil des Os naviculare 
manus.) 

Es hat, so lange nicht noch weitere Fälle beobachtet sind, 
die sicher noch neue Momente in Anamnese, klinischem und 
Röntgenbefunde hinzubringen werden, keinen Zweck, sich 
hier in längeren Vermutungen über die Natur des Leidens zu 
verbreiten. Vielleicht aber hat die kurze Erörterung genügt, 
Ihnen zu zeigen, dass wir es hier mit einem geschlossenen 
Krankheitsbilde zu tun haben, das bisher nicht bekannt war. 
Wenn einem Untersucher aber in wenigen Jahren drei solcher 
Fälle begegnen, so darf man wohl mit Recht die Krankheit 
als eine häufige bezeichnen. 

Eine histologische und bakteriologische Untersuchung hat 
unter den obwaltenden Umständen nicht vorgenommen werden 
können. Vielmehr hat der Verlauf gezeigt, dass ein operativer 
Eingriff ein direkter Fehler gewesen wäre. Und das ist das 
praktische Resultat der Untersuchungen, die Kollegen zu 
warnen, bei Röntgenbefunden, wie den gezeigten, operativ 
helfen zu wollen. 

Soweit ging Verfassers Vortrag auf dem Röntgenkongress (1908). 
In der sich anschliessenden Diskussion gab ein Redner in be¬ 
stimmten Worten die Erklärung ab: „Das Krankheitsbild ist von 
Recklinghausen schon genau beschrieben. Es handelt sich 
offenbar um infantile Osteomalazie. . . . Jedenfalls ist es kein neues 
Krankheitsbild, es ist den pathologischen Anatomen bekannt.“ Solch 


kurze bestimmte Erklärung musste zweifellos bei den Zu¬ 
hörern den Anschein unbedingter Richtigkeit erwecken und den Vor¬ 
trag des Redners als wertlos und oberflächlich erscheinen lassen. Da 
die Röntgenbilder meiner Fälle einen hochgradig osteo skleroti¬ 
schen Prozess offenbart hatten, so war ich auf den Einwand, es 
handle sich um Osteo m a 1 a z i e, nicht gefasst und konnte ihn nicht 
sofort in gebührender Weise widerlegen. Jetzt, wo ich die ganze 
Literatur über die Recklinghausen sehe infantile Osteomalazie 
durchgegangen und mit Recklinghausen selbst eingehend kor¬ 
respondiert h^be, kann ich nicht umhin, jene Erklärung vorläufig als 
vage Hypothese zu bezeichnen. 

Ein anderer Diskussionsredner, Herr S t i e d a - Königsberg, gab 
zu bedenken „ob es sich nicht um eine ganz normale Wachstums- 
! erscheinung handle“. Er habe ähnliche Sachen auch am Kalkaneus 
gesehen und die Fälle allerdings nicht weiter verfolgt. Er habe diese 
Befunde aber damals für ausgeprägte Wachstumsveränderungen 
gehalten. 

Diese letztere Ansicht scheint mir der Wahrheit näher zu kom¬ 
men. Nur dürfte man m. E. eine Affektion, die ein bis zwei Jahre hin¬ 
durch dem Patienten fortgesetzt stärkere Beschwerden macht, nicht 
als ganz normale Wachstumserscheinung bezeichnen; der Ausdruck 
„Anomalie“ trifft die Sache schon eher; aber schliesslich hat auch 
jede Anomalie eine bestimmte Ursache. Am schwierigsten ist ja wohl 
die Frage, weshalb das Leiden gerade die genannten 2 Knochen be¬ 
fällt, während die anderen ganz normal erscheinen, v. Reckling¬ 
hausen schreibt mir dazu: „Die in Ihren Fällen betroffenen Knochen 
sind bekanntlich diejenigen, welche am spätesten den Knochenkern 
bekommen, in welchen die Metamorphose des Knorpel- zum 
Knochengewebe im Gegensätze zu den übrigen Extremitäten¬ 
knochen zuletzt fertig wird schon unter physiologischen Verhält¬ 
nissen. Da in dieser Verspätung des Einsatzes des Kernes der ge¬ 
nannten Knochen das mittlere Os cuneiforme pedis und das Os tra- 
pezoides manus nahe Stehen, so Hesse sich vorkommenden Falles das 
Augenmerk auch auf diese Knochen bei der Röntgenaufnahme richten 
und so vielleicht die Probe aufs Exempel machen“. Ich habe daraufhin 
meine Röntgenogramme durchgesehen ohne entsprechenden Erfolg, 
vielleicht aber gelingt es einem Nachuntersucher am Cuneiforme II 
oder am Trapezoide den gleichen Prozess zu entdecken. 

Ich habe nun meine Sammlung von Röntgenplatten, die in 
9 Jahren gewonnen worden sind, nochmals mit Rücksicht auf 
ähnliche Affektionen untersucht und nur ein Pathologikum ge¬ 
funden, das zu dem von mir beschriebenen Krankheitsbild ge¬ 
hören könnte. Es handelt sich hier um Fälle, die klinisch eine 
tuberkulöse Koxitis vortäuschten, aber auffallend schnell und 
gut ausheilten, so dass ich meine Zweifel, dass ein tuber¬ 
kulöses Leiden vorlag, nicht unterdrücken konnte. Solche 
Fälle finden sich mit Beifügung der Röntgenogramme in Ver¬ 
fassers Atlas des Hüftgelenks (Hamburg 1905), Tafel V, Figg. 3 
und 4, sowie 8 und 9, beschrieben. Ich habe inzwischen einen 
weiteren derartigen Fall beobachtet, dessen anscheinend enorme 
Veränderungen an der Femurkopfepiphyse kaum in Einklang zu 
bringen sind mit dem klinischen Befund und den geringfügigen 
Beschwerden. Von diesen drei Fällen handelte es sich bei dem 
einen um ein hochgradig rachitisches Kind aus einer hochgradig 
rachitischen Familie; bereits der Vater war schwer rachitisch 
gewesen und hatte erst mit 4 Jahren laufen gelernt. Sollte 
die Rachitis eine Prädisposition für unsere Krankheit schaffen 
— wie sie es für viele Knochenerkrankungen (Barlow, 
O 11 i e r u. a.) zu tun scheint —, so ist es immerhin merk¬ 
würdig, dass in den anderen Fällem gar keine Anzeigen von 
Rachitis auf den Röntgenbildern zu sehen sind, auch nicht da, 
wo die Patienten im Höhestadium der Erkrankung untersucht 
wurden. 

Es ist nicht zu erwarten, dass bei der beschriebenen Krank¬ 
heit — wenn einmal eine mikroskopische Untersuchung zu Ge¬ 
bote stehen wird — sich Verhältnisse ergeben, die von allem 
bisher Bekannten total abweichen, aber so viel scheint doch 
festzustehen, dass das ganze Krankheitsbild seiner Lokalisation 
und seinem Verlaufe nach ein feststehendes, fest umgrenztes 
ist, das in seinen Symptomen bisher noch nicht als solches 
beschrieben worden ist. 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


1926 


Aus dem Kgl. Universitätsinstitut für spezielle Pathologie und 
innere Medizin zu Padua (Vorstand: Prof. Dr. L. L u c a t e 11 o). 

Beitrag zur Kenntnis der drucksteigemden Substanzen. 

Eine spezifische Reaktion des Adrenalins. 

Von Dr. Giuseppe Comessatti, Assistent. 

In den modernen chemischen und physiologisch-chemischen 
Handbüchern findet sich nichts über eine Reaktion des Adrena¬ 
lins, deren Beobachtung mir erst vor kurzem gelungen ist und 
deren Spezifität ich gleichzeitig sichergestellt habe. 

Die neue Reaktion wird in folgender Weise ausgeführt: 
Man verdünnt 3 —4 Tropfen einer frischen 1 prom. Adrenalin¬ 
lösung (Adrenalin Takamine, Clin.) mit 6—8 ccm destillierten 
Wasser, fügt einige Tropfen von einer wässerigen Sublimat¬ 
lösung von 1—2 Prom. hinzu und schüttelt etwas: nach 1 bis 
3 Minuten tritt eine diffuse rötliche Färbung auf, die mehrere 
Stunden, ja sogar Tage andauert. 

Einfache, wässerige Adrenalinlösungen, ohne Sublimat, 
bleiben für eine gewisse Zeit, die zwischen einer halben Stunde 
und zwei Stunden schwankt, farblos und zeigen dann die 
rötliche Färbung, die wahrscheinlich auf die Bildung von 
Oxyadrerialin (B a 11 e 11 i) zu beziehen ist. 

Diese rötliche Färbung ist mit derjenigen, die bei sublimat¬ 
enthaltenden Eprouvetten hervortritt, fast vollständig gleich, 
obwohl nicht ganz so stark. 

Wässerige Brenzkatechinlösungen (1 prom. Brenzkatechin¬ 
lösung 1—2 Tropfen, H*0 ccm 8) zeigen nach Hinzutiigung der 
Sublimatlösung eine bald auftretende und dauerhafte grünliche 
Färbung. 

Wässerige Mischungen von Adrenalin und Brenzkatechin 
(2—3 Tropfen Adrenalinlösung, 2-3 Tropfen einer 1 prom. 
Brenzkatechinlösung, 4- 8 ccm HaO) verhalten sich nach Hin¬ 
zufügen der Sublimatlösung in gleicher Weise wie die ein¬ 
fachen Adrenalinlösungen: nach 1—3 Minuten tritt eine röt¬ 
liche, nicht verschwindende Färbung auf. 

Behandelt man Salizylsäure- und Resorzinlösungen 
(wässerige) mit Sublimat, so beobachtet man Färbungen, die 
von derjenigen der Adrenalinlösungen sehr deutlich sich unter¬ 
scheiden. 

Es ergibt sich daraus, dass die neue *) Sublimat- 
reaktion eine für das Adrenalin spezifische ist, deshalb hat 
sie den Wert einer differentiellen Reaktion. Die Sublimatprobe 
ist ausserdem imstande, auch die Anwesenheit von Adrenalin 
bei Lösungen, die gleichzeitig Brenzkatechin enthalten, nach¬ 
zuweisen. 

In Bezug auf die Empfindlichkeit dieser Probe, die ich 
vorschlage, habe ich sichergestellt, dass diese im Vergleich mit 
der V u 1 p i a n sehen Reaktion nicht minderwertig ist: Adrena¬ 
linlösungen, welche auf 0,0025 g pro 1000 verdünnt wurden 
(1 Tropfen Adrenalinlösung Takamine 4- 20 ccm HsO) ergaben 
mir noch einen positiven Befund; bei so verdünnten Adrenalin- 
lösungen ist die V u 1 p i a n sehe Reaktion dagegen zweifelhaft, 
jedenfalls eine rasch vorübergehende: die Färbung bei der 
Sublimatprobe ist eine dauerhafte. 

Aus diesen chemischen Untersuchungen ergibt sich leicht 
und überzeugend die Erklärung der neuerdings von B a d u e 1 *) 
und auch von mir wahrgenommenen Tatsache, dass die Neben¬ 
nieren von gesunden Individuen, in Sublimatlösung eingelegt, 
nach einer Stunde eine rötliche Färbung der Flüssigkeit er¬ 
zeugen, die nach 2—3 mal wiederholter Erneuerung der 
Flüssigkeit verschwindet; behandelt man dagegen Nebennieren 
von nephritischcn Individuen (Nephritis chronica) in gleicher 
Weise, so bekommt man eine kupferrote Färbung, die erst nach 
15- 20 mal wiederholter Erneuerung der Sublimatlösung ver¬ 
schwindet. 

Auf Grund meiner oben zitierten Untersuchungen ist diese 
Färbung als eine für Adrenalin spezifische zu betrachten: das 


') Die Neuheit bestellt darin, dass die bekannte l’mw amlhmg des 
Adrenalins unter Einiluss verschiedener Faktoren (Luit, Warme, 
Alkalien usw.) in eine rote Substanz bisher nicht fiir spezifisch ge¬ 
halten wurde und dass Sublimatlosimgen dieselbe Umwandlung des 
frischen Adrenalins rasch bewirken und zu einer genauen Dosierung 
des Adrenalins, auch des der Nebennieren, „in situ" dienen können. 

*) Ha d uel: Riv. crit. di Clin. med.. August luus. 


Adrenalin geht vom Nebcnnicrcugew'ehe in die Sublimatlösung 
über und gibt die rötliche, kupferähnliche Färbung. 

Deshalb ist man zum Schluss berechtigt, dass d i e 
Nebennieren von N e p h r i t i k c r n, bei denen S c h u r 
und W i c s e 1 [ 1), (i n I d z i e h e r und M o ! n a 1 [21. 

Baduel [3] und ich selbst eine Hyperplasie des Nebennieren¬ 
markes konstatieren konnten, eine bei weitem gros¬ 
sere A d r e n a 1 i n m c n g e als die N e h e n nur e n der 
gesunden u n d nicht n e phri t i sc heu I ndividu e n 
enthalten. 

Dieser chemische Befund, den ich wahrgenommen und zu¬ 
erst erklärt habe, ist noch beweiskräftiger als der histologische. 

Auf Grund dieser Beobachtungen erhält die Lehre der 
Nebennierenhypersekretion von drucksteigernden, adrenahn- 
artigen Substanzen im Verlaufe der Nierenentzündungen (ins¬ 
besondere bei chronischen Nephritiden) eine wesentliche und 
unleugbare Stütze. 

Bei den Forschungen über die Pathogenese der Hyper¬ 
tension und einige Arteriosklerosenarten verdient die Neben¬ 
nierenrinde keine mindere Aufmerksamkeit als das Neben¬ 
nierenmark. 

Diese Behauptung stiitzt sich auf folgende von mir kon¬ 
statierte Tatsache: Legt man Nebennierengewebe (Mark und 
Rinde) in eine wässerige Sublimatlosung (von 1 2 Prom.). so 

tritt nach einiger Zeit (4 1 2 Stunden) eine diffuse, rötliche, 

fiir Adrenalin spezifische Färbung auf: legt man dagegen 
Rindengewebe in Sublimatlösung ein, so tritt keine Färbung em. 

Der Extrakt der Rindensubstanz besitzt einige Eigen¬ 
schaften. die ihn dem Markextrakt, be/w. dem Adrenalin an- 
nüliern. indem er eine stark mydriatisJie Wirkung auf das 
Froschauge äussert. Er zeigt nicht die einzelnen Reaktionen des 
Brenzkatechin. Deshalb ist man zur Annahme berechtigt, dass 
die Nebennierenrinde eine chemische Substanz enthalt (oder 
sezerniert), die dem Adrenalin innig verwandt ist und wahr¬ 
scheinlich eine Vorstufe desselben darsLÜt. 

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, bei denen e.ne 
genaue und vorsichtige Trennung der Rinde von dem Mark 
der Nebennieren absolut notwendig ist. stimmt mit der \ «ui 
J o s u e \4] konstatierten drucksteigemden W irkung der Neben- 
jiiercnrinde überein. 

In dieser Hinsicht durfte zwischen Rinde und Mark der 
Nebennieren in physiologischen und pathologischen Zuständen 
eine funktionelle Einheit bestellen. 

Padua, August 19tw. 

Literatur: 

1. Schur und \\ iesel: Wien. Klm. W oJieiisJw . I ■>* ‘7. M M. 

- 2. (iold/ielier um! M ulnar: Wien. Klm. W <.klleus w tu . La-s. 
H. 7. - A. Haduel: I. c. 4. .1 o s u e : Presse med.. s Lf'ict ]'*'s 


Aus der Kgl. psychiatrischen und Nervenkhmk zu Greifswald 
(Direktor: Prof. Dr. Ernst Schultz e). 

Ueber Pel'sche Augenkrisen und einige seltenere 
Sensibilitätsstörungen bei Tabes dorsalis. 

Von Dr. A. Kn a u c r. 

Kein Symptom in dem ..vielgestaltigen" IL.de der Labes 
dorsalis ist für Kranken und Arzt alarmierende r wie de Krise, 
kein Symptom unterliegt so oft verhängnisvollen diagnostischen 
Iirtümerii. Das zeigt der von E s c li b a n m in No. J > dieser 
Wochenschrift beschriebene Fall einer ,.viermaligen (Operation 
infolge Verwechslung gastrischer Krisen mit Pylorusstenose". 

Seit wir durch Ui a r c u t und seine Schule die Erschei¬ 
nung der tabischen Krise kennen gelernt haben, winden krisen- 
artige Anfälle in den meisten Organ- und Nei vei.gebie te n des 
Körpers vielfach beobachtet und bescfELkbyti. Wir kennen 
neben der llauptform, der gastrischen Krise, He r/- 4 Kehbu pi-, 
Schlund-, Mastdarm-. Klitoris-, Penis-. Akio: kus-, Nas.T:- 
krisen u. a. 

Zu den am seltensten beobacht*, teil K r>e nformen gehören, 
die von P e 1 zuerst beschriebenen tab.sJieii Augeukrisen. : ) 


*) 1L K. Pel: Augenki isen bei Ta: es J. rsa‘ s. Bcrl. km. 
Woelimsehr. isos, \n. 2 . 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1927 


Pels Patient war ein 41 jähriger Kellner mit Tabes dorsalis 
und Dementia paralytica incipiens. Der Kranke wurde plötzlich von 
heftigem Brennen und stechenden Schmerzen in beiden Augen und 
deren Umgebung befallen, die nur durch sehr kurze freie Intervalle 
unterbrochen waren. Es bestand grosse Lichtscheu. Wenn die Augen 
unbedeckt waren, traten die heftigsten krampfhaften Kontraktionen 
der beiden Mm. sphincter oculi nebst starkem Tränenfluss ein. Die 
Conjunctiva bulbi et palpebrae war sehr geschwollen und gerötet. 
Die ganze Umgebung des Auges war sehr hy per ästhetisch, so dass 
ein Untersuchen des Auges nicht möglich war. Die Anfälle dauerten 
2—3 Stunden. Nach dem Anfall war der Patient sehr erschöpft. Eine 
Stunde später war das Auge wieder normal, nur die Hyperästhesie 
noch einen Tag lang nachweisbar. Pel sagt: „der Symptomenkom- 
plex erinnert lebhaft an die akut^entzündliche Reizung der Augen, 
welche man bei einem Individuum beobachtet mit einem Fremd¬ 
körper im Auge“. Er deutet die Anfälle als Reizsymptome des Nervus 
trigeminus und die Augenschmerzen als sogen. Ziliarneuralgien. 

Determann*) erwähnt einen FaH, in welchem grosse Emp¬ 
findlichkeit der Augen gegen Licht und Anstrengung, welche sich 
zeitweilig zu einer Art Augenkrise verstärkte, die frühesten Sym¬ 
ptome einer sich bald entwickelnden Tabes war. Eine genauere Be¬ 
schreibung seines Falles gibt er nicht. 

Hascovec*) beschreibt einen Tabiker mit doppelseitigem 
Exophthalmus, der sich in Form der P e 1 sehen Augenkrisen mit leb¬ 
haften Schmerzen, heftigem Tränenträufeln und vorübergehender Vor¬ 
treibung des Bulbus allmählich entwickelt habe. 

Weitere Fälle fand ich in der Literatur nicht verzeichnet. 
Oppenheim schreibt in seinem Lehrbuche 4 ) über die 
Augenkrisen: „Es bleiben weitere Erfahrungen abzuwarten, 
ehe man diese Anfälle der Symptomatologie der Tabes ein¬ 
reihen kann. Mir selbst ist häufiger eine Hyperästhesie der 
Retina aufgefallen, welche die Prüfung des Lichtreflexes in 
hohem Masse erschwerte, da sich bei jedem Versuche die Augen 
mit Tränen füllten.“ 

Wir hatten nun jüngst Gelegenheit bei einer Tabeskranken 
unserer Klinik Anfälle zu beobachten, die den von Pel be¬ 
schriebenen in allem Wesentlichen glichen. 

Es betraf eine 36 jährige. verheiratete Frau N. aus B. Kranke 
will in ihrer Jugend an epileptiformen Anfällen gelitten haben. Letzter 
Anfall vor 7 Jahren. Seit 14 Jahren verheiratet. Ist nie gravide ge¬ 
wesen. Angeblich Alkoholmissbrauch. 

Seit 3 Jahren allmählich zunehmende Unsicherheit in den Beinen 
und Armen, die sich im Dunkeln vermehrt. Gefühl, „als wenn alle 
Sehnen zu 'kurz geworden wären“. Parästhesien in den Fussohlen 
und Handtellern. Vielfach heftiges „Reissen in den Beinen“. Kann 
seit Weihnachten vorigen Jahres nicht mehr ohne fremde Unter¬ 
stützung auf den Beinen stehen. Friert leicht. Im Januar dieses 
Jahres mehrere Tage lang unaufhörliches Brechen und heftige 
Schmerzen in der Magengegend und im Leibe. Lange Zeit Amenor¬ 
rhoe. Häufig doppelseitiger Stirnko-pfschmerz. Be¬ 
tont sei aber, dass im Gebiete der sensiblen Gehirnnerven nie ab¬ 
norme Sensationen anderer Art aufgetreten sind. Gesicht und Gehör, 
Geruch und Geschmack nie gestört. 

6. V. 08. Status praesens: Kleine magere Frau. Gewicht 
40,5 kg. Blasse, etwas zyanotische Gesichtsfarbe. Züge etwas 
starr. Rechte Lunge suspekt. Herz und Bauchorgane, Schilddrüse 
ohne Befund. Urin frei von- Eiweiss und Zucker. 

Patellarreflexe beiderseits erloschen, desgleichen Achilles- und 
Plantarreflexe. Bauchdeckenreflexe sehr lebhaft, sym. De 
Sehnen- und Periostreflexe beider Arme fehlen. Würgreflex auf¬ 
gehoben. Bindehaut- und Hornhautreflexe sehr lebhaft, sym. 

Haut Sensibilität aller Qualitäten bis auf einen 
geringen Rest faradokut'aner Empfindung und 
Knochensensibilität an beiden Unterschenkeln er- 
1 o s ch e n. Passive Bewegungen in den Zehen- und Fussgelenken 
werden nicht empfunden. Zieltibungen mit den Beinen im Liegen, 
selbst ohne Augenschluss, hochgradig ataktisch. Die Kranke kann 
nur stehen, wenn sie an einem Arm gehalten wird und ihre Füsse 
durch die Augen kontrollieren kann. Selbst das Niedersetzen fällt 
schwer. 

Am Rumpf und an den Armen Herabsetzung der 
Druckempfindung. Ausgesprochene Kältehyperästhesie am 
Bauch. Lage- und Bewegungsempfindungen auch in den Armen sehr 
lädiert besonders links. Kneifen der Achillessehne beiderseits un¬ 
empfindlich. B i e r n a c k i sehe Unempfindlichkeit beider N. peronei 
und des linken N. ulnaris. Tonus der Beinmuskeln sehr vermindert. 


*) Determann: Die Diagnostik und die Allgemeinbehandlung 
der Frühzustände der Tabes dorsalis. Halle a. d. S., 1904, S. 44. 

*) Lad. Hascovec: Crises oculaires et Syndromes pseudo- 
basedowiens, dans l’ataxie locomotrice. Compt. rend. de la Soc. 
de Neurol. de Paris, 5. avril 1906. Ref. in Mendels Jahresber., 
10. Jahrgang. 

*) H. Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 4. Aufl. 
Berlin 1905. Bd. I, S. 164. 


Differenz im M u n d f a z i a 1 i s, der links überwiegt. Zunge 
weicht herausgestreckt, etwas nach links ab, zittert stark faszikulär 
und fibrillär. N. trigeminus, sensibel und motorisch, 
ohnejedenobjektivenBefund. Geruch, Geschmack, 
Gehör beiderseits normal. Leichte Parese im rechten Abduzens. 
A. B. sonst frei. 

Pupillen: links erheblich'weiter wie rechts, 
beide entrundet, reagieren auf direkte und indirekte Belichtung nur 
ganz minimal. Visus beiderseits */a. Normale Gesichtsfelder. Keine 
Veränderungen am Augenhintergrunde. 

Sprache intakt. Keine psychischen Störungen. 

Die Untersuchung der Spinalflüssigkeit ergibt: starke Pleo- 
zythose. Nonne = Apelt, Phase I: Opaleszenz, Eiweissgehalt nach 
Esbach 0,75 Prom. Bei der serologischen Untersuchung des 
Blutes finden sich Luesantigene. 

An der Richtigkeit der Diagnose Tabes dorsalis ist also nicht 
zu zweifeln. Aus den klinischen Beobachtungen hebe ich noch 
folgendes hervor: 

Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Kranke nicht von lanzi- 
nierenden Schmerzen in den Beinen geplagt wird. Vom 20.—23. V. 
krisenartige Schmerzen in der Herzgegend mit starker Beklemmung. 
Wiederholt heftige Stirnkopfschmerzen, während 
deren beide obere Quintusäste sich als .druck¬ 
empfindlich erweisen. 

8. VI. Wurde vergangene Nacht von sehr heftigen brennenden 
Schmerzen im rechten Auge überfallen. Conjunctiva bulbi et 
palpebrae stark geschwollen und gerötet. Es besteht starker Tränen¬ 
fluss und grosse Empfindlichkeit gegen Licht. Zunahme der Schwel¬ 
lung und der Schmerzen im Laufe des Tages. 

9. VI. Die Schwellung des rechten Bindehautsackes hat noch 
zugenommen. Die Conj. bulbi fällt wallartig gegen die Kornea hin 
ab. Ferner ist auch das ganze periorbitale Subkutangewebe bis weit 
über die rechte Stirn hin und bis zum unteren Rande des Jochbeins 
nach unten geschwollen. Die Kornea ist ganz glatt und spiegelnd. 
Die Pupille des Auges ist ganz eng geworden. Kein Eiter. Noch 
immer grosse Lichtscheu. Kann im Hellen das Auge nicht öffnen. 
„Im Dunkeln geht das Sehen ganz gut.“ 

In Abständen von etwa 15 Minuten treten wütende Schmerzen 
von bohrendem Charakter im rechten Bulbus und dem an das Auge 
temporalwärts angrenzenden Hautbezirk auf. Es ist, als wenn das 
betroffene Gebiet von zahlreichen ..Nadeln durchstochen würde“. 
De Schmerzen dauern jedesmal ca. 5 Minuten, verschwinden dann 
plötzlich. Ihnen folgt unmittelbar ein kurzer starker Tränenfluss. 

Die objektive Untersuchung in den anfallfreien Intervallen 
stellt ferner eine ganz ausserordentlich lebhafte Hyperästhesie 
im Gebiete der beiden oberen Aeste des rechten Quintus und 
des rechten Nervus lingualis fest. Selbst bei einfachem Be¬ 
rühren der Gegend mit der Fingerspitze zuckt die Patientin 
zusammen. Besonders schmerzhaft sind Kältereize, Wärme weniger, 
wird aber nach längerer Applikation auch sehr quälend empfunden. 
Die hyperästhetische Zone reicht nach oben bis ins vordere KapH- 
litium, nasalwärts etwas über die Mittellinie hinaus, lässt an der 
temporalen Seite einen zweifingerbreiten Hautstreifen vor dem Ohre 
frei. Auffalend ist, dass die rechte Oberlippe und die Zähne nicht 
empfindlich sind. Dagegen sind sehr empfindlich die rechte Nasen¬ 
schleimhaut, die rechte Hälfte der Zunge — besonders in ihrem hin¬ 
teren Drittel —, die halbe Schleimhaut des harten Gaumens rechts, 
der ganze Gaumenbogen, sowie die rechte Hälfte der Rachenschleim¬ 
haut. 

Merkwürdigerweise ist -der Geruch für Ol. Menth, pip., Asa 
foetida, Perubalsam, Amylnitrit u. ähnl. rechts fast aufgehoben, 
während Ammoniak beiderseits gleich stark gerochen wird. Ebenso 
ist auf der Zunge der Geschmack für süss, sauer und salzig auf der 
rechten Hälfte gegenüber links stark beeinträchtigt, während 
bitter gleich gut geschmeckt wird. Die Temperatur der hyper- 
ästhetischen Hautbezirke ist ungefähr einen Grad höher, wie die der 
ireien. Der Blutdruck beträgt während der Attacke dauernd 110 bis 
115 mm nach Riva-Rocci. Der Puls ist ständig beschleunigt. 
Körpertemperatur normal. 

Subjektive Lichtempfindungen bestehen während des Anfalles 
nicht. Herr Dr. Gebb, I. Assistenzarzt der hiesigen Augenklinik, 
hat die Liebenswürdigkeit, den Fall zu untersuchen und festzu¬ 
stellen, dass ein lokales Augenleiden nicht vorliegt. Visus noch 
immer 6 /e. Kein Defekt des Gesichtsfeldes. Herr Dr. Gebb ist 
ferner so liebenswürdig, von dem Bindehautsekret eine Kultur an¬ 
zulegen. Es finden sich nur harmlose Xerosebazillen. Herr Prof. 
Römer, Direktor der Augenklinik, hat die Güte, diesen Befund zu 
bestätigen. 

Schwellung und Schmerzen halten bis zum 10. VI. «nachmittags 
4 Uhr in unverminderter Stärke an (s. Abb. l). Auffällig ist. dass 
die auf Einträufeln von Homatropin erfolgende Mydriasis immer 
schon nach 2 Stunden der hochgradigen Miosis Platz gemacht hat. 
Die Schmerzperioden sistieren auch nachts nicht. Um 4 Uhr nach¬ 
mittags des dritten Tages hören sie ebenso schnell auf, wie sie 
gekommen sind. Das Auge schwillt im Laufe des nächsten Tages 
allmählich wieder ganz ab. Auch die Hyperästhesie verschwindet 


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1928 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


wieder vollständig. Am längsten hält sich ein Gefühl in dem er¬ 
krankten Hautbezirke, als läge ein Spinngewebe darüber. Geruch 
und Geschmack werden wieder normal. 

Am 16. VI. sind die letzten 
Spuren der Affektion verschwun¬ 
den. (Siehe Abb. 2.) Das linke 
Auge ist während der ganzen 
Dauer des Anfalles gänzlich un- 
Uidiert geblieben. 

Am 16. VI. erscheint plötzlich 
eine Schwellung und Rötung des 
linken Bindchautsackes, die am 
nächsten Tage den gleich hohen 
Grad erreicht hat wie vorher 
die Kntzündungserscheinungcn am 
rechten Auge. (Siehe Abb. 3.) 
Wieder ist die Photophobie sehr 
gross. Der Anfall unterscheidet 
sich von dem vorhergehenden aber 
dadurch, dass keine Schmerzen 
von intermittierendem bezw. lanzi- 
nierendem Typus auftreten. s<»n- 
'[Abb. 1. VI. 08. Trau N, Rechts- clern eine sehr unangenehme konti¬ 
seitige Augenkrise nuierliche Empfindung im Auge be¬ 

steht. Fs ist ein Gefühl, „als wenn 
etwas ins Auge geflogen wäre“. Es besteht eine ununterbrochene 
gesteigerte Tränenproduktion. 

Im übrigen sind die Sensibilitätsstörungen und der objektive 
Befund die gleichen wie jüngst auf der rechten üesichtshäifte. Fs 



Abb. 2. VI. 08. FrauN. Krisen- Abb. 3. VI. 08. Frau N. Links¬ 
freies Intervall. seitige Augenkrise. 


lässt sich feststellen, dass die Hyperästhesie von der Kornea ihren 
Ausgang nimmt und von Stunde zu Stunde an Terrain in der Binde- l 
haut und den an das Auge angrenzenden Gebieten der Haut ge¬ 
winnt, bis sie schliesslich die oben geschilderte Verteilung zeigt. 
Wieder sind links der Geruch und der Geschmack aufgehoben. Die 
Mydriasis, die vorher auf dem Auge bestanden hat, hat sich in eine 
hochgradige Miosis verwandelt. Fs besteht auch die bei Irido¬ 
zyklitis bekannte Druckschmerzhaftigkeit des Bulbus. 

Am 20. VI. beginnen die krankhaften Erscheinungen zu schwin¬ 
den, zunächst die entzündlichen Reizerscheinungen, dann die Hyper¬ 
ästhesie. Am 21. VI. sind Auge und linke Gesichtshälfte wieder ganz 
frei. Es hat sich wieder die frühere Mydriasis eingestellt. 

Nach O. Förster 5 ) kommen der tabischen Krise drei 
Hauptkennzeichen zu: 1. anfallsweises Auftreten sensibler Reiz- 
erscheinungen in der betreffenden Organsphäre, entweder in 
Form von Schmerzen oder von- Parästhesien, meist in Ver¬ 
bindung mit Hyperästhesie in dem betreffenden Nervenhezirk, 

2. anfallsweises Auftreten von motorischen Reizerscheinungen, 

3. starke Hypersekretion des betreffenden Organes. Diese Be¬ 
dingungen erfüllten die vorstehend beschriebenen Anfälle durch¬ 
aus. Dass die motorischen Reizerscheinungen nicht so hoch¬ 
gradige waren wie in dem P e 1 sehen Falle, liegt wohl an den 
Lähmungserscheinungen im Fazialisgebict. Wir werden als 
eine solche vielleicht die starke Pupillcnverengerung ansehen 
dürfen. Dass diese mir infolge einer Hyperämie der Irisgefässe 
entstanden sei, halte ich für unwahrscheinlich. Wird doch auch 
die bei der gewöhnlichen Iritis auftretende Miosis ausser auf 
die UebeffüIIung der Qefässe auf einen Sphinkterkrampf zu¬ 
rückgeführt.") Und die Hyperämie der Iris war während der 
Krise gering. 

5 ) O. Förster: Ueber einige seltene Formen von Krisen bei 
der Tabes dorsalis sowie über die tabischen Krisen im allgemeinen. 
Monatsschr. f. Psychol. u. Neurol, Bd. XI. 

°) Siehe E. Fuchs: Lehrbuch der Augenheilkunde. X. Aufl. 
1905. S. 343. 


Pel hat durchaus recht, wenn er die Augenkrisc in Ana¬ 
logie setzt zu der als Unterform der gewöhnlichen 1 rigemirus- 
neuralgie bekannten Neuralgia ciliaris. Auch in unserem Falle 
beschränkten sich die Schmerzen im wesentlichen aut den 
Bulbus. Andererseits kommt es auch bei dem F o t h c r g i 11 - 
sehen Gesichtsschmerz öfters zu Schwellung der Bindehaut 
mit Chemosis und starker Thränensekretion. Pel hebt her¬ 
vor, dass andersartige Krisen im Trigeminusgebict auch vor 
ihm’beschrieben wurden, wie denn Trigeminusaffektionen im 
Verlaufe der Tabes ja keine Seltenheit bilden. Dürften doch 
aücli die häufigen Stirnkopfschmerzen der Frau N. als Reiz- 
zustände im Stirntrigeminus zu deutui sein. 

Fine äussere Ursache für die Entstehung der Augenantalle 
war auch in unserem Falle nicht nachweisbar. Jod. das die 
Kranke bei Beginn der Anfälle nahm, wurde während des ersten 
Anfalles ausgese\tzt, ohne dass der Ausbruch der zweiten 
Attacke verhindert werden konnte. 

Förster) fasst nun die Krise auf als „einen perma¬ 
nenten Reizzustand in den sensiblen W urzelfasern des be¬ 
treffenden Gebietes. Die Doppelseitigkeit unserer Affektion - 
dass beide Augen nicht wie im Pel sehen Falle gleichzeitig, 
sondern nacheinander in kurzem zeitlichen Abstande ergriücn 
wurden, ist wohl unwesentlich - macht es sehr wahrschc.n- 
lich, dass wir deren auslosende l rsaclie ebenfalls weiter 
zentralwärts in der Medulla oblongata (der im HaKmaik zu 
, suchen haben. Bei Kehlkopfkrisen wurden ja teilweise De- 
I generationen der absteigenden I rigeininusw urzel gefunden. 

I Vielleicht liegen ähnliche degereratrve Vorgänge im Tractus 
j bulbo-spinalis des Ouiiitus auch hier zu gründe. 

Gegen einen peripheren Herd spricht ja auch die eigen¬ 
tümliche Verteilung der Hyperästhesie, das Freibleiben der 
Oberlippe, die Beteiligung der von dem N. lingualis aus dem 

з. Quintusaste versorgten Zunge und der im allgemeinen dem 
Glossopharyngeus zugeschriebenen hinteren Rachenwai.d. 
Nach Exstirpation des Ganglion Gasseri fanden K rause und 
Davics allerdings eine ähnliche Verteilung der Anästhesie 
in der Mundhöhle ohne weitere Beteilgung des 3. Astes. 
Rossi*) fand, w ie früher schon VV a 11 e n b e r g und B r c g - 
in a n n, in der absteigenden Trigeminusw urzel die aus den ein¬ 
zelnen peripheren Trigeminusästen stammenden Ner\ enfasern 
in örtlich getrennten Bezirken der Wurzel verlaufen, so dass 
auch eine der peripheren Verteilung entsprechende zentrale 
Schädigung derselben möglich ist. Andererseits fand Rossi 
aber, dass die nach zentraler Unterbrechung des zweiten 
V.-Astes resultierende Anästhesie die Oberlippe ireilässt, genau 
wie umgekehrt in unserem Falle die ll\peräslhesie die Ober¬ 
lippe verschont. R. fragt sich, ob die Ursache hierfür sei. das» 
vielleicht der N. infraorbitalis skh in d’e sensible Versorgung 
dieser Gebiete mit anderen Nervenfasern teile. W äre diese An¬ 
nahme richtig, so müsse unser Fall zeigen, dass auch die aus 
der Erkrankung eines sensiblen Nerven resultierende Hyper¬ 
ästhesie des von ihm versorgten Hauptgebietes atisbleiben kann, 
wenn er dieses mit einem anderen intakten sensiblen Nerven 
teilt. Ein gerade nicht sehr w ahrschunlicher Schluss. Zu¬ 
dem konnte I) a v i e s ") feststellen, dass die nach Exstirpation 
des Ganglion Gasseri erscheinende Anästhesie immer bis zur 
Mittellinie des Gesichts auch an der Oberlippe reicht. 

Ich möchte zwar glauben, dass Rossis Ansicht einer 
segmentären Aufteilung der absteigenden Trigeminusw urzel 
richtig ist, dass aber zentralwärts eine Einlagerung der Fasern 
von einem V .-Ast in einen anderen und Aufnahme von Fasern 
aus anderen Nervenstämmen in noch grosserem Masse statt¬ 
findet, wie er anzunehmen scheint. Eiir die Fasern der ein¬ 
zelnen Empfindungsqualitäten vermutet R. gleich Schle¬ 
singer l0 ) allerdings eine Einlagerung und Trennung im Ver¬ 
lauf ähnlich der von van Geh lichten. Piltz u. a. be¬ 
haupteten getrennten anatomischen Anordnung der Tempera¬ 
tur- und Schmerzbahnen einerseits und der Bahnen für Be- 

7 ) 1. c. 

") (). Rossi: Clinical and e\pe r nicrM’ cortr.‘Miti«*n tn the 
knowlcdgc of tlic anatomy of i’rigeuma! ntu\c. h um. f. Ps\chi*l. 

и. Neurol.. Bd. IX. H. 5 6. 

'■) II. M. Davics: The functions <>i tl c T'igcn.rial ner\e. 
Bram 1907, Bart CXVIII. 

,0 ) H. Schlesinger: Beitrag zur B!i\ sj-P.^äe des Trigeminus 
und der Sensibilität der Mundschleimhaut. Neurol. Zentralb’... Bd. 18. 
No. 9 



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15. September 19Ö& 


MÜENcHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1 029 


rührung und Druck andererseits im Rückenmark. Wie ver¬ 
schlungen jedenfalls auch über eine solche Umordnung noch 
hinaus die Wege der Trigeminusfasern, wie zahlreich ihre 
Anastomosen mit anderen Nervenbahnen sind bis in das Wur¬ 
zelgebiet hinein, wissen wir ja, während unsere Kenntnisse von 
der Gruppierung der den einzelnen Gesichtsteilen entsprechen¬ 
den Kerngebiete des Quintus noch recht dürftig süid. Be¬ 
merkenswert auch für unseren Fall ist, dass nach Schle¬ 
singer die oberen Teile der Stirnhaut und ein grosser Teil 
der Mundschleimhaut von den distalsten Teilen des sensiblen 
V.-Kernes, die des Nasenrückens von dem proximalsten Teile 
sensibel versorgt werden. Indessen stehen diese Angaben 
auch noch nicht absolut fest. Vielleicht ist auch nach dieser 
Richtung hin unser Fall von Interesse. 

Dass unserer Augenkrise ein zentraler Herd zu gründe 
liege, lässt sich nicht mehr auf die Miosis stützen, da die Angabe 
von Bach und Meyer sowie zahlreicher früherer Autoren, 
dass die sensible Trigeminuswurzel auch pupillenverengernde 
Fasern enthalte, durch die Untersuchungen B u m k e s und 
T rendelenburg erschüttert ist “). 

Interessant ist im Falle N. nun noch das Verschwin¬ 
den des Geruches und Geschmackes unter dem 
Einflüsse der Schleimhauthyperästhesie. Ob 
es sich hier — im allgemein-neurologischen Sinne — um das 
Unterdrücken der spezifischen Empfindung eines Organes durch 
eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit handelt oder um einen 
durch den Krisenreiz gesetzten Reflexvorgang, muss ich leider 
dahingestellt sein lassen. 

Für die erstere der beiden Möglichkeiten, also gewisser- 
massen dafür, dass ineinerHaut-oderSchleimhaut- 
fläche ein für sie spezifischer Reiz weniger 
stark empfunden wird, wenn in ihr die Reiz¬ 
schwelle einer andere nEmpfindungsqualität, 
deren spezifische Nervenenden sie ebenfalls 
enthält, pathologisch herabgesetzt ist, könnte 
die folgende umgekehrte Beobachtung sprechen, die Frau N. 
seit einigen Tagen bietet. 

Die Sensibilität am Rumpf und an den Extremitäten hat sich 
gegen den oben wiedergegebenen Anfangsstatus in folgender Weise 
geändert. Auf der linken Körperhälfte hat sich eine allgemeine Kälte¬ 
hyperästhesie entwickelt. Sie geht so weit, dass auch der früher 
ganz unempfindliche rechte Unterschenkel wieder Kälte empfindet. 
Selbst der linke Unterschenkel empfindet in schwachem Masse wieder 
Kälte. Wird die Kranke mit einer 1 qcm grossen Fläche berührt 12 ), 
so muss diese folgende Temperaturen haben, um eben merklich als 
kalt empfunden zu werden: 


auf ader^) ganzen rechten Körperhälfte oberhalb des Knies: 

vom oberen Rande der rechten Patella an bis handbreit über 
den Knöcheln: 25°, 
weiter unterhalb: 0°, 
am linken Vorderarm: 25°, 


am linken Unterschenkel vom oberen Rande der Patella bis 
handbreit über den Knöcheln: 18°, 
weiter unten am linken Unterschenkel wird auch Eis nicht 
perzipiert. 

Es zeigt sich ferner, dass die Empfindungen für Berührung, Druck 
und Schmerz an beiden Unterschenkeln noch ganz aufgehoben sind. 
Am linken Vorderarm sind sie dagegen, gleich der Kälteempfindung, 
nur stark herabgesetzt. Nun findet man aber, dass Drücken und 
Schmerz, z. B. Kneifen in der Zone zwischen Pa¬ 
tella und unterem Dritteil beider Unterschenkel 
doch empfunden werden, nämlich als Kälte, ohne 
eine Spur Druck- oder Schme r zempfindung. Die 
genauere Untersuchung ergibt, dass die Grundfläche des Eulen- 


) Bumke und Tr ende 1 en bu r g: Zur Frage der Bach- 
schen Pupillenzentren in der Medulla oblongata. Vortrag auf der 
32. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Irren¬ 
ärzte in Baden-Baden 1907 u. a. O. 

,J ) Die Untersuchung wurde nach dem von S. Alrutz jüngst 
(S. Alrutz: Untersuchungen über die Temperatursinne; Zeitschr. f. 
Psychol. u. Physiol. der Sinnesorgane, Bd. 47, S. 274) vorgeschla¬ 
genen Verfahren ausgeführt, indem die zu untersuchende Hautfläche 
durch einen grossen Temperator auf eine weder Kälte- noch Wärme¬ 
gefühl verursachende Indifferenztemperatur von ca. 31° gebracht 
und nun erst mit kühleren bezw. wärmeren kleinen Reiztemperatoren 
berührt wurde. 

M ) Das ist die für grössere Hautflächen normale Kälteschwelle. 
Vgl. F. Kiesow: Untersuchungen über Temperaturempfmdungen, 
W. W u n d t s Philosophische Studien, Bd. XI, 1895. 

No. 37 


bürg scjien Aesthesiometers, wenn sie ca. 31 0 warm ist, bei ein¬ 
facher Berührung keine Temperaturempfindung auslöst, auch nach 
längerer Zeit nicht, dass aber bei langsamer Belastung des Instru¬ 
mentes von 120 g Druck an Kälteempfindung auftritt. In der gleichen 
Gegend rechts muss man 270 g auflegen, um die Empfindung „kalt“ 
auszulösen. 

Die gleichen Versuche am linken Vorderarm, der also die 
gleiche Reizschwelle für Kälte hat, wie die oberen Zweidrittel des 
rechten Unterschenkels, ausgeführt, ergeben, dass Drücken und 
Kneifen stets adäqual als Druck und Schmerz empfunden werden, nie 
als Temperaturreiz. Beiläufig sei auch erwähnt, dass an den Unter¬ 
schenkeln Stechen mit der Nadel, wenn sie langsam eingestossen 
wird, so dass sie vor dem Eindringen in die Kutis eine Delle in diese 
eindrückt, ebenfalls Kältegefühl erzeugt. Rasches Einstechen mit 
recht spitzer Nadel verursacht weder Schmerz noch Temperatur¬ 
empfindung. Ebenso lässt die Kälteempfindung nach, wenn bei lang¬ 
samer Einführung die Nadel erst die oberste Kutisschicht durchbohrt 
hat und nun gegen geringeren Widerstand arbeitet, also von dem 
umgebenden Gewebe weniger mitzerrt. Es handelt sich eben nur um 
einen mechanischen Nebenreiz, der mit dem gewöhnlichen Druck¬ 
reiz identisch ist, und nur der Druckreiz, nicht der Schmerzreiz ruft 
die unadäquale Empfindung der Kälte bei Frau N. hervor. 

Bei faradischer Reizung der Haut dieser 
Unterschenkelbezirke tritt als Minimalempfin¬ 
dung ebenfalls Kälte auf, die auch bei progressiver Ver¬ 
stärkung des Stromes noch lange anhält, ehe sie der eigentlichen 
faradokutanen Empfindung Platz macht; und zwar tritt die Empfindung 
kalt rechts bei sehr viel schwächeren Strömen schon auf wie links 
und hält entsprechend länger an. Am linken Vorderarm wird auch 
faradischer Reiz sofort adäquat empfunden. 

Bei Applikation von Wärmereizen in den oberen Zwei¬ 
dritteln der Unterschenkel zeigt sich die Erschei¬ 
nung der paradoxen Temperaturempfindung. Von 
25 °—39° wird Berührung rechts gar nicht empfunden. Von 39° an 
tritt Kältegefühl auf, das sich bei weiterer Erhöhung der Temperatur 
immer mehr verstärkt. Selbst bei 100 0 stellt sich nur Kältegefühl ein, 
aber kein Schmerz. Dieser tritt erst ein, als mit dem kochend¬ 
heissen Prüfungsröhrchen statt einfacher Berührung ein intensiver 
Druck auf die Haut ausgeübt wird. Aehnlich spielt sich das Phänomen 
am Unken Unterschenkel ab, nur mit viel höheren Reizschwellen. 

Am rechten Vorderarm wird warm stets adäquat empfunden, nur 
bei zu hoher Minimaltemperatur. 

Wie ist zunächst das Wiedererscheinen der Kälteempfin¬ 
dung in den oberen Hautpartien der Unterschenkel zu erklären? 
Wir wissen, dass auch bei scheinbar totaler Anästhesie eines 
tabischen Nervenbezirkes fast immer noch ein gewisser Rest 
empfindender Nervenelemente in dem Bezirke vorhanden ist, 
deren Erregung bei genügender Uebung und Aufmerksamkeit 
von den Kranken wahrgenommen werden kann. Daher der Er¬ 
folg der Uebungstherapie. Auch die kälteperzipierenden Ele¬ 
mente 14 ) an den Unterschenkeln von Frau N. waren nicht ganz 
vernichtet. Ihre noch vorhandene Zahl genügt, um unter dem 
Einflüsse eines krisenartigen Reizzustandes, der die Kälte- 
bahner. der rechten Körperhälfte offenbar ergriffen hat, 
in der versorgten Haut wieder eine Kälteempfindlichkeit von 
den angegebenen Reizschwellen zu verursachen. Diese muss, 
absolut genommen, sogar noch als Kältehypästhesie angesehen 
werden. Das beweist auch die Tatsache, dass zwei punkt¬ 
förmige Kältereize an der Unterschenkelhaut beiderseits in 
einem Abstande von über 15 cm noch als ein Reiz empfunden 
werden. Das beweist ferner die bei der Tabes ja bekannte, 
von Strümpell 15 ) zuerst beschriebene paradoxe Kälte¬ 
empfindung. 

Diese ist ja bekanntlich innerhalb gewisser Grenzen eine 
physiologische Erscheinung. Wir wissen 18 ), dass auch nor¬ 
malerweise die Kältepunkte der Haut auf Reize über 39—45° 
wieder mit Kältegefühl reagieren, während sie bei etwas käl¬ 
teren Reizen nichts derartiges empfinden. Bei einem Reiz von 


”) Bezüglich der Wärmeempfindung sei vorausgeschickt, dass 
dieselbe an den Unterschenkeln physiologisch schon geringer ist wie 
die Kälteperzeption. Siehe v. Leyden und Goldscheider: 
Die Erkrankungen des Rückenmarks und der Medulla oblongata in 
Nothnagels Spezieller Pathologie und Therapie, Bd. X, 1905, S. 367. 

15 ) A. S t r ü m p e 11: Neuropathologische Mitteilungen. D. Archiv 
f. klin. Med., XXVIII. 

18 ) Vgl. F. Kiesow ibid., ferner M. v. Frey: Beiträge zur 
Sinnesphysiologie der Haut (Sitzungsber. der sächs. Gesellsch. der 
Wissenschaften 1895) und Goldscheider: Ges. Abhandlungen, 
Bd. I. Bei flächenhafter Reizung mit hohen Temperaturen sprechen 
in der normalen Haut aber Kälte- und Wärmepunkte gleichzeitig an 
und verursachen die Hitzeempfindung. Vgl. S. Alrutz: Die Hitze¬ 
empfindung; Skand. Arch. f. Physiol., 10. 

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Original fro-m 

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1930 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


über 70° verwandelt sich das Kältegefühl in Schmerz. Auch 1 
bei Frau N. reagiert die Haut des Bezirks von 39° an mit Kälte- ■ 
empfindung, da nur die Kältepunkte bei ihr für solche Reize 
noch erregbar sind. So erklären auch Thunberg und 
Alter 17 ) diese „perverse“ Kälteempfindung. Aber erst bei 
100° 4- kräftigem Druck geht diese in Schmerz über was 
also sicher gegen eine echte Kältehyperästhesie, im Sinne ab¬ 
solut zu niedriger Schwellenwerte, spricht. 

Was nun den Kälte erzeugenden Einfluss des Drückens be¬ 
trifft, so ist folgendes zu bedenken. Wir wissen, dass die Tem¬ 
peraturpunkte der Haut ausser auf ihren adäquaten Reiz auch 
auf mechanische und faradische Reize ansprechen. Bei Frau N. 
befinden sich die Druck- und Schmerzpunkte der Unter¬ 
schenkelhaut nicht im Zustande der Reizung, sind also praktisch 
unempfindlich. Die Folge ist, dass Druck und Elektrizität nur 
die noch empfindlichen Temperaturpunkte reizen und die un¬ 
adäquate Empfindung der Kälte auslösen. Am linken Vorder¬ 
arm, wo die Kälteschw eile die gleiche ist. Druck und Schmerz¬ 
reiz aber ebenfalls noch empfunden werden, löst Druck kein 
Kältegefühl, sondern adäquate Empfindung aus, desgleichen 
faradischer Strom. 

W i r m u s s e n also annehm e n, dass auch nor¬ 
malerweise zwar Druck auf eine H a u t f 1 ä c h e 
neben der Hauptempfindung Druck eine Neben¬ 
empfindung v o ir K ä 11 e erzeugt, dass wir diese 
aber nicht bemerken, weil sie von der Haupt- 
empfindung verdeckt wird. Sie tritt zutage, 
wenn die nervösen Organe der II a u p t emp¬ 
findung aus irgend einem (iru nde anästhe¬ 
tisch geworden sind, wie an den Unterschenkeln von 
Frau N. 

Ja, es fragt sich noch, ob wir fiir die Kältehyperästhesie 
der Haut oberhalb des rechten Knies von Frau N. nicht teilweise 
eine ähnliche Erklärung anzunehmen haben. Wie unsere Fuss- 
note zu der oben notierten Kälteschwelle dieser Hegend lehrt, 
ist diese nicht höher wie an der normalen Haut. Nur ist noch 
heute wie im Anfangsstatus die Druckempfindung der ganzen 
Rumpf- und Extremitätenhaut herabgesetzt. Frau N. w äre hier 
also zum Teil deshalb so empfindlich gegeir Kälte, weil die 
Kälteempfindung hier relativ, nicht absolut zu stark ist, weil das 
zwischen den verschiedenen Empfindungsqualitäten einer Haut¬ 
fläche physiologischerweise bestehende (Ileidigew iebt in den 
Graden ihrer Erregbarkeit einseitig zu (iimsten der Kälte¬ 
empfindung verschoben ist '*). L e w a n d o w s k i "') be¬ 
schreibt gleichzeitiges Auftreten von Kältehyperästhesie und 
Wärmehypästhesie bei einem Fall von (irosshirnerkrankung. 
Er macht die Annahme, dass die Erregung des „Kältezentrunis“ 
in der Rinde eine Hemmung der Erregbarkeit des „Wärme¬ 
zentrums“ zur Folge hat. 

Das alles ist aber eine wesentliche Stütze fiir unsere oben 
an erster Stelle erörterte Erklärungsmöglichkeit für das Ver¬ 
schwinden des Geruchs und des Geschmacks unter dem Ein¬ 
flüsse der Krisenhyperästhesie der Nasen- und Racheuschleim¬ 
haut. Diese würde danach, kurz gesagt, als patho¬ 
logische Verdeckung einer E m p f i n d u n g s - 
qualität durch eine andere anzusehen sein. Un¬ 
beantwortet bleibt dabei nur die Frage, warum der in dem 
hinteren, besonders schmerzempfindlichen Teile der Zunge 
lokalisierte Geschmack bitter nicht gestört war. Ob vielleicht 
in der Gcschmacksqualität bitter, ähnlich wie in dem intakten 
NHa-Geruch, die reizende Wirkung zu stark ausgeprägt ist? 
Nach der herrschenden Auffassung sind zwar besonders die 
Qualitäten sauer und salzig von Tastempfindungen begleitet. 

'■) Th. Th unh erg: Physiologie der Druck-, Temperatur- und 
Selinierzempfindungen, in Nagels Handle d. Pliysiol., Bd. III. S. (>7 ü, 
und: Alter: Perverse Teniperatiirempiindungen, Neurol. Zentralbl., 
XXII. 

,K ) Ich erinnere hier auch an die Beobachtung, dass pliysio- 
logischcrweise kalte Gewichte schwerer wie warme Gewichte er¬ 
scheinen. Siehe Th. Ziehen: Leitiaden der physiologischen Psycho¬ 
logie, VII. Aufl., S. () 2 . Dass innerhalb einer Simiesqualitüt die Modali- 
tiiten sich gegenseitig unterdrücken, lehrt die alltägliche briahrung. 

"’) M. Le w a n d o w s k i: Lieber sensible Rei/erscheinungen 
bei Grosshirnerkrankung, insbesondere über Kälteantälle. D. med. 
Wochenscllr. 1907, No. 21. 


Kehren wir zur Au g e n k r i s c zur ii c k. so 
zeigt der Fall N., dass d i e s e I 1) e als Sy m p t o m 
der Tab e s best e h t. Wie die Bemerkung Mete r- 
m a n n s zeigt, kamt sie gelegentlich als erstes Symptom 
des Leidens auttreten. Unser Fall lehrt, dass die Aftek- 
tioti einen sehr bedrohlichen Anblick darbieten kann. Dass 
auch hier unter UmstärJeu verhängnisvolle diagnostische 
Irrtiimer begangen werden konnten, ist klar. Zur Differenti il- 
diagnose wird man ausser auf allgemeine talpsche Symptome 
vielleicht auch auf die beschriebene Form der Hyperästhesie 
im Trigeminusgebiet fahnden können. Die Prognose des ein¬ 
zelnen Anfalls ist natürlich günstig, andererseits aber d»e 
W iederkehr der Attacken sehr w ahrscheinlich. 

N a c h t r a g w ä h r e n d der K o r r e k t u r. 

l’usere Voraussage, dass die Augenkrisen sich w ader¬ 
holen würdet:, hat sich bewahrheitet. Inzwischen fand vom 
-1. 25. Juli ein neuer Anfall statt. Wieder begann, d.e Attacke 

auf dem rechten Auge, griff aber schon raJi einem Jage auf 
das linke Auge über. Wieder traten Miosis. 11\pcraMbcs,e im 
J rigetmimsgebiet und Verlust von Geruch und He'*:hmack 
auf der betroffenen Seite aut. Nur war dieses Mal auJi das 
ganze Gebiet des dritten Qumtusastes in die Hyperästhesie 
miteirihezogen. 

Bemerkeiisw erter ist aber die A e n d e r ti n g, die in¬ 
zwischen mit der S e n s i b i I i t ä t s s t o r u ii g a n d e n 
Beinen vor s i c h g e g a u g e n i s t. 

Nur im rechten Bern mit starkes Kneifen noch KaltecmpfmJune 
hervor, gewöhnliches Drücken überhaupt keine >ensation im hr. Mit 
der A I r u t / sehen Methode lasst suh w iejyr leststeilen. dass Tem¬ 
peraturen über 59" noeh immer KaIteempimdung. aber lucht mehr 
so stark, wie trulier, heivorrulen. keine >pur Warme- oder llit/e- 
geiuhl. Temperaturen mhi .*o dü" erzeugen wieder gar keine Sen¬ 
sation. Neu ist dagegen, dass in einem ca. 15 ein breiten 
< i n r t e I u m d i e M i t te d e s r ec h t e n l n t er sc h e n k e 1 s 
herum alle I e in p e r a t u r e n u n t e r >" W arme c m p : in - 
düng Ii e r v o r r u i e n. Selbst bis fühlt sich hier w a r m 
an. Oberhalb und unterhalb dieser /• >1 1 c werden KaUerei/e stets 
richtig als ka ! t empfunden. Am linken l'nterschenke! sind mit keiner 
Temperatur Kalte- oder W ai meempfmduiigeii mehr aus/utoseii. Auf 
der rechten Körper hallte oberhalb des Knies sind die Rei/schw eben 
Tiir die Kälteempfindung etwas hoher, die tur die Warme- und die 
Druckempfmdung deutlich niedriger geworden. Im rechten Kuss 
lassen sieh let/t >puren von Bew egimgsemptiinlm’gen nachw eisen, im 
elektrischen Bade fühlt die Kranke im Gegensatz zu früher ietzt deut¬ 
lich den Storni, 

Fiir diese auffallende Erscheinung einer paradoxen Würme- 
tmpfiiiduug ist eine allgemcin-plivsinlngische Erklärung aliuhch 
der oben fiir die paradoxe Kälteempfindung gegebenen mehl 
ohne weiteres möglich, da die W armepunkte eine paradoxe 
Erregbarkeit nicht besitzen. Ausserdem sind die W arme¬ 
punkte bei der Erscheinung auch wohl unbeteiligt, da die ihnen 
am meisten adäquaten Reizteiuperatureu von 3<»" 3‘>" aui der 

wieder auf ca. 31" temperierten Hauifläche überhaupt keine 
J'emperatiiremptindiing auslösen. Es kann sich also nur um 
die Kältcneivcr handeln, die hier auf Temperaturen unter 3o" 
mit W firniegefuhl. auf Temperaturen uber 39" mit Kältegefühl 
reagieren. Eine Erklärung ist vvulil nur möglich, wenn wir 
mit S c h I e s i n g e r und H e s s d ö r f i e r ") anuehmen. dass 
die I c m p e r a t u r h a h n e n i m Z e n t r a I o r g a t. u n t e r - 
e i n a n d e r a n a s l o m usiert n. so dass v o u e i nc r 
K ä 1 t e b a h n a ii s eventuell das u a t ii r 1 i c h 

h y p o t h e t i s c h e W ä r m e z e n t r u m erregt w c r - 
d e n k a n n. 

F e r n e r m ii s s t e a b er di e a u i I e m p e r a I ii r e n 
ii 1' e r 3l i" e r i o 1 g e n d e I: r r e g ii n g d e r K a 1 t e p unkt e 
d e r Ha u t a u f au d e r e n I i ahn e n z u m Zentral- 
o r g a n i o r t g e I e i t e t w e r d e n. di e eine i r g e n d w i e 
a n d e r s g e a r t e t e vielleicht sc h vv e r e r g a n g - 
b a r e V erbi n d u u g m i t de m „W ä r m e z e n t r u m“ 
haben. Wir wir schon bemerkten, dienen die paradoxen 
Kälteemptindiitigeu physiologischerweise zur Konstitution der 
Mit/eempfiudiing. Nun ist nach Alrutz*' 1 ) die Ilitzeempfin- 

*') V. 11 c ssil ii r i i er: Zur Pathologie und I%v‘M<ö-g;y r spi¬ 
nalen J cmperaturcmpiiinhmg ID. Archiv f. k'm. Mol.. 'B. |v,| i ,,,,d 
Schlesinger: Beitrüge zur Klinik der Idickujm.trks- und Wirbet- 
lumorui (Jena 1S9M. 

-4 1. c. 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1931 


düng rieht einfach eine Summation aus Kälte- und Wärme¬ 
empfindung, sondern eine aus dieser Summation hervor¬ 
gegangene neue echte Sinnesqualität. Wir müssten ihr dann 
aber auch ebenso wie der Wärme- und Kälteempfindung ein 
eigenes Zentrum — w r omit natürlich wiederum nicht gesagt sein 
soll, dass diese Zentren auch topographische Einheiten sein 
müssen — zubilligen. Dieses Zentrum wäre dann zwischen die 
Wärmebahnen und die Bahnen der paradoxen Kälteempfindung 
eingeschaltet und würde den Uebergang von Erregungen aus 
den — sit venia verbo — paradoxen Kältebahnen auf das 
Wärmezentrum versperren. Dass die Erregbarkeit hyper¬ 
ästhetischer Kältepunkte sich für die hohen Temperaturreize 
der paradoxen Empfindung öfters anders verhält wie die für 
die niedrigen Temperaturen, zeigt auch die interessante Be¬ 
obachtung Schwenkenbechersin No.28 dieser Wochen¬ 
schrift. 

Nicht unwichtig .scheint mir auch, dass die Kältehyper¬ 
ästhesie der rechten Körperhälfte bei Frau N. im allgemeinen 
zurückgegangen ist in dem gleichen Masse, wie sich die übrigen 
Sinnesqualitäten gebessert haben. Dass die Reizschwelle für 
die Erregung der Kältepunkte Jetzt 30° gegenüber früher 25° 
beträgt, beweist nicht, dass die einzelnen Punkte hyper¬ 
ästhetischer, sondern dass sie zahlreicher geworden sind. Im 
Lichte des oben auseinandergesetzten allgemeinen Prinzipes 
der gegenseitigen Verdeckung verschiedener Sinnesqualitäten, 
Hesse sich daher die jetzige paradoxe Wärme¬ 
empfindung als eine der vorherigen Unter¬ 
drückung folgende reaktive Hyperästhesie 
oder im Sinne Lewandowskis”) als eine auf 
die vorherige pathologische Hemmung des 
Wärmezentrums folgende reaktive erhöhte 
Erregbarkeit deuten. Ungelöst bleibt natürlich die 
Frage, warum gerade die Kältenerven so oft derartige iso¬ 
lierte Reizzustände erfahren und warum die paradoxe Wärme¬ 
empfindung nicht in dem ganzen Gebiete auftritt, wo wir früher 
das abnorme Verhalten der Kälteempfindung fanden. 


Aus der orthopädischen Klinik des verstorbenen Herrn 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Hoffa. 

Zwei Fälle von Luxation im Metatarsophalangealgelenk. 
Doppelseitiger Abriss der Streckaponeurose am Mittel¬ 
finger. 

Von Dr. F r i t z W e t jt e, Spezialarzt für orthopädische Chirur¬ 
gie in Köln a/Rh. (früher Assistenzarzt der Hof faschen Klinik). 

Luxationen im Metatarsophalangealgelenk sind ausser¬ 
ordentlich seltene Verletzungen, weil sie nur bei sehr starken 
Gewalteinwirkungen unter bestimmten Verhältnissen auftreten 
können. Am häufigsten kommt die dorsale Luxation des Hallux 
vor. Sie entsteht durch extreme Dorsalflexion. Dabei wird 
das Köpfchen des Metatarsus nach unten gedrängt, die Gelenk¬ 
kapsel wird zersprengt und das Köpfchen tritt aus dem Gelenk 
heraus, während die Phalanx auf den Rücken des Metatarsus 
hinaufrutscht. Gewöhnlich entsteht sie durch Sprung oder Fall 
auf die Füsse mit Vornliberfallen des Körpers. In ähnlicher 
Weise müssen wir uns die viel selteneren dorsalen Luxa¬ 
tionen der übrigen Zehen entstanden denken. Schwerer ver¬ 
ständlich ist die Enfstehungsursache der plantaren Luxationen. 
Der Mechanismus derselben muss natürlich der umgekehrte 
sein und kann nur so zustande kommen, dass die Zehen irgend¬ 
wie fixiert sind und der Fuss mit Gewalt, in umgekehrter Rich¬ 
tung wie bei der dorsalen Luxation, also plantarwärts, über die 
fixierten Zehen hinübergehebelt wird. Ich verfüge über je 
einen Fall von plantarer und dorsaler Luxation der 3 mittleren 
Zehen im Metatarsophalangealgelenk, deren Krankengeschichte 
ich im folgenden kurz mitteilen will. 

Im ersten Fall handelte es sich um einen 29 jährigen Monteur, 
Arthur R., der am 18. August 10 m hoch von einer Leiter abgestürzt 
war. Nach seiner Angabe kam er zunächst mit den Zehen auf die 
Erde, sank dann in die Knie ein, so dass das Qesäss die Fersen 
berührte und schoss aus dieser Stellung vornüber auf den Kopi. 
Ausser einer starken Fleischwunde über dem rechten Auge und einer 
Schädelbasisfraktur zog er sich eine Verletzung des rechten Fusses 

”) 1. c. 


zu. Der Fuss schwoll sofort stark an; der Mann konnte nicht mehr 
auftreten. Er bekam zunächst einen Schienenverband, dann Stärke- 
verband für 4 Wochen. Dann wurde er nach Berlin geschickt. Auch 
hier wurde der Fall zunächst nicht erkannt. Der Mann bekam einen 
Gipsverband in starker Klumpfussstellung für 4 Wochen und wurde 
hinterher mit Massage und Bädern behandelt. Am 12. XI. 06 kam er 
in unsere Klinik. Er klagte damals noch über starke Schmerzen im 
rechten Fuss, er konnte den Fuss nicht aufstellen und nur auf dem 
Hacken laufen. Auch meinte er, die bereits vor dem Unfall be¬ 
standene Plattfussstellung sei schlimmer geworden. Der objektive 
Befund war folgender: Der rechte Fuss steht in starker Plattfuss¬ 
stellung. Taluskopf und Os navicularc prominieren stark an der 
Innenseite. In der Mitte der Fussohle in der Gegend des Metatarso- 
phalangealgelenkes fühlt man eine kugelige Prominenz. Die Köpfchen 
der 3 mittleren Metatarsen lassen sich leicht abtasten. Die zuge¬ 
hörigen Zehen stehen im Grundgelenk in Dorsal-, im Mittelgelenk in 
Plantarflexion. Die Bewegungen im Fussgelenk sind unbehindert. 
Die grosse Zehe ist frei beweglich. Die übrigen Zehen sind aktiv 
unbeweglich. Wenn Pat. steht, so ruht die grosse Zehe und der 
innere Fussrand auf dem Boden auf, die übrigen Zehen ragen in die 
Luft. Beim Gehen wird der rechte Fuss nur mit der Ferse aufge¬ 
setzt. Das Röntgenhild zeigt die Knochenverhältnisse mit voller 
Deutlichkeit (siehe Zeichnung). Der linke Fuss steht in geringerer 
Plattfussstellung. Rechts besteht ein Leistenbruch. 



13. XI. 06 Operation (Dr. Wette). 

1. Operation der rechtsseitigen Leistenhernie nach Bassini. 

2. Nachdem erfolglos versucht war die unblutige Reposition vor¬ 
zunehmen, wurden durch 2 Längsschnitte von der Fussohle aus die 
luxierten Metatarsusköpfchen freigelegt. Es wurde dann nochmals 
versucht durch Zug und Druck die Zehen zu reponieren, aber ohne 
Erfolg. Die Köpfchen der 3 mittleren Metatarsi wurden darum rese¬ 
ziert; die Wunde wurde vernäht und ein Gipsverband angelegt in 
supinierter Stellung des Fusses unter starker Herabdrängung der 
Zehen. Primäre Wundheilung. Der Mann bekam eine Zelluloidplatt- 
fusseinlage, wurde noch einige Wochen massiert und mit mediko- 
mechanischen Uebungen behandelt, und wurde dann am 10. I. 07 mit 
2G Proz. Erwerbsbeschränkung entlassen. Bei der Entlassung standen 
zwar die Zehen noch in leichter Dorsalflexion und berührten den 
Boden nicht; der Mann konnte mit seiner Einlage aber wieder tadellos 
auftreten und mehrere Stunden ohne Ermüdung gehen. 

Ein Pendant zu diesem ibiklet ein anderer Fall von plan¬ 
tarer Luxation der 3 mittleren Zehen, den ich unter den Kran¬ 
kengeschichten der Klinik fand. 

Es handelte sich um einen 19 jährigen jungen Mann, Ernst B., der 
als Einjährigfreiwilliger in Würzburg diente. Beim Reiten stürzte 
er mit dem Pferde und kam mit dem rechten Fuss unter dasselbe zu 
liegen, so dass der Vorderfuss durch den Sporenriemen stark über¬ 
streckt wurde. Die Zehen staken im Sande, während die Sporen in 
die Satteldecke gestossen waren. Es entstand sofort eine starke 
Schwellung des Fusses. Zuerst wurde ein Schienenverband angelegt 
und kühle Umschläge gemacht. Bei der Aufnahme in die Klinik zeigte 
der rechte Fuss ein starkes Hämatom und Schwellung von den Knö¬ 
cheln bis zu den Zehen. Die Knochenverhältnisse waren deshalb nicht 
genau abzutasten. Von den Röntgenbildern ist leider nur mehr das 
nach vollzogener Reposition aufgenommene vorhanden. Dagegen 'ist 
das erste Röntgenbild in der Krankengeschichte genau beschrieben: 
„Die Köpfchen der 3 mittleren Metatarsi,‘besonders deutlich das des 
II. sind aus ihren Geweben heraus nach oben (dorsalwärts) luxiert, 
während die Grundphalangen der zugehörigen Zehen plantarwärts 
verschoben sind. Die Ränder der Articulatio tarsometatarsea sind 
rauh, wahischeinhch infolge Abreissens der Bänder und Kapsel¬ 
ansätze. Der Schatten des Os cuneiforme III. ist unregelmässig und 
verschwommen. Es scheint ein Kompressionsbruch desselben vorzu¬ 
liegen.“ Das nach vollzogener Operation aufgenommene Röntgenbild 
zeigt normale Gelenkverhältnisse im Metatarsophalangealgelenk und 
einen geheilten Bruch des Os cuneiforme III. 

Wie schon erwähnt, wurde die Luxation in Narkose durch 
Händedruck und -zug am Vorderfuss reponiert. Die Reposition ge¬ 
lang ziemlich leicht und wurde fixiert mittels eines Heftpflaster¬ 
verbandes mit Heftpilasterpelottc unter leichter Plantarflexion der 
Zehen. Nach Abnahme des Verbandes zeigt Pat. Neigung, in Supir 

3* 


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ml 


MtJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 . 


tion des Fusses aufzutreten. Es wird deshalb ein Oipsvcrhand in 
Valgusstellung des Fusses angelegt. Nach 8 Tagen wieder Massage 
und Bewegungsübungen. Bei der Entlassung bestand noch eine 
Schwäche des rechten Fusses und Unterschenkels und eine leichte 
Behinderung der Abwicklung des Fusses. 

In No. 14 dieser Wochenschritt, Jahrgang 1906, berichtet 
Selbe rg über 6 eigene und 11 aus der Literatur gesammelte 
Fälle von Abriss der Streekaponeurose der Finger. Ich möchte 
dazu einen neuen Fall kurz rnitteilen, der dadurch merkwürdig 
ist, dass der Abriss der Aponeurose gleichzeitig an beiden 
Mittelfingern bestand. 

Es handelt sich um ein 16 jähriges Mädchen M. B.. die im Iah re 
1905 beim Herunterziehen des Strumpfbandes mit dem rechten Mittel¬ 
finger zwischen Strumpf und Strumpfband hängen blieb. Dabei ver¬ 
spürte sie einen „Knax“. (11cich hinterher stand das EirJgclcnk in 
Beugestellung und konnte aktiv nicht mehr gestreckt werden. 
Schmerzen hat das Mädchen dabei nicht gespürt, auch weiterhin der 
Sache keine Bedeutung beigeiegt, da sie in der (icbraucliMah.gkeit 
der Hand dadurch nicht behindert war. 2 Jahre spater verwickelt 
sich der linke Mittelfinger beim Stnmipiaiisziehcn in den Strumpf. 
Das Mädchen spürte wieder einen „Knax” ohne besonderes Schiffe iz- 
gefiihl. Als sie den Finger herauszog, stand auch hier das Endgeluik 
in Beugestellung und konnte aktiv nicht mehr gestreckt werden. 
Streckte man das Endglied passiv, so federte es w ieder in die Beuge- 
Stellung zurück. Auch an der linken Hand fiihlte das Mädchen sich 
dadurch nicht behindert. Das Mädchen bietet einen stark rachitischen 
Typus dar, hat rhaclntische X-Beine und, was vielleicht besonders be¬ 
merkenswert ist, am rechten Knie bestellt eine hubitueae Patellar- 
luxation, die durch einen Eall aufs Knie entstanden ist. Aus der An¬ 
amnese ist zu erwähnen, dass eine 18 jährige Schwester der Patien¬ 
tin ebenfalls an habitueller Patellailuxatiou leidet und dass, nach 
Angabe des Vaters, die Mutter, welche wegen Lungenschwindsucht 
lange bettlägerig war, bei den geringsten Bewegungen, beim Auf¬ 
richtern Umdrehen im Bett etc. sieh sehr häufig die Kniescheiben 
verrenkte. Von beiden Fingern wurden Röntgenbilder augefertigt, 
die aber normale Knochenverhältnisse ergaben. Eine Knoehen- 
absprengung lag bestimmt nicht vor. Von einer Therapie wurde 
natürlich bei der Geringfügigkeit der Verletzung abgesehen. 


Aus der Privatklinik für Nervenkranke „Hohe Mark“ bei 
Frankfurt a. M. 

Zur Therapie des Heufiebers. 

Von Hofrat Dr. A. A. Friedländer. 

Der nachstehende Fall bietet nach manchen Richtungen hin 
Interesse, weshalb ich ihn zur Darstellung bringe. 

Die an Heuschnupfen Leidenden haben derartig zu leiden, 
gieilen in ihrer Not häufig zu so verkehrten Mitteln, die ihnen von 
Kurpfuschern und durch Annoncen angepriesen werden, dass es auch 
schon aus diesem Grunde angebracht erscheint, den Verlauf dicker 
Erkrankung bei einem Patienten zu skizzieren, den ich aus anderen 
Gründen bereits über Ws Jahr in Behandlung habe und wobei ich 
zwei schwere Heufieberperioden beobachten konnte. Auf die Krank¬ 
heit, wegen derer der Patient in meine Behandlung trat, gehe ich an 
dieser Stelle nicht ein. Der jetzt 27 jährige Patient stammt von einem 
Vater ab, der angeblich an Tuberkulose litt; derselbe hatte so 
empfindliche Schleimhäute, dass er fast nach jeder Eisenbahnfahrt 
mehr oder minder starke Bronchialreizungen zeigte; die Mutter ist 
sehr nervös, leidet an ziemlich schweren Bronchitiden und gleich¬ 
falls im allgemeinen an sehr empfindlichen Schleimhäuten. Der 
Patient seihst ist hochgradig nervös, er hat gesunde Lungen. Die 
Tuberkulinprobe fiel negativ aus. Seit dem 11. Jahr leidet Patient 
an Heufieber, dasselbe trat jeweils in verschiedener Stärke auf. Es 
zeigte die bekannten Erscheinungen von mehr oder minder starker 
Konjunktivitis, Schnupfen, Asthma und daran sich anschliessendem, 
oftmals mehrere Monate dauernden» Husten mit Auswurf. Ende 
Mai 1907 begann wieder der Heuschnupfen. Bei einem Ausflug trat 
der erste Anfall ein, im Laufe des Monats Juni entwickelte sich die 
Krankheit zu ihrer vollen Höhe, die Konjunktivitis wurde, nachdem 
Patient in den früheren Jahren eine grosse Zahl der angepricscncn 
Mittel versucht hatte, durch Rhinokulin günstig beeinflusst. Das 
Asthma trat iu ziemlicher Schwere auf und führte zuweilen zu hoch¬ 
gradiger Dyspnoe. Hypnotische Behandlung, die, da der 
Patient sich selbst grosse Mühe gab den Suggestionen zu folgen, 
stets nach wenigen Minuten zum Einschlafen führte, brachte eine 
wesentliche Besserung der Beschwerden herbei, besonders 
gelang es in der Hypnose ein ruhiges u ml 1 1 c f e s 
Atmen zu erzielen, so dass die Asthmaantälle während des 
Schlafes sowohl bei Tag, wie in den Nächten mit viel ge¬ 
ringerer Heftigkeit, zuweilen auch gar nicht auftraten. Die 
ganze Erkrankung wurde auf diese Weise wesentlich abge¬ 
kürzt und dauerte nur 3 Wochen. Patient zeigte während 
dieser Zeit sogar eine geringe Gewichtszunahme. Am seihen Tag 
des Jahres 19U8, wie im Vorjahr, traten die ersten Zeichen des Heu¬ 


fiebers wieder ein. Patient leidet an starkem Tränen der Augen. 
4 Tage später tritt ein überaus schwerer Ai.ial! von Heuasthma ein. 
der mehrere Stunden dauerte, zu Ersticke gsa"fa!leii führte und 
erst, nachdem der Kranke mehrere Asthmaz.garctteii geraucht hat. 
etwas geringer wird. Die Koiiuiukt:\it:s und der Rachen ze gen 
sich sehr stark getötet; Pat.ent bleibt die ganzen läge im ver¬ 
schlossenen und verdunkelten Zimmer. Die Whma.um lle treten nun 
meist nachts in z,emicher >chwerc auf, s JC - sind besonders schwer 
vor Gew ittei n. leichter, wenn das < icw ittcf Vorüber und eine \b- 
kulilung der Tempi*i atur eingetreten ist. Pat ent sieht sehr angegrnu n 
aus; zwischen den em/e.neii \>lhmaar..ta.;en besteht hocligr a mgc 
Dyspnoe, aut mehrere Meter l.ntte: nur.g \ <»n dem Patienten hört 
man das Pfeifen der Eiligen; die Besciiw cr-den werden zeitweilig s<» 
stark, dass zweimal Imektioiieti \<>u ",ol Morphium notig werden, 
um dem Patienten Linderung zu \etsvhai%cn. D.e E mümung v« n 
reinem Snucrstoti, die Darreichung \mi >nhp\ rm, heisse Daher 
lehren zu keiner wesentlichen Besser img. Da d.e At.ra.e s.Ji So 
i.iscli zu ihrer sollen I lohe entw .ekelt haben, ist es umnogl.Ji. w .e 
m.i \ i-M.ilir. die Ihpumse zur Anwendung zu himgen, indem der 
Patient untalng ist, ein.ge M nuten iiiing zu lagen und den 
Suggestionen des Arztes I .hge zu le steil. Lh entsci .esse n..ch mm. 
eine Versuch mit dem M.ttel hupneuma 1 ) tPr. Ritsert) zu machen. 
Die Wiikuug wai eine auiia.a nde; last momentan cmptai.d der 
Patient eine Linderung der as:;,mat>chen Beschwerden, er \er- 
iiiochte Billiger zu atmen, es kam zu krall,gen Husteiisto-c t p und 
I'.ntleet i/ng der Bionch.e:’. Lh sb, l.te dem Patienten mm f«- genden 
Kutp.au aut: die,mal täglich iie's ich eine Irma atuu» mit t eiiol ; l 
\o: nehme:;; soss ie er tfps te* dass das Astmi a starker a..ttetcn 
s\o. ;e. gebtauclile er t.r.e Z.; s;. t ,i: :,g von l.i;p::eii:r;a. Aesse*dem 

seioiduete ich ihm he.sse Bi ast, ac klingen; gegen d.e kn.m.K- 
tisit.s s ei suchte er ohne Erlog (irammol. 1 »age gen brachte ihm 
Rliiuokulm geiade ss ie im \oiiahr l.indci ung der Beschss erc.en in 
der Nase. Zusammeulassend. 

Es handelt sich also um einen jungen Mann, der seit In Jahren 
an llentieber mit allen Semen >\uipioitien leidet. Patient hat Von 
Seinen Eltern her empfindliche >ch,eimhaiite. Interessant ist, 
dass die 11 y p n o s e. z u einer Zeit a n g e s\ e n d e t. d a 
die asthmatischen E r s c h e i n u n gen n o c h nicht 
zu schwere geworden s i n d. eine deutliche Lin¬ 
derung und eine Abkürzung der Krankheit zur 
Eolge hatte. Der Vergleich zwischen den beiden An¬ 
fällen, die ich beobachten konnte, besseist, dass der zsscite Amail un 
Jahre 19i»S viel schsserer ssar u s der im Jahre bei dem die 

hypnotische Behandlung zur Anss eiuiuiig kam. Aeussere l mstande 
sind hierbei so gut ss ie nicht in Betracht zu ziehen, denn d.e Iw.den 
Sommer vcrheien in unserer Gegend zieml ch g'eictunassig. auch 
haben sich die Termine der (irasblute und Heuernte mdit geändert. 
Wählend eine ganze Reihe von Mitteln, d.e heuer zur Anssendung 
kamen das Heuasthma mellt beeinflussten, zeigte sich eine sehr gün¬ 
stige Beeinflussung durch das E.upüeuma; gieichta.ls zmrieden war ich 
mit dem Erfolg des Rliiuokulm. Da aber gerade das Heuasthma jenes 
Symptom ist, ssclches die Kranken am meisten quält und am niesten 
henmterbrmgt. auch ihre Einigen Inr sekundäre InteV. "Men geneigt 
macht, so w ollte ich auf dieses M.ttel einerseits mit J|e Möglichkeit 
durch Hypnose, die, zur rechten Zeit zur Anwendung gebracht, sehr 
günstige Eriolge zeitigt, emzuss irken. andere: sc :s limw eisen. Be¬ 
züglich der H\ puose mochte ich noch bemeiken. c’.isn. wie dies audi 
schon wiederholt von anderen Autoren lind nur an anderen Urten 
betont wurde, die M\pimse m elcr Wese zur Anw endung gebracht 
weiden muss, dass sie am eine Markung des W.llens des Pat enten 
Beelacht nimmt; dass a.s<| ii.e llepu-sc n.dit in elcr Wese e:n- 
gelcitet werden e! a: f. dass der Patient autge !"',!e: t w.:d. sich \o l.g 
dem Willen des Mv piiotsiere inlen zu ulnte wer len. sondern, eiass ihm 
im Gegenteil gezeigt wnl. wie er es zu niadien b.at. um du: di An¬ 
strengung seiner W illeusk i alt. durch Ko-ii/entrat. 4f m den Scb'af- 
zustaud zu \ erfalieft. Diese W il.eüH- oder Koii/eutratious ibungeii 
setzen den Patienten m die Lage, gew sser kraukln.tter Zustande 
Herr zu w erden, «Meile unseren bei mimten Huieiand: „Von der 
Macht des (iemutes usw .”) Ich nmdüe n«*ch benic'kcri. dass ich 
bei wiederholter Anwesenheit :n He'go'mul bei Kranken, de sch 
dort auiliielteil, zum Teil dieselben Belast, gungen dutdi den Heu- 
seb,impfen, durch die Aiigeiienlzundungt n, d.e sie mitgebraclit hatten», 
beobachtete, wie bei Kranken, die sich im Mitie'gehi: ge aufhalten. 
Mein Patient gibt an. dass er. wenn er z. Z. der Heuernte m Berlin 


1 ) Eupueuma ist von Dr. E. R i t s e r t. Frankfurt a. M.. im Jahre 
1P07 empfohlen worden. Es enthalt An isthesm. Atropin. Mraniomum, 
Salpeter und Belladonna. Von Atropin kommen nur lebe eines Milli¬ 
gramm durch den Zerstaubuugsapparat in Vuweidung. die Wirksam¬ 
keit erhöht sich durch die ausgedehnte t achetiw .rkr.rg. wie dies der 
Mitei fiiuler. Dr. Avellis in sc.rer Vrlw.t aave .:,rt hat. I bis 
Mittel ist bei Dr. Ritsert. 1 rauknirt a. M.. W'wkg.isw 32 zu haben. 
(Preis M. 4.5 h für das Mittel und fnr den Zerstäuber M. 5 .'hi. ) 

*) Fluinol ist ein konzentriertes Komm wi rmapamit, das zu Ba¬ 
dern zugesetzt wird. Ich habe als erster dt u \ e'siwh gemacht, mit 
Eltiinol während der Heufiebererkrankung' inhalieren zu lassen. L ie 
Wirkung war recht befriedigend. 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1933 


war, nicht so schwere Erscheinungen bekam, als auf dem Lande. 
Ich glaube aber, die Gefahr, die der Heufieberkranke in Städten be¬ 
züglich der sekundären Infektionen läuft, darf nicht unberücksichtigt 
bleiben. 


Beiträge zum chirurgischen Instrumentarium. 

Von Dr. Alwin Ach, II. Assistent der chirurgischen Klinik 
München. 

I. Mitteilung. 

Gastrotrib. 

Die Magenquetschzange (Gastrotrib) setzt sich aus 2 vier¬ 
kantigen, langen, glatten Stahlstäben zusammen, die an ihrer Be¬ 
rührungsfläche durch viele sich kreuzende Furchen aufgerauht sind. 
Der untere Stahlstab oder Hebel trägt an seinem vorderen Ende den 
männlichen Teil des Schlosses — einen schmalen, stark nach oben 



Fig. 2. 


und hinten umgebogenen Bügel, der zwischen die 2 Branchen des 
oberen Hebels — weiblicher Schlossteil — eingreift und sich mit 
seinem am Ende des Bügels befindlichen knopfartigen Vorsprunge in 
einer entsprechenden Vertiefung des oberen Hebels festhakt. Der 
Bügel nimmt nach dem knopfartigen Ende an Stärke in querer Rich¬ 
tung zu, so dass er sich zugleich beim Schliessen der Zange zwischen 
die Branchen einklemmt, wodurch seitliche Bewegungen der Hebel 
bei Annäherung derselben bis zur Berührung unmöglich sind und so 
die Berührungsflächen sich vollständig miteinander decken. Bild 2 
zeigt das Schloss in natürlicher Grösse. Am hinteren Ende der 
beiden Hebel befindet sich ein weiteres Schloss, ein sogen. Sperr¬ 


verschluss. Dieser besteht aus 2 mit dem oberen Hebel durch eine 
Schraube in gelenkiger Verbindung stehenden, an ihrem unteren Ende 
durch einen queren Metallstab federnd fixierte Branchen, von denen 
die eine auf ihrer Innenseite eine Zahnleiste aufweist. Dieselbe ent¬ 
spricht in ihrer Lage einem am hinteren, beiderseits sich verjüngen¬ 
den Ende des unteren Hebels seitlich vorspringenden Zahne, der bei 
Schluss der Zange durch Aufdrücken des Sperrverschlusses von hinten 
nach vorne in die Zahnleiste eingreift und bei vollständigem Schlüsse 
der Zange bis zur Berührung an der federnden Zahnleiste hochspringt, 
und durch seine Verhakung ein Sichöffnen der Zange verhindert. Der 
auf Bild 1 abgebildete Exzenterhebel kann von hinten über den Sperr¬ 
verschluss auf die Zange geschoben werden, wodurch es ermöglicht 
ist, durch leichten Druck auf den Exzenterhebel (cf. Bild III) die 
beiden Hebel der Zange völlig zu schliessen und dazwischenliegendes 
Gewebe durchzuquetschen. Das Instrument dient vor allem zur 
Durchquetschung des Magens bei der Resektion des Magens ev. des 
Darmes. 

Anwendung: Nach Durchtrennung des Omentum 
minus und des Ligamentum gastrocolicum und Unterbindung 
der grossen Qefässe an der grossen und kleinen Kurvatur wird 
der untere Hebel durch die Oeffnung des Ligamentum gastro¬ 
colicum hinter dem Magen nach oben und zur Oeffnung des 
Omentum minus herausgeführt; der Magen liegt also auf dem 
Hebel, der in die gewünschte Richtung (Resektionslinie) am 



Fig. 4. 

Magen gebracht wird. Hierauf wird der andere Hebel fast 
senkrecht zum unteren derart aufgesetzt, dass der bogen¬ 
förmige Bügel des männlichen Hebels zwischen die Branchen 
des weiblichen zu liegen kommt. Unter gleichzeitigem Drucke 
nach vorn in der Längsrichtung des weiblichen Hebels verhakt 
sich das Schloss und letzterer wird an seinem hinteren Ende 
gesenkt und soweit dem männlichen Hebel genähert, dass der 
hintere Sperrverschluss eben geschlossen werden kann. Hie¬ 
bei stehen die beiden Hebel noch so weit im Winkel aus¬ 
einander, dass der dazwischenliegende Magen noch nicht ge¬ 
quetscht wird; es wird nun der Exzenterhebel von hinten über 
den Sperrverschluss auf die Zange geschoben (cf. Fig. 4) 



Fig. 5. 

und zwar möglichst nahe an den Magen. Ein leichter Druck 
auf den Exzenterhebel quetscht Schleimhaut und Muscularis 
des Magens durch, während die Serosaflächen erhalten bleiben 
und fest aufeinandergepresst werden. Nun wird der Exzenter¬ 
hebel nach hinten heruntergenommen, ohne dass der Sperrver¬ 
schluss geöffnet wird. Nach Anlegen einer Magenklemme am 
abfallenden Magenteile, nahe an der Quetschzange wird *- 


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1934 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


einem Skalpelle zwischen beiden der Magen durchtrennt; man 
kann sich direkt an der glatten Fläche der Magenquetschzange 
bei der Durchtrennung halten, oder, wenn man die Befürchtung 
hegt, der Magen könne durch die Quetschzange durchgleiten, 
kann man etwa 1 cm davon entfernt die Durchtrennug vor¬ 
nehmen. Ein Assistent fasst nun an beiden Enden die Zange 
und dreht sie so um 90 u um ihre Längsachse, dass die kardial- 
wärts gelegene Seite nach hinten sieht. Es folgt bei liegen¬ 
der Zange der Verschluss des kardialen Magenteiles mit fort¬ 
laufender Matratzennaht (gerade Nadeln), indem man sich beim 
Einstechen der Nadel immer an die glatte, nach hinten gelegene 
Seitenfläche der Zange hält. Nach Fertigstellung dieser Naht 
wird ev. nach Abtragen des noch Testierenden schmalen Magen¬ 
saumes die Quetschzange abgenommen. Es zeigt sich nun, dass 
in den meisten Fällen keine Blutung auftritt und man infolge¬ 
dessen das Anlegen von Schiebern mit nachfolgender Unter¬ 
bindung der Gefässe erspart (in einzelnen Fällen waren 
3 bis 4 Unterbindungen nötig). Die aufeinandergepresste 
hintere und vordere Serosafläche ragt über die Matratzen¬ 
naht wie ein schmales Band vor und lässt sich durch 

eine fortlaufende seromuskuläre Naht leicht einstii Ipen 

(cf. Fig. 5), eine dritte Nahtreihe ist nicht notwendig. 

In obiger Klinik wird nach Möglichkeit die Oastroduodeno- 
stomie nach Kocher angescldossen; falls dies aber 

nicht möglich sein sollte, oder man überhaupt von vornherein 
die Methode Bi 11 rot h II wählen will, so kann man auch das 
Duodenum in gleicher Weise versorgen. 

Der Vorteil des Verfahrens liegt darin, dass die Opera¬ 
tionsdauer um ca. 15 Minuten abgekürzt wird, da man beim 
Durchquetschen des Magens keine Blutstillung braucht, ferner 
keinen so dicken Wulst wie früher einzustülpen hat, was zum 
Teil mehr Schwierigkeiten verursachte, auf jeden Fall eine 
längere Zeit in Anspruch nahm. Hierdurch ist es auch er¬ 
möglicht, dass man mit den beiden oben erwähnten fortlaufen¬ 
den Nähten^auskommt, während man doch sonst häufig ge¬ 
zwungen war, um einer Insuffizienz der Naht vorzubeugen, 
eine dritte Nahtreihe anzulegen. 

Zunächst wurde dieses Verfahren an 12 Hunden ans¬ 
probiert. Diese wurden z. T. nach einem Tage, z. T. erst nach 
14 Tagen getötet, z.-T. gingen sic in der Zwischenzeit an 
Inanition zu gründe, da absichtlich die Magenresektion in der 
Hälfte der Fälle ohne Gastroenterostomie gemacht wurde. Zu¬ 
gleich bekamen die Hunde sofort nach der Operation viel feste 
und flüssige Kost, damit die Festigkeit der Naiit nach Möglich¬ 
keit in Anspruch genommen w urde. Es zeigte sich bei den 
Sektionen niemals eine Nahtinsuffizienz oder eine Nachblutung, 
die Resektionsw unde des z. T. sehr stark gefüllten und sekundär 
erweiterten Magens war immer solid verheilt. Auch am Men¬ 
schen hat sich das Verfahren in 7 Fällen bewährt. 2 Fälle 
kamen ad exitum, einer infolge von Pneumonie, einer infolge 
von doppelseitiger, sekundärer Parotitis. In beiden Fällen 
ergab die Sektion keine Nachblutung, keine Peritonitis, die 
Naht war suffizient, die Magenwunden waren solid verheilt. 

In Anbetracht der erwähnten Vorteile, die m. E. durch die 
Graser sehe Magenklemme, die ja ihrer ganzen Konstruktion 
nach nur zum Abklemmen nicht zum Abquetschen des Magens 
dient, nicht geboten werden, habe ich mir in voller Ueber- 
zeugung von der Güte des Verfahrens erlaubt, nach zwei¬ 
jährigem Gebrauch das Instrument dem Forum der Oeffent- 
lichkeit zu unterbreiten. 

Das Instrument wurde nach meinen Angaben von der Firma 
Stiefenhofer, München, Karlsplatz, hcrgcstellt. 

Ein Beitrag zu den Untersuchungsmethoden über 
Erythrozytenformen. 

Von Dr. Kando Yamada aus Japan. 

Sehr störend bei der -Untersuchung der Erythrozyteu- 
formen ist die bald nach der Entnahme des Blutes ans dem 
Gefässe auftretende Agglutination der roten Blutkörperchen; 
auch bei defibriniertem Blut tritt bald Agglutination aut', so 
dass die genaue Beobachtung der Lrytln oz> tenformen unter 
dem Mikroskop verhindert oder sehr erschwert wird. 


Schon die Art und Weise der Reinigung des Deckglases 
und Objektträgers bewirkt eine Verzögerung (-der Beschleuni¬ 
gung der Agglutination. Reinigt mau ein Deckglas mit ge¬ 
wöhnlichem Brunnenwasser, so tritt mit Menscheublut sch-*n 
sehr bald, spätestens nach 4 5 Minuten, beim Glimmer nadi 

7 8 Minuten die Agglutination auf; wäscht man aber das Deck¬ 

glas mit 40 proz. Alkohol und nachher n.oJi mit oo pro/. Alko¬ 
hol, so zeigt sich die Agglutination erst nach 7 8 Minuten, 

beim Glimmer nach 12 Minuten. 

Um nun die Agglutination möglichst lange haiaus/u- 
schieben, habe ich bei meinen Untersuchungen den Glimmer 
verwendet. Zu diesem Zwecke muss der Glimmer in mög¬ 
lichst dünner Schicht abgetrennt werden; daun schneidet man 
denselben in der Grosse der gewöhnlichen Deckgläser. 2 der¬ 
artige Deckplättchen werden nun aufeinander gelegt ur.J 

2 Kamen mit Parum- verklebt; es bleibt dann dazwischen 
ein etwa 1 IG cm breiter Kapillarraum. 

W enn man mm 2 so auleinandergelegte DeckglasJieti in 
einen Tropfen Blut tauJit, so wird eine dünne Schicht des¬ 
selben in den Kapillarraum hineingesaugt; darauf werden so¬ 
gleich die beiden anderen Kanten mit Paraffin geschlossen und 
das Präparat auf einem gewöhnlichen Obiektglas ftntcrsiichi. 
Je mehr Blut in den Kapillarraum h i ne inge saugt wurde, desto 
schneller trbt die Agglutination auf. Man lässt deshalb mög¬ 
lichst wenig Blut in den Kapillarraum hinein, so dass die Blut¬ 
menge etwa '« des Kapillarraumes betragt. 

In den Fällen jedoch, bei welchen das Blut mit hypiso- 
tonischen oder mit hyperisut,mischen Losungen behandelt 
wird, muss man. um den Kapillarraum zu vergmssern. zwi¬ 
schen die beiden Ghmmerplättchen an 2 Kauten 2 cm lange und 

3 mm breite Scidenpapierstreiieii legen, daun werden diese 
2 Kamen mb Paraffin verklebt und in den nun grosseren 
Kapillarraum Blut huieinsaugen lassen und daun werden die 
beiden anderen Kanten wie in der vorher beschriebenen Weise 
ebenfalls verklebt. Durch die verschiedenen Konzentrationen 
der Losungen werden nämlich die Blutkörperchen geschwellt 
oder zusammeuge/rgeii und dadurch in dun Gesichtsfelde die 
Menge der Blutkörperchen vermehrt oder vermindert. Bel 
den in unten folgender Tabelle angeführten \ ersuchen sind 
die Untersuchungen mit Rinder-, Menschen-. Kaninchen- und 
Schweineblut gemacht worden, und zwar auf zweierlei Art: 
mit Glimmerplättchen und gewöhnlichen Deckgläsern und diese 
wieder auf zweierlei Art und Weise gereinigt, mit Wasser und 
mit Alkohol; die in Minuten angegebene Zeit ist d.e Zeit b.s 
zum Eintritt der Agglutination. 


T a b e 11 c. 



tili in in e r 

Glas 


Alkohol Wasser 

Alkohol 

W asser 

Rind 

in' 7-8’ 

o — 7' 

5' 

Mensch 

12' 1 7 s' 

7-8' 

5’ 

Kaninehe 

15' , in' 

7—8' 

5' 

Schwein 

15 bs' 12' 

7-10' 

! 

5' 

i 


Wie aus obiger Tabelle ersichtlich ist, agglutinieren die 
Rinderblutkörperchen am schnellsten, langsam geht es bum 
Menschenblut, noch langsamer beim Karauchenblut und am 
langsamsten beim SJiw emeblut. 


Die durchschnittliche Auftritt/eit der Agglutination für 
diese 4 Rassen zusammen betragt demnach fur 

«ui,,,..,er ... ; 

| \\ asser ( > es | W ussu r> 

Daraus geht hervor, dass der mit Alkohol gereinigte Glim¬ 
mer 2 mal länger die Agglutination verzögert als das mit Alko¬ 
hol gereinigte Glas und der mit Wasser gereinigte Glimmer 
noch 2 Min. _o Sek. spä T er agglntmiert als das mit Alkohol 
gereinigte Glas. 

Wenn man nun eine hypisotonisdie Losung, z. B. Rirger- 
losung und 7ö prom. Na CI mit Schw eircb'm, weLhes am lang¬ 
samsten agghitmiert. versetzt, so (von Ru ger wurde iiain- 
Lc 11 konstatiert, dass das Blutserum der >.r:g«-ftVre einer ge¬ 
mischten Losung von o g NaCI - n.J g KCl • u.3 CaCl 



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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1935 


+ 1000 Aq. dest. gleichwertig ist) kann man die Agglutination 
2 mal so lang verzögern als das bei reinem Blut möglich ist. 

II. Versuch. 

5 Tropfen Schweineblut, 5 ccm 7°/<x> Ringer. 

Glimmer. Glas 

Alkohol 30—35’ Alkohol 15-18’ 

Wasser 25—30’ Wasser 10—15’ 

Ausser durch die verschiedenen Reinigungsmethoden und 
die Verschiedenheit von Qlimmer und Qlas und die Ringer¬ 
lösung wird das Agglutinationsvermögen der Blutkörperchen 
auch durch die verschiedengradige Konzentration der Ringer¬ 
lösung vermehrt oder vermindert, so dass reines Blut ohne 
Zusatz unter Glimmer nach 13—15 Min. und Blut mit hyp- 
isotonischer Lösung ebenfalls unter Glimmer nach 30—35 Min. 
agglutiniert, während unter dem gewöhnlichen Glas die Agglu¬ 
tination doppelt so schnell vor sich geht. Ebenso wie bei ver¬ 
schiedenen Tierarten die Blutgerinnung ungleichzeitig auftritt, 
ebenso tritt auch die Erythrozytenagglutination nicht gleich¬ 
zeitig a-uf. 

Eine merkwürdige Tatsache ist, dass, wenn man Blut zweier 
gleicher Tierarten mischt, das Gemisch noch schneller aggluti¬ 
niert als das reine Blut. Die Erythrozyten eines 1 Yi—2 Monate 
alten Embryo agglutinieren auffallend langsam, ebenso wie das 
Blut langsam gerinnt; unter einem gewöhnlichen Deckgläschen 
ti itt beim Blut eines Embryo erst nach ca. 6 Stunden die Aggluti¬ 
nation ein, so dass man während dieser Zeit die Form genau 
studieren kann, Unter Glimmer erst nach 10—12 Stunden. 

III. Versuch. 

Blut eines 1V«—2 Monat alten Rindsembryo. 

Glimmer. Glas. 

Alkohol 10-12 St. Alkohol 6 St. 

Wasser 8—10 St. 'Wasser 2-3 St. 

Leider konnte ich von dem Embryonalblut nicht so viel 
erhalten, um auch noch Versuche mit den verschiedenen Kon¬ 
zentrationen der Ringerlösung anzustellen; es würde sich jeden¬ 
falls durch die hypisotonische Lösung die Zeitdauer noch be¬ 
trächtlich verlängern lassen. Boll hat vom Vogelembryoblut 
konstatiert, dass es nicht vor 12 Tagen nach Austritt aus den 
Gefässen gerinnt. Boll und Landois haben angenommen, 
dass in diesem Blute nur sehr wenig fibrinogene Substanz ent¬ 
halten ist, auch sind, wie Argus und P o g ö s nachgewiesen 
haben, im Embryoblut wenig Kalisalze enthalten. Nach den 
Blutanalysen von Bunge und Abderhalden ist enthalten 
in den Erythrozyten von: 



Schwein 

Rind 

Kaninchen 

Wasser 

632,100 

599,900 

? 

Chlor 

1,504 

i 1.635 

? 

Kalium 

5,543 

0,747 

5,229 

Natrium 

0,000 

2,093 

0,000 


Nach den Blutanalysen von C. Schmidt enthalten die 
Menschenerythrozyten: 

Wasser 681,630 
Chlor 1,750 

Kalium 3,091 
Natrium 0,470 

Wenn man nun die oben angegebenen Blutanalysen be¬ 
trachtet, so sieht man, dass die Erythrozyten des Schwei¬ 
nes wasserreich sind und viel mehr Alkali enthalten als die der 
anderen Tierarten und es agglutiniert und gerinnt auch am 
langsamsten; das nächste in Bezug auf Alkaligehalt ist das 
Kaninchenblut, und wie aus Obigem ersichtlich ist, kommt 
es auch bei der Agglutination zwischen Schweine- und Men¬ 
schenblut zu stehen, welches wieder weniger Alkali enthält als 
Kaninchenerythrozyten. Am wenigsten Alkali von diesen 
4 Blutarten enthält das Rindsblut und dieses agglutiniert am 
schnellsten. Chlor ist in den Erythrozyten einer jeden Rasse 
in annähernd gleicher Menge enthalten, so dass also dadurch 
keine besondere Verschiedenheit bedingt sein kann. Ca ist nur 
in den Erythrozyten des Menschen enthalten, beim Schwein 
und Rind kommt dieses nur im Serum vor (0,136 beim Schwein 


und 0,126 beim Rind). Nach den nun gemachten Beobach¬ 
tungen muss man annehmen, dass die Verzögerung der Agglu¬ 
tination in Zusammenhang steht mit der Stärke des Alkali¬ 
gehaltes der Erythrozyten. Es agglutinieren am schnellsten die 
Rindsblutkörperchen (am wenigsten Alkali), dann etwas lang¬ 
samer die des Menschen, noch später die des Kaninchens uqd 
am langsamsten die des Schweines (am meisten Alkali). Ueber 
Pferdeblut habe ich keine Untersuchungen mit Glimmer und 
Glas gemacht, da es ohnehin langsam agglutiniert. Woher nun 
diese Verschiedenheit von Glas und Glimmer kommt, das fest¬ 
zustellen dürfte hier zu weit führen; jedenfalls spielt das ver¬ 
schiedene Wärmeleitungsvermgöen und die Glattheit der Ober¬ 
fläche des Glimmers bezw. Deckglases eine Rolle. Es soll 
hier nur festgestellt sein, dass man ohne fremden Zusatz zum 
Blute die Zeitdauer bis zum Eintritt der Agglutination beträcht¬ 
lich verlängern kann und es so ermöglicht wird, die Formen der 
einzelnen Erythrozyten genauer zu betrachten. 

___ t 

Die Feuchtigkeitsreaktion trockner Gelatine und ihre 
Bedeutung für die Präservierung von Fleischsaft. 

Von Dr. Geo. Richter, St. Louis, Missouri. 

Die Frage der Präservierung von Fleischsaft und ähnlichen or¬ 
ganischen Stoffen ohne Zusatz von chemisch wirkenden Mitteln 
scheint noch eine offene zu sein, wie wenigstens aus den „Puro“- 
Untersuchungen zu schliessen -ist. Ich möchte mir erlauben ein Ver¬ 
fahren mitzuteilen, das die unbeschränkte Aufbewahrung von Fleisch¬ 
saft u. dergl. wenigstens in trockener Form ermöglicht und sich aus¬ 
gezeichnet bewährt hat. Vor acht Jahren war der Betrieb hier im 
Grossen eingeleitet, wurde aber aus der Sache fremden Gründen 
bald w’ieder aufgegeben. 

Das Verfahren gründet sich auf die besondere Eigenschaft der 
Gelatine, mit der atmosphärischen Feuchtigkeit ein ungemein scharfes 
Gleichgewicht einzuhalten, wie ich in den Jahren 1898 und 1899 be¬ 
obachtet- habe. (Vortrag vor der Alumni-Association, College of Phar- 
macy, 20. März 1900, gedruckt im Jahresbericht, und vor der Aca¬ 
demy of Sciences, St. Louis.) 

Gelatine' in möglichst dünnen Tafeln getrocknet ändert ihr Ge¬ 
wicht je nach dem Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre fast momentan, 
jedenfalls viel schneller als ein in Zehntel Grade eingeteilter Thermo¬ 
meter Temperaturschwankungen anzeigt. Man kann folglich den 
Feuchtigkeitsgehalt der Luft aufs genaueste und rascheste mit der 
Wage bestimmen. Im Jahre 1899 demonstrierte ich dies mit Hilfe 
eines einfachen Apparates. An eine aufgehängte empfindliche Wage 
wurde an einem Arm ein Bouquet sehr dünner Gelatinetäfelchen, jedes 
von etwa 8 cm Durchmesser und von einem Gesamtgewicht nach 
gründlichem Austrocknen von 4435 g aufgehängt. Der andere Arm war 
mit einer Schreibvorrichtung versehen, die auf eine langsam 
rotierende Trommel (einem Zylinder auf einer liegenden Weckuhr) 
zeichnete. Von demselben Arm hing ein Aräometer und tauchte in 
ein Gefäss mit Paraffinöl, um den Ausschlag zu dämpfen. Die Wage 
war kni Gleichgewicht bei einer Luftfeuchtigkeit von 50 Proz. Mit 
dieser einfachen Vorrichtung wurden Ausschläge bis zu 3 cm, entspre¬ 
chend einem Feuchtigkeitswechsel von 70 Proz. erreicht. Gleich¬ 
zeitig wurde zur Kontrolle ein genaues Duplikat des Gelatinebouquets 
14 Tage lang, meist stündlich, auch des Nachts, gewogen. Hiermit 
wurde gleichzeitig ein Thermometerpsychrometer verglichen. In 
diesen abwechselnd trockenen und feuchten, heissen Augusttagen 
schwankte die Temperatur der Luft zwischen 20,5 und 32,2° C.. die 
des befeuchteten Thermometers zwischen 17,5 und 25,2°. Das höchste 
beobachtete Gelatinegewicht betrug 6,940 g, das niedrigste 6,065 g. 
Das Bemerkenswerteste dabei war, dass bei sehr hohem Feuchtig¬ 
keitsgehalt der Luft, bei 85—90 Proz., d'ie Gelatine stetig Gewichts¬ 
schwankungen anzeigte, denen die Thermometer nicht prompt folgen 
konnten. Weitere Daten darf ich wohl übergehen. 

Gelatine nimmt in mit Feuchtigkeit gesättigter Luft ein gewisses 
Maximum von Wasser auf (vermutlich als kondensiertes Gas) ohne 
merklich zu quellen. Erst nachdem sie in Wasser getaucht ist, quillt 
sie stark auf bis zu einem für ihre Qualität konstanten Maximum, 
wobei sie zerreisslich wird. Dann, beim Erwärmen, löst sie sich, 
oder richtiger zerfällt in kleinste Teilchen. Beim Abkühlen der „Lö¬ 
sung" verkleben diese Teilchen, es bildet sich eine Gallerte, die man 
wieder zu Tafeln trocknen kann. Gequollene und gelöste Gelatine 
fault bekanntlich sehr leicht, getrocknete, auch mit Feuchtigkeit ge¬ 
sättigte dagegen niemals; letztere widersteht auch den Angriffen von 
Würmern und Insekten. 

Um eine lichthoffreie photographische Platte herzustellen, ver¬ 
setzte ich (2. April 1898) eine 15 proz. Gelatinelösung mit einem mög¬ 
lichst konzentrierten Kaffeeaufguss zum Hinterguss für die Platte und 
trocknete sie. Vor Entwicklung der Platte wurde das Gelatine¬ 
häutchen abgezogen. Dies wurde an der Luft brüchig und Hess sich 
nach dem Trocknen, leicht zu einem feinen Pulver verreiben, was bei 
reiner Gelatine bekanntlich nicht möglich ist Das Pulver besass 


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1936 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


einen intensiven Kaffeegeruch und löste sich in warmem Wasser so¬ 
fort zu einem wohlschmeckenden Kaffee ohne fremden Beigeschmack. 
Ich hatte also ein klarlösliches Kaffeepulver hergestellt. Grössere 
Mengen davon haben sich im Laufe von 8 Jahren vorzüglich gehalten, 
obwohl sie nur in gewöhnlichen Pappschachteln aufhewahrt worden 
waren. 

Nach -diesen ersten Erfahrungen unternahm ich alsbald die Her¬ 
stellung von Suppenpulver: in der Fleischbrühe ist ja Gelatine ein 
normaler Bestandteil. Möglichst konzentrierte Fleischbrühe mit ent¬ 
sprechendem, Zusatz von Gewürzen, mit Ausnahme natürlich des 
Salzes, wurde mit 1—2 Proz. Gelatine versetzt, auf Glastafeln ge¬ 
trocknet und dann pulverisiert. Der Erfolg war ausgezeichnet. 

Etwas schwieriger war die Herstellung des Fleischsaftpulvers. 
Es gelang mir nach folgendem Verfahren: Fein gemahlenes Rindfleisch 
wurde mit wenig Salzsäure behandelt, hydraulisch ausgepresst, der 
Saft mit etwa 2 Proz. Gelatine versetzt und nach dem Trocknen in 
ein mehlfeines Pulver verwandelt. Dieses wurde dann 3 Stunden lang 
allmählich auf 125° erhitzt, dadurch die freie Salzsäure verjagt und 
das Pulver nach Möglichkeit sterilisiert. Das leicht lösliche Pulver 
hatte einen reinen Fieischgeschmack und wurde durch Zusatz von 
Bouillonpulver äusserst wohlschmeckend. Trockenes Fiweiss wird 
durch Hitze bekanntlich nicht koaguliert. Auch diese Präparate 
haben sich in Papierverpackung viele Jahre lang unverändert ge¬ 
halten und besitzen noch dieselbe Löslichkeit, denselben Geschmack. 

Zur Herstellung eines medizinalen Eisenpräparates wurden 
frische Rindermilzen ebenso wie das Fleisch behandelt. Um dieses 
Pulver schmackhafter zu machen wurde es teils mit Kakao vermischt, 
teils zu Bonbons verarbeitet. Es bewährte sich ausgezeichnet bei 
Anämien und Chlorose, wobei vielleicht ein (problematisches) Milz- 
ferment in Wirkung trat. Besonders nützlich erwies es sich noch 
ganz kürzlich in einem Fall von schwerster chronischer Leukämie, in 
dem der Kräfteverfall unter Aufbesserung des Blutbildes entschieden 
aufgehalten worden ist. Eitre spezifische Wirkung ist allerdings nicht 
nachweisbar. 

Auch Ganzblut und Blutserum hielten sich in (iestalt von Ge¬ 
latinepulvern jahrelang. 

Interessant gestaltete sich die Behandlung von Rindergallc. 
Diese ist bekanntlich nach dem Eindicken nur schwierig vor Fäulnis 
zu schützen. Ich habe solche Galle teils ganz frisch, teils nach Be¬ 
handlung mit Tierkohle mit Gelatine versetzt und schliesslich pul¬ 
verisiert. Letzteres gelang ganz merkwürdig leicht, es verwandelte 
sich in ein feinstes, die Atmungsorganc sehr angreifendes Pulver. 
Jetzt, nach 8 Jahren hat sich das Gallcnpulvcr durch Aufnahme von 
Feuchtigkeit zusammcngeballt, zeigt aber sonst keine Spuren von 
Veränderung. Ich benutze das Präparat jetzt noch beim Unterricht 
zur Demonstration von Gallcnfarbstoffcn. Als Medikament wurde es 
noch nicht angewandt. 

Ganzei, Eiergelb und Eiereiweiss Hessen sich trefflich konser¬ 
vieren, doch stellte es sich heraus, dass nach etwa einem Jahre die 
prompte Löslichkeit dieser Präparate abzunchmen anfing. 

Grosse Vorsicht erheischte die Herstellung eines Thecpulvcrs, 
wegen des Niederschlages von Tannin nach zu langem Infundieren. 
Der Niederschlag ist im Ueberschuss von Gelatine löslich. Bei ge¬ 
höriger Vorsicht wurden tadellose Resultate erzielt. 

Mit Vollmilch bewährte sich das Verfahren aber nicht, wohl 
w'cgen des schnell ranzig werdenden Butterfettes. Nach Monaten 
roch das Milchpulver stark nach Käse. Diese Versuche wurden nicht 
weiter fortgesetzt, es wäre aber wohl möglich, gute Resultate bei An¬ 
wendung grösserer Vorsicht zu erzielen. 

Versuche über die Haltbarkeit von Antitoxinpulver wurden wegen 
Mangels an Material nicht abgeschlossen. 

Wahrscheinlich könnte man auch leicht Nährböden für Bakterien¬ 
kulturen als lösliche Pulver hersteilen, die dann nur in sterilem 
Wasser zu lösen wären. 

Schliesslich wrnrde auch noch das Fleischsaftpulver mit Eiergelb 
und Milchzucker zu „Biskuits“ gebacken, als sogen, eiserner Bestand 
für Militärrationen. Auch diese sind heute noch in bestem Zustande. 

Die Möglichkeiten dieses Verfahrens sind hiermit natürlich noch 
nicht erschöpft. Ein Nachteil ist aber im Auge zu behalten: zer- 
fliessliche Salze in grösseren Mengen dürfen in die Zusammensetzung 
nicht eingehen. 

Sehr bemerkenswert war, dass die Präparate alle ätherischen 
Oele mit grosser Energie festhalten. Auch andere Geschmacks¬ 
charaktere waren nach Jahren wesentlich unverändert geblieben. 

Bei Herstellung solcher Präparate in kleinen Mengen, wo man 
von den Witterungsverhältnissen abhängig ist und vor dem endlichen 
Trocknen leicht Fäulnis auftritt, empfiehlt sich der Zusatz von Chloro¬ 
form, das dann durch Erhitzen leicht vollständig verjagt werden 
kann. 

Es empfiehlt sich ferner, die Gelatine durch Auskochen frischer 
Kalbs- oder Rinderhissknochen selbst zu bereiten, die Abkochung 
mit Eiweiss zu klären, den Trockengehalt durch Abdämpfen einer 
abgemessenen Menge zu bestimmen und einen daraus zu berechnen¬ 
den Betrag der zu präservierenden Lösung oder Mischung zuzusetzen. 
Ein völliges Klären oder Bleichen ist überflüssig. Die so gewonnene 
„primäre“ Gelatine zeichnet sich durch ausserordentliche Löslichkeit 


und nicht hervortretenden Geschmack aus. Ein Gehalt von 1—2 Proz. 
ist hinreichend. 

Die präservierenJe Wirkung der Gelatme erkläre ich mir folgen- 
dermassen. In einer Flüssigkeit schwebende unlosbehe Teilchen wer¬ 
den von den GeJatineelementen umhullt. deren Klebewirkung sie fest 
cinschliesst; dadurch wirkt Gelatine ..klarer»J“. Ge'ostc oder in 
Wasser schwebende ailerkleinste Teilchen werden durch Fintrockrieri 
zu festen, körperlichen Einheiten. die bei Gegenwart von Ge'ät.ue 
nun auch von dieser emgehullt werden. Fme solche getrocknete 
Gelatinehülle besitzt die vorher beschriebene F’.genschaft des Feuch¬ 
tigkeitsgleichgewichtes mit der Atmosphäre. Hierbei wird für die 
cingehiillten Kerne keine Feuchtigkeit disponibel ohne welche irn 
„Kern“ weder eine chemische nmeh eine mikrolnsche (oder tierische) 
Tätigkeit sich entfalten kann. Sowie aber die < icIatrnchtiHc mit Wasser 
benetzt wird, nimmt sie das Wasser in flüssiger Form (nicht in Gas¬ 
form) auf, quillt, das Wasser erreicht den Kern mul Zersetzungen 
können eintreten. Wärme befreit den Kern von der Mulle, die ur¬ 
sprüngliche Losung ist wieder hergeste It. 

Die Präscrvatiofi ist also eine physikalische und hat vor der nrt 
Salz. Zucker oder Alkohol den Vorzug, dass die Gelatine selbst ein im 
allgemeinen indifferenter und unter allen Umständen un*chäJ über 
Körper ist. der bei hinreichender Vcrduimimg und besonders nach 
Zusatz schmeckender Stoffe keinen eigenen Geschmack hervortreten 
lässt. 

Das Verfahren ist für Amerika, aber n.cht für Deutsch’and pa¬ 
tentiert, so dass für Deutschland der Fabrikation nichts im Wege 
steht. 

Zn jeder weiteren Auskunft über bei der Fabrikation Indier 
gemachte Erfahrungen (es waren im Ganzen etwa (öookg der ver¬ 
schiedenen Präparate hergestellt worden» hm ich gern bereit. 

Zur Technik der Nadelextraktion. 

Erwiderung auf die Bemerkungen von Privatdozent Pr. 
0. Hol zk necht und Dr. Richard L. Grün leid in Wien 
zu meinem gleichnamigen Artikel. 

Von Dr. Carl H a e h e r I i n. 

In No. 35 dieser Wochenschrift bezeichnen Hol/ Knecht und 
G r ü n f e 1 d die von mir mitgctcilte Methode als ..genetische Vor¬ 
stufe“ zu der von dem einen von ihnen und v n v. Karaian be¬ 
schriebenen. Dass dies durchaus un/wfreffend ist. ergibt sich daraus, 
dass das W esen der Methode der g c n a n n t e n A u t o r e n m der 
Markierung der beiden Punkte der Haut, welche sich mit dem punkt¬ 
förmigen Schatten decken, also in der Feststellung topographischer 
B e z i e h u n g e n d e s F r e m d k o r p e r s zur () b e r f I a c h e be¬ 
steht; während die von mir beschriebene Methode die Feststellung 
topographischer B e z i e h ti n g e n d e s F r e m d k o r p e r s zu G e - 
bilden der l iefe, nämlich den Knochen, zum Ziel hat. Die 
Knochen sollen dann beim operativen Vorgehen als palnable Weg¬ 
weiser dienen, da sie. zumal an der Hand, sicherere Anhaltspunkte 
bieten als Markierungen auf der Maut, deren leichte YcrschicbiiJikcit 
ja von den genannten Autoren Selbst betont wird. Handelt cs sich 
also bei der H o 1 z k n e c h t - G r ii n f e 1 d -sehen Methode um i >K-r- 
flächcrimarkiermig. so handelt es sieh bei der von mir beschriebenen 
um etwas völlig anderes, nämlich darum, dass die Lage des Fremd¬ 
körpers zu bestimmten Tietengebilden der räumlichen Vorstellungs¬ 
kraft des Operateurs sich cinpragen soll. 

Daraus dürfte sich ergeben, dass die von mir beschriebene Me¬ 
thode. welche im Laufe mehrerer Jahre bereits ohne einen einzigen 
Versager ausgeübt worden ist. etwas anderes als eine „genetische 
Vorstufe“ der H o I / k n e e h t - (i r ii n f e I d scheu ist. 

Bad Nau h e i m. 3. September l'Xis. 


(Jeber die Gesundheitsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika.*) 

Von Dr. H. Krauss, prakt. Arzt, Ansbach, früher Bahn- 
bauarzt in Daressalam. 

Deutseh-Ostafrika liegt zwischen dem 4 . und K». Grad südlicher 
Breite, hat einen Flächeninhalt von <H1 oini qkm. als«, fast doppelt so 
viel w ie Deutschland, mul eine Fmw«.|f%r/uhl \ <>n Kl Millionen. 
Neben den Negern, die sich in einzelne grosse Stamme gliedern — 
Massai. W aniamw esj. W aliehe sind bekannte Namen . haben wir 
in der Kolonie 2(>on W eisse. etw a 3>mi Araber mul 1 «»<mn» Inder. Die 
Araber, früher die Herren des I .indes, sind ictzt zumeist Dei den 
Indern verschuldet. Der Kleinhandel der ganzen Kolonie liegt zur¬ 
zeit in den Händen der linier, \ <>n anderen Yoiksstammcn seien noch 
die Goa ne sen erwähnt, eine portugiesisg h-iinli" Jic Mischrasse, die 
in den niedern Beamtenklassen vielfach Verwendung findet und die 
es erreicht hat. dass mau sie den W eissen zu/ah’r: vk rin die Goanesen 
finden bei Krankheiten im Furofnierhosp ( ta! Aufnahme, wahrend die 

*) \ ortrag gehalten im be/irksär/ilnheil A t. rt.in Ausbygh am 
3. März löi s. 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1937 


übrigen Farbigen dem für die Eingeborenen erbauten Sewa-Hadji- 
Hospital zugewiesen werden. 

Die Weissen sind zum grössten Teil Deutsche und zwar 
Beamte, Offiziere, Missionare, Kaufleute, Pflanzer. Von anderen 
Nationen ist besonders die der Qriechen stark vertreten. Durch 
ihren Geschäftssinn, Fleiss, und Sparsamkeit werden sie rasch wohl¬ 
habende Leute; in Aegypten, wo sie früher ihr Glück suchten, ist das 
Baumwolland sehr teuer geworden, so kaufen sie sich in stets wach¬ 
sender Zahl in unserer Kolonie an. Die Worte eines griechischen 
Bahnbauingenieurs: Deutsch-Ostafrika wird von den Griechen kulti¬ 
viert, enthalten für die Deutschen eine herbe Wahrheit. 

An das Klima gewöhnt sich der Zugewanderte meist rasch. 
Die Temperatur beträgt im Schatten zwischen 17 und 35° C, im 
Mittel 25°. In der Sonne werden Temperaturen von 40 und 50° be¬ 
obachtet, während andrerseits die Nächte, zumal auf den Hoch¬ 
ebenen Innerafrikas, Abkühlungen bis auf den Gefrierpunkt bringen. 
Schon in Westusambara, 160 km von der Küste, suchen die Europäer 
nach Sonnenuntergang ihre dicksten Winterkleider hervor und preisen 
die Wärme ihrer mächtigen Kachelöfen. 

Einen Wechsel der Jahreszeiten hat Deutsch-Ostafrika 
auch, man unterscheidet eine Regenzeit, die unseren Winter ersetzt, 
und eine Trockenzeit. An der Küste rechnet man mit zwei Regen¬ 
zeiten, der kleinen im Oktober und November und der grossen in 
den Monaten März, April und Mai. Die heisseste Zeit ist um Weih¬ 
nachten. Die Regenmenge beträgt in Daressalam 1200 mm, die Luft¬ 
feuchtigkeit 83 Proz. Die in der Regenzeit entstehenden Sümpfe 
bieten den Moskitos geeignete Brutplätze. Wenn die Gesundheits¬ 
verhältnisse Daressalams sich in den letzten Jahren sehr gebessert 
haben, so ist das neben anderen Ursachen, wie einer polizeilich ge¬ 
regelten Schuttabfuhr und einer Untersuchung aller Einwohner auf 
Malaria, besonders auch dem Umstand zu danken, dass durch Kanali¬ 
sierung und Trockenlegung von Sümpfen und Wassertümpeln die 
Moskitobrutstätten erheblich vermindert wurden. 

In früheren Jahren hielten die meisten Europäer, die in die 
Tropen gingen, ihr Leben für verloren, sie wollten die kurze Spanne 
Zeit noch möglichst geniessen und so wurden durch die starken Ex¬ 
zesse in Baccho et Venere viele Erkrankungen und Todesfälle bedingt. 

Das ist jetzt bedeutend besser geworden. Die Weissen haben 
durch die Belehrung der Aerzte die Gefahren des Tropenklimas ver¬ 
meiden gelernt, die ganze Lebensführung hat durch die in immer 
grösserer Anzahl hinauskommenden Frauen einen sittlichen Auf¬ 
schwung genommen. Wir müssen daher dem Staatssekretär Dcrn- 
b u r g völlig recht geben, wenn er sagt, dass neben Verkehrs¬ 
erleichterungen besonders Aerzte und Frauen der Kolonie not tun. 

Der Arzt, der in die Kolonien reist, muss sich mit einer grösseren 
Zahl von Krankheitsbildern vertraut machen, die ihm bisher nur wenig 
oder gar nicht bekannt waren. Die Schule, auf der der deutsche 
Kolonialarzt seine diesbezügliche Ausbildung sucht, ist das tro¬ 
penhygienische Institut in Hamburg, das unter Leitung 
des Physikus Dr. N o c h t und des Stabsarztes Prof. Dr. Fülle- 
b o r n steht. 

Natürlich kommen in den einzelnen Kolonien nicht alle tropischen 
Krankheiten vor und ich will in der folgenden Besprechung auch nur 
die in Deutsch-Ostafrika am häufigsten vorkommenden erwähnen. 

Es sind da zu nennen: 

1. unter den Hautkrankheiten: der rote Hund, der Ringwurm, die 
Frambösie, das Unterschenkelgeschwür, der Sandfloh, Erkrankungen 
durch Fliegenlarven, der Aussatz und die Pocken; 

2. unter den Darmkrankheiten: die Ankylostomiasis oder Wurm¬ 
krankheit, die Dysenterie mit dem Leberabszess und in gewissem 
Sinn die Bilharzia; 

3. unter den Erkrankungen der Lymphbahnen: die Elefantiasis, 
die Pest und die Schlafkrankheit; 

4. unter den Blutkrankheiten: das Rückfallfieber und die Malaria 
mit dem Schwarzwasserfieber. 

Die erste Tropenkrankheit, welche der durch den Suezkanal und 
das rote Meer Ausreisende schon auf dem Schiffe kennen lernt, ist 
der rote Hund, ein unheimlich juckendes Hautekzem. Infolge 
der vermehrten Schweissabsonderung und der geringen Verdunstungs¬ 
möglichkeit bilden sich auf der Haut lauter kleine rote Pünktchen, 
besonders an solchen Körperstellen, wo die Kleidung fester anliegt, 
ums Handgelenk, am Kragen, unter den Hosenträgern und dem Leib¬ 
gürtel. Vermehrt wird der Schmerz durch das Salz des Seewassers 
und der Erkrankte muss auf das beliebte Mörgenbad verzichten und 
sich mit dem auf dem Schiff spärlicher gereichten Süsswasser ab¬ 
spülen. Schmerzlindernd wirken Waschungen mit einer dünnen 
Karbolsäurelösung. Prophylaktisch spielt die Verminderung der 
Flüssigkeitszufuhr und somit der Schweissekretion eine gewisse Rolle. 
An der Küste kommt diese Krankheit oft vor und raubt dem Be¬ 
fallenen oft für lange Zeit die nötige Nachtruhe, so dass, um dem 
Verfall der Kräfte vorzubeugen, eine zeitweise Uebersiedelung in 
höhere Gegenden nötig wird. Schon in der Höhe von einigen 
hunderten Metern heilt die Krankheit rasch aus. 

Aefynlich unangenehme Hauterscheinungen macht der durch einen 
Pilz hervorgerufene Ringwurm, so genannt wegen des kreis¬ 
förmigen Weiterschreitens in die gesunde Haut. Die Krankheit wird 


meist durch die Wäsche übertragen und heisst darum auch Wäscher¬ 
krankheit. Da in Afrika die Wäsche nicht gekocht, sondern nur ein¬ 
geseift und dann auf einem Stein oder einer Kiste geklopft wird, so 
werden die Keime nicht abgetötet und der Europäer tut gut, sich 
von der Reinlichkeit seines Wäschers zu überzeugen. Im Innern 
wäscht der Boy, an der Küste der indische Wäscher, dobi. Gegen 
die ausgebrochene Krankheit ist Chrysarobin das beste Heilmittel. 

Mit der Wäsche akquiriert der Mensch oft noch eine andere 
Krankheit. Auf die zum Trocknen ausgelegten Wäschestücke legt die 
Fliege Ochromyia anthropophaga gerne ihre Eier. Wenn 
dann der Europäer die Wäsche anzieht, schlüpfen aus den Eiern die 
Larven aus und bohren sich in die Haut ein. Erst ganz klein, wachsen 
diese Larven bis zu 2 cm Länge und erzeugen in den Hauttaschen 
ein sehr schmerzhaftes Jucken. Es gelingt verhältnismässig leicht, 
die Larven aus ihren Schlupfwinkeln hervorzuziehen, deren sich oft 
10 und mehr an einem Menschen befinden. 

Ein anderes Insekt, das seit einigen Jahren die Weissen und mehr 
noch die Schwarzen quält, ist der S a n d f 1 o h, Pulex penetrans. 
Derselbe hält sich in den Negerhütten und an trockenen sandigen 
Stellen auf. Das befruchtete Weibchen dringt in die weiche Haut 
der Fiisse, besonders zwischen die Zehen ein urtd wächst da bis zu 
Erbsengrösse heran. Der Mensch wird von quälendem Jucken ge¬ 
plagt, das erst aufhört, wenn der ganze Floh unverletzt aus seiner 
Grube herausgeholt ist. Am besten lässt der Europäer das von dem 
schwarzen Boy besorgen, der grosse Fertigkeit darin hat. Wenn der 
Floh nicht ganz herauskommt und di 2 Haut des Fusses verletzt wird, 
entstehen mitunter schwere Abszesse und Phlegmonen. Mancher 
Schwarze, der zu gleichgültig gegen diese Krankheit war. hat eine 
oder mehrere Zehen dadurch eingebüsst. Am besten schützt sich der 
Weisse vor dieser Plage dadurch, dass er bei seiner Dienerschaft 
auf peinliche Reinhaltung der Fiisse dringt und selbst nie mit nackten 
Füssen den Boden berührt. In der Trockenzeit war auf der Bahn¬ 
strecke an einer Stelle die Sandfloholage so gross, dass meine Träger 
in raschem Laufe darüber hinwegeilten. dann die Lasten absetzten 
und mit ihren Messern sich die Fiisse sorgfältig abschabten, um so 
die noch nicht ganz eingedrungenen Flöhe zu vernichten. Der 
Sandfloh war früher in Afrika ganz unbekannt. 1872 brachte das 
Schiff Thomas Mitchell aus Amerika mit Kaffeesäcken auch einen 
blinden Passagier, den Sandfloh, nach Ambriz in Westafrika. Pasch 
hatte er sich an der Küste verbreitet. Längere Zeit jedoch bedurfte 
er. um ins Innere zu gelangen. Plehn hat denselben im Jahre 
1895 an den Seen beobachtet: die ostafrikanische Küste war damals 
noch frei von ihm. Doch mit den grossen Karawanen gelangte er 
bald auch dahin und als im Jahre 1896 eine grosse Dürre ausbrach, 
beobachtete man gleichzeitig ein epidemieartiges Auftreten der Sand¬ 
floholage. Seitdem ist dieses Tierchen. Funza genannt, von jedem 
Schwarzen gekannt und gefürchtet: ja es hat auch schon den Weg 
nach Indien gefunden und es ist eine ziemlich zwecklose Verfügung, 
dass in den indischen Häfen alle Einwanderer sich mit nackten Füssen 
und gesnreizten Fingern aufstellen müssen, um vom Ouarantänearzt 
auf das Vorhandensein von Sandflöhen untersucht zu werden. 

Nicht direkt spezifisch für Ostafrika, aber doch viel häufiger als 
bei uns, ist das Unterschenkelgeschwür. Der Neger geht 
barfuss. verletzt sich am Bein, die Wunde wird nicht oder nur 
schlecht behandelt, eitert: ein Baumblatt wird daraufgelegt und ein 
Stück altes Zeug darumgebunden. Durch den Reiz des zersetzten 
Sekretes wird die Wunde immer ausgedehnter und erreicht oft Hand¬ 
tellergrösse. ja man kann Fälle sehen, in denen rings um das Bein 
in etwa Handbreite die ganze Haut fehlt und Sehnen wie freiorä- 
nariert daliegen. Zum Glück sind diese Schwersten Formen nicht 
häufig. Wenn der Neger regelmässig zum Verbinden kommt und 
nicht gleich wegbleibt, sobald er einige Besserung beobachtet, kann 
das Unterschenkelgeschwür ausgeheilt werden, aber etliche Wochen 
sind immerhin dazu erforderlich. Vorerst muss das Geschwür mit 
Alkohol- oder Sublimatumschlägen oder auch mit Zuckerbestreuung 
gereinigt werden: dann wird es trocken weiter behandelt. 

Frambösie, Himbeergeschwür, auf Suaheli buba. ist der 
Name einer etwa markstiiekgrossen. die Haut überragenden Ge¬ 
schwürsbildung, die aus einzelnen kleinen knötchenförmigen, dunkel¬ 
roten Gewebswucherungen besteht und darum an eine Himbeere er¬ 
innert. Das ganze Geschwür ist oft mit einer dicken Borke bedeckt. 
Zu Beginn der Erkrankung beobachtet man kleine Bläschen mit 
zentraler Delle oder Pusteln. In diesen hat Castell ani eine 
Snirochaete entdeckt, die jetzt als Erreger dieses Geschwüres gilt. 
Die Krankheit ist ansteckend und oft recht hartnäckig. Das beste 
Gegenmittel ist das in Form einer Paste aufgestrichene Kupfer- 
sulphat. 

Die Pocken. Ndui auf Suaheli, haben für Deutsch-Ostafrika 
immer noch grosse Bedeutung. Von den auf die einzelnen Stationen 
verteilten Aerzten werden alljährlich bestimmte Impfreisen unter¬ 
nommen und die verschiedenen Gebiete nacheinander durchgeimpft. 
So kommt es dass die Krankheit allmählich seltener wird, während 
früher viele Schwarze daran starben. Die Ansteckungsgefahr war 
den Eingeborenen anrh bekannt, sie isolierten den Kranken, betteten 
ihn auf Asche, stachen die Pusteln auf und wuschen, um der Er¬ 
blindung vorzubeugen, die Augen rrit dem Urin eines Kindes. Tn 


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MlT.NCIil'NI’R MHDIZINISCME WOCHENSCHRIFT. 


N'». 37. 


1 >38 


Daressalam stellen sich mehr Inder als Schwarze freiwillig zur 
Impfung. Natürlich hat jeder Weisse, der ausreist, die Pflicht, sich 
noch in Europa prophylaktisch impfen zu lassen. 

Der Aussatz, Ukoma auf Suaheli, ist in Deutsch-Ostafrika 
endemisch. Die Krankheit äussert sich gewöhnlich in Verlust von 
Endgliedern an Eingern oder Zehen. Eine Leproserie befindet sich 
Bagamojo und eine zweite im Süden der Kolonie. 

Von viel grösserer Bedeutung ist für den Weissen die Dys¬ 
enterie. Bei den oft recht ungenügenden Trinkwasserverhültnissen 
und bei der Sitte der Neger, an den Wasserstellen nicht nur zu 
trinken, sondern auch zu baden, ist eine Verunreinigung sehr leicht 
möglich. Dazu kommt, dass der Neger jeden Wasserlauf als Wasser¬ 
klosett zu benützen pflegt. In Ostafrika kommt sowohl Bazillen- 
als Amöbendysenterie vor. Ob die im Stuhlgang bei einer Unter¬ 
suchung gefundenen Amöben wirklich Dysenterieamöben, Entamoeba 
hystolytica, sind oder ob es sich um die ungefährliche Entamoeba 
coli handelt, ist nicht ganz leicht zu entscheiden. Die erstere hat 
eine deutliche hyaline Ektoplasmaschicht und enthält in ihrem Innern 
sehr viele Blutkörperchen, während ein Zellkern schwer sichtbar ist. 
In der letzteren ist der Kern deutlich zu sehen und Ektoplasma 
differenziert sich nur bei Bewegung in den Pseudopodien. Die Dys¬ 
enterie führt in Afrika oft zum Tode, einmal wegen des enormen 
Kräfteverlustes bei dem blutigen Durchfall, dann aber auch bei 
Durchbruch eines Geschwüres durch Peritonitis. Als Heilmittel hat 
sich das von M e r c k - Darmstadt hergestellte emetinfreie Ipeka¬ 
kuanhapulver am besten bewährt; es wird nach gründlicher Darm- 
cntleerung mittels Kalomel oder Rizinusöl in Dosen von 0,5 g mehr¬ 
mals täglich gegeben. Der Kranke muss ruhig liegen und darf nur 
Milch und breiige Kost gemessen. 

Eine schlimme Komplikation der Amöbendysenterie ist der 
Leberabszess. Wenn ein solcher durch heftige Schmerzen im 
rechten Hypochondrium und in der rechten Schulter bei einem vorher 
dysenteriekranken Patienten diagnostiziert ist, so wird an der Stelle 
der grössten Schmerzhaftigkeit punktiert und sobald der Eiter ge¬ 
funden ist, der Abszess mit einem Troikart entleert. Die Kanüle bleibt 
in der Oeffnung liegen, damit der Eiter nicht zwischen Leber und 
Bauchdecken in die Bauchhöhle fliesst. Es kommt vor, dass Europäer 
auf der Reise an solchen Leberabszessen erkranken; wenn dann der 
Eiter durch die ziemlich einfache Operation entleert ist. sind sie 
wieder marschfähig. In schlimmen Eällen, zumal wenn mehrere ein¬ 
zelne Abszesse vorliegen, kann es zu einem Durchbruch in die Bauch¬ 
höhle und tödlicher Peritonitis kommen. 

Es ist verhältnismässig leicht, sich vor dieser heimtückischen 
Krankheit der Dysenterie zu schützen. Man muss es sich in Afrika 
zur Regel machen, nie Wasser zu trinken, von dessen Reinheit man 
nicht völlig überzeugt ist. In jedem anderen Eall muss das Wasser 
vor dem Genuss gekocht werden. Gefährlich ist der Irrtum mancher 
Europäer, das Filtrieren allein genüge schon, um ein W asser geniess- 
bar zu machen. Es ist natürlich angenehm, wenn man das schmutzige 
Wasser vor Gebrauch filtrieren kann, und unsere Bahnbaufirma hat 
an 200 Asbestfilter an die Beamten abgegeben, aber rein wird das 
Wasser auch dadurch nicht. Am besten lässt man sich, um die 
schmutzige Farbe nicht mehr zu sehen, Kaffee damit kochen. 

Aerger als die Dysenterie wditet unter den Eingeborenen an 
vielen Orten die Ankylostomiasis, die auch bei uns in Deutsch¬ 
land aus Italien eingeschleppt und in den rheinischen Kohlengebieten 
endemisch ist. In Ostafrika ist in manchen Pflanzungen mehr als die 
Hälfte der Arbeiter wurmkrank. In den Pugubergen, 25 km von Dar¬ 
essalam, ist nach Aussage des dortigen Missionars die Hälfte aller 
Todesfälle durch diese Wurmkrankheit, Safura genannt, bedingt. Die 
Diagnose der Krankheit, die durch eine stetig zunehmende Anämie 
gekennzeichnet ist, lässt sich aus den bekannten Eiern, die im Stuhl 
in reicher Menge Vorkommen, mikroskopisch leicht stellen. Als Heil¬ 
mittel hat sich Thymol am besten bewährt. Es w r äre durchaus nötig, 
dass eine einheitliche energische Bekämpfung dieser iiir Ostafrika 
so gefährlichen Krankheit begonnen würde. 

Wie die Eier des Ankvlostomum duodenale, so werden auch die 
der B i 1 h a r z i a haematobia Distoma haematobium mit der 
Nahrung oder dem Getränk dem menschlichen Körper einverleibt. 
Doch bleiben die Larven des ersteren im Darmkanale, während die 
Bilharzialarven in die Pfortader sowie in die Venen um Blase und 
Mastdarm einwandern und sich da weiter entwickeln. Diese Venen 
sind dann vollgestopft mit den erwachsenen Würmern, sie platzen 
und mit dem Blute entleeren sich die Wurmeier in Blase und Mast¬ 
darm. Solches Blutharnen ist bei den Negern eine häufige Krankheit 
und man findet im Sediment des Urins die eigenartigen, mit einer 
Spitze versehenen Eier. Wir sind bis jetzt nicht Imstande, diese 
Krankheit erfolgreich zu bekämpfen. 

Als Erkrankung der Lymphbahnen haben wir die Filariasis oder 
Elephantiasis und die Pest, wenigstens in ihrem Auftreten als Beulen¬ 
pest, zu betrachten. 

Was die Pest betrifft, so hat Sansibar schon oft grosse Epi¬ 
demien infolge Einschleppung aus Indien durchgemacht. Durch ge¬ 
naue Ueberwachung der Kiiste war cs bisher möglich, Dcutsch-Ost- 
afrika davon freizuhalten. Durch die in Sansibar ausgesetzten Ratten¬ 
prämien wird die Pestgefahr dort allmählich vermindert werden. 
Aber wir haben in Deutsch-Ostafrika selbst einen Pestherd am West¬ 


ufer des Viktoriasees in Kisiba. Eine Verschleppung von dort ist bis¬ 
her vermieden worden, scheint auch bei den wasserarmen Kara¬ 
wanenstrassen ziemlich unw alirschemhch. Das Hauptsv mptom der 
Beulenpest ist neben der Lvmphdrusenschw ellung sehr hohes Fieber. 
Die prophylaktische Impfung ist noch unsicher und nicht ungefährlich, 
da sich die notige Impfdosis anscheinend schwer bestimmen lasst. 
Der Schiffsarzt auf unserem Dampfer liess sich impfen und erkrankte 
darnach mit Fieber von über 4«»°. - Wer sich peinlich vor Hautver- 
letzungen hütet, durch die der Bazillus eindringen konnte, bleibt von 
der Krankheit verschont; anders steht es mit der siel gefährlicheren, 
aber auch äusserst seltenen Lungenpest. bei der flussig-blutiger Aus- 
wurf neben Atemnot und hohem Fieber beobachtet wird und die an¬ 
scheinend durch Einatmung des verstaubten Sputums übertragen 
w ird. 

Das Bild der Elefant iasis ist Ihnen bekannt. Die in den 
Lymphbahnen vorhandene Filarie bedingt eine L\ mphstauung und 
damit ein starkes Anschw ellen des betretenden Gliedes. Zumeist sind 
die unteren Extremitäten oder der Hodensack betallen. Solch ein 
erkranktes Glied kann riesige Dimensionen annehmen. Ein Kranker 
in Sansibar schob seinen Hodensack aui einem kleinen Wagen vor 
sich her. ein Schreiber an der Knste benutzte seinen Hodensack als 
Schreibpult. Der Parasit kann auch im Ductus thoracicus sitzen, 
bedingt dann Stauung m den die Blase umgebenden L\ mphgeiassen; 
letztere platzen und der von dem Kranken entleerte milchige Urin 
enthält neben Lymphe auch Filarialai \en. Das Krankheitsbiid fuhrt 
den Namen Uhylurie. Die Larven oder Embryonen sind nach 
Sclieub e i>.2 mm lang und (».ihm nun dick. Me werden bei Nacht 
auch im Blute kreisend gefunden, daher der Name Eilaria sanguinis 
oder nocturna. Der erwachsene Wurm wird Ins zu 10 cm lang und 
führt den Namen Filaria Bankroiti. Die Infektion erfolgt vermutlich 
durch verunreinigtes Wasser, m welches die Embryonen aus den 
Moskitos nach deren Tode gelangen. I ie Mucke selbst nimmt den 
Embryo beim Blutsaugen in sich aui l nsere Therapie ist bis jet't 
bei dieser Krankheit vorwiegend palliativ und beschrankt sich auf 
operative Entfernung eines elefantiastisch vergrosserten Gliedes. 

Eine weitere Erkrankung, 
die mit Vorliebe in den l.\ mph- 
organen sich einnistet, ist die 
Schlafkrankheit; sie w ird 
in den Anfangsstadien auch durch 
den Nachweis des Tr\panosonia 
gamhiense in drin Saft der ge¬ 
schwollenen Nackendrusen fest- 
gestellt. Als Uebertragerm ist 
die Glossina palpahs festgestellt, 
eine nahe Verwandte der tilos- 
sina morsitans oder Tsetsefliege, 
welche das tiir Pferde und Rin¬ 
der so gefährliche Tsctscfieber 
überträgt. Die Schlatkrankheit 
hat an der Knste und auf den In¬ 
seln des Viktoriasees grosse Ver¬ 
heerungen angerichtet und 
manche Inseln total entvölkert. 

Eingeschleppt wurde sie dorthin 
durch Soldaten aus dem Kongo¬ 
staat«*. 

Die Krankheit beginnt mit 
leichtem Fieber. Kopfschmerz, 
und Schwindel. Der Patient wird 
immer magerer, die Hals- und 
Nackendriisen schwellen an. das 
Gesicht ist gedunsen. Rumpf und 
Extremitäten odematos ge¬ 
schwollen, die Herzastion be¬ 
schleunigt. Mit zunehmender 
Schwäche und Abmagerung tritt 
tiefe Depression, manchmal auch 
vorübergehend f:\zitation ein und zuletzt kommt anhaltende 
Schlafsucht, die mit dem Tod endet. Ausser in den Drusen nndet sich 
das I rypanosoma auch in der Zerebrospinalflüssigkeit und im Blute. 
Es kann da jahrelang leben, ohne besondere Erscheinung«, n zu 
machen; man rechnet mit einer Inkubationszeit von f> s Jahren. 

Als Heilmittel hat sich nach Robert Kochs mühevollen For¬ 
schungen das Atoxyl, subkutan iniiziert. am besten bewahrt. Pro¬ 
phylaktischen Erfolg hofft man von der Abholzung eines Streifen 
Waldes zu beiden Seiten der Wasserläufe, denn nur. wo Wald und 
Wasser beisammen sind, können die Glossmen gedeihen. 

W i«* die Erforschung der Schlafkrankheit ist auch die des 
Rückfallfiebcrs durch Prof. Koch sehr gefordert worden. 
Derselbe hat nachgewiesen, dass die in den Negerhutten häufige 
Zecke Omithodorus m o u b a t a. x«»n den Negern Papasi ge¬ 
nannt, Ueberträgerin des pathogenen ^pirillum auf den Menschen ist. 
Diese Spirille findet sich im Eierstock der Zecke, im Fi und im aus- 
geschliipften I iere. Nach einer fimbügrgen Inkubation beginnt die 
Krankheit mit heftigem Schüttelfrost. Das emsetzende hohe Fieber 
bleibt 5 Jage als Continua bestehen. Nach siebentägigem Intervall 




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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1939 


kann ein zweiter, ja später ein dritter Anfall auftreten, der aber meist 
kürzer dauert. Die Krankheit selbst lässt sich nur symptomatisch 
behandeln. Bezüglich der Prophylaxe muss der Europäer es sich 
zur Pflicht machen, nie in den an der Karawanenstrasse liegenden 
Rasthäusern oder Negerhütten zu übernachten, sondern sein Zeit auf 
einem von Unrat und Abfällen sorgsam gereinigten Platze aufstellen 
zu lassen. 

Als die gefährlichste Krankheit der Tropen müssen wir noch 
immer die Malaria betrachten, ihr und dem in ihrem Gefolge auf¬ 
tretenden Schwarzwasserfieber sind die meisten Todesfälle zuzu¬ 
schreiben, obwohl die Wissenschaft in den letzten Jahren in der Er¬ 
kenntnis und Bekämpfung gerade dieser Krankheit grosse Fort¬ 
schritte gemacht hat. Während man früher die schlechte Luft der 
Sümpfe oder sog. Miasmen, die aus der frisch geöffneten Erde auf¬ 
steigen sollten, als Ursache angesehen hat, ist man jetzt zu der Ueber- 
zeugung gekommen, dass nur durch eine bestimmte Mückenart, durch 
den Moskito Anopheles die Malaria übertragen wird, und zwar nur 
durch das befruchtete Weibchen, das zur Eiablage Blut nötig hat. 
Die Unterscheidung des Anopheles von dem artverwandten Culex 
ist nicht schwierig. Die zu beiden Seiten des Stechrüssels befind¬ 
lichen Fühler oder Palpen sind beim Culexmännchen viel länger, beim 
Culexweibchen viel kürzer als der Rüssel, beim Anophelesmännchen 
und -weibchen etwa so lang wie der Rüssel. Männchen und Weib¬ 
chen der beiden Arten sind zudem dadurch verschieden, dass die 
nach aussen von den Fühlern dem Kopfe ansitzenden Taster oder 
Anthennen beim Männchen starke Fiederung, beim Weibchen nur 
kurze Borsten tragen. Bei einem gefangenen Moskito sieht man zu¬ 
erst nach, ob Männchen oder Weibchen und dann, wenn es ein Weib¬ 
chen ist, ob Culex oder Anopheles. Zum Moskitofang hat man be¬ 
sondere Fanggläser konstruiert: ein Glaszylinder ist an einem Ende 
mit einem gazeüberzogenen durchbohrten Korken verschlossen, das 
andere Ende ist trichterförmig eingebogen. Dieses Ende wird nun 
vorsichtig über den ruhig dasitzenden Moskito gestülpt, dieser fliegt 
auf und gelangt durch den engen Trichter in den weiteren Zylinder, 
aus dem er nicht mehr herausfindet. 

Die Mücke sticht den Menschen durch die Haut, spritzt Speichel 
ein und saugt denselben dann mit dem zugemischten Blute wieder 
an. Mit dem Speichel tritt eine Anzahl Sporozoiten oder 
Sichelkeime in den menschlichen Körper ein. Wenn auch die 
meisten wieder von der Mücke zurückgesogen werden, so bleibt doch 
immer ein Teil derselben zurück. Der Sporozoit dringt nun in ein 
rotes Blutkörperchen ein, nimmt Ringform an und zehrt seinen Wirt 
allmählich auf. Der erwachsene Parasit verliert die Ringform, er 
teilt sich in eine Anzahl kleine M e s o z i t e n, die umschliessende 
Hülle des roten Blutkörperchens platzt, die Mesoziten treten aus und 
dringen von neuem in rote Blutkörperchen ein. In diesem Stadium 
der freien Mesoziten wird der Patient von schwerem Schüttelfrost 
gequält. Als ursächliches Moment wirkt vielleicht auch das Frei¬ 
werden des Pigments, eines Abbaustoffes des Parasiten, das vielleicht 
Giftwirkung auf den Körper ausiibt. Im Stadium des hohen Fiebers 
findet man bereits wieder die Ringe in den roten Blutkörperchen. 
Diese Parasiten können durch Teilung zu einem neuen Rezidiv führen, 
oder sie entwickeln sich zu Geschlechtsformen, bei Tertiana Makro¬ 
gameten und Mikrogametozyten, bei Tropika Halb¬ 
monde genannt. Die Makrogameten, um bei der Tertiana zu blei¬ 
ben, also die weiblichen Geschlechtsformen können sich später doch 
auch wieder selbständig teilen und so nach längerem Intervall ein Re¬ 
zidiv veranlassen, oder aber ein Moskito saugt Blut von dem 
Menschen und hat nun Makrogameten und Mikrogametozyten in sich 
aufgenommen. Nun sind wir also dabei, die Entwicklung des Malaria¬ 
parasiten im AnoDhelesweibchen zu verfolgen. Aus dem Mikro- 
gametozyt entwickeln sich die Mikrogameten, die wir den Samen¬ 
fäden vergleichen können. Diese befruchten die Makrogameten und 
es entstehen die sog. Würmchen, Zvgoten, Oozysten oder Oo- 
kineten. Letztere bohren sich durch die Magenwand und bilden 
unter der Peritonealschicht desselben kleine Zvsten. diese wiederum 
Tochterzysten'= Sporoblasten. In den Sporoblasten entstehen 
die Sichelkeime. Die Tochterzysten platzen, die Sichelkeime 
wandern durch die Bauchhöhle in die Speicheldrüse und werden 
beim nächsten Saugakt wieder dem Menschen einverleibt. Da¬ 
mit ist der Entwicklungsring geschlossen. 

Durch ein regelmässiges prophylaktisches Chinin¬ 
einnehmen kann der Ausbruch einer Malariaerkrankung verhütet 
werden. Die Beamten unserer Firma erhielten Wandkalender, auf 
denen jeder 7. und 8. Tag rot angestrichen war, mit dem Auftrag, 
an diesen Tagen je 1 g Chinin zu nehmen, und zwar nicht das ganze 
Gramm auf einmal, denn das hätte starkes Ohrensausen, Abgeschla- 
genheit und Zittern im ganzen Körper verursacht, sondern 5 X 0,2 g. 
Diese von N o c h t empfohlene Methode der kleineren Einzeldosen 
erzielt dieselbe Wirkung und lässt die unangenehmen Nebenerschei¬ 
nungen nicht aufkommen. Zur Verwendung kamen meist die Z i m - 
me rsehen Gelatineoerlen von 0,2 g. für Kinder Chininschokolade¬ 
plätzchen zu 0,1 g, für die Schwarzen komprimierte Chinintabletten. 
Zur besseren Auflösung des Chinins wurde empfohlen, etwas Saures 
nachzutrinken. Während der Dauer des Bahnbaues Daressalam 
—Morogoro wurde für 9000 M. Chinin verbraucht. 


Von den 3 Arten der Malaria wurde zu allermeist die Malaria 
tropica sive Tertiana duplex s. perniciosa beobachtet. Tertiana Sim¬ 
plex kam seltener, Quartana nur in Ausnahmen zur Beobachtung. 

| Die Krankheit beginnt nach 10 tägiger Inkubation mit sehr hef- 
| tigern Schüttelfrost, dem bald das Stadium des hohen Fiebers folgt. 
Der Kranke bekommt Eis auf den Kopf, erhält ein Abführmittel und 
viel Flüssigkeit, etwa Selterswasser, zu trinken. Unter Schweiss¬ 
ausbruch geht das Fieber zur Norm zurück. Jetzt, sobald die ab¬ 
fallende Temperatur 37,5° erreicht hat, gibt man 0,2 g Chinin und 
setzt das, ganz unbekümmert um die weitere Fieberkurve in drei¬ 
stündlichen Pausen fort, so dass jeden Tag 1 g gereicht wird. Auch 
nach völiger Entfieberung gibt man noch 3 Tage Chinin. Nun setzt 
man erst 2, dann 3 Tage usf. aus, schiebt immer 2 Chinintage ein, bis 
man wieder bei dem Turnus des 7. und 8. Tages als Chinintag an¬ 
gelangt ist. So wird ein Rezidiv mit grosser Sicherheit vermieden. 
Eine Gefahr, dass der Kranke Schwarzwasserfiebex bekommen 
könnte, besteht nicht, wenn das erste Chinin im abfallenden Fieber 
und in kleinen Dosen einverleibt wird. Der einzelne Fieberanfall geht 
bei solcher Behandlungsmethode zumeist rasch vorüber, ist am fol¬ 
genden Tage meist noch von einer kleineren Attacke gefolgt, um 
dann in Genesung überzugehen. Im Blute des Tropikakranken finden 
Sie die kleinen zarten Ringe, die befallenen Blutkörperchen sind 
entgegen der Tertiana nicht vergrössert und zeigen nicht die sog. 
S c h ü f f n e r sehe Tüpfelung. Bei Rezidiven finden Sie die für 
Tropika typischen Geschlechtsformen der Halbmonde. 

Das Schwarzwasserfieber ist anzusehen als Hämo¬ 
globinurie durch Auflösung der von Chinin geschädigten Blutkörper¬ 
chen. Diese Kenntnis ist noch ziemlich neuen Datums; wir ver¬ 
danken sie vor allem den diesbezüglichen Arbeiten des Prof. Koch 
im Gouvernementslaboratorium zu Daressalam. Koch hat daraus 
auch den richtigen Schluss gezogen und jegliches Chinin bei aus¬ 
gebrochenem Schwarzwasserfieber untersagt, während diese Krank¬ 
heit früher als vermeintliche schwerste Malaria mit grössten Chinin¬ 
dosen zu bekämpfen versucht wurde. Der Kranke wird zu Bett ge¬ 
bracht, der sich einstellende Brechreiz mit Morphium oder mit 1 proz. 
wässriger Jodtinkturlösung bekämpft und so viel Flüssigkeit als 
möglich per os, per rectum und subkutan zugeführt. So steht zu 
hoffen, dass die Blutkörperchenzerfallsprodukte durch die Nieren fort¬ 
gespült werden, ohne sie zu verstopfen. Sobald die Nieren verstopft 
sind, muss man den Kranken für verloren erachten, denn der Anurie 
folgen die Erscheinungen der Urämie, die nach 5—10 Tagen letal 
endet. Sehr geschwächte Personen können infolge des Fiebers und 
des Blutzerfalles, der sich ausser im Urin auch durch starke Gelb¬ 
färbung der ganzen Haut charakterisiert, allein infolge von Herz¬ 
schwäche sterben. 

Weit besser als alle Therapie ist die Prophylaxe, die hier vor 
allem in einem sachgemässen gründlichen Auskurieren eines jeden 
Malariaanfalles zu bestehen hat, sowie in der Vermeidung der ersten 
Chinindbsen bei steigendem Fieber. 

Zum Schlüsse gestatten Sie mir, m. H., Ihr Augenmerk auf 
einige Punkte zu richten, die bei der Untersuchung auf Tropen¬ 
diensttauglichkeit von Bedeutung sind. 

Der Mensch, der in die Tropen geht, soll vor allem ein in sich 
gefestigter Charakter sein; es hat der Entwicklung unserer Kolonien 
ungeheuer geschadet, dass früher öfters ungeeignete Elemente aus¬ 
gesandt wurden, die bei dem unabhängigeren Leben, bei der Ab¬ 
geschlossenheit von den Einflüssen der europäischen Umgebung zu 
Ausschreitungen neigten oder die den Mangel geistiger Anregung 
durch vermehrten Alkoholkonsum zu decken suchten und dadurch 
oft in einen Zustand gerieten, der die gewöhnlichen Vorsichtsmass- 
regeln vergessen Hess und zu Gereiztheit und Ungerechtigkeit gegen 
die schwarzen Untergebenen führte. 

Also eine gewisse Selbstzucht ist in den Tropen nötiger noch 
als hier. Den Alkoholkonsum konnte ich den Beamten nicht unter¬ 
sagen, glaube aber einiges Gute dadurch gewirkt zu haben, dass ich 
denselben immer wieder vorhielt, dass sie sich desto besser fühlen 
würden, je weniger Alkohol sie verbrauchten. Die sexuellen Ver¬ 
hältnisse werden besser, je mehr weisse Frauen in die Kolonie 
kommen^ Abstinenz in diesem Punkt zu fordern wäre erfolglos ge¬ 
wesen und so schien es das kleinere Uebel, dass viele Leute draussen 
Zeitehen schlossen und dadurch die Gefahr der Erkrankung ver¬ 
ringerten. 

Leute, die an stärkerer Nervosität oder sonstigen Schwankungen 
des seelischen Gleichgewichts leiden, gehören nicht in die Tropen. 
Auch rheumatische Affektionen verschlimmern sich leicht draussen. 

Kranke Zähne sind vor der Ausreise zu reparieren, da sie sonst 
leicht völlig verderben und zudem zu Verdauungsstörungen Anlass 
geben. Durchfall und Obstipation nehmen draussen leicht gefähr¬ 
lichen Charakter an. Nierenentzündung und Blasenkatarrh neigen in 
den Tropen zu Rückfällen. Hautkrankheiten verschlimmern sich in¬ 
folge der vermehrten Schweissekretion. Geschlechtskrankheiten 
müssen in Europa gründlich auskuriert werden, bevor der Betreffende 
ins Ausland reist. Augenkrankheiten verschlimmern sich oft infolge 
des grellen Sonqenlichtes. Ohrenerkrankungen infolge des unerläss¬ 
lichen Chiningebrauches, der zu hochgradiger Schwerhörigkeit führen 
kann. Lungenkatarrhe nichttuberkulöser Natur heilen in den Tropen 
oft rasch aus. Für Tuberkulose der Lunge ist Deutsch-Siid-West 


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1940 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


sehr empfohlen, während Deutsch-Ostafrika das Leiden meist rapid 
verschlechtert. Das Herz wird infolge des vermehrten Fliissigkcits- 
umsatzes stark angestrengt, gelegentlich eines auftretenden Fiebers 
wird es aufs äusserste angespannt. Darum sind Leute mit dauernd 
beschleunigter oder unregelmässiger Herztätigkeit nicht für die Tropen 
geeignet; noch weniger solche mit direkten Klappenfehlern. Jeder, 
der ausreist, muss beweisen, dass er 1 g Chinin anstandslos verträgt, 
und muss sich ausserdem einer nochmaligen Pockenimpfung, falls er 
nach Südwest geht, am besten auch einer Typhusschutzimpfung unter¬ 
ziehen. 

Mögen die kurzen Ausführungen, denen zu folgen Sic die Giitc 
hatten, von neuem Ihr Interesse geweckt haben für unsere Kolonien 
überm Meere, für das zukunftsreiche grössere Deutschland! 

Referate und BQcheranzeigen. 

K. Wiedersheim: Der Bau des Menschen als Zeugnis 
für seine Vergangenheit. 4. gänzlich unigearbeitetc und stark 
vermehrte Auflage. 303 S., 155 Fig. Tübingen, H. Lau pp. 
Geh. M. 7.—, geb. M. 8.—. 

Wiede rsh ei ms Buch erscheint in der 4. Auflage wesent- 
.Hch vermehrt; namentlich sind* die Gebiete der Haut, des 
Zentralnervensystems, der Zähne, anderer Teile des Verdau- 
ungstraktus u. a. zum Teil neu bearbeitet worden. Sehr an¬ 
ziehend geschildert sind die neueren Befunde des paläolithischen 
Menschen und der Vergleich mit den Anthropoiden. Fiir eine 
nahe Verwandtschaft dieser mit niederen Menschenrassen tritt 
W. auch auf Grund der neueren biologischen Scrumfor- 
schungen des Blutes ein. Der Fachmann wie der Laie wer¬ 
den bei der Lektüre des Buches des Interessanten genug finden. 

Prof. S o b o 11 a - Würzburg. 

Francois Moutier: L’Aphasle de Broca. Paris, 
G- Steinbeil, 1908. 774 Seften. Preis 25 Fr. 

Ende des Jahres 1906 verblüffte der Pariser Neurologe 
Pierre Marie die medizinische Welt mit der Behauptung, 
dass die Broca sehe Lehre von der motorischen Aphasie 
unrichtig wäre und dass die Annahme der Lokalisation 
des Sprachzentrums im Fusse der linken Stirnwindung auf 
Irrtum beruhe. Die von so autoritativer Seite kommende Ab¬ 
lehnung einer Hypothese, die wie keine andere in der Gchirn- 
rindenlokalisation als gesichert galt, erregte natürlich lebhaftes 
Aufsehen und bald erhob sich ein heftiger Streit für und wider 
die Broca sehe Lehre. In dem vorliegenden Werke unter¬ 
nimmt es Francois Moutier, ein Schüler P. Maries, nach 
historischer Darstellung der Lehre von der Aphasie, alle Fälle 
von zerebraler Sprachstörung, welche seit der Lokalisation 
des Sprachzentrums durch Broca, also seit 45 Jahren irgend¬ 
wo veröffentlicht wurden mit samt den Abbildungen zu repro¬ 
duzieren (pag. 253—774) und einer kritischen Durchsicht zu 
unterwerfen. Auf Grund des Studiums dieser Publikationen 
muss man nun allerdings zugeben, dass die Lehre von der 
Existenz eines motorischen Sprachzentrums am Fusse der 
3. Frontalwindung schwer erschüttert ist. So gibt es in der 
ganzen Literatur keinen Fall, in welchem eine isolierte 
Läsion der dritten Stirnwindung, wie sie ein kleiner Er¬ 
weichungsherd auf ischämischer Basis, ein Trauma oder ein 
Tumor bedingen kann, motorische Aphasie hervorgerufen 
hätte; dagegen lassen sich viele Beobachtungen zusammen- 
stellen, die erweisen, dass bei Rechtshändern schwere Broca- 
sche Sprachstörung bestanden hat und dass trotzdem 
das hypothetische Sprachzentrum mit seiner weissen Sub¬ 
stanz ganz normal befunden wurde. Jedesmal ist aber dann 
in solchen Fällen eine Zerstörung der „zone lenticulaire“. d. h. 
der Gegend, welche die Insel, die äussere Kapsel und den 
Nucleus lentiformis umfasst, zu konstatieren. Auch ‘in der 
ersten Beobachtung von Broca selbst, auf welche er seine 
Lehre stützt, handelt es sich, wie die Abbildungen zeigen und 
wie aus dem in- dem Dupuytren sehen Museum aufbe¬ 
wahrten Gehirn jetzt noch zu ersehen ist, um eine ausge¬ 
dehnte Erweichung der Inselrinde und der ganzen sylvischen 
Gegend, also auch hier ist die lentikuläre Zone ergriffen. 

Aus der hier gebrachten Zusammenstellung der Welt¬ 
literatur ist ferner noch zu entnehmen, dass auch das 
klinische Bild der motorischen Aphasie nie ein ganz reines 
ist; immer und jedesmal finden sich neben dem mangelnden 


Sprechvermögen Störungen auch des sonstigen Ausdrucks¬ 
vermögens wie der Mimik und der Schritt, Verminderung der 
Auffassungskraft und starke Beinträchtigung der Intelligenz 
und der inneren Sprache. So kommt cs, dass all die schönen 
und geistreichen Schemata der Aphasie, wie sie von Mcy- 
nert, W e r n i c k e, Kuss m au I, L i c h t h e i m, Ba¬ 
gin s k i, B r o a d b c n t, Poincare, Charcot, Ballet, 
B r i s s a u d, H a n t i, L e u b e u. a. aufgestellt worden 
sind (in dem historischen Teile des vorliegenden Werkes sind 
27 Schemata wiedergegeben), ebenso wie die Einteilung der 
verschiedenen Formen der Aphasie in kortikale, subkortikalc. 
transkortikale, auf die einzelne Beobachtung bezogen, nie 
richtig passten. Der betreffende Untersucher tröstete sich, 
nachdem er sich vergeblich mit der Einreihung seines Falles 
in ein Schema geplagt hatte, dann meist damit, dass eben kein 
reiner Fall vorliege. Zeigte sich aber, dass trotz isolierter 
Zerstörung der linken Stirnwindung keine Beinträchtigung des 
Sprachvermogens bestand, so war ja auch stets eine Erklärung 
zur Verfügung: es handelte sich eben um einen verkannten und 
verkappten „Linkshänder“. 

Nach Marie und nach M o u t i e r gibt es also keine 
reine motorische Aphasie. Die Storungen in der Artikulation 
der Sprache infolge von Gehirnerkrankungen gehen vielmehr 
immer mit schwerwiegenden anderen zerebralen Ausfalls¬ 
erscheinungen einher. Zum Unterschied von dem Kranken mit 
Bulbärparalyse, der nicht mehr reden kann, weiss der 
Aphatische, auch der angeblich rein motorisch Aphatische. 
nichts mehr zu reden. Verursacht ist die Storung der Sprach- 
bildung, die also jedesmal mit einer Beeinträchtigung der 
inneren Sprache einhergeht, durch eine Zerstörung der Gehirn¬ 
partie zw ischen der linken Inselrinde und dem linken Seitcn- 
vcntrikel. Reicht die Affektion weiter nach hinten und nach 
dem Temporallappen zu. so überwiegen die amnestischen Er¬ 
scheinungen, es kommt dann zu dem Bilde, das Wern icke 
als „sensorische“ Aphasie beschrieben hat; sind mehr die 
vorderen Partien ergriffen, handelt cs sich also um die 
Zerstörung der ..lentikulären Zone“, so treten hauptsächlich 
artikulatorische Störungen auf. Jedesmal liegt aber ein mehr 
oder weniger grosser Intelligenzdeiekt vor. Die dritte linke 
Stirnwindung hat nach Pierre Marie mit dem Sprachver- 
mögen nichts zu tun. 

Es lässt sich nicht leugnen, dass diese neue Auffassung von 
der Aphasie mit den Fällen wie sie uns Aerzten zur Beob¬ 
achtung kommen, viel besser in Einklang gebracht werden 
kann, als die bisher geltende Lehre mit ihren schematischen 
Hypothesen. Freilich bleiben auch jetzt noch viele Fragen 
ungelöst, so diejenige, ob das Sprachvermögcn auf die linke 
Hemisphäre beschränkt ist, ob die rechte Hemisphäre bis zu 
einem gewissen Grade für die linke eintreten kann und viele 
andere mehr. Und schliesslich muss es doch irgendwo ein 
Rindenzentrum geben, in welchem die Gedanken und die inner¬ 
liche Sprache in die zur Lautbildung notwendigen Erregungen 
für die Lippen-, Zungen-, Gaumen- und Kehlkopfmuskulatur 
umgesetzt werden! Die Neurologen des Auslandes, d. h. von 
Frankreich, Amerika. England und Italien haben sich schon 
zum grössten Teil zustimmend zu der neuen Lehre geäussert. 
Augenscheinlich fällt es den Deutschen am schwersten, sich 
von dem Dogmatismus und den schonen Schemata zu trennen, 
jedenfalls liegen von deutscher Seite noch keine nennens¬ 
werten Arbeiten vor, die sich mit der M a r i e sehen Auffassung 
von der Aphasie beschäftigen. Leider können unsere ersten 
Verfechter in der Lokalisationstheorie der Aphasie, w ie K u s s - 
maul, Me y n c r t. W e r n i c k c nicht mehr auf dem Kampf¬ 
plätze antreten. Aber auch sie würden dem Autor des vor¬ 
liegenden Werkes die Anerkennung nicht versagen können, 
dass er Alles w as bisher über die Broca sehe Aphasie ge¬ 
lehrt und geschrieben worden ist, mit Aufwendung eines ganz 
ausserordentlichen Fleisses und einer zwar scharfen, aber 
nicht zu weitgehenden Kritik zusammengestellt hat. Die Dar¬ 
stellung M o u t i c r s ist so glänzend und so fliessend, dass es 
ein Vergnügen ist, sein Werk zu lesen. L. R. Müller. 

Die Behandlung des Krebses mittels Fulguration. Von Dr. 

de Keating-Hart in Marseille, l’ebersct/ang von Dr. E. 
Schümann, Assistent der chirurgischen Klinik in Leipzig. 


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15. September 1008. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1941 


Leipzig 1908. Akademische Veriagsgesellschaft m. fo. H. 37 
Seiten. Preis M. 2.40. 

Der Verfasser bringt in dem vorliegenden Werk nochmals 
^eine kurze und präzise Darstellung des Instrumentariums, der 
Technik und der Wirkungsweise seines Verfahrens, das in 
Deutschland durch die Veröffentlichungen von Czerny ja 
bereits näher bekannt geworden ist. Nach der jetzt vom Autor 
befolgten Technik zerfällt der Eingriff am Kranken in 3 Teile: 
1. BHtzbehandlung, 2. chirurgischer Eingriff und 3. abermalige 
Blitzbehandlung. Durch die erste Fulguration, auf die de K.-H. 
grossen Wert legt, wird die Dichtigkeit der Geschwulstmassen 
verändert und die Auffindung der trennenden Fläche zwischen 
gesundem und krankem Gewebe bei der Operation erleichtert. 
Ausserdem wird infolge der vasokonstriktorischen Kraft des 
Funkens die Blutung vermindert und die Inokulation von Krebs¬ 
massen erschwert. Der nun folgende chirurgische Eingriff be¬ 
steht in der möglichst vollständigen Entfernung alles krebsigen 
Gewebes knapp an der Geschwulstgrenze mit Messer, Schere 
oder Kürette unter sorgfältiger Berücksichtigung aller ver¬ 
streuten Krebsknoten; dann folgt endlich die zweite, wichtigere 
Fulguration, durch die alle zurückgebliebenen Krebszellen zer¬ 
stört weiden sollen. Wegen der stets eintretenden enormen 
serösen Sekretion ist ausgiebige Drainage der Wunden not¬ 
wendig. 

Die Wirkung der Fulguration beruht nach Ansicht des 
Verf vorwiegend auf der Zerstörung der Geschwulstzellen, die 
gegen den Funken viel empfindlicher sind als das Körperge¬ 
webe; trotzdem ist diese elektive Wirkung wohl nicht als der 
eigentliche Grund der guten Erfolge anzusehen. Denn mitunter 
hören Geschwulstmassen, z. B. Drüsenmetastasen, die garnicht 
der Funkenwirkung ausgesetzt waren, nach der Bestrahlung 
des Primärtumors in ihrem Wachstum auf und bilden sich sogar 
zurück; hier kann von keiner Zellzerstörung die Rede sein, 
sondern höchstens von einer Art Lähmung, die auf indirektem 
Wege eintritt. Ausserdem beobachtet man konstant eine 
ausserordentlich gesteigerte Verrtärbungsfähigkeit der Wunden 
und sieht an Rezidiven fast regelmässig, dass sie sehr langsam 
wachsen, sich relativ sehr gutartig verhalten und bei erneuter 
Behandlung gute Chancen bieten. Diese durchaus konstanten 
Erscheinungen beweisen, dass der elektrische Funken eine 
spezielle vitalisierende Wirkung auf die Zellen des Organismus 
ausübt; dieses Vermögen erklärt die Erfolge in dem Sinne, dass 
in dem Kampfe zwischen Körper- und Geschwulstzellen sich 
das vitale Uebergewicht auf die Seite der Körperzellen neigt. 
Vielleicht ist auch der starke Lymphstrom nach der Fulguration 
nicht ohne Bedeutung für die Heilwirkung, da er mechanisch 
Geschwulstzellen aus den Lymphbahnen herausschwemmen 
kann. 

Zum Schluss gibt Verf. 11 kurze Auszüge aus Krankenge¬ 
schichten miit Abbildungen, die an. sehr ausgedehnten Karzi¬ 
nomen des Gesichtes, der Zunge und der Mamma die vorzüg¬ 
lichen, mit seiner Methode erzielten Erfolge erkennen lassen. 

Die Lektüre des kleinen Werkes ist allen, die sich in kurzer 
Zeit über die Theorie und Praxis der Fulguration unterrichten 
wollen, sehr zu empfehlen. Heineke -Leipzig. 

Schneidemühle Spezielle Pathologie und Therapie 
der Haustiere. III. Abteilung. Berlin, R. Trenkel 1908. 
Freiburg i. B. M. 6.50. 

Durch das Erscheinen der 3. Abteilung ist nunmehr das 
Werk von Sehneidemtihl: „Spezielle Pathologie und 
Therapie der Haustiere“ zur Vollendung gediehen. Der Band 
umfasst die Krankheiten des Nervensystems, der Schilddrüse 
und der Haut, gerade die letzte Krankheitsgruppe ist besonders 
ausführlich behandelt. Das Werk sohliesst mit einer umfang¬ 
reichen Rezeptsammhmg, dessen Güte bei der Gesamtleistung 
des Werkes als selbstverständlich erachtet werden muss; sie 
wird dem angehenden Praktiker eine willkommene Unter¬ 
stützung sein und auch von dem Erfahrenen gern zu Rate ge¬ 
zogen werden. Besonders möchte ich hier noch einmal darauf 
hinweisen, dass das Werk Sehne idemühls auch für den 
humanen Mediziner besonders zu empfehlen ist. Da der Autor 
immer an Krankheiten des Menschen anknüpft, ist es dem 
Arzte sehr leicht gemacht, sich in die analogen Krankheits¬ 


bilder bei Tieren einzuarbeiten; er wird bei aufmerksamem 
Studium des Buches eine bessere Meinung von der hohen 
wissenschaftlichen Stellung der Tiermedizin bekommen, als 
es heute leider vielfach unter Medizinern noch der Fall ist und 
wird gegebenenfalls auch für eigenes therapeutisches Ein¬ 
greifen genügende Anleitung finden. Wenn auch schon gute 
und umfangreiche Handbücher in der tiermedizinischen Litera¬ 
tur vorhanden sind, so wird das jetzt fertig vorliegende Werk 
Schnei demühls ob seiner klaren, ausführlichen und doch 
kompendiösen Form sich seinen Platz zu wahren wissen. 

Küster- Freiburg. 

Dr. med. Otto Dornblüth- Wiesbaden: Gesunde Ner¬ 
ven; ärztliche Belehrungen für Nervenkranke und Nerven¬ 
schwache. 4. Auflage, Würzburg 1908, A. Stübers Verlag. 
Preis broch. 2 M. 152 Seiten. 

Das Büchlein ist für Laien geschrieben. Es bringt ausser 
einer populären Beschreibung der Nervosität, Neurasthenie, 
Hypochondrie und Hysterie nebst ihren Ursachen recht prak¬ 
tische Winke zur Vorbeugung und Behandlung dieser Krank¬ 
heiten. Der Arzt, der nicht in jedem populärmedizinischen 
Werke ein Konkurrenzunternehmen für seine Praxis wittert, 
wird dieses Büchlein gern weiterempfehlen, ja er wird auch 
manches für ihn selbst Wertvolle, besonders in den Kapiteln 
über körperliche und geistige Diätetik des Nervensystems, 
finden. Dr. Heinemann - Eierlin. 

Neueste Journalllteratur. 

Zeitschrift für Tuberkulose. Band XIII. Heft 1. 

Dr. Joh. v. Szaboky, derzeit Kurarzt in Gleichenberg: lieber 
Opsonine und deren Verwertbarkeit in der Diagnose, Prognose und 
Therapie der Tuberkulose. (Universitätsklinik in Budapest.) 

Iq einer längeren, durch reichliche Tabellen belegten Arbeit 
berichtet Verf. von deh Ergebnissen seiner Versuche. Der Wert des 
Opsoninindexes gesunder Personen schwankt zwischen 0,85 und 1,15. 
War er darunter oder darüber, so bestand meistens Tuberkulose. 
Man kann aber aus der Höhe des Indexes keine Folgerungen auf den 
Grad des Leidens ziehen. Indessen ist es wahrscheinlich, dass starkes 
Sinken eine schlechte Prognose bedeutet. Das Uebrige muss im 
Originale nachgelesen werden. 

Dr. A. H e n n i g - Königsberg i. Pr.: Der Einfluss der deutschen 
Meere (Ost- und Nordsee) auf die Tuberkulose der oberen Luftwege. 

Der grosse Nutzen des Seeaufenthaltes für Lungenkranke wird 
dargelegt, ebenso für Erkrankungen der oberen Luftwege. Die Arbeit 
und die Schlüsse daraus halten sich aber nicht frei von Uebertreibungen 
(„in der Mehrzahl der Fälle tritt Heilung ein"), ebenso kann man 
heute kaum dem fünften Schlussatze zustimmen: Die Errichtung von 
Lungenheilstätten und Sanatorien für Lungen- und Kehlkopftuber¬ 
kulose mit Jahresbetrieb an geeigneten, windgeschützten Plätzen an 
den deutschen Meeresküsten ist ein „dringendes Bedürfnis“. 

Dr. Ragnar Friberger - Upsala: Eine Untersuchung über .die 
Infektiosität der Kleider Lungenschwindsüchtiger. 

Die Kleider reinlicher Lungenkranker sind nicht so gefährlich, 
als man gemeinhin annimmt, wohl aber die unsauberer. Eine Reihe 
von Versuchen werden ausführlich mitgeteilt. 

Dr. Kurt v. H o 11 e n - Friedrichsheim: Heilstättenerfolge und 
Ihre Kritik. 

Verf. geht mit den Kritikern der Heilstätten, besonders mit G r o t- 
j a h n, scharf ins Gericht. „Eine Kritik der Lungenheilstätten, selbst 
eine schonungslose, schadet der Heilstättenbewegung nicht, wenn sie 
nur gerecht ist. Aber unbedingt muss man verlangen, dass der, 
welcher eine solche Kritik schreiben will, sich über die Tatsachen, die 
bezüglich der Erfolge der Lungenheilstätten veröffentlicht sind, auf das 
Genaueste unterrichtet, wenigstens aber über die in der von ihm 
selbst genannten Literatur enthaltenen Angaben! Und das hat G r o t- 
j a h n nicht getan.“ Liebe- Waldhof-Elgershausen. 

Zentralblatt für Gynäkologie. No. 35. 1908. 

E. Schroeder -Königsberg: Beseitigung einer Insuffizienz 
des Sphincter vesicae durch Verlagerung des Uterus. 

Bei einer 37 jährigen Frau war bei der 10. Geburt (Querlage) 
eine ausgedehnte Zerreissung der Harnröhre entstanden. Der Ver¬ 
such einer Harnröhrenplastik gelang nicht völlig; es blieb eine Fistel 
und Inkontinenz zurück. Sch. machte nun die Verlagerung des Uterus 
nach Wertheim-Schau ta, wobei der durch die vordere Peri¬ 
tonealfalte herausgestülpte Uterus soweit nach vorne fixiert wurde, 
dass seine Hinterfläche die grössere untere Hälfte der Harnröhre noch 
deckte. Gleichzeitig Sterilisation durch tiefe Keilexzision beider 
Tubenecken. Es trat völlige Heilung ein. 


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MUENCHENEg MEDIZINISCHE WOCHHNSCHK’IIT. 


N<*. 27. 


1942 


Fr. E n g c 1 in a n n - Dortmund: Kürette und Abortbeliandlung. 

E. hat eine Unlirage bei Aerzten veranstaltet, tun fcst/ustellcn. 
welche Methode der Abortbeliandlung am meisten gefebt wird. Von 
54 Aerzte, die weit über 151)0 Aborte im Jahre behandelt haben, waren 
46 unbedingte bezw. bedingte (6) Anhänger der Kürette. E. sehliesst 
daraus, dass in der Praxis die Kürette sieh nicht als das gefährliche 
Instrument erweist, als das es vieliaeh hingestellt wird. 

V. E r o m m e r - Wien: Transplantation des Scheidenepithels als 
neues Verfahren zur Heilung der Erosionen der Portio vaginalis. 

Nach Auskratzung der Erosionen trügt F\ mit flachem Messer ein 
entsprechend grosses Stück der epithelialen und sttficpitliciialcn 
Schichtenfläche aus der Vaginalschleimhaut ab und breitet in Bcekcii- 
hochlagcrung das Schcidenepithel mit der subepithelialen Schichtcii- 
fläche auf die angefrischte Fläche aus. Nähere klinische Angaben 
fehlen. F. spricht nur von einem mit bestem Erfolge ausgefiihrten 
Versuch. J a f t c -1 Limburg. 

Monatsschrift für Kinderheilkunde. Band VII. No. 4. 
(Juli 1908.) 

Referate. — Vereinsberichte. — Buchbesprechungen. 

Albert Uffenheimcr - München. 

Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 

59. Bd. 1. Heft. 1908. 

1) T. T a n a k a - Tokio: lieber die Viskosität, Gefrierpunktser¬ 
niedrigung, Azidität und elektrische Leitfähigkeit des normalen Harns 
und des Phloridzindiabetesharns von Japanern. 

Bericht über die Resultate der im Titel genannten Methoden bei 
Anwendung auf Harne der Japaner ohne neue Ergebnisse. 

2) O. P o r g e s und E. P r i b r a m - Wien: Zur Kenntnis der 
chemischen Vorgänge bei der Phosphorvergiftung. 

Aus den Versuchen ergibt sich, dass die Phosphorleber in höherem 
Masse an Hexonbasen verarmt, als es der Eiweissabnahme ent¬ 
spricht. Es findetu also eine erhöhte Eiweissspaltung statt. Pie auto¬ 
lytische Bildung von mit Salzsäure abspaltbarem N aus Stollen, die 
solchen nicht enthalten, ist dagegen in P.-Ecbern nicht gesteigert 
und wird durch Arginase bezw. Adenase und Guauasc bew irkt. 

3) O. P o r g e s und E. P i i b r a in: lieber den Eniluss des Kal¬ 
ziums auf die Diurese. 

In die Blutbahn gebrachtes Kalziumclilorid entwickelt als Salz 
eine diuretische Wirkung von annähernd gleicher Grosse wie das 
Kochsalz. Nur in grösseren (iahen ruft es eine Blutdruckscukuug 
durch Wirkung auf den Zirkulationsapparat und damit eine Hem¬ 
mung der Diurese hervor. 

4) A. Fröhlich und O. L o c w i - Wien: Untersuchungen zur 
Physiologie und Pharmakologie des autonomen Nervensystems. I. 
Mitteilung: Ueber die Wirkung der Nitrite und des Atropins. 

Unter autonomem System im engeren Sinne verstehen die Verf. 
jenen Teil des vegetativen Nervenapparates, der sieh aus einem 
kranialen und einem sakralen Anteil zusammensetzt. Die Fasern des 
ersteren entspringen aus Mittelhirn und verlängertem Mark, die des 
letzteren aus dem Sakralteil des Rückenmarks. Dem autonomen steht 
das sympathische System im engeren Sinne gegenüber, dessen Fasern 
aus dem Rückenmark zwischen erstem Thorakalscgmeut bis viertem 
Lumbalsegment entspringen, 

Die Verf. hatten sieh nun die Prüfung zur Aufgabe gestellt, ob 
sich die funktionell verschiedenen Nerven des vegetativen Systems 
autonomer und sympathischer Herkunft chemisch, d. i. durch ihr \ er¬ 
halten gegenüber (litten differenzieren lassen. In der Tat stellte sieh 
auf Grund eigener Versuche und der Eiteratiirangaben heraus, dass 
Nitrite dauernd oder vorübergehend die Erregbarkeit lediglich auto¬ 
nomer, nicht sympathischer Nerven vernichten und zwar nur der¬ 
jenigen, deren Funktion „Hemmung" ist. 

Das Atropin dagegen vernichtet lediglich die Erregbarkeit auto¬ 
nomer, nicht sympathischer Nerven, deren Funktion ..Forderung'* ist. 
Die alleinige Ausnahme bilden die sdiwcisstrcihciulcn Nerven. Bei 
Zusammenfassung der bislang bekannten Giftwirkungen ergibt sieh 
folgendes Schema: 


Nerven 

a) Fördernde 

b) Hemmende 

Reiz 

Lähmung 

Reiz 

Lähmung 

1. Autonome 

Pilokarpin 

Atropin 


Nitrite 

2. Sympathische 

Adrenalin 

Ergotoxin 

Adrenalin 



Diesen Giften, die sämtlich auf Nervenendapparatc wirken, ist 
noch das sowohl autonome wie sympathische Ganglien erst reizende 
dann lähmende Nikotin anzusehliesscn. Fs ist demnach bewiesen, dass 
die funktionell verschieden wirkenden Nervenapparate im Laufe der 
Entwicklung eine chemische Differenzierung erfahren hüben. 

5) (). Loewi und E. Neubauer- Wien: Ueber Phlorhlzlu- 
diurese und über die Beeinflussung der Phtorhlzinzuckeraussclieidiing 
durch Diuretika. 


Digitized by GOO^lC 


\\ idersprcchmdc Angaben B i be r 1 e I d s und W c I' i r > scm.- 
lassten die Verfasser in erneuten \e#Üieh«.n nach/uw eisen. 
Phlorhizin/uiiihr die Koehsal/aiissJiejtHmg im < k-gciis.ii/ zu amk'<m 
diuretiseh wirkenden Mitteln in keiner Weise beenmusst; namei«: 
auch mellt im Mime einer Hemmung. I ernel* dass uie I ’<i:• rh:/n- 
zuckerati.sscheidiiiig durch sogen. anige'ct/!e Pmresc mdil 
w ird 

6) A. Fröhlich mul G. l.oew i-Wim: Ueber vasokonttrik- 
torische Fasern in der Chorda t\mpani. 

Mittelst Nitrit\ergmung, welche die \ asoddatl&f eiu!m Cb 
eiidigiingen lahmt, gelang dem \ e r i. der Nachweis \..n \av"K"ii- 
stnktoreii der Chorda. I s sind autonome lasein m d wurden du'ch 
Pilokarpni gereizt und durch \lr• '{nn gelahmt. 

7) I). .1 o n e s e ii - Bukarest mul (). l.oew i-\\ieii: Leber eine 
spezifische Nierenwirkung der Digitaliskörper. 

Nach diesen t ntcrsiichunge n wirken die Pigita isk.rper d:u- 
retiseh auch in Gaben, die dut Butdriick hIht ha.upt mdit oder nur 
unbedeutend steigern. Die l ts,tJie dieser | »rgita.isdiur esc mt e:r;e 
F.rw eiterung der Nier etigeiasse und letztere die Folge i.ner direkte", 
peripheren Nlefeiigeiassw irkung der Digilaiiskor per. 

M (). l.oew i-Wien: Leber eine neue Funktion des Pankreas 
und ihre Beziehung zum Diabetes mellitus. 

l.oew i ging bei seinen intere^s.uiten Wisfehm \'<n der l ehe r- 
legIIhg aus. dass der Diabetes nach Pank r e.m Wo p.r.n ui durch, v : c 
gesteigerte l mw aiidlung des (i!\k"gens m /Ucker bedingt sei. Pt 
der Norm wurde der Reiz zur t il\ kogeimmw an.düng durch Lin*- v. rn 
Pankreas ausgehende l.ii egung des s\ mpatlnsc hc n Ner \ eiis\ sten.s ge¬ 
hemmt und reguliert, wahrend sich hu torti.iil fieser Hemmung fig 
l eber etnpiiridli Jikeil der gl\kogmumw anddfeft n ( h gälte emMc c. 
Zur Prüfung der Richtigkeit dieser M\p<-t!iese wählte I.. uie Pup; e. 
deren Dilatation unter dem heiimienden I imiwss des obersten ll.i>- 
ganglion stellt. Dieser hemmende Fimluss \uhindert in der S.-nn. 
dass instruiertes oder mu/icrus Adrenalin eine M\druisis hersorrutt: 
sehaltet mau ihn aber durch I xstirpatiou des ( igl. cer\. supr. aus. s > 
tritt eine beträchtliche Mwlnasis ein. 1 s ist als.» durch den I inifit: 
oder das Ausbleiben einer M\driasis naJi Adreria.i.iapplikati'-u e::i 
Entscheid über die FunktmöMiichtigkeit s\ mpathrsd.cr llcmmurucn 
und damit auch der Richtigkeit der L.sdien li\ pothese ii..' s 1iJi. 

W ährend nun bei gesunden Mcrmdiui. Mumien und Katzen AcPe- 
iialiiiiiistillation m den koinmikm ais.uk ohne l .lühiss aut die Pu- 
pillenweite ist, trat nach PaftiivaseWir patidp bei den \ crsiidiM.c rm 
Mvdriasis ein: ebenso bei I" um 1s I Made liker n. Danach hat das 
Pankreas in der lat die I unkte ui. die A Jr mahiicmpfmd u heit ge¬ 
wisser, sympathisch inner\ lerter (irgaue zu lu mmui und die Adrc- 
nalmprobe kann zur Diagnose \mi I hmk rcas.mi ktioimn benutzt wer¬ 
den. Me fallt ferner positiv aus bei imind.ui lahm \"ii Kmed -w. 
in denen möglicherweise die Adreiiaiineutptimi'ic!i*uit durdi IBpcr- 
thyreoidismus her vorger uiun ist. Bei anderen k ratmlu iten blü h die 
Reaktion negativ. .1. M Miler- Nürnberg. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, wi Band 
Heft. 19i );s. 

1) Josef Koch-Berlin: Ueber Beziehungen der Staphylokokken 
und Streptokokken zu den (iallcnw egen. 

In seinen Versuchen w mischte \ert. die Zeit der Ausscheidung 
mul den I intiuss \ er sgllnedeiier Mengen der inu/icrten k Ultimen bei 
der F.lmimierimg lest/ustc 1 ic n. Ir benutzte me-rfehefeGtlfogc ne 
Stapln lokokken- und Mrcpn 'Kokkeiist.imme aus i'nsJien k ranklieits- 
herderi lind aus der Obertiache des kotpeis. |r Kumte lestste.ien. 
dass fast regelimisig bei deij langer daiiiimiiii liitekti"iien. die ktinst- 
lieh durch StapfiA lokokken er/eiigt waren, eine Anss v !ie idimg \ » n 
Kokken durch die l.eber und i ia,.e ein; i itt. In dir ( uie waJseii und 
vermehren sie sich lebhatt und alte ne reit d:e ' ia he nl' ave dirndi gfic 
von ihnen ausgeschiedeiien < nile. Mit S||f pt"k"kkeu lasst sich auf 
hämatogenen Wege eine deiaitege I r kt unbillig nicht erzeugen, es 
muss vielmehr angenommen werden, d.fes sie bei dm Streptokokken 
aui dem Wege der L\ mphhuhnui des Inte stm.i.t; aktus Nur sieh geilt. 
Verf. glaubt nicht, dass die Stapln lokokken ohne weiteres rm engen 
Zusammenhang mit den < lalleiisteinl'ildimgcn stellen, ledentaüs siebt 
er das (ieriist der Steine nicht als durch Stapln ’a-kokketl entstanden 
an; eher aus den abgestossmen Epitheln. 

2) A. Ost er ma n n - Br esiau: Die Bedeutung der Knntaktinfek- 
tlon für die Ausbreitung der Tuberkulose, namentlich im Kindesalter. 

Als l älter such u ngsob.iekte dienten eine ganze Ruhe \"ii lärmten 
in Breslau, welche unter den Schlichtesten Ir. .jcmsjicn \e r i:.iit- 
mssen lebten und bei denen ein Ins mehrere Mitglieder an 'I nbyr- 
k u lose litten. Veil. mite i suchte die Ihindc tmd aadi den I ussb. de n. 
Im ganzen fand er bei 42 kimlerri 4 mit Tuberkeihaziilcn an den 
Fingern behaftet; und nur in der Hälfte der I .die waren in den 
..schlechtesten" W ohnungen Tuberki!ba/i!len auf dem I iiss! rn!en zu 
finden. Auch die l’iitersuchungeii über Kottta^ tmfeMloii bei I rwach- 
Seilen ergaben gu listige re Resultate wie sie erwartet w urderu Wes¬ 
halb Verf. sehliesst, dass die Gelabt der k’om.i-.t .bertagung bei der 
Tuberkulose nicht aUvuhodi euuesdi.P/t Werden darf. Jedenfalls 
sollen die einmaligen kurzdauerfeien Koft&vk-ic mdit als ernste In¬ 
fektionsgefahr angesehen werden. 


Original From 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 






15. September 1906. 


MUENCHEMER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1943 


3) A. Ostermann -Breslau: Infektiönschancen beim Genuss 
von Milch und Milchpräparaten von perlsüchtigen Kühen. 

Durch kritische Literaturstudien und einige eigene Versifche ge¬ 
langt Verf. zu der Ansicht, dass die Beteiligung der alimentären 
Tuberkulose an der Gesamtfrequenz als eine ausserordentlich geringe 
bezeichnet werden muss. Nichtsdestoweniger solle ein sorgloser 
Genuss von roher und ungenügend gekochter Milch nicht gestattet 
werden. 

4) Bruno H e y m a n n - Breslau: Weitere Beiträge zur Frage 
über die Beziehungen zwischen Säuglingsernährung und Tuberkulose. 

Seinen früher gemachten Erhebungen fügt Heymann einige 
neue hinzu aus Rumänien, den Faer-Oerinseln, aus Aegypten und der 
Goldküste. Er führt diese Beobachtungen an als erneute Beweise 
dafür, dass die Tuberkulose auch ohne Aufnahme von tuberkelhaltiger 
Nahrung eine ebenso grosse Verbreitung finden kann, wie unter Ver¬ 
hältnissen, wo Gelegenheit zu Infektion mit Perlsucht gegeben ist. 
Einer Infektion durch tuberkelbazillenhaltige Nahrung sei daher nur 
eine äusserst geringe Bedeutung beizumessen. 

5) H. Reich enbac h-Brcslau: Experimentelle Untersuchungen 
über die Eintrittswege des Tuberkelbazillus. 

Die Untersuchungen erstrecken sich auf vergleichende Versuche 
über Inhalation und Fütterung an Meerschweinchen mit verein¬ 
fachter Methodik, auf Versuche an Ziegen, auf Fütterung von Meer¬ 
schweinchen mit wiederholten kleinen Dosen und auf Versuche mit 
Ausschluss des Nasenrachenraumes Es gelang der Beweis, dass 
überall dort, wo eine Infektion mit Tuberkelbazillen durch Fütterung 
erzeugt werden kann, sie viel rascher und sicherer und mit viel 
kleineren Dosen auf dem Inhalationswege zu erreichen ist. Der Er¬ 
folg ist nur den wirklich in die Lungen gelangten Tuberkelbazillen 
zuzuschreiben. Alte Tierexperimente sprechen im Gegensatz zu 
Calmettes Anschauungen für die höhere Bedeutung des Inha- 
lationsw r eges. 

6) Joh. Alexander -Breslau: Das Verhalten des Kaninchens 
gegenüber den verschiedenen Infektionswegen bei Tuberkulose und 
gegenüber den verschiedenen Typen des Tuberkelbazillus. 

Die am Kaninchen gemachten Beobachtungen ergaben, dass die 
Fütterung hinter der Inhalation mindestens so viel zurücksteht, wie 
beim Meerschweinchen. Die Fütterung mit Typus humanus blieb 
selbst bei 180 mg nach 31 Tagen und 6 mal 5 mg nach 6 Monaten 
völlig erfolglos. Inhalation war dagegen bei 25 000—50 000 Bazillen 
des Typus humanus und schon bei 100 Bazillen des Typus bovinus 
sicher wirksam. Hierbei liess sich senr deutlich auch der gewaltige 
Unterschied zwischen der Infektiosität des Typus humanus und Typus 
bovinus feststellen und ebenso die verschiedene Empfänglichkeit un¬ 
serer Versuchstiere für die tuberkulöse Infektion. 

7) B a 11 i n - Breslau: Das Schicksal inhalierter Schimmelpilz¬ 
sporen. 

Schimmelpilzsporen werden sowohl bei trockener wie bei feuch¬ 
ter Verstäubung mit dem Inhalationsstrom direkt bis in die Alveolen 
transportiert. Sie dringen nach kurzer Zeit in das Gewebe der Al- 
veolarzwischenw'ände, und zwar auch die nicht virulenten; dort findet 
auch das Auskeimen der Sporen statt. 

8) Bruno Heymann - Breslau: Versuche an Meerschweinchen 
über die Aufnahme inhalierter Tuberkelbazilien ln die Lunge. 

In den Lungen mittelgrosser Meerschweinchen sind 1 Stunde 
und später nach der Inhalation von 10 000 Tuberkelbazillen dieselben 
stets nachzuweisen und zwar auch in den periphersten Partien. In 
den Bronchialdrüsen erst drei Tage nach der Inhalation, nach 6 Tagen 
jedoch nicht mehr. Benützt man zur Inhalation 1000 000 Bazillen, 
also eine bedeutend grössere Dosis, dann findet man sie auch in den 
Bronchialdrüsen bereits 1 Stunde nach der Inhalation, woraus sie 
dann nicht mehr verschwinden. Es gelang auch den mikroskopischen 
Nachweis zu führen, dass die Tuberkelbazillen in den Alveolen und 
feinsten Bronchien eingewandert waren. Demnach scheint auch beim 
Menschen sehr vieles dafür zu sprechen, dass der Inhalationsweg der 
gangbarste zur Infektion mit Tuberkulose ist. 

9) Köhlisch -Breslau: Untersuchungen über die Infektion mit 
Tuberkelbazillen durch Inhalation von trockenem Sputumstaub. 

Die Infektionsgefahr mit Tuberkelbazillen im trockenen Staub 
tritt gegenüber der „Tröpfcheninfektion“ weit zurück. Eine derartige 
Infektion kann zwar erfolgen, es müssen aber eine Reihe günstiger 
Momente Zusammentreffen, ehe sie wirklich eintritt. Die durch Ver¬ 
schlucken von Staub in den Organismus gelangten Tuberkelbazillen 
sind an Zahl zu gering, um eine Infektion vom intestinalen Wege aus 
zu erwirken. 

10) H. Reichenbach und Bock- Breslau: Versuche über 
die Durchgängigkeit des Darmes für Tuberkelbazillen. 

Nach den Versuchen der Verfasser findet beim Meerschweinchen 
bei Fütterung mit nicht allzugrossen Dosen von Tuberkelbazillen ein 
rascher Durchtritt durch die Darmwand nicht statt. Eine rasche 
Erkrankung der Lunge ist also bei dieser Einverleibung der Tuberkel¬ 
bazillen nicht zu erwarten. 

11) O e 11 i n g e r - Breslau: Die Disposition der Lunge zur Er¬ 
krankung an Tuberkulose. 

Wenn die Lungen an Tuberkulose erkranken, so ist eine erhöhte 
Disposition des Lungengewebes anzunehmen, welches auch auf Ein¬ 
wanderung von wenig Tuberkelbazillen mit einer Erkrankung rea¬ 


giert Kreisen Bakterien in der Blutbahn, so werden sie viel eher 
in Milz und Leber und anderen Organen abgelagert als in der Lunge. 
Werden Tuberkelbazillen nach Verfütterung lediglich in der Lunge 
gefunden, so ist es dann völlig sicher, dass sie nicht auf dem Blut- 
w r ege in die Lunge gelängt sind. 

R. O. Neumann -Heidelberg. 

Berliner klinische Wochenschrift. No. 36. 1908. 

1) H. C h i a r i - Strassburg: Ueber eine in Spontanheilung be¬ 
griffene Abreissung des linken Leberlappens. 

Dieser Befund wurde bei einem 39 jährigen Bahnarbeiter er¬ 
hoben, der zwischen 2 Eisenbahnpuffer geraten' war und 3 Wochen 
nachher an einem im Anschluss an das Trauma entstandenen Magen¬ 
geschwür zu gründe ging. Der abgerissene Leberlappen lag neben 
der Milz, total nekrotisch. 

2) P. Mühlens -Wilhelmshaven: Ueber einige fieberhafte 
T ropenkrankheiten. 

Kurze Zusammenstellung über die Symptomatologie und be¬ 
sonders die parasitäre Aetiologie mehrerer neu erforschter Tropen¬ 
krankheiten (Schwarzes Fieber, Rückfallfiebererkrankungen verschie¬ 
dener Art. Denguefieber, Sieben Tage-Fieber, kanarisches Fieber, 
Shangaifieber u. a.). 

3) R. K o t h e - Berlin: Das neutrophile Blutbild im Frühstadium 
der akuten Appendizitis. 

2 Tabellen geben Uebersicht über die Untersuchungen des Verf., 
der hiebei auf die quantitativen Verhältnisse der einkernigen neutro¬ 
philen Leukozyten den Hauptwert legt. Je mehr die Zahl derselben 
über 6 Proz. (Norm!) hinausgeht, desto bedeutungsvoller die In¬ 
fektion, desto nötiger meist die Operation. Die Gesamtzahl der Leuko¬ 
zyten überhaupt ist nicht so ausschlaggebend. 

4) G. Franchini - Florenz: Beitrag zum chemischen und histo¬ 
logischen Studium des Blutes bei Akromegalie. 

Aus seinen im Einzelnen mitgeteilten Untersuchungen schliesst 
Verf., dass bei der Akromegalie sich oft Blutveränderungen finden, 
besonders betreffs der Leukozyten (Eosinophilie etc.); auch chemische 
Veränderungen, kommen vor, besonders ein gewisser Grad von 
Lipämie und eine Zunahme der Mineralbestandteile. 

5) S. M ö 11 e r - Berlin: Ueber chronischen acholurischen Ikterus 
mit Splenomegalie. 

Von 2 Fällen dieser sehr seltenen Affektion w r ird eingehend der 
Befund mitgeteilt. Im I. Falle bestand die Gelbfärbung der Haut seit 
dem 15. Lebensjahre, mässige Anämie, erheblicher Milztumor; im 
Harn nur Urobilin, kein Bilirubin. Im 2. ähnlichen Falle war die 
Anämie geringer. Als Ursache ist eine noch unbekannte, chronisch 
wirksame Noxe anzunehmen. In einem Zusatz berichtet H. S t r a u s s 
über den weiteren Verlauf bei 2 früher von ihm beschriebenen Fällen 
der Art. 

6) M. P. Ni k i t i n - St. Petersburg: Ueber den Bechterew¬ 
schen „Beugereflex der Zehen“. 

Grösstenteils literarische, nicht zum Referate geeignete Ex¬ 
kursion. Den Beugereflex der Zehen konnte Verf. bei Gesunden oder 
nur funktionell Nervenkranken nie konstatieren. N. berichtet dann 
noch über das Verhältnis im Vorkommen des B a b i n s k i sehen und 
des Bechterew sehen Reflexes bei von ihm untersuchten 35 Ner¬ 
ven- bezw. Gehirn-Rückenmarkskranken. 

7) M. J. Rosto wz ew-Dorpat: Das Kernigsche Symptom 
bei Tetanus. 

Schluss folgt. 

8) Falkenstein -Gross-Lichterfelde: Zur Behandlung der 
Gicht. 

Seiner Salzsäurebehandlung der Gicht will. Verf. auf Grund 
weiterer Erfahrungen Kuren mit Jodglidine, sowie subkutane Injek¬ 
tionen von 25 proz. Jodipinöl hinzugefügt wissen, da das Jod ebenfalls 
auf die Harnsäureproduktion einzuwirken vermag. 

Grassmann - München. 

Deutsche medizinische Wochenschrift. 1908. No. 36. 

1) E. H a r n a c k - Halle: Ueber die Missstände in der Hell¬ 
mittelproduktion, unter besonderer Berücksichtigung der Pyrenol- 
frage. 

Verf. beleuchtet gewisse unreelle Strömungen in der modernen 
Heilmittelproduktion. Gemische von teils heterogenen bekannten 
Arzneisubstanzen werden mit fragwürdigen chemischen Formeln 
unter grosser Reklame auf den Markt geschleudert und kritiklos an¬ 
gewendet. Die Schaffung einer amtlichen zentralen Prüfungsstelle 
für neue Mittel wäre wünschenswert. 

2) Saar-Berlin: Ueber Behandlung mit Pyozyanase bei Diph¬ 
therie, Scharlach und Anginen. 

Bei Scharlach- und anderen Kokkenanginen, besonders aber bei 
der Plaut-Vincent sehen Angina wirkte Pyozyanase, mittels 
Zerstäuber 3—4 mal täglich eingeblasen, vorzüglich. Bei Diphtherie 
kann sie, da sie nicht diphtheriegiftbindend zu sein scheint, nur neben 
dem Heilserum angewandt werden; doch scheint dann von letzterem 
eine geringere Dosis zu genügen; bei erwachsenen Diphtheriekranken 
genügt Pyozyanase, rechtzeitig angewandt, allein. 

3) Julius Baer und Leon B1 u m - Strassburg i. E.: Zur Wir¬ 
kung der Glutarsäure auf den Phlorldzindiabetes. 


Digitized by (^QuQie 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1944 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


Verff. halten ihre frühere Ansicht, dass die Glutarsäure auf den 
intermediären Stoffwechsel wirke, den Thesen W i 1 e n k o s gegen- 
iiber unter entsprechender Begründung aufrecht. 

4) Wilh. M e n y h e r t - Ofen-Pest: Eine rasche und genaue Be¬ 
stimmung der Endreaktion bei der Zuckertitration mittels Fehling- 
scher Lösung. 

Auf dem Reagenzpapier, bestehend aus feinem Filtrierpapier« 
getränkt mit Essigsäure und Ferro/.yankalilösuug und getrocknet, 
bildet ein Tropfen F e h I i n g scher Losung einen dunkcIvioletlen 
Ring (Ferrozyankupfer); derselbe wird desto blässer, je mehr Kupfer 
in der Lösung reduziert wurde, und verschwindet mit beendigter 
Titration ganz, während dann ein dunkler Kuprooxydkern zuriick- 
bleibt. 

5) f:. W i e 1 a n d - Basel: Klinische Untersuchungen über Früh- 
rhachitis. 

Untersuchungen an Neugeborenen, deren Knochensystem noch 
eine zeitlang kontrolliert wurde, führten W. zur Ueber/eugung, dass 
angeborene Rhachitis nicht vorkommt. An der Knochenkuorpclgien/e 
des Thorax von Neugeborenen fühlt man, namentlich bei kräitiger 
Entwicklung, kleine Wülste und Kanten, ein rhachitischer Rosenkranz 
dagegen kommt beim Neugeborenen nicht vor; ebensowenig Fpi- 
physenauftreibungen in rhachitischem Sinne. Zu unterscheiden sind: 
Chondrodystrophia foetalis, ferner angeborene Verkrümmungen langer 
Röhrenknochen infolge intrauterinen Druckes auf noch ungenügend 
ossifizierte Knochenpartien. Der „angeborene W eichschädel“ ist von 
der Craniotabes rachitica durch die Lokalisation unterschieden, er 
betrifft die am stärksten gewölbte Kopfpartie („Kuppenerweichung“), 
das Occiput ist in der Regel hart. Kinder mit angeborenem \\ eich- 
schädel, die Verf. kontrollierte, entwickelten sich normal weiter, die 
Köpfe wurden und blieben hart. Sekundär kann der bereits hart ge¬ 
wordene Schädel rhachitisch erkranken (Elsässers Kraniotabes). 
Verf. nimmt als sehr wahrscheinlich an, dass intrauterin nur die 
Disposition zu Rhachitis, nicht diese selbst übertragen werden kann. 

6) 0. Herxheimer und K. F. H o i i nt a n n - W iesbaden: 
Ueber die anatomischen Wirkungen der Röntgcnstrahlen auf den 
Hoden. 

Untersuchungen am Kaninchen zeigten, dass zunächst die 
höchstdifferenzierten Zellen des Hodens und zwar die Spermatiden 
geschädigt werden, dann die Spermatozyten und Spermatogonien. An 
Stelle der zu gründe gegangenen Samenzellen wuchern die S e r t o I i- 
schen Fusszellen; die Samenkanälchen kollabieren, die Zwischen¬ 
zellen wuchern. Nach einiger Zeit geht eine ziemlich vollkommene 
Regeneration von den erhaltenen Spermatogonien aus. 

7) E. H ö n c k - Hamburg: Gibt es objektive Gründe« die uns ver¬ 
anlassen können, Blinddarmkranke nach Operationen im fieberfreien 
Intervall frühzeitig aufstehen zu lassen? 

Mit dem früheren Aufstehen ging die sonst noch längere Zeit 
erhöhte Temperatur rascher zurück. 

8) M a i n z e r - Nürnberg: Das W es tpha Ische Zeichen bei 
Gesunden. 

2 Beobachtungen, 32 jähr. Frau und 7 jähr. Kind; hereditäre Lues 
im Spiel. 

9) Scheffzek - Breslau: Zur Behandlung der Schädellmpres- 
slon der Neugebornen. 

Erfolge durch Hebung des deprimierten Stückes mittelst kork¬ 
zieherartigen Instrumentes nach B a u m in. 

10) Magnus N e u m a n n - Berlin: Automatischer Paquelln. 

Druckball wird durch Wasserkraft (Harnzentrifuge mit Schwung¬ 
rad) dauernd komprimiert. R. Grashey - München. 

Italienische Literatur. 

Quyot: Ueber Bakterienhämoagglutlnatlon. (il Morgagni, Juli 
1908.) 

Ueber Agglutination roter Blutkörperchen durch Bakterien im 
Gegensatz zur Serumhämoagglutination berichtet ü. aus dem T i z - 
z o n i sehen Institut in Bologna. 

G. konnte dieses merkwürdige, zuerst von Kraus und Lud¬ 
wig 1902 (Wien. klin. Wochenschr.) festgestellte Phänomen konsta¬ 
tieren bei einer Reihe verschiedener Stämme von Kolibazillen, welche 
die roten Blutkörperchen verschiedener Tierarten agglutinierten. Die 
verschiedensten Individuen derselben Tierspezies zeigten im gleichen 
Masse das Agglutinationsphänomen gegenüber den gleichen Bakterien. 

Bakterienagglutinine als Sekretions- oder Exkretionsprodukte der 
Bakterien in den Kulturprodukten waren nicht nachweisbar, ebenso 
nicht in Kochsalzlösungen, sondern die Hümoagglutination erfolgt 
durch eine Reaktion von Körper zu Körper zwischen den Bakterien 
und den roten Blutkörperchen. Auch durch Formalin abgetötete 
Bakterien behalten ihre agglutinierende Eigenschaft. Die Agglu¬ 
tination ist also keine Lebensäusserung der Bakterien selbst. Saure, 
alkalische oder neutrale Reaktion des Vehikels, in welches die Bak¬ 
terien eingetaucht sind, hat keinen Einfluss auf das Zustandekommen 
und die Intensität der Reaktion; dagegen wechselt die Intensität mit 
dem Wechsel der Natur und der Zusammensetzung des Bakterien¬ 
vehikels. 

Die hümoagglutiniercnde Eigenschaft der Bakterien ist wahr¬ 
scheinlich eine einzige und identische für alle Bakterien und eine 
Spezifität der Bakterienhämoagglutinine scheint ausgeschlossen. 


F e d e 1 i bringt aus dem M a r a g 1 1 a n o sehen Institut in Genua 

einen experimentellen Beitrag zum Studium der Mischinfektionen bei 
Tuberkuloseinfektion. (Anuali dcll'istituto Maragliano, vol. 2. ias- 
cicolo IV). 

Derselbe erstreckt sich auf die am gew ulmliJisten vorkommen¬ 
den Mikroben: den Diplococcus Frankel, den Streptococcus und 
Stapln lococcus aureus und den Tetragomis und ihre Wirkung gemein¬ 
sam mit dem Tuberkelba/illus bei Meei scliw einGie n. Kaninchen und 
weisen Mausen. Aus der langen Reihe dieser I'.' perimcnte geht nicht 
nur die gegenseitige \ iruleu/cr liohimg zwischen diesen Keimen und 
dem Tuberkeiba/illus deutlich hcr\or. sondern juJi die Tatsache, dass 
man auf diesem Wege eine bestimmte Mikrohenan tur bestimmte Tiere 
pathogen machen kann, wahrend sie an und für sieh unschaJiieh ist. 
So gelingt es, eine Diplokokkenseptikamie bei Meerschw eine heil zu er¬ 
zeugen und ebenso Immen kurzer Zeit schwere patnoiogmJi-ana- 
tomisehe Veränderungen, wie man sie bei 1 immpfuig des 1 uherkcl- 
baziiltts allein nicht bewirken kann. 

R niiiaiielli: Mikroskopische und experimentelle Untersuchung 
des Blutserums in Bezug auf den Opsonin- und Phagoz> toseindex. 
(Annali eie11 istituto Maragliano, vol. 2. fase. I\.) 

R. berichtet über ö Serien von KaumJieimnpiimgen mit abge- 
toteten Tuberkelba/illeneniulsioiien. desgleichen über Impfungen \oii 
Affen. 

Er fand, dass in allen Fallen mit durch Hitze abgetoteten I u- 
berkelkuitureu. Kulturell sowohl als auch mit Fiter, welcher an 
den Stellen, wo diese Produkte injiziert waren, sich gebildet hatte, 
den Phago/\tenindex wie den Opsmmmidex erhöhen konnte. 

Aui die Inokulation folgte unmittelbar eine Verminderung beider 
Werte und die negative Phase W rights, darum ene positive, eie 
ziemlich lange dauert und etwa 2 Monate und mehr in gleicher Hohe 
bestand, dann zur Norm heruntersank. Die Temperatur der T iere ist 
auf den Dpsoiiinimlex, wie auf den Phago/yteittfiJe\ ohne Fiiif'.uss. 

Zwischen den Opsonin- und den Phago/vtosewerten und dem 
Agglutinationsw ert des Blutserums auf Tuberkelbazilien bestellt 
keinerlei i ’aralleliMiius. 

Rubino bringt aus der Klinik Genuas eine Arbeit aber den 

mikroskopischen Blutbefund bei Tuberkulose, mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der ieuko/>tären Varietäten. (Annali deII istituto 
Maragliano, \ol. 2, iasc. 4.) 

Wir entnehmen derselben als bemerkenswert folgendes: Die 
Lymphozyten vermehren sieh im Beginn des tuberkulösen Prozesses 
und ihre Vermehrung kann beim Fehlen anderer Erscheinungen eine 
latente T'uberkuiose argwöhnen lassen. Sie vermindern sich m dem 
Masse, w ie zum K o c h sehen Baziilus sich andere Mikroorganismen 
gesellen, so dass sie sieh im letzten Stadium vier Tuberkulose as 
mehr weniger stark abgeivommeu darstellen.. 

Die L\mpl)o/\ten langen au sich zu vermehren in den f allen, 
wo der tuberkulöse Prozess geheilt ist und sich zur Sklerose an¬ 
schickt. 

Myelozyten finden sich in den pratuberkulosen Stadien; es gibt 
einige nicht seltene lalle, bei welchen die Mononukleose mit Vor¬ 
wiegen der einen oder anderen Varietät sich in den klinisch ver¬ 
schiedensten Formen findet; lusv eilen kann das luimatologische Bild 
das klinische so ubci w legen, dass man au eine Pseudoleiikamie zu 
denken versucht ist. 

Die eosinophilen Zellen sind be/nglieh ihrer Abstammung immer 
noch dunkel, dagegen haben sie eine prognostische Bedeutung. Zeigen 
sie sich vermehrt, so neigt der lokale oder allgt meine Prozess zur 
Heilung. Sie sind ein Zeichen der Schut/stofibiKlung und vier Ver¬ 
teidigung des Organismus gegen die toxisch infektiöse Attektion. 

M u g i: Ueber Jodophilie und Leukozytose im Scharlach. (Gnz- 
zetta degli osped. loo,\ No. 4M 

In ailen 1 allen von Scharlach, so berichtet M. aus der Klinik 
Pisas, kann man eine erhöhte .lodreaktion bei Bjutuntersuchungen 
konstatieren, eine .lodreaktion. welche dem Grade der Leuko/v tose 
parallel geht und mit ihm steigt und lallt. 

Diese Reaktion stellt bezüglich vier Zahl vier jovlophilen Leuko¬ 
zyten und der Intensität vier Rvaktioii zwar nicht in einem bestimmten 
Verhältnis zur Schw ere der 1 .i Kränkung, indessen darf man ihr eine 
diagnostische und prognostische Bedeutung bei Scharia«.li zusprtchen. 
Sie ist vom frühesten Beginne der Sji.irlavherkrankung an vor¬ 
handen, verschwindet prompt mit vier Leuko/v tose zusammen in der 
Rekonvaleszenz, bleibt dagegen persistent bei allen denjenigen Kom¬ 
plikationen. welche dem Scharlach eigentümlich sind: so bei SJiar- 
lachotitis, der Driiseuphlegmone. der Nephritis. 

BinTt Ueber Puls und Blutdruckverhältnisse bei der Nephritis 
im Kindesalter, (il Morgagni, Juli l‘*»\) 

B. stützt seine aus dem pädiatrischen Institut in Florenz licrvor- 
gegangene Arbeit auf 2ä<> Sphv gmogramme mul 45ö Bliitdriickbestim- 
imingen. 

1. I leberdruck im Blutgciässvstem fand B. bei akuten, su hak Uten 
und eiironischen Nephritiden;, besonders in Fallen, wo Nephritis als 
einzige Krankheit vorhanden war. 

2. Unterdrück iand er typisch bei Nephritiden im Laufe schwerer 
Krankheiten, welche durch Erniedrigung des Blutdrucks charakteri¬ 
siert sind, ebenso auch bei Nephritis nach Diphtherie. 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1945 


3. Normalen oder fast normalen Blutdruck konstatierte-er bei 
einigen chronischen und subakuten Nephritiden und auch bei einer 
Anzahl von sekundären Nephritiden im Laufe leichter Infektions¬ 
krankheiten. 

Woher rührt die Ueberspannung im Zirkulationsapparat? Es ist 
anzunehmen, dass die mechanische Hinderung des Blutkreislaufs in 
der Niere dieselbe nur zum Teil erklärt, zum anderen Teil wird sie 
bewirkt durch Stoffe, welche im Blute zurückgeblieben, gefässver- 
engernd auf nervösem Wege wirken, durch Stoffe welche auch durch 
ihre Wirkung auf den Lymphapparat und die Blutgefässwände die 
Ursache der Oedeme sind. 

In einigen Fällen kann Ueberspannung im Qefässystem, für 
welche erklärende Momente von seiten des Herzens und der Blut¬ 
gefässe fehlen, die Frühdiagnose einer Nephritis rechtfertigen, ehe 
dieselbe aus dem Urinbefunde nachweisbar ist. 

Was die Veränderungen des Pulses anbelangt, so ist derselbe 
in der Regel bei Erhöhung des Blutdruckes verlangsamt und kehrt 
erst nach der Erniedrigung des Blutdruckes zögernd wieder zur Norm 
zurück. Diese Pulsverlangsamung erscheint abhängig von einer Rei¬ 
zung des Vagus durch toxische, von der Niere herrührende Sub¬ 
stanzen; sie fehlt in Fällen, wo der Vagus auf einen solchen Reiz 
nicht zu reagieren imstande ist. 

Arrhythmien fand B. bei Nephritiden nur in Fällen von Ueber- 
druck und dieselben verschwanden mit dem Nachlass desselben. Er 
hält sie für abhängig von Störungen der Herztätigkeit auf nervösem 
Wege durch toxische Substanzen, herrührend von der Niereninsuffi- 
zienz. 

Anhaltende aufrechte Körperhaltung kann zu einer Vermehrung 
der Pulsfrequenz, verbunden mit Erniedrigung des Blutdrucks führen, 
desgleichen zu einer Vermehrung des Albumens im Urin. 

Ein römisches Bad erniedrigt den Blutdruck für die Dauer einer 
Stunde und darüber, vermehrt die Zahl der Herzschläge für kurze 
Zeit und beseitigt Arrhythmien, letztere oft dauernd. 

Silvestri: Ueber Dissoziation der Sensibilität mit syringo- 
myelitischem Typus zerebralen Ursprungs. (Qazzetta degli osped. 
1908, No. 38.) 

S. berichtet über einen Fall von Apoplexie mit Zeichen einer 
Läsion der Capsula interna, welcher Dissoziation der Sensibilität, wie 
sie typisch für Syringomyelie erachtet wird, bot. Er betont, dass 
in diesem Falle Hydrozephalus wie Hydromyelie sicher fehlte und 
plädiert angesichts der Erfahrungen verschiedener Autoren über 
Dissoziation der Sensibilität syringomyelitischer Art, auch bei Lä¬ 
sionen peripherischer Nerven, für die Anschauung, dass die thermi¬ 
schen wie schmerzhaften Sensationen autonome Sensationen sind, un¬ 
abhängig von der taktilen und dass für eine jede derselben bestimmte 
getrennte Nervenleitungen bestehen; eine jede das sensitive Nerven¬ 
system betreffende Läsion, wo dieselbe auch immer ihren Sitz habe, 
sei fähig, Dissoziation der Sensibilität mit syringomyelitischem Typus 
zu machen. 

C o n f o r t i bringt aus der chirurgischen Klinik zu Florenz einen 
Beitrag zur Histologie des Retentionstestikels, gewonnen an neun 
von ihm untersuchten und illustrierten Fällen. (II Morgagni, Juli 1908.) 

Bei dem nicht herabgestiegenen Testikel Erwachsener, so 
schliesst C., finden sich häufig Gruppen von Tubuli oder einzelner 
Tubuli in noch initialer Entwicklungsperiode. Diesen Tubuli, meist in 
Knoten gruppiert, hajben einige Autoren, wie Pick, Chevassu, 
Lecene die Bedeutung von Neubildungen mit adenomatösem Typus 
zugesprochen; dagegen erklärt sie Lanz für Inklusionen atypischen 
Epithels. 

F e 1 i g e t und B r a n c a beschrieben zuerst rundliche Körper 
mit konzentrischen Lamellen von hyalinem Ansehen, von welchen sie 
annehmen, dass sie durch hyaline Degeneration des Samenepithels 
entstanden seien. Dieselben sind nach C. nicht endokanalikulär und 
nicht durch hyaline Degeneration des Epithels entstanden, sondern 
extrakanalikulär, entstanden von der Basalmembran durch Degene¬ 
ration derselben. 

Die interstitiellen Bindegewebszellen variieren in den einzelnen 
Fällen sehr an Qualität; sie können bisweilen sehr zahlreich sein und 
zu grossen Knoten gruppiert. Ihre Fähigkeit, zu sezernieren ist für 
gewöhnlich vermindert und um so mehr, je reichlicher sie Vor¬ 
kommen. Im nicht herabgestiegenen Testikel können sie in viel 
grösserer Zahl als im normalen Vorkommen, ohne dass man dies als 
eine kompensatorische Hypertrophie im Sinne von B o u i n und 
Ancel auffassen darf; es ist nur die Folge einer gestörten Entwick¬ 
lung, welche in gleicher Weise wie auf die Samenkanälchen auch 
auf die gesamten interstitiellen Zellen wirken kann, so dass sie 
qualitativ wie quantitativ das bleiben, was sie in ihrer ersten Ent¬ 
wicklungsstufe sind. 

M a s s i n i: Von einem Alkaloid der Gruppe der Tropeine 
(Eumydrln) und seinem Gebrauch in der inneren Medizin. (Gazzetta 
degli osped. 1908, No. 44.) 

Auf die günstige Wirkung des Eumydrins an Stelle des Atropin 
bei Darmerkrankungen haben zuerst 1804 und 1805 Engränder 
und Hagen aufmerksam gemacht. M. berichtet über die An¬ 
wendung dieses Präparates in der M a r a g 1 i a n o sehen Klinik in 
Genua. Dieselbe erwies sich in der Dosis von 1 bis zu 3 mg pro die 
in Pulvern, Pillen subkutan wie in Suppositorien wirksam in ver¬ 


schiedenen Fällen von gastrischen Neurosen mit motorischen und Se¬ 
kretionsstörungen; namentlich wirkt es günstig und scheint oft dem 
Atropin überlegen bei Hypersekretion und schmerzhaften Formen, 
nicht dagegen bei Hyposekretion. Niemals wurde Intoleranz oder 
Idiosynkrasie gegen das Mittel beobachtet, wie solches bei Atropin 
öfter der Fall ist. 

Gironi rühmt die im Bürgerhospital zu Ravenna mit Bier¬ 
scher Stauung erlangten Resultate in der Behandlung von Drüsen¬ 
geschwülsten. (Gazzetta degli osped. 1908, No. 35.) 

Die passive wie aktive Hyperämie begünstigt die Heilung ober¬ 
flächlicher Drüsen im Entzündungs- wie im Suppurationsstadium; bei 
den durch Lues bedingten dauert die Resorption etwas länger. Nach 
der Inzision der Drüsen geht die Resorption schneller von statten. 

Die Stauungshyperämie führt nicht zu einer Erhöhung der bak¬ 
teriziden Eigenschaften des Blutserums, aber das aus dem entzünd¬ 
lichen Herd, welcher mit Stauung behandelt ist, entlassene Blut zeigt 
ein stärkeres bakterizides Vermögen. Hager- Magdeburg. 

Ophthalmologie. 

Stern: Ueber elo bisher unbekanntes Hornhautphänomen bei 
Trigeminusanästhesie. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai 1908, 
S. 465.) 

Verf. beobachtete bei Hornhautanästhesie „punktförmige Trü¬ 
bungen des Epithels, die in ihrem Bestehen einem ständigen Wechsel 
unterworfen sind, besonders dann entstehen, wenn die Lidspaltc 
geöffnet ist, besonders dann verschwinden, wenn die Lider kurze 
Zeit geschlossen gehalten werden, aber auch unabhängig vom Spiel 
der Lider kommen und gehen“. Dabei sind die Augen reizlos, zeigen 
keine Trockenheit, der Lidschlag ist nicht wahrnehmbar verringert 
und die die Hornhaut normalerweise bedeckende Flüssigkeitsschicht 
ist immer sichtbar. 

Diese punktförmigen Trübungen des Hornhautepithels färben sich 
mit Fluorescein grau. Beim Menschen müssen wir die positive 
Fluoresceinfärbung der Kornea als eine pathologische Erscheinung 
ansprechen und daran festhalten, dass sie nur nach Läsion der 
Hornhautbedeckung (des Epi- oder Endothels) eintreten kann. — 
Bei allen Fällen, wo sich das Phänomen fand, bestand Herabsetzung 
der Sensibilität und Färbungsmöglichkeit durch Fluorescein; umge¬ 
kehrt war bei allen Fällen mit Herabsetzung der Sensibilität eine 
Fluoresceinfärbung zu erzielen* häufig auch das Phänomen zu sehen. 

Zur Erklärung dieser Erscheinungen nimmt Verf. einen direkten 
Nerveneinfluss auf die Funktionen der für die Integrität der Kornea 
so wichtigen Epithelzelle an und macht die Schlussfolgerung, dass 
durch die Funktionsstörung des Trigeminus auch 
die von ihr abhängige Zelle in ihren Leistungen 
modifiziert; resp. geschädigt wird, so dass sie 
ihrer Aufgabe, aus der sie umspülenden Er¬ 
nährung sflüssigkeit das zur Transparenz und 
ihrem eigenen Bestände Notwendige aufzunehmen, 
nicht mehr gewachsen ist und sie nur unvoll¬ 
kommen erfüllt. 

Das hier beschriebene Krankheitsbild wäre der Gruppe der her¬ 
petischen Kornea-lerkrankungen einzureihen. 

M ü g g e: Ueber die Häufigkeit des Astigmatismus und seine Be¬ 
ziehungen zur Sehschärfe. (Ibid., S. 474—489.) 

Aus den Schlussfolgerungen Mügges seien hier folgende Sätze 
angeführt: 

Auf 100 Augenpatienten kommen 10—11 Astigmatiker. 

Von 100 Fällen von Astigmatismus sind 47 myopisch, 40 hyper- 
metropisch und 13 gemischt-astigmatisch. 

Das numerische Ueberwiegen des Astigmatismus myop, über den 
Astigmatismus hypermetrop. ist lediglich dem Astigmatsmus myop, 
compos. zuzuschreiben, und daher ein Wahrscheinlichkeitsbeweis 
für den positiven Einfluss des Astigmatismus auf die Entstehung der 
Myopie. 

Die niedrigsten Grade des Astigmatismus — 0,5—1,0 D — sind 
die häufigsten, und zwar bei myopischem Astigmatismus noch relativ 
zahlreicher als bei hypermetropischem. 

Die Sehschärfe wird viel mehr als durch alles andere 
durch den Grad des Astigmatismus bestimmt, und zwar findet man 
im Durchschnitt folgende Werte: 

unter 1 D Sehschärfe — 9 ho, 

bei 1 und 1,25 D Sehschärfe = °/io, 
bei 1,5 und 1,75 D Sehschärfe — Vio, 
bei 2,0 bis 3,0 D Sehschärfe — Vio, 
über 3,0 D Sehschärfe = s /k>. 

Der Astigmatismus inversus hat in Graden von 1,0—2,0 D ent¬ 
schieden eine bessere Sehschärfe als der direkte; letztere beträgt bei 
2,25 D im allgemeinen noch 5 /io. 

Die Durchschnittssehschärfe des gesamten Astigmatismus myop, 
ist etwas besser als die der hypermetropischen Formen. 

Das Hauptkontingent sämtlicher Formen von Astigmatismus, 
nämlich über 50 Proz., verteilt sich gleichmässig auf die Sehschärfe¬ 
grade 8 /ia und e /i8. 

Straub: Ueber die Prognose bei Netzhautblutungen durch 
Arteriosklerose. (Ibid., S. 517—522.) 


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1946 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


Verf. konnte 15 Patienten mit Netzhautblutungen infolge von 
Arteriosklerosis durch 6 Jahre beobachten. Dieselben standen Im 
Alter zwischen 32 und 77 Jahren, die grösste Mehrzahl zwischen 
45 und 65 Jahren. Das männliche Geschlecht ist am meisten heim¬ 
gesucht. Unter den 15 Fällen sind nur 3 Frauen. 5 mal waren beide 
Augen erkrankt. Die höhere Prädisposition kam dem linken Auge 
zu. Von den 15 Kranken waren in 5 Jahren 6 an Apoplexie er¬ 
krankt, von den 9 Kranken im meist prädisponierten Alter 5. Von 
diesen 9 Kranken sind nach 6 Jahren nur noch 3 am Leben. 2 sind 
nach 5 Jahren gestorben, 1 nach 3 Jahren, 2 nach 2 Jahren und 
1 nach 3 Tagen. Da die 4 ältesten Patienten alle die Enquete über¬ 
lebten^ scheint die Prognose für die älteren Personen nicht so 
schlimm zu sein als für die jüngeren. Die Krankheit der Nctzhaut- 
gefässe gibt also im mittleren Alter eine sehr schlechte Prognose. 

P e r I e r : Läsionen der Aorta In Beziehung zu Störungen der 
Pupille. (Thfcse de Toulouse 1907.) 

P e r i e r teilt die Aortenveränderungen ln folgende 2 Gruppen 
ein: I. die nur mit Ungleichheit der Pupillen einhergehenden Fälle: 
Gruppe II jene, die von reflektorischer Pupillenstarre begleitet sind. 

Bei Aortenveränderungen ist es von Wichtigkeit, der reflek¬ 
torischen Pupillenstarre Beachtung zu schenken. Der Zusammenhang 
zwischen den beiden Störungen kann gefunden werden in einer 
Sympathikusläsion, die durch das Aortenleiden verursacht ist. Ha- 
bin ski behauptet, dass bei den Fällen von reflektorischer Pupillen¬ 
starre immer Syphilis zugrunde liege. Finde man bei einem Aorten¬ 
kranken dieses Phänomen, so sei es in den meisten Fällen das erste 
Zeichen sich entwickelnder Tabes. Ausserdem deute die Pupillen¬ 
starre auf die syphilitische Natur des Aortenaneurysma. 

v. Hippel: Ueber Serumtheraole bei Augenerkrankuogen. 
(Sitzungsber. d. Niedersächsischen Augenärzte. Wochenschr. f. 
Therapie u. Hygiene d. Auges vom 9. Juli 1908, S. 327.) 

Das erste Serum, welches in der Augenklinik angewandt wurde, 
war das Diphtherieserum von Behring. Vortr. hat es häufig ge¬ 
braucht und war mit den Erfolgen sehr zufrieden. Wenn die Horn¬ 
haut bei Beginn der Behandlung schon mitergriffen war, versagt cs 
jedoch häufig, wahrscheinlich weil die Hornhautaffektion nicht durch 
Diphtheriebazillen, sondern sekundär durch Streptokokken verursacht 
war, das Serum also nicht einwirken konnte, v. H. empfiehlt das 
Serum in grossen Dosen. Kleine Dosen seien häufig am negativen 
Erfolg schuld. Als zweites wurde das Pneumokokkenserum Rö¬ 
mers in die Augenheilkunde eingeführt. Ueber dieses urteilt v. H. 
sehr skeptisch. Es wirkt nur im Beginn der Erkrankung (Ulcus ser- 
pens), wenn auch meistens die anderen Mittel noch genügen. Als 
drittes Serum ist in letzter Zeit das Deutschmannsche in die 
Oeffentlichkeit gelangt. Dieses Serum kommt von mit Hefezellen ge¬ 
fütterten Tieren. Es besitzt nach D. die Fähigkeit, Infektion mit 
Streptokokken, Staphylokokken und Pneumokokken, selbst mit Tu¬ 
berkelbazillen zur Heilung zu bringen. Die wirksame Substanz sowie 
die Wirkungsart ist noch nicht sicher festgestellt. D. empfiehlt es 
hauptsächlich bei Ulcus corneae auf skrofulöser und traumatischer 
Basis, bei Keratitis parenchymatosa, Ulcus serpens mit Hvpopvon und 
plastischer Iritis, bei Iritis serosa und plastica, und endlich bei allen 
Infektionen am Bulbus. Das Serum soll vollkommen unschädlich und 
ohne jede Nebenwirkung sein. v. H. hat es bei Iritis plastica mit 
glänzendem Erfolg gebraucht. Bei Iritis serosa heilten die nicht 
tuberkulösen, bei Tuberkulose versagte das Mittel, ebenso bei Kera¬ 
titis scrophulosa und Ulcus serpens. Hier blieben die Injektionen re¬ 
sultatlos. Bei Ulcus serpens, auch in sehr schweren Fällen, war 
der Erfolg ein sehr guter, meist genügt die ausschliessliche Scrum- 
therapie, eventuell Kombination mit Spaltung. Bei infektiösen Ge¬ 
schwüren hat v. H. ebenfalls günstige Erfolge. Bei den zahlreichen 
Injektionen, die er bis jetzt gemacht hat. traten niemals irgendwelche 
störenden Nebenerscheinungen auf. Es ist verkehrt, mit den In¬ 
jektionen zu früh aufzuhören, sie müssen bis zum sicheren Eintritt 
der Heilung fortgesetzt werden, also z. B. bis zur Reinigung des Ge¬ 
schwüres. 

Die Dosis ist im allgemeinen 2—4 ccm. Deutschman n selbst 
gibt 6—8 ccm auf einmal. Zum Schluss fasst v. Hippel seine Er¬ 
fahrungen in folgende Sätze zusammen: Das Serum ist zu empfehlen 
bei schwerer Iritis und eitrigen Hornhautgeschwüren. Es nützt bei 
Iritis serosa auf nicht tuberkulöser Basis. Vollkommen im Stich ge¬ 
lassen hat das Serum bei Infektionen des Glaskörpers. 

Napo: Kurzer Bericht über die In der Berliner Universitäts- 
Augenklinik gemachten Erfahrungen mit Deutschmannschem 
Heilserum. 

Verf. sagt am Schlüsse seiner Ausführungen: Demnach lassen 
sich die Erfahrungen, welche wir mit dem Deutsckmann schun 
Heilserum machten, dahin zusammenfassen, dass eine Schädigung des 
menschlichen Körpers, abgesehen von harmlosen Exanthemen, nicht 
hervorgerufen wird, dass wir aber andererseits einen heilenden Ein¬ 
fluss des Serums bei den mit demselben behandelten Augenkrank¬ 
heiten nicht konstatieren konnten. Daher nehmen wir vorläufig von 
seiner weiteren Verwendung Abstand. 

Widmark: Ueber die Behandlung der sympathischen Augen¬ 
entzündung mit Natron sallcyllcum. (Mitteilungen ans der Augen¬ 
klinik des Carolin. Medico-chirurg. Instituts zu Stockholm, 9. Heft, 
1908.) 


Von 12 Fällen sympathischer Ophthalmie, bei denen Natron 
salicyl. in Anwendung kam, war das Resultat in S Fällen ein gutes, 
ja ausgezeichnetes, in einem Fall war auch eine auffällige Wirkung 
auf den Entzündungsprozess, doch war der Ausgang in Atrophia 
bulbi nicht aufzuhalten. In 3 Fällen blieb die Wirkung des Mittels 
aus; in 2 von diesen führte die Anwendung der Schmierkur zur 
Heilung. 

In der Klinik Widmarks werden nahezu alle traumatischen 
Augenentzündungen mit Natron salicyl. in grossen Dosen behandelt 
(verabreicht wurden durchschnittlich Tagesdosen von 4—6 g. m 
schweren Fällen vereinzelt auch 8—9 g täglich). Wenn dadurch 
auch der Ausbruch einer sympathischen Ophthalmie nicht verhütet 
wird, so glaubt Verf. doch vermuten zu sollen, dass diese vorher¬ 
gehende Salizylbehandlung zum gutartigen Verlaut einer eventuell 
ausbrechenden sympathischen Ophthalmie beiträgt. (Yergl. auch 
d. W. No. 34. S. 1793.) 

Seefelden Pathologisch-anatomische Beiträge zur Kenntnis 
der angeborenen Kolobome des Auges, (v. Gräfes Archiv, Bd. LXVIII. 

Heft 2. S. 275—353.) 

Die typsehen Kolobome des Auges und die mit ihnen auf das 
engste verwandten Kolobome mit V.\ stenbildung entstellen iniolge 
von Störungen des Verschlusses der totalen Augenspalte durch ab¬ 
norm langes persistierendes Mesoderm. Dabei spielen d:c durch die 
Augenspaite ein- oder austreteiulen Gefasst mindestens eine gleich 
wichtige Rolle wie das /eilige (Bindegewebe bildende) Mesoderm. 
Ein besonders deutlicher Ausdruck der Verhinderung des normalen 
Verschlusses ist in der Duphkaturebhildung der Net/baut vor der 
mesodermalen Leiste, sowie auch an entfernteren Stellen gegeben. 
Die abnormen Faltungen des Epithels der Pars plana corrwris eil.ins. 
sowie die abnorme Grösse von Ziliarfortsät/en in Kolobomaugcn 
haben dieselbe Ursache w ic die Faltungen der Netzhaut und smd da¬ 
her ebenso wie diese zu beurteilen. Das Fehlen eines Netzhaut- 
defektes beweist nichts gegen die oben angenommene Genese der 
Kolobome, da eine Vereinigung der Netzhautfa'tcn auch ohne Schwund 
des mcsodermalen Hindernisses jederzeit erfolgen kann. Das Vor¬ 
handensein einer kontinuierlichen Mesodermleistc ist zur Fntstehung 
eines klinisch als total imponierenden Koloboms wahrscheinlich nicht 
nötig. 

Die typischen Iriskolobome entstehen in gleicher Weise wie 
alle typischen Kolobombildungen durch Ausbleiben des Verschlusses 
des periphersten. am Augenbecherrande gelegenen Abschnittes der 
sekundären Augenblase. Ein Verwachsen des Augenbiasenrandes 
auf der vorderen Linsenfläche findet in keiner Zeit des fötalen Lebens 
statt. Der Durchmesser der Pupille nimmt bis zum S. Monat zu. Die 
in dieser Zeit ziemlich regelmäsig eintreteude rasche Verkleinerung 
der Pupille ist wahrscheinlich auf eine nach Resorption der Pupillar¬ 
membran eintreteude Aktion des Sphinkter zuruckzufiihren. 

Die strangförmigen und schlauchartigen. weisslieh glänzenden 
und grünlich schillernden Gebdde, die von der Pumllc in der Richtung 
nach dem hinteren Lidknorjwl verlaufen und die Artei 1 a hvaloidca 
ganz oder teilweise mantelartig umgeben, sind als die Folge einer ab¬ 
normen Persistenz der die totale Glaskorperarteric begleitenden Gha- 
hülle anzusehen. 

Lutz* Ueber einige Fälle von Heterochromia Irldtim. iZeitschr. 
f. Augenheilk.. Marz--April 19**0 

Aus den Beobachtungen des Verf. sei hier folgendes angeführt: 
Individuen mit verschieden gefärbten Regenbogenhäuten sind ge¬ 
wöhnlich brünett. Die Heterochromie wurde sehr oft schun nach 
der Geburt entdeckt; oft ist aber ihre Entstehung im spateren, jugend¬ 
lichen Alter beobachtet. Die hellere Farbe entstellt entweder durch 
Ausbleiben der Pigmentierung oder durch Pigmentschwund. Sehr 
oft weist das hellere Auge — mul zwar nur dieses Veränderungen 
auf. Diese sind zweierlei Art. Sie können getrennt und miteinander 
kombiniert auftreten: a) Veränderungen in der Symnathiknsinner- 
vation im Sinne einer Parese: h) Veränderungen in der Uvea im 
Sinne einer Cvclitis chronica mit spezieller Neigung zur Katarakt- 
biklung. Anfänglich zeigen sich nur äusserst ferne Beschläge auf 
der hinterwand der Kornea und Trübungen im Glaskörper. Meist 
stellt sich dann Katarakt ein und oft fiihrt der Prozess zu Sekundär¬ 
glaukom. 

Die Erkrankung beginnt schleichend imd \ erläuft chronisch. Sic 
erstreckt sich mindestens über Jahre, heia'lt das männliche und weib¬ 
liche Geschlecht gleich häufig und bevorzugt das zweite und dritte 
Dezennium. Die Erkrankung ist nicht mit Schmer/m verbünden: Be¬ 
schwerden treten erst relativ spät auf und Iw ziehen sich auf die 
Störung iles Sehvermögens. Vererbung scheint keine Ro’lc zu 
spielen. 

Konstante Beziehungen zu Al'gemeinle.den lassen sich bis letzt 
nicht aufstellen. Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt. Pro¬ 
gnose quoad vitam gut: mioad valetu.lmein oculi dubia. Die Therapie 
kann nur eine symptomatische sein. 

Berthold König: Die Funktion der Netzhaut beim Sehakte. 
(Zeitschrift für Sinnesphvsiologie. Bd. 42. S. •124') 

Das durch die brechenden Medien des Auges auf der Netzhaut 
entworfene Bildchen des Gegenstandes ruft einen neuartigen physi¬ 
kalischen Prozess hervor, indem nämlich der in der Pigmentschichte 
kolloidalgelöste Sehpurpur nach dm Stellen des hellsten Lichtes am 
stärksten, nach weniger hellen Stellen ptwporti.mal Schwächer diffun- 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1947 


diert. Zufolge dieser Diffusion ins Licht, für welche der Verf. den 
Namen „Photojonie“ vorschlägt, entsteht ein plastisches, in die Stäb¬ 
chen- und Zapfenschichte förmlich hineinwachsendes Bild, das auf 
diese fein organisierten Sehnervenenden eine Druckwirkung ausübt. 

Die Stäbchen ragen bis in das Pagment und reagieren daher auf 
jeden noch so schwachen Diffussionsdruck, sie sind also sehr licht¬ 
empfindlich, wodurch es bedingt wäre, dass die ganze Netzhaut 
ausserhalb des gelben Fleckes, die einen Reichtum an Stäbchen auf¬ 
weist, jeden Lichtreiz empfindet. 

Die Zapfen betasten zufolge ihrer Eigenschaft, sich verlängern 
oder verkürzen zu können, das plastische Bildchen, so dass ein 
scharfes, deutliches Sehen nur an den Stellen des Zapfenmaximums, 
das ist im gelben Flecke, stattfindet. 

Zum Sehen wäre eine kolloidalgelöste Substanz nötig, dass sie 
gefärbt, wie etwa der Sehpurpur ist, kommt nicht in Betracht. Auch 
das farbige Sehen sucht der Verf. durch Photojonie zu erklären. Jeder 
Farbe soll eine bestimmte Tiefe des eindringenden kolloidalen Seh¬ 
purpurs entsprechen und zwar dem „Rot“ die geringste, dem „Violett“ 
die grösste Dicke. Diese Farbentheorie wird auf Komplementär¬ 
farben, Farbenblindheit, pathologische Zustände des Auges angewandt. 

Auch das räumliche Sehen wird durch diesen äusserst feinen 
und empfindlichen „vielfingerigen Nerventastapparat“ der Zapfen be¬ 
werkstelligt. 

Die zahllosen nervösen Körner und Körnchen der Netzhaut wirken 
ganz ähnlich dem „Kohärer“ und es geht, wie schon K e p p 1 e r in 
seiner Dioptrik sagt: „ein Bild der so veränderten Netzhaut auf un¬ 
unterbrochenem geistigen Strome in das Gehirn über“. 

Rhein. 

Inauguraldissertationen *). 

Universität Berlin. August 1908. 

Schönke Günther: Neuere Amputationsmethoden am Fusse und 
an der Knöchelgegend. 

Coler Friedrich: Die Behandlung des Diabetesbrandes. 
Münnich Kurt: Ueber die Wahrnehmung der Schallrichtung. 
Dmitriewa Nadeschda: Ueber einen Fall von riesigem retro- 
peritonealem Sarkom. 

Kaufmann Moissei: Das Meckel sehe Divertikel und der von 
ihm ausgehende Ileus. 

K o 1 a r Savka: Ueber Verblutung des Fötus bei Insertio velamentosa. 
C u e 11 o Pedro Gregoria: Ueber einen Fall von primärem verkalkten 
Sarkom des Sinus frontalis. 

D e o 1 e t i a n Johannes: Sekundäre Bauchwandplastik nach Appendix¬ 
operationen. 

Schwalbe Walter: Eine eigentümliche tonische Krampfform mit 
hysterischen Symptomen. 

A 1 s c h i b a j a Gregor: Die neueren Anschauungen über die Aetiologie 
der Malaria. 

Monogenoff Sergius: Untersuchungen über Scharlachniere. 
Munk Fritz: Kommen doppeltbrechende Substanzen (Myelin) bei der 
fettigen Degeneration des Herzmuskels vor? 

Rachlin Leiba: Ueber die operative Behandlung der Nephro- 
lithiasis. 

Rochlin Salomon: Ueber die Auffassung der Herzneurosen früher 
und heute. 

Universität Greifswald. August 1908. 

Ogata Mitsutaro: Blutbefunde im Kindesalter. 

Theune Gottfried: Ueber drei Fälle von familiärer spastischer 
Spinalparalyse im Kindesalter. 

Roh de Ottomar: Zwei Fälle von Entbindungslähmung. 

Universität Leipzig. Juli 1908. 

Albert -Johannes: Ein Fibroma molluscum vulvae als Geburts¬ 
hindernis. 

Hoff mann Karl: Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung 
des Kollargols auf Leukozyten und Opsonine. 

Lachmann Joseph: Untersuchungen über latente Tuberkulose der 
Rachenmandel mit Berücksichtigung der bisherigen Befunde und 
der Physiologie der Tonsillen. 

v. Chrismar Eugen: Ueber abnorme Lichen planus-Formen an der 
Hand eines besonderen Falles. 

Dietrich Dorothea: Ueber einen Fall von doppelseitiger metastati¬ 
scher Ophthalmie. 

Müller Rudolf: Ueber ungewöhnliche Fälle von Sublimatvergiftung. 
Steinb erg Hugo: Ueber einen Fall von Durchbruch eines Aorten¬ 
aneurysmas in die Vena cava superior. 

Assmann Georg: Das eosinsaure Methylenblau und Methylenazur 
in seiner Bedeutung für die Blutfärbung. 

Halle Friedrich: Ueber einen Fall von Karzinom des Skrotums bei 
einem Braunkohlenträger. 

Hohbaum Auguste: Ueber Sonnenlichtbehandlung bei Kehlkopf¬ 
tuberkulose. 

Koch Hans: Ueber die Behandlung des Mastdarmvorfalls. 


*) Zusendung von Dissertationen an die Adresse der Redaktion, 
München, Arnulfstrassc 26, erbeten. Besprechung Vorbehalten. 


Korff-Petersen Arthur: Ueber die Aufnahme der Salizylsäure 
in das Blut und die Salizylalbuminurie beim Menschen. 
Weic.hert Georg: Beiträge zur Kasuistik der Darmaktinomykose. 

Monat August. 

Drozynski Leon: Beiträge zur Kenntnis der Meningomyelitis 
chronica syphilitica. 

Kleinschmidt Otto: Ueber das Vorkommen und die Entstehung 
von Divertikeln, besonders des Dickdarms. 

Kohls Karl: Ueber intrazelluläre Lagerungen der Tuberkelbazillen 
im Sputum. 

Seitz Adolf: Zur Kasuistik der Nasenrachenfibrome (nach dem Ma¬ 
terial der Leipziger chirurgischen Klinik). 

Stieda Christian: Ueber eine ausgetragene Tubargravldität. (Mit 
einer Abbildung.) 

Twörz Emanuel: Elektrische Unfallskrankheiten in der Neurologie. 
Wallis Hermann: Zur Kenntnis der traumatischen Ischiadikus- 
lähmung (nach Reposition der angeborenen Hüftgelenksluxation). 
Kau Ibach Franz: Zur Frage der Pseudodiphtheriebazillen. 
Beckmann Wolbert: Die Behandlung der Meningitis cerebro¬ 
spinalis epidemica mit Meningokokkenheilserum, hergestellt nach 
dem Verfahren Kolle-Wassermann in Berlin (15 Fälle). 
Gros Oskar Dr. phil.: Versuche über die Kurarinwirkung bei Ka¬ 
ninchen, mit besonderer Berücksichtigung des Entgiftungsverlaufes 
und des angeblichen Antagonismus zwischen Kurarin und Physo¬ 
stigmin. - 

Miigge Wilhelm: Das Malum perforans und seine Behandlung. 

R i e g e r Karl: Beitrag zur Therapie der Kompressionsmyelitis infolge 
von Spondylitis tuberculosa. 

S i e b e r t Gotthard: Ueber das Verhältnis von Depigmentierungen zu 
Hautaffektionen, mit besonderer Berücksichtigung der Psoriasis. 
Singet Kurt: Zur Klinik der Lungenkarzinome. 

Bollert Hans: Ueber vaginale Ovariotomie. 

Kaul Robert: Ueber Papillome des weichen Gaumens nebst einem 
Fall eigener Beobachtung. 

Marcuse Ernst: Die Beziehungen der hämorrhagischen Diathese 
zur Tuberkulose. 

Schräder Wilhelm: Beitrag zur Kenntnis der kongenitalen Lymph¬ 
angiome. 

Steingröver Engelbert: Zwei Fälle von Hernia inguinalis ovarica 
mit Stieltorsion im Säuglingsalter. 

Weste Paul: Ueber traumatische Pupillenstörungen, insbesondere 
über einseitige Lichtstarre traumatischen Ursprungs. 
Podtiagin Michael: Milzbrand nach den in der Leipziger chi¬ 
rurgischen Klinik vorgekommenen Fällen. 

Auswärtige Briefe. 

Wiener Briefs. 

(Eigener Bericht) 

Zur Errichtung einer Unfallstation und einer Trachom- 
abteilung. — Die Fahnenflucht der Militärärzte und ihre Ur¬ 
sachen. — Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes 
gegen die Aerzte. 

Drei hervorragender Kliniker der Wiener medizinischen 
Fakultät haben sich mit ihren Wünschen und Beschwerden — 
in die Oeffentlichkeit geflüchtet. Sie begnügten sich nicht 
mehr, wie es ihre Vorgänger stets getan, ihre Petita durch das 
Professorenkollegium oder allenfalls in Gestalt von gedruckten 
Memoranden der Vorgesetzten Behörde zu unterbreiten, sie 
wandten sich direkt an die grosse Oeffentlichkeit, indem sie 
gemeinsam einen Aufsatz schrieben, den sie in der „Neuen 
freien Presse“ erscheinen Hessen. Es sind dies die zwei Vor¬ 
stände der Wiener chirurgischen Kliniken, die Hofräte Freih. 
v. Eiseisberg und Hochenegg und der Vorstand der 
Augenklinik, Ernst Fuchs. Nach dem plötzlichen Ableben des 
unvergesslichen Professors v. M o s e t i g tauchte die Idee 
auf, dessen grosse Abteilung im allgemeinen Krankenhause 
nicht wieder einem Primarärzte zu verleihen, sondern daselbst 
eine Unfallstation zu errichten, welche den Universitäts¬ 
kliniken das von Lehrern und Schülern so sehr vermisste 
Material von frischen Verletzungen (Wunden, Knochenbrüchen, 
Verrenkungen etc.) zuführen sollte. Die zwei chirurgischen 
Kliniker führten 1 jetzt aus, dass schon B i 11 r o t h und Albert 
vor zwei Dezennien auf den Mangel an solchem Materiale und 
auf die hierdurch bedingte einseitige Ausbildung der prak¬ 
tischen Aerzte hingewiesen und um Abhilfe gebeten hätten. 
Die Mediziner könnten während ihrer Lehrjahre viel zu wenig 
Erfahrungen an Verletzungen sammeln, was sich zum Nachteile 
ihrer künftigen Klientel fühlbar mache; für den Fall eines 
Krieges würde den Verletzten auf dem Schlachtfelde ein in 
Verletzungen vollkommen unerfahrenes Aerztematerial zur 


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1948 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .*7. 


Verfügung stehen. Noch mehr als zu Billroths und Al¬ 
fa e r t s Zeiten fehlt aber jetzt das Verletzungsmaterial, wie¬ 
wohl ihr sonstiges operatives Material auch jetzt ein aus¬ 
erlesenes und stetig in Zunahme befindliches sei. Das Material 
verteilt sich eben und die Kliniken verarmen. Als die chirur¬ 
gische Abteilung v. M o s e t i g s vakant wurde, haben die 
zwei Vorstände der chirurgischen Kliniken die Umwandlung 
der Abteilung in eine Unfallstation angeregt und in einem Me¬ 
morandum mit beigefügtem Organisationsplan auch darauf hin¬ 
gewiesen, dass man damit den Verletzten selbst eine grosse 
Wohltat erweisen würde, indem denselben nach ihrer Einliefe¬ 
rung durch die Rettungsgesellschaft sofort ein Stab von er¬ 
fahrenen Chirurgen, die den Permanenzdienst an der Station 
zu versehen haben, zur Verfügung stehen würde. Schliesslich 
würde ja die Kreierung der besagten Station keine Kosten ver¬ 
ursachen. Die Behörden nahmen diese Anregung sehr wohl¬ 
wollend auf, seither ist aber ein volles Jahr verflossen, das 
neue Semester naht heran, es wurden die erforderlichen Adap¬ 
tierungen der Räume nicht vorgenommen, es soll alles beim 
Alten bleiben. „Es wäre kein Wunder, wenn die gerechte Ver¬ 
stimmung der Lehrer sich auch auf die Schüler übertragen 
und so neuerdings die Ursache für einen Univers : tütsskardal 
gegeben würde.“ 

Zum Schlüsse wird dafür plädiert, dass diejenigen Zimmer 
der ehemaligen Mosetigschen chirurgischen Abteilung, 
welche nicht zur Kreierung der Unfallstation benötigt würden, 
der II. Augenklinik (Prof. Fuchs) zur Errichtung einer kleinen 
Station für Trachomkranke überlassen werden. Die Trachom- 
kranken (60— 80 täglich) werden wohl zumeist ambulatorisch 
behandelt, einzelne müssen aber in die Klinik aufgenommeu 
werden und bilden dann eine stete Gefahr für die anderen 
Augenkranken; tatsächlich kommt immer wieder von Zeit zu 
Zeit eine Ansteckung von Kranken mit Trachom in der Klinik 
selbst vor. Hofrat F u c h s hat die Behörden wiederholt darauf 
aufmerksam gemacht, sogar erwähnt, dass bei der Infektion 
eines vorher nicht an Trachom Erkrankten bedeutende Er¬ 
satzansprüche gestellt werden könnten alles vergebens. 

Wird man nun, nachdem in der politischen Presse auf 
diese Mängel aufmerksam gemacht wurde, den übrigens auch 
von den Ministerien selbst anerkannten Notwendigkeiten 
Rechnung tragen? Wir wollen es hoffen, ebenso dass es nun¬ 
mehr in einem etwas beschleunigteren Tempo gehen wird. 

Eine zweite Frage, welche in den letzten Wochen unsere 
Oeffentlichkeit stark beschäftigte, ist die — unserer Militär¬ 
ärzte. An die Tatsache, dass jüngst wieder 8 aktive Militär¬ 
ärzte freiwillig aus dem Heeresverbande schieden, dass im 
Vorjahre gleich 40 Regimentsärzte die Zivilpraxis dem Militär¬ 
dienste vorzogen und den Waffenrock mit dem Gehrock ver¬ 
tauschten, dass der systemisierte Status so notleidend ge¬ 
worden ist, dass die den einzelnen Truppenkörpern zugeteilten 
jüngeren Militärärzte mit ärztlichen und administrativen Ar¬ 
beiten stark überbürdet sind —, an alle diese Tatsachen w urde 
angeknüpft, um die längstbekannten Ursachen dieser Unzu¬ 
friedenheit unserer Militärärzte nochmals darzuelgen. Wenn 
ein Arzt auch schon nach 2'A —3 Jahren aus der Oberarzt¬ 
charge in die eines Regimentsarztes vorrücke, so müsse er 
in dieser Charge (Regimentsarzt II. und I. Klasse) im Durch¬ 
schnitt weitere 14 Jahre verbleiben, während seine Kameraden 
in den streitbaren Waffengattungen, welche eine geringere 
Zahl von Studienjahren haben, sich längst des goldenen 
Kragens erfreuen. Wohl habe das Kriegsministerium im Vor¬ 
jahre, um die Avancementverhältnisse besser zu gestalten, 
60 neue stabsärztliche Stellen geschaffen, doch kämen die neu 
kreierten Stellen nicht sämtlich zur Besetzung, diese könne 
erst nach und nach und im Verlaufe von Jahren erfolgen. Der 
Mangel an aktiven Militärärzten verschulde es auch, dass nur 
ein geringer Prozentsatz derselben behufs besserer, zumal 
spezialärztlicher Ausbildung an die Universitätskliniken kom¬ 
mandiert w erden könne, womit w eder dem Wunsche des Ein¬ 
zelnen noch dem Wolile der Armee gedient werde. Schliess¬ 
lich wurde auf die den jetzigen Teuerungsverliältiiissen nicht 
entsprechende Gage, auf die Nichtzuerkennung der vollen sozi¬ 
alen Gleichstellung der Militärärzte mit den im selben Range 
stehenden Offizieren der Kombattanz, auf die Unzulänglichkeit 
des Ersatzes durch die Mediziner, welche während ihrer 



Studien Stipendien beziehen und sich für einige Jahre aktiven 
Dienstes verpflichten, hingewiesen und dringendst um Abln.fe 
gebeten. Auch die Militärärzte klagen ietzt laut und öffentlich, 
sie dulden nicht mehr still und resigniert, wie sie es bisher ohne 
Erfolg getan haben. Der neuerliche Ruf durfte wohl nicht ver¬ 
hallen, ohne bei den Mitgliedern unserer grossen \ ertretungs- 
körper einen nachhaltigen Widerhall zu fn.de n. Das aus dem 
allgemeinen Wahlrechte her\orgegaugen.e Parlament wird die 
Opfer der allgemeinen Wehrpflicht wohl zu sJiutz.cn wissen. 

Der k. k. Verw altungsgeri chtshof hat wieder einmal gegen 
die Aerzte, dieses Mal gegen die Aerztekammer in Nieder¬ 
österreich, entschieden. Es ist wieder eine alte GesJuJite. 
sie datiert seit Ende Dezember löu-4. Damals hat der \ erstand 
dieser Kammer folgende Warnung vcroTJci.thJ't: ..Da 
Aerzte von Laa an der Thaya befinden sich derzeit mi Kampfe 
mit der dortigen Pezirkskrankenkasse. Die F<>i de rungeii der 
Aerzte sind gerecht und billig. De Krankenkasse lut d.c 
Stelle bereits ausgeschrieben, um fremde Aerzte heranzuzielieu. 
Ein Bedürfnis nach fremden Aerzten ist aber durchaus mJit 
vorhanden. In den gegebenen Fällen werden fremde Aerzte 
vor der Bewerbung um diese Stelle gewarnt, da eine s< Llic 
Bew erbung als s t a n d e s w i d r i g erklärt und b e - 
handelt werden müsste“. Die niederosterrei Jus die 
Statthalterei setzte diesen Beschluss ausser Kraft, weil eie r 
Kammervorstand seinen Wirkungskreis überschritten hatte, 
das Ministerium des Innern bestätigte diese Vertilgung und der 
im weiteren Rekurswege augerufeiie Verw altuugsgcri Ji'sh f 
fand diese Entscheidung begründet. Wold stelle* es der 
Kammer zu, a I I g e m e i n a n w e n d b a r e < i r u u d s a t z e 
Rst7ustelleii, nach welchen das standesgemässe (der Standes- 
widrige Verhalten der einzelnen Mitglieder \on dem hiezu be¬ 
rufenen Organe zu beurteilen ist. der in Rede stellende, auf¬ 
gehobene Beschluss enthalte aber keinen solchen allgemeinen 
Grundsatz, er bezweckt lediglich die Forde um g der materiellen 
Interessen der Kammermitglieder durJi SiJieiimg eines Eolm- 
kampfes mit einer namentlich benannten Be/irksk r.mkenk.tsM- 
mittels einer Sanktion displinarstrafrechtficher Natur. NaJi 
der Anschauung des Verw altungsgeri Jitslmfcs sind die 
Kammern aber n i c h t b e r e c h t i g t, bloss zur Si Jienmg der 
materiellen Interessen ihrer Mitglieder in die Frw crhMätigkeit 
durch Warnungen disziplinären Inhaltes eiuzugreifeii. Die Fr- 
werbstätigkeit der e i n z e 1 n e n K a m m e r m i t g I i e d e r 
w ird also vom Verw altimgsgerichtsliofe geschätzt: die Schä¬ 
digung der materiellen Interessen des g e s a m teil Stand e s. 
welche der einzelne Arzt im gegebenen Falle herbeizufi.liren 
in der Lage ist, diese Schädigung him.m/uhalten. das sei 
Sache der Kammer (!) selbst, resp. der Vorgesetzten I.audcs- 
stelle und entziehe sich der Kognation des Verw altungsgerichts- 
liofes, von dessen Standpunkte aus die Feststellung genügt, 
dass ein solcher Eingriff nach den Bestimmungen des < ie- 
setzes grundsätzlich allerdings möglich ist. 

Genug der juristischen Deduktionen, in deren unerforscli- 
liche Abgründe wir Mediziner uns nicht begeben wollen. Die 
ganze Sache ist übrigens veraltet und derzeit belanglos. Seit¬ 
her sind in allen Kronländcrn unseres Reiches ärztliche Or¬ 
ganisationen erstanden, die es sich nicht nehmen lassen, 
warnende Mitteilungen über Aerztestellen mit Androhung von 
Poykotiermig etc. ergehen zu lassen, wekhe Mitteilungen zu¬ 
meist auch ihren Zweck erfüllen. <Ugen diese Sperrung ein¬ 
zelner Aerztestellen seitens der Vereine ist selbst der Yer- 
w altungsgerichtshof machtlos. 

Vereins- und Kongressberichte. 

Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz. 

(Offizielles Protokoll.) 

S i t / u n g vorn 11. März \'> s. 

Herr Hoc hl li alt seinen Vortrag iiher die Röntgendiagnostik 
des Aortenaneurysmas. Er deniojlstr -ert d.täei ece rgfvsscre 
zahl von k’oiiiguip'atten. 

Herr Neck ladt euren Vortrag über Anenr\sma > aricosum der 
Femoralvene. 

Hei der äs iah läge» brau hatte vJi \ <. • '.jjgf \ 2 1.ihren 

iii der rechten Schenkelhvuge in der (ie.tr:.! dt r g*. fcsyn Gc’ässe 
eine < icschw ulst errtw ickelt. Hie kühnere c-sn- < K-s J: w aSt ; a g 
an der Stehe, an welcher d:e > Jienkc.h: it he raJ; a;>>t:i zu treten 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1949 


pflegen. Sie fühlte sich soMd an, war nicht reponierbar und nur wenig 
schmerzhaft. Pulsation war nicht zu fühlen. Die Haut über der 
Geschwulst war verschieblich und nicht krankhaft verändert. Eine 
Schwellung des rechten Beines bestand nicht. Irgendwelche Stö¬ 
rungen von seiten des Darmes waren nie vorhanden, zeitweise traten 
Schmerzen auf, die von der Gegend der Geschwulst nach der rechten 
Unterbauchgegend und nach dem Nabel zu ausstrahlten. Die Dia¬ 
gnose lautete auf irreponible Kruralhernie mit Netzinhalt. 

Nach Freilegung der Geschwulst zeigte es sich, dass sie ober¬ 
halb der Abgangsstelle der rechten Vena saphena magna mit einem 
etwa 1,5 cm breiten und 1 cm langen Stiel in die Vena femoralis 
mündete. Die Geschwulst wurde abgetragen. Die Venenwandwunde 
w r urde durch Naht geschlossen. Die Blutung stand nach der Naht 
vollständig. Es handelte sich also um ein Aneurysma varicosum, 
ausgehend von der Vena femoralis dextra. Derartige Fälle sind 
Seltenheiten. Bei den in der Literatur niedergelegten Beobach¬ 
tungen von geschwulstartigen Varixknoten in dieser Gegend war der 
Ausgangspunkt stets die Vena saphena magna. 

Differentialdiagnostisch kommt in erster Linie der Schenkel¬ 
bruch in Frage. Meist wurde die Sachlage erst bei der Operation 
geklärt 

Der Aneurysmasack zeigte sich nach der Eröffnung fest 
mit Gerinnseln ausgestopft, nur im Zentrum fand sich etwas flüssi¬ 
ges Blut, daher das Gefühl einer soliden Geschwulst. Man muss bei 
Geschwülsten in der in Frage kommenden Gegend an derartige Vor¬ 
kommnisse denken. Eine sichere Diagnose zu stellen, wird wohl 
vor der Operation in den meisten Fällen unmöglich sein. 

Weiter demonstriert Herr Neck eine steinhaltige, wahrschein¬ 
lich karzinomatöse Gallenblase, die operativ entfernt wurde. Dabei 
war die Resektion eines grösseren Leberstückes erforderlich. Es 
wurde die auch von anderen gemachte Erfahrung bestätigt, dass 
durch exakte Lebernaht die Blutstillung vorzüglich gelingt. 

Schliesslich berichtet Herr Neck noch über einen Fall von 
primärer Kehlkopftuberkulose. Bei der 26 jährigen Frau hatte die vom 
rechten Stimmband ausgehende kirschgrosse Granulationsgeschwulst 
zu hochgradiger Stenose geführt. Nach Entfernung der Geschwulst 
durch Laryngofissur wurde die Atmung frei. Es steht zu hoffen, 
dass nunmehr der Prozess zum Stillstand kommt. 

Sitzung vom 8. April 1908. 

Herr V e I h a g e n behandelt die Differentialdiagnose der Atrophla 
nervi optici und des Glaucoma simplex im Anschluss an die neueren 
Forschungen. Er referiert dabei über einen bereits publizierten sehr 
seltenen Fall, bei welchem sich an eine gewöhnliche Atrophia nervi 
optici Drucksteigerung und andere Symptome des Glaucoma Sim¬ 
plex angeschlossen hatten. 10 Jahre nach erfolgter völliger Erblin¬ 
dung konnte die Sektion gemacht werden. Es fand sich beiderseits 
ausgeprägte Excavatio glaucomatosa mit leichter Spaltbildung im 
Sehnervengewebe, partielle Netzhautatrophie in der Gegend der 
Macula lutea und teilweise Verklebung der Iriswurzel mit der hin¬ 
teren Hornhautfläche unter Freilassung eines Teiles des Reticulum 
corneo-sclerale. Ausserdem aber konnten mehrere zystenähnliche 
HohlTäume von beträchtlicher Grösse im Verlaufe des episkleralen 
und perivaginalen Lymphraumes konstatiert werden. Vortragender 
konnte ähnliche Befunde in der gesamten Literatur nicht auffinden. 
Ob sie mit der Entstehung des Glaukoms in Zusammenhang stehen, 
ist vorläufig nicht zu entscheiden. 

Herr Peters: Ueber alimentäre Intoxikation der Säuglinge. 

Vortragender erörtert zunächst den Symptomenkomplex der ali¬ 
mentären Intoxikation nach Finkeistein. Die Stellung der Dia¬ 
gnose kann bei Beginn der Erkrankung erschwert sein, auf dem 
Höhepunkt der Erkrankung macht sie keine Schwerigkeiten. Die 
Erkrankung ist alimentären Ursprunges, den Beweis hierfür zu führen 
ist nicht schwer: beim Fortlassen gewisser Bestandteile der Nahrung 
gehen die Erscheinungen zurück, um sofort mit aller Heftigkeit 
wieder einzusetzen, falls die ursprüngliche Nahrung zu früh wieder 
gereicht wird. Fett und Zucker sind wohl allein zu beschuldigen; 
Finkeistein hat bei seinen Untersuchungen gefunden, dass dem 
Eiweiss keine Bedeutung zuzuschreiben ist. Ueber das Zustande¬ 
kommen der Erkrankung herrscht noch keine Klarheit. 

Die Erkrankung beginnt zunächst schleichend, um dann plötzlich 
stürmisch einzusetzen; sie führt zum Tode, falls nicht das schädigende 
Agens der Nahrung entzogen wird. Brustkinder können ebenfalls 
von der Erkrankung befallen werden. 

Therapeutisch kommt fett- und zuckerarme Nahrung in Betracht: 
während der ersten Tage ist indifferente Nahrung, Thee oder physio¬ 
logische Kochsalzlösung zu reichen, unter deren Einwirkung tritt zu¬ 
meist schnelle Entgiftung ein. Später wird Molke, Magermilch, 
zentrifugierte Ammenmilch, Buttermilch gereicht; bei letzterer ist 
jedoch grosse Vorsicht am Platze wegen des hohen Zuckergehaltes 
dieser Nahrung. Hüten muss man sich vor zu frühem Reichen der 
ursprünglichen Nahrung, da leicht Rückfälle eintreten, die in sehr 
vielen Fällen — auch bei Brustkindern — zuni Tode führen. 


' Verein Freiburger Aerzte. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. März 1908. 

Herr Krönig: Zur klinischen Bedeutung der Rücken- 
marksanästhesie. 

Diskussion: Die Herren Axenfeld, v. Eicken, Bulius, 
M e i s e 1. 

Herr Axenfefd: Demonstrationen. 

Herr Brons und Herr Rupprecht: Klinische und Demon- 
strationsprojektionen. 

Sitzung vom 1. Mai 1908. 

Herr S c h 1 i m p e r t: 1. Die Opsonine und ihre Bedeutung 

(mit Demonstrationen). 

2. Die Serodiagnose der Lues nach Wassermann (mit 
Demonstrationen). 

Diskussion: Die Herren Jacobi, Schottelius, Küster, 
Krönig. 

Sitzung vom 29. Mai 1908. 

Herr A s c h o f I: Zur Physiologie und Pathologie des Isth¬ 
mus uteri. 

Vortragender berichtet über seine fortgesetzten Unter¬ 
suchungen betr. den Isthmus uteri. Obwohl schon von ver¬ 
schiedenen Seiten, sowohl Anatomen wie Gynäkologen, zur 
Klärung bestimmter Schwangerschaftsveränderungen des 
Uterus eine Dreiteilung desselben vorgeschlagen worden ist, 
hat dieser Vorschlag so wenig Anklang gefunden, dass in dem 
neuesten Lehrbuch von Hoffmeier einer solchen Drei¬ 
teilung des Uterus gar keine Erwähnung geschieht und Bayer 
in seiner soeben erschienenen Anatomie der weiblichen Ge¬ 
schlechtsorgane einen irgendwie schärfer umgrenzbaren Isth¬ 
mus für das ruhende Organ ablehnt und nur am jungfräulichen 
Uterus eine unbestimmte Uebergangszone zwischen Korpus 
und Kollum, von welcher es schwer zu sagen ist, welchem der 
beiden Abschnitte er zugehört, zulässt. Vortr. glaubt sich 
diesem Verzicht der Gynäkologen und Geburtshelfer auf einen 
Fortschritt in der Erklärung des anatomischen Aufbaues des 
Uterus nicht anschliessen zu können. Die Grenzen für den 
Isthmus sind allerdings nicht mathematisch genau festzulegen, 
wohl aber mit der gleichen Sicherheit zu bestimmen wie die 
Pylorusgrenze, die Uebergangsstelle des Nierenbeckens in den 
Ureter usf. Die untere Grenze für den Isthmus ist histologisch 
scharf charakterisiert durch den Uebergang von typischer Zer¬ 
vixschleimhaut in sogen. Korpusschleimhaut. Dieser Ueber¬ 
gang erfolgt in einer ca. 1 mm breiten Uebergangszone, in wel¬ 
cher die Schleimhaut innen Zervixdrüsen trägt, die aussen be¬ 
reits von Korpusdrüsen umfasst werden. Die obere Grenze ist 
schwerer bestimmbar aber makroskopisch festzulegen durch 
die feste Anheftungsstelle des Peritoneums und die Eintritts¬ 
stelle der grösseren Aeste der Arteria uterina und durch die 
hier meist am stärksten ausgebildete äussere Einschnürung des 
Uterus. Dieses eigentümliche Gebiet des Isthmus zeigt als 
histologische Charakteristika der Schleimhaut relative Armut 
an Drüsen und eigentümliche Verlaufsrichtung derselben, auf 
die schon Werth aufmerksam gemacht und die von H e g a r 
und Bayer bestätigt werden konnten. Auch ist die Schleim¬ 
haut im Ganzen faserreicher als die Korpusschleimhaut. Auch 
die Muskulatur dieses Abschnittes weicht architektonisch, wie 
schon Bayer gezeigt, von der Korpusmuskulatur ab und steht 
bezüglich des Bindegewebsreichtums zwischen Korpus- und 
Zervixmuskulatur. Vortr. zeigt an dem Bayer sehen Schema 
der Uterusmuskulatur, dass derselbe die Zervixgrenze dort 
markiert, wo nach Auffassung des Vortr. der anatomische 
Muttermund oder die obere Grenze des Isthmus liegt. Die 
eigentliche Zervixschleimhaut reicht nie bis zu dieser von 
Bayer angegebenen oberen Zervixgrenze heran, sondern 
bleibt davon 6—8 mm entfernt. Im Gegensatz zu Bayer 
wird von der Mehrzahl der Gynäkologen gerade die Zervix¬ 
schleimhautgrenze als innerer Muttermund bezeichnet; die Dif¬ 
ferenz zwischen beiden Partien verschwindet sobald die beiden 
verschiedenen Muttermünder als Grenze für das Isthmusgebiet 
festgelegt werden. 

Vortr. berichtet über die im pathologischen Institut ausge¬ 
führten Arbeiten Hegars, welcher es sich zur Aufgabe ge- 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1950 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 . 


stellt hatte, die Entwicklung des Isthmus vom Neugeborenen an 
bis zum geschlechtsreifen Weibe klarzulegen. Diese Unter¬ 
suchungen ergaben das bemerkenswerte Resultat, dass der 
Isthmus schon beim Neugeborenen kräftig entwickelt ist, im 
Gegensatz zu Zervix und Korpus und dass er im späteren 
Leben nur sehr wenig an Grösse zunimmt, während die Zervix 
aut mindestens das doppelte, das Korpus auf ca. das drei¬ 
fache anwächst. Auch zeigt die Hegarsche Tabelle in Be¬ 
stätigung älterer Angaben, dass die Gesamtlänge des Uterus in 
dem ersten Jahrzehnt ganz unverändert bleibt. War schon 
durch diese Untersuchungen eine Sonderstellung des Isthmus 
gerechtfertigt, so liess Vortragender durch Herrn Dr. Ogata 
auch das Schicksal des Isthmus im Greisenalter verfolgen. 
Diese Untersuchungen zeigten, dass bei der senilen Rückbil¬ 
dung der Isthmus so gut wie keine Verkürzung im Längen¬ 
durchmesser erleidet. Nur der Querdurchmesser verkleinert 
sich durch die Atrophie der Muskulatur einerseits und der 
Schleimhaut andererseits. Im Gegensatz zum Corpus und der 
Zervix tritt die Schleimhautatrophie sehr frühzeitig ein und 
wird eine besonders hochgradige, so dass nach Verlust des 
Oberflächenepithels und zystischer Umwandlung der Drüsen 
eine völlige Verödung dieses Abschnittes eintreten kann. Die 
sogen. Atresie des inneren Muttermundes ist in W irklichkeit 
eine flächenhafte Atresie des Isthmus. Dieser durch seine Ent¬ 
wicklung, sein Schicksal und seinen histologischen Aufbau wohl 
charakterisierte Uterusabschnitt hat nun aber auch, wie Vortr. 
schon früher gezeigt, eine bestimmte physiologische Bedeu¬ 
tung. Unter normalen Umständen wird nur die eigentliche 
Korpushöhle zur Eieinnistung verwandt und die normale Pla¬ 
zenta nimmt ungefähr das Gebiet der Korpushöhle ein und 
überschreitet die Isthmusgrenze nicht. Für den wachsenden 
Fötus ist aber in der Korpushöhle nicht genügend Raum zu 
schaffen und deswegen wird in der zweiten Schw angerschafts- 
hälftc das Isthmusgebiet durch allmählige Erweiterung und 
Dehnung zur Bildung der Eikammer mitverwendet. Dieser 
sogen. Isthmusteil stellt, wie auch neuere untersuchte Präparate 
zeigen, das untere Uterinsegment der Autoren dar. Vortr. de¬ 
monstriert die Verhältnisse an einem frisch gewonnenen Prä¬ 
parat des 9. Schwangerschaftsmonats. Die obere Grenze des 
unteren Uterinsegments entsprach der festen .Anhaftungsstelle 
des Peritoneums; die untere Grenze der Eihautanheftung be¬ 
fand sich dicht oberhalb des Beginnes typischer Zervixschleim- 
haut, reicht bis in die Uebergangszone heran. Der eigentliche 
Zervixkanal ist nur leicht trichterförmig erweitert. Diese Er¬ 
weiterung hat mit der Bildung der Eikammerhöhle nichts zu 
tun, da eine Anheftung der Eihäute an der Zervixschleimhaut 
nicht stattfindet. Zur schärferen Trennung schlägt Vortr. den 
Namen Isthmussegment für das untere Uterinsegment, soweit es 
Anheftung der Eihäute zeigt, vor. An das Isthmussegment 
schliesst sich erst die trichterförmige Erweiterung der Zervix 
an. Die auffällige Dehnbarkeit des Isthmus zeigt sich auch 
nach der Geburt, wo dieser 'Feil sich sehr schlecht und langsam 
kontrahiert. 

Auch am ruhenden Uterus ist der Isthmus durch seine Be¬ 
weglichkeit und auffällige Weichheit der Wandungen ausge¬ 
zeichnet. Er stellt, wie sich Vortr. ausdrückt, das Scharnier 
dar, in welchem sich der Korpus gegen die Zervix bewegt. In 
Fällen von Prolaps wird gerade das Isthmusgebiet,, sow eit es 
durch den Hiatus vorgefallen, auffallend stark in die Länge ge¬ 
zogen. Abnorme Entwicklung der Isthmusmuskulatur, ab¬ 
norme Krümmung des Isthmusabschnittes der Müllersehen 
Gänge sind auch wohl als Ursache der angeborenen Ante- 
flexionen zu betrachten, zu denen Vortr. ein von Dr. H e g a r 
übersandtes Präparat als Beispiel demonstriert. Ueberdeh- 
nung des Isthmus in der Geburt und ungenügende Involution 
desselben sind vielleicht als Ursache erworbener Retroflexion 
zu betrachten. Schliesslich bespricht Vortr. noch einen Fall 
von Placenta praevia aus der Krönigschcn Klinik, der von 
Herrn Dr. Lankow genauer publiziert werden würd, und 
zeigt im Vergleich mit normalen Präparaten, dass auch hier das 
Isthmusgebiet von der Plazenta besetzt worden ist. Diese hat 
zur enormen Entwicklung von Gcfässen in der Isthmuswand 
geführt. Bei der mangelhaften Kontraktionsfähigkeit des Isth¬ 
mus erklärt sich sehr leicht die Blutung in der Nachgeburts- 
periode bei Placenta praevia. Schliesslich weist Vortr. noch 


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auf den Sitz der Ruptur des schwangeren Uterus im Isthmus- 
gebiet hin, um auch an diesem Beispiel die Bedeutung des 
am ruhenden Organ schon nachzuw eisenden Isthmus für patho¬ 
logische Veränderungen zu demonstrieren. 

Diskussion: Pie Herren k r o n u, B u 1 1 u s. 

Herr Asch off: Pathologisch-anatomische Demonstrationen. 

Diskussion: Die Herren Pankow. K r o n i g. 


Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins in Hamburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. Mai PA»''. 

Vorsitzender: Herr Deycke. 

Schriftführer: Herr W o h I w 1 11. 

Herr Levy demonstriert ein Praparat von Aneur>sma der 
Aorta descendens. 

Per Patient klagte zunächst nur über Kreu/schii.er/en; er hatte 
mehrmals eine unbedeutende Hämoptoe; kam dann ganz plet/iich 
nach einer Hämoptoe von A<og ad exitum. Die Sektion ergab 
ein Aneurysma der Aorta descendens, das in die linke Lunge und 
Pleurahohle durchgebrochen war. Man kann 2 Finger in den Riss 
der Aorta einfuhren. In der linken Pleurahohle finden sich 3 Liter 
' Blut. 

Diskussion: Herr Reiche sah uiederholt Fälle von Exitus 
subitus durch Perforation von Aneurysmen in die linke und einmal 
I auch in die rechte Pleurahohle. Fm hall von solchem Durchbruch 
I war aber besonders bemerkenswert, weil hier der Jod erst ungel.ihr 
! b Tage nach dem durch Schutteltrost und Auftreten einer sich mehr 
1 und mehr ausbreitenden, bei Probepunktionen Biut ergebenden P.imp- 
I fnng gekennzeichneten Eintritt der Perforation crf«»i K te. Hier hatten 
feste Adhäsionen des Brusttellraums. die von dem langsam sich 
weiterwiiliienden Blut erst allmählich getrennt wurden, eine ravJ-.e 
Verblutung verhindert. 

Herr S I m m o n d s: Lieber Epignathusbildungen. 

Unter Epignathen verstehen w ir Doppelbildungen, deren 
i Verbindung am Gaumen, Oberkiefer oder Rachen liegt. Das 
eine Individuum ist dabei normal entwickelt, das andere nur 
rudimentär vorhanden und hängt meist als unförmliche Masse 
: zum Munde des Autositen hervor. Bald sind am Parasiten 
einzelne Körperteile erkennbar, bald bildet er eine mächtige 
amorphe Geschwulstmasse, baid präsentiert er sich nur als 
i kleiner Tumor der Mundhöhle. Für den Pathologen ist die 
Missbildung interessant wegen dieser l ebergangsformen vom 
! Teratom zur echten Doppelbildung, für den Gynäkologen wegen 
j der durch sie veranlassten Geburtsstorung. 

Von der w eitaus häufigsten Form, dem E p i g n a t h ti s 
| amorph u s, werden zwei Fälle demonstriert: 



Fig. I. Fig. II. 

I. 19 jährige Frau. Abort im VI. Monat. Nach Extraktion des 
33 cm langen Knaben bleibt der l'terus auffallend gross. Nunmehr 
w ird ein 3Hl g wiegender gelappter, weicher I umor entfernt, der 


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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1951 


ursprünglich an einem knöchernen Stiel an der hinteren Rachen¬ 
wand gesessen hatte. Der Tumor hatte aus dem weit klaffenden 
Mund hervorgeragt, war bei der Entbindung abgerissen. Beide 
Kiefer stark deformiert, sonst ist das Kind normal. Die Geschwulst 
besteht aus myxomatösem, von Zysten durchsetzten Bindegewebe, 
das von Knochenverästelungen durchzogen wird, neben von Zylinder¬ 
epithel bekleideten Hohlräumen Gefässe, Nerven, Knorpelgewebe ent¬ 
hält und eine epidermoidale Bekleidung besitzt. Fig. 1 zeigt den 
Fötus mit dem Tumor in seiner ursprünglichen Lage. 

II. 25 jährige Frau. Abort im VI. Monat. 35 cm langes Mäd¬ 
chen mit Mühe extrahiert. Aus dem Munde hängt faustgrosse, 
weiche, dem harten Gaumen breit aufsitzende Geschwulst, welche die 
Mundspalte stark erweitert hat. Daneben wölbt sich an der linken 
Oberkieferseite ein strausseneigrosser Tumor vor, der an der Basis 
noch von normaler Haut, an der Kuppe von schleimhautähnlichem 
Ueberzug bedeckt wird. Die den ganzen Oberkiefer linksseitig durch¬ 
setzenden Massen haben das linke Auge stark aufwärts disloziert 
und auch den Unterkiefer stark abwärts verdrängt und abgeflacht. 
Die Geschwulst reicht bis zum Nabel herab, ist mit knolligen Aus¬ 
wüchsen besetzt. Mikroskopisch findet man beide Tumoren von 
gleichem Bau, bestehend aus fibrösem und myxomatösem Gewebe, in 
dem zahlreiche mit Zylinderepithel bedeckte Schläuche, Gefässe, 
Muskelfasern, Nerven anzutreffen sind. In Fig. 2 ist diese Miss¬ 
bildung wiedergegeben. 

Herr Trautmann: Die Keimträgerfrage bei übertrag¬ 
barer Genickstarre. 

Der Vortragende weist auf die im Vergleich zu den Epi¬ 
demien Oberschlesiens und der rheinisch-westfälischen Kohlen¬ 
bezirke erheblich geringeren Befunde von gesunden Keim¬ 
trägern in der Hamburger Genickstarreepidemie von 1907 hin. 
Von den insgesamt untersuchten 68 Familien konnten bei nur 
13 Familien Weichselbaum sehe Kokken im Rachen, im 
Verhältnis von 100—20 Proz. ihrer Glieder, nachgewiesen 
werden. Angesichts der auffälligen Erscheinung, dass in 
einigen Familien sämtliche, fast durchweg erwachsene Glieder 
mit Kokken behaftet waren und diese die Keime meist viele 
Wochen hindurch beherbergten, stellt Trautmann die 
Frage, ob in solchen „Keimträgerfamilien“ vielleicht auch 
„Lymphatismus“ ein Grund dieses Dauertragens sei. 

Zur Erklärung der vom Vergleichsstandpunkte aus grund¬ 
sätzlich niedrigen Keimträgerwerte in der Hamburger Gegend 
glaubt der Vortragende eine Reihe bisher immer nur einzeln 
als begünstigende Momente geltend gemachte Faktoren ver¬ 
eint heranziehen zu sollen. Abgesehen von den vielleicht mit¬ 
spielenden erwähnten anatomischen Verhältnissen scheine 
namentlich die Betonung der Begünstigung durch meteoro¬ 
logische Faktoren seitens Bruns und Hohn aussichtsreich, 
ganz besonders in Grubengegenden. Schon J e h 1 e habe 
ferner eine hervorragende Bedeutung der Grube für die Keim¬ 
ausbreitung angenommen; auch v. Lingelsheim neuer¬ 
dings die eine Uebertragung der Kokken begünstigenden Ver¬ 
hältnisse im Bergwerk geschildert. T rautmann führt aus, 
wie besonders die Bergmannsarbeit die Erwerbung von Ka¬ 
tarrhen begünstige infolge ungenügender Anpassung der unter 
Tag erhitzten Leute vor der Ausfahrt an die kühle Aussenluft, 
welche ihren Körper plötzlich umgebe und ihren durch Staub 
und schlechte Luft ohnehin gereizten Respirationstrakt fülle. 
Schon Kirchner habe vor Jahren auf das eigentümliche Zu¬ 
sammenfallen schwerer Genickstarreepidemien mit Gruben¬ 
gegenden hingewiesen; es sei am Platze, zu betonen, dass der¬ 
artige Erwerbsverhältnisse und gleichfalls derartige schwere 
Seuchenausbrüche in vielen anderen Gegenden Deutschlands 
bisher völlig fehlten. 

Aus den Darlegungen von Bruns und Hohn sodann 
scheine man folgern zu dürfen, dass bei an sich flauen Epi¬ 
demien auch die Keimübertragung auf Gesunde eine wesentlich 
geringere sei, als bei schweren Seuchenausbrüchen. 

Alles in allem sieht der Vortragende in der besprochenen 
Hamburger Epidemie eine infolge bestimmter Gründe durch 
geringere Heftigkeit hinsichtlich der Erkrankungen, wie der 
Keimverbreitung ausgezeichnete besondere Erscheinungsform 
der Meningitis epidemica. 

^Diskussion: Herr Herford -Altona wendet sich auf Grund 
der bei der gleichzeitigen Altonaer Epidemie gemachten Erfahrungen 
gegen Herrn Trautmanns Annahme, dass man Beziehungen 
zwischen der geringen Zahl der gefundenen Kokkenträger und dem 
milden Charakter der Epidemie annehmen könne. In Altona haben 
sich zunächst mehr Kokkenträger nachweisen lassen (von 192 Ge¬ 
sunden 46 Keimträger = fast 24 Proz.), aber es wären hier — und 


das gilt wohl auch für von anderen Untersuchern berichtete niedrige 
Zahlen — vielleicht viel mehr gefunden worden, wenn jedesmal die gün¬ 
stigsten technischen und zeitlichen Bedingungen bei der Untersuchung 
vorhanden wären. H. glaubt aus verschiedenen Gründen, dass die 
Keimträger viel zahlreicher sind, als manche Untersucher es an¬ 
nehmen; ähnlicher Ansicht scheine auch Flügge nach seinen aui 
der vorjährigen Bremer Sitzung des Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege aufgestellten Thesen zu sein. Dass sehr viel Leute aus der 
Umgebung die Kokken aufnehmen müssen, geht z. B. aus der leichten 
Uebertragbarkeit von Mensch zu Mensch hervor, die die Bakterien 
der oberen Luftwege überhaupt besitzen: man kann bei vielen Unter¬ 
suchungen eines zusammengehörigen Kreises feststellen, dass bei 
einem solchen die Bakterienflora des Nasenrachenschleims eine auf¬ 
fallende Gleichartigkeit besitzt. Dieselbe Beobachtung berichtet auch 
v. Lingelsheim in einer neueren Arbeit über die Aetiologie 
der Genickstarre. Daraus kann man aber schliessen, dass auch patho¬ 
gene Bakterien, und so auch die Meningokokken, sich mehr oder 
weniger gleichmässig auf die Glieder eines Kreises verteilen werden. 
Auch Beobachtungen in Altona sprechen für diese leichte Uebertrag¬ 
barkeit, z. B. hatte ein Mann lediglich beim Umbetten einer Patientin 
Meningokokken akquiriert, eine andere Möglichkeit war nicht nach¬ 
zuweisen. 

Die Ursache, dass bei dieser anzunehmenden weiten Verbreitung 
der Kokken die Befunde der einzelnen Untersucher so sehr von ein¬ 
ander ab weichen und zum Teil so gering sind, ist zum Teil wohl auf 
technische Gründe (Verschiedenheit der Nährböden, Transport¬ 
schädigung bei der verschiedenen Entnahme- und Einsendungsart) 
zurückzuführen. Zum Teil aber scheinen die negativen Ergebnisse 
auch daran zu liegen, dass ein Teil der Keimträger die auf genom¬ 
menen Kokken schon nach kurzer £eit wieder ausschefdet oder ver¬ 
nichtet. Wenn nun ein Krankheitsfall, wie dies ja nicht selten ist, erst 
spät zur Meldung gelangt und man nun erst auf Umgebungsunter¬ 
suchungen auszieht, so ist es wohl denkbar, dass einige der unter¬ 
suchten Personen die Kokken zwar beherbergt hatten, aber sie zur 
Zeit der Untersuchung bereits wieder ausgeschieden und bewältigt 
haben. Hierfür sprechen eine Reihe von Nachuntersuchungen, die 
H. vorgenommen hat, aber auch epidemiologische Beobachtungen: 
es kommt nicht selten vor, dass man bei denjenigen Personen, die 
in die nächste Berührung mit den Erkrankten gekommen sind, 
also z. B. den pflegenden Müttern, den Geschwistern, die mit den 
Kranken in einem Bett geschlafen haben, so auch bei dem Pflege- 
und Wartepersonal der Genickstarresäle, die Kokken vermisst, 
während Personen, deren Berührung mit den Kranken eine viel ent¬ 
ferntere war, sich als Kokkenträger zeigen. Man kann kaum an¬ 
nehmen, dass bei der schon erwähnten Leichtübertragbarkeit die 
näher stehenden Personen gerade leer ausgegangen sind, während 
die entfernteren die Kokken aufnehmen. Viel näher liegt nach den 
vorher erwähnten Beobachtungen über die teilweise kurze Dauer der 
Kokkenbeherbergung die Annahme, dass auch diese Personen die 
Kokken aufgenommen hatten, aber zur Zeit der Untersuchung nicht 
mehr Träger sind. Für die Aufnahme als solche müssen doch alle 
Menschen gleich disponiert sein, wenn es auch verständlich ist, dass 
nicht bei allen die Kokken gleich lange haften. Auch Herr Traut- 
mann erwähnte, dass in Hamburg nur etwa bei der Hälfte der 
Träger die Kokken längere Zeit nachzuweisen waren. 

Darnach kann man wohl annehmen, dass auch die Hamburg- 
Altonaer Zahlen gegen die Wirklichkeit zu niedrig sind, und H. glaubt 
deshalb nicht, dass man die Niedrigkeit der Zahlen in Zusammenhang 
mit der Milde der Epidemie bringen darf. Diese Milde der Epidemie 
scheint ihm eher an den allgemein epidemiologischen Verhältnissen 
der Grossstadt zu liegen; grosse Anhäufungen von innig verbundenen 
Massen bei der Arbeit, die noch dazu unter ungünstigen gesundheit¬ 
lichen Bedingungen stehen, wie dies z. B. für die Grubenbezirke zu¬ 
sammentrifft, kommen hier nicht vor, so dass hier keine AUgemein- 
disposition vorhanden ist, die zur Massenverbreitung führen könnte. 
Bei der von Czaplewski erwähnten kleinen Epidemie in Köln 
scheinen ungefähr gleiche epidemiologische Verhältnisse vorzuliegen. 
(Autoreferat.) 

Herr Thost: Die Mitteilung des Vortragenden, die Zahl der 
Keimträger und die Mortalität bei der Hamburger Epidemie sei eine 
bedeutend geringere, wie bei Epidemien an anderen Orten, namentlich 
bei den im rheinischen Kohlenrevier beobachteten, hat mich sehr 
interessiert. Auch ich glaube, dass eine Verschiedenheit in der Be¬ 
schaffenheit der Schleimhäute der oberen Luftwege hier im Norden 
mit Schuld ist. Wir haben hier mehr hypertrophische Schleimhäute 
und dann wegen der vielen Niederschläge weniger Staub. Unser 
Boden ist feucht und viel sumpfig, während Kalk- und felsiger Boden 
mehr Staubteile liefern, namentlich in Kohlenrevieren, die kleine Ver¬ 
letzungen der Schleimhäute setzen. Durch diese kleinen Schleimhaut¬ 
läsionen dringen diese Infektionskeime an anderen Orten leichter 
in das Gewebe ein. 

Wenn trotz der hier so häufigen Hyperplasie des lymphatischen 
Rachenringes Infektionen hier seltener, die Epidemien leichter sind, 
so kann das daran liegen, dass durch das reichlichere Sekret die 
Keime eher mit weggespült werden und zweitens daran, dass bei 
der so häufig verlegten Nasenatmung die Keime überhaupt nicht so 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1^52 


häufig an die Prädilektionsstelle der Infektion, in den Nasenrachen¬ 
raum, gelangen. 

Herr Reiche weist darauf hin, dass nach der herrschenden 
Ansicht erkrankte Kinder nur wenig fiir die Ausbreitung der Menin¬ 
gitiskeime in Krage kommen, vorwiegend aber erkrankte Erwachsene. 
Vielleicht mag eine Sonderung der Beobachtungen nach diesem Ge¬ 
sichtspunkt die Differenz in der von Herrn Traut m a n n und 
anderen Autoren gefundenen Häufigkeit der Meningokokkenträger in 
der Umgebung (jenickstarrekranker erklären. — Sodann fragt er, 
ob bei den zahlreichen Untersuchungen des Hygienischen Instituts 
von meist wegen Diphtherieverdachtes eingesandten Rachcnschieim- 
abstrichen allerverschiedenster Provenienz auch einmal Meningo¬ 
kokken ohne Beziehungen zu Meningitiskranken gefunden sind analog 
der von Hü bene r und Kutscher gemachten Feststellungen. 

Herr S c h r ö d e r - Altona: Die Genickstarre hat im Jahre löb7 
in Altona verhältnismässig grossere Verbreitung angenommen, als in 
Hamburg, es erkrankten 33 Personen, von denen 24 starben. Die Er- 
krankungsgefahr ist für die Umgebung nicht gross; die meisten halle 
kamen in kinderreichen Familien und engen, ungünstigen Wohnungen 
vor, trotzdem wurden nur 2 mal je 2 Fälle in einer Familie beobachtet, 
bei denen auch noch mit der Möglichkeit einer gleichzeitigen In¬ 
fektion gerechnet werden musste Ein an Genickstarre erkranktes 
Kind mit wenig ausgesprochenen Krankheitserscheinungen lag 
wochenlang, bis die Krankheit erkannt wurde, in einem dicht be¬ 
legten Saal des Kinderhospitals, ohne dass andere Kinder erkrankten, 
ähnliche Fälle sind auch jetzt wieder beobachtet worden. Die Um¬ 
gebungsuntersuchungen sind in mancher Beziehung gewiss interes¬ 
sant, aber praktisch haben sie zur Zeit für die Bekämpfung der 
Genickstarre wenig Wert, weil wir keine gesetzliche Handhabe be¬ 
sitzen, die Keimträger abzusondern oder dem Verkehr fernzuhalten. 
Da die Untersuchungen sehr zeitraubend sind, fuhren wir sie jetzt 
nicht mehr, wie im vorigen Jahr, bei der ganzen Umgebung der 
Erkrankten aus. sondern beschränken uns auf die Schulkinder, die 
wir, wenn sie Keimträger sind, vom Unterricht ausschliessen lassen. 
Interessant ist es, dass wir bei den Umgebungsuntersuchungen bei 
den Keimträgern leichte Erkrankungen gefunden haben, die wir wohl 
als Abortivfälle der Genickstarre ansehen müssen. So erkrankte ein 
junges Mädchen, das ein an Genickstarre erkranktes Kostkind ge¬ 
pflegt hatte, plötzlich an Erbrechen, starken Kopf- und Nacken- 
sehmerzen, war aber am andern 'läge schon wieder ganz. wohl. In 
gleicher Weise erkrankte eine Frau, die ein an Genickstarre er¬ 
kranktes Kind einer Nachbarin in ihrem Umsehlagetuch ins Hospital 
gebracht hatte. Auch jetzt habe ich wieder ein 12 jähriges Mädchen 
gesehen, bei der wir Meningokokken im Nasenrachenschleim festge¬ 
stellt hatten und die bald darauf tagelang an Kopf- und Rücken- 
schrnerzen litt, auch körperlich etwas verfiel, ohne bettlägerig zu 
werden. Vielleicht sind solche Fälle, die, wie gesagt, wohl als 
Abortivfälle der Genickstarre anzusehen sind, auch in Hamburg bei 
den Umgebungsuntersuchungen gefunden worden. (Autoreferat.) 

Herr Engel m ann; Ich möchte den Herrn Vortragenden fragen 
bezüglich der Befunde Westenhöfers und v. L i n g e I s h e i m s, 
ob die Mandeln sich in akut-entzündlicher Schwellung befanden 
oder ob es sich um eine chronische Hyperplasie resp. Hypertrophie 
handelte? Die ausführlichen Arbeiten der Autoren hierüber 
kenne ich nicht — sondern nur die Gesellschaftsberichte. - Wie die 
Herren wissen, hat die Frage für mich ja ein ganz spezielles Interesse, 
denn wir haben uns ja schon seit Jahren darüber hier — besonders 
in der biologischen Gesellschaft — unterhalten, ob man die erkrankten 
Mandeln bei den verschiedenen Infektionskrankheiten wirklich als 
Eingangspforte ansehen soll oder nicht. Bei manchen Anginen glaube 
ich das bestimmt verneinen zu können, dass die Mandeln primärer 
Sitz der Erkrankung sind z. B. öfter bei Otitiden und deren Neben¬ 
höhlenerkrankungen. Neulich hat Barth in der Deutschen medi¬ 
zinischen Wochenschrift auch mit aller Entschiedenheit den Stand¬ 
punkt vertreten, dass die Mandeln u. a. als Ausscheidungsorganc für 
die Keime dienen. 

Vielleicht äussert Herr Trautmann sich dazu. 

Dass Herr T ho s t die grossen Mandeln jetzt dnc|) gewisser- 
massen als Schutzorgan dienen lässt, hat mich sehr interessiert. Da 
werden wir vielleicht doch noch Zusammenkommen in unseren An¬ 
schauungen. Nicht beipflichten kann ich ihm bezüglich des Staubes 
in Hamburg. Hier wirkt der vom Hafen kommende Russ, wie anders¬ 
wo die Kohleteilchen und der Staub. Der Hamburger chronische 
Schnupfen schwindet, wenn man 2 3 Tage in reiner Luft ist und 
statt 1 2 Taschentücher braucht man keins. Und je nach der Wind¬ 

richtung vom Hafen her, sieht man, wie in den betreffenden Stadt¬ 
teilen der Nasenschleim schwarz wird und dann in dem Bezirk die 
Katarrhe gehäufter auftreten. 

Herr T raut in a n n (Schlusswort): Im Schlusswort fasst der 
Vortragende zusammen, dass die von den Herren Diskussionsrednern 
initgetcilteri Bemerkungen offenbar durchaus geeignet seien, seine 
Anschauungen zu stützen. Die Keimträgerzahlen in Altona und Köln 
Konnten keinerlei Vergleich aushalten mit den hohen Werten der 
schlesischen und rheinisch-westfälischen Epidemie. Die etwas höheren 
Weile Altonas dürften sich abgesehen von manchmal erst später 
Verlegung der Kranken, teilweise durch Aussaat der Altonaer Rachen¬ 
abstriche unmittelbai nach Entnahme erklären, ein Vorgehen, das. 


No. A7. 


wie im Vortrag bemerkt, in Hamburg nicht habe stuttimden koimen. 
(Vor endgültiger l rteiifaliung Ware auch notig, die \ erteiiirigsver- 
haitmsse der Keimträger in den ['.muhen zu kennen.» Herrn 1 ii o s t s 
Gesichtspunkt einer disponierenden \erietzuiig der Seine imhaute Sei 
nioglicherw eise \on hoher Bedeutung. Ein Hinweis, ob es sich um 
erkrankte Kinder oder Erwachsene gehandelt habe, die Herr R e i c h e 
vermisse, Sei Wohl von geringerer Bedeutung im Hinblick daran:, 
dass auch der erkrankte Erwachsene nur eine untergeordnete V er¬ 
breit ungsqueile darsteiie. 


Naturwisserochaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena. 

(Sektion für Heilkunde.) 

Sitzung v t> m 9. Juli F>"S. 

Herr Lommel berichtet iibcr experimentelle Unter¬ 
suchungen über das Flimmerepithel der Respirationsorgane. 

Die Versuche betraten Säugetiere (Hunde); da mir die ronna! 
ernährte Schleimhaut optimale Leistungen aulweist, wurde nur 
an der in situ befindlichen Schleimhaut beobachtet. Als Muss 
der Leistungen diente der Transport aufgebrachten Staubes. 
Dabei konnte eine ganz ausserordentliche mechanische Lei¬ 
stung des Epithels und eine sehr rasche Selbstreinigung der 
Luftwege zahlenmässig festgestellt werden. Zur Beobachtung 
kamen ferner pathologische Zustande der Luftwege. Die 
Mimmerung erwies sieh als sehr resistent gegenüber ver¬ 
schiedenen Schädigungen. Hei akuten EutzimJürgen bestand 
keine Beeinträchtigung, eher eine Anregung. Kokain erzeugte 
eine vorübergehende Herabsetzung der Leistungen. Eine sehr 
schwere Beeinträchtigung der Elmmierw irkung konnte durch 
Alkoholvergiftung erzeugt werden. (Wird ausführlicher im 
deutsch. Arcli. i. klm. Medizin [ungeteilt werden.) 

Diskussion: Herr W i t t m a a c k : Zur Ergänzung der 
L o m m c I scheu l iitersucliimyvii weist Wittmauck daran! hm. 
dass auch die klinischen Beobachtungen am I'iimmerepitiiel der 
Nasenpolypen dafür sprechen, dass bei cnt/midiicher Reizung der 
Schleimhaut zunächst eher eine Steigerung der '1 atigkeit der ein¬ 
zelnen Ehmmer/elle. als eine Abschw aehurig derselben ertolgt. Auf 
die ausserordentliche l.ehcnseiiergie des I nmnierepithels der Naseri- 
polypen haben vor allem selmn (irawitz und Busse auimerk- 
sarn gemacht. Man kann sich hiervon mich dadurch ubcrzeuv.cn, 
dass man Zupfpraparale vom I iimmerepitiiel eines Nase npoi\ pen 
am besten im Nasenschleim selbst unter der feuchten Kammer be¬ 
obachtet. f ast regelmassig bleibt zirka 2 mal 24 Munden 'lang die 
Elimmerbew egung wenigstens an einzelnen Zeilen bestellen: m be¬ 
sonders günstigen Lallen konnte sie an einzelnen /.eilen sogar 3 bis 
4 mal 24 Stunden lang beobachtet werden. I tir -die \ oi in. geiide n 
Betrachtungen sind aber besonders wichtig mul interessant die ver¬ 
gleichenden Untersuchungen zwischen dem Verhalten der 
Blimmcr/cllcn der normalen Schleimhaut und dem der Nasenpolv pen. 
Hierbei zeigte sich nämlich, dass das I hfimsei cpitlic! eine s Nasenpcv pen 
durchschnittlich eine weit grossere Eehcnscncrgie erkennen lasst, als 
das der normalen Schleimhaut -- eine latsache. die für die frage 
nach der Genese der Pole peil beachtenswert erscheint. W. ist näm¬ 
lich aut Grund dieser Beobachtungen zu der l chcr/cugung ge¬ 
kommen. dass der Ausgangspunkt für die Entwicklung des I’oiv peil 
nicht im siihcpithehalcn Bindegewebe zu suchen ist. wie dies nach 
der pathologisch-anatomischen Bezeichnung der l’olvpen ais M\ \<»- 
fibrome zu schliessen allermeist angenommen wird, sondern dass 
der erste Anstoss zur Entwicklung des H.-ixpeti zu suchen ist m der 
A r b e i t s h y p e r t r o p hie des I Uüimei epithe !s selbst, die iukIi 
allgemein bekannten entw icklungsgescliichthchen Prinzipien zur hal¬ 
ten- be/.w. Zotteiibildung der Selbe tttjhaut fuhren muss. Das Um¬ 
wachsen dieser „Zotten" zum gestielten Timmr mt lediglich als 
sekundärer durch die engen anatomischen Verhältnisse im mutieren 
Nasengang bedingter Vorgang auf/ufassen. Demnach gehört dir 
Polyp pathologisch-anatomisch nicht m die Gruppe der Bindc- 
gewebsgeschw niste, sondern in die der gutartigen Ipitheii.il- 
gescliw niste und wäre in Parallele zu setzen den Papillomen und 
spitzen Kondylomen der < (bei haut. 

Herr Grober zeigt Kaninchenlcbcrn. die er von Tieren, die mit 
Adrenalin behandelt worden waren, gewonnen hat. Diese Organe 
lialren makroskopisch fine entfernte Avhnächkcit mit znrln-nschen 
Lebern. Ibis histologische Bild, das ebenfalls demonstriert wird, er¬ 
gibt aber den Befund einer erheblichen Mammg m den portalen Ge¬ 
lassen und m den Läppchenkapiliar eil. warnend div Ze-ntraiv eile nor¬ 
male Verhältnisse dar bietet, ledentahs nicht gestaut mt. Ausserdem 
fanden sich subkapsuiare BluteXtfäV asate. gelinge Rtmd/ei.ei’mii. - 
tratum um die infera/iiiosen Ge fasse und eine leichte Verdukmu 
und Hockerimg der Kapsel; nirgends sah man B'dndegew e hs\\ uche- 
rung. Gr. erörtert die Möglichkeiten der L' Klärung dieser 1 b. mude : 
Zclldegenerationen. Kapiüarw ajkiv er.inde • i v m..e n und multip’e Ihrmu- 
bosieruiigen resp. Infarzierungen, für die ndi aber ein positiver Be¬ 
fund in den Organen nicht auffinden licss. 


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Goi gle 


Original fro-rri 

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15. September 1908. 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1953 


Herr Bennecke stellt einen 33jährigen, körperliche und 
geistige Stigmata degenerationis aufweisenden Patienten vor, der 
an hochgradiger, auf Lähmung beruhender Blasenerweiterung und 
Urinverhaltung leidet. Der Kranke bemerkte sein Leiden zufällig, als 
er bereits im Alter von 23 Jahren stand, obgleich die Ursache und 
damit wohl auch die ersten Anfänge desselben sich durch die An¬ 
amnese bis in seine früheste Kindheit zurückführen lassen. Von 
frühester Jugend an bis etwa zum 20. Lebensjahre war er Bettnässer 
und wurde deshalb oft und streng von seinen Eltern bestraft; zu¬ 
gleich bestanden ausgesprochene Zeichen von Diabetes insipidus 
mittleren Grades. Aus Furcht vor Strafe wegen des Bettnässens hat 
nun der Kranke sich stets bemüht, seinen Urin möglichst lange in 
der Blase zurückzuhalten, was ihm mit wechselndem Erfolge ge¬ 
lang, ohne dass er die langsam sich einstellende Blasenerweiterung 
bemerkte. Diese ist ihm scheinbar während eines Krankenhausaufent¬ 
haltes in seinem 23. *Jahre zum Bewusstsein gekommen. Veranlasst 
wurde letzterer durch Beschwerden allgemeiner Natur: Druck in der 
Magen- und linken Nierengegend, sowie im Rücken, die wohl aus der 
von Stintzing in der Diskussion, auf Grund einer früher ge¬ 
machten Beobachtung, gegebenen Erklärung abgeleitet werden kön¬ 
nen, dass es sich, um Druckatrophie der Nieren (Hydronephrosei 
handelte, bedingt durch eine Rückstauung des Urins bis in das Nieren¬ 
becken. Für nephritische Prozesse spricht unter anderem der ortho- 
diagraphisch und perkussorisch zu liefernde Nachweis einer leichten 
Hypertrophie des linken Ventrikels. 

Die Kapazität der Blase beträgt nachweisbar ca. 1500 ccm, wahr¬ 
scheinlich mehr, bis 2000 ccm. Die als vollkommen eiförmiger Tumor 
durch die Bauchdecken sich erhebende Blase steht in gefülltem Zu¬ 
stande 2 Querfinger oberhalb des Nabels; die Menge des Resturins 
betrug bei der Aufnahme 1000 ccm, nach 3 wöchiger Behandlung 
700 ccm, der Blasenfundus stand handbreit bezw. 3 Querfinger breit 
oberhalb der Symphyse. 

Die zystoskopische Untersuchung ergab nicht die geringsten An¬ 
haltspunkte für das Bestehen einer Trabekelblase; die Schleimhaut 
ist entzündet, mit Schleim und Eiterflocken bedeckt, besonders in 
einer fast divertikelartigen, etwa apfelgrossen Ausstülpung des hin¬ 
teren Blasenrezessus; der linke Ureter mündet mit gut entwickeltem 
Wulste, während an der Stelle der rechten Uretermündung eine fast 
narbenartige Einziehung der Schleimhaut sich findet. Bei der Chro- 
mozystoskopie mit Carminum coeruleum konnte während 30 Min. 
nicht die geringste Farbstoffausscheidung aus beiden Uretern beob¬ 
achtet werden; der erste gefärbte Urin trat 3 Stunden später in dem 
spontan gelassenen Urin auf, ein weiteres Zeichen für die nicht intakte 
Funktionsfähigkeit der Nieren. Der Harnröhrenwulst ist gross, an der 
Entzündung beteiligt und, soweit beobachtet werden konnte, starr 
und nicht flottierend. Der Umstand, dass Harnblase und Bauchdecken 
das Licht der Zystoskoplampe ausserordentlich deutlich durchscheinen 
lassen, spricht für abnorme Dünnwandigkeit der zwecks Zystoskopie 
mit 400 ccm Borwasser gefüllten Harnblase. Der Urin wird in Mengen 
von 2000—3200 ccm täglich entleert, ist sauer, enthält nur Eiterkörper¬ 
chen und Kolibazillen, sonst keine Formelemente; sein spez. Gewicht 
schwankt zwischen 1005—1001. Eingehende chemische Unter¬ 
suchungen sind im Gange zur Erklärung des eigentümlichen Befundes. 

Zur Deutung der Blasendilatation sind die gewöhnlichen Ursachen 
z. B. Harnröhrenstrikturen, Ventilverschluss der inneren Harnröhren¬ 
mündung und Blasensteine auszuschliessen. Es bleibt also nur die 
Annahme einer nervösen Dysurie übrig, die nicht durch Muskelkrampf 
am Blasenhalse, sondern durch Blasenmuskellähmung erklärbar ist. 
Da sich für die bei dieser Annahme gewöhnlich ätiologisch in Be¬ 
tracht kommenden Krankheiten, d. h. organische Veränderungen des 
Zentralnervensystems, ferner Neurasthenie, Hysterie, keine Anhalts¬ 
punkte ergaben, so bleibt nur die Annahme übrig, dass es sich um 
eine auf willkürlicher Urinretention beruhende Blasenerweiterung 
resp. Blasenlähmung handelt. Inwieweit eine angeborene Anlage und 
ev. Missbildungen ätiologisch in Betracht kommen, kann auf Grund 
der bisherigen klinischen Beobachtungen nicht entschieden werden. *) 

Derselbe berichtet sodann über einen tödlich verlaufenen Fall 
von Salzsäurevergiftung bei einem 25 jährigen Manne, der etwa 10 g 
der Säure in 20 proz. Verdünnung getrunken hatte. Der Verlauf bot 
klinisch nichts besonderes und schien zunächst ein günstiger zu sein, 
bis am 10. Tage eine reichliche Magenblutung einsetzte, verbunden 
mit einer umschriebenen, durch Verlötung des Magens mit der Leber 
lokalisierten Perforationsperitonitis, die trotz angewandter Kochsalz- 
Adrenalin-Infusionen und Injektionen nach 30 Stunden zum Tode 
führten. Aus dem durchaus typischen Sektionsbefunde wird gefolgert, 
dass die vorgeschlagene chirurgische Therapie sowohl unmittelbar 
nach der Einnahme des Giftes, wie nach dem Eintritt der Blutung 
wenig Aussicht auf Erfolg geboten hätte. 

Theoretisch interessant ist die Beobachtung in Rücksicht auf die 
neuesten Angaben Pflügers u. a. dadurch, dass sich im Urin kein 
Zucker fand, obgleich auch das Duodenum bis zur Papille, wenn 
auch nur leicht, verätzt war. Aufgestellte mikroskopische Präparate 
vom Magen zeigen, dass die Verätzung bis in die Submukosa reicht 


*) Vergl. die demnächst erscheinende Dissertation von Scharf. 


und dass bereits jetzt vom Epithel erhalten gebliebener Magensclileim- 
hautinseln aus ein regeneratorischer Prozess einsetzt. 

Herr Stintzing spricht über die Korsakowsehe Lähmung 
und stellt einen 21 jährigen Mann mit fast vollständiger schlaffer 
Lähmung der Beine vor, deren anatomische Ursache erst nach 
längerer Beobachtung festgestellt werden konnte. Pat. hatte am 
21. No :mber 07 viele Stunden im gefrorenen Moose kniend arbeiten 
müssen Am folgenden Tage konnte er sich nicht mehr auf den 
Beinen I.r.lten. Am 5. Dezember kam er in die Klinik. Es bestand 
die erwähnte schlaffe Paraplegia infer., die Sehnenreflexe und Haut¬ 
reflexe bis herauf zum Kremasterreflex fehlten. Keine Blasen- 
Mastdarmstörung, Sensibilität intakt, Nervenstränge nicht druck¬ 
empfindlich. Pat. gab auf wiederholtes Befragen an, auch im Beginn 
seines Leidens ausser Kopf- und Kreuzschmerzen keine Schmerzen 
gehabt zu haben. Mit Rücksicht auf diese Angaben und das Ver¬ 
hältnis der Sensibilität wurde die Diagnose auf Poliomvelitis inferior 
gestellt. Im weiteren Verlaufe entwickelte sich fortschreitende 
Atrophie der Muskulatur beider Ober- und Unterschenkel mit Ent¬ 
artungsreaktion. Nur im rechten Fusse stellte sich geringe Beweg¬ 
lichkeit ein, sonst verlor sich nur die anfängliche Lähmung des Ileo- 
psoas. 

Nach etwa M* Jahr, als Vortragender bei einer klinischen Vor¬ 
stellung den Pat. aufs neue befragte, erzählte er im Gegensatz zu 
seinen wiederholten bestimmten Angaben in der ersten Zeit seines 
Aufenthaltes in der Klinik, er habe im Beginne seines Leidens der¬ 
artig heftige Schmerzen in den Beinen gehabt, dass er „laut hinaus¬ 
schreien“ musste. Dieser Widerspruch lässt sich nur erklären mit 
der Annahme, dass Pat. in der ersten Periode seiner Erkrankung an 
einem Gedächtnisdefekt gelitten hat. wie er der Korsakow sehen 
Lähmung eigentümlich ist. Erst mit der Wiederkehr der Erinnerungs¬ 
bilder wurde es, da andere Symotome von Verworrenheit und Ge¬ 
dächtnisschwäche ursprünglich fehlten, nachträglich möglich, den Fall 
richtig zu deuten und trotz des Fehlens objektiver Sensibilitäts¬ 
störungen als Polyneuritis mit Korsakow scher Psychose leichten 
Grades aufzufassen. 

Herr Relcbmann demonstriert Blutpräparate eines an Speise¬ 
röhrenkrebs leidenden Mannes, der am Tage der Blutentnahme an 
Pneumonie des rechten Unterlappens erkrankt wat. Die bakterio¬ 
logische Untersuchung des Blutes und Sputums ergab Pneumokokken, 
die histologische Untersuchung des Blutes eine hochgradige Leuko- 
zvtose, reichlich Mvelozyten und auffallend viele Megalo- und Normo- 
blasten. Differentiell gezählt fanden sich im Blute: Erythrozvten 
3 004 000 (Hämoglobin nach Gowers 40 Proz., daher F.J. 0,66). 

Gesamtzahl der kernhaltigen Zellen 32 800, worunter 

82 Proz. neutrophile Leukozyten, 

6.8 Proz. Lymphozyten, 

6.1 Proz. Myelozyten, 

1,6 Proz. Uebergangszellen, 

1.3 Proz. eosinophile Leukozyten und 

2.1 Proz. Megalo- und Normoblasten. 

6 Wochen später, nachdem Patient sich von der Pneumonie er¬ 
holt hatte und schon längere Zeit fieberfrei war, hatte sich das Blut¬ 
bild wesentlich verändert. Jetzt wurden gezählt: 

Erythrozvten 3 412 000 (Hämoglobin nach Gowers 45 Proz., 
daher F.J. 0,66). 

Gesamtzahl der kernhaltigen Zellen 15 800, worunter 

83 8 Proz. neutrophile Leukozyten, 

13.0 Proz. Lymphozyten, 

1.8 Proz. eosinophile Leukozyten, 

1.3 Proz. Myelozyten. 

0,8 Proz. mononukleäre Leukozyten und Uebergangs¬ 
zellen. 

0,25 Proz. Normoblasten (Megaloblasten?). 

R. nimmt an, dass nur durch die Gegenwart des Karzinoms, das 
wie aus der Klopfempfindlichkeit des Brustbeins und der oberen Brust¬ 
wirbel zu schliessen ist. bereits Knochenmetastasen gesetzt, also das 
Knochenmark nrimär geschädigt hat. die Pneumonie zu der oben 
beschriebenen Ueberschwemmung des Blutes mit embryonalen Blut¬ 
zellen geführt hat. 

R. erwähnt zum Schluss, dass derartige gemischte Blutbilder bei 
Knochenkarzinosen auch ohne sekundäre Schädigung des Knochen¬ 
markes beobachtet werden, und dass früher diese Fälle aus dem Vor¬ 
kommen von Myeloblasten im Blute fälschlicherweise für echte 
perniziöse Anämien gehalten worden sind. 

Herr Wlttmaack: Demonstration eines grossen, tiefgreifen¬ 
den Defektes in der linken Warzenfortsatzgegend bei einem 69jähr. 
alten Mann, der zur Verstümmelung der Ohrmuschel und Umwand¬ 
lung derselben in eine gestielte Appendix* und zu tiefgreifenden 
Knochennekrosen mit kompletter Fazialislähmung geführt hat. In 
der Tiefe des Defektes liegt stark belegt und verdickt die Dura mater 
der mittleren Schädelgrube frei. Bei Einweisung des Patienten wim¬ 
melte die grosse Wundhöhle von Fliegenmaden, die sich besonders in 
den ausgedehnten Knochennekrosen festgesetzt hatten. Diagnose 
schwankt zwischen Kankroid (Ulcus rodens) und tertiärer Lues. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



1954 


MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung am 30. April 1908. 

Vorsitzender: Herr Unverricht. 

Herr Völsch demonstriert 1. einen Hirntumor (ependymärcs 
(iliom des 4. Ventrikels). Der Bericht über den Fall erscheint aus¬ 
führlich im Neurolog. Zentralblatt. 

2. einen Fall von eigenartiger Schreibstörung (perseverative 
Paragraphle). 

Ein 9 jähriger Junge mit ausgesprochener, massiger Imbezillität 
und einigen somatischen Degenerationszeichen, der hier schon ein¬ 
mal kurz von Herrn Dr. Rüder erwähnt und dem Vortragenden 
überwiesen wurde, zeigte in letzter Zeit eine merkwürdige Storung 
beim Diktatschreiben. Aus den Diktaten seien einige Proben mit¬ 
geteilt (links richtiger Text): 

Anton war ein Knabe. 

Er hat Sprenkeln gemacht. 

Darin hat er ein Vögelchen ge¬ 
fangen. 

Dem Vögelchen war ein Bein 
zerschlagen. 

Wir werden nie ein Tier quälen. 

Der Winter war kalt. 

Die Vögel haben kein Würmchen 
und kein Körnchen gefunden. 

Da brauchten die Vögel keinen 
Hunger zu leiden. 

u. s. w. 


Anton war ein Knabe. 

Er hat Sprenkaln gemäht. 
Darnin hat er ein Vgniah hau. 

Viingah hen fen häufen. 

Wir gehnt hen fen hen. 

Der Wint war kalt. 

Die Vogel heu ein hau seu und 
ein feu sau heu. 

Rimter hat feu heu fu du und heu 
heune die haben. 


Der Junge liest Zahlen, Buchstaben, einzelne Silben, wie: 
der, hat, einen, war usw. prompt, bei etw'as längeren Worten versagt 
er durchaus: Hund, Monat, vier, fällt etc. Beim Abschreiber! (von 
Gedrucktem und Geschriebenem) sieht er, wie sein Lehrer, Herr 
Hennel, festgestellt hat, zw'ar häufig nach der Vorlage, prägt sich 
aber doch ganze Silben ein, malt also nicht nur ab (z. B. A-ber). 
Zum spontanen Schreiben ist er nicht zu bewegen. — In dem Diktat 
fällt auf, dass die Wortverunstaltungen sowohl im Laufe des ein¬ 
zelnen Diktats, als in der Reihe der Diktate zunehmen. Es scheint, 
als ob hier gewisse, oft geübte Buchstabenkomplexe (hen. fen) schon 
zu festen Symbolen verbunden sind. Bei der Analyse der Wort¬ 
bilder in einzelne Buchstaben oder solche Buchstaben komplexe, resp. 
(beim Lesen) bei dem entsprechenden synthetischen Prozess macht 
sich die Störung bemerkbar, die V. für durchaus dynamisch, funk¬ 
tionell hält. Sie lässt sich in Analogie setzen mit gewissen Störungen 
des Handelns, und zwar der Form der Apraxie, die Liepmann als 
ideatorische bezeichnet. Eine grosse Rolle spielt die Neigung zur 
Perseveration („intentioneile P.“); der Patient nerseveriert von Wort 
zu Wort, von Satz zu Satz, von Diktat zu Diktat. Vielfache Anti- 
ziptionen von Wörtern und späteren Sätzen — die Diktate sind 
vorher durchgesprochen! — lassen sich vielleicht auch so deuten, 
weisen jedenfalls auf eine schwere Aufmerksamkeitsstörung hin. V. 
möchte die Erscheinung als einen partiellen Ermüdungszustand des 
Gehirnes auffassen; dafür spricht auch die zeitliche Verteilung ihres 
Hervortretens. Sie allein der Debilität zur Last zu legen, scheint V. 
bedenklich; wahrscheinlich handelt es sich um eine Insterische Er¬ 
scheinung. Immerhin kann auch die Möglichkeit, dass man es mit 
„einem ersten, im frühesten Alter erfolgten Schub der Dementia 
praecox“ (Kräpelin) zu tun hat. nicht ganz bestritten werden. 

Herr Schreiber berichtet über seine Erfahrungen mit Flbro- 
lysln. Sehr gute Erfolge sah er bei Oesophagusstenosc. Strikturen 
der Harnröhre, bei PeritonealadhäsioiTen, Pleuiitis, Epididymitis 
gonorrhoica und parametritischen Narben, sowie bei der Behandlung 
der chronischen Arthritis. Injiziert wurde wöchentlich zweimal, nach 
15 Injektionen wurde eine längere Pause gemacht und dann eventuell 
von neuem begonnen. Da das Fibrolvsin die Narben nur aufweicht, 
so ist selbstverständlich eine mechanische Dehnung derselben durch 
Sondenbehandlung. Massage und durch orthopädische Hebungen bei 
Gelenkcrkrankungen durchaus erforderlich. Bei den Gelenkerkran- 
kungen wurden nebenher auch Salizvlpräparatc und Wärme an¬ 
gewandt. Keine nennenswerten Erfolge wurden erzielt bei der Be¬ 
handlung von Leberzirrhose, in Fällen von Pneumonie mit ver¬ 
zögerter Lösung, sowie bei Erkrankungen des Zentralnervensystems 
(Tabes und multiple Sklerose). 

Eine ausführliche kasuistische Mitteilung wird später ander¬ 
weitig erfolgen. 

Diskussion: Herr Kretschman n: In der Ohrenheilkunde 
ist das Fibrolysin seiner Wirkungsweise nach angezeigt bei Er¬ 
krankungen, in denen die Schwerhörigkeit durch Bildung von Narben¬ 
strängen hervorgerufen wird. Auch hier muss neben der Fibro- 
lvsinbehandlung eine mechanische Behandlung Platz greifen. Die 
Diagnose, ob es sich lediglich um Birulegewebsncnbildung, z. B. an 
den Fenstern handelt, oder ob dort ossifizierende Prozesse Platz ge¬ 
griffen haben, ist kaum immer mit Sicherheit zu ste'len. Deswegen ist 
aus einem Mangel des Erfolges nicht eine Unwirksamkeit des F'ibro- 


lysins zu folgern. Als Prüfstein für das Mittel gelten am besten 
solche Fälle, die ergebnislos bei einer rem mechanischen Behandlung 
geblieben sind, bei denen aber eine erneute Behandlung, verbunden 
mit Fibrolysineinspritzungen deutliche Ei folge gezeitigt hat. Ich ver¬ 
tilge über einige derartige Falle. Am günstigsten scheint die W .r- 
kung zu sein bei kallosen Slriktureu aer ’luben. In voller nicht 
zu sondierende Eustachische Rollten gelang die Finfnhrung der 
Bougie nach einigen Ethi o!\s.niniektamen. 

Herr Habs empfiehlt auf Grund seiner Erfahrungen die pro¬ 
phylaktische Anwendung des Eibmix sin Er w .1! I .brolwn an¬ 
gewendet wissen m den Füllen, wo Narbenschrumptimg oder d.e 
Bildung von Adhäsionen zu befurchten ist. so in der Nachbehandlung 
von Laparotomien, besonders falls wegen entzünd'.».her Atfckt. men 
operiert wurde, und weiter bei ausgedehnten \ erbrehwurgen und 
oberflächlichen Substanz Verlusten der Haut. Her wurden durch 
FibrolyMiibchaiKÜUMg sehr weiche, dehnbare Narben selbst nach 
ausgedehntesten Substanz Verlusten crzieit. 


Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung v o m 7. M a i 
Vorsitzender: Herr F I a t a u. 

Herr Stiuder spricht über Rekto-Romanoskopic: Ausgehend 
von der Geschichte der Fndosko-prc des Rektums, die sJum zu 
H i p p o k r a t e s‘ Zeiten geübt wurde, zeigt der Vortragende eine 
reichhaltige Sammlung alter und neuer Rektoskope. Die bis zur An¬ 
fertigung langer röhrenförmiger Spekula und 1ms zur Anwendung 
iles elektrischen Lichtes als Lenehtkorper für die Spiegelung de r 
Schleimhaut des Mastdarms in Verwendung gekommenen zwei- und 
mehrblättrigen Spekula dienten nur zur Besichtigung der Pars 
perinealis und sphmeteriea des Afters, höchstens zum Finbluk m die 
untersten Teile der Ampulle. Fs ist demnach lediglich das Verdienst 
der letzten d Jahrzehnte, speziell von Otis und K e I I v. Fw a I d. 
Schreiber etc. eme Technik und Methodik der Spiegelung des 
Mastdarms und des unteren Schenkels der Sigmaschleite aus¬ 
gearbeitet zu haben. Erst die Tatsache, dass es mogii Ji ist. den „in 
den Eettmassen des Beckenausganges gut verschieblich emgclagcrtcn 
Sphinkterteil des Rektums nach allen Teilen leicht zu verschieben“ 
und so bis zu dn 40 cm des Darmmnern zu besichtigen, hat die 
Methode der Endoskopie zu einem notwendigen Bestandteil 
einer wirklich vollkommenen Untersuchung des untersten Darm¬ 
abschnittes gemacht. Repräsentiert d«>ch dieser Teil des Mast- und 
Elexurdarms eine Prädilektionsstelle fur die meisten Erkrankungen 
des Pickdarms (Karzinom. Geschwür* verschiedenster Actiotogic. 
Fisteln, Katarrh etc.) und entspricht am eventricrtcri Darme der 
immerhin sehr respektablen Strecke von ca. So cm (nach Schrei¬ 
ber). Die Anwendung der Rektoskopie soll niemals die Digitabmter- 
siichtmg verdrängen, sie stellt lediglich eme Ergänzung derselben in 
den Teilen des Mast- und Dick dar ms dar. welche der Palpation mebt 
zugänglich sind, berichtigt Täuschungen des Paipationsbctundcs und 
gibt Aufschluss über I.ageVeränderungen und Schletmhauterkran- 
kungen oberflächlicher Natur, die mit dem Finger nicht annähernd 
gleich sicher zu erkennen wären, endlich macht sie die recht wenig 
schone, aber in vielen Fallen schädliche und zudem irreführend?? 
Sondierung im Dunkeln unnötig. Die Fnduskopie vermag Aufklärung 
zu geben uber die Beschaffenheit mul das Aussehen der Schleimhaut, 
die Digitaluntersuchung orientiert den Untersucher über die Aus¬ 
dehnung des Krankheitsprozesses in die Tiefe, über die Grosse des 
Infiltrationsbe/irkes. uber peri- und paraproktitische Prozesse, nber 
Verlotung mit der Umgebung, speziell dem Stcisshiin. Die Unter¬ 
suchung ist in ihrem technischen Teile für den eimgermassen Ge¬ 
übten leicht, namentlich mit dem H e r z s t e i n sdicn Rektoskop. 
das durch das Ca spar sehe Panclcktroskop am distalen Ende 
armiert wird, oder mit den neueren Romanoskopen muh Strauss 
oder Laws, die einen kleinen I ichttraccr am proximalen Ende, ein 
freieres grosses Gesichtsfeld und ein I .ufterbüse zu Darmaufhülnmg 
besitzen. Die Erkennung der einzelnen Erkrankungen die differen¬ 
tielle Beurteilung des Gesehenen mul das Arbeiten mit Instrumenten 
(Kauthei isicrcn. Polvpenentfci ming etc.), erfordern viel l Übung. Ge¬ 
duld und Ausdauer. Nach genauer Schilderung der Anatomie des 
Rektum und der Sigmasehleife. speziell der l.aee und Anordnung der 
Plicae rectales, die w ichtige Prädilektionsstellen bei Gcschw iirslul- 
dung darstellen, nach Beschreibung des Ganges einer rcktoskopjschen 
Untersuchung, die zweckdienlich nur in der Knie-Brust-I nge 
durchzufiihreii ist. kommt der Vortragende auf d is normale Bild der 
eesumleri Schleimhaut im Rektoskop zu sprechen, auf den ständigen 
Wechsel der Bilder ie nach der Tiefe in v ehüer man sim-mlt auf 
das Sniel der füllten und Spasmen mvmmtli.